Bossenbroek, Martin, Tod am Kap. Geschichte des Burenkriegs, aus dem Niederländischen v. Ecke, Andreas. Beck, München 2016. 624 S., 3 Abb., 4 Kart. Besprochen von Werner Augustinovic.

 

Der (eigentlich bereits zweite) südafrikanische Krieg zwischen Großbritannien und den Burenstaaten Südafrikanische Republik/Transvaal und Oranje-Freistaat, kurz Burenkrieg, in den Jahren 1899 bis 1902 wurde schon mehrfach dargestellt, entweder aus britischem oder aus burischem Blickwinkel, „in den besten Werken“, so der Verfasser, „werden abwechselnd beide Standpunkte eingenommen, und auch das Schicksal der nichtweißen Bevölkerung kommt zur Sprache“ (S. 23). So überrascht es bei der niederländischen Abstammung und den verwandtschaftlichen Beziehungen der Buren zu ihrer alten Heimat doch, dass bislang eine Geschichte des Burenkrieges aus dem niederländischen Blickwinkel fehlt, ein Desiderat, das der an der Universität Utrecht wirkende Historiker Martin Bossenbroek mit seiner nun in deutscher Übersetzung vorliegenden, 2012 unter dem Originaltitel „De Boerenorloog“ in Amsterdam erschienenen Monographie einzulösen sich bemüht. Zu diesem Datum jährte sich nicht nur der den Burenkrieg beschließende Friede von Vereeniging zum 110. Mal, es war auch der 100. Geburtstag des seit 1994 regierenden (South) African (Native) National Congress (ANC) und somit für die Republik Südafrika und ihre gespaltene historische Identität gewissermaßen ein doppeltes Jubiläum. In der bisherigen wissenschaftlichen Debatte um den Burenkrieg seien fünf Aspekte dominierend: dessen Charakter als atypische, weil einzige zwischen Weißen ausgetragene, imperialistische große militärische Konfrontation; dessen Zusammenhänge mit dem folgenden Ersten Weltkrieg; die Bedeutung der (Massen-)Medien; die Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung; schließlich dessen Stellenwert für die Entwicklung der weißen (Apartheidideologie) und schwarzen (Antiapartheidbewegung) Nationalismen.

 

Das Buch gliedert sich neben Prolog („Erfenisdag“, übersetzt: Tag des Kulturerbes) und Epilog („Gewinner und Verlierer“), die mit Reflexionen zur historischen Traditionspflege der Republik Südafrika eine thematische Klammer bilden, in drei chronologisch fortschreitende Teile, deren erster die Vorgeschichte des Krieges von 1884 bis 1899 („Für die gerechte Sache“) erzählt, während die beiden nachfolgenden das Kriegsgeschehen 1899/1900 („Wie ein Abenteuerbuch“) sowie von 1900 bis 1902 („Tod und Verderben“) in Augenschein nehmen. In den schriftlichen Zeugnissen dreier Protagonisten – allesamt „junge Männer am Anfang ihrer Laufbahn“ und jeder „davon überzeugt, moralisch im Recht zu sein“ (S. 24) – verdichten sich die unterschiedlichen Standpunkte und werden anschaulich greifbar: im niederländischen Juristen Willem Leyds, den Paul Kruger für Transvaal zunächst als Generalstaatsanwalt, später als Staatssekretär und schließlich als Gesandten anwirbt, im damaligen britischen Kriegsberichterstatter, Offizier und Politiker Winston Churchill und im burischen Kämpfer Deneys Reitz, Sohn des Francis William („Frank“) Reitz, des früheren Präsidenten des Oranje-Freistaates und Staatssekretärs von Transvaal in Leyds‘ Nachfolge. Aus einer neutralen Erzählhaltung heraus arbeitet der Verfasser, zwischen den Perspektiven dieser Persönlichkeiten wechselnd, in Form aneinandergereihter Episoden das Geschehen jener Jahre ab. Von erheblichem Nutzen für das Nachvollziehen des Berichteten ist das Kartenmaterial in Schwarzweiß (S. 26f.: Südafrika 1884-1899; S. 198: Das Kriegsgebiet Oktober 1899 – Juni 1900; S. 199: Die Front in Natal Oktober 1899 – Juni 1900; S. 382f.: Das Kriegsgebiet Juni 1900 – Mai 1902), das nicht nur hinsichtlich seiner Lesbarkeit eine Bereicherung darstellt.

 

Die Buren (oder Afrikaners, deutsch Afrikaander) waren die Nachkommen niederländischer Kolonisten, die sich seit 1652 im südlichen Afrika niedergelassen und sich britischen Annexionsversuchen erfolgreich verweigert hatten. Das nach einem erfolgreichen Befreiungskrieg 1881 unterzeichnete Abkommen von Pretoria enthielt aber auch den Hinweis auf eine nicht näher präzisierte „Suzeränität Ihrer Majestät“, auf welche – obwohl im Londoner Abkommen 1884 nicht mehr explizit vorkommend – die britische Seite bei Bedarf immer dann rekurrierte, wenn es galt, die Souveränität der Burenrepubliken zu beschneiden. Geopolitische und sozioökonomische Interessen waren die tatsächlichen Beweggründe der Briten, sich des Problems ein für allemal in einem entscheidenden Waffengang, in den man die Buren vorsätzlich trieb, zu entledigen. Den inneren Strukturschwächen der Südafrikanischen Republik kam eine wesentliche Bedeutung zu: Der erzkonservativen Linie der Staatsführung unter „Oom“ Paul Kruger standen die liberalen Interessen der Boomtown Johannesburg diametral entgegen, wo die sogenannten Randlords ihre Goldminen mit Hilfe der in den politischen Rechten eingeschränkten Uitlanders höchst gewinnbringend betrieben. 1895/96 scheiterten allerdings Leander Starr Jameson und Cecil Rhodes mit ihrem als „Jameson Raid“ bekannten Versuch, diese Gegensätze auszunützen, in Johannesburg einen allgemeinen Aufstand anzuzetteln und unter dem Vorwand der Hilfeleistung militärisch zu intervenieren. Der britische Kolonialminister Joseph Chamberlain „ließ sich gerade genug informieren, um offiziell von nichts zu wissen“ (S. 130f.).

 

Betrachtet man den Verlauf des Burenkriegs unter den eingangs dargelegten, fünf Aspekten der wissenschaftlichen Debatte, so bietet die vorliegende Darstellung manche Antwort an. Seinen Charakter eines Krieges zwischen Weißen verlor er in verstärktem Maße mit der Zunahme des Umfangs der britischen Armee. Diese musste vor allem in der Anfangsphase des Krieges trotz zahlenmäßiger Überlegenheit in Natal mehrere bittere Niederlagen einstecken und konnte sich auch über die Jahre nicht völlig gegen die unterlegenen, aber sehr mobilen Burenkommandos durchsetzen. „Im Mai 1901 erreichte die britische Armee in Südafrika ihre maximale Stärke von 240000 Mann – was der Gesamtzahl der burischen Bevölkerung entsprach –, ein Drittel davon berittene Truppen. Es war das Zwölffache der allerhöchstens 20000 Mann, die der Gegner noch zusammenbringen konnte“ (S. 493). Der Bedarf an Arbeitskräften war bei den Briten enorm: „Tragen, graben, Vieh treiben und bewachen – oder rauben, wenn es sich ergab – waren von Anfang an Arbeiten, die von Schwarzen und ‚Farbigen‘ übernommen wurden. Auch als Kundschafter und Kuriere wurden sie bald eingesetzt. […] Nichtweiße waren aktiv an den ‚drives‘ beteiligt, bei denen Farmen niedergebrannt und Burenfrauen und –kinder in die Lager transportiert wurden. Der umfangreichste Einsatz von Nichtweißen hing mit dem System von Blockhäusern zusammen, die 1901 zu Tausenden aus dem Boden gestampft und mit zigtausend Kilometern Stacheldrahtsperren verbunden wurden. […] Damit das System gut funktionierte, setzte die britische Armeeführung als Fortbesatzungen außer 60000 weißen Soldaten etwa 25000 nichtweiße Wachposten ein. […] Durch die aktive Rolle, die ihnen von den Briten zugewiesen wurde, gewannen die Schwarzen und ‚Farbigen‘ an Selbstbewusstsein“ (S. 506).

 

Die Frage der Auswirkungen des Krieges, den die Briten schließlich nach dem Grundsatz der verbrannten Erde führten, um den Burenkämpfern jegliche Basis zu entziehen, auf die Zivilbevölkerung wird am besten durch die Zahlen des Lagersystems illustriert. Im September 1901 „gab es bereits fünfzig Lager: an den Bahnstrecken in den beiden annektierten Republiken, in Natal und in der Kapkolonie. Darin waren insgesamt 110000 bis 115000 Buren interniert, Männer, vor allem aber Frauen und Kinder. […] Insgesamt kamen in den Lagern 27927 Buren ums Leben. […] Bis Mai 1902 hatte die Anzahl der eingesperrten Nichtweißen etwa das gleiche Niveau erreicht wie die der internierten Buren“, mit einer geschätzten Gesamtzahl der Todesfälle „von 20000“ (S. 511). Dazu kamen Ideen, das gesamte Burenvolk auszusiedeln, etwa nach Madagaskar, Deutsch-Südwestafrika oder gar nach Mexiko (vgl. S. 494ff.). Die 2011 von Jürgen Zimmerer aufgeworfene Frage nach einer möglichen Vorläuferfunktion der kolonialen Konzentrationslager für die Lagersysteme der totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts, zuletzt von Jonas Kreienbaum 2015 kompetent untersucht, wird in der vorliegenden Publikation allerdings nicht thematisiert.

 

Selbstverständlich behält der Verfasser aber stets die niederländisch-burischen Beziehungen im Auge, die von wirtschaftlichen Verflechtungen über die engen Kontakte, die Willem Leyds zu seinen juristischen Lehrern in den Niederlanden, Jacob Pieter Moltzer und Tobias Asser, pflegte, bis hin zu den erfolglosen Bemühungen der jungen holländischen Königin Wilhelmina, sich privat bei der britischen Königin Victoria für die Sache der Buren einzusetzen, reichen. Des Weiteren geht die Arbeit auf die Bedeutung der Presse und die Haltung der europäischen Großmächte sowie der Vereinigten Staaten von Amerika ein. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Sache der Buren zwar auf Sympathie stieß, diplomatische Rücksichten aber überall einem aktiven Engagement der Mächte gegen Großbritannien im Wege standen. Dies galt auch für juristische Initiativen. Am 10. September 1901 wurde der Ständige Schiedshof in Den Haag „im Namen der Regierungen der Südafrikanischen Republik und des Oranje-Freistaates […] um ein ‚schiedsgerichtliches Urteil‘ über den ‚in Südafrika geführten Krieg‘“ ersucht (S. 522f.). „Der Verwaltungsrat des Ständigen Schiedshofes berief sich auf den strikt administrativen Charakter seiner Aufgaben und erklärte sich in dem Streitfall Burenrepubliken gegen Großbritannien für nicht zuständig“ (S. 528). Mit dem Frieden von Vereeniging endete der Burenkrieg im Mai 1902, „die Buren hatten die Waffen niederzulegen und den britischen König als rechtmäßigen Souverän anzuerkennen“ (S. 564). 1910 wurden die vier Kolonien (Orange River, Transvaal, Natal, Kapkolonie) schließlich zur Südafrikanischen Union mit dem Status eines selbstregierten Dominions innerhalb des British Empire vereinigt.

 

Martin Bossenbroeks spannend zu lesende, durch separate Register der Personen und geographischen Begriffe aufgeschlossene „Geschichte des Burenkriegs“ zeigt, dass diese imperialistische militärische Auseinandersetzung im südlichen Afrika an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert in vielerlei Hinsicht die Schrecken vorweggenommen hat, welche die nachfolgenden großen kriegerischen Konfrontationen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kennzeichnen sollten. Sowohl die Berufsarmee der Briten, aber vor allem die (von ihrer professionellen Staatsartillerie unterstützte) Volksmiliz der Buren – ihre politischen Führer waren in aller Regel auch ihre militärischen Kommandanten – verfügten bereits über Waffensysteme von enormer Vernichtungskapazität; zum Einsatz kamen moderne Repetiergewehre, Maschinengewehre, Maschinenkanonen und Geschütze bis zu einem Kaliber von 155 mm und einer Reichweite von zehn Kilometern. Auch die Entwicklung der kriegsgerichtlichen Verfahren auf beiden Seiten war in gewisser Hinsicht richtungsweisend; dazu ist zu lesen: „Todesurteile wegen Hochverrat und Spionage wurden von Kriegsgerichten der Buren in zahlreichen Fällen ausgesprochen. Sie wurden dem ranghöchsten, erreichbaren militärischen Vorgesetzten oder auch politischen Amtsträger vorgelegt und von ihm entweder bestätigt oder abgemildert. […] Je länger der Krieg andauerte und je schärfer die Gegensätze unter den Buren wurden, desto häufiger kam es zu Abrechnungen ohne jeden Prozess. […] Auch die Briten bewegten sich in ihrem Vergeltungsdrang am Rande des Kriegsrechts – ganz abgesehen von den umstrittenen Maßnahmen gegen die Zivilbevölkerung. […] Das meiste Aufsehen, auch international, erregten die Prozesse gegen drei bekannte Burenoffiziere: […] In allen drei Fällen wurden die Rechtmäßigkeit des Verfahrens und die Zulässigkeit der konkreten Anklage entschieden bestritten“ (S. 538ff.). Johannes Lötter und Gideon Scheepers wurden schließlich hingerichtet, Pieter Kritzinger (er hatte als General unter anderem angekündigt, alle Schwarzen und „Farbigen“ im Dienst der britischen Armee, derer man habhaft würde, unverzüglich exekutieren zu lassen) bewahrte wohl nur der den genannten Hinrichtungen folgende internationale Proteststurm vor dem gleichen Schicksal.

 

Kapfenberg                                                    Werner Augustinovic