Crowley, Roger, Die Eroberer. Portugals Kampf um ein Weltreich, aus dem Englischen von Juraschitz, Norbert/Freundl, Hans. Theiss, Darmstadt 2016. 431 S., Abb., Kart. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Phasen großer Umbrüche – der Historiker spricht gerne vom Paradigmenwechsel – haben sich seit jeher als besonders dankbare Objekte geschichtswissenschaftlichen Interesses erwiesen. Der 1951 geborene britische Sachbuchautor Roger Crowley, der in Cambridge Englische Literatur studiert hat, hat sich vornehmlich jenen Jahrhunderten verschrieben, die nach der gängigen Periodisierung den Übergang vom europäischen Mittelalter zur Neuzeit bilden. Seine Publikationen beschäftigen sich mit der osmanischen Eroberung Konstantinopels 1453 (2005), mit dem europäischen Seekrieg gegen die Osmanen im 16. Jahrhundert (2008), mit dem Aufstieg Venedigs (2011) und mit der Genese des portugiesischen Kolonialimperiums (2015). Das letztgenannte Werk liegt nun in deutscher Übersetzung vor.

 

Über seine Arbeitsweise schreibt der Verfasser auf seiner Website www.rogercrowley.co.uk Folgendes: „His writing interests are focused on producing page-turning narrative history on first-hand eyewitness accounts“. Genau dieses Versprechen löst der vorliegende Band ein. Es handelt sich um eine aus zeitgenössischen Augenzeugenberichten schöpfende, flüssig und spannend geschriebene Darstellung des 1415 mit der Erstürmung der marokkanischen Hafenstadt Ceuta eingeleiteten Ausgreifens Portugals entlang der atlantischen Küsten Afrikas, der Gewinnung des Seewegs nach Indien und der Installierung der portugiesischen Vorherrschaft im Indischen Ozean bis zum Tod des Vizekönigs Afonso de Albuquerque 1515 bzw. König Manuels I., des Glücklichen, 1521. Wie so häufig sagt der Original-Untertitel mehr über den Inhalt als die sehr allgemein gehaltene deutsche Phrase „Portugals Kampf um ein Weltreich“, denn dort heißt es „How Portugal Seized the Indian Ocean and Forged the First Global Empire“, was wörtlich mit „Wie Portugal vom Indischen Ozean Besitz ergriff und das erste Weltreich schmiedete“ zu übersetzen wäre und den Sachverhalt exakt trifft.

 

Als „kleines und armes Land an der Peripherie Europas“ und „durch seinen mächtigen Nachbarn Kastilien bedrängt“, habe Portugal mit dem Ceuta-Unternehmen „einen Blick in eine andere Welt“ geworfen, an der man fortan verstärkt Anteil haben wollte. Prinz Heinrich der Seefahrer und seine Nachfolger hofften, inspiriert durch mittelalterliche Karten, „Zugang zu finden zu den Stätten des afrikanischen Goldes, sich Sklaven und Gewürze anzueignen“ (S. 19). Dem einem mittelalterlichen Ehrenkodex verpflichteten, tatendurstigen portugiesischen Adel, den Fidalgos, eröffnete sich zugleich ein Feld, auf dem Mut zu beweisen und Ruhm zu gewinnen war, und dem Papst wurden die Fahrten als antiislamischer Kreuzzug schmackhaft gemacht. Im Hintergrund entwickelte sich eine Vision, die fortan die Politik der portugiesischen Krone ideologisch bestimmen sollte: Es ging darum, die islamische Welt, die als Riegel zwischen dem Westen und den Schätzen Indiens lag, im Süden zu umgehen, in deren Rücken zu gelangen und sich mit einem dort vermuteten, mächtigen christlichen Priesterkönig Johannes (wie sich später erweisen sollte, der relativ einflusslose, bedrängte Herrscher Äthiopiens) zu verbünden, sodann den Islam zu zerschlagen und Jerusalem zurückzuerobern. Erst nach dem Tod König Manuels I. „war Indien nicht mehr die Ausgangsbasis für die Vernichtung der islamischen Welt; es war zu einem Zweck an sich geworden“ (S. 384).

 

Vor der Ankunft der Portugiesen, die das Wettrennen mit Spanien um Indien für sich entscheiden sollten, sei der Indische Ozean „eine riesige und vergleichsweise friedliche Freihandelszone“ (S. 73) gewesen, „wo Hindus, Muslime, Juden und sogar indische Christen zu einer multiethnischen Handelszone zusammengeschlossen waren“. In diese drangen die Portugiesen „mit gesenktem Visier […,] von dem jahrzehntelangen Heiligen Krieg in Nordafrika verbittert, war ihre Standardstrategie Misstrauen, aggressive Geiselnahme und ein locker sitzendes Schwert [,] für sie gab es nur die simple Wahl zwischen den beiden Alternativen Christen und Muslime, von der Existenz des Hinduismus wussten sie nichts“ (S. 95). Schon in den ersten Jahren des jungen 16. Jahrhunderts – im Mai 1498 hatte Vasco da Gamas Expedition nach gelungener Umrundung der Südspitze Afrikas erstmalig Indien erreicht – war der Indische Ozean dank der portugiesischen Präsenz „keine Freihandelszone mehr. Die Vergabe von Lizenzen führte das fremde Konzept von Territorialgewässern in die Region ein, ein politisierter Raum im Meer, der mit Waffengewalt und dem portugiesischen Ehrgeiz kontrolliert wurde, das Meer zu beherrschen“ (S. 152). Die detaillierten Anweisungen, die König Manuel im sogenannten „Regimento“ 1505 seinem ersten Vizekönig in Indien, Francisco de Almeida, erteilte, „enthüllte[n] einen erstaunlich scharfen Blick für die zentralen Punkte des Indischen Ozeans und eine gebieterische geostrategische Vision für ihre Kontrolle und den Aufbau seines eigenen Reiches. […] Innerhalb von nur sieben Jahren nach dem Eindringen in die neue Welt begriffen die Portugiesen mit einer verblüffenden Genauigkeit, wie die 28 Millionen Quadratmeilen des Indischen Ozeans funktionierten; sie kannten die wichtigsten Häfen, die Winde, den Monsunzyklus, die seefahrerischen Möglichkeiten und Verbindungskorridore. [… Sie] waren zu ausgezeichneten Beobachtern und Sammlern von geographischen und kulturellen Informationen geworden. Hinzu kamen eine enorme Effizienz, das Aufspüren von lokalen Informanten und Lotsen, die Beschäftigung von Dolmetschern, das Erlernen von Sprachen, die Beobachtung mit einem nüchternen wissenschaftlichen Interesse und das Zeichnen von Karten. […] Beobachtungen aus erster Hand [wurden] an die Stelle von überliefertem Wissen der Vorfahren [gesetzt], […] angetrieben vom Forscherdrang der Renaissance. Informationen […] wurden an eine zentrale Drehscheibe gemeldet, das Indienhaus in Lissabon, wo alles unter der direkten Aufsicht der Krone gesammelt wurde, um die nächsten Reisenden zu informieren“ (S. 172f.). Die Reichtümer, welche die immer größer ausfallenden, jährlichen Gewürzflotten auf dem entbehrungsreichen und riskanten Seeweg nach Portugal schafften, waren gewaltig und erschütterten unter anderem Venedigs Position als Handelsmacht in den Grundfesten. Dabei wurden sogar noch weitere Chancen unfreiwillig vertan: Mit der Abweisung des Kolumbus die Möglichkeit, auch als Entdecker der Neuen Welt in die Annalen einzugehen, eine Ehre, die nunmehr Spanien für sich reklamieren darf, ebenso wie jene der ersten Weltumsegelung, die dem Portugiesen Fernão de Magalhães (Magellan) nach einem Streit mit König Manuel in spanischen Diensten gelang.

 

Die dauerhafte maritime Beherrschung eines so großen Raumes fernab des Mutterlandes war natürlich kein Selbstläufer. Als kleines Land konnte Portugal nur eine begrenzte Zahl an Kolonisatoren nach Indien entsenden, der Austausch von Nachrichten war an den Rhythmus der jeweiligen Fahrten der Flotte gebunden, dauerte entsprechend lange und ließ Raum für Gerüchte und Intrigen. Der Band kann zeigen, dass mehrere Faktoren zusammenwirken mussten, damit sich die portugiesische Vorherrschaft im Indischen Ozean nachhaltig etablieren konnte. Zunächst gab es in Europa zu jener Zeit keine Macht, die gewillt und in der Lage war, den Ambitionen Portugals tatkräftig in den Arm zu fallen. Vor Ort hatten die oft zerstrittenen Mächtegruppierungen (es gab muslimische und Hindu-Herrschaften, bisweilen lag auch die wirtschaftliche Macht in muslimischer Hand, die politische Gewalt aber bei den Hindus) der von einem kreuzzüglerischen Eifer angetriebenen, bis dato beispiellosen Rücksichtslosigkeit und Brutalität der Portugiesen nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Mit ihrer Schiffsartillerie verfügten die Eindringlinge über ein überlegenes Waffensystem, das sie zweckmäßig einzusetzen verstanden. Ihre personell zahlenmäßige Unterlegenheit kompensierten sie über ein durchdachtes Stützpunktsystem: An strategisch entscheidenden Punkten wurden gemauerte Festungen errichtet und mit Garnisonen versehen, die in der Lage waren, auch über lange Zeit einem zahlenmäßig überlegenen Angreifer standzuhalten. Die großräumige Besetzung von Land nach spanischem Vorbild wurde von den Portugiesen nicht angestrebt, dominant blieb stets das primäre Interesse am Warenaustausch.

 

Eine glückliche Hand habe König Manuel vor allem bei der Auswahl seiner Vizekönige bewiesen. Sowohl Francisco de Almeida als auch Afonso de Albuquerque seien absolut loyale Persönlichkeiten gewesen, welche die königlichen Interessen gegen alle Widerstände mit letzter Konsequenz vertreten hätten. Von dem wegen seiner in jeder Lage unnachgiebigen Standhaftigkeit bei manchen seiner Untergebenen sogar im Ruf des Wahnsinns stehenden Autokraten Albuquerque heißt es, er sei „der erste Europäer seit Alexander dem Großen“ gewesen, „dem es gelang, in Asien ein Reich zu gründen“, und er sei „auf dem ganzen Indischen Ozean mit geradezu abergläubischer Ehrfurcht betrachtet“ worden (S. 337). In den Konflikten, die er um der Sache willen in Kauf zu nehmen bereit war, bildet sich auch der eingangs angesprochene Paradigmenwechsel zwischen Mittelalter und Neuzeit ab. Gegen den Widerstand der katholischen Kirche forcierte Albuquerque so - auch in dieser Hinsicht der Nachfolger Alexanders - Eheschließungen seiner Männer mit einheimischen Frauen, um die schmale portugiesische Personalbasis langfristig zu verbreitern; auf militärischem Gebiet erkannte er die Vorteile und förderte den Einsatz disziplinierter, organisierter Kampfeinheiten nach Schweizer Muster sowie von Feuerwaffen anstelle des zwar heroischen, aber ressourcenvernichtenden Agierens der auf ihren individuellen Ruhm bedachten adeligen Schwertkämpfer. So gelang es Portugal insgesamt, die gesetzten Ziele weitestgehend zu erreichen; einzig die angestrebte Beherrschung des Roten Meeres und der Kreuzzug gegen den Islam überforderten die Kapazitäten und wurden schließlich durch die Expansion der Osmanen nach Ägypten illusorisch.

 

Aus dem Gesagten wird deutlich, dass sich Roger Crowleys Darstellung der portugiesischen Eroberung des Indischen Ozeans überwiegend auf den Zeitraum bis in die 1520er-Jahre konzentriert. Brasilien – 1500 von Pedro Álvares Cabral auf der Fahrt nach Indien zufällig entdeckt und gemäß dem Vertrag von Tordesillas 1494 der portugiesischen Herrschaft zugeschlagen – ist kein Thema des Buches. Ebenso verzichtet der Verfasser auf eine Bezugnahme auf aktuelle Entwicklungen in der Gegenwart, wie sie sich etwa beim Thema der Gestaltung der christlich-muslimischen Beziehungen geradezu aufdrängt. Inhaltlich und methodisch ist ein starker Zuschnitt auf relevante Persönlichkeiten des portugiesischen Afrika-Indien-Projekts (Diogo Cão, Bartolomeu Dias, Pêro da Covilhã, Vasco da Gama, Pedro Álvares Cabral, Francisco und Lourenço de Almeida, Afonso de Albuquerque) auszumachen, der sich zu einem guten Teil aus den ausgewerteten Quellen ergeben mag, den privaten Aufzeichnungen anonymer oder namentlich genannter zeitgenössischer Akteure im Umfeld. Sie garantieren für ein lebendiges Bild der oft tristen alltäglichen Umstände und der bisweilen exzessiven Gewalt, unter denen diese Erkundungen und Eroberungen vonstattengingen. Viele laufend in den Text montierte Illustrationen und zwei Karten, gedruckt auf die Innenseiten der Buchdeckel (Zeit um 1500: Portugal bis Indien, Indien bis China), die Bibliographie und das gemischte Register mit Personennamen, Ortsbezeichnungen und Sachbegriffen liefern weitere Informationen. Stilistisch ist der Band ein neuerlicher Beleg für das gern beschworene erzählerische Talent vieler angelsächsischer Autoren, das sich vom trockenen Gelehrtendeutsch manch akademischer Schrift hierzulande wohltuend abhebt.

 

Kapfenberg                                                    Werner Augustinovic