Justizpalast Nürnberg. Ein Ort der Weltgeschichte wird 100 Jahre alt; hg. vom Oberlandesgericht Nürnberg (= Festschrift zum 100. Jahrestag der feierlichen Eröffnung des Justizpalastes in Nürnberg durch König Ludwig III. am 11. September 1916). Oberlandesgericht Nürnberg, Nürnberg 2016, 396 S.

 

Die vom Oberlandesgericht Nürnberg herausgegebene Festschrift zum 100. Jahrestag der Fertigstellung und der Eröffnung des Justizpalastes Nürnberg wird eröffnet mit einer „Kleinen Chronik des Baus“ (S. 23-31; Ulrich Grimm), der das Oberlandesgericht, das Landgericht und das Amtsgericht Nürnberg sowie die Staatsanwaltschaft am Landgericht und die Generalstaatsanwaltschaft am Oberlandesgericht beherbergt. Im Abschnitt „Bayerns größtes Justizgebäude“ (S. 33ff.) werden behandelt die Baugeschichte sowie die Kriegsschäden des Baues (Grimm), die Beschlagnahme des Justizpalastes durch die Besatzungsbehörde (1961 zum Teil, 1969 vollständig aufgehoben) sowie die reichhaltige bauliche Ausstattung des Palastes (mit vielen Abbildungen im gesamten Band). Ein eigener Abschnitt ist den Nürnberger Prozessen gewidmet (S. 109-184), die im Schwurgerichtssaal 600 stattfanden. Dieser Saal wurde für das Internationale Militärtribunal umgebaut und durch Mauerdurchbrüche erweitert (S. 118ff.). Klaus Kastner beschreibt unter der Überschrift: „Ein Novum in der Geschichte der Völker: Die Nürnberger Prozesse“ (S. 128-141) nicht nur das Verfahren vor dem IMT, sondern auch die der amerikanischen Militärregierung unterstehenden zwölf Nürnberger Nachfolgeprozesse. Zu den bekanntesten Verfahren gehört der Juristenprozess (Fall III), in dem auch die Nürnberger Sonderrichter Rothaug und Oeschey verurteilt wurden (S. 137). Der Schwurgerichtssaal 600 wurde 1961/1962 zurückgebaut und steht seitdem für die größeren Strafprozesse zur Verfügung. Ab den 1990er Jahren nahm die Zahl der Besucher des Saals 600 stetig zu, deren Informationsbedürfnis seit Ende 2010 durch das „Memorium Nürnberger Prozesse“ mit einer ständigen Ausstellung im Dachgeschoss des Justizpalastes Rechnung getragen wird. Christoph Safferling geht ein auf die Anfänge des Völkerstrafrechts, die im Londoner Statut vom 8. 8. 1945 für den Internationalen Militärgerichtshof zu sehen sind.

 

Die Beiträge S. 185ff. befassen sich im Wesentlichen mit der Ziviljustiz. Von rechtsgeschichtlichem Interesse ist der Beitrag Reinhard Gregers über den „Zivilprozess im Wandel der Zeiten“ (S. 198ff.). In dem Beitrag über die außergerichtliche Streitbeilegung befassen sich Beatrix Schobel und Michael Stumpf (S. 208ff.) mit dem Güteverfahren, der Verbraucherschlichtung und der Schiedsgerichtsbarkeit. Einblicke in die Handelsgerichtsbarkeit und das Handelsregister bringen Oliver Baumbach und Beate Plewa. Leider enthält der Beitrag keine näheren Details zur Einführung der Nürnberger Handelsgerichtsbarkeit durch Kaiser Maximilian I. im Jahre 1508 (S. 231). In dem Beitrag: „Aus der Rechtsprechung Nürnberger Gerichte in Zivilsachen“ (S. 239ff.) gibt Stephan Husemann einen Einblick in die Arbeit der Nürnberger Gerichte in den letzten 100 Jahren anhand veröffentlichter Entscheidungen. Stärker historisch ausgerichtet ist der Abschnitt „Strafjustizzentrum“, das ab 2018 in einem eigenen Gebäude untergebracht werden soll. Nina Lutz befasst sich mit dem Sondergericht Nürnberg, über das bisher noch keine eigene Monografie vorliegt. Mit ihrem Beitrag verfolgt Lutz das Ziel, „das Sondergericht von Nürnberg als Behörde“, nicht jedoch primär die Spruchpraxis des Sondergerichts zu untersuchen (S. 250ff.). Insbesondere geht sie auf die Vorsitzenden des Sondergerichts Nürnberg näher ein. Klaus Kastner beschäftigt sich mit dem Umgang der Nürnberger Strafgerichtsbarkeit während der NS-Zeit nach 1945 (S. 265ff.), insbesondere mit dem Unrecht im Strafverfahren gegen den 69jährigen Vorsitzenden der Jüdischen Kultusgemeinde Nürnberg Leo Katzenberger im Jahre 1942 (S. 266ff.). Das Strafverfahren gegen die beiden Beisitzer im Strafverfahren Katzenberger wurden 1968 eröffnet, aber nach Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils durch den Bundesgerichtshof und nach erneuter Verhandlung 1976 wegen Verhandlungsunfähigkeit der beiden Beisitzer eingestellt (S. 275).

 

Heinz Stöckel schreibt über Resozialisierung, Opferschutz und Opferhilfe (S. 279ff.). In dem Beitrag: „Aus der Rechtsprechung Nürnberger Gerichte in Strafsachen“ informiert Arno Baltes über einige Strafprozesse von zeitgeschichtlicher Bedeutung (S. 296ff.; S. 297 über das Strafverfahren gegen den höheren SS- und Polizeiführer Bach-Zelewski, der 1962 zu lebenslanger Zuchthaushaft verurteilt wurde). Ulrich Grimm veröffentlicht S. 324ff. ein Schreiben des späteren Sondergerichtsvorsitzenden Oeschey an den stellvertretenden Gauleiter, das eine scharfe Kritik an dem OLG-Präsidenten Döbig enthält. Die Aufbauhilfe für den Bezirk Leipzig und zwei Gerichte im Bezirk Chemnitz wurde dem OLG-Bezirk Nürnberg übertragen, worüber Peter Förster ausführlich berichtet (S. 335ff.). Die Justizpressestellen (über diese Michael Hammer, S. 345ff.), die in der Weimarer Zeit geschaffen wurden, sind auch im Kontext insbesondere der NS-Zeit von rechtshistorischem Interesse. Der Beitrag von Walter Kimmel: „Struktur und Arbeit der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth“ (S. 363ff.) enthält keine rechtshistorischen Details. Die Festschrift wird abgeschlossen mit einer Übersicht über die Aufgaben und Unterbringung der Nürnberger Gerichte (Stephan Kammerer; S. 377ff.), über die Planstellen der Nürnberger Gerichte in den Jahren 1935 und 2015, über die Präsidenten des OLG Nürnberg von 1879 an – leider ohne weitere biografische Details – sowie die Leiter der Nürnberger Justizbehörden seit 1945.

 

Der vorliegende Band unterrichtet umfassend über die Baugeschichte des Nürnberger Justizpalastes sowie über das Amts-, Land- und Oberlandesgericht Nürnberg (zu letzterem bereits Ulrich Grimm, Hrsg., Zur Geschichte des OLG Nürnberg. Beiträge anlässlich des 125jährigen Bestehens am 1. Oktober 2004, hg. v. Grimm, Ulrich, 2004). Bei einigen Beiträgen hätte man sich eine detailliertere rechtshistorische Fundierung gewünscht (etwa für den Abschnitt über das Notariat, S. 186ff.). Insgesamt liegt mit der Festschrift für die Nürnberger Gerichte ein wichtiger Beitrag zur regionalen Rechtsgeschichte und Justizgeschichte sowie zur Rechtspraxis vor, die, von der Festschriftenliteratur abgesehen (hierzu die Nachweise in Deutsche Justizinstitutionen in Geschichtswerken und Festschriften, hg. v. Vormbaum, Thomas, 2007), von der Rechtsgeschichte noch immer nicht hinreichend beachtet wird.

 

Kiel

Werner Schubert