Motadel, David, Islam and Nazi Germany’s War. The Belknap Press of Harvard University Press, Cambridge Massachusetts 2014. 500 S., Abb. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Spätestens mit dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion und der Inbesitznahme riesiger, militärische Ressourcen bindender Räume war absehbar, dass sich mit zunehmender Fortdauer des Zweiten Weltkriegs die Kräfteverhältnisse mehr und mehr zu Ungunsten des Deutschen Reiches verschieben würden. Die Gewinnung von Verbündeten war somit für die deutsche Führung ein Gebot der Stunde. Da der Vormarsch der Wehrmacht auch zahlreiche Gebiete mit muslimischer Bevölkerung erfasste, entschloss man sich 1941/1942 dazu, die islamische Welt, die man als natürlichen Bundesgenossen im Kampf gegen das britische Empire, die Sowjetunion und das Judentum identifizierte, zu umwerben und für die eigenen Interessen zu instrumentalisieren. Welchen Umfang diese Bemühungen annahmen und welchen Erfolg sie zeitigten, erzählt der vorliegende Band über drei große inhaltliche Einheiten.

 

Deutsche Bestrebungen, den Islam den eigenen politischen Zwecken dienstbar zu machen, wurzeln im Imperialismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts, in dem die Kolonialverwaltung in Togo, Kamerun und Deutsch-Ostafrika bereits die lokal bestehenden muslimischen Strukturen einband und damit der deutschen Herrschaft Legitimität verlieh. Zu Beginn und während des Ersten Weltkriegs forcierte die deutsche Politik die Ausrufung des Heiligen Krieges gegen die Entente, institutionalisierte eine eigene Nachrichtenstelle für den Orient, verbreitete über die deutschen diplomatischen Vertretungen in aller Welt panislamische Propaganda und konzentrierte muslimische Kriegsgefangene in zwei speziellen Lagern, um sie politisch zu indoktrinieren. Dort gewährte man ihnen die freie Ausübung ihrer Religion und errichtete im Lager Wünsdorf bei Berlin das erste muslimische Gebetshaus auf deutschem Boden nach dem Vorbild des Jerusalemer Felsendoms. Dass dennoch „German-Ottoman attempts to employ Islam for the war effort failed“ und „the idea that ‚Islam‘ could be used to provoke an organized revolt […] a misconception“ geblieben sei, habe damals dem Verfasser zufolge an einer Überschätzung der panislamischen Idee, an der Heterogenität der muslimischen Welt und der fehlenden Glaubwürdigkeit der Bestrebungen gelegen (S. 25). Die Zwischenkriegszeit beurteilt er als „a period of global Islamic resurgence“ (S. 27) mit mehreren panislamischen Kongressen und der ernüchternden Erkenntnis, dass die Kolonialmächte nicht willens waren, den Muslimen im Mittleren Osten, Afrika und Asien politische Autonomie zu gewähren.

 

Im Laufe der 1930er-Jahre setzten sich deutsche Geopolitiker analytisch intensiv mit der Entwicklung des islamischen Raumes auseinander; ihre Gedanken fanden auch in der politischen Führung des nationalsozialistischen Staates Gehör. Aber erst 1941, mit dem Einsatz des deutschen Afrikakorps, erkannte man in Berlin die Notwendigkeit, die strategische Bedeutung des Islam als Machtfaktor systematisch zu berücksichtigen: „Between the summer of 1941 and the end of 1942, the Foreign Office set up an Islam program, which included the employment of religious figures and the establishment of the Islamic Central Institute in Berlin“ (S. 41). Die bekannteste, in ihren realen Einflussmöglichkeiten aber oft überschätzte Persönlichkeit, derer man sich dabei bediente, war Amin al-Husayni, (Groß-)Mufti von Jerusalem und exponierter Judenhasser, den man aus seinem italienischen Exil in die Reichshauptstadt holte, eine weitere Alimjan Idris. Während in Nordafrika und im Mittleren Osten das Auswärtige Amt in der deutschen Islampolitik federführend war, dominierte auf der Krim und im Kaukasus zunächst die Wehrmacht. Ab 1943 begann die SS, ausgehend vom Balkan, ihren Interessenbereich sukzessive auszuweiten, sodass „eventually, toward the end of the war, the SS tried to expand the mobilization of Balkan and Eastern Muslims into a pan-Islamic mobilization campaign, targeting Muslims from all over the world“ (S. 53). Der Vorteil des Ansatzes über die Religion bestand darin, dass auf diese Weise bindende Zusagen hinsichtlich der politischen Zukunft der involvierten Akteure vermieden werden konnten. Obwohl Hitler die Araber als rassisch minderwertig qualifizierte, galt ihm ihr islamischer Glaube im Kontrast zum als weichlich empfundenen Christentum als stark, männlich, kämpferisch und alltagstauglich. NS-Ideologen und Gelehrte betonten darüber hinaus Affinitäten zwischen dem Islam und dem Nationalsozialismus, so die angebliche Verwandtschaft zwischen Führerprinzip und Kalifat. Dennoch schützte in der Praxis die Religion keineswegs sicher vor der Vernichtung aus rassischen Gründen. Auf der Krim und im Kaukasus standen die Exekutoren der Einsatzgruppe D mehrfach vor dem Dilemma unklarer Zuordnungen. So war die Majorität der Roma auf der Krim islamischen Glaubens und berief sich auch auf diesen. „In the end, many Muslim Roma were murdered. Nevertheless, as the Germans had trouble distinguishing Muslim Roma from Muslim Tatars, some – around 30 percent – survived, and, as with the Karaites [= Karäer, eine Bevölkerungsgruppe der Krim jüdischen Glaubens, die ethnisch von den Deutschen als türkisch eingestuft und deshalb verschont wurde; WA], a number of Muslim Roma were even recruited into German Tatar auxiliary units“ (S. 172).

 

Sowohl im Rahmen der deutschen Islampolitik in den besetzten Gebieten und im Frontbereich (Abschnitt 2; in jeweils eigenen Kapiteln gelangt das deutsche Vorgehen in Nordafrika und dem Mittleren Osten, an der Ostfront und auf dem Balkan zur Darstellung ) als auch bei der Rekrutierung hunderttausender Muslime als Soldaten für Wehrmacht und Waffen-SS (Abschnitt 3) hätten die Funktionen Kontrolle und Mobilisierung im Zentrum der deutschen Überlegungen gestanden. Während die angestrebten großen Erhebungen in den Kolonialgebieten der alliierten Mächte ausblieben und trotz massiver Propaganda nur wenige Araber den Weg zu den deutschen Fahnen fanden, war man bei der Personalgewinnung an der Ostfront erfolgreicher. Dem Kommando der Ostlegionen gelang es, 35.000 – 40.000 Wolgatataren, 110.000 – 180.000 Turkestaner und bis zu 66.000 Muslime aus dem Kaukasus allein für Kampfeinheiten der Wehrmacht zu rekrutieren, die schließlich in ganz Europa zum Einsatz gelangten, auf der Krim fochten 20.000 Krimtataren in deutschen Verbänden. Die SS stellte mit „Handschar“, „Skanderbeg“ und „Kama“ drei muslimische Divisionen auf dem Balkan und – gegen den Widerstand der Wehrmacht und des Ostministeriums – weitere Verbände im Osten auf, darunter den Osttürkischen Waffenverband der SS unter dem Kommando von Wilhelm Hintersatz, einem ehemaligen Offizier im Generalstab des Osmanischen Reiches brandenburgischer Herkunft, der, zum Islam konvertiert, unter dem Namen Harun al-Rashid Bekanntheit erlangte. Religiöse Autoritäten wurden in den Dienst der Rekrutierung gestellt und den muslimischen Soldaten die Ausübung ihrer Religion und die Einhaltung der religiösen Vorschriften garantiert; „the SS even established a Muslim cooking course near Graz“ (S. 256). 1944 institutionalisierte die Wehrmacht in Göttingen Mullahlehrgänge zur Ausbildung der Feldimame, die SS antwortete umgehend mit entsprechenden stationären Einrichtungen in Guben und Dresden-Blasewitz.

 

Der Hauptmangel der deutschen Anstrengungen um die Gewinnung des Islam habe dennoch, ähnlich wie schon im Ersten Weltkrieg, in deren fehlender Authentizität bestanden. Obwohl im Hinblick auf die involvierten rivalisierenden deutschen Institutionen und das Chaos des Krieges mit ihrer omnipräsenten Idee eines „Weltislam“ oder „Weltmuselmanentums“ erstaunlich konsistent, seien die deutschen Maßnahmen zu spät angesetzt und zu durchsichtig militärisch motiviert gewesen und hätten auf zu vielen Fehlannahmen über Muslime und den Islam beruht. Wichtige stammesmäßige, ethnische und nationale Faktoren seien bei der überwiegenden Konzentration auf die religiöse Identität außer Acht gelassen worden. Loyalitäten hätten zudem durchaus auch dem Kriegsgegner gegenüber bestanden, wo ebenfalls hunderttausende Muslime in den Reihen der Roten Armee, der britischen Streitmacht und den Streitkräften des freien Frankreich fochten. Kurz vor dem Untergang habe Hitler noch lamentiert, das Bündnis mit den in der islamischen Welt verhassten Italienern habe dem deutschen Werben nachhaltig geschadet. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs hielten sich dank Hitlers Politik dennoch mehr Muslime als jemals zuvor in Deutschland auf, unter ihnen verschwammen die Grenzen zwischen Tätern und Opfern. Viele von den Westalliierten an die Rote Armee Ausgelieferte nahmen ein schlimmes Ende, die führenden Muslim-Kollaborateure blieben aber durchweg ungeschoren. Im Zuge des Kalten Krieges übernahmen die USA den Staffelstab und betrachteten ihrerseits „the Muslim corridor between North Africa and East Asia as a ‚green belt against Communism‘“ (S. 320), lieferten Waffen und förderten islamische Propaganda; der von ihnen in Afghanistan befeuerte Jihad trug maßgeblich zum Zerfall des kommunistischen Ostblocks bei.

 

Im allgemeinen Kontext der Geschichte des Bestrebens der nichtmuslimischen Großmächte um eine Indienstnahme des Islams zählen für David Motadel, der im britischen Cambridge promoviert wurde und als Research Fellow für Geschichte am Gonville and Caius College der Universität Cambridge wirkt, die deutschen Aktivitäten während des Zweiten Weltkriegs zu den kurzlebigsten und improvisiertesten, zugleich aber auch, was den von ihnen erfassten Raum und ihre Intensität angeht, zu den ambitioniertesten. Diese These fordert dazu heraus, auch die Islampolitik weiterer maßgeblicher Akteure genauer unter die Lupe zu nehmen und vergleichend heranzuziehen, eine Leistung, die die gegenständliche, breit recherchierte Studie verständlicher Weise bestenfalls in Ansätzen zu erbringen vermag. Sein Material hat der mit einem Lebensalter von 33 Jahren noch sehr junge Verfasser mit Masse deutschen Archiven, in Teilen aber auch Einrichtungen in Großbritannien, den USA, Österreich, Tschechien, Russland, Lettland, Albanien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina und dem Iran entnommen. In Anbetracht der Aktualität des Themas Islam in Mitteleuropa und des rudimentären Charakters des allgemein verbreiteten Wissens, was die historischen Beziehungen zwischen Zentraleuropa und der islamischen Welt in der jüngeren Vergangenheit angeht, wird vom Rezensenten eine Übertragung der Arbeit in das Deutsche angeregt. Die Lektüre dieses auch sprachlich vorzüglichen Buches legt einmal mehr die Erkenntnis nahe, dass die gegenwärtige triste Lage der islamischen Welt nicht zuletzt als ein Produkt jener über viele Jahrzehnte betriebenen, egoistischen Interessenspolitik und Machtpolitik von Großmächten gesehen werden muss, die primär an der Ausbeutung von Ressourcen, aber wenig am Wohlergehen der Menschen und einer prosperierenden Entwicklung des Raumes interessiert war.

 

Kapfenberg                                                    Werner Augustinovic