Die Welt der Ernestiner. Ein Lesebuch, hg. v. Westphal, Siegrid/Hahn, Hans-Werner/Schmidt, Georg. Böhlau, Köln 2016. 389 S. Angezeigt von Gerhard Köbler.

 

Die Ernestiner sind die von dem älteren, 1441 geborenen Sohn Ernst des Kurfürsten und Herzogs Friedrich II. von Sachsen (1412-1464) abstammende Linie der Wettiner. Nach dem Tode des Vaters beherrschte er das Erbe zunächst mit seinem jüngeren Bruder Albrecht gemeinsam, hatte aber als älterer die Kurfürstenwürde und teilte in Leipzig 1485 das Gebiet, wobei Dresden zum Mittelpunkt der Güter der (jüngeren albrechtinischen oder) albertinischen Linie wurde. Nachdem die Protestanten im schmalkaldischen Krieg unterlagen, gab Kaiser Karl V. dem auf seiner katholischen Seite kämpfenden Protestanten Moritz von Sachsen die Kurfürstenwürde, womit die ihre Güter vielfach teilende Linie der Ernestiner (Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg, Sachsen-Coburg und Gotha, Sachsen-Gotha, Sachsen-Eisenach, Sachsen-Hildburghausen, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Weimar sehr stark und auf Dauer an politischer Bedeutung verlor, dies aber vor allem als Ahnherren der Reformation durch kulturelle Leistungen und durch Heiratsverbindungen mit vielen führenden Familien Europas (beispielsweise Ahnherren des Königs von Spanien, der Königin der Niederlande und der Königin Großbritanniens) in gewisser Weise ausgleichen konnte.

 

Das sie betreffende Lesebuch vereint nach einem kurzen Vorwort der in Osnabrück und Jena tätigen Herausgeber insgesamt 39 Studien. Sie betreffen in drei Abschnitten das dynastische Selbstverständnis der Ernestiner, die Politik und politisches Handeln sowie die Monarchie und Gesellschaft im 19. Jahrhundert. In diesem Rahmen bietet Siegrid Westphal am Beginn eine klare und sachkundige Einführung unter der Frage, wer die Ernestiner waren. Den Beschluss bildet ein Beitrag Anja Schöbels über die Ernestiner und ihre Beerdigungen an dem Beispiel Sachsen-Coburg und Gotha. Einbezogen werden dazwischen Martin Luther, die „Weimarer“ Reformation, das Kirchenregiment, der Holzschnitt, geistliche Musikhandschriften, Johann Walter, die lutherische Kirchenmusik, Bach, die theologische Fakultät der Universität Jena, das moderne Gelehrtentum, die Leidenschaft für Globen, der Staat, das Geld, die Gerichte, der Saalfelder Landtag, das Konkordienwerk, die Jenaer Politikberatung, Herzog Bernhards Aufenthalt in Paris, der westfälische Friedenskongress, der Naturschutz und der Tierschutz, Kaiser Franz I., die reichsstädtische Residenz in Frankfurt am Main, die Heiratspolitik und Eheschließungspraxis, die Kurwürde, das Militär, Weimar um 1800, Anna Amalia und Carl August mit Weimar-Jena, die russische Heirat, Ehescheidungen, das Herz der deutschen Kultur, die bürgerliche Welt des 19. Jahrhunderts, die Volksaufklärung, das Verlagswesen und die Presse, die Geschichtspolitik, die Landtage und der niedere Adel im „langen“ 19. Jahrhundert.

 

Entstanden ist das Sammelwerk, um die Ausstellung und den Katalogband „Die Ernestiner – eine Dynastie prägt Europa“ mit wissenschaftlichen Essays zu bereichern. Dies ist den aus dem Vollen schöpfen könnenden Herausgebern vorzüglich gelungen, ohne dass freilich ein neues Standardwerk über die Ernestiner geschaffen werden konnte. Eine Bibliographie, ein Verzeichnis der Autoren und Autorinnen, ein Personenregister und ein Ortsregister runden den Band benutzerfreundlich ab.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler