Staatssicherheit. Ein Lesebuch zur DDR-Geheimpolizei. Begleitband für die Dauerausstellung „Staatssicherheit in der SED-Diktatur“, hg. v. Münkel, Daniela. Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdiensts der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 2015. 204 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Nach dem Vorwort Roland Jahns beschreibt das Lesebuch in kurz gehaltenen, gut lesbar geschriebenen und dennoch wissenschaftlich fundierten Texten die Arbeit der hauptamtlichen Mitarbeit des Staatssicherheitsdiensts (Stasi) der früheren Deutschen Demokratischen Republik bis zu ihren Ministern, durchleuchtet das Wirken eines Heeres inoffizieller Mitarbeiter (IM) und besucht die Wirkungsorte von der Zentrale in Berlin bis zu den Haftanstalten. Darüberhinaus werden Opposition und Widerstand, das Ende der Staatssicherheit als Folge des friedlichen Aufstands der Bevölkerung seit Oktober 1989 sowie die Sicherung und Öffnung der Akten für die Gesellschaft behandelt. Das Sammelwerk soll ein Angebot sein, sich schnell und zusammengefasst über die Herrschaftsmechanismen in der früheren Deutschen Demokratischen Republik zu unterrichten, die Unterdrückung von Menschenrechten nachzuvollziehen und die Demokratie durch Begreifen von Diktatur zu gestalten.

 

Insgesamt umfasst der schlanke Sammelband 20 Beiträge. Dabei beschreiben Helge Heidemeyer das am Ende mehr als 91000 hauptamtliche und etwa doppelt so viele inoffizielle Mitarbeiter zählende Ministerium für Staatssicherheit und sein Verhältnis zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Daniela Münkel die drei Leiter (Wilhelm Zaisser, Ernst Wollweber und den bis zu dem Ende 32 Jahre amtierenden Erich Mielke), Jens Gieseke die Bedeutung der Tschekisten, Bern Florath die inoffiziellen Mitarbeiter, Christian Halbrock das Areal in Berlin-Lichtenberg, Roger Engelmann/Georg Herbstritt und Walter Süß das Verhältnis zu den sozialistischen Bruderorganen des MfS, Ilko-Sascha Kowalczuk den DDR-Alltag, Christian Halbrock Nonkonformität, Verweigerung, Protest, Widerstand und Opposition, Jutta Braun den informellen Mitspieler Mielke im Sport, Daniela Münkel als Herausgeberin das Berichtswesen der Staatssicherheit von 1953 bis 1989, Arno Polzin Postkontrolle, Telefonüberwachung und Funkaufklärung, Roger Engelmann Staatssicherheit und Strafjustiz, Tobias Wunschik die Haftanstalten der Deutschen Demokratischen Republik, Daniela Münkel das Verhältnis von Staatssicherheit und Grenze, Georg Herbstritt  und Elke Stadelmann-Wenz die Westarbeit, Roger Engelmann den Bereich Kommerzielle Koordinierung, Jan Philipp Wölbern den Häftlingsfreikauf, Walter Süß die Endphase des Ministeriums für Staatssicherheit, Roger Engelmann die Sicherung und Öffnung der Stasi-Akten und Günter Bormann die Verwendung der Stasi-Akten für die Strafverfolgung. Auf diese Weise wird zwar noch kein vollkommenes Bild, aber doch ein vorzüglicher öffentlicher Überblick über das geheime Treiben einiger sozialistischer Politiker gegen ihre bewusst befeindeten und unterdrückten Mitmenschen, die den gewollten politischen Zielen teilnahmslos oder ablehnend gegenüberstanden, geschaffen.

 

Im Herbst 1989 lief bei weiter verfallenden Häusern und schwächelnder Wirtschaft die Sanduhr des Getriebes ab, obwohl die greise Führung den lähmenden Stillstand noch immer als Erfolg pries. Unter dem Eindruck der Veränderungen in Polen, in Ungarn und in der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow gründeten – auch Wendehälse bergende - Oppositionelle freie Vereinigungen wie Neues Forum, Demokratie Jetzt, Vereinigte Linke, Demokratischer Aufbruch oder Sozialdemokratische Partei. Während noch am 7. Oktober 1989 Erich Mielke Staatssicherheit und Polizei auf erst Hunderte und dann Tausende Demonstranten auf den Straßen hetzte und viele Festgenommene entwürdigenden Behandlungen unterziehen ließ, wagten er und seine Genossen am 9. Oktober gegen 70000 Demonstranten in Leipzig keine Gewalt mehr, so dass am 17. Oktober 1989 Erich Honecker gehen musste, am 7. November 1989 Politbüro und Regierung mit Erich Mielke zurücktraten, am 9. November 1989 die Mauer fiel, am 1. Dezember 1989 die Volkskammer die führende Rolle der Sozialistischen Partei aus der Verfassung tilgte, das seinen Namen in Amt für nationale Sicherheit ändernde Ministerium für Staatssicherheit mit der hektischen Vernichtung von Beweisen seiner Verbrechen, für die nach 75000 Ermittlungsverfahren gegen rund 100000 Beschuldigte am Ende in 1021 Gerichtsverfahren mit 1737 Angeschuldigten 753 Täter verurteilt wurden, begann, bis mutige Bürger zwecks Sicherung die Dienststellen besetzten, und schließlich am 18. März 1990 die Bürger der Deutschen Demokratischen Republik nach 40 Jahren Diktatur ihre erste freie Volksvertretung wählten.

 

Möge das wichtige Werk möglichst viele interessierte Leser finden.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler