Der halbierte Rechtsstaat. Demokratie und Recht in der frühen Bundesrepublik und die Integration von NS-Funktionseliten, hg. v. Begalke, Sonja/Fröhlich, Claudia/Glienke, Stephan Alexander. Nomos, Baden-Baden 2015. 367 S.

 

Unter der Führung Adolf Hitlers ist zwischen 1933 und 1945 neben Recht Menschen durch Menschen so viel Unrecht geschehen, dass sein Staat insgesamt allgemein als Unrechtsstaat eingestuft wurde und wird. Von einer nachfolgenden rechtsstaatlichen Demokratie erwartet das Opfer grundsätzlich größtmögliche Wiederherstellung rechtmäßiger Gerechtigkeit. Zwecks Herstellung einer diesbezüglichen Bilanz für die Bundesrepublik Deutschland fast siebzig Jahre nach dem zweiten Weltkrieg fand in dem Leibnizhaus der Universität Hannover am 21. und 22. April 2012 ein Symposium über rechtsstaatliche Demokratie und Erbschaft des Nationalsozialismus in der frühen Bundesrepublik statt, mit dem zugleich Joachim Perels für sein inspirierendes Engagement (Verzeichnis ausgewählter Schriften S. 337-354) am Institut für politische Wissenschaft der Universität Hannover geehrt werden sollte.

 

Der vorliegende Sammelband stellt das wissenschaftliche Ergebnis dieser Veranstaltung nunmehr gebündelt der Öffentlichkeit zur Verfügung. Gegliedert ist es nach einem einführenden Problemaufriss Claudia Fröhlichs und Sonja Begalkes in drei Themenfelder und einen Ausblick sowie eine Laudatio Hans-Peter Schneiders. Thematisiert werden dementsprechend vor allem die Strafverfolgung von NS-Verbrechen, die Kontinuitäten und Diskontinuitäten von Denkmustern und öffentliche Deutungen.

 

In den vierzehn Einzelstudien des gewichtigen Werkes werden vertieft beispielsweise der oberste Gerichtshof für die britische Zone, das Bild des Bundesgerichtshofs von der NS-Herrschaft, Fritz Bauer, das Landgericht München I und die Exkulpation von NS-Tätern, Wilhelm Harster als Vertreter in zwei Systemen oder die Berliner Ermittlungen gegen die Angehörigen des Reichssicherheitshauptamts als Musterbeispiel für ein Scheitern von Sachaufklärung behandelt. Kontinuitäten und Diskontinuitäten werden bei Widerstandsrecht, Konrad Adenauer, Theodor Heuss, der strafrechtlichen Verfolgung von Kommunisten oder bei dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses hervorgehoben. Öffentliche Deutungen werden hinsichtlich der psychoanalytischen Sozialpsychologie, Otto Dibelius oder des „frühen Spiegels“ geboten, so dass insgesamt vielfältige Bezugspunkte der Gegenwart auf die Erinnerung gewonnen werden, ohne dass freilich verletztes Recht eines Unrechtsstaats in einem Rechtsstaat für die Vergangenheit jemals vollständig wiederhergestellt werden kann.

 

Innsbruck                                                       Gerhard Köbler