Weber, Max, Max Weber-Gesamtausgabe, Abteilung I Schriften und Reden, Band 18 Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus / Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus. Schriften 1904-1920, hg. v. Schluchter, Wolfgang in Zusammenarbeit mit Bube, Ursula. Mohr Siebeck, Tübingen 2016. XVII, 761 S. Besprochen von Werner Augustinovic.
Trotz seiner verhältnismäßig kurzen Lebensspanne von 56 Jahren gilt Max Weber (1864 – 1920) nicht nur als einer der Gründer der deutschen wissenschaftlichen Soziologie, sondern weltweit auch als Klassiker dieser Disziplin überhaupt. Seine vielfältigen, unter anderem von Karl Marx und Friedrich Nietzsche inspirierten religionssoziologischen, wirtschaftssoziologischen und herrschaftssoziologischen Studien werden seit den 1980er-Jahren in zwei parallelen Reihen jeweils zu einem geschlossenen Textkorpus versammelt: erstens die Reihe der Max Weber-Studienausgabe (MWS, 1988ff., bisher 16 Bände), ein rein textlicher Ableger der zweiten, übergeordneten Reihe, der großen, derzeit auf 43 Bände ausgelegten Max Weber-Gesamtausgabe (MWG, 1984ff.), die, im blauen Einband mit Goldprägung inklusive Max Webers faksimilierten Autographs, alle Texte mit einem ausführlichen editorischen Apparat zur Verfügung stellt. Gegliedert ist die MWG in drei Abteilungen mit folgendem Editionsstatus: Abteilung I „Schriften und Reden“ (25 Bände, davon – inklusive des aktuell vorliegenden – 23 bereits publiziert), Abteilung II „Briefe“ (11 Bände, davon 8 erschienen) sowie Abteilung III „Vorlesungen und Vorlesungsnachschriften“ (7 Bände, davon 5 erschienen). Herausgegeben wurde und wird das Gesamtwerk im Auftrag der Kommission für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften von Horst Baier, Gangolf Hübinger und Wolfgang Schluchter sowie ihren mittlerweile verstorbenen Kollegen M[ario] Rainer Lepsius, Wolfgang J[ustin] Mommsen und Johannes Winckelmann.
Für den Aufbau der hier interessierenden Abteilung I „Schriften und Reden“ gilt, dass die Texte nach den beiden Kriterien Sachzusammenhang und Chronologie auf die jeweiligen Bände verteilt werden. Mit großem Aufwand erfolgt die kritische Einbettung der Texte: Eine Bandeinleitung informiert zunächst über inhaltliche Schwerpunkte und den zeitgenössischen Hintergrund; Rezeptionsfragen bleiben hingegen außer Betracht. Daran schließt sich der sogenannte editorische Bericht, der die Textentstehung und Textentwicklung sowie die Überlieferungslage mitsamt den editorischen Entscheidungen darlegt. Die Texte sind mit dem textkritischen Apparat (Korrekturenapparat und Variantenapparat) und einem Erläuterungsapparat zum Zweck des Nachweises, der Ergänzung, der Korrektur und der Klarstellung der Literatur und von Sachverhalten versehen. Vor allem der textkritische Apparat bedient vorzugsweise Spezialisten des Faches, weshalb wohl eine Mehrheit der durchschnittlichen Nutzer mit der Studienausgabe das Auslangen finden wird, sobald diese verfügbar ist. Umfangreich und für die allgemeine Verwendung wiederum höchst nützlich ist der Abschnitt der Verzeichnisse und Register, der im vorliegenden Band I/18 MWG gut 200 der insgesamt 761 Druckseiten in Anspruch nimmt, die vorangestellten Verzeichnisse des Inhalts sowie der Siglen, Zeichen und Abkürzungen gar nicht mitgezählt. Ein Personenverzeichnis liefert Kurzbiographien aller in den Texten Max Webers genannten Personen, das Personenregister liefert die Verweise auf die Textstellen, das vorbildlich differenzierte Sachregister schließt die Schriften über Sachstichworte auf. Alle Bände enthalten auch immer ein Verzeichnis der von Max Weber zitierten Literatur.
Mit „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ sowie „Die protestantischen Sekten und der Geist des Kapitalismus“ dokumentiert Band I/18 MWG zwei Texte aus Max Webers Schaffen, die weite Beachtung gefunden haben. Hierin hat er seine berühmte These von der besonderen Bedeutung der asketischen protestantischen Ethik und ihres Rationalismus für die Entwicklung des westlichen Kapitalismus dargelegt, deren Tragfähigkeit gegen manch kritischen Einwand in gegenwartsbezogenen empirischen Untersuchungen wie jener Gerhard Lenskis (1958) glaubhaft gemacht werden konnte. Diesen sich nicht zuletzt in der Rechtsentwicklung abbildenden Rationalismus sieht Max Weber dem Westen vorbehalten: „Für eine rationale Rechtslehre fehlen anderwärts trotz aller Ansätze in Indien (Mimamsa-Schule), trotz umfassender Kodifikationen besonders in Vorderasien und trotz aller indischen und sonstigen Rechtsbücher, die streng juristischen Schemata und Denkformen des römischen und des daran geschulten okzidentalen Rechtes. Ein Gebilde ferner wie das kanonische Recht kennt nur der Okzident“ (S. 102). Der moderne rationale Betriebskapitalismus bedürfe „des berechenbaren Rechts und der Verwaltung nach formalen Regeln“, ohne welche „kein rationaler privatwirtschaftlicher Betrieb mit stehendem Kapital und sicherer Kalkulation möglich ist“ (S. 115). Die Arbeit wiederum sei im protestantischen Denken „von Gott vorgeschriebener Selbstzweck des Lebens überhaupt. […] Die Arbeitsunlust ist Symptom fehlenden Gnadenstandes“ (S.426).
Der erheblichen Bedeutung der beiden Texte auch für die historische Forschung wegen ist anzunehmen, dass Band I/18 MWG bald auch in der Reihe der Studienausgabe, also als reiner Textband, publiziert werden dürfte. Wie die Beifügung „Schriften 1904-1920“ erkennen lässt, wurde dieses Material über einen längeren Zeitraum bis zum Tod Max Webers geformt. 1919 hat er den Entschluss gefasst, seine religionssoziologischen Aufsätze, die seit 1904 im „Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ erschienen waren, in vier Bänden zu versammeln; nur den ersten konnte er noch zum Abschluss bringen. Davon wurde dessen „Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen“ überschriebener Teil bereits 1989 mit dem Nebentitel „Konfuzianismus und Taoismus“ als Band I/19 MWG und dann 1991 auch als Studienausgabe publiziert. Mit den Ausführungen des aktuellen Bandes zum asketischen Protestantismus und der „Vorbemerkung“ für die gesamte Sammlung ist nun dieser erste Band der religionssoziologischen Aufsätze Max Webers von 1920 vollständig ediert. Da sich neben Fahnen auch von Weber persönlich vorgenommene handschriftliche Korrekturen und Erweiterungen der Fassung erster Hand von 1904/05 erhalten haben (bereits 2014 veröffentlicht als Band I/9 MWG), gelingt gerade für „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ ein vorzüglicher Nachweis der textuellen Transformationen, während die den Sektenaufsatz betreffenden Änderungen gegenüber der Erstfassung von 1906 so massiv ausfallen, dass bei der 1920 publizierten Schrift von einem gänzlich neuen Text auszugehen ist. Bei der wissenschaftlichen Arbeit mit diesen Schriften wird darauf verstärkt Rücksicht zu nehmen sein. Die Aufstellung der auf die bisher verwendeten Voreditionen bezogenen Seitenkonkordanzen, die neben einem umfangreichen Glossar der von Max Weber erwähnten Begriffe und einem Bibelstellenregister dem aktuellen Band als Zusatzausstattung beigegeben ist, wird sich dabei als ein nützliches Werkzeug erweisen.
Kapfenberg Werner Augustinovic