Bremm, Klaus-Jürgen, 1866 – Bismarcks Krieg gegen die Habsburger. Theiss/Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2016. 312 S., Abb., Kart. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Inwieweit die Geschichtswissenschaft als eine anwendungsorientierte Disziplin zu betrachten ist, mag zu diskutieren sein. Außer Frage steht, dass sie mit dem laufenden Zur-Verfügung-Stellen von Gedenkjahren ökonomische Wirkungen zu entfalten vermag, indem eine ganz erhebliche Zahl an Publikationen mit geschichtlicher Thematik ihre Geburt unmittelbar solchen Anlässen verdankt. Das vorliegende Elaborat knüpft an ein Ereignis an, das trotz seiner gravierenden politischen Folgen im Bewusstsein einer breiteren, an den Vorgängen einer weiter entfernten Vergangenheit nicht vordringlich interessierten Öffentlichkeit nur noch eine marginale Rolle spielen dürfte. Die 1866 zwischen Preußen und Österreich mit seinen deutschen Verbündeten nahe der Festung Königgrätz in Böhmen ausgetragene Schlacht, welche die kleindeutsche Lösung festschreiben und zur Gründung eines preußisch dominierten deutschen Nationalstaats unter Ausschluss der Deutschösterreicher führen sollte, jährt sich Anfang Juli heurigen Jahres zum 150. Mal. Die beiden Weltkriege haben die viel diskutierte Frage aufgeworfen, ob sich Deutschland damit auf einen Sonderweg begeben (oder einen möglicherweise schon seit Martin Luther bestehenden fortgesetzt) habe, der verantwortlich für diese Verheerungen zeichne.

 

Der Militärhistoriker Klaus-Jürgen Bremm sieht in letzteren Vermutungen eher ahistorische Projektionen. Aus seiner Sicht hätten zu jener Zeit zur nationalen Einigung unter preußischer Federführung längerfristig keine realistischen Alternativen bestanden. Die Emanzipation vom Vielvölkerstaat der Habsburgermonarchie sei für das sich rasant entwickelnde Preußen zur immer dringenderen Notwendigkeit geworden, sei aber im Deutschen Bund, einer Schöpfung Metternichs zur Erhalt der österreichischen Vorherrschaft und zur Umsetzung seiner reaktionären Politik, nicht zu bewerkstelligen gewesen. Unschwer ist zu erkennen, dass sich der Verfasser mit dieser Argumentation in erster Linie den preußischen Standpunkt zu Eigen macht; aus österreichischer Perspektive stellen sich die Entwicklungen naturgemäß etwas anders dar.

 

Die vorliegende Arbeit beschränkt sich – das wird aus dem bisher Gesagten deutlich – nicht ausschließlich auf die Darstellung des Schlachtgeschehens, sondern stellt dieses in den Rahmen der politischen Entwicklungen, die ihm vorausgingen und folgten. Folgerichtig verteilt sich der Inhalt des Bandes auf drei größere Blöcke. Abschnitt eins behandelt, beginnend mit der Installierung des Deutschen Bundes 1815, den „Weg in den Krieg“ und enthält auch einen Exkurs über die Geschichte des preußischen Generalstabes von Massenbach bis Moltke. Im zweiten Kapitel, betitelt „Entscheidung in nur sechs Wochen – Custoza, Königgrätz, Langensalza und Lissa“, werden die Feldzüge geschildert. Eingeschoben sind hier sogar fünf Exkurse zu militärgeschichtlichen Aspekten, die insgesamt die Kriegführung im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne beleuchten, darunter einer zur elektrischen Telegrafie („Weder Preußen noch Österreicher schafften es 1866, einen geregelten Telegrafendienst zu organisieren. Der Krieg in Böhmen wurde immer noch nach den alten militärischen Mustern geführt“; S. 164), ein anderer zu Panzerschiffen im Rammeinsatz während der Seeschlacht bei Lissa. Der dritte Abschnitt beschäftigt sich mit der „Neugestaltung Europas“ in der Folge der militärischen Entscheidungen, also in erster Linie mit der deutschen Reichsgründung und der dualistischen Umgestaltung der Donaumonarchie im Wege des sogenannten Ausgleichs mit Ungarn. Ein weiterer, letzter Exkurs beleuchtet die Neutralität Großbritanniens 1866.

 

Im Hinblick auf die militärische Schlagkraft der beiden Kontrahenten konstatiert der Verfasser, dass es der Habsburgerarmee am Ende der Ära Radetzky (der Feldherr verstarb 1858) „durchaus nicht an Reformeifer“ gefehlt habe, „doch viele Neuerungen hatten auch einfach nur den Zweck, durch Neuorganisation und Zusammenlegungen Einsparungen zu erreichen“, sodass hinter all den Bemühungen „ein wirklich leitender Gedanke“ kaum zu erkennen sei. Das „Desaster von Solferino“ 1859 stieß sodann „die Armee des Kaiserstaates von ihrem hohen Sockel der Unantastbarkeit“: „Trotz erheblicher Militärausgaben  […] zwischen 40 und 50 Prozent der Staatseinnahmen […] hatten die Streitkräfte auf den italienischen Schlachtfeldern beinahe kläglich versagt. Für den zukünftigen Sparkurs bei den Militärausgaben war damit eine entscheidende Bresche geschlagen“ (S. 74f.). Aus manchen Erfahrungen wurden auch falsche Schlüsse gezogen. Die fragwürdige, auf den „schockartige(n) Angriff der dicht geschlossenen Bataillonskolonne“ (S. 76) mit Bajonettattacken auf kurze Distanz setzende Infanterietaktik und die Zuteilung der Artillerie zu den Brigaden sollten sich später als ungünstig erweisen. Für die preußischen Militärs lag somit „auf der Hand, den Feind zunächst angreifen zu lassen und seinen Angriff mithilfe der hohen Schussfrequenz des Zündnadelgewehrs abzuwehren. Erst dann konnte der Gegenangriff mit Bajonett erfolgen“ (S. 93). Artilleristisch zwar technisch im Nachteil, setzte man auf den massierten Einsatz von Divisionsartillerie. Nicht ganz zutreffend sei, dass, wie oft behauptet, „die preußische Heeresleitung erst in der großen Staatskrise durch ihre Festigkeit gegenüber dem Parlament den Grundstein für die Siege von 1864 bis 1871 gelegt“ habe. Klaus-Jürgen Bremm spricht stattdessen von einem „lange(n) Weg“, bei dem „Überlegungen für generalstabsmäßige Mobilisierungen oder eine effektive Nutzung der Eisenbahnen, vor allem aber die Einführung des Zündnadelgewehrs bis in die 1830er-Jahre zurück(reichten)“, während die Landwehr durch die Heeresreform wiederum „zu einem bloßen Anhängsel des aktiven Heeres geschrumpft“ worden war und im Ausland nur gering geschätzt wurde (S. 94f.). Während des Deutsch-dänischen Krieges von 1864 konnten „die preußischen Streitkräfte […] gegen die Dänen nicht wirklich überzeugen. Im indirekten Vergleich hatten die verbündeten habsburgischen Regimenter besser abschneiden können und deutlich mehr Angriffsgeist bewiesen“ (S. 105). So gab es im Umfeld des preußischen Königs Wilhelm 1866 nicht wenige gewichtige Stimmen, welche die militärische Auseinandersetzung mit Österreich scheuten.

 

Auch der später legendäre preußische Generalstabschef Helmuth von Moltke sah sich in der Kritik: „In Moltkes weit auseinandergezogenem Aufmarsch konnten die meisten seiner Standesgenossen […] nur das Werk eines Stümpers erkennen, den König Wilhelm zu ihrem Entsetzen am 2. Juni auch noch autorisiert hatte, den drei Armeen in seinem Namen Weisungen zu erteilen. Tatsächlich barg Moltkes Strategie der operativen Umfassung große Risiken, denn sie basierte vor allem auf zwei zentralen Voraussetzungen, die während des Feldzuges in Böhmen zunächst nicht erfüllt waren. So mussten die drei nach Böhmen eindringenden preußischen Armeen untereinander in ständiger Kommunikation stehen und der Gegner wiederum musste auch tatsächlich zwischen Iser und oberer Elbe aufmarschieren. […] Die Kritik an Moltkes Dispositionen verstummte erst, als Anfang Juni 1866 Meldungen von der Kronprinzenarmee ergaben, dass sich die österreichische Nordarmee entgegen den Erwartungen viel weiter zurück bei der mährischen Festung Olmütz versammelt hatte“ (S. 116f.). Als „engagierte( ) Befürworter der strategischen Defensive“ hatten weder der Oberbefehlshaber der österreichischen Nordarmee, Feldzeugmeister Ludwig von Benedek, noch der Chef der Operationskanzlei, Gideon Krismanić, „irgendwelche konkreten Schritte geplant, die über die bloße Besetzung der Olmützer Stellung hinausgingen“; unter dem Druck des Hofes und der Öffentlichkeit wurde schließlich verspätet der Vormarsch an die Iser befohlen, „doch ohne konkreten Operationsplan und ohne den festen Willen, die preußischen Armeen nach Möglichkeit einzeln zu attackieren, war der Marsch von Benedeks Nordarmee ein Vorrücken genau hinein in Moltkes Falle“ (S. 118ff.). In dieser Unklarheit und Unentschiedenheit der verantwortlichen österreichischen Feldherrn („Aus der gesamten Kriegsgeschichte ist keine vergleichbar unglückliche Schlachtordnung bekannt“; S. 190) liegt bekanntlich einer der wesentlichen Gründe der umfassenden österreichischen Niederlage, neben der so oft zitierten, demoralisierenden Wirkung der überlegenen preußischen Infanteriewaffe: „Auf eine österreichische Gewehrsalve konnten die Preußen gleich mit dreimaligem Gegenfeuer antworten. […] Das Zerstörungswerk von Stunden hatte das Zündnadelgewehr in Minuten erledigt. So weit das Auge reichte, bedeckten Tote, Verwundete sowie weggeworfene Tornister und Gewehre den Waldboden beiderseits der Chaussee (S. 160ff.).

 

Neben dem böhmischen Hauptkriegsschauplatz rückt die Arbeit unter Wahrung des Gesamtzusammenhanges aber auch die anderen Schlachtfelder ins Blickfeld: Hannover, Kurhessen und Süddeutschland, wo sich die preußischen Truppen ebenfalls durchsetzten, sowie Italien, wo österreichische Truppen nicht in dem von Preußen erhofften Ausmaß gebunden werden konnten und die Habsburgermonarchie zwar Venetien verlor, aber das Trentino und die Isonzolinie behauptete. Zu den politischen Konsequenzen der Kriege bezieht der Verfasser klar Position, wenn er festhält: „Wie eine tektonische Spannung hatte sich innerhalb weniger Jahrzehnte ein Missverhältnis von politischer Ordnung und innerer Stärke in Mitteleuropa aufgebaut. Geradezu aberwitzig erschienen angesichts dieser potenziellen Bruchstelle die mittelalterlichen Vorstellungen des Habsburgischen Kaiserhauses von der Vormachtsposition Österreichs in Deutschland, von seinem überkommenen Ehrenvorrang und der preußischen Vasallenpflicht. […] Das angestaute Missverhältnis in zwei kurzen Kriegen mit vergleichsweise geringen Verlusten entschärft und Mitteleuropa eine neue und stabile Ordnung gegeben zu haben, war Bismarcks bedeutsamste Leistung. Weder die deutsche Nationalbewegung noch eine wie auch immer gestaltete Vereinigung souveräner Bundesfürsten hätte sie je zustande bringen können“ (S. 276f.). Man muss allerdings nicht unbedingt den „typische(n) antinationale(n) Reflex der westdeutschen Linken“ (S. 273) teilen, um zu einer differenzierteren, kritischeren Bewertung der Reichsgründung zu gelangen. Klaus-Jürgen Bremm gesteht etwa selbst ein, dass Bismarck sich der Nationalstaatsidee nur in taktischer Absicht bedient, tatsächlich aber konsequent preußische Hegemonialinteressen verfolgt hat. Es darf also mit Interesse abgewartet werden, welche Interpretationen die weiteren, mit Sicherheit noch zu erwartenden Publikationen zum Jubiläumsjahr 1866 anbieten werden.

 

Das den Text begleitende Bildmaterial und Kartenmaterial im Schwarzweißdruck, darunter zwei aktuelle Aufnahmen des Schlachtfeldes von Königgrätz, jeweils von den Standorten Moltkes und Benedeks aus gesehen (S. 205), ist passend ausgewählt und erfüllt seinen Zweck. Hingegen ist der eigenwillige Umgang des Verfassers mit Eigennamen gewöhnungsbedürftig. So finden sich beispielsweise Orts- und Personennamen in unterschiedlichen Schreibvarianten (S. 100: „Karl Friedrich von Reyher“, „Reyer“; S. 137: „Custozza“, „Custoza“; S. 155 und S. 158: „Hühnerwasser“, „Hünerwasser“). Der tschechische Historiker und Nationalist František Palacký erscheint als „Frantisec“ (S. 269), Graf Yorck von Wartenburg als „York von Wartenberg“ (S. 80), Feldmarschall Radetzky von Radetz durchgehend als „von Radek“ (S. 58 u. a.) und schließlich der prominente Verlierer von Königgrätz, Ludwig von Benedek, fortwährend unter seinem gänzlich ungebräuchlichen zweiten Vornamen „August“ (S. 71 u. a.). Derartige unverständliche Fehlleistungen  erweisen der Sache keinen guten Dienst.

 

Kapfenberg                                                    Werner Augustinovic