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Abs. 6 In mein erstes Semester fiel die Hambacher Feier (27. Mai 1832), deren Festgesang mir in der Erinnerung geblieben ist, in mein drittes der Frankfurter Putsch (3. April 1833). Diese Erscheinungen stießen mich ab, meiner preußischen Schulung widerstrebten tumultuarische Eingriffe in die staatliche Ordnung; ich kam nach Berlin mit weniger liberaler Gesinnung zurück, als ich es verlassen hatte, eine Reaction, die sich wieder abschwächte, nachdem ich mit dem staatlichen Räderwerke in unmittelbare Beziehung getreten war. Was ich etwa über auswärtige Politik dachte, mit der das Publikum sich damals wenig beschäftigte, war im Sinne der Freiheitskriege, vom preußischen Offizierstandpunkt gesehn. Beim Blick auf die Landkarte ärgerte mich der französische Besitz von Straßburg, und der Besuch von Heidelberg, Speier und der Pfalz stimmte mich rachsüchtig und kriegslustig. In der Zeit vor 1848 war für einen KammergerichtsAuscultator und Regirungs-Referendar, dem jede Beziehung zu ministeriellen und höhern amtlichen Kreisen fehlte, kaum eine Aussicht zu einer Betheiligung an der preußischen Politik vorhanden, so lange er nicht den einförmigen Weg zurückgelegt hatte, der durch die Stufen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 7 [1-3] der bürokratischen Laufbahn nach Jahrzehnten dahin führen konnte, an den höhern Stellen bemerkt und herangezogen zu werden. Als mustergültige Vordermänner auf diesem Wege wurden mir im Familienkreise damals Männer wie Pommer-Esche und Delbrück vorgehalten, und als einzuschlagende Richtung die Arbeit an und in dem Zollvereine empfohlen. Ich hatte, so lange ich in dem damaligen Alter an eine Beamtenlaufbahn ernstlich dachte, die diplomatische im Auge, auch nachdem ich von Seiten des Ministers Ancillon bei meiner Meldung dazu wenig Ermuthigung gefunden hatte. Derselbe bezeichnete nicht mir, aber hohen Kreisen gegenüber als Musterbild dessen, was unsrer Diplomatie fehle, den Fürsten Felix Lichnowski, obschon man hätte vermuthen sollen, daß diese Persönlichkeit, wie sie sich damals in Berlin zur Anschauung brachte, der anerkennenden Würdigung eines der evangelischen Geistlichkeit entstammenden Ministers nicht grade nahe stände. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 8 Der Minister hatte den Eindruck, daß die Kategorie unsres hausbacknen preußischen Landadels für unsre Diplomatie den ihm wünschenswerthen Ersatz nicht lieferte und die Mängel, welche er an der Gewandheit des Personalbestandes dieses Dienstzweiges fand, zu decken nicht geeignet war. Dieser Eindruck war nicht ganz ohne Berechtigung. Ich habe als Minister stets ein landsmannschaftliches Wohlwollen für eingeborne preußische Diplomaten gehabt, aber im dienstlichen Pflichtgefühle nur selten diese Vorliebe bethätigen können, in der Regel nur dann, wenn die Betheiligten aus einer militärischen Stellung in die diplomatische übergingen. Bei den rein preußischen Civil-Diplomaten, welche der Wirkung militärischer Disciplin garnicht oder unzureichend unterlegen hatten, habe ich in der Regel eine zu starke Neigung zur Kritik, zum Besserwissen, zur Opposition und zu persönlichen Empfindlichkeiten gefunden, verstärkt durch die Unzufriedenheit, welche das Gleichheitsgefühl des alten preußischen Edelmanns empfindet, wenn ein Standesgenosse ihm über den Kopf wächst oder außerhalb der militärischen Verhältnisse sein Vorgesetzter wird. In der Armee sind diese Kreise (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 9 [1-4] seit Jahrhunderten daran gewöhnt, daß das geschieht, und geben den Bodensatz ihrer Verstimmung gegen frühere Vorgesetzte an ihre spätern Untergebenen weiter, sobald sie selbst in höhere Stellen gelangt sind. In der Diplomatie kommt dazu, daß diejenigen unter den Aspiranten, welche Vermögen oder die zufällige Kenntniß fremder Sprachen, namentlich der französischen, besitzen, schon darin einen Grund zur Bevorzugung sehn und deshalb der obern Leitung noch anspruchsvoller und zur Kritik geneigter gegenübertreten als Andre. Sprachkenntnisse, wie auch Oberkellner sie besitzen, bildeten bei uns leicht die Unterlage des eignen Glaubens an den Beruf zur Diplomatie, namentlich so lange unsre gesandschaftlichen Berichte, besonders die ad Regem, französisch sein mußten, wie es die nicht immer befolgte, aber bis ich Minister wurde amtlich in Kraft stehende Vorschrift war. Ich habe manche unter unsern ältern Gesandten gekannt, die, ohne Verständniß für Politik, lediglich durch Sicherheit im Französischen in die höchsten Stellen aufrückten; und auch sie sagten in ihren Berichten doch nur das, was sie französisch geläufig zur Verfügung hatten. Ich habe noch 1862 von Petersburg französisch amtlich zu berichten gehabt, und die Gesandten, welche auch ihre Privatbriefe an den Minister französisch schrieben, empfahlen sich dadurch als besonders berufen zur Diplomatie, auch wenn sie politisch als urtheilslos bekannt waren. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 13 [1-6] Die Personen und Einrichtungen unsrer Justiz, in der ich zunächst beschäftigt war, gaben meiner jugendlichen Auffassung mehr Stoff zur Kritik als zur Anerkennung. Die praktische Ausbildung des Auscultators begann damit, daß man auf dem Criminalgericht das Protokoll zu führen hatte, wozu ich von dem Rathe, dem ich zugewiesen war, Herrn von Brauchitsch, über die Gebühr herangezogen wurde, weil ich damals über den Durchschnitt schnell und lesbar schrieb. Von den "Untersuchungen", wie die Criminalprozesse bei dem damals geltenden Inquisitionsverfahren genannt wurden, hat mir eine den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen, welche eine in Berlin weit verzweigte Verbindung zum Zweck der unnatürlichen Laster betraf. Die Klubeinrichtungen der Betheiligten, die Stammbücher, die gleichmachende Wirkung des gemeinschaftlichen Betreibens des Verbotenen durch alle Stände hindurch - alles das bewies schon 1835 eine Demoralisation, welche hinter den Ergebnissen des Prozesses gegen die Heinze'schen Eheleute (October 1891) nicht zurückstand. Die Verzweigungen dieser Gesellschaft reichten bis in hohe Kreise hinauf. Es wurde dem Einflusse des Fürsten Wittgenstein zugeschrieben, daß die Akten von dem Justizministerium eingefordert und, wenigstens während meiner Thätigkeit an dem Criminalgerichte, nicht zurückgegeben wurden. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 27 Daneben ist der bürokratische Druck auf das Privatleben durch die Art der Ausführung der "Selbstverwaltung" verstärkt worden und greift in die ländlichen Gemeinden schärfer als früher ein. Vorher bildete der der Bevölkerung ebenso nahe als dem Staate stehende Landrath den Abschluß der staatlichen Bürokratie nach unten; unter ihm standen locale Verwaltungen, die wohl der Controlle, aber nicht in gleichem Maße wie heut der Disciplinargewalt der Bezirks- oder Ministerial-Bürokratie unterlagen. Die ländliche Bevölkerung erfreut sich heut vermöge der ihr gewährten Selbstregirung nicht etwa einer ähnlichen Autonomie wie seit lange die der Städte, sondern sie hat in Gestalt des Amtsvorstehers einen Vorstand erhalten, der durch Befehle von oben, vom Landrathe unter Androhung von Ordnungsstrafen disciplinarisch angehalten wird, im Sinne der staatlichen Hierarchie seine Mitbürger in seinem Bezirke mit Listen, Meldungen und Zumuthungen zu belästigen. Die regirte contribuens plebs hat in der landräthlichen Instanz ungeschickten Eingriffen gegenüber nicht mehr die Garantie, welche (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 28 [1-12] früher in dem Verhältniß lag, daß die Kreiseingesessenen, die Landräthe wurden, dies in ihrem Kreise lebenslänglich zu bleiben in der Regel entschlossen waren und die Leiden und Freuden des Kreises mitfühlten. Heut ist der Landrathsposten die unterste Stufe der höhern Verwaltungslaufbahn, gesucht von jungen Assessoren, die den berechtigten Ehrgeiz haben, Carrière zu machen; dazu bedürfen sie der ministeriellen Gunst mehr als des Wohlwollens der Kreisbevölkerung und suchen erstre durch hervorragenden Eifer und Anspannung der Amtsvorsteher der angeblichen Selbstverwaltung bei Durchführung auch minderwerthiger bürokratischer Versuche zu gewinnen. Darin liegt zum großen Theil der Anlaß zur Ueberlastung ihrer Untergebenen in der localen "Selbstverwaltung". Die "Selbstverwaltung" ist also Verschärfung der Bürokratie, Vermehrung der Beamten, ihrer Macht und ihrer Einmischung ins Privatleben. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 34 [1-14] war das "von" vor meinem Namen ein Nachtheil für mein kindliches Behagen im Verkehre mit Mitschülern und Lehrern. Auch auf dem Gymnasium zum grauen Kloster habe ich einzelnen Lehrern gegenüber unter dem Adelshasse zu leiden gehabt, der sich in einem großen Theile des gebildeten Bürgerthums als Reminiscenz aus den Zeiten vor 1806 erhalten hatte. Aber selbst die aggressive Tendenz, die in bürgerlichen Kreisen unter Umständen zum Vorschein kam, hat mich niemals zu einem Vorstoße in entgegengesetzter Richtung veranlaßt. Mein Vater war vom aristokratischen Vorurtheile frei, und sein inneres Gleichheitsgefühl war, wenn überhaupt, nur durch die Offizierseindrücke seiner Jugend, keineswegs aber durch Ueberschätzung des Geburtsstandes modificirt. Meine Mutter war die Tochter des in den damaligen Hofkreisen für liberal geltenden Cabinetsraths Friedrichs des Großen, Friedrich Wilhelms II. und III. aus der Leipziger Professorenfamilie Mencken, welche in ihren letzten, mir vorhergehenden Generationen nach Preußen in den auswärtigen und den Hofdienst gerathen war. Der Freiherr vom Stein hat meinen Großvater Mencken als einen ehrlichen, stark liberalen Beamten bezeichnet. Unter diesen Umständen waren die Auffassungen, die ich mit der Muttermilch einsog, eher liberal als reactionär, und meine Mutter würde, wenn sie meine ministerielle Thätigkeit erlebt hätte, mit der Richtung derselben kaum einverstanden gewesen sein, wenn sie auch an den äußern Erfolgen meiner amtlichen Laufbahn große Freude empfunden haben würde. Sie war in bürokratischen und Hofkreisen groß geworden; Friedrich Wilhelm IV. sprach von ihr als "Mienchen" im Andenken an Kinderspiele. Ich darf es darnach für eine ungerechte Einschätzung meiner Auffassung in jüngern Jahren erklären, wenn mir "die Vorurtheile meines Standes" angeheftet werden und behauptet wird, daß Erinnerung an Bevorrechtigung des Adels der Ausgangspunkt meiner innern Politik gewesen wäre. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 38 Die Ueberzeugung, daß der uncontrollirte Absolutismus, wie er durch Louis XIV. zuerst in Scene gesetzt wurde, die richtigste Regirungsform für deutsche Unterthanen sei, verliert auch der, welcher sie hat, durch Specialstudien in den Hofgeschichten und durch kritische Beobachtungen, wie ich sie am Hofe des von mir persönlich geliebten und verehrten Königs Friedrich Wilhelms IV. zur Zeit Manteuffel's anstellen konnte. Der König war gläubiger, gottberufener Absolutist, und die Minister nach Brandenburg in der Regel zufrieden, wenn sie durch Königliche Unterschrift gedeckt waren, auch wenn sie persönlich den Inhalt des Unterschriebenen nicht hätten verantworten mögen. Ich erlebte damals, daß ein hoher und absolutistisch gesinnter Hofbeamter in meiner und mehrer seiner Collegen Gegenwart auf die Nachricht von dem Neufchâteler Aufstand der Royalisten in einer gewissen Verblüffung sagte: "Das ist ein Royalismus, den man heut zu Tage doch nur noch sehr fern vom Hofe erlebt." Sarkasmen lagen sonst nicht in der Gewohnheit dieses alten Herrn. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 54 Ich fuhr zunächst allein nach Potsdam, wo ich am Bahnhofe Herrn von Bodelschwingh sah, der bis zum 19. Minister des Innern gewesen war. Es war ihm offenbar unerwünscht, im Gespräch mit mir, dem "Reactionär", gesehn zu werden; er erwiderte meine Begrüßung mit den Worten: "Ne me parlez pas." - "Les paysans se lèvent chez nous," erwiderte ich. "Pour le Roi?" - "Oui." - "Dieser Seiltänzer," sagte er, die Hände auf die thränenden Augen drückend. In der Stadt fand ich auf der Plantage an der Garnisonkirche ein Bivouak der Garde-Infanterie; ich sprach mit den Leuten und fand Erbitterung über den befohlenen Rückzug und Verlangen nach neuem Kampfe. Auf dem Rückwege längs des Kanals folgten mir spionartige Civilisten, welche Verkehr mit der Truppe gesucht hatten und drohende Reden gegen mich führten. Ich hatte vier Schuß in der Tasche, bedurfte ihrer aber nicht. Ich stieg bei meinem Freunde Roon ab, der als Mentor des Prinzen Friedrich Karl einige Zimmer in dem Stadtschlosse bewohnte, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 69 [1-26] politische Autorität der Provinz, hatte eine Proclamation erlassen des Inhalts: "In Berlin ist eine Revolution ausgebrochen; ich werde eine Stellung über den Parteien nehmen." Diese "Stütze des Thrones" war später Minister und Inhaber hoher und einflußreicher Aemter. General Hedemann gehörte dem Humboldtschen Kreise an. Nach Schönhausen zurückgekehrt, suchte ich den Bauern begreiflich zu machen, daß der bewaffnete Zug nach Berlin nicht thunlich sei, gerieth aber dadurch in den Verdacht, in Berlin von dem revolutionären Schwindel angesteckt zu sein. Ich machte ihnen daher den Vorschlag, der angenommen wurde, daß Deputirte aus Schönhausen und andern Dörfern mit mir nach Potsdam reisen sollten, um selbst zu sehn, und den General von Prittwitz, vielleicht den Prinzen von Preußen zu sprechen. Als wir am 25. den Bahnhof von Potsdam erreichten, war der König eben dort eingetroffen und von einer großen Menschenmenge in wohlwollender Stimmung empfangen worden. Ich sagte meinen bäuerlichen Begleitern: "Da ist der König, ich werde Euch ihm vorstellen, sprecht mit ihm." Das lehnten sie aber ängstlich ab und verzogen sich schnell in die hintersten Reihen. Ich begrüßte den König ehrfurchtsvoll, er dankte, ohne mich zu erkennen, und fuhr nach dem Schlosse. Ich folgte ihm und hörte dort die Anrede, welche er im Marmorsaale an die Offiziere des Gardecorps richtete *). Bei den Worten: "Ich bin niemals freier und sichrer gewesen als unter dem Schutze meiner Bürger" erhob sich ein Murren und Aufstoßen von Säbelscheiden, wie es ein König von Preußen in Mitten seiner Offiziere nie gehört haben wird und hoffentlich nie wieder hören wird 1). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 80 Als Beitrag zu der Geschichte der Märztage seien hier Gespräche aufgezeichnet, welche ich einige Wochen danach mit Personen hatte, die mich, den sie als Vertrauensmann der Conservativen betrachteten, aufsuchten, die einen, um sich über ihr Verhalten vor und an dem 18. März rechtfertigend auszusprechen, die andern, um mir die gemachten Wahrnehmungen mitzutheilen. Der Polizeipräsident von Minutoli beklagte sich dabei, daß ihm der Vorwurf gemacht werde, er habe den Aufstand vorausgesehn und nichts zur Verhinderung desselben gethan, und bestritt, daß irgend welche auffallende Symptome zu seiner Kenntniß gekommen wären. Auf meine Entgegnung, mir sei in Genthin von Augenzeugen gesagt worden, daß während der Tage vor dem 18. März fremdländisch aussehende Männer, meistens polnisch sprechend, einige offen Waffen mit sich führend, die andern mit schweren Gepäckstücken, in der Richtung nach Berlin passirt wären, erzählte Minutoli, der Minister von Bodelschwingh habe ihn Mitte März kommen lassen und Besorgniß über die herrschende Gährung geäußert; darauf habe er denselben in eine Versammlung vor den Zelten geführt. Nachdem Bodelschwingh die dort gehaltenen Reden angehört, habe er gesagt: "Die Leute sprechen ja ganz verständig, ich danke Ihnen, Sie haben mich vor einer Thorheit bewahrt." Bedenklich für die Beurtheilung Minutoli's war seine Popularität in den nächsten Tagen nach dem Straßenkampfe. Sie war für einen Polizeipräsidenten als Ergebniß eines Aufruhrs unnatürlich. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 83 [1-30] "Der Schloßplatz muß geräumt werden." "Das ist unmöglich," habe er geantwortet, "damit gebe ich den König preis." Darauf Bodelschwingh: "Der König hat in seiner Proclamation befohlen, daß alle ,öffentlichen Plätze' *)geräumt werden sollen; ist der Schloßplatz ein öffentlicher Platz oder nicht? Noch bin ich Minister, und ich habe es wohl auswendig gelernt, was ich als solcher zu thun habe. Ich fordere Sie auf, den Schloßplatz zu räumen." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 84 "Was," so schloß Prittwitz seine Mittheilung, "was hätte ich darauf anders thun sollen, als abmarschiren?" "Ich würde," antwortete ich, "es für das Zweckmäßigste gehalten haben, einem Unteroffizier zu befehlen: ,Nehmen Sie diesen Civilisten in Verwahrung.'" Prittwitz erwiderte: "Wenn man vom Rathhause kommt, ist man immer klüger. Sie urtheilen als Politiker; ich handelte ausschließlich als Soldat auf Weisung des auf eine unterschriebene allerhöchste Proclamation sich stützenden dirigirenden Ministers." - Von andrer Seite habe ich gehört, Prittwitz habe diese seine letzte im Freien stattfindende Unterredung mit Bodelschwingh damit abgebrochen, daß er blauroth vor Zorn den Degen in die Scheide gestoßen und die Aufforderung gemurmelt habe, die Götz von Berlichingen dem Reichscommissar durch das Fenster zuruft. Dann habe er sein Pferd links gedreht und sei durch die Schloßfreiheit schweigend und im Schritt abgeritten. Durch einen vom Schlosse gesendeten Offizier nach dem Verbleib der Truppen gefragt, habe er bissig geantwortet: "Die sind mir durch die Finger gegangen, wo Alle mitreden **)." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 92 "Ich bin einer der wenigen, welche gegen die Adresse stimmen werden, und ich habe um das Wort nur deshalb gebeten, um diese Abstimmung zu motiviren und Ihnen zu erklären, daß ich die Adresse, insoweit sie ein Programm der Zukunft ist, ohne Weitres acceptire, aber aus dem alleinigen Grunde, weil ich mir nicht anders helfen kann. - Nicht freiwillig, sondern durch den Drang der Umstände getrieben, thue ich es; denn ich habe meine Ansicht seit den sechs Monaten nicht gewechselt; ich glaube, daß dies Ministerium das einzige ist, welches uns aus der gegenwärtigen Lage einem geordneten und gesetzmäßigen Zustande zuführen kann, und aus diesem Grunde werde ich demselben meine geringe Unterstützung überall widmen, wo es mir möglich ist. Was mich aber veranlaßt, gegen die Adresse zu stimmen, sind die Aeußerungen von Freude und Dank für das, was in den letzten Tagen geschehn ist. Die Vergangenheit ist begraben, und ich bedaure es schmerzlicher (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 172 Mein erster Besuch in Sanssouci kam unter ungünstigen Aspecten zu Stande. In den ersten Tagen des Juni, wenige Tage vor dem Abgange des Ministerpräsidenten Ludolf Camphausen, befand ich mich in Potsdam, als ein Leibjäger mich in dem Gasthofe aufsuchte, um mir zu melden, daß der König mich zu sprechen wünsche. Ich sagte unter dem Eindruck meiner frondirenden Gemüthsstimmung, daß ich bedauerte, dem Befehle Sr. Majestät nicht Folge leisten zu können, da ich im Begriffe sei, nach Hause zu reisen und meine Frau, deren Gesundheit besondrer Schonung bedürfe, sich ängstigen würde, wenn ich länger als verabredet ausbliebe. Nach einiger Zeit erschien der Flügeladjutant Edwin von Manteuffel, wiederholte die Aufforderung in Form einer Einladung zur Tafel und sagte, der König stelle mir einen Feldjäger zur Verfügung, um meine Frau zu benachrichtigen. Es blieb mir nichts übrig, als mich nach Sanssouci zu begeben. Die Tischgesellschaft war sehr klein, enthielt, wenn ich mich recht erinnere, außer den Damen und Herrn vom Dienste nur Camphausen und mich. Nach der Tafel führte der König mich auf die Terrasse und fragte freundlich: "Wie geht es bei Ihnen?" In der Gereiztheit, die ich seit den Märztagen in mir trug, antwortete ich: "Schlecht." Darauf der König: "Ich denke, die Stimmung ist gut bei Ihnen." Darauf ich, unter dem Eindrucke von Anordnungen, deren Inhalt mir nicht (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 188 Neben Gerlach und vielleicht in höherem Grade war Rauch seit 1848 von Einfluß auf den König. Sehr begabt, der fleischgewordene gesunde Menschenverstand, tapfer und ehrlich, ohne Schulbildung, mit den Tendenzen eines preußischen Generals von der besten Sorte, war er wiederholt als Militärbevollmächtigter in Petersburg in der Diplomatie thätig gewesen. Einmal war Rauch von Berlin in Sanssouci erschienen mit dem mündlichen Auftrage des Ministerpräsidenten Grafen Brandenburg, von dem Könige die Entscheidung über eine Frage von Wichtigkeit zu erbitten. Als der König, dem die Entscheidung schwer wurde, nicht zum Entschluß kommen konnte, zog endlich Rauch die Uhr aus der Tasche und sagte mit einem Blick auf das Zifferblatt: "Jetzt sind noch zwanzig Minuten, bis mein Zug abgeht; da werden Ew. Majestät doch nun befehlen müssen, ob ich dem Grafen Brandenburg Ja sagen soll oder Nee, oder ob ich ihm melden soll, daß Ew. Majestät nich Ja und nich Nee sagen wollen." Diese Aeußerung kam heraus in dem Tone der Gereiztheit, gedämpft durch die militärische Disciplin, als Ausdruck der Verstimmung, die bei dem klaren, entschiedenen und durch die lange fruchtlose Discussion ermüdeten General erklärlich war. Der König sagte: "Na, denn meinetwegen Ja", worauf Rauch sich sofort entfernte, um in beschleunigter Gangart durch die Stadt zum Bahnhof zu fahren. Nachdem der König eine Weile schweigend dagestanden hatte, wie wenn er die Folgen der widerwillig getroffenen Entscheidung noch erwöge, wandte er sich gegen Gerlach und mich und sagte: "Dieser Rauch! Er kann nicht richtig Deutsch sprechen, aber er hat mehr gesunden Menschenverstand als wir Alle," und darauf gegen Gerlach gewandt und das Zimmer verlassend: "Klüger wie Sie ist er immer schon gewesen." Ob der König darin Recht hatte, lasse ich dahingestellt; geistreicher war Gerlach, praktischer Rauch. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 190 Die Entwicklung der Dinge bot keine Gelegenheit, die Berliner Versammlung für die deutsche Sache nutzbar zu machen, während ihre Uebergriffe wuchsen; es reifte daher der Gedanke, sie nach einem andern Orte zu verlegen, um ihre Mitglieder dem Drucke der Einschüchterung zu entziehn, eventuell sie aufzulösen. Damit steigerte sich die Schwierigkeit, ein Ministerium zu Stande zu bringen, welches diese Maßregel durchzuführen übernehmen würde. Schon seit der Eröffnung der Versammlung war es dem Könige nicht leicht geworden, überhaupt Minister zu finden, besonders aber solche, welche auf seine sich nicht immer gleichbleibenden Ansichten gefügig eingingen, und deren furchtlose Festigkeit zugleich die Bürgschaft gewährte, daß sie bei einer entscheidenden Wendung nicht versagen würden. Es sind mir aus dem Frühjahre mehre verfehlte Versuche erinnerlich: Georg von Vincke antwortete auf meine Sondirung, er sei ein Mann der rothen Erde, zu Kritik und Opposition und nicht zu einer Ministerrolle veranlagt. Beckerath wollte die Bildung eines Ministeriums nur übernehmen, wenn die äußerste Rechte sich ihm unbedingt hingebe und ihm den König sicher mache. Männer, welche in der Nationalversammlung Einfluß hatten, wollten sich die Aussicht nicht verderben, künftig, nach Herstellung geordneter Zustände, constitutionelle Majoritätsminister zu werden und zu bleiben. Ich begegnete unter anderm bei Harkort, der als Handelsminister in das Auge gefaßt war, der Meinung, daß die Herstellung der Ordnung durch ein Fachministerium von Beamten und Militärs bewirkt werden müsse, ehe verfassungstreue Minister die Geschäfte übernehmen könnten; später sei man bereit. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 191 Die Abneigung, Minister zu werden, wurde verstärkt durch die Vorstellung, daß persönliche Gefahr damit verbunden sein könne, wie das Vorkommen körperlicher Mißhandlung conservativer Abgeordneter auf der Straße schon gezeigt habe. Nach den Gewöhnungen, welche die Straßenbevölkerung angenommen habe, und (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 193 Als der Graf Brandenburg, gleichgültig gegen solche Besorgnisse, sich bereit erklärt hatte, das Präsidium zu übernehmen, kam es darauf an, ihm geeignete und genehme Collegen zu gewinnen. In einer Liste, welche dem Könige vorgelegt wurde, fand sich auch mein Name; wie mir der General Gerlach erzählte, hatte der König dazu an den Rand geschrieben: "Nur zu gebrauchen, wenn das Bayonett schrankenlos waltet" *). Der Graf Brandenburg selbst sagte mir in Potsdam: "Ich habe die Sache übernommen, habe aber kaum die Zeitungen gelesen, bin mit staatsrechtlichen Fragen unbekannt und kann nichts weiter thun, als meinen Kopf zu Markte tragen. Ich brauche einen ‚Kornak', einen Mann, dem ich traue und der mir sagt, was ich thun kann. Ich gehe in die Sache wie ein Kind in's Dunkel, und weiß Niemanden, als Otto Manteuffel (Director im Ministerium des Innern), der die Vorbildung und zugleich mein persönliches Vertrauen besitzt, der aber noch Bedenken hat. Wenn er will, so gehe ich morgen in die Versammlung; wenn er nicht will, so müssen wir warten und einen Andern finden. Fahren Sie nach Berlin hinüber und bewegen Sie Manteuffel." Dies gelang, nachdem ich von 9 Uhr bis Mitternacht in ihn eingeredet und es übernommen hatte, seine Frau in Potsdam zu benachrichtigen, und die für die persönliche Sicherheit der Minister im Schauspielhause und in dessen Umgebung getroffenen Maßregeln dargelegt hatte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 194 Am 9. November früh Morgens kam der zum Kriegsminister ernannte General v. Strotha zu mir, weil ihn Brandenburg an mich (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 196 [1-51] gewiesen hatte, um sich die Situation klar machen zu lassen. Ich that das nach Möglichkeit und fragte: "Sind Sie bereit?" Er antwortete mit der Gegenfrage: "Welcher Anzug ist bestimmt?" - "Civil," erwiderte ich. - "Das habe ich nicht," sagte er. Ich besorgte ihm einen Lohndiener, und es wurde glücklich noch vor der festgesetzten Stunde ein Anzug aus einer Kleiderhandlung beschafft. Für die Sicherheit der Minister wurden mannigfache Vorsichtsmaßregeln getroffen. Zunächst waren im Schauspielhause selbst außer einer starken Polizeitruppe ungefähr dreißig der besten Schützen des GardeJäger-Bataillons so untergebracht, daß sie auf ein bestimmtes Signal im Saale und auf den Gallerien erscheinen und mit ihren der größten Genauigkeit sichern Schüssen die Minister decken konnten, wenn sie thätlich bedroht wurden. Es ließ sich annehmen, daß auf die ersten Schüsse die Insassen den Saal schnell räumen würden. Entsprechende Vorkehrungen waren an den Fenstern des Schauspielhauses und in verschiedenen Gebäuden am Gensdarmenmarkt getroffen, in der Absicht, den Rückzug der Minister aus dem Schauspielhause gegen etwaige feindliche Angriffe zu decken; man nahm an, daß auch größere etwa dort versammelte Massen sich zerstreuen würden, sobald aus verschiedenen Richtungen Schüsse fielen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 197 Herr von Manteuffel machte noch darauf aufmerksam, daß der Eingang zum Schauspielhause in der dort engen Charlottenstraße nicht gedeckt sei; ich erbot mich, zu bewirken, daß die ihm gegenüber liegende Wohnung des beurlaubten hanöverschen Gesandten, Grafen Kniephausen, von Militär besetzt würde. Ich begab mich noch in der Nacht zu dem Obersten von Griesheim im Kriegsministerium, der mit den militärischen Anordnungen betraut war, stieß aber bei ihm auf Bedenken, ob man eine Gesandschaft zu solchem Zwecke benutzen dürfe. Ich suchte nun den hanöverschen Geschäftsträger, Grafen Platen, auf, der das dem Könige von Hanover gehörige Haus unter den Linden bewohnte. Derselbe war der Ansicht, daß das amtliche Domizil der Gesandschaft zur (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 198 [1-52] Zeit in seiner Wohnung unter den Linden sei, und ermächtigte mich, dem Obersten von Griesheim zu schreiben, daß er die Wohnung "seines abwesenden Freundes", des Grafen Kniephausen, für polizeiliche Zwecke zur Verfügung stelle. Spät zu Bett gegangen, wurde ich um 7 Uhr Morgens durch einen Boten Platens mit der Bitte, ihn zu besuchen, geweckt. Ich fand ihn sehr erregt darüber, daß eine Abtheilung von etwa 100 Mann im Hofe seiner Wohnung, also grade dort, wo er den Sitz der Gesandschaft bezeichnet hatte, aufmarschirt war. Griesheim hatte wahrscheinlich den durch meine Mittheilung veranlaßten Befehl irgend einem Beamten ertheilt, der das Mißverständniß angerichtet hatte. Ich ging zu ihm und erwirkte den Befehl an den Führer der Abtheilung, die Kniephausensche Wohnung zu besetzen, was denn auch geschah, nachdem es schon Tag geworden, während die Besetzung der übrigen gewählten Häuser in der Nacht heimlich erfolgt war. Vielleicht bewirkte grade der zufällige Anschein offner Entschlossenheit, daß der Gensdarmenmarkt, als die Minister sich in das Schauspielhaus begaben, ganz leer war. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 200 [1-53] trat die deutsche Frage mehr in den Vordergrund als vorher, und innerhalb des Ministeriums wurden in dieser Beziehung große Hoffnungen auf den Sachsen von Carlowitz gesetzt, dessen anerkannte Beredsamkeit in deutsch-nationalem Sinne wirken würde. Wie der Graf Brandenburg über die deutsche Sache dachte, darüber habe ich damals von ihm unmittelbare Mittheilungen nicht erhalten. Er gab nur seine Bereitwilligkeit zu erkennen, mit soldatischem Gehorsam zu thun, was der König befehlen würde. Später in Erfurt sprach er sich offner zu mir darüber aus. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 203 Der latente deutsche Gedanke Friedrich Wilhelms IV. trägt mehr als seine Schwäche die Schuld an den Mißerfolgen unsrer Politik nach 1848. Der König hoffte, das Wünschenswerthe würde kommen, ohne daß er seine legitimistischen Traditionen zu verletzen brauchte. Wenn Preußen und der König garkeinen Wunsch nach irgend etwas gehabt hätten, was sie vor 1848 nicht besaßen, sei es auch nur nach einer historischen mention honorable, wie es die Reden von 1840 und 1842 vermuthen ließen; wenn der König keine Ziele und Neigungen gehabt hätte, für deren Verfolgung eine gewisse Popularität nützlich war: was hätte ihn dann abgehalten, nachdem das Ministerium Brandenburg festen Fuß gefaßt, den revolutionären Errungenschaften im Innern Preußens in ähnlicher Weise entgegenzutreten, wie dem badischen Aufstande und dem Widerstande einzelner preußischer Provinzialstädte? Der Verlauf dieser Erhebungen hatte auch denen, die es nicht wußten, gezeigt, daß die militärischen Kräfte zuverlässig waren; in Baden hatte sogar die Landwehr aus Districten, die für unsicher galten, ihre Schuldigkeit nach Kräften gethan. Die Möglichkeit einer militärischen Reaction, die Möglichkeit, wenn man einmal eine Verfassung octroyirte, das zu Grunde gelegte belgische Formular schärfer, als geschehn ist, im monarchischen Sinne zu amendiren, lag ohne Zweifel (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 207 Die Frankfurter Versammlung, in demselben doppelten Irrthum befangen, behandelte die dynastischen Fragen als überwundenen Standpunkt, und mit der theoretischen Energie, welche dem Deutschen eigen ist, auch in Betreff Preußens und Oestreichs. Diejenigen Abgeordneten, welche in Frankfurt über die Stimmung der preußischen Provinzen und der deutsch-östreichischen Länder kundige Auskunft geben konnten, waren zum Theil interessirt bei der Verschweigung der Wahrheit; die Versammlung täuschte sich, ehrlich oder unehrlich, über die Thatsache, daß im Falle eines Widerspruchs zwischen einem Frankfurter Reichstagsbeschluß und einem preußischen Königsbefehl der erstere bei sieben Achtel der preußischen Bevölkerung leichter oder garnicht in's Gewicht fiel. Wer damals in unsern Ostprovinzen gelebt hat, wird heut noch die Erinnerung haben, daß die Frankfurter Verhandlungen bei allen den Elementen, in deren Hand die materielle Macht lag, bei allen denen, welche in Conflictsfällen Waffen zu führen oder zu befehlen hatten, nicht so ernsthaft aufgefaßt wurden, wie es nach der Würde der wissenschaftlichen und parlamentarischen Größen, die dort versammelt waren, hätte erwartet werden können. Und nicht nur in Preußen, sondern auch in den großen Mittelstaaten hätte damals ein monarchischer Befehl, der die Masse der Fäuste dem Fürsten zu Hülfe aufrief, falls er erfolgte, eine ausreichende Wirkung gehabt; nicht überall in dem Maße, wie es in Preußen der Fall war, aber doch in einem Maße, welches überall dem Bedürfniß materieller Polizeigewalt genügt haben würde, wenn die Fürsten den Muth gehabt hätten, Minister anzustellen, die ihre Sache fest und offen vertraten. Es war dies im Sommer 1848 in Preußen nicht der Fall gewesen; sobald aber im November der König sich entschloß, Minister zu ernennen, welche bereit waren, die Kronrechte ohne Rücksicht auf Parlamentsbeschlüsse zu vertreten, war der ganze Spuk (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 208 [1-57] verschwunden und nur noch die Gefahr vorhanden, daß der Rückschlag über das vernünftige Maß hinausgehn werde. In den übrigen norddeutschen Staaten kam es nicht einmal zu solchen Conflicten, wie sie das Ministerium Brandenburg in einzelnen Provinzialstädten zu bekämpfen hatte. Auch in Baiern und Würtemberg erwies sich das Königthum trotz antiköniglicher Minister schließlich stärker als die Revolution. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 211 [1-58] vorstehenden Beurtheilung seiner Person, eher in einer stärkern Empfänglichkeit für das Prestige der Preußischen Krone und ihres Trägers, noch mehr aber in dem instinctiven Mißtrauen gegen die Entwicklung seit den Barrikaden von 1848 und ihren parlamentarischen Consequenzen. Den letztern gegenüber war ich mit meinen politischen Freunden unter dem Eindruck, daß die leitenden Männer in Parlament und Presse das Programm "es muß alles ruinirt werden" zum Theil bewußt, zum größern Theile unbewußt förderten und ausführten, und daß die vorhandenen Minister nicht die Männer waren, welche die Bewegung leiten oder hemmen konnten. Mein Standpunkt dazu unterschied sich damals nicht wesentlich von dem noch heut in Kraft stehenden eines parlamentarischen Fractionsmitgliedes, begründet auf Anhänglichkeit an Freunde und Mißtrauen oder Feindschaft gegen Gegner. Die Ueberzeugung, daß der Gegner in Allem, was er vornimmt, im besten Falle beschränkt, wahrscheinlich aber böswillig und gewissenlos ist, und die Abneigung, mit den eignen Fractionsgenossen zu dissentiren und zu brechen, beherrscht noch heut das Fractionsleben; und damals waren die Ueberzeugungen, auf denen diese dem Staatsleben gefährlichen Erscheinungen beruhn, sehr viel lebhafter und ehrlicher, als sie heut sind. Die Gegner kannten sich damals wenig, sie haben seitdem 40 Jahre lang Gelegenheit gehabt, sich kennen zu lernen, da der Personalbestand der im Vordergrunde stehenden Parteimänner sich nur langsam und wenig zu ändern pflegt. Man hielt sich damals wirklich gegenseitig für entweder dumm oder schlecht, man hatte wirklich die Gefühle und Ueberzeugungen, die man heutzutage behufs Einwirkung auf die Wähler und auf den Monarchen zu haben vorgiebt, weil sie zu dem Programm gehören, auf welches hin man in einer bestimmten Fraction Dienst genommen hat, "eingesprungen" ist, indem man an deren Berechtigung geglaubt und ihren Führern vertraut hat. Das politische Streberthum hat heut mehr Antheil an dem Bestehn und Verhalten der Fractionen als vor 40 Jahren; die Ueberzeugungen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 212 [1-59] waren damals aufrichtiger und ungeschulter, wenn auch die Leidenschaften, der Haß und die gegenseitige Mißgunst der Fractionen und ihrer Führer, die Neigung, die Landesinteressen den Fractionsinteressen zu opfern, heut vielleicht stärker entwickelt sind. En tout cas le diable n'y perd rien. Byzantinismus und verlogene Speculation auf Liebhabereien des Königs wurden wohl in kleinen höhern Kreisen betrieben, aber bei den parlamentarischen Fractionen war der Wettlauf um die Gunst des Hofes noch nicht im Gange; der Glaube an die Macht des Königthums war irrthümlicher Weise meist geringer als der an die eigne Bedeutung; man fürchtete nichts mehr, als für servil oder für ministeriell zu gelten. Die Einen strebten nach eigner Ueberzeugung das Königthum zu stärken und zu stützen, die Andern glaubten, ihr und des Landes Wohl in Bekämpfung und Schwächung des Königs zu finden; es liegt darin ein Beweis, daß, wenn nicht die Macht, doch der Glaube an die Macht des preußischen Königthums damals schwächer war als heut zu Tage. Die Unterschätzung der Macht der Krone erlitt auch durch die Thatsache keine Aenderung, daß der persönliche Wille eines nicht sehr willensstarken Monarchen wie Friedrich Wilhelms IV. hinreichte, der ganzen deutschen Bewegung durch Ablehnung der Kaiserkrone die Spitze abzubrechen, und daß die sporadischen Aufstände, die demnächst für die Durchführung nationaler Wünsche ausbrachen, von der Königlichen Gewalt mit Leichtigkeit unterdrückt wurden. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 221 Den militärischen Vorgängen stand ich damals weniger nahe als später, glaube aber nicht zu irren, wenn ich annehme, daß für die Truppenbewegungen zur Unterdrückung der Aufstände in der Pfalz und in Baden mehr Cadres und Stämme verwendet wurden als rathsam und als erforderlich gewesen wäre, wenn man feldmäßig mobile Truppen hätte marschiren lassen. Thatsache ist, daß mir der Kriegsminister zur Zeit der Olmützer Begegnung als einen der zwingenden Gründe für den Frieden oder doch Aufschub des Krieges die Unmöglichkeit angab, den großen Theil der Armee rechtzeitig oder überhaupt zu mobilisiren, dessen Stämme sich in Baden oder sonst außerhalb ihrer Stand- und Mobilmachungs-Bezirke (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 222 [1-63] unvollzählig befanden. Wenn wir im Frühjahr 1849 die Möglichkeit einer kriegerischen Lösung im Auge behalten und unsre Mobilmachungsfähigkeit durch Verwendung keiner andern als kriegsbereiter Truppen intact erhalten hätten, so wäre die militärische Kraft, über welche Friedrich Wilhelm IV. verfügte, ausreichend gewesen, nicht nur jede aufständische Bewegung in und außer Preußen niederzuschlagen, sondern die aufgestellten Streitkräfte hätten zugleich das Mittel gewährt, uns 1850 auf die Lösung der damaligen Hauptfragen in unverdächtiger Weise vorzubereiten, falls sie sich zu einer militärischen Machtfrage zuspitzten. Es fehlte dem geistreichen Könige nicht an politischer Voraussicht, aber an Entschluß, und sein im Prinzip starker Glaube an die eigne Machtvollkommenheit hielt in concreten Fällen wohl gegen politische Rathgeber Stand, aber nicht gegen finanzministerielle Bedenken. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 225 Ich lasse unentschieden, ob an der Halbheit und Schüchternheit der damals den ernsten Gefahren gegenüber ergriffenen Maßregeln nur finanzielle Minister-Aengstlichkeiten oder dynastische Gewissensbedenken und Unentschlossenheit an höchster Stelle Schuld waren, oder ob in amtlichen Kreisen eine ähnliche Sorge mitwirkte wie die, welche in den Märztagen bei Bodelschwingh und Andern die richtige Lösung verhinderte, nämlich die Befürchtung, daß der König in dem Maße, in dem er sich wieder mächtig und sorgenfrei fühlen würde, auch eine absolutistische Richtung einschlagen könnte. Ich erinnere mich, diese Besorgniß bei höhern Beamten und in liberalen Hofkreisen wahrgenommen zu haben. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 229 2) Der König hält seine Minister und auch mich für Rindvieh, schon darum, weil jene mit ihm currente und praktische Geschäfte abmachen müssen, welche nie seinen Ideen entsprechen. Er traut sich nicht die Fähigkeit zu, diese Minister sich folgsam zu machen, auch nicht die, andre zu finden, er giebt also diesen Weg auf und glaubt, in Radowitz einen gefunden zu haben, von Deutschland aus Preußen zu restauriren, wie das Radowitz in ,Deutschland und Friedrich Wilhelm IV.' geradezu eingesteht." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 231 [1-66] nach den vertraulichen Mittheilungen, die mir der Kriegsminister im November desselben Jahres machte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 238 Im November 1850 wurde ich gleichzeitig als LandwehrOffizier zu meinem Regimente und als Abgeordneter zu der bevorstehenden Kammersession einberufen 2). Auf dem Wege über Berlin zu dem Marschquartier des Regiments meldete ich mich bei dem Kriegsminister von Stockhausen, der mir persönlich befreundet und für kleine persönliche Dienste dankbar war. Nachdem ich den Widerstand des alten Portiers überwunden und vorgelassen war, gab ich meiner durch die Einberufung und den Ton der Oestreicher etwas erregten kriegerischen Stimmung Ausdruck. Der Minister, ein alter, schneidiger Soldat, dessen moralischer und physischer Tapferkeit ich sicher war, sagte mir in der Hauptsache Folgendes: (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 246 Die Erwägungen eines sachkundigen und ehrliebenden Generals, wie Stockhausen, konnte ich einer Kritik nicht unterziehn und vermag das auch heut noch nicht. Die Schuld an unsrer militärischen Gebundenheit, die er mir schilderte, lag nicht an ihm, sondern an der Planlosigkeit, mit der unsre Politik auf militärischem Gebiete sowohl wie auf diplomatischem in und seit den Märztagen mit einer Mischung von Leichtfertigkeit und Knauserei geleitet worden war. Auf militärischem namentlich war sie von der Art, daß man nach den getroffenen Maßregeln voraussetzen muß, daß eine kriegerische oder auch nur militärische Lösung der schwebenden Fragen in letzter Instanz in Berlin überhaupt nicht in Erwägung gezogen wurde. Man war zu sehr mit öffentlicher Meinung, Reden, Zeitungen und Verfassungsmacherei präoccupirt, um auf dem Gebiete der auswärtigen, selbst nur der außerpreußischen deutschen Politik zu festen Absichten und praktischen Zielen gelangen zu können. Stockhausen war nicht im Stande, die Unterlassungssünden und die Planlosigkeit unsrer Politik durch plötzliche militärische Leistungen wieder gut zu machen, und gerieth so in eine Situation, die selbst der politische Leiter des Ministeriums, Graf Brandenburg, nicht für möglich gehalten hatte. Denn derselbe erlag der Enttäuschung, welche sein hohes patriotisches Ehrgefühl in den letzten Tagen seines Lebens erlitten hatte 1). Es ist Unrecht, Stockhausen der Kleinmüthigkeit anzuklagen, und ich habe Grund zu glauben, daß auch König Wilhelm I. zu der Zeit, da ich sein Minister wurde, meine Auffassung bezüglich der militärischen Situation im November 1850 theilte. Wie dem auch sei, nur fehlte damals jede Unterlage zu einer Kritik, die ich als conservativer Abgeordneter einem Minister auf militärischem Gebiete, als Landwehr-Lieutenant dem General gegenüber hätte ausüben können. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 248 [1-71] Stockhausen übernahm es, mein in der Lausitz liegendes Regiment zu benachrichtigen, daß er dem Lieutenant von Bismarck befohlen habe, in Berlin zu bleiben. Ich begab mich zunächst zu meinem Landtagscollegen Justizrath Geppert, der damals an der Spitze zwar nicht meiner Fraction, aber doch derjenigen Zahlreichen stand, welche man das rechte Centrum hätte nennen können, und die zur Unterstützung der Regirung geneigt waren, aber die energische Wahrnehmung der nationalen Aufgabe Preußens nicht nur prinzipiell, sondern auch durch sofortige militärische Bethätigung für angezeigt hielten. Ich stieß bei ihm in erster Linie auf parlamentarische Ansichten, die mit dem Programme des Kriegsministers nicht übereinstimmten, mußte mich also bemühn, ihn von einer Auffassung abzubringen, die ich selbst vor meiner Unterredung mit Stockhausen in der Hauptsache getheilt hatte, und die man als natürliches Erzeugniß eines verletzten nationalen oder preußischmilitärischen Ehrgefühls bezeichnen kann. Ich erinnere mich, daß unsre Besprechungen von langer Dauer waren und wiederholt werden mußten. Ihre Wirkung auf die Fractionen der Rechten läßt sich aus der Adreßdebatte entnehmen. Ich selbst habe am 3. December meine damalige Ueberzeugung in einer Rede ausgesprochen, der die nachstehenden Sätze entnommen sind 1): (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 252 [1-72] Regirung auslaufen. Ein kurzer Aufenthalt in Berlin, ein flüchtiger Blick in das hiesige Treiben hat mir gezeigt, daß ich mich geirrt habe. Der Adreßentwurf nennt diese Zeit eine große; ich habe hier nichts Großes gefunden als persönliche Ehrsucht, nichts Großes als Mißtrauen, nichts Großes als Parteihaß. Das sind drei Größen, die in meinem Urtheile diese Zeit zu einer kleinlichen stempeln und dem Vaterlandsfreunde einen trüben Blick in unsre Zukunft gewähren. Der Mangel an Einigkeit in den Kreisen, die ich andeutete, wird in dem Adreßentwurfe locker verdeckt durch große Worte, bei denen sich Jeder das Seine denkt. Von dem Vertrauen, das das Land beseelt, von dem hingebenden Vertrauen, gegründet auf die Anhänglichkeit an Seine Majestät den König, gegründet auf die Erfahrung, daß das Land mit dem Ministerium, welches ihm zwei Jahre lang vorsteht, gut gefahren ist, habe ich in der Adresse und in ihren Amendements nichts gespürt. Ich hätte dies um so nöthiger gefunden, als es mir Bedürfniß schien, daß der Eindruck, den die einmüthige Erhebung des Landes in Europa gemacht hat, gehoben und gekräftigt werde durch die Einheit derer, die nicht der Wehrkraft angehören, in dem Augenblicke, wo uns unsre Nachbarn in Waffen gegenüberstehn, wo wir in Waffen nach unsern Grenzen eilen, in einem Augenblicke, wo ein Geist des Vertrauens selbst in solchen herrscht, denen er sonst nicht angebracht schien; in einem Augenblicke, wo jede Frage der Adresse, welche die auswärtige Politik berührt, Krieg oder Frieden in ihrem Schoße birgt; und, meine Herrn, welchen Krieg? Keinen Feldzug einzelner Regimenter nach Schleswig oder Baden, keine militärische Promenade durch unruhige Provinzen, sondern einen Krieg in großem Maßstabe gegen zwei unter den drei großen Continentalmächten, während die dritte beutelustig an unsern Grenzen rüstet und sehr wohl weiß, daß im Dome zu Köln das Kleinod zu finden ist, welches geeignet wäre, die französische Revolution zu schließen und die dortigen Machthaber zu befestigen, nämlich die französische Kaiserkrone. ... (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 255 Die Hauptfrage, die Krieg und Frieden birgt, die Gestaltung Deutschlands, die Regelung der Verhältnisse zwischen Preußen und Oestreich und der Verhältnisse von Preußen und Oestreich zu den kleinern Staaten, soll in wenigen Tagen der Gegenstand der freien Conferenzen werden, kann also jetzt nicht Gegenstand eines Krieges sein. Wer den Krieg durchaus will, den vertröste ich darauf, daß er in den freien Conferenzen jederzeit zu finden ist: in vier oder sechs Wochen, wenn man ihn haben will. Ich bin weit davon entfernt, in einem so wichtigen Augenblicke, wie dieser ist, die Handlungsweise der Regirung durch Rathgeben hemmen zu wollen. Wenn ich dem Ministerium gegenüber einen Wunsch aussprechen wollte, so wäre es der, daß wir nicht eher (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 258 Mein leitender Gedanke bei meiner Rede war, im Sinne der Ueberzeugung des Kriegsministers für den Aufschub des Krieges zu wirken, bis wir gerüstet sein würden. In seiner Klarheit konnte ich aber den Gedanken nicht öffentlich aussprechen, ich konnte ihn nur andeuten. Es wäre kein übermäßiger Anspruch an Geschicklichkeit unsrer Diplomatie gewesen, von ihr zu verlangen, daß sie den Krieg nach Bedürfniß verschieben, verhüten oder zum Ausbruch bringen solle. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 262 Mit den Mitteln und Gewohnheiten des auswärtigen Dienstes noch nicht so vertraut wie später, war ich doch als Laie nicht zweifelhaft, daß der Krieg, wenn er für uns überhaupt geboten oder annehmbar erschien, auch nach Olmütz in den Dresdner Verhandlungen jederzeit gefunden und durch Abbruch derselben herbeigeführt werden konnte. Stockhausen hatte mir gelegentlich sechs Wochen als die Frist bezeichnet, deren er bedürfte, um fechten zu können, und es wäre nach meiner Ansicht nicht schwer gewesen, das Doppelte derselben durch geschickte Leitung der Verhandlungen in Dresden zu gewinnen, wenn bei uns die momentane Unfertigkeit der militärischen Rüstungen der einzige Grund gewesen wäre, uns eine kriegerische Lösung zu versagen. Wenn die Dresdner Verhandlungen nicht dazu benutzt worden sind, im preußischen Sinne entweder ein höheres Resultat oder einen berechtigt erscheinenden Anlaß zum Kriege zu gewinnen, so ist mir niemals klar geworden, ob die auffällige Beschränkung unsrer Ziele in Dresden von dem Könige oder von Herrn von Manteuffel, dem neuen auswärtigen Minister, ausgegangen ist. Ich habe damals nur den Eindruck gehabt, daß letztrer nach seinem Vorleben als Landrath, RegirungsPräsident und Director im Ministerium des Innern sich in der Sicherheit seines Auftretens durch die renommirenden vornehmen Verkehrsformen des Fürsten Schwarzenberg genirt fühlte. Schon die häusliche Erscheinung Beider in Dresden - Fürst Schwarzenberg mit Livreen, Silbergeschirr und Champagner im ersten Stock, der preußische Minister mit Kanzleidienern und Wassergläsern eine Treppe höher - war geeignet, auf das Selbstgefühl der betheiligten Vertreter beider Großmächte und auf ihre Einschätzung durch die übrigen deutschen Vertreter nachtheilig für uns zu wirken. Die alte preußische Einfachheit, die Friedrich der Große seinem Vertreter in London mit der Redensart empfahl: "Sage Er, wenn Er zu Fuß geht, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 266 Nachdem die preußische Regirung sich entschlossen hatte, den von Oestreich reactivirten Bundestag zu beschicken und dadurch vollzählig zu machen, wurde der General von Rochow, der in Petersburg accreditirt war und blieb, provisorisch zum BundestagsGesandten ernannt. Gleichzeitig wurden zwei Legationsräthe für die Gesandschaft auf den Etat gebracht, ich selbst und Herr von Gruner. Mir wurde durch Se. Majestät und den Minister von Manteuffel vor meiner Ernennung zum Legationsrath die demnächstige Ernennung zum Bundestags-Gesandten in Aussicht gestellt. Rochow sollte mich einführen und anlernen, konnte aber selbst nicht geschäftsmäßig arbeiten und benutzte mich als Redacteur, ohne mich politisch au fait zu halten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 267 Das meiner Ernennung vorhergehende Gespräch mit dem Könige, kurz gegeben in einem Briefe meines verstorbenen Freundes J. L. Motley an seine Frau 1), verlief folgendermaßen. Nachdem ich auf die plötzliche Frage des Ministers Manteuffel, ob ich die Stelle eines Bundesgesandten annehmen wolle, einfach mit Ja geantwortet hatte, ließ der König mich zu sich bescheiden und sagte: "Sie haben viel Muth, daß Sie so ohne Weitres ein Ihnen fremdes Amt übernehmen." Ich erwiderte: "Der Muth ist ganz auf Seiten Eurer Majestät, wenn Sie mir eine solche Stellung anvertrauen, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 270 Am 11. Mai 1851 traf ich in Frankfurt ein. Herr von Rochow mit weniger Ehrgeiz als Liebe zum Behagen, des Klimas und des anstrengenden Hoflebens in Petersburg müde, hätte lieber den Frankfurter Posten, in dem er alle seine Wünsche befriedigt fand, dauernd behalten, arbeitete in Berlin dafür, daß ich zum Gesandten in Darmstadt mit gleichzeitiger Accreditirung bei dem Herzog von Nassau und der Stadt Frankfurt ernannt werde, und wäre vielleicht auch nicht abgeneigt gewesen, mir den Petersburger Posten im Tausch zu überlassen. Er liebte das Leben am Rhein und den Verkehr mit den deutschen Höfen. Seine Bemühungen hatten indessen keinen Erfolg. Unter dem 11. Juli schrieb mir Herr von Manteuffel, daß der König meine Ernennung zum Bundestagsgesandten genehmigt habe. "Es versteht sich dabei von selbst," schrieb der Minister, "daß man Herrn von Rochow nicht brusquement wegschicken kann; ich beabsichtige daher, ihm heut noch einige Worte darüber zu schreiben, und glaube Ihres Einverständnisses gewiß zu sein, wenn ich in dieser Sache mit aller Rücksicht auf Herrn von Rochow's Wünsche verfahre, dem ich es in der That nur Dank wissen kann, daß er die schwierige und undankbare Mission angenommen hat im Gegensatz zu manchen andern Leuten, die immer mit der Kritik bei der Hand sind, wenn es aber auf das Handeln ankommt, sich zurückziehn. Daß ich Sie damit nicht meine, brauche ich nicht zu versichern, denn Sie sind ja auch mit uns in die Bresche getreten und werden sie, so denke ich, auch allein vertheidigen." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 272 Ich fand in Frankfurt zwei preußische Commissarien aus der Zeit des Interim, den Oberpräsidenten von Boetticher, dessen Sohn später als Staatssekretär und Minister mein Beistand sein sollte, und den General von Peucker, der mir Gelegenheit zu meinen ersten Studien über das Ordenswesen gab. Er war ein gescheidter, tapferer Offizier von hoher wissenschaftlicher Bildung, die er später als Generalinspecteur des Militär-Erziehungs- und Bildungswesens verwerthen konnte. Im Jahre 1812 in dem York'schen Corps dienend, hatte er durch Diebstahl seinen Mantel eingebüßt, den Rückzug in der knappen Uniform machen müssen, sich die Zehen erfroren und durch die Kälte anderweitige Schäden erlitten. Trotz seiner äußerlichen Unschönheit gewann dieser kluge und tapfere Offizier die Hand einer hübschen Gräfin Schulenburg, durch welche später das reiche Erbe des Hauses Schenck von Flechtingen in der Altmark an seinen Sohn gelangte. In merkwürdigem Contrast mit seiner geistigen Bedeutung stand seine Schwäche für Aeußerlichkeiten, die den Berliner Jargon um einen Ausdruck bereicherte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 279 [1-83] Marquis de Tallenay, und ich fand mich leicht in diese Gewohnheit, obschon es mir am Bunde nicht an Zeit zum Gehn und Reiten fehlte. Auch in Berlin, als ich Minister geworden war, versagte ich mich nicht, wenn ich von befreundeten Damen aufgefordert oder von Prinzessinnen zu einem Tanze befohlen wurde, bekam aber stets sarkastische Bemerkungen des Königs darüber zu hören, der mir zum Beispiel sagte: "Man macht es mir zum Vorwurf, einen leichtsinnigen Minister gewählt zu haben. Sie sollten den Eindruck nicht dadurch verstärken, daß Sie tanzen." Den Prinzessinnen wurde dann untersagt, mich zum Tänzer zu wählen. Auch die andauernde Tanzfähigkeit des Herrn von Keudell hat mir, wenn es sich um seine Beförderung handelte, bei Seiner Majestät Schwierigkeit gemacht. Es entsprach das der bescheidenen Natur des Kaisers, der seine Würde auch durch Vermeiden unnöthiger Aeußerlichkeiten, welche die Kritik herausfordern könnten, zu wahren gewöhnt war. Ein tanzender Staatsmann fand in seinen Vorstellungen nur in fürstlichen Ehrenquadrillen Platz; im raschen Walzer verlor er bei ihm an Vertrauen auf die Weisheit seiner Rathschläge. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 283 [1-85] gehabt hat, und er hat diese Dinge und das Treiben daselbst mit scharfem und richtigem Blick betrachtet. Ich habe ihm befohlen, jede darauf gerichtete Frage Ew. Majestät und Ihrer Minister so zu beantworten, als hätte ich sie selbst an ihn gerichtet. Sollte es Ew. Majestät gefallen, von ihm Aufklärung über meine Auffassung und meine Behandlung der Zollvereins-Angelegenheit zu verlangen, so lebe ich der Gewißheit, daß mein Betragen in diesen Dingen, wenn auch vielleicht nicht das Glück Ihres Beifalls, doch sicher Ihrer Achtung erringen wird. Die Anwesenheit des theuren herrlichen Kaisers Nicolaus ist mir eine wahre Herzstärkung gewesen. Die gewisse Bestätigung meiner alten und starken Hoffnung, daß Ew. Majestät und ich vollkommen einig in der Wahrheit sind: daß unsre dreifache, unerschütterliche, gläubige und thatkräftige Eintracht allein Europa und das unartige und doch so geliebte Teutsche Vaterland aus der jetzigen Krise retten könne, erfüllt mich mit Dank gegen Gott und steigert meine alte treue Liebe zu Ew. Majestät. Bewahren auch Sie, mein theuerster Freund, mir Ihre Liebe aus den fabelhaften Tagen von Tegernsee, und stärken Sie Ihr Vertrauen und Ihre so wichtige und so mächtige, dem gemeinsamen Vaterlande so unentbehrliche Freundschaft zu mir! Dieser Freundschaft empfehle ich mich aus der Tiefe meines Herzens, allertheuerster Freund, als Ew. Kaiserlichen Majestät treu und innigst ergebenster Onkel, Bruder und Freund." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 284 Ich fand in Wien das "einsylbige" Ministerium Buol, Bach, Bruck ?c., keine Preußenfreunde, aber liebenswürdig für mich, in dem Glauben an meine Empfänglichkeit für hohes Wohlwollen und meine Gegenleistung dafür auf geschäftlichem Gebiete. Ich wurde äußerlich ehrenvoller, als ich erwarten konnte, aufgenommen; aber geschäftlich, d. h. bezüglich der Zollsachen, blieb meine Mission erfolglos. Oestreich hatte schon damals die Zolleinigung mit uns im Auge, und ich hielt es weder damals noch später für rathsam, diesem Streben entgegenzukommen. Zu den nothwendigen Unterlagen einer Zollgemeinschaft gehört ein gewisser Grad (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 286 Unser einziger Legationssekretär in Wien empfing mich mit Verstimmung darüber, daß er nicht Geschäftsträger wurde, und suchte in Berlin Urlaub nach. Derselbe wurde von dem Minister verweigert, von mir aber demnächst bewilligt. So kam es, daß ich mich auf den mir von früher her befreundeten hanöverschen Gesandten Graf Adolf Platen behufs der Vorstellung bei den Ministern und der Einführung in die diplomatische Gesellschaft angewiesen fand. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 287 In vertraulichem Gespräch fragte er mich gelegentlich, ob auch ich glaubte, daß ich zu Manteuffel's Nachfolger bestimmt sei. Ich erwiderte, das läge einstweilen nicht in meinen Wünschen. Ich glaubte allerdings, daß der König mich in spätrer Zeit einmal zu seinem Minister zu machen gedenke und mich dazu erziehn wolle, in dieser Absicht auch mir die mission extraordinaire nach Oestreich übertragen habe. Mein Wunsch aber wäre, noch etwa zehn Jahre lang in Frankfurt oder an verschiednen Höfen als Gesandter die Welt zu sehn und dann gern etwa zehn Jahre lang, womöglich mit Ruhm, Minister zu sein, dann auf dem Lande über das Erlebte nachzudenken und wie mein alter Onkel (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 292 Auch die Ministerstellung lag damals außerhalb meiner Wünsche. Ich war überzeugt, daß ich dem Könige gegenüber als Minister eine für mich haltbare Stellung nicht erlangen würde. Er sah in mir ein Ei, was er selbst gelegt hatte und ausbrütete, und würde bei Meinungsverschiedenheiten immer die Vorstellung gehabt haben, daß das Ei klüger sein wolle als die Henne. Daß die Ziele der preußischen auswärtigen Politik, welche mir vorschwebten, sich mit denen des Königs nicht vollständig deckten, war mir klar, ebenso die Schwierigkeit, welche ein verantwortlicher Minister dieses Herrn zu überwinden hatte bei dessen selbstherrlichen Anwandlungen mit oft jähem Wechsel der Ansichten, bei der Unregelmäßigkeit in Geschäften und bei der Zugänglichkeit für unberufene Hintertreppen-Einflüsse von politischen Intriganten, wie sie von den Adepten unsrer Kurfürsten bis auf neuere Zeiten in dem regirenden Hause, sogar bei dem strengen und hausbacknen Friedrich Wilhelm I. Zutritt gefunden haben - pharmacopolae, balatrones, hoc genus omne 1). Die Schwierigkeit, gleichzeitig gehorsamer und verantwortlicher Minister zu sein, war damals größer als unter Wilhelm I. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 293 Im September 1853 wurde mir in Hanover die Aussicht, Minister zu werden, eröffnet. Nach Beendigung meiner Badekur in Norderney wurde ich von dem eben aus dem Ministerium Schele (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 295 [1-89] bei Georg V. ausgetretenen Minister Bacmeister sondirt, ob ich Minister des Königs Georg werden wolle. Ich sprach mich dahin aus, daß ich in der auswärtigen Politik Hanover nur dienen könne, wenn der König vollständig Hand in Hand mit Preußen gehn wolle; ich könnte mein Preußenthum nicht ausziehn wie einen Rock. Auf dem Wege zu den Meinigen nach Villeneuve am Genfer See, den ich von Norderney über Hanover nahm, hatte ich mehre Conferenzen mit dem Könige. Eine derselben fand statt in einem, zwischen seinem Schlafzimmer und dem der Königin gelegnen Cabinet im Erdgeschoß des Schlosses. Der König wollte, daß die Thatsache unsrer Besprechung nicht bekannt werde, hatte mich aber um fünf Uhr zur Tafel befohlen. Er kam auf die Frage, ob ich sein Minister werden wolle, nicht zurück, sondern verlangte nur von mir als Sachkundigem in bundestäglichen Geschäften einen Vortrag über die Art und Weise, wie die Verfassung von 1848 mit Hülfe von Bundesbeschlüssen revidirt werden könne. Nachdem ich meine Ansicht entwickelt hatte, verlangte er eine schriftliche Redaction derselben und zwar auf der Stelle. Ich schrieb also in der ungeduldigen Nachbarschaft des an demselben Tische sitzenden Königs die Hauptzüge des Operationsplans nieder unter den erschwerenden Umständen, die ein selten gebrauchtes Schreibzeug bereitete: Tinte dick, Feder schlecht, Papier rauh, Löschblatt nicht vorhanden; die von mir gelieferte vier Seiten lange Staatsschrift mit ihren Tintenflecken war nicht als ein kanzleimäßiges Mundum anzusehn. Der König schrieb überhaupt nur seine Unterschrift, und auch diese schwerlich in dem Gemach, in welchem er des Geheimnisses wegen mich empfangen hatte. Das Geheimniß wurde freilich dadurch durchbrochen, daß es darüber sechs Uhr geworden war und der auf fünf befohlenen Tischgesellschaft die Ursache der Verspätung nicht entgehn konnte. Als die hinter dem Könige stehende Uhr schlug, sprang er auf und ging wortlos und mit einer bei seiner Blindheit überraschenden Schnelligkeit und Sicherheit durch das mit Möbeln besetzte Gemach in das benachbarte Schlaf- oder Ankleidezimmer. Ich blieb allein, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 297 Am Abende, ich weiß nicht, ob desselben oder des folgenden Tages, hatte ich wieder eine lange Audienz ohne Zeugen. Während derselben nahm ich mit Erstaunen wahr, wie nachlässig der blinde Herr bedient war. Die ganze Beleuchtung den großen Zimmers bestand in einem Doppelleuchter mit zwei Wachskerzen, an denen schwere, metallene Lichtschirme angeklemmt waren. Der eine fiel in Folge Niederbrennens der Kerze mit einem Geräusch, wie der Schlag auf ein Gong, zu Boden; es erschien aber Niemand, befand sich auch Niemand im Nebenzimmer, und ich mußte mir von dem hohen Herrn die Stelle der Klingel bezeichnen lassen, die ich zu ziehn hatte. Diese Verlassenheit den Königs war mir um so auffälliger, als der Tisch, an dem wir saßen, mit allen möglichen amtlichen oder privaten Papieren so bedeckt war, daß einzelne bei Bewegungen des Königs herunterfielen und von mir aufgehoben werden mußten. Nicht weniger auffällig war es, daß der blinde Herr mit einem fremden Diplomaten, wie ich, ohne jede ministerielle Kenntnißnahme Stunden lang verhandelte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 299 [1-91] befreundeten Minister von Schele erwähnte, gab dieser lachend sein Erstaunen zu erkennen: "Er hätte den Mann nach seiner Thätigkeit für einen östreichischen Agenten gehalten." Ich telegraphirte chiffrirt an den Minister von Manteuffel und rieth, das Gepäck des Spiegelthal, der in den nächsten Tagen nach Berlin zurückreisen wollte, bei der Zollrevision an der Grenze untersuchen und seine Papiere in Beschlag nehmen zu lassen. Meine Erwartung, in den folgenden Tagen davon zu lesen oder zu hören, erfüllte sich nicht. Während ich die letzten Octobertage in Berlin und Potsdam zubrachte, erzählte der General von Gerlach mir u. A.: "Manteuffel habe zuweilen ganz sonderbare Einfälle; so habe er vor Kurzem verlangt, daß der Consul Spiegelthal zur königlichen Tafel gezogen werde, und unter Stellung der Cabinetsfrage sein Verlangen durchgesetzt." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 304 Die später nach Bethmann-Hollweg benannte Partei, richtiger Coterie, stützte sich ursprünglich auf den Grafen Robert von der Goltz, einen Mann von ungewöhnlicher Befähigung und Thätigkeit. Herr von Manteuffel hatte das Ungeschick gehabt, diese strebsame Capacität schlecht zu behandeln; der dadurch stellungslos gewordene Graf wurde der Impresario für die Truppe, welche zuerst als höfische Fraction und später als Ministerium des Regenten auf der Bühne erschien. Sie begann in der Presse, besonders durch das von ihr gegründete "Preußische Wochenblatt", und durch persönliche Werbungen in politischen und Hofkreisen sich Geltung zu schaffen. Die "Finanzirung", wie die Börse sich ausdrückt, wurde durch die großen Vermögen Bethmann-Hollweg's und der Grafen Fürstenberg-Stammheim und Albert Pourtalès, und die politische Aufgabe, als deren Ziel zunächst der Sturz Manteuffel's gestellt war, von den geschickten Händen der Grafen Goltz und Pourtalès besorgt. Beide schrieben ein elegantes Französisch in geschickter Diction, während Herr von Manteuffel in der Herstellung diplomatischer Aktenstücke hauptsächlich auf die hausbackne Tradition seiner Beamten von der französischen Kolonie in Berlin angewiesen war. Auch Graf Pourtalès war von dem Ministerpräsidenten im Dienste verstimmt und von dem Könige als Rival Manteuffel's ermuthigt worden. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 305 Goltz wollte ohne Zweifel, wenn nicht der unmittelbare Nachfolger Manteuffel's, doch früher oder später Minister werden. Er hatte auch das Zeug dazu, viel mehr als Harry von Arnim, weil er weniger Eitelkeit und mehr Patriotismus und Charakter besaß; freilich auch mehr Zorn und Galle, die sich vermöge der ihm innewohnenden Energie als Subtrahenda von seiner praktischen Leistung (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 307 Auch Rudolf von Auerswald hatte sich der Fraction zurückhaltend angeschlossen, kam aber im Juni 1854 zu mir nach Frankfurt, um mir zu sagen, daß er seinen Feldzug der letzten Jahre für verloren halte, sich herauszuziehn wünsche und, wenn er den Gesandten-Posten in Brasilien erhielte, versprechen wolle, sich um innere Politik nicht mehr zu kümmern 2). Obwohl ich Manteuffel empfahl, in seinem Interesse darauf einzugehn und einen so feinen Kopf, erfahrnen und achtbaren Mann und Freund des Prinzen von Preußen auf diese ehrliche Weise zu neutralisiren, so war sein und des Generals von Gerlach Mißtrauen oder Abneigung gegen Auerswald doch so stark, daß der Minister seine Ernennung ablehnte. Manteuffel und Gerlach waren überhaupt, obschon nicht untereinander, doch gegen die Partei Bethmann-Hollweg einig. Auerswald blieb im Lande und einer der Hauptträger der Beziehungen zwischen diesen anti-Manteuffel'schen Elementen und dem Prinzen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 313 Im Sommer 1853 schien es, daß Goltz sich seinem Ziele nähern, zwar nicht Manteuffel verdrängen, aber doch Minister werden werde. Der General Gerlach schrieb mir am 6. Juli: (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 314 "Von Manteuffel hörte ich, daß Goltz ihm erklärt hat, nur dann in das Ministerium eintreten zu können, wenn die Umgebung des Königs geändert, d. h. ich fortgeschickt würde. Ich glaube übrigens, ja ich könnte sagen, ich weiß es, daß Manteuffel Goltz als Rath in das Auswärtige Ministerium hat haben wollen, um gegen andre Personen dort, wie Le Coq (wohl eher gegen Gerlach (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 315 [1-96] und dessen Freunde am Hofe) u. s. w. ein Gegengewicht zu haben, was nun, Gott sei Dank, durch Goltzens Trotz vereitelt ist. - Ich denke mir, daß ein Plan im Werke ist - ob in allen zum Mithandeln bestimmten Personen bewußt oder unbewußt, halb oder ganz, lasse ich dahingestellt sein - ein Ministerium unter den Auspicien des Prinzen von Preußen zu formiren, in dem - nach Entfernung von Raumer, Westphalen, Bodelschwingh - Manteuffel als Präses, Ladenberg als Cultus, Goltz als Auswärtiger functioniren soll und welches sich die Kammermajorität verschafft, was ich nicht für sehr schwierig halte. Damit sitzt der arme König zwischen der Kammermajorität und seinem Nachfolger und kann sich nicht rühren. Alles was Westphalen und Raumer zu Stande gebracht, und sie sind die einzigen Menschen, die etwas gethan, würde wieder verloren gehn, von den übrigen Folgen zu schweigen. Manteuffel als doppelter Novembermann wäre wie schon jetzt inévitable." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 316 Der Gegensatz der verschiedenen Elemente, welche die Entschließungen des Königs zu bestimmen suchten, steigerte sich, der Angriff der Bethmann-Hollweg'schen Fraction auf Manteuffel belebte sich während des Krimkrieges. Der Ministerpräsident hat seine Abneigung gegen den Bruch mit Oestreich und gegen eine Politik, wie sie nach den böhmischen Schlachtfeldern führte, am nachdrücklichsten in allen für unsre Freundschaft mit Oestreich kritischen Momenten bethätigt. In der Zeit des Fürsten Schwarzenberg, demnächst des Krimkrieges und der Ausbeutung Preußens für die östreichische Orientpolitik erinnerte unser Verhältniß zu Oestreich an das zwischen Leporello und Don Juan. In Frankfurt, wo zur Zeit des Krimkriegs die übrigen Bundesstaaten außer Oestreich versuchsweise verlangten, daß Preußen sie der östreichisch-westmächtlichen Vergewaltigung gegenüber vertrete, konnte ich als Träger der preußischen Politik mich einer Beschämung und Erbitterung nicht erwehren, wenn ich sah, wie wir gegenüber den nicht einmal in höflichen Formen vorgebrachten Zumuthungen Oestreichs jede eigne Politik und jede selbständige Ansicht opferten, von (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 334 [1-101] accompli, und man muß jetzt wie nach einer verlorenen Schlacht die zerstreuten Kräfte sammeln, um dem Gegner sich wieder entgegen stellen zu können, und da ist denn das Nächste, daß in dem Vertrage alles auf gegenseitiges Einverständniß gestellt ist. Aber eben deshalb wird die nächste und auch sehr üble Folge sein, daß wir, sobald wir die uns richtig scheinende Auslegung geltend machen, der Doppelzüngigkeit und Wortbrüchigkeit angeklagt werden. Dagegen müssen wir uns zunächst dickfellig machen, dann aber dergleichen zuvorkommen, indem wir unsre Auslegung des Vertrages sofort aussprechen, sowohl in Wien als in Frankfurt, noch bevor eine Collision eingetreten ist. Denn die Dinge stehen so, daß noch immer einem kräftigen, muthigen auswärtigen Minister die Hände nicht gebunden sind. Wir machen alle Schritte in Petersburg selbstständig, können also in der Consequenz bleiben und können stets noch die Einigung erlangen und bei derselben Reciprocität und Alles, was in dem Vertrage fehlt, geltend machen. Budberg habe ich nach Kräften zu beschwichtigen gesucht; Niebuhr ist sehr thätig und eifrig auf diesem Felde und hat sich wie immer geschickt und vortrefflich benommen. Was hilft aber diese Flickerei, die zuletzt doch eine undankbare Arbeit ist. Es liegt in der Natur des Menschen, also auch unsres Herrn, daß wenn er mit einem Diener einen Bock oder vielmehr eine Ricke geschossen hat, er diesen zunächst hält und die besonnenen und treuen Freunde schlecht behandelt. In der Lage bin ich jetzt, und sie ist wahrlich nicht beneidenswerth 1). ... (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 364 [1-107] Princip, denn ich halte mich an die heilige Schrift, daß man nicht Böses thun darf, daß Gutes daraus werde, weil derer, die das thun, Verdammniß ganz recht ist. Mit Bonaparte und dem Liberalismus buhlen ist aber böse, im gegebenen Falle aber außerdem auch meines Erachtens unweise. Sie vergessen (ein Fehler, in den Jeder fällt, der eine Weile von hier fort ist) die Persönlichkeiten, welche doch das Entscheidende sind. Wie können Sie solche indirecten Finasserien mit einem völlig principienlosen, unzuverlässigen Minister, der in den falschen Weg unwillkürlich hineingezogen wird, und mit einem, um nicht mehr zu sagen, unberechenbar eigenthümlichen Herrn machen. Bedenken Sie doch, daß Manteuffel principaliter Bonapartist ist, denken Sie an sein Benehmen bei dem coup d'état, an die von ihm damals patronisirte Quehl'sche Schrift, und wenn Sie etwas Neueres haben wollen, so kann ich Ihnen sagen, daß er jetzt an Werther (damals Gesandter in Petersburg) die thörichte Ansicht geschrieben hat, daß wenn man Rußland nützen wolle, man dem Vertrage vom 2. December beitreten müsse, um bei den Verhandlungen mitzusprechen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 373 [1-109] Rußland so weit festzuhalten, daß wir diesem bis dahin befreundeten Nachbar gegenüber nicht direct feindlich auftraten, dann spitzte sich die Sache in der Regel dahin zu, daß eine Cabinetskrisis zwischen dem Könige und dem Ministerpräsidenten entstand und der erstre dem letztern gelegentlich mit mir oder auch mit dem Grafen Alvensleben drohte, in einem Falle auch, im Winter 1854, mit dem Grafen Albert Pourtalès aus der Bethmann-Hollwegschen Coterie, obschon dessen Auffassung der auswärtigen Politik die entgegengesetzte von der meinigen und auch mit der des Grafen Alvensleben schwerlich verträglich war. Das Ende der Krisis führte den König und den Minister stets wieder zusammen. Von den drei Gegencandidaten hatte Graf Alvensleben ziemlich öffentlich erklärt, er würde unter diesem Monarchen nie wieder ein Amt annehmen. Der König wollte mich zu ihm nach Erxleben schicken; ich rieth davon ab, weil Alvensleben mir vor kurzem obige Erklärung mit Bitterkeit in Frankfurt wiederholt hatte. Als wir uns später wiedersahen, war seine Verstimmung gehoben, er war geneigt, einer Aufforderung Sr. Majestät entgegen zu kommen, und wünschte, daß ich in dem Falle mit ihm eintreten möge. Der König ist aber mir gegenüber nicht auf Alvensleben zurückgekommen, vielleicht weil in der Zeit nach meinem Besuche in Paris (August 1855) eine Erkältung am Hofe, und namentlich bei Ihrer Majestät der Königin mir gegenüber eingetreten war. Graf Pourtalès war dem Könige wegen seines Reichthums "zu unabhängig" 1). Der König war der Meinung, daß arme und auf Gehalt angewiesene Minister gehorsamer wären. Ich selbst entzog mich der verantwortlichen Stellung unter diesem Herrn, wie ich konnte, und söhnte ihn immer wieder mit Manteuffel aus, den ich zu diesem Zwecke auf dem Lande (Drahnsdorf) besuchte 2). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 379 [1-111] bezeichnete und später in Flugschriften den Prinzen Albert als den gefährlichsten Gegner seiner befreienden Anstrengungen denunciren ließ, von diesen Hülfen wurde die Gestaltung der deutschen Zustände mit Sicherheit vorhergesagt, welche später von der Armee des Königs Wilhelm auf den Schlachtfeldern erkämpft worden ist. Die Frage, ob Palmerston oder ein andrer englischer Minister geneigt sein würde, Arm in Arm mit dem gothaisirenden Liberalismus und mit der Fronde am preußischen Hofe Europa zu einem ungleichen Kampfe herauszufordern und englische Interessen auf dem Altar der deutschen Einheitsbestrebungen zu opfern, - die weitere Frage, ob England dazu ohne andern continentalen Beistand als den einer in coburgische Wege geleiteten preußischen Politik im Stande sein würde - diese Fragen bis an's Ende durchzudenken, fühlte niemand den Beruf, am allerwenigsten die Fürsprecher derartiger Experimente. Die Phrase und die Bereitwilligkeit, im Partei-Interesse jede Dummheit hinzunehmen, deckten alle Lücken in dem windigen Bau der damaligen westmächtlichen Hofnebenpolitik. Mit diesen kindischen Utopien spielten sich die zweifellos klugen Köpfe der Bethmann-Hollwegschen Partei als Staatsmänner aus, hielten es für möglich, den Körper von sechzig Millionen Groß-Russen in der europäischen Zukunft als ein caput mortuum zu behandeln, das man nach Belieben mißhandeln könne, ohne daraus einen sichern Bundesgenossen jedes zukünftigen Feindes von Preußen zu machen und ohne Preußen in jedem französischen Kriege zur Rückendeckung gegen Polen zu nöthigen, da eine Polen befriedigende Auseinandersetzung in den Provinzen Preußen und Posen und selbst noch in Schlesien unmöglich ist, ohne den Bestand Preußens aufzulösen. Diese Politiker hielten sich damals nicht nur für weise, sondern wurden in der liberalen Presse als solche verehrt. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 382 Während Goltz und seine Berliner Genossen ihre Sache mit einem gewissen Geschick betrieben, von welchem der erwähnte Artikel eine Probe ist, war Bunsen, Gesandter in London, so unvorsichtig, im April 1854 dem Minister Manteuffel eine lange Denkschrift einzusenden, welche die Herstellung Polens, die Ausdehnung Oestreichs bis in die Krim, die Versetzung der Ernestinischen Linie auf den sächsischen Königsthron und dergleichen mehr forderte und die Mitwirkung Preußens für dieses Programm empfahl. Gleichzeitig hatte er nach Berlin gemeldet, die englische Regirung würde mit der Erwerbung der Elbherzogthümer durch Preußen einverstanden sein, wenn letztres sich den Westmächten anschließen wolle, und in London hatte er zu verstehn gegeben, daß die preußische Regirung dazu unter der bezeichneten Gegenleistung bereit sei 1). Zu beiden Erklärungen war er nicht ermächtigt. Das war denn doch dem Könige, als er dahinter kam, zu viel, so sehr er Bunsen liebte. Er ließ ihn durch Manteuffel anweisen, einen langen Urlaub zu nehmen, der dann in den Ruhestand überging. In der von der Familie herausgegebenen Biographie Bunsen's ist jene Denkschrift, mit Weglassung der ärgsten Stellen, aber ohne Andeutung von Lücken, abgedruckt und die amtliche Correspondenz, die mit der Beurlaubung endigte, in einseitiger Färbung wiedergegeben. Ein im Jahre 1882 in die Presse gelangter Brief des Prinzen Albert an den Freiherrn von Stockmar (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 391 Während des Krimkrieges und, wenn ich mich recht erinnere, aus Anlaß desselben wurde ein lange betriebener Depeschendiebstahl ruchbar. Ein verarmter Polizeiagent 1), der vor Jahren seine Geschicklichkeit dadurch bewiesen hatte, daß er, während der Graf Bresson französischer Gesandter in Berlin war, Nachts durch die Spree geschwommen, in die Villa des Grafen in Moabit eingebrochen war und seine Papiere abgeschrieben hatte, wurde von dem Minister Manteuffel dazu angestellt, sich durch bestochne Diener Zugang zu den Mappen zu verschaffen, in denen die eingegangnen Depeschen und die durch deren Lesung veranlaßte Correspondenz zwischen dem Könige, Gerlach und Niebuhr hin und her ging, und von dem Inhalte derselben Abschrift zu nehmen. Von Manteuffel mit preußischer Sparsamkeit bezahlt, suchte er nach weitrer Verwerthung seiner Bemühungen und fand eine solche durch Vermittlung des Agenten Hassenkrug zunächst bei dem französischen Gesandten Moustier, dann auch bei andern Leuten 2). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 419 Wesentliche Hülfe leistete der Bethmann-Hollwegschen Fraction Herr von Schleinitz, der Specialpolitiker der Prinzessin, der auch seinerseits zum Kampfe gegen Manteuffel dadurch veranlaßt war, daß er aus dem gutsituirten, aber nicht sehr fleißig besorgten Posten von Hanover aus dienstlichen Gründen unter Umständen der Art entlassen war, daß ihm das Wartegeld als Gesandter erst, nachdem er Minister geworden, nachträglich ausgezahlt wurde. Als Sohn eines braunschweigischen Ministers und als gewerbsmäßiger Diplomat an das Hofleben und die äußern Vorzüge des auswärtigen Dienstes gewöhnt, ohne Vermögen, dienstlich verstimmt, bei der Prinzessin aber in Gnaden stehend, wurde er natürlich von den Gegnern Manteuffel's gesucht und schloß sich ihnen bereitwillig an. Er wurde der erste auswärtige Minister der neuen Aera und starb als Hausminister der Kaiserin Augusta. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 423 Nachdem der Prinz von Preußen im Jahre 1849 als Gouverneur der Rheinprovinz seine Residenz dauernd nach Coblenz verlegt hatte, consolidirte sich allmählich die gegenseitige Stellung der beiden Höfe von Sanssouci und Coblenz zu einer occulten Gegnerschaft, in welcher auch auf der königlichen Seite das weibliche Element mitspielte, jedoch in geringerem Maße als auf der prinzlichen. Der Einfluß der Königin Elisabeth zu Gunsten Oestreichs, Baierns, Sachsens war ein unbefangner und unverhehlter, ein Ergebniß der Solidarität, welche die Uebereinstimmung der Anschauungen und die verwandschaftlichen Familiensympathien naturgemäß hervorbrachten. Zwischen der Königin und dem Minister von Manteuffel bestand keine persönliche Sympathie, wie schon die Verschiedenheit der Temperamente es mit sich brachte; gleichwohl ging die Einwirkung Beider auf den König nicht selten und namentlich in kritischen Momenten gleichmäßig in der Richtung des östreichischen Interesses, doch von Seiten der Königin in entscheidenden Augenblicken nur bis zu gewissen Grenzen, welche die eheliche und fürstliche Empfindung im Interesse der Krone des Gemals ihr zogen. Die Sorge für des Königs Ansehn trat namentlich in kritischen Momenten hervor, wenn auch weniger in der Gestalt einer Ermuthigung zum Handeln, als in der einer weiblichen Scheu vor den (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 428 [1-126] von Bülow, die Kaiserin habe von dem Minister Falk eine Reiseunterstützung für einen ultramontanen Maler verlangen lassen, der nicht nur selbst nicht darum bitten wolle, sondern mit Gemälden zur Verherrlichung von Marpingen beschäftigt sei. Unter dem 25. Januar 1878 berichtete er mir: "Vor seiner Abreise (nach Italien) hat der Kronprinz eine sehr heftige Scene mit der Kaiserin gehabt, welche verlangte, daß er, der künftige Herrscher über acht Millionen Katholiken, den alten ehrwürdigen Papst besuchen solle. Als der Kronprinz nach der Rückkehr sich beim Kaiser meldete, war auch die Kaiserin (aus ihren Zimmern) hinuntergekommen. Als das Gespräch eine Wendung nahm, die ihr nicht gefiel, betreffend die Stellung des Königs Humbert, und dann stockte, ist sie mit den Worten aufgestanden: ,Il paraît que je suis de trop ici', und der Kaiser hatte dann ganz wehmüthig zum Kronprinzen gesagt: ,Ueber diese Dinge ist Deine Mutter in dieser Zeit wieder unzurechnungsfähig.'" (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 435 Die Entfremdung die zwischen dem Minister Manteuffel und mir nach meiner Wiener Mission und infolge der Zuträgerei von Klentze und Andern entstanden war, hatte die Folge, daß der König mich immer häufiger zur "Territion" kommen ließ, wenn der Minister ihm nicht zu Willen sein wollte. Ich habe auf den Reisen zwischen Frankfurt und Berlin über Guntershausen in einem Jahre 2000 Meilen gemacht, damals stets die neue Cigarre an der vorhergehenden entzündend oder gut schlafend. Der König erforderte nicht nur meine Ansicht über Fragen der deutschen und der auswärtigen Politik, sondern beauftragte mich auch gelegentlich, wenn ihm Entwürfe des Auswärtigen Amtes vorlagen, mit der Ausarbeitung von Gegenprojecten. Ich besprach diese Aufträge und meine entsprechenden Redactionen dann mit Manteuffel, der es in der Regel ablehnte, Aenderungen daran vorzunehmen, wenn auch unsre politischen Ansichten auseinander gingen. Er hatte mehr Entgegenkommen für die Westmächte und die östreichischen Wünsche, während ich, ohne russische Politik zu vertreten, keinen Grund sah, unsern langjährigen Frieden mit Rußland für andre als preußische Interessen in Frage zu stellen, und ein etwaiges Eintreten Preußens gegen Rußland für Interessen, die uns fern lagen, als das Ergebniß unsrer Furcht vor den Westmächten und unsres bescheidenen Respects vor (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 439 Ich suchte mich der Rolle, welche der König mich spielen ließ, in schicklicher Weise zu entziehn und die Verständigung zwischen ihm und Manteuffel nach Möglichkeit anzubahnen; so in den ernsten Zerwürfnissen, welche über Rhino Quehl entstanden. Nachdem durch Wiederherstellung des Bundestages nationale Sonderbestrebungen Preußens einstweilen behindert waren, ging man in Berlin an eine Restauration der innern Zustände, mit welcher der König gezögert hatte, so lange er darauf bedacht war, sich die Liberalen in den übrigen deutschen Staaten nicht zu entfremden. Ueber das Ziel und die Gangart der Restauration zeigte sich aber sofort zwischen dem Minister Manteuffel und der "kleinen aber mächtigen Partei" eine Meinungsverschiedenheit, die sich merkwürdigerweise in einen Streit über Halten oder Fallenlassen einer verhältnißmäßig untergeordneten Persönlichkeit zuspitzte und zu einem scharfen, öffentlichen Ausbruch führte. In demselben Briefe vom 11. Juli 1851, durch welchen er mich von meiner Ernennung zum Bundestagsgesandten benachrichtigte, schrieb Manteuffel: (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 452 [1-133] abtreten, als sich von ihm trennen zu wollen, sprach seinen Haß gegen die Kreuzzeitung unverholen aus und machte auch einige bedenkliche Aeußerungen über den Gang des Ministeriums des Innern und über einige uns gleichwerthige Persönlichkeiten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 454 Soeben erhalte ich Ihren Brief Ofen-Frankfurt vom 25. Juni und 19. Juli 1), dessen Anfang so interessant ist wie das Ende. Aber von mir verlangen Sie das Unmögliche. Ich soll Ihnen die hiesige Lage der Dinge erklären, die so verwickelt und durcheinander ist, daß man sie an Ort und Stelle nicht versteht. Wagener's Auftreten gegen Manteuffel ist nicht zu rechtfertigen, wenn er sich nicht ganz von der Partei isoliren will. Ein Blatt, wie die Kreuzzeitung, darf nur dann gegen einen Premierminister auftreten, wenn die ganze Partei in die Opposition geworfen ist, wie das bei Radowitz der Fall war. ... Ein solches bellum omnium contra omnes kann nicht bleiben. Wagener wird nolens volens müssen mit dem Preußischen Wochenblatt Chorus machen, was ein großes Uebel ist; Hinckeldey und der kleine Manteuffel, sonst entschiedene Feinde, alliiren sich über die Kreuzzeitung, wie Herodes und Pilatus. Das Traurigste ist mir der Minister Manteuffel, der kaum zu halten ist und doch gehalten werden muß, denn seine präsumtiven Nachfolger sind schrecklich. Alles schreit, er soll Quehl entlassen. Ich glaube, damit wird wenig gewonnen sein, Quehl's etwaiger Nachfolger Fr. 2)ist vielleicht noch schlimmer. Wenn Manteuffel sich nicht zu Allianzen mit honetten Leuten entschließt, ist ihm nicht zu helfen 3). ... (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 459 [1-134] mit ihm zu reden, es ist aber nichts dabei herausgekommen. Ich habe ihm gesagt, daß ich nicht zu denen gehöre, welche Quehl in das Elend schicken wollten, aber er möge sich doch mit ordentlichen Leuten in Verbindung setzen und sich in der Gemeinschaft mit ihnen stärken. Aber vergebens. Jetzt treibt er wieder sein Wesen mit dem Bonapartisten Frantz. Ich will das, was Wagener thut, nicht rechtfertigen, besonders nicht sein eigensinniges Widerstreben gegen jeden Rath und jede Warnung, die ihm zukommt, aber darin hat er Recht, daß Manteuffel die conservative Partei gründlich zerstört und ihn, Wagener, auf das Aeußerste reizt. Es ist doch eine merkwürdige Erscheinung, daß die Kreuzzeitung die einzige Zeitung in Deutschland ist, die verfolgt und confiscirt wird. Von dem, was mich bei dem Allem am meisten afficirt, von der Wirkung dieser Lage der Dinge auf S. M., will ich gar nicht reden. Sinnen Sie doch auf Mittel, Menschen heranzuziehen, die das Ministerium stärken. Kommen Sie doch einmal wieder her und sehen Sie sich selbst die Dinge an 1). ... (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 472 [1-136] gebe, daß Quehl eine Art von Vertrag mit der Hollweg'schen Partei geschlossen, wonach Manteuffel geschont, die andern mißliebigen Minister Raumer, Westphalen, Bodelschwingh, rücksichtslos angegriffen würden, wenn ich ferner beachte, daß Manteuffel über sein Verhältniß zum Prinzen von Preußen ein böses Gewissen gegen mich hat, daß er jetzt Niebuhr dichter an sein Herz schließt als mich, während er sich sonst gegen mich oft über Niebuhr beklagte, wenn ich endlich beachte, daß Quehl geradezu den Prinzen von Preußen und seinen Herrn Sohn als mit sich und mit Manteuffel übereinstimmend [darstellt] und sich demgemäß äußert, was ich aus der zuverlässigsten Quelle weiß, wenn dies Alles auf Radowitz sieht (sic), so fühle ich den Boden mir unter den Füßen schwanken, obschon der König schwerlich für diese Wirthschaft zu gewinnen ist und mir persönlich dies Alles Gott sei Dank ziemlich gleichgültig ist. Sie aber, mein verehrter Freund, der Sie noch jung sind, müssen sich rüsten und stärken, dies Lügengewebe zur passenden Zeit zur Rettung des Landes zu zerreißen 1). ... (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 474 ... Q. wird jetzt schon der Hof gemacht und er hat Excellenzen in seinem Vorzimmer und auf seinem Sopha. Auf der andern Seite halte ich es nicht für unmöglich, daß Manteuffel eines Tags Quehl darangibt, denn Dankbarkeit ist keine charakteristische Eigenschaft dieses zweifelnden und daher oft desperirenden Staatsmannes. Was soll aber werden, wenn Manteuffel geht? Es wäre ein Ministerium zu finden, aber schwerlich eines, was auch nur 4 Wochen mit S. M. sich hielte. Aus diesen Gründen und bei meiner aufrichtigen Achtung und Liebe, die ich für Manteuffel habe, möchte ich es nicht auf mein Gewissen nehmen, seinen Sturz veranlaßt zu haben. Denken Sie einmal über diese Dinge nach und schreiben Sie mir" 2). . (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 477 [1-137] Bald nach dem Datum des letzten Briefes war die Verstimmung zwischen dem Könige und Manteuffel so acut geworden, daß der letztere sich schmollend auf sein Gut Drahnsdorf zurückzog. Um ihn zu einem "gehorsamen Minister" zu machen, benutzte der König diesmal nicht meine Ministercandidatur als Schreckbild, sondern beauftragte mich, den Grafen Albrecht von Alvensleben, den "alten Lerchenfresser", wie er ihn nannte, in Erxleben aufzusuchen und zu fragen, ob er den Vorsitz in einem neuen Ministerium übernehmen wolle, in dem ich das auswärtige Ressort erhalten solle. Der Graf hatte kurz vorher mir unter sehr abfälligen Aeußerungen über den König erklärt, daß er während der Regirung Sr. Majestät unter keinen Umständen in irgend ein Cabinet treten werde 1). Ich sagte dies dem Könige, und meine Reise unterblieb. Später aber, als dieselbe Combination wieder auftauchte, hat er sich doch bereit erklärt, sie zu acceptiren; der König vertrug sich dann aber mit Manteuffel, der inzwischen "Gehorsam" gelobt hatte. Statt der Sendung nach Erxleben reiste ich aus eignem Antriebe zu Manteuffel auf's Land und redete ihm zu, sich von Quehl zu trennen und stillschweigend ohne Explication mit Sr. Majestät seine amtliche Function wieder aufzunehmen. Er erwiderte in dem Sinne seines Briefes vom 11. Juli 1851, daß er den fähigen, ihm mit Hingebung dienenden Mann nicht fallen lassen könne. Da ich heraus zu hören glaubte, daß Manteuffel wohl noch andre Gründe habe, Quehl zu schonen, so sagte ich: "Vertrauen Sie mir die Vollmacht an, Sie von Quehl zu erlösen, ohne daß es zu einem Bruche zwischen Ihnen beiden kommt; wenn mir das gelingt, so bringen Sie dem Könige die Nachricht von Quehl's Abgange und führen die Geschäfte fort, als wenn kein Dissensus zwischen Sr. Majestät und Ihnen vorgekommen wäre." Er ging auf diesen Gedanken ein, und wir verabredeten, daß er Quehl, der sich grade auf einer Reise in Frankreich befand, veranlassen werde, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 481 Der König haßte damals Manteuffel, er behandelte ihn nicht mit der ihm sonst eignen Höflichkeit und that beißende Aeußerungen über ihn. Wie er überhaupt die Stellung eines Ministers auffaßte, zeigt ein Wort über den Grafen Albert Pourtalès, den er auch gelegentlich als Schreckbild für Manteuffel benutzte 2): "Der wäre ein Minister für mich, wenn er nicht 30000 Reichsthaler Einkommen zu viel hätte; darin steckt die Quelle des Ungehorsams." Wenn ich sein Minister geworden wäre, so würde ich mehr als Andre 1) Vgl. Bismarck's Briefe an L. v. Gerlach vom 6. und 13. Aug. 1853 (Ausgabe von H. Kohl S. 96, 97). 2) S. o. S. 109. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 503 Die Haltung, welche ich in der conservativen Fraction angenommen hatte, griff störend in die Pläne ein, die der König mit mir hatte oder zu haben behauptete. Als er zu Anfang des Jahres 1854 das Ziel, mich zum Minister zu machen, directer in's Auge zu fassen begann, wurde seine Absicht nicht nur von Manteuffel bekämpft, sondern auch von der Camarilla, deren Hauptpersonen der General Gerlach und Niebuhr waren. Diese, ebenso wie Manteuffel, waren nicht geneigt, den Einfluß auf den König mit mir zu theilen, und glaubten sich mit mir im täglichen Zusammenleben nicht so gut wie in der Entfernung zu vertragen. Gerlach wurde in dieser Voraussetzung bestärkt durch seinen Bruder, den Präsidenten, der die Gewohnheit hatte, mich als einen PilatusCharakter zu bezeichnen auf der Basis: Was ist Wahrheit? also als einen unsichern Fractionsgenossen. Dieses Urtheil über mich kam auch in den Kämpfen innerhalb der conservativen Fraction und ihres intimern Comités mit Schärfe zum Ausdruck, als ich, auf Grund meiner Stellung als Bundestagsgesandter und weil ich im Besitz des Vortrags bei dem Könige über die deutschen Angelegenheiten sei, einen größern Einfluß auf die Haltung der Fraction in der deutschen und der auswärtigen Politik verlangte, während der Präsident Gerlach und Stahl die absolute Gesammtleitung nach allen Seiten hin in Anspruch nahmen. Ich befand mich im Widerspruche mit Beiden, mehr aber mit Gerlach als mit Stahl, und (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 507 Um eine ernstere, in den Verlauf der Dinge eingreifende Frage der Redaction handelte es sich im August 1854. Der König befand sich in Rügen; ich war auf dem Wege von Frankfurt nach Reinfeld, wo meine Frau krank lag, als am 29. August in Stettin ein höherer Postbeamter, der angewiesen war, auf mich zu fahnden, mir eine Einladung des Königs nach Putbus ausrichtete. Ich hätte mich gern gedrückt, der Postbeamte aber begriff nicht, wie ein Mann von altem preußischen Schlage sich einer solchen Aufforderung entziehn wolle. Ich ging nach Rügen, nicht ohne Sorge vor neuen Zumuthungen, Minister zu werden und dadurch in unhaltbare Beziehungen zum Könige zu gerathen. Der König empfing mich am 30. August gnädig und setzte mich von einer vorliegenden Meinungsverschiedenheit über die durch den Rückzug der Russen aus den Donaufürstenthümern entstandene Situation in Kenntniß. Es handelte sich um die Depesche des Grafen Buol vom 10. August und einen von Manteuffel vorgelegten Entwurf einer Antwort, den der König zu östreichisch fand. Auf Befehl machte ich einen andern Entwurf, der von Sr. Majestät genehmigt und nach Berlin geschickt wurde, um im Widerspruch mit dem leitenden Minister zunächst an den Grafen Arnim in Wien gesandt und dann den deutschen Regirungen mitgetheilt zu werden 1). Die durch Annahme meines Entwurfs bekundete Stimmung des Königs zeigte sich auch in dem Empfang des Grafen Benckendorf, der mit Briefen und mündlichen Aufträgen in Putbus eintraf, und den ich mit der Nachricht hatte empfangen können, daß die Engländer und Franzosen in der Krim (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 513 Im Sommer 1855 lud unser Gesandter in Paris, Graf Hatzfeldt, mich zum Besuche der Industrie-Ausstellung ein 1); er theilte noch den damals in diplomatischen Kreisen verbreiteten Glauben, daß ich ehestens der Nachfolger Manteuffel's im Auswärtigen Amt werden würde. Wenn der König sich mit einem solchen Gedanken abwechselnd getragen hatte, so wußte man in intimen Hofkreisen doch damals schon, daß eine Wandelung vorgegangen sei. Der Graf Wilhelm Redern, den ich in Paris traf, sagte mir, die Gesandten glaubten noch immer, daß ich zum Minister bestimmt sei, er selbst habe das auch geglaubt; aber die Stimmung des Königs sei umgeschlagen, Näheres wisse er nicht. Wohl seit Rügen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 520 In den ersten Jahren meines Ministeriums habe ich noch öfter bei ähnlichen Tischgesprächen beobachtet, daß es der Prinzessin Vergnügen machte, meine patriotische Empfindlichkeit durch scherzhafte Kritik von Personen und Zuständen zu reizen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 550 [1-163] vieles zu Gute und lassen uns viel gefallen dafür, selbst im Beutel. Aber wenn wir uns für's Innre sagen müssen, daß wir mehr durch unsre guten Säfte die Krankheiten ausstoßen, welche unsre ministeriellen Aerzte uns einimpfen, als daß wir von ihnen geheilt und zu gesunder Diät angeleitet würden, so sucht man im Auswärtigen vergebens nach einem Trost dafür. Sie sind doch, verehrtester Freund, au fait von unsrer Politik; können Sie mir nun ein Ziel nennen, welches dieselbe sich etwa vorgesteckt hat, auch nur einen Plan auf einige Monate hinaus; grade rebus sic stantibus weiß man da, was man eigentlich will? weiß das irgend Jemand in Berlin und glauben Sie, daß bei den Leitern eines andern Staates dieselbe Leere an positiven Zwecken und Ideen vorhanden ist? Können Sie mir ferner einen Verbündeten nennen, auf welchen Preußen zählen könnte, wenn es heut grade zum Kriege käme, oder der für uns spräche bei einem Anliegen, wie etwa das Neuenburger, oder der für uns irgend etwas thäte, weil er auf unsern Beistand rechnet oder unsre Feindschaft fürchtet? Wir sind die gutmüthigsten, ungefährlichsten Politiker, und doch traut uns eigentlich niemand; wir gelten wie unsichre Genossen und ungefährliche Feinde, ganz als hätten wir uns im Aeußern so betragen und wären im Innern so krank wie Oestreich. Ich spreche nicht von der Gegenwart; aber können Sie mir einen positiven Plan (abwehrende genug) oder eine Absicht nennen, die wir seit dem Radowitzischen Dreikönigsbündniß in auswärtiger Politik gehabt haben? Doch, den Jahdebusen; der bleibt aber bisher ein todtes Wasserloch, und den Zollverein werden wir uns von Oestreich ganz freundlich ausziehn lassen, weil wir nicht den Entschluß haben, einfach Nein zu sagen. Ich wundre mich, wenn es bei uns noch Diplomaten gibt, denen der Muth, einen Gedanken zu haben, denen die sachliche Ambition, etwas leisten zu wollen, nicht schon erstorben ist, und ich werde mich ebenso gut wie meine Collegen darin finden, einfältig meine Instruction zu vollziehn, den Sitzungen beizuwohnen und mich der Theilnahme für den allgemeinen Gang unsrer Politik (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 631 Reisen. Regentschaft.Im folgenden Jahre, 1856, begann der König sich mir wieder zu nähern; Manteuffel (vielleicht auch Andre) fürchteten, ich könnte auf seine und ihre Kosten Einfluß gewinnen. Unter diesen Verhältnissen machte mir Manteuffel den Vorschlag, ich solle das Finanzministerium übernehmen, er werde das Präsidium und das auswärtige Ressort behalten, später aber mit mir tauschen, so daß er als Vorsitzender Finanzminister, ich Auswärtiger würde. Er that, als ginge der Vorschlag von ihm aus. Obwohl mir derselbe sonderbar erschien, lehnte ich nicht grade ab, sondern erinnerte nur daran, daß die Zeitungen, als ich zum Bundesgesandten ernannt war, den Scherz des witzigen Dechanten von Westminster über Lord John Russell auf mich angewandt hatten: der Mensch würde auch das Commando einer Fregatte oder eine Steinoperation übernehmen. Wenn ich Finanzminister würde, so könnten dergleichen Urtheile mit mehr Geltung auftreten, obschon ich die unterschreibende Thätigkeit Bodelschwingh's als Finanzminister allenfalls auch würde leisten können. Es komme alles darauf an, wie lange das Interimisticum dauern solle. In der That war der Vorschlag vom Könige ausgegangen; und als der Manteuffeln fragte, was er ausgerichtet hätte, antwortete derselbe: "Er hat mich gradezu ausgelacht." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 632 [1-192] Wenn der König mir wiederholt mündlich das Portefeuille Manteuffel's nicht anbot, sondern zu übernehmen befahl mit Worten, wie: "Wenn Sie sich an der Erde winden, es hilft Ihnen nichts, Sie müssen Minister werden," so behielt ich doch immer den Eindruck im Hintergrunde, daß diese Kundgebungen dem Bedürfniß entsprangen, Manteuffel zur Unterwerfung, zum "Gehorsam" zu bringen. Auch wenn es dem Könige Ernst gewesen wäre, so würde ich doch das Gefühl gehabt haben, daß ich ihm gegenüber eine annehmbare Ministerstellung nicht dauernd würde haben können 1). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 633 Im März 1857 waren in Paris die Conferenzen zur Schlichtung des zwischen Preußen und der Schweiz ausgebrochenen Streites eröffnet worden. Der Kaiser, über die Vorgänge in Berliner Hofund Regirungskreisen stets wohl unterrichtet, wußte offenbar, daß der König mit mir auf vertrauterem Fuße stand, als mit andern Gesandten und mich wiederholt als Ministercandidaten in's Auge gefaßt hatte. Nachdem er in den Händeln mit der Schweiz eine für Preußen äußerlich, und namentlich im Vergleich mit der Oestreichs, wohlwollende Haltung beobachtet hatte, schien er vorauszusetzen, daß er dafür auf ein Entgegenkommen Preußens in andern Dingen zu rechnen habe; er setzte mir auseinander, daß es ungerecht sei, ihn zu beschuldigen, daß er nach der Rheingrenze strebe. Das linksrheinische deutsche Ufer mit etwa 3 Millionen Einwohnern würde für Frankreich Europa gegenüber eine unhaltbare Grenze sein; die Natur der Dinge würde Frankreich dann dahin treiben, auch Luxemburg, Belgien und Holland zu erwerben oder doch in eine sichre Abhängigkeit zu bringen. Das Unternehmen hinsichtlich der Rheingrenze würde daher Frankreich früher oder später zu einer Vermehrung von 10 bis 11 Millionen thätiger, wohlhabender Einwohner führen. Eine solche Verstärkung der französischen Macht würde von Europa unerträglich befunden werden, - "devrait engendrer la coalition", würde schwerer zu behalten, als zu nehmen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 635 [1-193] sein, - "un dépôt que l'Europe coalisée un jour viendrait reprendre"; eine solche an Napoleon I. erinnernde Prätension sei für die gegenwärtigen Verhältnisse zu hoch; man würde sagen, Frankreichs Hand sei gegen Jedermann, und deshalb würde Jedermanns Hand gegen Frankreich sein. Vielleicht werde er unter Umständen zur Befriedigung des Nationalstolzes "une petite rectification des frontières" verlangen, könne aber ohne solche leben. Wenn er wieder eines Krieges bedürfen sollte, würde er denselben eher in der Richtung nach Italien suchen. Einerseits habe dieses Land doch immer eine große Affinität mit Frankreich, andrerseits sei das letztre an Landmacht und an Siegen zu Lande reich genug. Eine viel pikantere Befriedigung würden die Franzosen in einer Ausdehnung ihrer Seemacht finden. Er denke nicht daran, das Mittelmeer grade zu einem französischen See zu machen, "mais à peu près". Der Franzose sei kein Seemann von Natur, sondern ein guter Landsoldat, und eben deshalb seien Erfolge zur See ihm viel schmeichelhafter. Dies allein sei das Motiv, welches ihn hätte veranlassen können, zur Zerstörung der russischen Flotte im Schwarzen Meere zu helfen, da Rußland, wenn dereinst im Besitz eines so vortrefflichen Materials, wie die griechischen Matrosen, ein zu gefährlicher Rival im Mittelmeer werden würde. Ich hatte den Eindruck, daß der Kaiser in diesem Punkte nicht ganz aufrichtig war, daß ihm die Zerstörung der russischen Flotte eher leid that, und daß er sich nachträglich eine Rechtfertigung für das Ergebniß des Krieges zurecht machte, in den England unter seiner Mitwirkung nach dem Ausdruck seines Auswärtigen Ministers wie ein steuerloses Schiff hineingetrieben war - we are drifting into war. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 655 Durch Allerhöchsten Erlaß vom 23. October wurde der Prinz von Preußen zunächst auf drei Monate mit der Stellvertretung des Königs beauftragt, die dann noch dreimal auf je drei Monate verlängert wurde und ohne nochmalige Verlängerung im October 1858 abgelaufen wäre. Im Sommer 1858 war ein ernster Versuch im Werke, die Königin zu veranlassen, die Unterschrift des Königs zu einem Briefe an seinen Bruder zu beschaffen, in dem zu sagen sei, daß er sich wieder wohl genug fühle, um die Regirung zu übernehmen, und dem Prinzen für die geführte Stellvertretung danke. Die letztre war durch einen Brief des Königs eingeleitet worden, konnte also, so argumentirte man, durch einen solchen wieder aufgehoben werden. Die Regirung würde dann, unter Controlle der königlichen Unterschrift durch Ihre Majestät die Königin, von den dazu berufenen oder sich darbietenden Herren vom Hofe geführt werden. Zu diesem Plan wurde mündlich auch meine Mitwirkung in Anspruch genommen, die ich in der Form ablehnte, das würde eine Haremsregirung werden. Ich wurde von Frankfurt nach Baden-Baden gerufen und setzte dort 2)den Prinzen von dem Plane in Kenntniß, ohne die Urheber zu nennen. "Dann nehme ich meinen Abschied!" rief der Prinz. Ich stellle ihm vor, daß das Ausscheiden aus seinen militärischen Aemtern nichts helfen, sondern die Sache schlimmer machen würde. Der Plan sei nur ausführbar, wenn das Staatsministerium dazu stille hielte. Ich rieth daher, den Minister Manteuffel, der auf seinem Gute den Erfolg des ihm bekannten Plans abwartete, telegraphisch zu citiren und durch geeignete Weisungen den Faden der Intrigue1) Vgl. Bismarck's Brief an Gerlach vom 19. Dec. 1857, Ausg. von H. Kohl S. 337 ff. und Gerlachs Antwort, Bismarck-Jahrbuch II 250 ff. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 669 Nachdem am 26. October der Prinz von Preußen die Regentschaft übernommen hatte, fragte Manteuffel mich, was er thun solle, um eine unfreiwillige Verabschiedung zu vermeiden, und gab mir auf mein Verlangen seine letzte Correspondenz mit dem Regenten zu lesen. Meine Antwort, es sei ganz klar, daß der Prinz ihm den Abschied geben wolle, hielt er für unaufrichtig, vielleicht für ehrgeizig. Am 6. November wurde er entlassen. Es folgte ihm der Fürst von Hohenzollern mit dem Ministerium der "Neuen Aera". (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 671 Im Januar 1859 machte mir auf einem Balle bei Moustier oder Karolyi der Graf Stillfried scherzhafte Anspielungen, aus denen ich schloß, daß meine schon mehrmals geplante Versetzung von Frankfurt nach Petersburg erfolgen werde, und fügte dazu die wohlwollende Bemerkung: Per aspera ad astra. Die Wissenschaft des Grafen beruhte ohne Zweifel auf seinen intimen Beziehungen zu allen Katholiken im Haushalte der Prinzessin, vom ersten Kammerherrn bis zum Kammerdiener. Meine Beziehungen zu den Jesuiten waren damals noch ungetrübt, und ich besaß noch Stillfrieds Wohlwollen. Ich verstand die durchsichtige Anspielung, begab mich am folgenden Tage (26. Januar) zu dem Regenten und sagte offen, ich hörte, daß ich nach Petersburg versetzt werden sollte, und bat um Erlaubniß, mein Bedauern darüber auszusprechen, in der Hoffnung, daß es noch rückgängig gemacht werden könnte. Die erste Gegenfrage war: "Wer hat Ihnen das gesagt?" Ich erwiderte, ich würde indiscret sein, wenn ich die Person nennen wollte, ich hätte es aus dem Jesuitenlager gehört, mit dem ich alte Fühlung hätte, und ich bedauerte es, weil ich glaubte, in Frankfurt, in diesem Fuchsbau des Bundestages, dessen Ein- und Ausgänge ich bis auf die Nothröhren kennen gelernt hätte, brauchbarere Dienste leisten zu können als irgend einer meiner Nachfolger, der die sehr complicirte Stellung, die auf den Beziehungen zu vielen Höfen und Ministern beruhe, erst wieder kennen lernen müsse, da ich meine achtjährige Erfahrung auf diesem Gebiete, die ich in bewegten Zuständen gemacht, nicht vererben könnte. Mir wäre jeder deutsche Fürst und jeder deutsche Minister und die Höfe der bundesfürstlichen Residenzen persönlich bekannt, und ich erfreute mich, so weit es für Preußen erreichbar sei, eines Einflusses in der Bundesversammlung und an den einzelnen Höfen. Dieses erworbene und erkämpfte Capital der preußischen Diplomatie würde zwecklos zerstört durch (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 677 [1-204] Gleichwohl wurde er nach Frankfurt ernannt. Daß ich ihm mit meinem Urtheil nicht Unrecht gethan, bewies sein späteres Verhalten in Turin und Florenz. Er posirte gerne als Stratege, auch als "verfluchter Kerl" und tief eingeweihter Verschwörer, hatte Verkehr mit Garibaldi und Mazzini und that sich etwas darauf zu Gute. In der Neigung zu unterirdischen Verbindungen nahm er in Turin einen angeblichen Mazzinisten, in der That östreichischen Spitzel, als Privatsekretär an, gab ihm die Akten zu lesen und den Chiffre in die Hände. Er war Wochen und Monate von seinem Posten abwesend, hinterließ Blanquets, auf welche die Legationssekretäre Berichte schrieben; so gelangten an das Auswärtige Amt Berichte mit seiner Unterschrift über Unterredungen, die er mit den italienischen Ministern gehabt haben sollte, ohne daß er diese Herrn in der betreffenden Zeit gesehn hatte. Aber er war ein hoher Freimaurer. Als ich im Februar 1869 die Abberufung eines so unbrauchbaren und bedenklichen Beamten verlangte, stieß ich bei dem Könige, der die Pflichten gegen die Brüder mit einer fast religiösen Treue erfüllte, auf einen Widerstand, der auch durch meine mehrtägige Enthaltung von amtlicher Thätigkeit nicht zu überwinden war und mich zu der Absicht brachte, meinen Abschied zu erbitten 1). Indem ich jetzt nach mehr als 20 Jahren die betreffenden Papiere wieder lese, befällt mich eine Reue darüber, daß ich damals, zwischen meine Ueberzeugung von dem Staatsinteresse und meine persönliche Liebe zu dem Könige gestellt, der erstern gefolgt bin und folgen mußte. Ich fühle mich heut beschämt von der Liebenswürdigkeit, mit welcher der König meine amtliche Pedanterie ertrug. Ich hätte ihm und seinem Maurerglauben den Dienst in Florenz opfern sollen. Am 22. Februar schrieb mir S. M.: "Ueberbringer dieser Zeilen [Cabinetsrath Wehrmann] hat mir Mittheilung von dem Auftrage gemacht, den Sie ihm für Sich gegeben haben. Wie können Sie nur daran denken, daß ich auf (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 684 1) Die Regierung hatte am 1. Februar 1869 im Landtage Gesetzentwurf vorgelegt, betr. die Auseinandersetzung zwischen Staat und Stadt Frankfurt, die auf einem Gutachten der Kronsyndici beruhte, vom Ministerium berathen, vom Könige genehmigt worden war. Der Frankfurter Magistrat erlangte, während die Verhandlungen über den Entwurf noch schwebten, vom Könige die Zusage, daß der Stadt Frankfurt zur vergleichsweisen Erledigung der von ihr erhobenen Ansprüche 2000000 Gulden aus der Staatscasse überwiesen werden sollten. Der Gesetzentwurf mußte entsprechend abgeändert werden. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 694 1) Unterstaatssekretär im Ministerium des Innern. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 695 [1-208] inzwischen die Mittheilung geworden war, daß Keudell mit Ihrem Vorwissen Usedom aufgefordert, einen Schritt entgegen zu thun. Und dennoch, ehe noch eine Antwort aus Turin anlangte, befragte ich Sie schon am 21. Februar, wie Sie Sich die Wiederbesetzung dieses Gesandtschaftspostens dächten, womit ich also aussprach, daß ich auf die Vacantwerdung desselben einginge. Und dennoch thaten Sie schon am 22. d. M. den entscheidenden Schritt gegen Wehrmann, zu welchem die Usedomiade mit Veranlassung sein sollte. Eine andre Veranlassung wollen Sie in dem Umstande finden, daß ich nach Empfang des Staatsministerialberichts in der Angelegenheit Fa/M, vor Feststellung meiner Ansicht, nicht noch Einmal Ihren Vortrag verlangt hätte. Da aber Ihre und der Staatsminister Gründe so entscheidend durch Vorlage des Gesetzentwurfs und den Begleitungsbericht dargelegt waren, ja, meine Unterschrift in derselben Stunde verlangt wurde, als mir diese Vorlage gemacht ward, um sie sofort in die Kammer zu bringen, so schien mir nochmaliger Vortrag nicht angezeigt, um meine Ansicht und Absicht festzustellen. Wäre mir, bevor im StaatsMinisterium dieser in der Fa/M Frage einzuschlagende Weg, der ganz von meiner früheren Kundgebung abwich, festgestellt wurde, Vortrag gehalten worden *), so würde durch Idéen Austausch ein Ausweg aus den verschiedenen Auffassungen erzielt worden sein und die Divergenz und der Mangel des Zusammenwirkens, das Umarbeiten ?c., was Sie mit Recht so sehr bedauern, zu vermeiden gewesen. Alles was Sie bei dieser Gelegenheit über die Schwierigkeit des Imgangehaltens der constitutionellen Staatsmaschine sagen u. s. w., unterschreibe ich durchaus, nur kann ich die Ansicht nicht gelten lassen, daß mein so nöthiges Vertrauen zu Ihnen und den anderen Räthen der Krone mangele. Sie selbst sagen, daß es zum erstenmal vorkomme seit 1862, daß eine Différenz eingetreten sei zwischen uns, und das sollte genügen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 699 *) Es handelte sich um die Eisenbahn Memel-Tilsit. Der König war durch einen Brief des Generals von Manteuffel bestimmt worden, von einer auf Vortrag der Ressortminister getroffenen Entscheidung wieder abzugehen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 700 [1-210] Geschichte Preußens, Deutschlands, Europas zu eng verbunden, als daß Sie sich von einem Schauplatz zurückziehen dürfen, den Sie mit schaffen halfen. Aber damit Sie sich dieser Schöpfung auch ganz widmen können, müssen Sie sich Erleichterung der Arbeit verschaffen und bitte ich Sie inständigst mir dieserhalb Vorschläge zu machen. So sollten Sie sich von den Staats-MinisterialSitzungen losmachen, wenn gewöhnliche Dinge verhandelt werden. Delbrück steht Ihnen so getreu zur Seite, daß er Ihnen Manches abnehmen könnte. Réduciren Sie Ihre Vorträge bei mir auf das Wichtigste u. s. w. Vor Allem aber zweifeln Sie nie an meinem unveränderten Vertrauen und an meiner unauslöschlichen Dankbarkeit! (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 705 Ich kehre zu dem Gespräche mit dem Regenten zurück. Nachdem ich mich über den bundestäglichen Posten geäußert, ging ich auf die Gesammtsituation über und sagte: "Ew. K. H. haben im ganzen Ministerium keine einzige staatsmännische Capacität, nur Mittelmäßigkeiten, beschränkte Köpfe. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 707 Ich: "Das nicht; aber er kann nicht ein Schubfach in Ordnung halten, viel weniger ein Ministerium. Und Schleinitz ist ein Höfling, kein Staatsmann." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 709 [1-211] Schlafmütze? Mein auswärtiger Minister und mein Kriegsminister werde ich selbst sein; das verstehe ich." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 710 Ich deprecirte und sagte: "Heut zu Tage kann der fähigste Landrath seinen Kreis nicht verwalten ohne einen intelligenten Kreissekretär und wird immer auf einen solchen halten; die preußische Monarchie bedarf des Analogen in viel höherm Maße. Ohne intelligente Minister werden Ew. K. H. in dem Ergebniß keine Befriedigung finden. Das Innere berührt mich weniger; aber wenn ich an Schwerin denke, so habe ich auch meine Sorgen. Er ist ehrlich und tapfer und würde, wenn er Soldat wäre, wie sein Vorfahr bei Prag fallen; aber ihm fehlt die Besonnenheit. Sehn Ew. K. H. sein Profil an; dicht über den Augenbrauen springt die Schnelligkeit der Conception hervor, die Eigenschaft, welche die Franzosen mit primesautier bezeichnen, aber darüber fehlt die Stirn, in welcher die Phrenologen die Besonnenheit suchen. Schwerin ist ein Staatsmann ohne Augenmaß und hat mehr Fähigkeit einzureißen als aufzubauen." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 712 In der neuen Aera hatte die hohe Frau zunächst ein Ministerium vor sich, als dessen Begründerin und Patronin sie sich ansehn durfte. Aber auch unter diesem Cabinet blieb ihr Einfluß nicht dauernd gouvernemental, sondern gewann bald die Natur einer Begünstigung derjenigen Minister, welche der obersten Staatsleitung unbequem waren. Am meisten war dies vielleicht der Graf (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 713 [1-212] Schwerin, beeinflußt von dem nachmaligen Oberbürgermeister Winter in Danzig und andern liberalen Beamten. Er trieb die ministerielle Unabhängigkeit gegen den Regenten so weit, daß er schriftliche Befehle schriftlich damit erledigend beantwortete, dieselben seien nicht contrasignirt. Als das Ministerium den Regenten einmal zu einer ihm widerwärtigen Unterschrift genöthigt hatte, leistete er dieselbe in unlesbarer Gestalt und zerstampfte die Feder darauf. Graf Schwerin ließ eine zweite Reinschrift machen und bestand auf einer leserlichen Unterschrift. Der Regent unterschrieb nun wie gewöhnlich, knüllte aber das Blatt zusammen und warf es in die Ecke, aus der es hervorgeholt und, nachdem es geglättet, zu den Acten genommen wurde. Auch an meinem Abschiedsgesuche von 1877 war zu sehn, daß der Kaiser es zum Knäul geballt hatte, bevor er darauf antwortete. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 728 Dieser Unterhändler war mir persönlich bekannt geworden durch die Vertrauensstellung, welche er seit Jahren im Auswärtigen Ministerium eingenommen, und durch die Aufträge, welche er von dort für mich zur Zeit Manteuffels erhielt. Er pflegte seine Beziehungen in den untern Stellen durch übermäßige Trinkgelder. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 729 [1-215] Als ich Minister geworden war und das Verhältniß des Auswärtigen Amts zu Levinstein abgebrochen hatte, wurden wiederholt Versuche gemacht, dasselbe wieder in Gang zu bringen, namentlich von dem Consul Bamberg in Paris, der mehrmals zu mir kam und mir Vorwürfe darüber machte, daß ich einen "so ausgezeichneten Mann", der eine solche Stellung an den europäischen Höfen habe, wie Levinstein, so schlecht behandeln könnte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 730 Ich fand auch sonst Anlaß, Gewohnheiten, die in dem Auswärtigen Ministerium eingerissen waren, abzustellen. Der langjährige Portier des Dienstgebäudes, ein alter Trunkenbold, konnte als Beamter nicht ohne Weitres entlassen werden. Ich brachte ihn dahin, den Abschied zu nehmen, durch die Drohung, ihn dafür zur Untersuchung zu ziehn, daß er mich "für Geld zeige", indem er gegen Trinkgeld Jedermann zu mir lasse. Seinen Protest brachte ich mit der Bemerkung zum Schweigen: "Haben Sie mir, als ich Gesandter war, nicht jederzeit Herrn von Manteuffel für einen Thaler, und, wenn das Verbot besonders streng war, für zwei Thaler gezeigt?" Von meiner eignen Dienerschaft wurde mir gelegentlich gemeldet, welche unverhältnißmäßigen Trinkgelder Levinstein an sie verschwendete. Thätige Agenten und Geldempfänger auf diesem Gebiete waren einige von Manteuffel und Schleinitz übernommne Canzleidiener, unter ihnen ein für seine subalterne Amtsstellung hervorragender Maurer. Graf Bernstorff hatte während seiner kurzen Amtszeit der Corruption im Auswärtigen Amte kein Ende machen können, war auch wohl geschäftlich und gräflich zu stark präoccupirt, um diesen Dingen nahe zu treten. Ich habe meine Begegnung mit Levinstein, meine Meinung über ihn, seine Beziehungen zu dem Auswärtigen Ministerium später dem Regenten mit allen Details zur Kenntniß gebracht, sobald ich die Möglichkeit hatte, dies mündlich zu thun, was erst Monate später der Fall war. Von einer schriftlichen Berichterstattung versprach ich mir keinen Erfolg, da die Protection Levinsteins durch Herrn von Schleinitz nicht blos zum Regenten hinauf, sondern an die (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 740 [1-220] alexandrinischen Zeitalter angehörte und in ihm durch Intelligenz und Tapferkeit sich aus der Stellung eines jungen Offiziers in einem Linienregimente, in dem er die französischen Kriege mitgemacht, zu einem Staatsmanne emporgearbeitet hatte, dessen Wort bei dem Kaiser Nicolaus erheblich in's Gewicht fiel. Die Annehmlichkeit seines gastfreien Hauses in Berlin wie in Petersburg wurde wesentlich erhöht durch seine Gemalin, eine männlich kluge, vornehme, ehrliche und liebenswürdige Frau, die in noch höherm Grade als ihre Schwester, Frau von Vrints in Frankfurt, den Beweis lieferte, daß in der gräflich Buol'schen Familie der erbliche Verstand ein Kunkellehn war. Ihr Bruder, der östreichische Minister Graf Vuol, hatte daran nicht den Antheil geerbt, der zur Leitung der Politik einer großen Monarchie unentbehrlich ist. Die beiden Geschwister standen einander persönlich nicht näher als die russische und die östreichische Politik. Als ich 1852 in besondrer Mission in Wien beglaubigt war, war das Verhältniß zwischen ihnen noch derart, daß Frau von Meyendorff geneigt war, mir das Gelingen meiner für Oestreich freundlichen Mission zu erleichtern, wofür ohne Zweifel die Instructionen ihres Gemals maßgebend waren. Der Kaiser Nicolaus wünschte damals unsre Verständigung mit Oestreich. Als ein oder zwei Jahre später, zur Zeit des Krimkriegs, von meiner Ernennung nach Wien die Rede war, fand das Verhältniß zwischen ihr und ihrem Bruder in den Worten Ausdruck: sie hoffe, daß ich nach Wien kommen und "dem Karl ein Gallenfieber anärgern würde". Frau von Meyendorff war als Frau ihres Gemals patriotische Russin und würde auch ohnedies schon nach ihrem persönlichen Gefühl die feindselige und undankbare Politik nicht gebilligt haben, zu welcher Graf Buol Oestreich bewogen hatte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 750 [1-224] Erziehung er einen Antheil beanspruchte, war sein Wohlwollen für mich unbegrenzt, und die Formen, in denen er mir Vertrauen zeigte, überschritten die unter Diplomaten zulässige Grenze, vielleicht aus Berechnung, vielleicht aus Ostentation einem Collegen gegenüber, an dessen bewunderndes Verständniß mir gelungen war ihn glauben zu machen. Diese Beziehungen wurden unhaltbar, sobald ich als preußischer Minister ihm die Illusion seiner persönlichen und staatlichen Ueberlegenheit nicht mehr lassen konnte. Hinc irae. Sobald ich selbständig als Deutscher oder Preuße oder als Rival im europäischen Ansehn und in der geschichtlichen Publicistik aufzutreten begann, verwandelte sich sein Wohlwollen in Mißgunst. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 765 [1-230] wird aus meinem Briefe an den Minister von Manteuffel vom 11. Januar 1858 anschaulich: (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 767 Als ich 1852 die Gesandschaft in Wien zu leiten hatte, stieß ich dort auf die Gewohnheit, wenn der Gesandte eine Mittheilung zu machen hatte, die Instruction, durch die er von Berlin aus dazu beauftragt war, dem östreichischen Minister des Auswärtigen im Original einzureichen. Diese für den Dienst ohne Zweifel nachtheilige Gewohnheit, bei der eigentlich die vermittelnde Amtsthätigkeit des Gesandten als überflüssig erschien, war dergestalt tief eingerissen, daß der damalige, seit Jahrzehnten in Wien einheimische Kanzleivorstand der Gesandschaft aus Anlaß des von mir ergangenen Verbots mich aufsuchte, um mir vorzustellen, wie groß das Mißtrauen der kaiserlichen Staatskanzlei sein werde, wenn wir plötzlich in der langjährigen Gepflogenheit eine Aenderung eintreten ließen; man würde namentlich mir gegenüber zweifelhaft werden, ob meine Einwirkung auf den Grafen Buol wirklich dem Text meiner Instructionen und also den Intentionen der Berliner Politik entspräche. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 796 Während dieser Wochen regten der Fürst von Hohenzollern und Rudolf von Auerswald bei dem Regenten meine Ernennung zum Minister des Auswärtigen an. Es fand infolge dessen im Palais eine Art von Conseil statt, das aus dem Fürsten, Auerswald, Schleinitz und mir bestand. Der Regent leitete die Besprechung mit der Aufforderung an mich ein, das Programm zu entwickeln, zu welchem ich riethe. Ich legte dasselbe in der Richtung, die ich später als Minister verfolgt habe, in so weit offen dar, daß ich als die schwächste Seite unsrer Politik ihre Schwäche gegen Oestreich bezeichnete, von der sie seit Olmütz und besonders in den letzten Jahren während der italienischen Krisis beherrscht gewesen sei. Könnten wir unsre deutsche Aufgabe im Einverständniß mit Oestreich lösen, um so besser. Die Möglichkeit würde aber erst vorliegen, wenn man in Wien die Ueberzeugung hätte, daß wir im entgegengesetzten Falle auch den Bruch und den Krieg nicht fürchteten. Die zur Durchführung unsrer Politik wünschenswerthe Fühlung mit Rußland zu bewahren, würde gegen Oestreich leichter sein als mit Oestreich. Unmöglich aber schiene mir das auch im letztern Falle nicht, nach meiner in Petersburg gewonnenen Kenntniß des russischen Hofes und der dort leitenden Einflüsse. Wir hätten dort aus dem Krimkriege und den polnischen Verwicklungen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 800 [1-239] also unter geschickter Berührung einer Saite, die im Gemüth des Regenten ihren Anklang nie versagte, unter Schilderung der Bedenken und Gefahren, die von Westen (Paris) und im Innern drohten, wenn die Beziehungen zu Oestreich trotz aller berechtigten Gründe zur Empfindlichkeit nicht erhalten würden. Die Gefahren russisch-französischer Verbindungen, die schon damals in der Oeffentlichkeit eine Rolle spielten, wurden entwickelt, die Möglichkeit preußisch-russischer Verbindungen als von der öffentlichen Meinung verurtheilt dargestellt. Charakteristisch war, daß, sobald Schleinitz sein letztes Wort eines geläufigen und offenbar vorbereiteten Vortrages gesprochen hatte, der Regent wiederum das Wort nahm und in klarer Entwicklung erklärte, daß er sich in Erinnerung an die väterlichen Traditionen für die Darstellung des Ministers von Schleinitz entscheide, und damit wurde die Erörterung kurzer Hand geschlossen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 801 Die Schnelligkeit, mit welcher er sich entschied, nachdem das letzte Wort des Ministers gefallen war, ließ mich annehmen, daß die ganze mise en scène vorher verabredet war und nach dem Willen der Prinzessin sich entwickelt hatte, um den Ansichten des Fürsten von Hohenzollern und Auerswalds eine äußerliche Berücksichtigung zu gewähren, während sie schon damals sich mit diesen Beiden und deren Neigung, das Cabinet durch meine Zuziehung zu stärken, nicht im Einklang befand. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 802 In der Politik der Prinzessin, welche für ihren Gemal und für den Minister von erheblichem Gewicht war, gaben, wie ich annahm, eher gewisse Abneigungen den Ausschlag als positive Ziele. Die Abneigungen richteten sich gegen Rußland, gegen Louis Napoleon, mit dem Beziehungen zu unterhalten ich im Verdacht stand, gegen mich, wegen Neigung zu unabhängiger Meinung und wegen wiederholter Weigerung, Ansichten der hohen Frau bei ihrem Gemal als meine eignen zu vertreten. Ihre Geneigtheiten wirkten in demselben Sinne. Herr von Schleinitz war politisch ihr Geschöpf, ein von ihr abhängiger Höfling ohne eigne politische Ueberzeugung. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 804 Der Fürst von Hohenzollern, der sich überzeugte, daß die Prinzessin und Schleinitz durch sie stärker waren als er, zog sich bald nachher von den Geschäften thatsächlich zurück, wenn er auch dem Namen nach bis zum September 1862 Ministerpräsident blieb. Die Leitung ging damit auch äußerlich auf Auerswald über, mit dem ich während der Zeit, die ich noch in Berlin zubrachte, in freundlichem Verkehr blieb. Er war von besonders liebenswürdigen Formen und hervorragender politischer Begabung; und nachdem ich zwei Jahr später Ministerpräsident geworden war, leistete er mir einen wohlwollenden Beistand, namentlich dadurch, daß er bei dem Kronprinzen die Bedenken und Besorgnisse über die Zukunft unsres Landes bekämpfte, die ihm von England aus gegen mich als Russenfreund beigebracht worden waren und die später zu dem Danziger Pronunciamiento führten. Auf seinem Sterbebette 1)ließ er den Kronprinzen zu sich bitten, warnte eindringlich vor den Gefahren, welche seine Opposition der Monarchie bereiten könnte, und bat den Prinzen, an mir festzuhalten 2). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 805 Im Sommer 1861 war es innerhalb des Ministeriums zu einem Kampfe gekommen, der in dem nachstehenden Brief des Kriegsministers von Roon vom 27. Juni 3) geschildert ist: (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 807 Sie sind wohl im Allgemeinen über die jetzt kritische Huldigungsfrage orientirt. Sie ist zum Brechen scharf zugespitzt. Der König kann nicht nachgeben, ohne sich und die Krone für immer zu ruiniren. Die Mehrzahl der Minister kann es ebenso wenig; sie würden sich die unmoralischen Bäuche aufschlitzen, sich politisch (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 811 [1-241] vernichten. Sie können nicht anders als ungehorsam sein und bleiben. Bis jetzt haben ich, der ich eine ganz entgegengesetzte Position zur brennenden Frage eingenommen, und (Edwin) Manteuffel mit Mühe verhindert, daß der König sich beuge. Er würde es thun, wenn ich dazu riethe, aber ich hoffe zu Gott, daß er meine Zunge lähme, bevor sie zustimmt. Aber ich stehe allein, ganz allein; Edwin Manteuffel geht heute auf die Festung 1). Gestern endlich hat mir der König erlaubt, mich für ihn nach andern Ministern umzusehen. Er ist der trostlosen Ansicht, er fände, außer bei Stahl und Cp., keine Männer, die die Huldigung mit Eidesleistung für zulässig erachten. Ich frage nun, ob Sie die althergebrachte Erbhuldigung für ein Attentat gegen die Verfassung halten? Antworten Sie darauf mit Ja, so habe ich mich getäuscht, wenn ich annahm, daß Sie meiner Ansicht seien. Treten Sie dieser aber bei und meinen Sie, daß es ein doctrinärer Schwindel, eine Folge politischer Engagements und politischer Parteistellung sei, wenn die lieben Gespielen sich nicht in der Lage zu befinden glauben: so werden Sie auch nicht Anstand nehmen, in den Rath des Königs einzutreten und die Huldigungsfrage in correcter Weise zu lösen. Dann werden Sie auch Mittel finden, die beabsichtigte Urlaubsreise unverzüglich anzutreten und mich ungesäumt durch den Telegraphen zu benachrichtigen. Die Worte: ‚Ja, ich komme!' reichen aus, besser noch, wenn Sie das Datum Ihrer Ankunft hinzufügen können. Schleinitz geht unter allen Umständen, ganz abgesehen von der Huldigungsfrage. Das steht fest! Aber es ist fraglich, ob Sie sein oder Schwerins Portefeuille zu übernehmen haben werden. S. M. scheint für letzteres mehr, als für ersteres disponirt. Doch ist das cura posterior. Es kömmt darauf an, den König zu überzeugen, daß er ohne affichirten Systemwechsel ein Ministerium finden kann, wie er es braucht. Ich habe außerdem ähnliche Fragen an (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 818 [1-243] gefällt, und wenn man meinem Könige ein Recht bestreitet, welches er ausüben will und kann, so fühle ich mich verpflichtet es zu verfechten, wenn ich auch an sich nicht von der practischen Wichtigkeit seiner Ausübung durchdrungen bin. In diesem Sinne telegraphirte ich an Schlieffen, daß ich den ,Besitztitel', auf dessen Grund ein neues Ministerium sich etabliren soll, für richtig halte, und sehe die Weigerung der andern Partei und die Wichtigkeit, welche sie auf Verhütung des Huldigungsactes legt, als doctrinäre Verbissenheit an. Wenn ich hinzufügte, daß ich die sonstige Vermögenslage nicht kenne, so meinte ich damit nicht die Personen und Fähigkeiten, mit denen wir das Geschäft übernehmen könnten, sondern das Programm, auf dessen Boden wir zu wirthschaften haben würden. Darin wird m. E. die Schwierigkeit liegen. Meinem Eindruck nach lag der Hauptmangel unsrer bisherigen Politik darin, daß wir liberal in Preußen und conservativ im Auslande auftraten, die Rechte unsres Königs wohlfeil, die fremder Fürsten zu hoch hielten. Eine natürliche Folge des Dualismus zwischen der constitutionellen Richtung der Minister und der legitimistischen, welche der persönliche Wille Seiner Majestät unsrer auswärtigen Politik gab. Ich würde mich nicht leicht zu der Erbschaft Schwerins entschließen, schon weil ich mein augenblickliches Gesundheits-Capital dazu nicht ausreichend halte. Aber selbst wenn es der Fall wäre, würde ich auch im Innern das Bedürfniß einer andern Färbung unsrer auswärtigen Politik fühlen. Nur durch eine Schwenkung in unsrer, ‚auswärtigen' Haltung kann, wie ich glaube, die Stellung der Krone im Innern von dem Andrang degagirt werden, dem sie auf die Dauer sonst thatsächlich nicht widerstehn wird, obschon ich an der Zulänglichkeit der Mittel dazu nicht zweifle. Die Pression der Dämpfe im Innern muß ziemlich hoch gespannt sein, sonst ist es garnicht verständlich, wie das öffentliche Leben bei uns von Lappalien wie Stieber, Schwark, Macdonald, Patzke, Twesten u. dergl. so aufgeregt werden konnte, und im Auslande wird man nicht begreifen, wie die Huldigungsfrage das Cabinet sprengen konnte. Man sollte (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 823 Ich hatte fünf Tage lang keine Zeitungen gesehn, als ich am 9. Juli in Lübeck um fünf Uhr Morgens eintraf und aus der im Bahnhofe allein vorhandnen schwedischen Ystädter Zeitung ersah, daß der König und die Minister Berlin verlassen hatten, die Krisis also beigelegt sein mußte. Am 3. Juli hatte der König das Manifest erlassen, daß er das Herkommen der Erbhuldigung festhalte, aber in Betracht der Veränderungen, welche in der Verfassung der Monarchie unter der Regirung seines Bruders eingetreten, beschlossen habe, anstatt der Erbhuldigung die feierliche Krönung zu erneuern, durch welche die erbliche Königswürde begründet sei. Ueber den Verlauf der Krisis schrieb mir Roon am 24. Juli von Brunnen (Kanton Schwyz) 2): (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 826 [1-246] "Ich habe gelobt, Ihnen am ersten Regentage zu antworten und muß es daher leider schon heute thun und zwar aus einem versiegenden Dintenfaß, welches ich, falls nicht andre Hülfe kommt, auf einige Minuten zum Fenster hinaushalten werde, um seiner Armuth aufzuhelfen. - Daß wir uns immer wieder verfehlten, halte ich kaum für providentiell, lieber für sehr fatal. Die Depesche aus Frankfurt kam, Dank der Dummheit des Dienstpersonals, erst am 17. nach acht Uhr früh in meine Hände und meine sofortige Antwort darauf nach einigen Stunden als unbestellbar zurück. Um so bedenklicher wurde ich wegen meiner Abreise. Aber ich konnte sie nicht verschieben. Schleinitz im Dienste der Königin Augusta hat uns vor der Hand sehr geschadet. Das Geschwür war reif. Schl. selbst, überzeugt von der Unhaltbarkeit des gegenwärtigen Systems, hat vornehmlich deshalb seinen Abtritt genommen, wie die Ratten ein baufälliges Schiff zu verlassen pflegen. Aber er und v. d. Heydt stimmten darin überein, daß man todte abgenutzte Leute nicht durch den galvanischen Strich eines vermeintlichen Märtyrerthums wieder lebendig machen dürfe, und darum gegen mich. Schl., unterstützt von der K. A. und der Großfürstin Helene, haben obgesiegt mit Hülfe der wieder aufgenommenen Krönungsidee, für welche die Mäntel schon im Februar bestellt worden waren. Der schlecht maskirte Rückzug wurde nun angetreten und die fast fertige Ministerliste ad acta gelegt. Uebrigens bin ich zu glauben sehr geneigt, daß Schl., wie die K. A. und selbst der Fürst Hohenzollern an den nahen Untergang des jetzigen Lügensystems glauben und ihn zu befördern geneigt sind. Daß Schl. ausgetreten, ist in jeder Beziehung ein Fortschritt, wiewohl er nicht auf dem doctrinären Boden von Patow, Auerswald und Schwerin steht. Abgesehn von seiner Impotenz im Handeln stützte seine Anwesenheit das Ministerium nach oben. Der Mignon durfte nicht fallen; wohlan! er ist nun im Hafen. Wenn Graf Bernstorff nur halb der Mann ist, für den er von Vielen ausgegeben wird, so ist dieser zweite Keil wirksamer als der erste, oder er bleibt nicht vier Monate im Amte. Daß ich mich in der (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 833 Auf Wunsch des Ministers von Schleinitz begab ich mich am 10. Juli nach Baden-Baden, um mich bei dem Könige zu melden. Er schien von meinem Erscheinen unangenehm überrascht in der Meinung, ich komme wegen der Ministerkrisis. Ich erwähnte, ich (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 837 Während der Festlichkeiten sah ich, daß in der Stimmung der Königin eine Veränderung vorgegangen war, die vielleicht mit dem inzwischen erfolgten Rücktritt von Schleinitz zusammenhing. Sie ergriff die Initiative zur Besprechung national-deutscher Politik mit mir. Ich begegnete dort zum ersten Male dem Grafen Bernstorff als Minister, der zu einer bestimmten Entschließung über seine Politik noch nicht gelangt zu sein schien und mir in unsern Gesprächen den Eindruck machte, als ringe er nach einer Meinung. Die Königin zeigte sich gegen mich freundlicher als seit langen Jahren, sie zeichnete mich in augenfälliger Weise aus, offenbar über die im Augenblick von dem Könige gewünschte Linie hinaus. In einem Moment, der ceremoniell für Unterhaltung kaum Zeit bot, blieb sie vor mir, der ich in dem Haufen stand, stehn und begann mit mir ein Gespräch über deutsche Politik, dem der sie führende König, ein Zeit lang vergebens, ein Ende zu machen suchte. Das Verhalten beider Herrschaften bei dieser und andern Gelegenheiten bewies, daß damals eine Meinungsverschiedenheit über die Behandlung der deutschen Frage zwischen ihnen bestand; ich vermuthe, daß Graf Bernstorff Ihrer Majestät nicht sympathisch war. Der König vermied, mit mir über Politik zu reden, wahrscheinlich in der Besorgniß, durch Beziehungen zu mir in eine reactionäre Beleuchtung zu gerathen. Diese Besorgniß beherrschte ihn noch im Mai 1862 und sogar noch im September 1862. Er hielt mich für fanatischer als ich war. Nicht ohne Einfluß war (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 840 Schon in der Berufung des Prinzen Adolf von HohenloheIngelfingen zum Vertreter des Ministerpräsidenten Fürsten Hohenzollern, März 1862, lag eine Art von ministerieller Wechselreiterei, die auf kurze Verfallzeit berechnet war. Der Prinz war ein kluger Herr, liebenswürdig, dem Könige unbedingt ergeben und hatte sich an unsrer innern Politik, wenn auch mehr dilettantisch, doch lebhafter betheiligt, als die meisten seiner Genossen vom standesherrlichen Adel; aber er war der Stelle eines Ministerpräsidenten in bewegten Zeiten körperlich und vielleicht auch geistig nicht mehr gewachsen und suchte diesen Eindruck, als ich ihn im Mai 1862 sah, mir gegenüber absichtlich zu verstärken, während er mich beschwor, ihn durch schleunige Uebernahme des Ministeriums von seinem Martyrium zu erlösen, unter dem er zusammenbreche. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 848 Der Gedanke, mir ein Ministerium ohne Portefeuille zu geben, wird hoffentlich Allerhöchsten Ortes nicht Raum gewinnen; bei der letzten Audienz war davon nicht die Rede; die Stellung ist nicht practisch; nichts zu sagen und alles zu tragen haben, in alles unberufen hineinstänkern und von jedem abgebissen, wo man wirklich mitreden will. Mir geht Portefeuille über Präsidium; letztres ist doch nur eine Reservestellung; auch würde ich nicht gern einen Collegen haben, der halb in London wohnt. Will er nicht ganz dahin ziehn, so gönne ich ihm von Herzen zu bleiben, wo er ist, und halte es nicht für freundschaftlich, ihn zu drängen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 851 "... Am Sonntage sprach mir Schleinitz über den Ersatz für Hohenlohe und meinte, Ihre Zeit wäre noch nicht gekommen. Als ich ihn fragte, wer denn als Haupt des Ministerii fungiren (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 853 [1-253] sollte, zuckte er die Achseln, und als ich hinzusetzte, es bliebe dann nichts übrig, als daß er sich selbst erbarmte, schlüpfte er darüber hinweg, nicht abwehrend, nicht zustimmend. Daß mich dies beunruhigt, kann Sie nicht wundern. Ich nahm daher gestern Gelegenheit, an maßgebender Stelle die Ministerpräsidenten-Frage auf die Bahn zu bringen, und fand die alte Hinneigung zu Ihnen neben der alten Unentschlossenheit. Wer kann da helfen? Und wie soll dies enden? - - Keine regierungsfähige Partei! Die Demokraten sind selbstverständlich ausgeschlossen, aber die große Majorität besteht aus Demokraten und solchen, die es werden wollen, wenngleich ihr Adreßentwurf von Loyalitätsversicherungen trieft. Daneben die Constitutionellen, d. h. die Eigentlichen, ein Häuflein von wenig mehr als 20 Köpfen, Vincke an der Spitze, circa 15 Conservative, 30 Katholiken, einige 20 Polen. Wo also findet eine mögliche Regierung die nöthige Unterstützung? Welche Parthei kann bei dieser Gruppirung regieren außer den Demokraten, und diese können es, dürfen es erst recht nicht. Unter diesen Umständen, so sagt meine Logik, muß die jetzige Regierung im Amte bleiben, so schwierig es auch sein mag. Und eben deshalb muß sie sich mit Nothwendigkeit verstärken und zwar je eher, je lieber. - - Daß Graf Bernstorff immer zwei große Posten in Beschlag habe, scheint mir nun nicht eben durch Preußens Interesse geboten zu sein. Ich werde mich daher sehr freuen, wenn Sie nächstens zum Ministerpräsidenten ernannt werden, obgleich ich überzeugt bin, daß B. dann binnen Kurzem aus seiner Doppelstellung treten und nicht länger den Koloß, 1 Fuß in Berlin, 1 in London, spielen wird. Ich schiebe es Ihnen in's Gewissen, keinen Gegenzug zu thun, da er schließlich dahin führen könnte und würde, den König in die offenen Arme der Demokraten zu treiben. - - Zum 11. ds. M. ist Hohenlohes Urlaub um. Er wird nicht wiederkommen, sondern nur sein Entlassungsgesuch. Und dann, ja dann hoffe ich, wird der Telegraph Sie herrufen. Alle Patrioten ersehnen dies. Wie könnten Sie da zaudern und manövriren?" (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 857 Ich habe Ihren Brief durch Stein (damals Militär-Bevollmächtigter) richtig erhalten, offenbar unerbrochen, denn ich konnte ihn ohne theilweise Zerstörung nicht öffnen. Sie können versichert sein, daß ich durchaus keine Gegenzüge und Manövers mache; wenn ich nicht aus allen Anzeichen ersähe, daß Bernstorff garnicht daran denkt auszuscheiden, so würde ich mit Gewißheit erwarten, daß ich in wenig Tagen Paris verließe, um über London nach Berlin zu gehn, und ich würde keinen Finger rühren, um dem entgegenzuarbeiten. Ich rühre auch so keinen; aber ich kann doch auch nicht den König mahnen, mir Bernstorffs Stelle zu geben, und wenn ich ohne Portefeuille einträte, so hätten wir, Schleinitz eingerechnet, drei auswärtige Minister, von denen jeder Verantwortung gegenüber der eine sich stündlich in's Hausministerium, der andre nach London zurückzuziehn bereit ist. Mit Ihnen weiß ich mich einig, mit Jagow glaube ich es werden zu können, die Fachministerien würden mir nicht Anstoß geben; über auswärtige Dinge aber habe ich ziemlich bestimmte Ansichten; Bernstorff vielleicht auch, aber ich kenne sie nicht, und vermag mich in seine Methode und seine Formen nicht einzuleben, ich habe auch kein Vertrauen zu seinem richtigen Augenmaß für die politischen Dinge, er also vermuthlich zu dem meinigen auch nicht. So sehr lange kann die Ungewißheit übrigens nicht mehr dauern; ich warte bis nach dem 11., ob der König bei der Auffassung vom 26. v. M. 2)bleibt oder sich anderweit versorgt. Geschieht bis dahin nichts, so schreibe ich Sr. M. in der Voraussetzung, daß mein hiesiges Verhältniß definitiv wird, und ich meine häuslichen Einrichtungen danach treffe, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 861 [1-256] 10. Juni. Die Antwort Sr. M. auf die Adresse macht in ihrer zurückhaltenden Gemessenheit einen sehr würdigen Eindruck, und kühl, keine Gereiztheit. Anspielungen auf Schleinitz' Eintritt für Hohenlohe finden sich in mehren Blättern. Ich gönne es ihm von Herzen, und Hausminister bleibt er dabei doch. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 874 Ich habe mir neulich viele Fragen darüber vorgelegt, warum Sie telegraphisch Sich erkundigten, ob ich Ihren Brief vom 26. [v. M.] erhalten hätte. Ich habe nicht darauf geantwortet, weil ich etwas Neues über den Hauptgegenstand nicht geben, sondern nur empfangen konnte. Seitdem ist mir ein Courier zugegangen, der mir seit 14 Tagen telegraphisch angemeldet war und in dessen Erwartung ich 8 Tage zu früh von England zurückkam. Er brachte einen Brief von Bernstorff, in Antwort auf ein Urlaubsgesuch von mir. Ich bin hier jetzt überflüssig, weil kein Kaiser, kein Minister, kein Gesandter mehr hier ist. Ich bin nicht sehr gesund, und diese provisorische Existenz mit Spannung auf ‚ob und wie' ohne (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 876 [1-259] eigentliche Geschäfte beruhigt die Nerven nicht. Ich ging meiner Ansicht nach auf 10 bis 14 Tage her, und bin nun 7 Wochen hier, ohne je zu wissen, ob ich in 24 Stunden noch hier wohne. Ich will mich dem Könige nicht aufdrängen, indem ich in Berlin vor Anker liege, und gehe nicht nach Hause, weil ich fürchte, auf der Durchreise durch Berlin im Gasthof auf unbestimmte Zeit angenagelt zu werden. Aus Bernstorffs Brief 1)ersehe ich, daß es dem Könige vor der Hand nicht gefällt, mir das Auswärtige zu übertragen, und daß Se. Majestät sich noch nicht über die Frage schlüssig gemacht hat, ob ich an Hohenlohes Stelle treten soll, diese Frage aber auch nicht durch Ertheilung eines Urlaubs auf 6 Wochen negativ präjudiciren will. Der König ist, wie mir Bernstorff schreibt, zweifelhaft, ob ich während der gegenwärtigen Session nützlich sein könne und ob nicht meine Berufung, wenn sie überhaupt erfolgt, zum Winter aufzuschieben sei. Unter diesen Umständen wiederhole ich heut mein Gesuch um 6 Wochen Urlaub 2), was ich mir wie folgt motivire. Einmal bin ich wirklich einer körperlichen Stärkung durch Berg- und Seeluft bedürftig; wenn ich in die Galeere eintreten soll, so muß ich etwas Gesundheitsvorrath sammeln, und Paris ist mir bis jetzt schlecht bekommen mit dem Hunde-Bummel-Leben als Garçon. Zweitens muß der König Zeit haben, sich ruhig aus eigner Bewegung zu entschließen, sonst macht Se. Majestät für die Folgen die verantwortlich, die ihn drängen. Drittens will Bernstorff jetzt nicht abgehn, der König hat ihn wiederholt aufgefordert zu bleiben, und erklärt, daß er mit mir wegen des Auswärtigen garnicht gesprochen habe; die Stellung als Minister ohne Portefeuille finde ich aber nicht haltbar. Viertens kann mein Eintritt, der jetzt zwecklos und beiläufig erscheinen würde, in einem spätern Moment als eindrucksvolles Manöver verwerthet werden. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 877 Ich denke mir, daß das Ministerium allen Streichungen im (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 880 [1-260] Militäretat ruhig und deutlich opponirt, aber keine Krisis über dieselben herbeiführt, sondern die Kammer das Budget vollständig durchberathen läßt. Das wird, wie ich annehme, im September geschehn sein. Dann geht das Budget, von dem ich voraussetze, daß es für die Regirung nicht annehmbar ist, an das Herrenhaus, falls man sicher ist, daß die verstümmelte Budget-Vorlage dort abgelehnt wird. Dann, oder andernfalls schon vor der Berathung im Herrenhause, könnte man es, mit einer Königlichen Botschaft, welche mit sachlicher Motivirung die Zustimmung der Krone zu einem derartigen Budgetgesetz verweigert, an die Abgeordneten zurückgeben, mit der Aufforderung zu neuer Berathung. Eine 30tägige Vertagung des Landtages würde vielleicht an diesem Punkte, oder schon früher, einzuschalten sein. Je länger sich die Sache hinzieht, desto mehr sinkt die Kammer in der öffentlichen Achtung, da sie den Fehler begangen hat und noch weiter begehn wird, sich in alberne Kleinigkeiten zu verbeißen, und da sie keinen Redner hat, der nicht die Langeweile des Publikums vermehrte. Kann man sie dahin bringen, daß sie sich in solche Lappalie wie die Continuität des Herrenhauses verbeißt und darüber Krieg anfängt und die Erledigung der eigentlichen Geschäfte verschleppt, so ist es ein großes Glück. Sie wird müde werden, hoffen, daß der Regirung der Athem ausgeht, und die Kreisrichter müssen mit den Kosten ihrer Stellvertretung geängstigt werden. Wenn sie mürbe wird, fühlt, daß sie das Land langweilt, dringend auf Concessionen Seitens der Regirung hofft, um aus der schiefen Stellung erlöst zu werden, dann ist m. E. der Moment gekommen, ihr durch meine Ernennung zu zeigen, daß man weit entfernt ist, den Kampf aufzugeben, sondern ihn mit frischen Kräften aufnimmt. Das Zeigen eines neuen Bataillons in der ministeriellen Schlachtordnung macht dann vielleicht einen Eindruck, der jetzt nicht erreicht würde; besonders wenn vorher etwas mit Redensarten von Octroyiren und Staatsstreicheln gerasselt ist, so hilft mir meine alte Reputation von leichtfertiger Gewaltthätigkeit, und man denkt ‚nanu geht's (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 891 Sie werden sich ungefähr denken können, warum ich Ihnen bisher nicht geantwortet; ich hoffte und hoffte immer wieder auf eine Entscheidung oder doch auf eine Situation, welche eine akute Lösung herbeiführen müßte. Leider haben meine, unsere Leiden noch immer einen ganz chronischen Charakter. Jetzt ist ein neues Moment - die Freisprechung der Verleumder von der Heydts - hinzugetreten, aber auch das wird sich im märkischen Sande verlaufen. Ich habe mich der misère générale auf einige Tage entzogen, als ich bei der Abreise des Königs nach D(oberan) hierher (Zimmerhausen) floh, um Hühner zu schießen. Bernstorff, den ich vor 3-4 Wochen ganz entschlossen fand, seinen Posten zu verlassen, der ihm viel zu schwer und sauer wird, sagte mir vor 8 Tagen, daß er doch nicht wisse, ob er nach dem Schluß der parlamentarischen Session nicht dem Wunsche des Königs (falls er ausgesprochen werden sollte) werde nachgeben und bleiben müssen, wiewohl seine Sehnsucht nach Erlösung nicht erloschen sei, d. h. in die Wirklichkeit übersetzt, die Session hat sich so lange hingezogen, daß ihr Schluß voraussichtlich mit der Entbindung der Gräfin ungefähr zusammenfallen wird; daß daher eine Versetzungsreise im Winter alsdann noch viel weniger passen würde als ohne dies. Schon früher sagte er mir nämlich, daß seine Versetzung nach London spätestens im September stattfinden müsse, wenn sie für ihn annehmlich sein sollte. Diese vielleicht verdammliche Selbstsucht auf der einen und die Unentschlossenheit des Königs auf der anderen Seite, verbunden mit v. d. Heydts Ansicht, daß er sich zwar einen Präsidenten, nicht aber einen solchen aus der Zahl jüngerer Collegen gefallen lassen könne und werde, läßt mich zu der früheren Behauptung zurückkehren, daß Sie als Ministerpräsident und zwar vorläufig ohne Portefeuille eintreten müssen; letzteres wird sich später von selbst finden. Daß wir in die Wintersession (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 893 [1-264] und rathe, Sie einstweilen zum Minister-Präsidenten ohne Portefeuille zu ernennen, was ich bisher vermieden; es geht nicht anders! Wollen Sie dies absolut nicht, so desavouiren Sie mich oder gebieten Sie mir Schweigen. Ich spreche den Herrn am 7. in einer ganz vertraulichen Audienz, die er mir für diesen Tag bei seiner Durchreise nach Carlsruhe zur Taufe (am 9./9.) zugesagt hat. Sie haben also auch noch Zeit zum Protestiren. Von der allgemeinen Situation will ich heut nicht reden. Die innere Katastrophe wird jetzt nicht stattfinden, wie ich vermuthe, sondern erst im Frühjahr, und da müssen Sie nothwendig dabei sein. Sie wird über unsere Zukunft endgültig entscheiden. ... Ihr v. Roon." 1) (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 910 In der That war mir jeder Gedanke an Abdication des Königs fremd, als ich am 22. September in Babelsberg empfangen wurde, und die Situation wurde mir erst klar, als Se. Majestät sie ungefähr mit den Worten präcisirte: "Ich will nicht regiren, wenn ich es nicht so vermag, wie ich es vor Gott, meinem Gewissen und meinen Unterthanen verantworten kann. Das kann ich aber nicht, wenn ich nach dem Willen der heutigen Majorität des Landtags regiren soll, und ich finde keine Minister mehr, die bereit wären, meine Regirung zu führen, ohne sich und mich der parlamentarischen Mehrheit zu unterwerfen. Ich habe mich deshalb entschlossen, die Regirung niederzulegen, und meine Abdicationsurkunde, durch die angeführten Gründe motivirt, bereits entworfen." Der König zeigte mir das auf dem Tische liegende Actenstück in seiner Handschrift, ob bereits vollzogen oder nicht, weiß ich nicht. Se. Majestät schloß, indem er wiederholte, ohne geeignete Minister könne er nicht regiren. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 911 Ich erwiderte, es sei Sr. Majestät schon seit dem Mai bekannt, daß ich bereit sei, in das Ministerium einzutreten, ich sei gewiß, daß Roon mit mir bei ihm bleiben werde, und ich zweifelte nicht, daß die weitre Vervollständigung des Cabinets gelingen werde, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 912 [1-268] falls andre Mitglieder sich durch meinen Eintritt zum Rücktritt bewogen finden sollten. Der König stellte nach einigem Erwägen und Hin- und Herreden die Frage, ob ich bereit sei, als Minister für die Militär-Reorganisation einzutreten, und nach meiner Bejahung die weitre Frage, ob auch gegen die Majorität des Landtages und deren Beschlüsse. Auf meine Zusage erklärte er schließlich: "Dann ist es meine Pflicht, mit Ihnen die Weiterführung des Kampfes zu versuchen, und ich abdicire nicht." Ob er das auf dem Tische liegende Schriftstück vernichtet oder in rei memoriam aufbewahrt hat, weiß ich nicht. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 916 Der König zerriß das Programm und war im Begriff, die Stücke von der Brücke in die trockne Schlucht im Park zu werfen, als ich daran erinnerte, daß diese Papiere mit der bekannten Handschrift in sehr unrechte Hände gerathen könnten. Er fand, daß ich Recht hätte, steckte die Stücke in die Tasche, um sie dem Feuer zu übergeben, und vollzog an demselben Tage meine Ernennung zum Staatsminister und interimistischen Vorsitzenden des Staatsministeriums, die am 23. veröffentlicht wurde. Meine Ernennung zum Ministerpräsidenten behielt der König vor, bis er mit dem Fürsten von Hohenzollern, der staatsrechtlich diese Stellung noch inne hatte, die desfallsige Correspondenz beendet haben werde 1). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 917 1) Vgl. Kaiser I. und Fürst Bismarck, Münchener Allg. Zeitung 7. October 1890 M.-A. - Die definitive Ernennung zum Ministerpräsidenten und Minister der Auswärtigen Angelegenheiten erfolgte am 8. October. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 920 Die Königliche Autorität hatte bei uns unter dem Mangel an Selbständigkeit und Energie unsrer auswärtigen und namentlich unsrer deutschen Politik gelitten; in demselben Boden wurzelte die Ungerechtigkeit der bürgerlichen Meinung über die Armee und deren Offiziere und die Abneigung gegen militärische Vorlagen und Ausgaben. In den parlamentarischen Fractionen fand der Ehrgeiz der Führer, Redner und Minister-Candidaten Nahrung und Deckung hinter der nationalen Verstimmung. Klare Ziele hatten unsrer Politik seit dem Tode Friedrichs des Großen entweder gefehlt oder sie waren ungeschickt gewählt oder betrieben; letztres von 1786 bis 1806, wo unsre Politik planlos begann und traurig endete. Man entdeckt in ihr bis zum vollen Ausbruch der französischen Revolution keine Andeutung einer national-deutschen Richtung. Die ersten Spuren einer solchen, die sich im Fürstenbunde in den Ideen von einem preußischen Kaiserthum, in der Demarcationslinie, in der Erwerbung deutscher Landstriche finden, sind Ergebnisse nicht nationaler, sondern preußisch-particularistischer Bestrebungen. Im Jahr 1786 lag das stärkere Interesse noch nicht auf deutsch-nationalem Gebiete, sondern in dem Gedanken polnischer territorialer Erwerbungen, und bis in den Krieg von 1792 hinein war das Mißtrauen zwischen Preußen und Oestreich weniger durch die deutsche als durch die polnische Rivalität beider Mächte genährt. In den Händeln der Thugut-Lehrbach'schen Periode spielte der Streit (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 926 Wenn ich Minister Friedrich Wilhelms II. gewesen wäre, so würde ich eher dazu gerathen haben, den Ehrgeiz Oestreichs und (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 928 Man findet, daß die Geschichte des Hauses Oestreich seit Karl V. eine Reihe versäumter Gelegenheiten zeigt, für welche man in den meisten Fällen die jedesmaligen Beichtväter der regirenden Herrn verantwortlich macht; aber die Geschichte Preußens, allein innerhalb der letzten 100 Jahre, ist nicht weniger reich an solchen Versäumnissen. Wenn die Gelegenheit zur Zeit der Reichenbacher Convention richtig benutzt, keinen befriedigenden, aber doch immer einen Fortschritt in der Laufbahn Preußens gebracht haben könnte, so war eine Evolution in größerm Stile schon 1805 möglich, wo die preußische Politik besser militärisch als diplomatisch gegen Frankreich, für Oestreich und Rußland hätte eingesetzt werden können, aber nicht gratis. Die Bedingungen, unter denen man den Beistand leisten oder geleistet haben sollte, konnte nicht ein Minister wie Haugwitz, sondern nur ein Feldherr, an der Spitze von 150000 Mann in Böhmen oder Baiern, durchsetzen. Was 1806 post festum geschah, konnte 1805 von entscheidender Wirkung sein. Was in Oestreich die Beichtväter, das haben in Preußen Cabinetsräthe und ehrliche aber beschränkte General-Adjutanten an versäumten Gelegenheiten zu Stande gebracht. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 940 In einer absoluten Monarchie, und Preußen war damals eine solche, hat an der Verantwortlichkeit für die Politik außer dem Souverän Niemand einen genau nachweislichen Antheil; faßt oder genehmigt dieser verhängnißvolle Beschlüsse, so kann Niemand beurtheilen, ob sie das Ergebniß eignen moralischen Willens oder des Einflusses sind, den die verschiedenartigsten Persönlichkeiten männlichen und weiblichen Geschlechts, Adjutanten, Höflinge und politische Intriganten, Schmeichler, Schwätzer und Ohrenbläser auf den Monarchen geübt haben. Die Allerhöchste Unterschrift deckt schließlich Alles; wie sie erreicht worden ist, erfährt kein Mensch. Dem jedesmaligen Minister die Verantwortlichkeit für das Geschehene aufzuerlegen, ist für monarchische Auffassungen der nächstliegende Ausweg. Aber selbst wenn die Form des Absolutismus der Form der Verfassung Platz gemacht hat, ist die sogenannte Ministerverantwortlichkeit keine von dem Willen des (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 941 [1-279] unverantwortlichen Monarchen unabhängige. Gewiß kann ein Minister abgehn, wenn er die königliche Unterschrift für das, was er für nothwendig hält, [279]nicht erlangen kann; aber er übernimmt durch sein Abtreten die Verantwortlichkeit für die Consequenzen desselben, die vielleicht auf andern Gebieten viel tiefgreifender sind als auf dem grade streitigen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 942 Er ist außerdem durch die collegiale Form des Staatsministeriums mit ihren Majoritätsabstimmungen zu Compromissen und zu Nachgiebigkeit seinen Collegen gegenüber nach der preußischen Ministerverfassung täglich genöthigt. Eine wirkliche Verantwortlichkeit in der großen Politik aber kann nur ein einzelner leitender Minister, niemals ein anonymes Collegium mit Majoritätsabstimmung, leisten. Die Entscheidung über Wege und Abwege liegt oft in minimalen, aber einschneidenden Wendungen, zuweilen schon in der Tonart und der Wahl der Ausdrücke eines internationalen Actenstückes. Schon bei geringer Abweichung von der richtigen Linie wächst die Entfernung von derselben oft so rapid, daß der verlassene Strang nicht wieder erreicht werden kann, und die Umkehr bis zu dem Gabelpunkt, wo er verlassen wurde, unausführbar ist. Das übliche Amtsgeheimniß deckt die Umstände, unter denen eine Entgleisung stattgefunden hat, Menschenalter hindurch, und das Ergebniß der Unklarheit, in welcher der pragmatische Zusammenhang der Dinge bleibt, erzeugt bei leitenden Ministern, wie das bei manchen meiner Vorgänger der Fall war, Gleichgültigkeit gegen die sachliche Seite der Geschäfte, sobald die formale durch königliche Unterschrift oder parlamentarische Vota gedeckt erscheint. Bei Andern wieder führt der Kampf zwischen dem eignen Ehrgefühl und der Verstrickung der Competenzverhältnisse zu tödtlichen Nervenfiebern, wie bei dem Grafen Brandenburg, oder zu Symptomen von Geistesstörung, wie in einigen frühern Fällen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 944 [1-280] Gerechtigkeit zu vertheilen sei. Rein menschlich gesprochen, wird sie in der Hauptsache auf dem Könige selbst beruhn bleiben, denn er hat überlegne, ihn und die Geschäfte leitende Rathgeber zu keiner Zeit gehabt. Er behielt sich die Auswahl unter den Rathschlägen nicht nur jedes einzelnen Ministers, sondern auch unter den viel zahlreichern vor, die ihm von mehr oder weniger geistreichen Adjutanten, Cabinetsräthen, Gelehrten, unehrlichen Strebern, ehrlichen Phantasten und Höflingen vorgetragen wurden. Und diese Auswahl behielt er sich oft lange vor. Es ist oft weniger schädlich, etwas Unrichtiges als nichts zu thun. Ich habe nie den Muth gehabt, die Gelegenheiten, die mir dieser persönlich so liebenswürdige Herr mehrmals, zuweilen scharf und beinahe zwingend, in den Jahren 1852 bis 1856 geboten hat, sein Minister zu werden, zu benutzen oder ihre Verwirklichung zu fördern. Wie er mich betrachtete, hätte ich ihm gegenüber keine Autorität gehabt, und seine reiche Phantasie war flügellahm, sobald sie sich auf dem Gebiete praktischer Entschlüsse geltend machen sollte. Mir fehlte die schmiegsame Gefügigkeit zur Uebernahme und ministeriellen Vertretung von politischen Richtungen, an die ich nicht glaubte, oder für deren Durchführung ich dem Könige den Entschluß und die Consequenz nicht zutraute. Er unterhielt und förderte die Elemente des Zwiespalts zwischen seinen einzelnen Ministern; die Frictionen zwischen Manteuffel, Bodelschwingh und Heydt, die in triangularem Kampfe mit einander standen, waren dem Könige angenehm und ein politisches Hülfsmittel in kleinen Detail-Gefechten zwischen königlichem und ministeriellem Einfluß. Manteuffel hat mit vollem Bewußtsein die Camarilla-Thätigkeit von Gerlach, Rauch, Niebuhr, Bunsen, Edwin Manteuffel geduldet; er trieb seine Politik mehr defensiv als im Hinblick auf bestimmte Ziele, fortwurstelnd, wie Graf Taaffe sagte, und beruhigt, wenn er durch allerhöchste Unterschrift gedeckt war; doch hat der reine Absolutismus ohne Parlament immer noch das Gute, daß ihm ein Gefühl der Verantwortlichkeit für eigne Thaten bleibt. Gefährlicher ist der durch gefügige (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 946 Die nächste günstige Situation nach dem Krimkriege bot unsrer Politik der italienische Krieg. Ich glaube freilich nicht, daß König Wilhelm schon als Regent 1859 geneigt gewesen sein würde, in plötzlicher Entschließung den Abstand zu überschreiten, der seine damalige Politik von derjenigen trennte, welche später zur Herstellung des Deutschen Reichs geführt hat. Wenn man die damalige Stellung nach dem Maßstabe beurtheilt, den die Haltung des auswärtigen Ministers von Schleinitz in dem demnächstigen Abschluß des Garantievertrages von Teplitz mit Oestreich und in der Weigerung der Anerkennung Italiens bezeichnet, so kann man mit Recht bezweifeln, ob es damals möglich gewesen sein würde, den Regenten zu einer Politik zu bewegen, welche die Verwendung der preußischen Kriegsmacht von Concessionen in der deutschen Bundespolitik abhängig gemacht hätte. Die Situation wurde nicht unter dem Gesichtspunkte einer vorwärts strebenden preußischen Politik betrachtet, sondern in dem gewohnheitsmäßigen Bestreben, sich den Beifall der deutschen Fürsten, des Kaisers von Oestreich und zugleich der deutschen Presse zu erwerben, in dem unklaren Bemühn um einen idealen Tugendpreis für Hingebung an Deutschland, ohne irgend eine klare Ansicht über die Gestalt des Zieles, die Richtung in der, und die Mittel, durch die es zu suchen wäre. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 948 [1-282] Mein Gedanke war, immerhin zu rüsten, aber zugleich Oestreich ein Ultimatum zu stellen, entweder unsre Bedingungen in der deutschen Frage anzunehmen oder unsern Angriff zu gewärtigen. Aber die Fiction einer fortdauernden und aufopfernden Hingebung für "Deutschland" nur in Worten, nie in Thaten, der Einfluß der Prinzessin und ihres den östreichischen Interessen ergebenen Ministers von Schleinitz, dazu die damals gang und gäbe Phraseologie der Parlamente, der Vereine und der Presse, erschwerten es dem Regenten, die Lage nach seinem eignen klaren und hausbacknen Verstande zu prüfen, während sich in seiner politischen und persönlichen Umgebung Niemand befand, der ihm die Nichtigkeit des ganzen Phrasenschwindels klar gemacht und ihm gegenüber die Sache des gesunden deutschen Interesses vertreten hätte. Der Regent und sein damaliger Minister glaubten an die Berechtigung der Redensart: Il y a quequ'un, qui a plus d'esprit que Monsieur de Talleyrand, c'est tout le monde. Tout le monde braucht aber in der That zu viel Zeit, um das Richtige zu erkennen, und in der Regel ist der Moment, in dem diese Erkenntniß benutzt werden konnte, schon vorüber, wenn tout le monde dahinter kommt, was eigentlich hätte gethan werden sollen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 949 Erst die innern Kämpfe, die der Regent und spätre König durchzumachen hatte, erst die Ueberzeugung, daß seine Minister der neuen Aera nicht nur nicht im Stande waren, seine Unterthanen glücklich und zufrieden zu machen oder im Gehorsam zu erhalten, und die von ihm erstrebte und gehoffte Zufriedenheit in den Wahlen und Parlamenten zum Ausdruck zu bringen, erst die Schwierigkeiten, welche den König 1862 zu dem Entschlusse der Abdication brachten, übten auf das Gemüth und das gesunde Urtheil des Königs den nöthigen Einfluß, um seine monarchischen Auffassungen von 1859 über die Brücke der dänischen Frage zu dem Standpunkte von 1866 überzuleiten, vom Reden zum Handeln, von der Phrase zur That. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 951 [1-283] europäischen Situationen wurde für einen Minister, der kühle und praktische Politik ohne dynastische Sentimentalität und ohne höfischen Byzantinismus treiben wollte, durch mächtige Querwirkungen sehr erschwert, welche am stärksten und wirksamsten von der Königin Augusta und deren Minister Schleinitz geübt wurden, sowie von andern fürstlichen Einflüssen und Familien-Correspondenzen neben den Insinuationen feindlicher Elemente am Hofe, nicht minder von den jesuitischen Organen (Nesselrode, Stillfried ?c.), von Intriganten und befähigten Rivalen, wie Goltz und Harry Arnim, und unbefähigten, wie frühern Ministern, und Parlamentariern, die es werden wollten. Es gehörte die ganze ehrliche und vornehme Treue des Königs für seinen ersten Diener dazu, daß er in seinem Vertrauen zu mir nicht wankend wurde. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 962 [1-286] Coupé, daß er die ihm nach der Situation zufallende Rolle mehr vom Standpunkte des Offiziers auffaßte. Er fühlte sich bei dem Porte-épée gefaßt und in der Lage eines Offiziers, der die Aufgabe hat, einen bestimmten Posten auf Tod und Leben zu behaupten, gleichviel, ob er darauf umkommt oder nicht. Damit war er auf einen seinem ganzen Gedankengange vertrauten Weg gestellt und fand in wenigen Minuten die Sicherheit wieder, um die er in Baden gebracht worden war, und selbst seine Heiterkeit. Das Leben für König und Vaterland einzusetzen, war die Pflicht des preußischen Offiziers, um so mehr die des Königs, als des ersten Offiziers im Lande. Sobald er seine Stellung unter dem Gesichtspunkte der Offiziersehre betrachtete, hatte sie für ihn ebenso wenig Bedenkliches, wie für jeden normalen preußischen Offizier die instructionsmäßige Vertheidigung eines vielleicht verlornen Postens. Er war der Sorge vor der "Manöverkritik", welche von der öffentlichen Meinung, der Geschichte und der Gemalin an seinem politischen Manöver geübt werden könnte, überhoben. Er fühlte sich ganz in der Aufgabe des ersten Offiziers der Preußischen Monarchie, für den der Untergang im Dienste ein ehrenvoller Abschluß der ihm gestellten Aufgabe ist. Der Beweis der Richtigkeit meiner Beurtheilung ergab sich daraus, daß der König, den ich in Jüterbogk matt, niedergeschlagen und entmuthigt gefunden hatte, schon vor der Ankunft in Berlin in eine heitere, man kann sagen, fröhliche und kampflustige Stimmung gerieth, die sich den empfangenden Ministern und Beamten gegenüber auf das Unzweideutigste erkennbar machte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 964 [1-287] mit 274 gegen 45 Stimmen die Minister für verfassungswidrige Ausgaben mit ihrer Person und ihrem Vermögen haftbar. Mir wurde der Plan suggerirt, meinen Grundbesitz, um ihn zu retten, auf meinen Bruder zu übertragen; die Cession an meinen Bruder, um das Object der bei einem Thronwechsel nicht absolut unmöglichen Confiscation meines Vermögens zu entziehn, hätte aber einen Eindruck von Aengstlichkeit und Geldsorge gemacht, der mir widerstrebte. Auch war mein Sitz im Herrenhause an Kniephof geknüpft. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 974 [1-292] preußischen Nationalstaat verbunden, ohne die Dynastie so weiter leben würden? Würde Baiern, isolirt gedacht, geschlossen zusammenhalten, wenn die Wittelsbacher Dynastie spurlos verschwunden wäre? Einige Dynastien haben manche Erinnerungen, die nicht grade geeignet sind, die heterogenen Theile, aus denen diese Staaten geschichtlich gebildet sind, mit Anhänglichkeit zu erfüllen. Das Land Schleswig-Holstein hat garkeine dynastische Erinnerungen, namentlich nicht im anti-gottorpischen Sinne, und doch hat die Aussicht, einen selbständigen kleinen Hof mit Ministern, Hofmarschällen und Orden neu bilden zu können, und auf Kosten der preußischen und östreichischen Bundesleistungen eine kleinstaatliche Existenz zu führen, recht starke particularistische Bewegungen in den Elbherzogthümern hervorgerufen. Das Großherzogthum Baden hat seit dem Markgrafen Ludwig vor Belgrad kaum eine dynastische Erinnerung; das rasche Anwachsen dieses kleinen Fürstenthums unter französischer Protection im Rheinbunde, das Hofleben der letzten Fürsten der alten Linie, die eheliche Verbindung mit dem Hause Beauharnais, die Caspar Hauser-Geschichte, die revolutionären Vorgänge von 1832, die Vertreibung des bürgerfreundlichen Großherzogs Leopold, die Vertreibung des regirenden Hauses 1849 haben den Zwang der dynastischen Fügsamkeit im Lande nicht brechen können, und Baden hat 1866 seinen Krieg gegen Preußen und die deutsche Idee geführt, weil die dynastischen Interessen des regirenden Hauses es unabweislich machten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 984 Conflicts-Ministerium. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 985 Bei der Vertheilung der Ministerien, wofür die Auswahl an Candidaten klein war, verursachte das Finanzministerium den geringsten Aufenthalt; es wurde Herrn Karl von Bodelschwingh - Bruder des im März 1848 abgetretenen Ministers des Innern, Ernst von Bodelschwingh - zugetheilt, der es bereits unter Manteuffel von 1851 bis 1858 gehabt hatte. Es zeigte sich freilich bald, daß er und der Graf Itzenplitz, dem das Handelsministerium zufiel, nicht im Stande waren, ihre Ministerien zu leiten. Beide beschränkten sich darauf, die Beschlüsse der sachkundigen Räthe mit ihrer Unterschrift zu versehn und nach Möglichkeit die Divergenzen zu vermitteln, in welche die Beschlüsse der theils liberalen, theils in engen Ressort-Gesichtspunkten befangenen Räthe mit der Politik des Königs und des Staatsministeriums gerathen konnten. Die sehr sachkundigen Mitglieder des Finanzministeriums gehörten innerlich der Mehrzahl nach der Opposition gegen das Conflictsministerium an und betrachteten es als eine kurze Episode in der liberalen Fortbildung der bürokratischen Regirungsmaschine; und wenn die tüchtigsten unter ihnen zu gewissenhaft waren, um die Thätigkeit der Regirung zu hemmen, so leisteten sie doch einen passiven Widerstand, wo ihr amtliches Pflichtgefühl ihnen einen solchen erlaubte, der immerhin nicht unerheblich war. Aus dieser Sachlage (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 986 [1-298] ergab sich das wunderliche Verhältniß, daß Herr von Bodelschwingh, der nach seiner persönlichen Stellung die äußerste Rechte unter uns Ministern bildete, in der Regel mit seinem Votum die äußerste Linke einnahm. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 987 Ebenso war der Handelsminister Graf Itzenplitz nicht im Stande, das Steuer seines überladenen ministeriellen Fahrzeugs selbständig zu führen, sondern trieb in der Strömung, welche seine Untergebenen ihm herstellten. Wenn es vielleicht unmöglich war, für die mannichfaltigen Verzweigungen des damaligen Handelsministeriums einen Chef zu finden, der in allen ihm unterstellten Disciplinen zur Führung seiner Untergebenen befähigt gewesen wäre, so stand der Graf Itzenplitz den von ihm zu lösenden Aufgaben viel fremder gegenüber, als z. B. von der Heydt, und verfiel ziemlich hülflos der in technischen Fragen sachkundigen Leitung der Decernenten, namentlich Delbrücks. Außerdem war er eine weiche Natur, ohne die zur Leitung eines so großen Ressorts nöthige Energie; selbst den Unredlichkeiten gegenüber, die damals einzelnen hervorragenden Mitarbeitern des Handelsministeriums schuldgegeben wurden und die den persönlich ehrliebenden Chef auf's Höchste beunruhigten, wurde ihm das Einschreiten sehr schwer, weil die technische Leistung der ihm selbst verdächtigen Beamten ihm unentbehrlich schien. Unterstützung meiner Politik hatte ich persönlich von den in Rede stehenden beiden Collegen nicht zu erwarten, weder nach ihrem Verständniß für dieselbe, noch nach dem Maß von Wohlwollen, welches sie für mich als jüngern und ursprünglich dem Geschäft nicht angehörigen Präsidenten übrig hatten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 988 Als Minister des Innern fand ich Herrn von Jagow vor, der durch die Lebhaftigkeit seines Tones, seinen Wortreichthum und die rechthaberische Färbung seiner Discussion sich binnen Kurzem die Abneigung seiner Collegen in dem Grade zuzog, daß er durch den Grafen Friedrich Eulenburg ersetzt werden mußte. Charakteristisch für ihn ist ein Erlebniß, das wir mit ihm hatten, nachdem (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 989 [1-299] er ausgeschieden und in die Stelle des Oberpräsidenten in Potsdam eingerückt war. In wichtigen Angelegenheiten der Stadt Berlin schwebten Verhandlungen, in denen er das ressortmäßige Mittelglied zwischen der Regirung und den Gemeindebehörden war. Die Dringlichkeit der Sache brachte es mit sich, daß das Staatsministerium den Oberbürgermeister ersuchte, sich nach Potsdam zu begeben und über einen entscheidenden Punkt die Anträge des Oberpräsidenten mündlich einzuholen und darüber in einer zu dem Zweck angesagten Abendsitzung des Ministeriums zu berichten. Der Oberbürgermeister hatte eine zweistündige Audienz; aber zur Berichterstattung darüber in der Sitzung erscheinend, erklärte er, eine solche nicht machen zu können, weil er während der zwei Stunden, die zwischen den beiden Zügen lagen, dem Herrn Oberpräsidenten gegenüber nicht zu Worte gekommen sei. Er habe es wiederholt und bis zur Unhöflichkeit versucht, seine Frage zu stellen, sei aber von dem Vorgesetzten stets und mit steigender Energie mit den Worten zur Ruhe verwiesen worden: "Erlauben Sie, ich bin noch nicht fertig, bitte mich ausreden zu lassen." Dieser Bericht des Oberbürgermeisters erzeugte einen geschäftlichen Verdruß, rief aber doch in der Erinnerung an eigne frühere Erlebnisse einige Heiterkeit hervor. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 990 Mein landwirthschaftlicher College von Selchow entsprach in seiner Begabung nicht dem Rufe, der ihm in der Provinzialverwaltung vorhergegangen war. Der König hatte ihm das zur Zeit wichtigste Ministerium des Innern zugedacht. Nach einer längern Unterredung, in der ich die Bekanntschaft des Herrn von Selchow machte, bat ich Se. Majestät, davon abzustehn, weil ich ihn der Aufgabe nicht für gewachsen hielt, und schlug statt seiner den Grafen Friedrich Eulenburg vor. Beide Herrn standen mit dem Könige in maurerischen Beziehungen und wurden bei den Schwierigkeiten, die die Vervollständigung des Ministeriums hatte, erst im December zum Eintritt bewogen. Der König hatte Zweifel an Graf Eulenburgs Sachkunde auf dem Gebiete (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 991 [1-300] des Innern, wollte ihm das Handelsministerium, dem Grafen Itzenplitz die Landwirthschaft und Selchow das Innere geben. Ich entwickelte dem gegenüber, daß die ressortmäßige Sachkunde als Handelsminister bei Eulenburg und Selchow auf ziemlich gleicher Stufe stehn und jedenfalls mehr bei ihren Räthen als bei ihnen selbst zu suchen sein würde, daß ich in diesem Falle viel mehr Gewicht auf persönliche Begabung, Geschick und Menschenkenntniß legte, als auf technische Vorbildung. Ich gäbe zu, daß Eulenburg arbeitsscheu und vergnügungssüchtig sei: er sei aber auch gescheidt und schlagfertig, und wenn er als Minister des Innern in der nächsten Zeit als der Vorderste auf der Bresche stehn müsse, so werde das Bedürfniß, sich zu wehren und die Schläge, die er bekommen, zu erwidern, ihn aus seiner Unthätigkeit heraus spornen. Der König gab mir endlich nach, und ich glaube auch noch heut, daß meine Wahl den Umständen nach richtig war; denn wenn ich auch unter dem Mangel an Arbeitsamkeit und Pflichtgefühl meines Freundes Eulenburg mitunter schwer gelitten habe, so war er doch in den Zeiten seiner Arbeitslust ein tüchtiger Gehülfe und immer ein feiner Kopf, nicht ohne Ehrgeiz und Empfindlichkeit, auch mir gegenüber. Wenn die Periode der Entsagung und angestrengten Arbeit länger als gewöhnlich dauerte, so verfiel er in nervöse Krankheiten. Jedenfalls waren er und Roon die Hervorragendsten in dem Conflictsministerium. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 994 Der Cultusminister von Mühler hatte viel Aehnlichkeit mit seinem spätern Nachfolger, Herrn von Goßler, in der Art, wie er sich geschäftlich gab, nur daß die Energie und die geschäftliche Liebhaberei seiner gescheidten und, wenn sie wollte, liebenswürdigen Frau auf ihn wirkte und er ihrer stärkern Willenskraft vielleicht unterlag; ich wußte das anfangs allerdings nicht aus direkter Wahrnehmung, sondern konnte es nur nach dem Eindrucke schließen, den beide Persönlichkeiten mir im Verkehr gemacht hatten. Ich (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 995 [1-302] erinnere mich, daß ich schon in Gastein im August 1865 bis zur Unhöflichkeit darauf bestehn mußte, allein mit Herrn von Mühler über einen königlichen Befehl zu sprechen, ehe es mir gelang, die Frau Ministerin zu bewegen, uns allein zu lassen. Das Vorkommen einer solchen Nöthigung hatte seinerseits Verstimmungen zur Folge, die sich bei seiner sachkundigen Behandlung der Dinge auf mein geschäftliches Verhältniß zunächst nicht übertrugen, aber doch die Ergebnisse unsres persönlichen Verkehrs beeinträchtigten. Frau von Mühler empfing ihre politische Direction nicht von ihrem Gemale, sondern von Ihrer Majestät, mit welcher Fühlung zu erhalten sie vor Allem bestrebt war. Die Hofluft, die Rangfragen, die äußerliche Kundgebung Allerhöchster Intimität haben nicht selten auf Ministerfrauen einen Einfluß, der sich in der Politik fühlbar macht; die persönliche, der Staatsraison in der Regel zuwiderlaufende Politik der Kaiserin Augusta fand in Frau von Mühler eine bereitwillige Dienerin, und Herr von Mühler, wenn auch ein einsichtiger und ehrlicher Beamter, war doch nicht fest genug in seinen Ueberzeugungen, um nicht dem Hausfrieden Concessionen auf Kosten der Staatspolitik zu machen, wenn es in unauffälliger Weise geschehn konnte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 996 Der Justizminister Graf zur Lippe hatte vielleicht von seiner Thätigkeit als Staatsanwalt die Gewohnheit beibehalten, auch das Schärfste mit lächelnder Miene, mit einem höhnischen Ausdrucke von Ueberlegenheit zu sagen, und verstimmte dadurch die Parlamente und die Collegen. Er stand nächst Bodelschwingh am weitesten rechts unter uns und war in Vertretung seiner Richtung schärfer als dieser, weil er in seinem Ressort sachkundig genug war, um seiner persönlichen Ueberzeugung folgen zu können, während Bodelschwingh den Geschäftsgang des Finanzministeriums ohne den willigen Beistand seiner sachkundigen Räthe nicht beherrschen konnte, diese Räthe aber in ihrer politischen Auffassung weiter links standen als ihr Chef und das ganze Ministerium. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 998 Die staatsrechtliche Frage, um welche es sich in dem Conflicte handelte, und die Auffassung derselben, welche das Ministerium gewonnen und der König gutgeheißen hatte, ist in einem Schreiben Sr. Majestät an den Oberstlieutenant Freiherrn von Vincke auf Olbendorf bei Grottkau dargelegt, welches seiner Zeit in der Presse erwähnt, aber, so viel ich mich erinnere, nicht vollständig veröffentlicht worden ist 1), was dasselbe um so mehr verdient, als sich daraus die Haltung des Königs in der Frage der Indemnität erklärt. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1016 Der Kampf der Meinungen war in Petersburg recht lebhaft, als ich im April 1862 von dort abging, und blieb so während des ersten Jahres meines Ministeramts. Ich übernahm die Leitung des Auswärtigen Amts unter dem Eindruck, daß es sich bei dem am 1. Januar 1863 ausgebrochenen Aufstande nicht blos um das Interesse unsrer östlichen Provinzen, sondern auch um die weitergreifende Frage handelte, ob im russischen Cabinet eine polenfreundliche oder eine antipolnische Richtung, ein Streben nach panslavistischer antideutscher Verbrüderung zwischen Russen und Polen oder eine gegenseitige Anlehnung der russischen und der preußischen Politik herrschte. In den Verbrüderungsbestrebungen waren die betheiligten Russen die Ehrlicheren; von dem polnischen Adel und der Geistlichkeit wurde schwerlich an einen Erfolg dieser Bestrebungen geglaubt oder ein solcher als das definitive Ziel in's Auge gefaßt. Es gab kaum einen Polen, für den die Verbrüderungspolitik mehr als eine tactische Evolution vorgestellt hätte, zu dem Zwecke, gläubige Russen zu täuschen, so lange es nothwendig oder nützlich sein würde. Die Verbrüderung wird von dem polnischen Adel und seiner Geistlichkeit nicht ganz, aber doch annähernd ebenso unwandelbar perhorrescirt wie die mit den Deutschen, letztre jedenfalls stärker, nicht blos aus Abneigung gegen die Race, sondern auch in der Meinung, daß die Russen in staatlicher Gemeinschaft von den Polen geleitet werden würden, die Deutschen aber nicht. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1020 [1-309] bedauerte und gern in Petersburg bleiben würde, veranlaßte den Kaiser mißverständlich zu der Frage, ob ich geneigt sei, in russische Dienste zu treten. Ich verneinte das höflich unter Betonung des Wunsches, als preußischer Gesandter in der Nähe Sr. Majestät zu bleiben. Es wäre mir damals nicht unlieb gewesen, wenn der Kaiser zu dem Zwecke Schritte gethan hätte, denn der Gedanke, der Politik der neuen Aera, sei es als Minister, sei es als Gesandter in Paris oder London ohne die Aussicht auf Mitwirkung an unsrer Politik, zu dienen, hatte an sich nichts Verführerisches. Wie ich dem Lande und meiner Ueberzeugung in London oder Paris würde nützen können, wußte ich nicht, während mein Einfluß bei dem Kaiser Alexander und den hervorragenden seiner Staatsmänner nicht ohne Bedeutung für unsre Interessen war. Der Gedanke, Minister des Aeußern zu werden, war mir unbehaglich, etwa wie der Eintritt in ein Seebad bei kaltem Wetter; aber alle diese Empfindungen waren nicht stark genug, um mich zu einem Eingriff in die eigne Zukunft oder zu einer Bitte an den Kaiser Alexander zu solchem Zwecke zu veranlassen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1021 Nachdem ich dennoch Minister geworden war, stand zunächst die innere Politik mehr im Vordergrunde, als die äußere; in dieser aber lagen mir die Beziehungen zu Rußland Dank meiner jüngsten Vergangenheit besonders nahe, und ich war bestrebt, unsrer Politik den Besitz an Einfluß in Petersburg, den wir dort hatten, nach Möglichkeit zu erhalten. Es lag auf der Hand, daß die preußische Politik in deutscher Richtung damals von Oestreich keine Unterstützung zu erwarten hatte. Es war nicht wahrscheinlich, daß das Wohlwollen Frankreichs für unsre Stärkung und die deutsche Einigung auf die Dauer ehrlich sein werde, eine Ueberzeugung, die nicht hindern durfte, vorübergehende, auf irrthümlichen Berechnungen beruhende Unterstützung und Förderung Napoleons utiliter anzunehmen. Mit Rußland waren wir in derselben Lage wie mit England, insoweit als wir mit beiden prinzipielle divergirende Interessen nicht hatten und durch langjährige Freundschaft (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1033 Die Militärconvention, welche durch den General Gustav von Alvensleben im Februar 1863 in Petersburg abgeschlossen wurde, hatte für die preußische Politik mehr einen diplomatischen als einen militärischen Zweck 1). Sie repräsentirte einen im Cabinet des russischen Kaisers erfochtenen Sieg der preußischen Politik über die polnische, die vertreten war durch Gortschakow, Großfürst Constantin, Wielopolski und andre einflußreiche Personen. Das Ergebniß beruhte auf directer Kaiserlicher Entschließung im Gegensatz zu ministeriellen Bestrebungen. Ein Abkommen politisch-militärischer Natur, welches Rußland mit dem germanischen Gegner des Panslavismus gegen den polnischen "Bruderstamm" schloß, war ein entscheidender Schlag auf die Aussichten der polonisirenden Partei am russischen Hofe; und in diesem Sinne hat das militärisch ziemlich anodyne Abkommen seinen Zweck reichlich erfüllt. Ein militärisches Bedürfniß war dafür an Ort und Stelle nicht vorhanden; die russischen Truppen waren stark genug, und die Erfolge der Insurgenten existirten zum großen Theil nur in den von Paris bestellten, in Myslowitz fabrizirten, bald von der Grenze, bald vom Kriegsschauplatze, bald aus Warschau datirten, zuweilen recht märchenhaften Berichten, die zuerst in einem Berliner Blatte erschienen und dann ihre Runde durch die europäische Presse machten. Die Convention war ein gelungener Schachzug, der die Partie entschied, die innerhalb des russischen Cabinets der antipolnische monarchische und der polonisirende panslavistische Einfluß gegen einander spielten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1039 Danziger Episode.Kaiser Friedrich, der Sohn des Monarchen, den ich in specie als meinen Herrn bezeichne, hat es mir durch seine Liebenswürdigkeit und sein Vertrauen leicht gemacht, die Gefühle, die ich für seinen Herrn Vater hegte, auf ihn zu übertragen. Er war der verfassungsmäßigen Auffassung, daß ich als Minister die Verantwortlichkeit für seine Entschließungen trug, in der Regel zugänglicher, als sein Vater es gewesen. Auch war es ihm weniger durch Familientraditionen erschwert, politischen Bedürfnissen im Innern und im Auslande gerecht zu werden. Alle Behauptungen, daß zwischen dem Kaiser Friedrich und mir dauernde Verstimmungen existirt hätten, sind ungegründet. Eine vorübergehende entstand durch den Vorgang in Danzig, in dessen Besprechung ich mir, seitdem die hinterlassenen Papiere Max Dunckers *)veröffentlicht worden sind, weniger Zurückhaltung auflege, als sonst geschehn wäre. Am 31. Mai 1863 reiste der Kronprinz zu einer militärischen Inspection nach der Provinz Preußen ab, nachdem er den König schriftlich gebeten hatte, jede Octroyirung zu vermeiden. Auf dem Zuge, mit dem er fuhr, befand sich der Ober-Bürgermeister von Danzig, Herr von Winter, den der Prinz unterwegs in sein Coupé einlud und einige Tage später auf seinem Gute bei (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1041 [1-317] Culm besuchte. Am 2. Juni folgte ihm die Kronprinzessin nach Graudenz; am Tage vorher war die Königliche Verordnung über die Presse auf Grund eines Berichtes des Staatsministeriums erschienen, welcher gleichzeitig veröffentlicht wurde. Am 4. Juni richtete Se. Kgl. Hoheit an den König ein Schreiben, in welchem er sich mißbilligend über diese Octroyirung aussprach, sich über die unterlassene Zuziehung seiner zu den betreffenden Berathungen des Staatsministeriums beschwerte und über die Pflichten aussprach, die ihm als dem Thronfolger seiner Meinung nach oblägen. Am 5. Juni fand im Rathhause in Danzig der Empfang der städtischen Behörden statt, bei dem Herr von Winter ein Bedauern darüber aussprach, daß die Verhältnisse es nicht gestatteten, der Freude der Stadt ihren vollen lauten Ausdruck zu geben. Der Kronprinz sagte in seiner Antwort unter Anderm: (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1044 [1-318] Staatsministerium, die jedoch auf Befehl des Königs unterblieb. Am 7. ging ihm eine ernste Antwort Sr. Majestät auf die Beschwerdeschrift vom 4. zu. Er bat darauf den Vater um Verzeihung wegen eines Schrittes, den er um seiner und seiner Kinder Zukunft Willen geglaubt hätte nicht unterlassen zu können, und stellte die Entbindung von allen seinen Aemtern anheim. Am 11. erhielt er die Antwort, die ihm die erbetene Verzeihung gewährte, seine Beschwerden über den Minister und sein Entlassungsgesuch überging und ihm für die Zukunft Schweigen zur Pflicht machte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1046 [1-319] Nachdem die Sache durch den oben erwähnten Briefwechsel zwischen Vater und Sohn wenigstens äußerlich beigelegt war, erhielt ich ein aus Stettin vom 30. Juni datirtes Schreiben des Kronprinzen, das meine ganze Politik in starken Ausdrücken verurtheilte. Sie sei ohne Wohlwollen und Achtung für das Volk, stütze sich auf sehr zweifelhafte Auslegungen der Verfassung, werde sie dem Volke werthlos erscheinen lassen und dieses in Richtungen treiben, die außerhalb der Verfassung lägen. Auf der andern Seite werde das Ministerium von gewagten Deutungen zu gewagteren fortschreiten, endlich dem Könige Bruch mit derselben anrathen. Er werde den König bitten, sich, so lange dieses Ministerium im Amte sei, der Theilnahme an den Sitzungen desselben enthalten zu dürfen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1047 Die Thatsache, daß ich, nachdem ich diese Aeußerung des Thronfolgers erhalten hatte, auf dem eingeschlagenen Wege beharrte, war ein sprechender Beweis dafür, daß mir nichts daran lag, nach dem Thronwechsel, der ja sehr bald eintreten konnte, Minister zu bleiben. Gleichwohl nöthigte der Kronprinz mich in einem später zu erwähnenden Gespräche, ihm das mit ausdrücklichen Worten zu sagen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1059 Ich habe Sr. M. die Ansichten heute mitgetheilt, welche ich Ihnen in meinem Schreiben aus Putbus [rectius Stettin] auseinandersetzte und die ich Sie bat, nicht eher dem Könige zu eröffnen, als bis ich selber dies gethan. Ein folgeschwerer Entschluß ward gestern im Conseil gefaßt; in Gegenwart der Minister wollte ich Sr. M. nichts erwidern; heut ist es geschehen; ich habe meine Bedenken geäußert, habe meine schweren Befürchtungen für die Zukunft dargelegt. Der König weiß nunmehr, daß ich der entschiedene Gegner des Ministeriums bin. Friedrich Wilhelm." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1060 Es kam nun auch die in dem Briefe des Kronprinzen vom 30. Juni angekündigte Bitte, von der Theilnahme an den Sitzungen des Staatsministeriums dispensirt zu werden, zur Erörterung. Wie das Verhältniß zwischen den beiden hohen Herrn damals noch war, beweist der nachstehende Brief des Ministers von Bodelschwingh vom 11. September 1863: (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1062 Der König hatte sich dafür entschieden, daß der Kronprinz, wie seit 1861 geschehn, auch ferner den Sitzungen des Staatsministeriums beiwohnen solle, und mich beauftragt, ihn darüber zu verständigen. Ich nehme an, daß es zu der zu diesem Zweck erbetenen Audienz nicht gekommen ist; denn ich erinnere mich, daß ich das mißverständliche Erscheinen des Kronprinzen zu einer Ministersitzung, die an dem betreffenden Tage nicht stattfand, dazu benutzte, die Erörterung einzuleiten. Ich fragte ihn, weshalb er sich so fern von der Regirung halte; in einigen Jahren werde sie doch die seinige sein; wenn er etwa andre Prinzipien habe, so sollte er lieber den Uebergang zu vermitteln suchen als opponiren. Er lehnte das scharf ab, wie es schien in der Vermuthung, daß ich meinen Uebergang in seine Dienste anbahnen wolle. Ich habe den feindlichen Ausdruck olympischer Hoheit, mit dem das geschah, Jahre hindurch nicht vergessen können und sehe noch heut den zurückgeworfenen Kopf, das geröthete Gesicht und den Blick über die linke Schulter vor mir. Ich unterdrückte meine eigne Aufwallung, dachte an Carlos und Alba (Act 2, Auftritt 5) und antwortete, ich (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1064 [1-324] hätte in einer Anwandlung dynastischen Gefühls gesprochen, um ihn mit seinem Vater wieder in nähere Beziehung zu bringen, im Interesse des Landes und der Dynastie, das durch die Entfremdung geschädigt wäre; ich hätte im Juni gethan, was ich gekonnt, um seinen Herrn Vater von Entschließungen ab irato abzuhalten, weil ich im Interesse des Landes und im Kampfe gegen die Parlamentsherrschaft die Uebereinstimmung in der königlichen Familie zu erhalten wünschte. Ich sei ein treuer Diener seines Herrn Vaters und wünschte ihm, daß er, wenn er den Thron bestiege, anstatt meiner ebenso treue Diener finde, wie ich für seinen Vater gewesen. Ich hoffte, er würde sich des Gedankens, als ob ich danach strebte, einmal sein Minister zu werden, entschlagen; ich werde es niemals sein. Ebenso rasch wie erregt, ebenso rasch wurde er weich und schloß das Gespräch mit freundlichen Worten. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1065 Das Verlangen, an den Sitzungen des Staatsministeriums nicht weiter Theil zu nehmen, hielt er fest, und richtete noch im Laufe des September eine vielleicht nicht ohne fremde Einwirkung entstandene Denkschrift an den König, worin er seine Gründe in einer Weise entwickelte, die zugleich als eine Art von Rechtfertigung seines Verhaltens im Juni erschien. Es entstand darüber zwischen Sr. Majestät und mir eine private Correspondenz, die mit folgendem Billet abschloß: (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1071 Niemand hat glauben können, daß Se. K. H. "an den Octroyirungen Theil gehabt", denn Jedermann weiß, daß der Kronprinz kein Votum im Ministerium hat, und daß die in ältern Zeiten übliche amtliche Stellung des Thronfolgers nach der Verfassung unmöglich geworden ist. Das démenti in Danzig war daher überflüssig. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1074 Seite 2. "Das Land" kann garnicht auf den Gedanken kommen, Se. K. H. mit dem Ministerium zu identificiren, denn das Land weiß, daß der Kronprinz zu keiner amtlichen Mitwirkung bei den Beschlüssen berufen ist. Leider ist die Stellung, die S. K. H. gegen die Krone genommen hat, im Lande bekannt genug und wird von jedem Hausvater im Lande, welcher Partei er auch angehören mag, gemißbilligt als ein Lossagen von der väterlichen Autorität, deren Verkennung das Gefühl und das Herkommen verletzt. Sr. K. H. könnte nicht schwerer in der öffentlichen Meinung geschadet werden, als durch Publication dieses mémoires. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1077 Seite 4. Die Opposition innerhalb des Conseils schließt den Gehorsam gegen Se. Majestät nicht aus, sobald eine Sache entschieden ist. Minister opponiren auch, wenn sie abweichende Ansicht haben, gehorchen aber *)doch der Entscheidung des Königs, obschon ihnen selbst die Ausführung des von ihnen Bekämpften obliegt. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1078 Seite 4. Wenn S. K. H. weiß, daß die Minister nach dem Willen des Königs handeln, so kann S. K. H. Sich auch darüber nicht täuschen, daß die Opposition des Thronfolgers gegen den regirenden König selbst gerichtet ist. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1080 Seite 5. Ueber die Aeußerungen des Minister-Präsidenten in Gastein hat derselbe sich näher zu erklären. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1086 Seite 7. Nach dem bisherigen verfassungsmäßigen Rechte in Preußen regirt der König, und nicht die Minister. Nur die Gesetzgebung, nicht die Regirung, ist mit den Kammern getheilt, vor denen die Minister den König vertreten. Es ist also ganz gesetzlich, wie vor der Verfassung, daß die Minister Diener des Königs, und zwar die berufenen Rathgeber Sr. Majestät, aber nicht die Regirer des Preußischen Staates sind. Das Preußische Königthum steht auch nach der Verfassung noch nicht auf dem Niveau des belgischen oder englischen, sondern bei uns regirt noch der König persönlich, und befiehlt nach seinem Ermessen, so weit nicht die Verfassung ein Andres bestimmt, und dies ist nur in Betreff der Gesetzgebung der Fall. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1092 Seite 10. Erschweren wird S. K. H. den Ministern die Arbeit ohne Zweifel, und bequemer würde ihre Aufgabe sein, wenn S. K. H. Sich nicht an den Sitzungen betheiligte. Aber kann (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1095 Seite 12. Das Verlangen, rechtzeitige Kenntniß von den Vorlagen der Sitzungen zu haben, ist als ein begründetes jederzeit erkannt worden, und wird stets erfüllt, ja der Wunsch ist häufig laut geworden, daß S. K. H. die Hand dazu biete, genauer als es bisher möglich war, au courant gehalten zu werden. Dazu muß der Aufenthalt Sr. K. H. jederzeit bekannt und erreichbar, der Kronprinz für die Minister persönlich zugänglich, und die Discretion gesichert sein. Besonders aber ist nöthig, daß die (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1097 Seite 12. Die "letzte Conseilsitzung" (am 3.) war keine conseil-Sitzung, sondern nur eine den Ministern selbst vorher nicht bekannte Berufung zu Sr. Majestät. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1098 Seite 13. Die Mittheilung an die Minister würde dem mémoire einen amtlichen Charakter geben, welchen Auslassungen der Thronfolger an sich nicht haben. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1101 Die ersten Versuche auf der Bahn, auf der das Bündniß mit Oestreich 1879 erreicht wurde, fanden Statt, während der Graf Rechberg Ministerpräsident, respective Minister des Aeußern war (17. Mai 1859 bis 27. October 1864). Da die persönlichen Beziehungen, in denen ich zu ihm am Bundestage gestanden hatte, solchen Versuchen förderlich sein konnten und in einem Zeitpunkte förderlich gewesen sind, so schalte ich zwei Erlebnisse ein, die ich in Frankfurt mit ihm gehabt habe. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1104 Es ist auch von Interesse, zu erwähnen, wie es kam, daß ich späterhin das Vertrauen dieses zornigen, aber ehrliebenden Herrn und vielleicht, als wir Beide Minister geworden waren, seine Freundschaft erworben habe. Bei einem geschäftlichen Besuche, den ich ihm machte, verließ er das Zimmer, um seinen Anzug zu wechseln, und überreichte mir eine Depesche, die er eben von seiner Regirung erhalten hatte, mit der Bitte, sie zu lesen. Ich überzeugte mich aus dem Inhalt, daß Rechberg sich vergriffen und mir ein Schriftstück gegeben hatte, das zwar die fragliche Sache betraf, aber nur für ihn bestimmt und offenbar von einem zweiten ostensiblen begleitet gewesen war. Als er wieder eingetreten war, gab ich ihm die Depesche zurück mit der Aeußerung, er habe sich versehn, ich würde vergessen, was ich gelesen hätte; ich habe in der That vollkommnes Schweigen über sein Versehn beobachtet und in Berichten oder Gesprächen von den, Inhalt des geheimen Schriftstücks und seinem Versehn keinen auch nur indirecten Gebrauch gemacht. Seitdem behielt er Vertrauen zu mir. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1105 [1-333] Die Versuche zur Zeit des Ministeriums Rechberg würden, wenn erfolgreich, damals zu einer gesammtdeutschen Union auf der Basis des Dualismus haben führen können, zu dem Siebzigmillionenreich in Centraleuropa mit zweiköpfiger Spitze, während die Schwarzenbergische Politik auf etwas Aehnliches ausgegangen war, aber mit einheitlicher Spitze Oestreichs und Hinabdrückung Preußens nach Möglichkeit auf den mittelstaatlichen Stand. Der letzte Anlauf dazu war der Fürstencongreß von 1863. Wenn die Schwarzenbergische Politik in der posthumen Gestalt des Fürstencongresses schließlich Erfolg gehabt hätte, so würde zunächst die Verwendung des Bundestages zur Repression auf dem Gebiete der innern Politik Deutschlands voraussichtlich in den Vordergrund getreten sein, nach Maßgabe der Verfassungsrevisionen, die der Bund schon in Hanover, Hessen, Luxemburg, Lippe, Hamburg u. a. in Angriff genommen hatte. Auch die Preußische Verfassung konnte analog herangezogen werden, wenn der König nicht zu vornehm dazu gedacht hätte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1118 [1-337] in den fortschrittlichen Blättern*) bis zu den offnen Kundgebungen großer communaler Körperschaften und dem Ausfall der Wahlen, bezeugen. Aber in unsre Regimenter und deren Feuergefecht auf den Schlachtfeldern reichten diese Strömungen nicht hinein, und auf den Schlachtfeldern lag schließlich die Entscheidung. Auch die symptomatische Thatsache, daß in Berlin durch Vermittlung des frühern auswärtigen und damaligen Hausministers von Schleinitz noch während der ersten Gefechte in Böhmen diplomatische Zettelungen mit höfischer Beziehung stattfanden, blieb auf die militärische Seite der Kriegführung ohne jeden Einfluß. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1121 [1-338] Generals von Gablenz gemachten preußischen Friedensanerbietungen und deren finanz-ministerielle Begründung durch das Bedürfniß einer preußischen Contribution, die damals bekundete Bereitwilligkeit, nach der ersten Schlacht zu verhandeln, kennzeichnet die Sicherheit, mit der man auf den Sieg in letztrer zählte. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1124 Nach den Mittheilungen von Fröbel *)der sich als den Urheber des Fürstencongresses betrachtet und ohne Zweifel in die Vorbereitungen eingeweiht war, ist den übrigen deutschen Fürsten vor Empfang der vom 31. Juli datirten Einladung der östreichische Plan nicht bekannt gewesen. Es wäre jedoch möglich, daß man den nachmaligen würtembergischen Minister von Varnbüler bis zu einem gewissen Grade in das Geheimniß gezogen hatte. Dieser kluge und strebsame Politiker zeigte im Sommer 1863 Neigung, mit mir die Beziehungen zu erneuern, die früher zwischen uns durch Vermittlung unsres gemeinschaftlichen Freundes von BelowHohendorf entstanden waren. Er veranlaßte mich zu einer Zusammenkunft, die am 12. Juli in einer auf seinen Wunsch geheimnißvollen Form in einem kleinen böhmischen Orte westlich von Karlsbad (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1129 [1-340] trafen, drang in mich, nach Frankfurt zu gehn. Ich erwiderte: "Wenn der König sich nicht anders entschließt, so werde ich hingehn und dort seine Geschäfte machen, aber nicht als Minister nach Berlin zurückkehren." Die Königin schien über diese Aussicht beunruhigt und hörte auf, meine Auffassung beim Könige zu bekämpfen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1132 [1-341] mündliche Mittheilung an den sächsischen Minister von Beust trug noch den Stempel dieser Erregung 1). Die Krisis war aber überwunden, und der König von Sachsen reiste ab, ohne meinen Herrn, wie ich es befürchtet hatte, nochmals aufzusuchen. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1136 Die durch die Ablehnung erzeugte Verstimmung war nach meinen Eindrücken hauptsächlich der Antrieb, der das Wiener Cabinet zu einer Verständigung mit Preußen im Widerspruche mit der bundestägigen Auffassung leitete. Diese neue Richtung entsprach dem östreichischen Interesse, auch wenn sie länger beibehalten worden wäre. Dazu wäre vor Allem erforderlich gewesen, daß Rechberg am Ruder blieb. Wäre damit eine dualistische Führung des Deutschen Bundes hergestellt worden, der sich die übrigen Staaten nicht versagt haben würden, sobald sie die Ueberzeugung gewonnen hätten, daß die Verständigung der beiden Vormächte ehrlich und dauerhaft war, so würden auch die Rheinbundgelüste einzelner süddeutschen Minister, die am schärfsten, was auch Graf Beust in seinen Denkwürdigkeiten sagen mag, in Darmstadt zum Ausdruck kamen, dem östreichisch-preußischen Einverständniß gegenüber verstummt sein. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1145 Trotz dieser Erfolge fand der Versuch des Dualismus seinen Culminations- und Wendepunkt in einer Besprechung, welche beide Monarchen unter Zuziehung ihrer Minister, Rechbergs und meiner, am 22. August 1864 in Schönbrunn hatten. Im Laufe derselben sagte ich dem Kaiser von Oestreich: (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1152 Der Dualismus würde, wie ich ihn mir dachte, dem jetzt bestehenden Verhältniß ähnlich gewesen sein, jedoch mit dem Unterschiede, daß Oestreich auf die Staaten, die jetzt mit Preußen das Deutsche Reich bilden, bundesmäßigen Einfluß behalten haben würde. Rechberg war für Verstärkung des Gewichts von Mitteleuropa durch eine solche Verständigung der beiden Mächte gewonnen. Diese Gestaltung würde, im Vergleich zur Vergangenheit und, wie die Dinge damals lagen, immerhin ein Fortschritt zum Bessern gewesen sein, aber Dauer nur versprochen haben, so lange das Vertrauen zu den beiderseits leitenden Personen ungestört blieb. Graf Rechberg sagte mir bei meiner Abreise von Wien (26. August 1864), daß seine Stellung angefochten sei; durch die Erörterungen des Ministeriums und die Haltung des Kaisers zu demselben sei er in die Lage gerathen, fürchten zu müssen, daß seine Collegen, namentlich Schmerling, ihn über Bord schieben würden, wenn er nicht für die Zollvereinsbestrebungen Oestreichs, die den Kaiser vorzugsweise beschäftigten, wenigstens die Zusicherung beibringen könne, daß wir auf Verhandlungen in bestimmter Frist eingehn wollten. Ich hatte gegen ein solches pactum de contrahendo keine Bedenken, weil ich überzeugt war, daß es mir keine über die Grenzen des mir möglich Scheinenden hinaus gehenden Zugeständnisse würde (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1154 Von der Unmöglichkeit der Zolleinigung überzeugt, hatte ich kein Bedenken, dem Grafen Rechberg den gewünschten Dienst zu erweisen, um ihn im Amte zu erhalten. Ich glaubte bei meiner Abreise nach Biarritz (5. October) sicher zu sein, daß der König an meinem Votum festhalten werde; und mir sind noch heut die Motive nicht klar, welche meine Collegen, den Finanzminister Karl von Bodelschwingh und den Handelsminister Grafen Itzenplitz, und ihren freihändlerischen spiritus rector Delbrück bestimmt haben, während meiner Abwesenheit den König auf einem ihm ziemlich fremden Gebiete mit so viel Entschiedenheit zu bearbeiten, daß durch unsre Ablehnung die Stellung Rechbergs, wie er es vorhergesagt hatte, erschüttert und er in dem auswärtigen Ministerium durch Mensdorff ersetzt wurde, der zunächst der Candidat Schmerlings war, (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1156 Ueber eine Conferenz, welche am 10. October 1864 von Mitgliedern des Auswärtigen und des Handelsministeriums abgehalten wurde, schrieb mir Herr von Thile nach Biarritz: (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1157 "Ich fand in der heutigen Conferenz neu bestätigt, was freilich längst bekannt ist, daß die Herren Fachmänner bei aller ihrer, von mir gern anerkannten Virtuosität in Behandlung der fachlichen Seite die politische arg mißachten und z. B. die Eventualität eines Ministerwechsels in Wien wie eine Bagatelle behandeln. - Itzenplitz wankt in seinen Ansichten sehr. Wiederholt gelang es mir ihn zu dem Geständniß zu bringen, daß uns der Artikel 25 finaliter und realiter zu nichts verpflichtet. Dann schreckte ihn aber jedesmal ein strafender Blick von Delbrück in seine Fachposition zurück." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1158 Zwei Tage später, am 12. October, berichtete mir Abeken, der sich bei dem Könige in Baden-Baden befand, es sei ihm nicht gelungen, denselben für den Artikel 25 zu gewinnen; Se. Majestät scheue "das Geschrei", welches sich über eine solche Concession an Oestreich erheben würde, und habe u. A. gesagt: "Die Ministerkrisis in Wien würden wir vielleicht vermeiden, aber dadurch in Berlin eine solche hervorrufen; Bodelschwingh und Delbrück würden wahrscheinlich ihre Entlassung beantragen, wenn wir den Artikel 25 zuließen." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1160 "Ist Rechbergs Stellung entschieden erschüttert (daß sie es bei dem Kaiser sei, muß ich entschieden bezweifeln), so dürfte für uns die Nothwendigkeit eintreten, hier den Eröffnungen eines rein Schmerlingschen Ministeriums zuvorzukommen." (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1195 Es würde mir nicht nur ein hohes Interesse bieten, sondern zugleich lebhafte Freude bereiten, Sie zu sprechen und meinen Gefühlen besonderer Hochschätzung für Sie, mein lieber Fürst, mündlichen Ausdruck zu geben. Wie ich zu meinem aufrichtigen Bedauern erfahre, hat jener so verabscheuungswürdige Mordanschlag 1), für dessen Mißlingen ich Gott immerdar dankbar sein werde, störend auf Ihre auch mir so theure Gesundheit und auf den Curgebrauch gewirkt, so daß es vermessen von mir wäre, wollte ich Sie ersuchen, Sich demnächst zu mir zu bemühen, der ich jetzt mitten in den Bergen verweile. - Für Ihren letzten Brief, der mich mit aufrichtiger Freude erfüllte, bin ich Ihnen aus ganzer Seele dankbar. Fest vertraue ich auf Sie! und glaube ich, daß Sie, wie Sie meinem Minister v. Pfretzschner gegenüber sich äußerten, Ihren politischen Einfluß dafür einsetzen werden, daß das föderative Princip die Grundlage der neuen Ordnung der Dinge in Deutschland bilde. Möge der Himmel Ihr theures Leben noch viele Jahre uns Allen erhalten! Ihr Tod, sowie der des von mir hochverehrten Kaisers Wilhelm wäre ein großes Unglück für Deutschland und Bayern. - Aus ganzem Herzen meine besten Grüße Ihnen, mein lieber Fürst, zurufend, bleibe ich stets mit besonderer Hochschätzung und tiefgewurzeltem Vertrauen (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1235 Die vielen Geschäfte bei der Cur waren unvermeidlich, weil der Reichstag durch die Schwierigkeiten, die er bezüglich meiner Vertretung machte, und gegen die aufzutreten ich damals nicht gesund genug war, mich nöthigte, die Contrasignaturen auch im Urlaub beizubehalten. Es war dies eins der Mittel, durch welche die Mehrheit im Reichstage die Einführung jener Institution zu erkämpfen sucht, welche sie unter der Bezeichnung "verantwortlicher Reichsminister" versteht, und gegen die ich mich jederzeit abwehrend verhalte, nicht um der alleinige Minister zu bleiben, sondern um die verfassungsmäßigen Rechte des Bundesraths und seiner hohen Vollmachtgeber zu wahren. Nur auf Kosten der letztern könnten die erstrebten Reichsministerien geschäftlich dotirt werden, und damit würde ein Weg in der Richtung der Centralisirung eingeschlagen, in der wir das Heil der deutschen Zukunft, wie ich glaube, vergebens suchen würden. Es ist, meines unterthänigsten Dafürhaltens, nicht nur das verfassungsmäßige Recht, sondern auch die politische Aufgabe meiner außerpreußischen Collegen im Bundesrath, mich im Kampfe gegen die Einführung solcher Reichsministerien offen zu unterstützen, und dadurch klar zu stellen, daß ich bisher nicht für die ministerielle Alleinherrschaft des Kanzlers, sondern für die Rechte der Bundesgenossen und für die ministeriellen Befugnisse des Bundesraths eingetreten bin. Ich darf annehmen, Eurer Majestät Intentionen entsprochen zu haben, wenn ich mich in diesem Sinne schon Pfretzschner gegenüber ausgesprochen habe, und ich bin überzeugt, daß Eurer Majestät Vertreter im Bundesrath selbst und in Verbindung mit andern Collegen mir einen Theil des Kampfes gegen das Drängen des Reichstages nach verantwortlichen Reichsministerien durch ihren Beistand abnehmen werden. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1240 [1-363] Zu meiner wahren Freude ist es nicht eingetreten, und ich wünsche von ganzem Herzen, daß Ihre Weisheit und Thatkraft dem Reiche und dem reichstreuen Bayern noch recht lange erhalten bleiben möge! Haben Sie, mein lieber Fürst, meinen innigsten Dank auch für die Mittheilung erfreulicher Friedensaussichten und für die Zusicherung, daß mein für Berlin bestimmter Gesandter v. Rudhart bei Ihnen wohlwollende und vertrauensvolle Aufnahme finden werde. In Ihrer Stellung zu der immer wieder auftauchenden Frage verantwortlicher Reichsministerien erscheinen Sie als der starke Hort der Rechte der Bundesfürsten, und mit wahrhafter Beruhigung nehme ich von Ihnen, mein lieber Fürst, das Wort entgegen, daß das Heil der deutschen Zukunft nicht in der Centralisirung zu suchen ist, welche mit der Schaffung solcher Ministerien eintreten würde. Seien Sie überzeugt, daß ich es an nichts fehlen lassen werde, um Ihnen in dem Kampfe für Aufrechterhaltung der Grundlagen der Reichsverfassung die offene und vollste Unterstützung meiner Vertreter im Bundesrathe, welchen sich gewiß auch die Bevollmächtigten der andern Fürsten anschließen werden, für alle Zukunft zu sichern *). (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1243 Eurer Majestät erlaube ich mir meinen ehrfurchtsvollen Dank zu Füßen zu legen für die huldreichen Befehle, welche der Königliche Marstall auch in diesem Jahre für meinen hiesigen Aufenthalt erhalten hat, und für die gnädige Anerkennung, welche der Minister von Pfretzschner mir im Allerhöchsten Auftrage überbracht hat. Durch den Congreß ist die Politik einstweilen zum Abschlusse gebracht, deren Angemessenheit für Deutschland Eure Majestät in huldreichen Schreiben anzuerkennen geruhten. Der eigne Frieden blieb (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1248 [1-366] der Unterstützung gegen diese Gefahr von Seiten der Mehrheit des Reichstags, drängt schließlich den deutschen Fürsten, ihren Regirungen und allen Anhängern der staatlichen Ordnung eine Solidarität der Nothwehr auf, welcher die Demagogie der Redner und der Presse nicht gewachsen sein wird, so lange die Regirungen einig und entschlossen bleiben, wie sie es gegenwärtig sind. Der Zweck des Deutschen Reiches ist der Rechtsschutz; die parlamentarische Thätigkeit ist bei Stiftung des bestehenden Bundes der Fürsten und Städte als ein Mittel zur Erreichung des Bundeszweckes, aber nicht als Selbstzweck aufgefaßt worden. Ich hoffe, daß das Verhalten des Reichstags die verbündeten Regirungen der Nothwendigkeit überheben wird, die Consequenzen dieser Rechtslage jemals praktisch zu ziehn. Aber ich bin nicht gewiß, daß die Mehrheit des jetzt gewählten Reichstags schon der richtige Ausdruck der zweifellos loyal und monarchisch gesinnten Mehrheit der deutschen Wähler sein werde. Sollte es nicht der Fall sein, so tritt die Frage einer neuen Auflösung in die Tagesordnung. Ich glaube aber nicht, daß ein richtiger Moment der Entscheidung darüber schon in diesem Herbst eintreten könne. Bei einem neuen Appell an die Wähler wird die wirthschaftliche und finanzielle Reformfrage ein Bundesgenosse für die verbündeten Regirungen sein, sobald sie im Volke richtig verstanden sein wird; dazu aber ist ihre Discussion im Reichstage nöthig, die nicht vor der Wintersession stattfinden kann. Das Bedürfniß höherer Einnahmen durch indirecte Steuern ist in allen Bundesstaaten fühlbar, und von deren Ministern in Heidelberg einstimmig anerkannt worden. Der Widerspruch der parlamentarischen Theoretiker dagegen hat in der productiven Mehrheit der Bevölkerung auf die Dauer keinen Anklang. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 1319 Ich habe Ihr Schreiben vom 19. dieses Monats zu erhalten das Vergnügen gehabt und spreche Ihnen, mein lieber Fürst, für Ihre Mittheilungen, sowie für die damit verbundene Zusendung des Aktenstückes aus St. Petersburg meinen wärmsten Dank aus. Von Beidem habe ich mit jenem lebhaften Interesse Kenntniß genommen, welches ich Allem, was mir von Ihnen zukommt, entgegenbringe. Das Erfreulichste aber, das mir Ihre Zeilen brachten, war mir die Nachricht von dem Fortschritte Ihrer Genesung, welcher, wie ich von Herzen wünsche, zur völligen Wiederherstellung Ihrer Gesundheit führen möge. Die begründete Hoffnung, daß Sie sich neu gestärkt und erfrischt auch ferner der hohen Aufgabe Ihres staatsmännischen Berufes vollauf werden widmen können, läßt mich der weiteren Entwicklung der politischen Lage mit um so größerer Ruhe entgegensehen. Was insbesondere das Verhältniß Deutschlands zu Rußland betrifft, so entnehme ich dem Berichte des Generals von Schweinitz mit Genugthuung, daß wenigstens an der aufrichtigen Friedensliebe des Kaisers von Rußland und des dortigen leitenden Ministers nicht gezweifelt werden kann. Diese immerhin beruhigende Thatsache im Vereine mit dem so glücklicher Weise herrschenden Einvernehmen zwischen Deutschland und Oesterreich, welches mir durch Ihre Mittheilungen zu meiner Freude aufs Neue als ein vollständig gesichertes bestätigt wird, erscheint wohl geeignet, die Hoffnungen auf fernere Erhaltung des Friedens zu stärken. (AAABismarckgedanken1korr-20160203.doc)

 

Abs. 2 „Berlin, den 24. December 1863. ... Was die dänische Sache betrifft, so ist es nicht möglich, daß der König zwei auswärtige Minister habe, d. h. daß der (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 4 [2-2] wichtigste Posten in der entscheidenden Tagesfrage eine der ministeriellen Politik entgegengesetzte immediat bei dem Könige vertrete. Die schon übermäßige Friction unsrer Staatsmaschine kann nicht noch gesteigert werden. Ich vertrage jeden mir gegenüber geübten Widerspruch, sobald er aus so competenter Quelle wie die Ihrige hervorgeht; die Berathung des Königs aber in dieser Sache kann ich amtlich mit niemandem theilen und ich müßte, wenn Seine Majestät mir dies zumuthen sollte, aus meiner Stellung scheiden. Ich habe dies dem Könige bei Vorlesung eines Ihrer jüngsten Berichte gesagt; Seine Majestät fand meine Auffassung natürlich, und ich kann nicht anders als an ihr festhalten. Berichte, welche nur die ministeriellen Anschauungen wiederspiegeln, erwartet niemand; die Ihrigen sind aber nicht mehr Berichte im üblichen Sinne, sondern nehmen die Natur ministerieller Vorträge an, die dem Könige die entgegengesetzte Politik von der empfehlen, welche er mit dem gesammten Ministerium im Conseil selbst beschlossen und seit vier Wochen befolgt hat. Eine, ich darf wohl sagen scharfe, wenn nicht feindselige Kritik dieses Entschlusses ist aber ein andres Ministerprogramm und nicht mehr ein gesandschaftlicher Bericht. Schaden kann solche kreuzende Auffassung allerdings, ohne zu nützen; denn sie kann Zögerungen und Unentschiedenheiten hervorrufen, und jede Politik halte ich für eine bessere als eine schwankende. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 6 [2-3] Deutschland und in Europa gekostet, und wir werden sie dadurch nicht wieder gewinnen, daß wir uns vom Strome treiben lassen in der Meinung, ihn zu lenken, sondern nur dadurch, daß wir fest auf eignen Füßen stehn und zuerst Großmacht, dann Bundesstaat sind. Das hat Oestreich zu unserm Schaden stets als richtig für sich anerkannt, und es wird sich von der Komödie, die es mit deutschen Sympathien spielt, nicht aus seinen europäischen Allianzen, wenn es überhaupt solche hat, herausreißen lassen. Gehn wir ihm zu weit, so wird es scheinbar noch eine Weile mitgehn, namentlich mitschreiben, aber die 20 Procent Deutsche, die es in seiner Bevölkerung hat, sind kein in letzter Instanz zwingendes Element, sich von uns wider eignes Interesse fortreißen zu lassen. Es wird im geeigneten Momente hinter uns zurückbleiben und seine Richtung in die europäische Stellung zu finden wissen, sobald wir dieselbe aufgeben. Die Schmerlingsche Politik, deren Seitenstück Ihnen als Ideal für Preußen vorschwebt, hat ihr Fiasco gemacht. Unsre von Ihnen im Frühjahr sehr lebhaft bekämpfte Politik hat sich in der polnischen Sache bewährt, die Schmerlingsche bittre Früchte für Oestreich getragen. Ist es denn nicht der vollständigste Sieg, den wir erringen konnten, daß Oestreich zwei Monate nach dem Reformversuch froh ist, wenn von demselben nicht mehr gesprochen wird, und mit uns identische Noten an seine frühern Freunde schreibt, mit uns seinem Schooßkinde, der Bundestags-Majorität, drohend erklärt, es werde sich nicht majorisiren lassen? Wir haben diesen Sommer erreicht, wonach wir 12 Jahre lang vergebens strebten, die Sprengung der Bregenzer Coalition, Oestreich hat unser Programm adoptirt, was es im October v. J. öffentlich verhöhnte; es hat die preußische Allianz statt der Würzburger gesucht, empfängt seine Beihülfe von uns, und wenn wir ihm heut den Rücken kehren, so stürzen wir das Ministerium. Es ist noch nicht dagewesen, daß die Wiener Politik in diesem Maße en gros et en détail von Berlin aus geleitet wurde. Dabei sind wir von Frankreich gesucht, Fleury bietet mehr als der König mag; unsre (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 12 [2-7] sagen, dies sei eine Selbsttäuschung. Vielleicht steigen mein Patriotismus und meine Urtheilskraft in Ihrer Ansicht, wenn ich Ihnen sage, daß ich mich seit 14 Tagen auf der Basis der Vorschläge befinde, die Sie in Ihrem Bericht Nro. — machen. Mit einiger Mühe habe ich Oestreich bestimmt, die holsteinischen Stände zu berufen, falls wir es in Frankfurt durchsetzen; wir müssen erst darin sein im Lande. Die Prüfung der Erbfolgefrage am Bunde erfolgt mit unserm Einverständniß, wenn wir auch mit Rücksicht auf England nicht dafür stimmen; ich hatte Sydow ohne Instruction gelassen, er ist zur Ausführung subtiler Instructionen nicht gemacht. Vielleicht werden noch andre Phasen folgen, die Ihrem Programm nicht sehr fern liegen; wie aber soll ich mich entschließen, mich über meine letzten Gedanken frei gegen Sie auszulassen, nachdem Sie mir politisch den Krieg erklärt haben und sich ziemlich unumwunden zu dem Vorsatz bekennen, das jetzige Ministerium und seine Politik zu bekämpfen, also zu beseitigen? Ich urtheile dabei blos nach dem Inhalt Ihres Schreibens an mich und lasse alles bei Seite, was mir durch Colportage und dritte Hand über Ihre mündlichen und schriftlichen Auslassungen in Betreff meiner zugeht. Und doch muß ich als Minister, wenn das Staatsinteresse nicht leiden soll, gegen den Botschafter in Paris rückhaltlos offen bis zum letzten Worte meiner Politik sein. Die Friction, welche Jeder in meiner Stellung mit den Ministern und Räthen, am Hofe, mit den occulten Einflüssen, Kammern, Presse, den fremden Höfen zu überwinden hat, kann nicht dadurch vermehrt werden, daß die Disciplin meines Ressorts einer Concurrenz zwischen dem Minister und dem Gesandten Platz macht, und daß ich die unentbehrliche Einheit des Dienstes durch Discussion im Wege des Schriftwechsels herstelle. Ich kann selten so viel schreiben wie heut in der Nacht am heiligen Abend, wo alle Beamte beurlaubt sind, und ich würde an niemanden als an Sie den vierten Theil des Briefes schreiben. Ich thue es, weil ich mich nicht entschließen kann, Ihnen amtlich und durch die Bureaus in derselben Höhe des Tones zu schreiben, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 13 [2-8] Neunzehntes Kapitel: Schleswig-Holstein. bei welchem Ihre Berichte angelangt sind. Ich habe nicht die Hoffnung, Sie zu überzeugen, aber ich habe das Vertrauen zu Ihrer eignen dienstlichen Erfahrung und zu Ihrer Unparteilichkeit, daß Sie mir zugeben werden, es kann nur Eine Politik auf einmal gemacht werden, und das muß die sein, über welche das Ministerium mit dem Könige einig ist. Wollen Sie dieselbe und damit das Ministerium zu werfen suchen, so müssen Sie das hier in der Kammer und der Presse an der Spitze der Opposition unternehmen, aber nicht von Ihrer jetzigen Stellung aus; und dann muß ich mich ebenfalls an Ihren Satz halten, daß in einem Conflict des Patriotismus und der Freundschaft der Erstre entscheidet. Ich kann Sie aber versichern, daß mein Patriotismus von so starker und reiner Natur ist, daß eine Freundschaft, die neben ihm zu kurz kommt, dennoch eine sehr herzliche sein kann“. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 19 [2-10] in dieser Richtung entwickelte öffentliche Meinung, auch der Präsident Ludwig von Gerlach, ein kindliches Vertrauen zu dem Beistande, den England dem isolirten Preußen leisten würde. Viel leichter als die englische wäre die französische Genossenschaft zu erlangen gewesen, wenn wir den Preis hätten zahlen wollen, den sie uns voraussichtlich gekostet haben würde. Ich habe nie in der Ueberzeugung geschwankt, daß Preußen, gestützt nur auf die Waffen und Genossen von 1848, öffentliche Meinung, Landtage, Vereine, Freischaaren und die kleinen Contingente in ihrer damaligen Verfassung, sich auf ein hoffnungsloses Beginnen eingelassen und unter den großen Mächten nur Feinde gefunden hätte, auch in England. Ich hätte den Minister als Schwindler und Landesverräther betrachtet, der in die falsche Politik von 1848, 49, 50 zurückgefallen wäre, die uns ein neues Olmütz bereiten mußte. Sobald aber Oestreich mit uns war, schwand die Wahrscheinlichkeit einer Coalition der andern Mächte gegen uns. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 32 Dies Alles ist schlimm, aber noch viel schlimmer in meinen Augen, daß Graf Bismarck sich in dieser Handlungsweise mit der Gesinnung und den Zielen seines Königs in Widerspruch setzte und sein größtes Geschick darin bewies, daß er ihn Schritt für Schritt dem entgegengesetzten Ziele näher führte, bis die Umkehr unmöglich schien, während es nach meinem Dafürhalten die erste Pflicht eines Ministers ist, seinen Fürsten treu zu berathen, ihm die (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 41 [2-17] die ministerielle Expedition bieten, und es könnte morgen ein andrer an seiner Statt oder derselbe rechtzeitig abgehn. Eine Abschrift dessen, was ich an Werther über die Verhandlung mit Graf Blome telegraphirt habe, lege ich allerunterthänigst bei. Zu Eurer Majestät bewährter Gnade habe ich das ehrfurchtsvolle Vertrauen, daß Allerhöchstdieselben, wenn Sie meine Bedenken nicht gutheißen, deren Geltendmachung dem aufrichtigen Streben verzeihn wollen, Eurer Majestät nicht nur pflichtmäßig, sondern auch zu Allerhöchstdero persönlicher Befriedigung zu dienen.“ (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 46 [2-18] einen Canal durch Holstein zu bauen, in Friede und Freundschaft mit Oestreich gewonnen worden war. Ich denke mir, daß das Verfügungsrecht über den Kieler Hafen bei Sr. Majestät schwerer in das Gewicht gefallen ist, als der Eindruck der neuerworbenen freundlichen Landschaft von Ratzeburg mit seinem See. Die deutsche Flotte, und der Kieler Hafen als Unterlage ihrer Errichtung, war seit 1848 einer der zündenden Gedanken gewesen, an deren Feuer die deutschen Einheitsbestrebungen sich zu erwärmen und zu versammeln pflegten. Einstweilen aber war der Haß meiner parlamentarischen Gegner stärker als das Interesse für die deutsche Flotte, und es schien mir, daß die Fortschrittspartei damals die neuerworbenen Rechte Preußens auf Kiel und die damit begründete Aussicht auf unsre maritime Zukunft lieber in den Händen des Auctionators Hannibal Fischer, als in denen des Ministeriums Bismarck gesehn hätte 1). Das Recht zu Klagen und Vorwürfen über die Vernichtung deutscher Hoffnungen durch diese Regirung hätte den Abgeordneten größere Befriedigung gewährt als der gewonnene Fortschritt auf dem Wege zu ihrer Erfüllung. Ich schalte einige Stellen aus der Rede ein, welche ich am 1. Juni 1865 für den außerordentlichen Geldbedarf der Marine gehalten habe 2). „Es hat wohl keine Frage die öffentliche Meinung in Deutschland in den letzten 20 Jahren so einstimmig interessirt, wie grade die Flottenfrage. Wir haben gesehn, daß die Vereine, die Presse, die Landtage ihren Sympathien Ausdruck gaben, diese Sympathien haben sich in Sammlung von verhältnißmäßig recht bedeutenden Beträgen bethätigt. Den Regirungen, der conservativen Partei wurden Vorwürfe gemacht über die Langsamkeit und über die Kargheit, mit der in dieser Richtung vorgegangen würde; es waren besonders die liberalen Parteien, die dabei thätig 1) Vgl. die Rede vom 1. Juni 1865, Politische Reden II 356. 2) Politische Reden a. a. O. S. 355 ff. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 50 Zweifeln Sie dennoch an der Möglichkeit, unsre Absichten zu verwirklichen, so habe ich schon in der Commission ein Auskunftsmittel empfohlen: limitiren Sie die Anleihe dahin, daß die erforderlichen Beträge nur dann zahlbar sind, wenn wir wirklich Kiel besitzen, und sagen Sie: ,Kein Kiel, kein Geld!‘ Ich glaube, daß Sie andern Ministern als denen, die jetzt die Ehre haben, sich des Vertrauens Sr. Majestät des Königs zu erfreuen, eine solche Bedingung nicht abschlagen würden. ... (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 70 Auch der Erbprinz von Augustenburg hatte durch Ablehnung der sogenannten Februarbedingungen den günstigen Moment versäumt. Von welfischer Seite 1) ist neuerdings folgende Version verbreitet worden: Der Verfasser behauptet, von dem Prinzen erfahren zu haben, daß derselbe sich in einer Audienz bei dem Könige Wilhelm zu den geforderten Zugeständnissen verpflichtet, der König ihm die Einsetzung als Herzog zugesichert und die formelle Erledigung durch den Ministerpräsidenten auf den nächsten Tag zugesagt habe. Ich hätte mich am folgenden Tage bei dem Prinzen eingestellt, ihm aber gesagt, mein Wagen hielte vor der Thüre, ich müsse in diesem Augenblicke nach Biarritz zum Kaiser Napoleon reisen, der Prinz sei aufgefordert worden, einen Bevollmächtigten in Berlin zurückzulassen, und nicht wenig erstaunt gewesen, am nächsten Tage in den Berliner Zeitungen zu lesen, daß er die preußischen Vorschläge abgelehnt habe. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 143 Ich war nach allen vorstehenden Erwägungen fest entschlossen, die Annahme des von Oestreich gebotenen Friedens zur Cabinetsfrage zu machen. Die Lage war eine schwierige; allen Generalen war die Abneigung gemeinsam, den bisherigen Siegeslauf abzubrechen, und der König war militärischen Einflüssen im Laufe jener Tage öfter und bereitwilliger zugänglich als den meinigen; ich war der Einzige im Hauptquartier, dem eine politische Verantwortlichkeit als Minister oblag und der sich nothwendig der Situation (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 145 Am 23. Juli fand unter dem Vorsitze des Königs ein Kriegsrath Statt, in dem beschlossen werden sollte, ob unter den gebotenen Bedingungen Friede zu machen oder der Krieg fortzusetzen sei. Eine schmerzhafte Krankheit, an der ich litt, machte es nothwendig, die Berathung in meinem Zimmer zu halten. Ich war dabei der einzige Civilist in Uniform. Ich trug meine Ueberzeugung dahin vor, daß auf die östreichischen Bedingungen der Friede geschlossen werden müsse, blieb aber damit allein; der König trat der militärischen Mehrheit bei. Meine Nerven widerstanden den mich Tag und Nacht ergreifenden Eindrücken nicht, ich stand schweigend auf, ging in mein anstoßendes Schlafzimmer und wurde dort von einem heftigen Weinkrampf befallen. Während desselben hörte ich, wie im Nebenzimmer der Kriegsrath aufbrach. Ich machte mich nun an die Arbeit, die Gründe zu Papier zu bringen, die m. E. für den Friedensschluß sprachen, und bat den König, wenn er diesen meinen verantwortlichen Rath nicht annehmen wolle, mich meiner Aemter als Minister bei Weiterführung des Krieges zu entheben. Mit diesem Schriftstücke *) begab ich mich am folgenden Tage zum (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 153 [2-47] Erfolge und seiner Neigung, den Siegeslauf fortzusetzen, meiner Ueberzeugung gemäß leisten mußte, führte eine so lebhafte Erregung des Königs herbei, daß eine Verlängerung der Erörterung unmöglich war und ich mit dem Eindruck, meine Auffassung sei abgelehnt, das Zimmer verließ mit dem Gedanken, den König zu bitten, daß er mir erlauben möge, in meiner Eigenschaft als Offizier in mein Regiment einzutreten. In mein Zimmer zurückgekehrt, war ich in der Stimmung, daß mir der Gedanke nahe trat, ob es nicht besser sei, aus dem offenstehenden, vier Stock hohen Fenster zu fallen, und ich sah mich nicht um, als ich die Thür öffnen hörte, obwohl ich vermuthete, daß der Eintretende der Kronprinz sei, an dessen Zimmer ich auf dem Corridor vorübergegangen war. Ich fühlte seine Hand auf meiner Schulter, während er sagte: „Sie wissen, daß ich gegen den Krieg gewesen bin, Sie haben ihn für nothwendig gehalten und tragen die Verantwortlichkeit dafür. Wenn Sie nun überzeugt sind, daß der Zweck erreicht ist und jetzt Friede geschlossen werden muß, so bin ich bereit, Ihnen beizustehn und Ihre Meinung bei meinem Vater zu vertreten.“ Er begab sich dann zum Könige, kam nach einer kleinen halben Stunde zurück in derselben ruhigen und freundlichen Stimmung, aber mit den Worten: „Es hat sehr schwer gehalten, aber mein Vater hat zugestimmt.“ Diese Zustimmung hatte ihren Ausdruck gefunden in einem mit Bleistift an den Rand einer meiner letzten Eingaben geschriebenen Marginale ungefähr des Inhalts: „Nachdem mein Ministerpräsident mich vor dem Feinde im Stiche läßt und ich hier außer Stande bin, ihn zu ersetzen, habe ich die Frage mit meinem Sohne erörtert, und da sich derselbe der Auffassung des Ministerpräsidenten angeschlossen hat, sehe ich mich zu meinem Schmerze gezwungen, nach so glänzenden Siegen der Armee in diesen sauren Apfel zu beißen und einen so schmachvollen Frieden anzunehmen.“ — Ich glaube mich nicht im Wortlaut zu irren, obschon mir das Actenstück gegenwärtig nicht zugänglich ist; der Sinn war jedenfalls der angegebene und mir damals trotz der Schärfe der Ausdrücke (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 157 Nachdem die Präliminarien mit Oestreich unterzeichnet waren, fanden sich Bevollmächtigte von Würtemberg, Baden und Darmstadt ein. Den würtembergischen Minister von Varnbüler zu empfangen, lehnte ich zunächst ab, weil die Verstimmung gegen ihn bei uns stärker war als gegen Pfordten. Er war politisch gewandter als der Letztre, aber auch weniger durch deutsch-nationale Skrupel behindert. Seine Stimmung beim Ausbruch des Krieges hatte sich in dem Vae victis! ausgedrückt und war zu erklären aus den Stuttgarter Beziehungen zu Frankreich, die insbesondre durch die Vorliebe der Königin von Holland, einer würtembergischen Prinzessin, getragen waren. Dieselbe hatte, so lange ich in Frankfurt war, viel für mich übrig, ermuthigte mich in meinem Widerstande gegen Oestreichs (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 158 [2-49] Politik und gab ihre antiöstreichische Gesinnung dadurch zu erkennen, daß sie im Hause ihres Gesandten Herrn von Scherff mich, nicht ohne Unhöflichkeit gegen den östreichischen Präsidial-Gesandten Baron Prokesch, tendenziös auszeichnete, zu einer Zeit, wo Louis Napoleon noch Hoffnung auf ein preußisches Bündniß gegen Oestreich hegte und den italienischen Krieg bereits im Sinne hatte. Ich lasse unentschieden, ob schon damals die Vorliebe für das Napoleonische Frankreich allein die Politik der Königin von Holland bestimmte, oder ob nur das unruhige Bedürfniß, überhaupt Politik zu treiben, sie zu einer Parteinahme in dem preußisch-östreichischen Streit und zu einer auffällig schlechten Behandlung meines östreichischen Collegen und Bevorzugung meiner bewog. Jedenfalls habe ich nach 1866 die mir früher so gnädige Fürstin unter den schärfsten Gegnern meiner in Voraussicht des Bruches von 1870 befolgten Politik gefunden. Im Jahre 1867 wurden wir zuerst durch amtliche französische Kundgebungen verdächtigt, Absichten auf Holland zu haben, namentlich in der Aeußerung des Ministers Rouher in einer Rede gegen Thiers, 16. März 1867, daß Frankreich unser Vordringen an die „Zuider-See“ nicht dulden könne. Es ist nicht wahrscheinlich, daß die Zuider-See von dem Franzosen selbständig entdeckt worden und sogar die Orthographie des Namens in der französischen Presse ohne fremde Hülfe richtig gegeben worden ist: man darf vermuthen, daß der Gedanke an dieses Gewässer von Holland aus dem französischen Mißtrauen suppeditirt worden war. Auch die niederländische Abstammung des Herrn Drouyn de Lhuys berechtigt mich nicht, eine so genaue Localkenntniß in der Geographie außerhalb der französischen Grenzen bei seinem Collegen vorauszusetzen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 160 [2-50] Bruder des Commandirenden unsers Gardecorps, und die uns sehr wohlwollende Großfürstin Helene vermittelt hatten, verlief politisch fruchtlos. Erst später in Berlin habe ich mit Herrn von Varnbüler verhandelt; und seine bewegliche Empfänglichkeit für die politischen Eindrücke jeder Situation bethätigte sich dort darin, daß er der erste unter den süddeutschen Ministern war, mit dem ich einen Bündniß-Vertrag der bekannten Art abschließen konnte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 165 [2-52] Glieder sich dann des französischen Schutzes um so bedürftiger fühlen würden. Er hatte Rheinbundreminiscenzen und wollte die Entwicklung in der Richtung eines Gesammt-Deutschlands hindern. Er glaubte es zu können, weil er die nationale Stimmung des Tages nicht kannte und die Situation nach seinen süddeutschen Schulerinnerungen und nach diplomatischen Berichten beurtheilte, die nur auf ministerielle und sporadisch dynastische Stimmungen gegründet waren. Ich war überzeugt, daß ihr Gewicht schwinden würde; ich nahm an, daß ein Gesammt-Deutschland nur eine Frage der Zeit, und daß zu deren Lösung der Norddeutsche Bund die erste Etappe sei, daß aber die Feindschaft Frankreichs und vielleicht Rußlands, das Revanchebedürfniß Oestreichs für 1866 und der preußisch- dynastische Particularismus des Königs nicht zu früh in die Schranken gerufen werden dürfe. Ich war nicht zweifelhaft, daß ein deutsch- französischer Krieg werde geführt werden müssen, bevor die Gesammt- Einrichtung Deutschlands sich verwirklichte. Diesen Krieg hinauszuschieben, bis unsre Streitkräfte durch Anwendung der preußischen Wehrgesetzgebung nicht blos auf Hanover, Hessen und Holstein, sondern, wie ich damals schon nach der Fühlung mit den Süddeutschen hoffen durfte, auch auf diese, gestärkt wären, war ein Gedanke, der mich damals beherrschte. Ich hielt einen Krieg mit Frankreich im Hinblick auf die Erfolge der Franzosen im Krimkriege und in Italien für eine Gefahr, die ich damals überschätzte, indem mir die für Frankreich erreichbare Truppenziffer, die Ordnung und die Organisation und das Geschick in der Führung als höher und besser vorschwebten, als sich 1870 bestätigt hat. Die Tapferkeit des französischen Troupiers und die Höhe des nationalen Gefühls und der verletzten Eitelkeit haben sich vollkommen in dem Maße bewährt, wie ich sie für die Eventualität einer deutschen Invasion in Frankreich eingeschätzt hatte, in Erinnerung an die Erlebnisse von 1814, 1792, und zu Anfang des vorigen Jahrhunderts im spanischen Erbfolgekriege, wo das Eindringen fremder Heere stets ähnliche Erscheinungen wie das Stökern in einem Ameisenhaufen hervorgerufen hat. Für leicht habe (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 166 [2-53] ich den französischen Krieg niemals gehalten, ganz abgesehn von den Bundesgenossen, die Frankreich in dem östreichischen Revanchegefühl und in dem russischen Gleichgewichtsbedürfniß finden konnte. Mein Bestreben, diesen Krieg hinauszuschieben, bis die Wirkung unsrer Wehrgesetzgebung und militärischen Erziehung auf alle nicht altpreußischen Landestheile sich vollständig hätte entwickeln können, war also natürlich, und dieses mein Ziel war 1867 bei der Luxemburger Frage nicht annähernd erreicht. Jedes Jahr Aufschub des Krieges stärkte unser Heer um mehr als 100000 gelernte Soldaten. Bei der Indemnitätsfrage dem Könige gegenüber und bei der Verfassungsfrage im preußischen Landtage aber stand ich unter dem Druck des Bedürfnisses, dem Auslande keine Spur von vorhandenen oder bevorstehenden Hemmnissen durch unsre innre Lage, sondern nur die einige nationale Stimmung zur Anschauung zu bringen, um so mehr, als sich nicht ermessen ließ, welche Bundesgenossen Frankreich im Kriege gegen uns haben werde. Die Verhandlungen und Annäherungsversuche zwischen Frankreich und Oestreich in Salzburg und anderswo bald nach 1866, konnten unter Leitung des Herrn von Beust erfolgreich sein, und schon die Berufung dieses verstimmten sächsischen Ministers zur Leitung der Wiener Politik ließ darauf schließen, daß sie die Richtung der Revanche einschlagen würde. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 189 Wenn ein Monarch dafür das hinreichende Augenmaß besitzt, so ist das ein Glück für sein Land, freilich ein vergängliches, wie alles menschliche Glück. Die Möglichkeit, Minister an's Ruder zu bringen, welche die entsprechenden Eigenschaften besitzen, muß in dem Verfassungsleben gegeben werden, aber auch die Möglichkeit, Minister, die diesem Bedürfniß genügen, sowohl gegen gelegentliche Majoritäts-Abstimmungen als auch gegen Hof- und Camarilla- Einflüsse zu halten. Dieses Ziel war bis zu dem nach menschlicher Unvollkommenheit überhaupt erreichbaren Grade annähernd erreicht unter der Regirung Wilhelms I. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 196 [2-64] Entwicklung gelegen hätte. Dazu wäre vor Allem erforderlich gewesen, daß er nicht mit der, unklugerweise noch immer von der öffentlichen Meinung verurtheilten russischen Assistenz geführt wurde. Die deutsche Einheit mußte ohne fremde Einflüsse zu Stande kommen, aus eigner nationaler Kraft. Ueberdies hatte der innere Conflict, von dem der König bei meinem Eintritt in das Ministerium bis zu dem Entschlusse zur Abdication beeindruckt war, an Herrschaft über seine Entschließungen erheblich eingebüßt, seitdem er Minister gefunden hatte, die bereit waren, seine Politik offen, ohne Winkelzüge zu vertreten. Er hatte seitdem die Ueberzeugung gewonnen, daß die Krone, wenn es zum revolutionären Bruche gekommen wäre, stärker gewesen sein würde; die Einschüchterungen der Königin und der Minister der neuen Aera hatten ihre Kraft verloren. Dagegen hielt ich in meinen Vorträgen mit meiner Ansicht von der militärischen Stärke, die ein deutsch-russisches Bündniß, namentlich im ersten Anlauf haben würde, nicht zurück. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 212 Durch eine Correspondenz, die ich von Nikolsburg aus mit den übrigen Ministern geführt hatte, war der Entwurf der Thronrede zu Stande gekommen und von Sr. Majestät genehmigt worden mit Ausnahme des auf die Indemnität bezüglichen Satzes. Schließlich gab der König mit Widerstreben auch dazu seine Einwilligung, so daß der Landtag am 5. August mit einer Thronrede eröffnet werden konnte, die ankündigte, daß die Landesvertretung in Bezug auf die ohne Staatshaushaltsgesetz geführte Verwaltung um nachträgliche Verwilligung angegangen werden solle. In verbis simus faciles! (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 232 [2-78] Am 2. Juli 1870 entschied sich das spanische Ministerium für die Thronbesteigung des Erbprinzen Leopold von Hohenzollern. Damit war die erste völkerrechtliche Anregung zu der spätern Kriegsfrage gegeben, aber doch nur in Gestalt einer specifisch spanischen Angelegenheit. Ein völkerrechtlicher Vorwand für Frankreich, in die Freiheit der spanischen Königswahl einzugreifen, war schwer zu finden; er wurde, seitdem man es in Paris auf den Krieg mit Preußen abgesehn hatte, künstlich gesucht in dem Namen Hohenzollern, welcher an sich für Frankreich nichts Bedrohlicheres hatte als jeder andre deutsche Name. Im Gegentheil konnte man in Spanien sowohl als in Deutschland annehmen, daß der Prinz Leopold wegen seiner persönlichen und Familienbeziehungen in Paris eher persona grata sein werde als mancher andre deutsche Prinz. Ich erinnere mich, daß ich in der Nacht nach der Schlacht von Sedan in tiefer Finsterniß mit einer Anzahl unsrer Offiziere nach der Rundfahrt des Königs um Sedan auf dem Wege nach Donchery ritt und auf Befragen, ich weiß nicht welches Begleiters, die Vorbereitung zu diesem Kriege besprach und dabei erwähnte, daß ich geglaubt hätte, der Prinz Leopold werde dem Kaiser Napoleon kein unerwünschter Nachbar in Spanien sein und seinen Weg über Paris nach Madrid nehmen, um dort die Fühlung mit der kaiserlich französischen Politik zu gewinnen, die zu den Vorbedingungen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 234 Diese anticipirte Episode legt Zeugniß ab über die Auffassung, die ich von der ganzen Frage hatte. Ich betrachtete sie als eine spanische und nicht als eine deutsche, wenn es mir auch erfreulich schien, den deutschen Namen Hohenzollern in Vertretung der Monarchie in Spanien thätig zu sehn, und wenn ich auch nicht versäumte, alle möglichen Folgen unter dem Gesichtspunkte unsrer Interessen zu erwägen, was bei jedem Vorgange von ähnlicher Wichtigkeit in einem andern Staate zu thun die Pflicht eines auswärtigen Ministers ist. Ich dachte zunächst mehr an wirthschaftliche wie an politische Beziehungen, denen ein König von Spanien deutscher Abstammung förderlich sein konnte. Für Spanien erwartete ich von der Person des Prinzen und von seinen verwandschaftlichen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 236 [2-81] erstrebten Ziele zu führen. Die Memoiren Seiner Majestät des Königs von Rumänien sind über Einzelheiten der ministeriellen Mitwirkung in der Frage nicht genau unterrichtet. Das dort erwähnte Minister-Conseil im Schlosse hat nicht stattgefunden. Fürst Anton wohnte als Gast des Königs im Schlosse und hatte dort diesen Herrn und einige der Minister zum Diner eingeladen; ich glaube kaum, daß im Tischgespräch die spanische Frage verhandelt wurde. Wenn der Herzog von Gramont *) sich bemüht, den Beweis zu führen, daß ich der spanischen Anregung gegenüber mich nicht ablehnend verhalten hätte, so finde ich keinen Grund, dem zu widersprechen. Des Wortlautes meines Briefes an den Marschall Prim, von dem der Herzog hat erzählen hören, erinnere ich mich nicht mehr; wenn ich selbst ihn redigirt habe, was ich auch nicht mehr weiß, so werde ich die Hohenzollernsche Candidatur schwerlich „une excellente chose“ genannt haben, der Ausdruck ist mir nicht mundrecht. Daß ich sie für „opportune“ hielt, nicht „à un moment donné“, sondern prinzipiell und im Frieden, ist richtig. Ich hatte dabei nicht den mindesten Zweifel daran, daß der am französischen Hofe gern gesehne Enkel der Murats dem Lande Frankreichs Wohlwollen sichern werde. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 240 Von Seiten unsres Auswärtigen Amtes waren die ersten schon unberechtigten Anfragen Frankreichs über die spanische Throncandidatur am 4. Juli der Wahrheit entsprechend in der ausweichenden Art beantwortet worden, daß das Ministerium nichts von der Sache wisse. Es traf das insofern zu, als die Frage der Annahme der Wahl durch den Prinzen Leopold von Sr. Majestät lediglich als Familiensache behandelt worden war, die weder Preußen noch den Norddeutschen Bund etwas anging, bei der es sich nur um die persönliche Beziehung des Kriegsherrn zu einem deutschen Offizier und des Hauptes nicht der Kgl. Preußischen sondern der Hohenzollernschen Gesammtfamilie zu den Trägern des Namens Hohenzollern handelte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 242 [2-83] Sachkunde geprüft hatte. Der deutsch-nationale Aufschwung, welcher der französischen Kriegserklärung folgte, vergleichbar einem Strome, der die Schleusen bricht, war für die französischen Politiker eine Ueberraschung; sie lebten, rechneten und handelten in Rheinbundserinnerungen, genährt durch die Haltung einzelner westdeutscher Minister und durch ultramontane Einflüsse, welche hofften, daß Frankreichs Siege, gesta Dei per Francos, die Ziehung weitrer Consequenzen des Vaticanums in Deutschland, gestützt auf Allianz mit dem katholischen Oestreich, erleichtern würden. Ihre ultramontanen Tendenzen waren der französischen Politik in Deutschland förderlich, in Italien nachtheilig, da das Bündniß mit letzterm schließlich an der Weigerung Frankreichs, Rom zu räumen, scheiterte. In dem Glauben an die Ueberlegenheit der französischen Waffen wurde der Kriegsvorwand, man kann sagen, an den Haaren herbeigezogen, und anstatt Spanien für seine, wie man annahm, antifranzösische Königswahl verantwortlich zu machen, hielt man sich an den deutschen Fürsten, der es nicht abgelehnt hatte, dem Bedürfniß der Spanier auf deren Wunsch durch Gestellung eines brauchbaren und voraussichtlich in Paris als persona grata betrachteten Königs abzuhelfen, und an den König von Preußen, den nichts als der Familienname und die deutsche Landsmannschaft zu dieser spanischen Angelegenheit in Beziehung brachte. Schon in der Thatsache, daß das französische Cabinet sich erlaubte, die preußische Politik über die Annahme der Wahl zur Rede zu stellen, und zwar in einer Form, die durch die Interpretation der französischen Blätter zu einer öffentlichen Bedrohung wurde, schon in dieser Thatsache lag eine internationale Unverschämtheit, die für uns nach meiner Ansicht die Unmöglichkeit involvirte, auch nur um einen Zoll breit zurückzuweichen. Der beleidigende Charakter der französischen Zumuthung wurde verschärft nicht nur durch die drohenden Herausforderungen der französischen Presse, sondern auch durch die Parlamentsverhandlungen und die Stellungnahme des Ministeriums Gramont-Ollivier (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 246 Ich entschloß mich, am 12. Juli von Varzin nach Ems aufzubrechen, um bei Sr. Majestät die Berufung des Reichstags behufs der Mobilmachung zu befürworten. Als ich durch Wussow fuhr, stand mein Freund, der alte Prediger Mulert, vor der Thür des Pfarrhofes und grüßte mich freundlich; meine Antwort im offnen Wagen war ein Lufthieb in Quart und Terz, und er verstand, daß ich glaubte in den Krieg zu gehn. In den Hof meiner Berliner Wohnung einfahrend und bevor ich den Wagen verlassen hatte, empfing ich Telegramme, aus denen hervorging, daß der König nach den französischen Bedrohungen und Beleidigungen im Parlament und in der Presse mit Benedetti zu verhandeln fortfuhr, ohne ihn in kühler Zurückhaltung an seine Minister zu verweisen. Während des Essens, an dem Moltke und Roon Theil nahmen, traf von der Botschaft in Paris die Meldung ein, daß der Prinz von Hohenzollern der Candidatur entsagt habe, um den Krieg abzuwenden, mit dem uns Frankreich bedrohte. Mein erster Gedanke war, aus dem Dienste zu scheiden, weil ich nach allen beleidigenden Provocationen, die vorhergegangen waren, in diesem erpreßten Nachgeben (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 247 [2-85] eine Demüthigung Deutschlands sah, die ich nicht amtlich verantworten wollte. Dieser Eindruck der Verletzung des nationalen Ehrgefühls durch den aufgezwungenen Rückzug war in mir so vorherrschend, daß ich schon entschlossen war, meinen Rücktritt aus dem Dienste nach Ems zu melden. Ich hielt diese Demüthigung vor Frankreich und seinen renommistischen Kundgebungen für schlimmer als die von Olmütz, zu deren Entschuldigung die gemeinsame Vorgeschichte und unser damaliger Mangel an Kriegsbereitschaft immer dienen werden. Ich nahm an, Frankreich werde die Entsagung des Prinzen als einen befriedigenden Erfolg escomptiren in dem Gefühl, daß eine kriegerische Drohung, auch wenn sie in den Formen internationaler Beleidigung und Verhöhnung geschehn und der Kriegsvorwand gegen Preußen vom Zaune gebrochen wäre, genüge, um Preußen zum Rückzuge auch in einer gerechten Sache zu nöthigen, und daß auch der Norddeutsche Bund in sich nicht das hinreichende Machtgefühl trage, um die nationale Ehre und Unabhängigkeit gegen französische Anmaßung zu schützen. Ich war sehr niedergeschlagen, denn ich sah kein Mittel, den fressenden Schaden, den ich von einer schüchternen Politik für unsre nationale Stellung befürchtete, wieder gut zu machen, ohne Händel ungeschickt vom Zaune zu brechen und künstlich zu suchen. Den Krieg sah ich schon damals als eine Nothwendigkeit an, der wir mit Ehren nicht mehr ausweichen konnten. Ich telegraphirte an die Meinigen nach Varzin, man sollte nicht packen, nicht abreisen, ich würde in wenig Tagen wieder dort sein. Ich glaubte nunmehr an Frieden; da ich aber die Haltung nicht vertreten wollte, durch welche dieser Friede erkauft gewesen wäre, so gab ich die Reise nach Ems auf und bat Graf Eulenburg, dorthin zu reisen und Sr. Majestät meine Auffassung vorzutragen. In gleichem Sinne sprach ich auch mit dem Kriegsminister von Roon: wir hätten die französische Ohrfeige weg, und wären durch die Nachgiebigkeit in die Lage gebracht, als Händelsucher zu erscheinen, wenn wir zum Kriege schritten, durch den allein wir den Flecken abwaschen könnten. Meine Stellung sei jetzt unhaltbar und (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 249 [2-87] gegenüber. Man hat mir erzählt, daß die Königin Augusta ihren Gemal vor seiner Abreise von Ems nach Berlin in Thränen beschworen habe, den Krieg zu verhüten im Andenken an Jena und Tilsit. Ich halte die Angabe für glaubwürdig bis auf die Thränen. Zum Rücktritt entschlossen trotz der Vorwürfe, die mir Roon darüber machte, lud ich ihn und Moltke zum 13. ein, mit mir zu Drei zu speisen, und theilte ihnen bei Tische meine An- und Absichten mit. Beide waren sehr niedergeschlagen und machten mir indirect Vorwürfe, daß ich die im Vergleiche mit ihnen größere Leichtigkeit des Rückzuges aus dem Dienste egoistisch benutzte. Ich vertrat die Meinung, daß ich mein Ehrgefühl nicht der Politik opfern könne, daß sie Beide als Berufssoldaten wegen der Unfreiheit ihrer Entschließung nicht dieselben Gesichtspunkte zu nehmen brauchten wie ein verantwortlicher auswärtiger Minister. Während der Unterhaltung wurde mir gemeldet, daß ein Ziffertelegramm, wenn ich mich recht erinnere, von ungefähr 200 Gruppen, aus Ems, von dem Geheimrath Abeken unterzeichnet, in der Uebersetzung begriffen sei. Nachdem mir die Entzifferung überbracht war, welche ergab, daß Abeken das Telegramm auf Befehl Sr. Majestät redigirt und unterzeichnet hatte, las ich dasselbe meinen Gästen vor 1), deren (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 274 Die durch diese Reden gekennzeichnete Verabredung wurde mir praktisch wahrnehmbar; ich wurde nicht nur zu den militärischen Berathungen nicht zugezogen, wie 1866 geschehn war, sondern es galt mir gegenüber strenge Geheimhaltung aller militärischen Maßregeln und Absichten als Regel. Dieses Ergebniß der unsern amtlichen Kreisen innewohnenden Rivalität der Ressorts war ein so augenfälliger Schaden für die Geschäftsführung, daß der in Angelegenheiten des Rothen Kreuzes im Hauptquartier anwesende Graf Eberhard Stolberg bei der freundschaftlichen Intimität, in der ich mit diesem, leider zu früh verstorbenen Patrioten stand, den König auf die Unzuträglichkeiten der Ausschließung seines verantwortlichen politischen Rathgebers aufmerksam machte. Nach dem Zeugnisse des Grafen hatte Se. Majestät darauf erwidert: „Ich sei in dem böhmischen Kriege in der Regel zu dem Kriegsrathe zugezogen worden, und es sei dabei vorgekommen, daß ich im Widerspruche mit der Majorität den Nagel auf den Kopf getroffen hätte; daß das den andern Generalen ärgerlich sei und sie ihr Ressort allein berathen wollten, sei nicht zu verwundern“ — ipsissima verba regis, nach dem Zeugnisse des Grafen Stolberg nicht nur mir, sondern auch Andern gegenüber. Das Maß von Einfluß, welches der König mir 1866 verstattet hatte, stand allerdings im Widerspruche mit militärischen Traditionen, sobald der Ministerpräsident allein nach den Abzeichen der Uniform classificirt wurde, die er im Felde trug, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 275 [2-96] als Stabsoffizier eines Cavallerie-Regiments; und es blieb 1870 mir gegenüber bei dem militärischen Boycott, wie man heut sagen würde. Wenn man die Theorie, welche der Generalstab mir gegenüber zur Anwendung brachte und die auch kriegswissenschaftlich gelehrt werden soll, so ausdrücken kann: der Minister der Auswärtigen Angelegenheiten kommt erst wieder zum Wort, wenn die Heeresleitung die Zeit gekommen findet, den Janustempel zu schließen, so liegt schon in dem doppelten Gesicht des Janus die Mahnung, daß die Regirung eines kriegführenden Staates auch nach andern Richtungen zu sehn hat, als nach dem Kriegsschauplatze. Aufgabe der Heeresleitung ist die Vernichtung der feindlichen Streitkräfte; Zweck des Krieges die Erkämpfung des Friedens unter Bedingungen, die der von dem Staate verfolgten Politik entsprechen. Die Feststellung und Begrenzung der Ziele, die durch den Krieg erreicht werden sollen, die Berathung des Monarchen in Betreff derselben ist und bleibt während des Krieges wie vor demselben eine politische Aufgabe, und die Art ihrer Lösung kann nicht ohne Einfluß auf die Art der Kriegführung sein. Die Wege und Mittel der letztern werden immer davon abhängig sein, ob man das schließlich gewonnene Resultat oder mehr oder weniger hat erreichen wollen, ob man Landabtretungen fordern oder auf solche verzichten, ob man Pfandbesitz und auf wie lange gewinnen will. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 277 [2-97] erforderlich, die dem Militär nicht geläufig zu sein brauchen, Informationen, die ihm nicht zugänglich sein können. Die Verhandlungen in Nikolsburg 1866 beweisen, daß die Frage von Krieg und Frieden auch im Kriege stets zur Competenz des verantwortlichen politischen Ministers gehört und nicht von der technischen Armeeleitung entschieden werden kann; der competente Minister aber kann dem Könige nur dann sachkundigen Rath ertheilen, wenn er Kenntniß von der jeweiligen Lage und den Intentionen der Kriegführung hat. Im fünften Kapitel ist der Plan zur Zerstückelung Rußlands erwähnt, den die Wochenblattspartei hegte und Bunsen in einer dem Minister von Manteuffel eingereichten Denkschrift in aller kindlichen Nacktheit entwickelt hatte 1). Den damals unmöglichen Fall angenommen, daß der König für diese Utopie gewonnen wurde, angenommen ferner, daß die preußischen Heere und ihre etwaigen Verbündeten in siegreichem Vorschreiten waren, so würde sich doch eine artige Reihe von Fragen aufgedrängt haben: ob uns der weitre Erwerb polnischer Landstriche und Bevölkerungen wünschenswerth sei, ob es nothwendig, die vorspringende Grenze Congreßpolens, den Ausgangspunkt russischer Heere weiter nach Osten, weiter ab von Berlin zu rücken, analog dem Bedürfnisse, im Westen den Druck zu beseitigen, den Straßburg und die Weißenburger Linien auf Süddeutschland ausübten, ob Warschau in polnischen Händen für uns unbequemer werden könnte als in russischen. Das alles sind rein politische Fragen, und wer wird leugnen wollen, daß ihre Entscheidung einen vollberechtigten Einfluß auf die Richtung, die Art, den Umfang der Kriegführung hätte fordern, daß zwischen Diplomatie und Strategie eine Wechselwirkung in Berathung des Monarchen hätte bestehn müssen? (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 279 [2-98] Wenn ich mich auch in Versailles beschied, in militärischen Dingen zu einem Votum nicht berufen zu sein, so lag mir doch als dem leitenden Minister die Verantwortlichkeit für die richtige politische Ausnutzung der militärischen, wie der auswärtigen Situation ob, und ich war verfassungsmäßig der verantwortliche Rathgeber des Königs in der Frage, ob die militärische Situation irgend welche politische Schritte oder die Ablehnung irgend welcher Zumuthung andrer Mächte rathsam machte. Ich habe damals die Nachrichten über die militärische Lage, deren ich für die Beurtheilung der politischen bedurfte, so weit als möglich mir dadurch zu verschaffen gesucht, daß ich mich mit einigen der unbeschäftigten hohen Herrn, welche die „zweite Staffel“ des Hauptquartiers bildeten und im Hôtel des Réservoirs zusammenkamen, in vertraulichen Beziehungen hielt, denn diese fürstlichen Herrn erfuhren über die militärischen Vorgänge und Absichten erheblich mehr als der verantwortliche Minister des Auswärtigen und machten mir manche für mich sehr werthvolle Mittheilung, von der sie annahmen, daß sie für mich natürlich kein Geheimniß sei. Auch der englische Correspondent im Hauptquartier, Russell, war in der Regel über die Absichten und Vorgänge in demselben besser wie ich unterrichtet und eine nützliche Quelle für meine Informationen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 306 Die russische Entrüstung über das Ergebniß des Berliner Congresses war eine der Erscheinungen, die bei einer dem Volk so wenig verständlichen Presse, wie es die russische in auswärtigen Beziehungen ist, und bei dem Zwange, der auf sie mit Leichtigkeit geübt wird, sich im Widerspruche mit aller Wahrheit und Vernunft ermöglichen ließ. Die ganzen Gortschakowschen Einflüsse, die er, angespornt durch Aerger und Neid über seinen frühern Mitarbeiter, den deutschen Reichskanzler, in Rußland übte, unterstützt von französischen Gesinnungsgenossen und ihren französischen Verschwägerungen (Wannowski, Obrutschew) waren stark genug, um in der Presse, die Moskauer Wedomosti an der Spitze, einen Schein von Entrüstung herzustellen über die Schädigung, welche Rußland auf dem Berliner Congresse durch deutsche Untreue erlitten hätte. Nun ist auf dem Berliner Congresse kein russischer Wunsch ausgesprochen worden, den Deutschland nicht zur Annahme gebracht hätte, unter Umständen durch energisches Auftreten bei dem englischen Premierminister, obschon letztrer krank und bettlägerig war. Anstatt hierfür dankbar zu sein, fand man es der russischen Politik entsprechend, unter Führung des lebensmüden, aber immer noch krankhaft eitlen Fürsten Gortschakow und der Moskauer Blätter, an der weitern Entfremdung zwischen Rußland und Deutschland fortzuarbeiten, für die weder im Interesse des einen noch des andern dieser großen Nachbarreiche das mindeste Bedürfniß vorliegt. Wir beneiden uns nichts und haben nichts von einander zu gewinnen, was wir brauchen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 308 Von Gortschakow sagten seine Untergebnen im Ministerium: „Il se mire dans son encrier,“ wie analog Bettina über ihren Schwager, den berühmten Savigny, äußerte: „Er kann keine Gossen überschreiten, ohne sich darin zu spiegeln,“ Ein großer Theil der Gortschakowschen Depeschen und namentlich die sachlichsten sind nicht von ihm, sondern von Jomini, einem sehr geschickten Redacteur und Sohn eines schweizer Generals, den Kaiser Alexander für russischen Dienst anwarb. Wenn Gortschakow dictirte, so war mehr rhetorischer Schwung in den Depeschen, aber praktischer waren die von Jomini. Wenn er dictirte, so pflegte er eine bestimmte Pose anzunehmen, die er einleitete mit dem Worte: „écrivez!“, und wenn der Schreiber dann seine Stellung richtig auffaßte, so mußte er bei besonders wohlgerundeten Phrasen einen bewundernden Aufblick auf den Chef richten, der dafür sehr empfänglich war. Gortschakow beherrschte die russische, die deutsche und die französische Sprache mit gleicher Vollkommenheit. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 341 [2-120] leichter geneigt, dem Minister, als seinem Herrn Sohne Concessionen zu machen, in gewissenhafter Erinnerung an Verfassungseid und Ministerverantwortlichkeit. Meinungsverschiedenheiten mit dem Kronprinzen faßte er von dem Standpunkte des pater familias auf. In der Schlußberathung am 17. Januar 1871 lehnte er die Bezeichnung Deutscher Kaiser ab und erklärte, er wolle Kaiser von Deutschland oder garnicht Kaiser sein. Ich hob hervor, wie die adjectivische Form Deutscher Kaiser und die genitivische Kaiser von Deutschland sprachlich und zeitlich verschieden seien. Man hätte Römischer Kaiser, nicht Kaiser von Rom gesagt; der Zar nenne sich nicht Kaiser von Rußland, sondern Russischer, auch „gesammtrussischer“ (wserossiski) Kaiser. Das Letztre bestritt der König mit Schärfe, sich darauf berufend, daß die Rapporte seines russischen Regiments Kaluga stets „pruskomu“ adressirt seien, was er irrthümlich übersetzte. Meiner Versicherung, daß die Form der Dativ des Adjectivums sei, schenkte er keinen Glauben und hat sich erst nachher von seiner gewohnten Autorität für russische Sprache, dem Hofrath Schneider, überzeugen lassen. Ich machte ferner geltend, daß unter Friedrich dem Großen und Friedrich Wilhelm II. auf den Thalern Borussorum, nicht Borussiae rex erscheine, daß der Titel Kaiser von Deutschland einen landesherrlichen Anspruch auf die nichtpreußischen Gebiete involvire, den die Fürsten zu bewilligen nicht gemeint wären; daß in dem Schreiben des Königs von Baiern in Anregung gebracht sei, daß „die Ausübung der Präsidialrechte mit Führung des Titels eines Deutschen Kaisers verbunden werde“; endlich daß derselbe Titel auf Vorschlag des Bundesrathes in die neue Fassung des Artikel 11 der Verfassung aufgenommen sei. Die Erörterung ging über auf den Rang zwischen Kaisern und Königen, zwischen Erzherzogen, Großfürsten und preußischen Prinzen. Meine Darlegung, daß den Kaisern im Prinzip ein Vorrang vor Königen nicht eingeräumt werde, fand keinen Glauben, obwohl ich mich darauf berufen konnte, daß Friedrich Wilhelm I. bei einer Zusammenkunft mit Karl VI., der doch dem Kurfürsten (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 356 Der Beginn des Culturkampfes war für mich überwiegend bestimmt durch seine polnische Seite. Seit dem Verzicht auf die Politik der Flottwell und Grolman, seit der Consolidirung des Radziwill'schen Einflusses auf den König und der Einrichtung der „katholischen Abtheilung“ im geistlichen Ministerium, stellten die statistischen Data einen schnellen Fortschritt der polnischen Nationalität auf Kosten der Deutschen in Posen und Westpreußen außer Zweifel, und in Oberschlesien wurde das bis dahin stramm preußische Element der „Wasserpolacken“ polonisirt; Schaffranek wurde dort in den Landtag gewählt, der uns das Sprichwort von der Unmöglichkeit der Verbrüderung der Deutschen und der Polen in polnischer Sprache als Parlamentsredner entgegenhielt. Dergleichen war in Schlesien nur möglich auf Grund der amtlichen Autorität der katholischen Abtheilung. Auf Klage bei dem Fürstbischof wurde dem Schaffranek untersagt, bei Wiederwahl auf der Linken zu „sitzen“; in Folge dessen stand dieser kräftig gebaute Priester 5 und 6 Stunden und bei Doppelsitzungen 10 Stunden am Tage vor den Bänken der Linken, stramm wie eine Schildwache, und brauchte nicht erst aufzustehn, wenn er zu antideutscher (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 357 [2-128] Rede das Wort ergriff 1). In Posen und Westpreußen waren nach Ausweis amtlicher Berichte Tausende von Deutschen und ganze Ortschaften, die in der vorigen Generation amtlich deutsch waren, durch die Einwirkung der katholischen Abtheilung polnisch erzogen und amtlich „Polen“ genannt worden. Nach der Competenz, welche der Abtheilung verliehn worden war, ließ sich ohne Aushebung derselben hierin nicht abhelfen. Diese Aufhebung war also nach meiner Ueberzeugung als nächstes Ziel zu erstreben. Dagegen war natürlich der Radziwill'sche Einfluß am Hof, nicht natürlich mein Cultus-College, dessen Frau und Ihre Majestät die Königin. Der Chef der katholischen Abtheilung war damals Krätzig, der früher Radziwill'scher Privatbeamter gewesen und dies im Staatsdienst auch wohl geblieben war. Der Träger des Radziwill'schen Einflusses war der jüngere beider Brüder Fürst Boguslav, auch Stadtverordneter von Einfluß in Berlin. Der ältere, Wilhelm, und sein Sohn Anton, waren zu ehrliche Soldaten, um sich auf polnische Intrigen gegen den König und dessen Staat einzulassen. Die katholische Abtheilung des Cultusministeriums, ursprünglich gedacht als eine Einrichtung, vermöge deren katholische Preußen die Rechte ihres Staates in den Beziehungen zu Rom vertreten sollten, war durch den Wechsel der Mitglieder nach und nach zu einer Behörde geworden, die inmitten der preußischen Bürokratie die römischen und polnischen Interessen gegen Preußen vertrat. Ich habe mehr als einmal dem Könige auseinander gesetzt, daß diese Abtheilung schlimmer sei als ein Nuntius in Berlin. Sie handle nach Anweisungen, die sie aus Rom empfinge, vielleicht nicht immer vom Papste, und sei neuerdings hauptsächlich polnischen Einflüssen zugänglich geworden. In dem Radziwill'schen Hause seien die Damen deutschfreundlich, der ältere Bruder Wilhelm durch das Ehrgefühl des preußischen Offiziers in derselben (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 359 [2-129] Richtung gehalten, ebenso dessen Sohn Anton, bei dem die persönliche Anhänglichkeit an Se. Majestät hinzukomme. Aber in dem treibenden Elemente des Hauses, den Geistlichen und dem Fürsten Boguslaw und dessen Sohn, sei das polnische Nationalgefühl stärker als jedes andre und werde gepflegt auf der Basis des Zusammengehns der polnischen mit den römisch-clericalen Interessen, auf der einzigen im Frieden gangbaren, aber auch sehr geläufig gangbaren Basis. Nun sei der Chef der katholischen Abtheilung, Krätzig, so gut wie ein Radziwillscher Leibeigner. Ein Nuntius würde die Interessen der katholischen Kirche, aber nicht die der Polen zu vertreten als seine Hauptaufgabe ansehn, werde nicht die intimen Verbindungen mit der Bürokratie besitzen wie die Mitglieder der katholischen Abtheilung, die in der Garnison der ministeriellen Citadelle unsres Vertheidigungssystems gegen revolutionäre Anläufe als staatsfeindliche Parteigänger säßen; ein Nuntius endlich werde als Mitglied des diplomatischen Corps an der Erhaltung guter Beziehungen zu seinem Souverain und an der Pflege des Verhältnisses zu dem Hofe, an dem er beglaubigt, persönlich interessirt sein. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 360 Wenn es mir auch nicht gelang, die übrigens mehr äußerliche und formelle Abneigung des Kaisers gegen einen Nuntius in Berlin zu überwinden, so überzeugte er sich doch von der Gefährlichkeit der katholischen Abtheilung und gab seine Genehmigung zu ihrer Abschaffung trotz des Widerstandes seiner Gemalin. Unter ehelichem Einfluß wehrte sich Mühler gegen die Abschaffung, über die alle übrigen Minister einverstanden waren. Zur decorativen Platirung seines Abganges wurde eine Differenz über eine die Verwaltung der Museen betreffende Personalfrage benutzt; in der That fiel er über Krätzig und den Polonismus, trotz des Rückhaltes, den er und seine Frau durch Damenverbindungen am Hofe hatten. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 362 Auf die juristische Detailarbeit der Maigesetze würde ich nie verfallen sein; sie lag mir ressortmäßig fern, und weder in meiner Absicht, noch in meiner Befähigung lag es, Falk als Juristen zu controlliren oder zu corrigiren. Ich konnte als Ministerpräsident überhaupt nicht gleichzeitig den Dienst des Cultusministers thun, auch wenn ich vollkommen gesund gewesen wäre. Erst durch die Praxis überzeugte ich mich, daß die juristischen Einzelheiten psychologisch nicht richtig gegriffen waren. Der Mißgriff wurde mir klar an dem Bilde ehrlicher, aber ungeschickter preußischer Gendarmen, die mit Sporen und Schleppsäbel hinter gewandten und leichtfüßigen Priestern durch Hinterthüren und Schlafzimmer nachsetzten. Wer annimmt, daß solche in mir auftauchende kritische Erwägungen sofort in Gestalt einer Cabinetskrisis zwischen Falk und mir sich hätten verkörpern lassen, dem fehlt das richtige, nur durch Erfahrung zu gewinnende Urtheil über die Lenkbarkeit der Staatsmaschine in sich und in ihrem Zusammenhange mit dem Monarchen und den Parlamentswahlen. Diese Maschine ist zu plötzlichen Evolutionen nicht im Stande, und Minister von der Begabung Falks wachsen bei uns nicht wild. Es war richtiger, einen Kampfgenossen von dieser Befähigung und Tapferkeit in dem Ministerium zu haben, als durch Eingriffe in die verfassungsmäßige Unabhängigkeit seines Ressorts die Verantwortlichkeit für die Verwaltung oder Neubesetzung des Cultusministeriums auf mich zu nehmen. Ich bin in dieser Auffassung verharrt, so lange ich Falk zum Bleiben zu bewegen vermochte. Erst nachdem er gegen meinen Wunsch durch weibliche Hofeinflüsse und ungnädige königliche Handschreiben derartig verstimmt worden war, daß er sich nicht halten ließ, bin ich an eine Revision seiner Hinterlassenschaft gegangen, der ich nicht näher treten wollte, so lange das nur durch Bruch mit ihm möglich war. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 363 [2-131] Falk unterlag derselben Tactik, die am Hofe gegen mich nicht mit demselben Erfolge, aber mit gleichen Mitteln in Anwendung gebracht worden war; er unterlag ihr, theils weil er für Hofeindrücke empfindlicher war als ich, theils weil ihm die Sympathie des Kaisers nicht in gleichem Maße zur Seite stand wie mir. Die antiministerielle Thätigkeit der Kaiserin fand ihre ursprüngliche Quelle in der Unabhängigkeit des Charakters, welche es ihr erschwerte, mit einer Regirung zu gehn, die nicht in ihren eignen Händen lag, und welche ihr ein Menschenalter hindurch den Weg der Opposition gegen die jedesmalige Regirung anziehend machte. Sie war nicht leicht der Meinung eines Andern. Zur Zeit des Culturkampfes wurde diese Neigung gefördert durch die katholische Umgebung Ihrer Majestät, welche aus dem ultramontanen Lager Information und Anweisung erhielt. Diese Einflüsse nutzten mit Geschick und Menschenkenntniß die alte Neigung der Kaiserin aus, auf die jedesmalige Staatsregirung verbessernd einzuwirken. Ich habe Falk wiederholt seine beabsichtigten Abschiedsgesuche ausgeredet, die sich an Kaiserliche Handschreiben ungnädigen Inhalts, welche wohl nicht der eignen Initiative des hohen Herrn entsprungen waren, und an verletzendes Benehmen gegen seine Frau am Hofe knüpften. Ich empfahl ihm, sich den ungnädigen, aber auch uncontrasignirten Allerhöchsten Erlassen gegenüber, die weniger an den Culturkampf als an die Beziehungen des Cultusministers zum Oberkirchenrath und zur evangelischen Kirche anknüpften, passiv zu verhalten, allenfalls seine Beschwerden an das Staatsministerium zu bringen, dessen Anträge, wenn sie einhellig waren, der König zu berücksichtigen pflegte. Endlich aber wurde er dadurch, daß er Kränkungen ausgesetzt war, die seinem Ehrgefühl empfindlich waren, doch bestimmt, seinen Abschied zu nehmen. Alle Erzählungen, nach denen ich ihn aus dem Ministerium verdrängt haben soll, beruhn auf Erfindung, und ich habe mich gewundert, daß er selbst ihnen niemals in der Oeffentlichkeit widersprochen hat, obschon er mit mir stets in befreundeten Beziehungen geblieben ist. Aus den Vorgängen, die für seinen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 367 [2-133] entgegenkommen konnten, hatte ich mich also mit meinen Collegen zu verständigen. Der Widerstand der Gesammtheit der im Kampfe betheiligt gewesenen Ministerialräthe war dabei nachhaltiger als der meiner unmittelbaren Collegen, zunächst des Nachfolgers Falks, als welchen ich dem Könige Herrn v. Puttkamer vorschlug. Aber auch nach diesem Personenwechsel konnte es mir nicht sobald gelingen, die Kirchenpolitik zu ändern, wenn ich nicht neue, dem Könige unwillkommne und mir unerwünschte Cabinetskrisen herbeiführen wollte. Die Erinnerungen an die Zeiten der Anwerbung neuer Collegen gehören zu den unerquicklichsten meiner amtlichen Laufbahn. Um mich mit Herrn v. Puttkamer zu einigen, hätte ich die Unterstützung der culturkampfgewöhnten Räthe seines Ministeriums gewinnen müssen, und das überstieg meine Kräfte. Die Erklärung der Falkschen Kirchenpolitik ist nicht ausschließlich auf dem Gebiete des katholischen Kirchenstreits zu suchen; sie wurde gelegentlich auch durch die evangelische Kirchenfrage gekreuzt und beeinflußt. In dieser stand Herr von Puttkamer den am Hofe wirksamen Auffassungen näher als Falk, und mein Wunsch, den Kampf mit Rom auf ein engeres Gebiet einzuschränken, hätte bei meinem neuen Collegen persönlich wohl keinen Widerstand gefunden. Die Hemmnisse lagen aber theils in dem Schwergewicht der vom Zorne des Culturkampfs erregten Räthe, denen Herr von Puttkamer auch die natürliche und herkömmliche Entwicklung unsrer Orthographie zum Opfer zu bringen sich genöthigt glaubte, theils in dem Widerstreben meiner übrigen Collegen gegen jeden Anschein von Nachgiebigkeit dem Papste gegenüber. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 371 Nachdem ich den Kaiser schließlich gewonnen hatte, war bei Abschätzung des Festzuhaltenden und des Aufzugebenden die neue Stellung der Fortschrittspartei und der Secessionisten ein entscheidendes Moment; anstatt die Regirung zu unterstützen, schlossen sie bei Wahlen und Abstimmungen Bündnisse mit dem Centrum und hatten Hoffnungen gefaßt, die in dem sog. Ministerium Gladstone (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 387 Blanckenburg war ein Kampfgenosse, dessen Hauptwerth für mich in unsrer aus den Kinderjahren datirenden und bis zu seinem Tode fortdauernden Freundschaft bestand. Dieselbe war aber auf seiner Seite nicht identisch mit Vertrauen oder Hingebung auf dem politischen Gebiete; auf diesem hatte ich die Concurrenz seiner politischen und confessionellen Beichtväter zu bestehn, und bei diesen war nicht die Absicht, bei Blanckenburg nicht die Befähigung vorhanden, das historische Fortschreiten deutscher und europäischer Politik in breitem Ueberblick zu beurtheilen. Er selbst war ohne Ehrgeiz und frei von der Krankheit vieler altpreußischer Standesgenossen, dem Neide gegen mich; aber sein politisches Urtheil konnte sich schwer losreißen von dem preußisch-particularistischen, ja pommerisch-lutherischen Standpunkte. Sein hausbackner gesunder Menschenverstand und seine Ehrlichkeit machten ihn unabhängig von conservativen Partei-Strömungen, denen beides fehlte; von dieser Unabhängigkeit war jedoch die vorsichtige Bescheidenheit in Abrechnung zu bringen, mit der ihn die Fremdartigkeit erfüllte, die das politische Gebiet für ihn behielt. Er war weich und gegen Beredsamkeit nicht gepanzert, keine unerschütterliche Säule, auf die ich mich hätte stützen können. Der Kampf zwischen seinem Wohlwollen für mich und seinem Mangel an Energie andern Einflüssen gegenüber bewog ihn schließlich, sich von der Politik überhaupt zurückzuziehn. Als ich ihn das erste Mal zum landwirthschaftlichen Minister vorgeschlagen hatte, scheiterte die Ausführung an dem Widerstande derselben Collegen, die vorher meine an Blanckenburg gerichtete Anfrage gebilligt hatten. Ich lasse dahingestellt sein, ob die Abneigung meines Freundes, unter übelwollender Aufsicht dauernd auf dem Präsentirteller der Oeffentlichkeit zu stehn, bei dem Mißlingen meiner Absicht, diese conservative Kraft in das Ministerium zu ziehn, mitgewirkt hat; bei seiner zweiten und definitiven Ablehnung unter dem 10. November 1873 war (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 388 [2-140] dies zweifellos der Fall 1). Mangel an Klarheit zeigt sich in seinem Briefe an Roon vom April 1874 2), in welchem er gleichzeitig von seiner Ablehnung und von meinem Fallenlassen Falk gegenüber spricht. Wenn die conservative Partei in der Person ihrer damaligen Hauptredner und Führer Blanckenburg und Kleist-Retzow bereitwillig mit mir gegangen wäre, so würde die Mischung des Ministeriums eine andre und das, was in dem Briefe die Falksche Sackgasse genannt ist, vielleicht nicht nothwendig geworden sein. Die Ablehnung der Ministerstellung ist aber, wie der Brief documentirt, von Blanckenburg selbst ausgegangen, vielleicht nicht unbeeinflußt durch die Residuen der Kämpfe der „armen Lutheraner“, der „Alt-Lutheraner“, zu denen Blanckenburg sich hielt, in den dreißiger Jahren. Als er sich von der Politik zurückzog, hatte ich die Empfindung, daß er mich im Stiche ließ. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 389 Daß ich den Widerstand des Kaisers Wilhelm gegen die Civilehe gebrochen hätte, ist eine der Erfindungen des demokratischen Jesuitismus, den die „Germania“ 3) vertritt. Die Abneigung des Kaisers wurde überwunden durch den Druck, den die Majorität der ohne mich und unter Roons formalem Präsidium in Berlin anwesenden Minister auf Se. Majestät ausübte, und der so weit ging, daß der Kaiser zwischen Annahme des Gesetzentwurfs und Neubildung des Ministeriums zu wählen hatte. In meinem damaligen Gesundheitszustande wäre ich der Aufgabe nicht gewachsen gewesen, aus den mir und sich unter einander feindlichen Fractionen ein neues Cabinet behufs Fortsetzung der Kämpfe nach allen Seiten hin zu recrutiren. Wenn der Kaiser in dem Briefe vom 8. Mai 1874 retrospectiv sagt, daß er trotz seiner Hinfälligkeit noch zwei Mal dagegen geschrieben habe, so waren diese (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 393 [2-141] Schreiben nicht an mich, sondern an das Ministerium in Berlin gerichtet, und ich habe ihm nur gerathen, zwischen der obligatorischen Civilehe und einem Ministerwechsel für erstre zu optiren. Unzweifelhaft war seine Abneigung gegen die Civilehe noch größer als die meinige; ich hielt mit Luther die Eheschließung für eine bürgerliche Angelegenheit, und mein Widerstand gegen Anerkennung dieses Grundsatzes beruhte mehr auf Achtung vor der bestehenden Sitte und der Ueberzeugung der Massen als auf eignen christlichen Bedenken. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 398 [2-143] constitutionelle Regiment unmöglich, dann muß sie gegen die Constitution manövriren und pactisiren; sie muß sich eine Majorität künstlich schaffen oder vorübergehend zu erwerben suchen. Sie verfällt dann in die Schwäche der Coalitions-Ministerien, und ihre Politik geräth in Fluctuationen, die für das Staatswesen und namentlich für das conservative Prinzip von höchst nachtheiliger Wirkung sind“1). (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 399 Ungeachtet dieser Warnung gelangte das Gesetz mit einer von der Regirung zugestandenen Abschwächung am 7. Februar nur mit einer Mehrheit von 32 Stimmen zur Annahme, weil die meisten Conservativen dagegen stimmten. Auch in der Commission des Herrenhauses wiederholte sich der Angriff von conservativer Seite. Mit welchen Mitteln damals operirt wurde, zeigt folgender Vorgang. Karl von Bodelschwingh, während des Conflicts Finanzminister, der 1866 die Beschaffung der für den Krieg erforderlichen Geldmittel abgelehnt hatte und deshalb durch den Freiherrn von der Heydt ersetzt worden war, hatte in der conservativen Fraction verbreitet, daß mir die Ablehnung der Vorlage eigentlich recht sein würde, und erbot sich, dafür einen Beweis zu erbringen. Er trat in dem Sitzungssaale beim Beginn der Verhandlungen an mich heran, leitete ein gleichgültiges Gespräch mit der Frage nach dem Befinden meiner Frau ein und kehrte in die Mitte seiner Fractionsgenossen zurück mit der Erklärung, er sei nach Rücksprache mit mir seiner Sache sicher. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 408 [2-145] bedeutungsschwere Sache gehalten werden würde, für einen Vorgang, der Sie und die Regierung zu einem gehorsamen Werkzeug der liberalen Partei herabwürdigen müßte. Zwar verstehe ich, daß es für unsre Politik nützlich, wenn die Liberalen die Hoffnung behalten, die Hand mit an's Ruder legen zu können. Aber ebenso begreife ich, daß es schädlich sein würde, wenn die Situation sich so gestaltete, daß ihre Theilnahme am Regiment eine unvermeidliche Nothwendigkeit wäre. Sie werden dagegen vielleicht bemerken, daß die Verworrenheit, Rath- und Kopflosigkeit der Conservativen — ganz abgesehen von der neidischen und boshaften Ueberhebung Einzelner — von selbst dahin führen werde, und daß Sie dagegen nichts thun können. Aber ist denn das ganz richtig? Hätten Sie Ihre bedeutenden Ressourcen ernstlich dazu verwandt, die conservative Partei, die leider noch immer nicht klar erkennt, daß ihre heutige Aufgabe eine andre sein muß, als 1862 und in den folgenden Jahren, zu endoctriniren und zu organisiren, und wollen Sie das heute noch versuchen, so wird nicht nur die Mesalliance mit den Liberalen vermieden werden können, sondern auch aus der reformirten conservativen Partei der dauerhafteste und sicherste Stab für die Wanderung auf dem schwierigen aber unvermeidlichen Wege conservativen Fortschritts in innerer reformatorischer Erneuerung gemacht werden können. — Wohl kann Ein Mensch, wie bedeutend er auch von Gott ausgestattet worden, nicht Alles selbst thun, was gethan werden muß. Indem ich dies ausspreche, schließe ich jeden Vorwurf aus, der für Sie in Vorstehendem gefunden werden könnte. Ich erkenne vielmehr gern und wiederholt an, daß Ihre amtlichen Helfer Ihnen und Ihren Zielen nicht die entsprechende Unterstützung gewähren. Und wenn ich von der Reform der conservativen Partei sprach, so erkenne ich an, daß diese Aufgabe zunächst die des Ministers des Innern sein sollte. Aber besitzt Graf E. das zu der Lösung derselben unentbehrliche Vertrauen? (und Pflichtgefühl!) 1) (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 410 [2-146] Wo sollen Sie andre Collegen hernehmen, namentlich einen andern Minister des Innern? Aus der Reihe der Nationalliberalen? Der Gedanke ist mir unerträglich. Aus den Conservativen? Wen aber? Die organisatorisch schöpferischen Geister unter ihnen sind unbekannte Größen, und so sehr ich unsrem bureaukratischen Unwesen abhold bin, das sehe ich ein, der Betreffende müßte es kennen, um es reformiren zu können.“ (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 412 „... Ueber Politik und Conflict möchte ich am liebsten gar nichts schreiben, nachdem ich auf Grund des am 9. mir gesandten vertraulichen Berichtes am 19. an Graf Bismarck geschrieben, um ihm mein Bedauern auszusprechen, daß die Dinge so verlaufen sind u. s. w. Die stenographischen Berichte, welche mir verheißen sind, können wahrscheinlich an meiner Auffassung der Dinge nichts ändern: Bismarck kann unmöglich Alles selbst thun. Die nothwendig gewordene Organisation oder Reorganisation der conservativen Partei ist rite Sache des Ministers des Innern, und weder Bismarck, noch ich, noch Blanckenburg oder sonst Jemand hat dazu den amtlichen Beruf. Ist der dazu allein Berufene dazu nicht geneigt oder geeignet, so fehlt ihm etwas Unentbehrliches für sein Amt, und die daraus sich ergebende Folgerung mag man ziehen und darnach verfahren. Was durch Bismarcks Verhalten gegen die Conservativen, durch meine oder Blanckenburgs Abwesenheit an heilsamer Einwirkung etwa unterblieben ist: daraus kann man auch für Bismarck kaum einen wohlbegründeten Vorwurf ableiten. Wenn man, wie ich, ganz sicher weiß, wie Ungeheures B. zu leisten hat und auch leistet, so kann man ihn billigerweise nicht schelten, daß er nicht auch noch mehr leistet und für seines Collegen Versäumniß oder Unfähigkeit eintritt. Der allein gegen ihn zu begründende Vorwurf würde vielmehr nur darin bestehen, wenn man mit Grund 1) Denkwürdigkeiten III 4 70 ff. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 416 [2-148] ärgerten, weil ich in meinem exceptionellen Lebenslauf aus dem mehr polnischen als deutschen Begriff der traditionellen Landadelsgleichheit herausgewachsen war. Daß ich vom Landjunker zum Minister wurde, hätte man mir verziehn, aber die Dotationen und vielleicht auch den mir sehr gegen meinen Willen verliehenen Fürstentitel verzieh man mir nicht. Die „Excellenz“ lag innerhalb des gewohnheitsmäßig Erreichbaren und Geschätzten; die „Durchlaucht“ reizte die Kritik. Ich kann das nachempfinden, denn dieser Kritik entsprach meine eigne. Als mir am Morgen des 21. März 1871 ein eigenhändiges Handschreiben des Kaisers die Erhebung in den Fürstenstand anzeigte, war ich entschlossen, Se. Majestät um Verzicht auf seine Absicht zu bitten, weil diese Standeserhöhung in die Basis meines Vermögens und in meine ganzen Lebensverhältnisse eine mir unsympathische Aenderung bringe. So gern ich mir meine Söhne als bequem situirte Landedelleute dachte, so unwillkommen war mir der Gedanke an Fürsten mit unzulänglichem Einkommen nach dem Beispiel von Hardenberg und Blücher, deren Söhne die Erbschaft des Titels nicht antraten — der Blüchersche wurde Jahrzehnte später (1861) erst infolge einer reichen und katholischen Heirath erneuert. In Erwägung aller Gründe gegen eine Standeserhöhung, die ganz außerhalb des Bereichs meines Ehrgeizes lag, langte ich auf den obern Stufen der Schloßtreppe an und fand dort zu meiner Ueberraschung den Kaiser an der Spitze der königlichen Familie, der mich herzlich und mit Thränen in seine Arme schloß, indem er mich als Fürsten begrüßte, und seine Freude, mir diese Auszeichnung gewähren zu können, laut äußerte. Dem gegenüber und unter den lebhaften Glückwünschen der königlichen Familie blieb mir keine Möglichkeit, meine Bedenken anzubringen. Das Gefühl, daß man als Graf wohlhabend sein kann, ohne unangenehm aufzufallen, als Fürst aber, wenn man letztres vermeiden will, reich sein muß, hat mich seitdem nie wieder verlassen. Ich würde die Mißgunst meiner frühern Freunde und Standesgenossen noch bequemer ertragen haben, wenn sie in meiner Gesinnung (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 429 Die exclusivere Fühlung mit den Nationalliberalen, zu welcher der Abfall der Conservativen mich nothwendig führte, wurde in Kreisen der letztern Grund oder Vorwand zu gesteigerter Animosität gegen mich. In der Zeit, während deren ich, durch Krankheit genöthigt, dem Grafen Roon den Vorsitz im Staatsministerium (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 431 Zu den betreffenden Kreisen gehörte auch Oberst von Caprivi, damals Abtheilungschef im Kriegsministerium. Ich will nicht entscheiden, zu welchen der S. 147 aufgeführten Kategorien meiner Gegner er damals gehörte; bekannt ist mir nur seine persönliche Beziehung zu Mitarbeitern an der „Reichsglocke“, wie dem Geheimrath von Lebbin, Personalrath im Ministerium des Innern, der auch in seinem Ressort einen mir feindlichen Einfluß ausübte. Der Feldmarschall von Manteuffel hat mir gesagt, daß Caprivi seinen, Manteuffels, Einfluß bei dem Kaiser gegen mich anzuspannen versucht und meine „Feindschaft gegen die Armee“ *) als Grund zur Klage und als eine Gefahr bezeichnet habe. Es ist erstaunlich, daß Caprivi sich dabei nicht erinnert hat, wie die Armee vor und zur Zeit meines (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 435 Als die Kreuzzeitung, weil ich Parlamentsherrschaft und Atheismus proclamirt hätte, schon am 11. Februar 1872 Fehde angesagt und unter Nathusius Ludom 1875 mit den sogenannten Aeraartikeln Perrots *) den Verleumdungsfeldzug gegen mich eröffnet hatte, wandte ich mich brieflich an Amsberg, eine unsrer höchsten juristischen Autoritäten, und an den Justizminister mit der Frage, ob, wenn ich einen Strafantrag stellte, eine Verurtheilung des Verfassers mit Sicherheit zu erwarten sei; andernfalls würde ich von einem solchen abstehn, weil ein freisprechendes Erkenntniß meinen Gegnern neue Vorwände zu Verdächtigungen geben könnte. Die Antwort Beider und meines gleichfalls befragten Rechtsanwalts fiel dahin aus, daß die Verurtheilung wahrscheinlich, aber bei der vorsichtigen Fassung der Artikel nicht sicher sei. Ich hatte mir (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 437 [2-154] damals über die Stellung von Strafanträgen noch keine bestimmten Grundsätze gebildet, und die Erfahrungen, welche ich in der Conflictszeit gemacht hatte, waren nicht grade ermuthigend; ich erinnere mich, daß ein Ortsgericht, ich glaube in Stendal, in den Gründen seines Erkenntnisses die Schwere der öffentlich gegen mich gerichteten Beleidigungen zwar reichlich zugab, aber die Festsetzung einer Minimalstrafe von 10 Thalern damit motivirte, daß ich wirklich ein übler Minister sei. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 446 [2-157] war damals längst geschwächt, nicht durch die Arbeiten, welche mir oblagen, aber durch das ununterbrochene Bewußtsein der Verantwortlichkeit für große Ereignisse, bei denen die Zukunft des Vaterlandes auf dem Spiele stand. Ich habe natürlich während der bewegten und gelegentlich stürmischen Entwicklung unsrer Politik nicht immer mit Sicherheit voraussehn können, ob der Weg, den ich einschlug, der richtige war, und doch war ich gezwungen, so zu handeln, als ob ich die kommenden Ereignisse und die Wirkung der eignen Entschließungen auf dieselben mit voller Klarheit voraussehe. Die Frage, ob das eigne Augenmaß, der politische Instinct, ihn richtig leitet, ist ziemlich gleichgültig für einen Minister, dem alle Zweifel gelöst sind, sobald er durch die königliche Unterschrift oder durch eine parlamentarische Mehrheit sich gedeckt fühlt, man könnte sagen, einen Minister katholischer Politik, der im Besitz der Absolution ist, und den die mehr protestantische Frage, ob er seine eigne Absolution hat, nicht kümmert. Für einen Minister aber, der seine Ehre mit der des Landes vollständig identificirt, ist die Ungewißheit des Erfolges einer jeden politischen Entschließung von aufreibender Wirkung. Man kann die politische Gestaltung in der Zeit, welche die Durchführung einer Maßregel bedarf, so wenig mit Sicherheit vorhersehn, wie das Wetter der nächsten Tage in unserm Klima, und muß doch seine Entschließung fassen, als ob man es könnte, nicht selten im Kampfe gegen alle Einflüsse, denen Gewicht beizulegen man gewöhnt ist, wie z. B. in Nikolsburg zur Zeit der Friedensverhandlungen, wo ich die einzige Person war und blieb, die schließlich für das, was geschah, und für den Erfolg verantwortlich gemacht wurde und nach unsern Institutionen und Gewöhnungen auch verantwortlich war, und wo ich meine Entschließung im Widerspruch nicht nur mit allen Militärs, also mit allen Anwesenden, sondern auch mit dem Könige fassen und in schwerem Kampfe aufrecht halten mußte. Die Erwägung der Frage, ob eine Entschließung richtig sei, und ob das Festhalten und Durchführen des auf Grund schwacher Prämissen für richtig (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 448 Der Verkehr mit Andern, die man für gleichgestellt hält, erleichtert die Ueberwindung solcher Krisen, und wenn er plötzlich aufhört und aus Motiven, die mehr persönlich als sachlich, mehr mißgünstig als ehrlich, und so weit sie ehrlich, ganz banausischer Natur sind, der betheiligte verantwortliche Minister plötzlich von allen bisherigen Freunden boycottirt, als Feind behandelt, also mit sich und seinen Erwägungen vereinsamt wird, so muß das den Eingriff seiner amtlichen Sorgen in seine Nerven und seine Gesundheit verschärfen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 453 [2-160] zusammen aus den zufriedenen Staatsbürgern, die den status quo angreifenden recrutiren sich naturgemäß mehr aus den mit den bestehenden Einrichtungen unzufriedenen; und unter den Elementen, auf denen die Zufriedenheit beruht, nimmt die Wohlhabenheit nicht die letzte Stelle ein. Nun ist es eine Eigenthümlichkeit, wenn nicht der Menschen im Allgemeinen, so doch der Deutschen, daß der Unzufriedene arbeitsamer und rühriger ist als der Zufriedene, der Begehrliche strebsamer als der Satte. Die geistig und körperlich satten Deutschen sind gewiß zuweilen aus Pflichtgefühl arbeitsam, aber in der Mehrheit nicht, und unter den gegen das Bestehende Ankämpfenden findet sich der Wohlhabende bei uns seltener aus Ueberzeugung, öfter von einem Ehrgeiz getrieben, der auf diesem Wege schnellere Befriedigung hofft oder durch Verstimmung über politische oder confessionelle Widerwärtigkeiten auf ihn gedrängt worden ist. Das Ergebniß im Ganzen ist immer eine größere Arbeitsamkeit unter den Kräften, die das Bestehende angreifen, als unter denen, die es vertheidigen, also den Conservativen. Dieser Mangel an Arbeitsamkeit der Mehrheit erleichtert wiederum die Leitung einer conservativen Fraction in höherm Maße, als dieselbe durch individuelle Selbständigkeit und stärkern Eigensinn der Einzelnen erschwert werden könnte. Nach meinen Erfahrungen ist die Abhängigkeit der conservativen Fractionen von dem Gebote ihrer Leitung mindestens ebenso stark, vielleicht stärker als auf der äußersten Linken. Die Scheu vor dem Bruch ist auf der rechten Seite vielleicht größer als auf der linken, und der damals auf jeden Einzelnen stark wirkende Vorwurf, „ministeriell zu sein“, war der objectiven Beurtheilung auf der rechten Seite oft hinderlicher als auf der linken. Dieser Vorwurf hörte sofort auf, den Conservativen und andern Fractionen empfindlich zu sein, als durch meine Entlassung die regirende Stelle vacant geworden war, und jeder Parteiführer in der Hoffnung, bei ihrer Wiederbesetzung betheiligt zu werden, bis zur unehrlichen Verleugnung und Boycottirung des frühern Kanzlers und seiner Politik servil und ministeriell wurde. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 454 [2-161] In der Zeit der Declaranten wurde die antiministerielle Strömung, das heißt die Mißgunst, mit der ich von vielen meiner Standesgenossen betrachtet und behandelt wurde, lebhaft gefördert durch starke Einflüsse am Hofe. Der Kaiser hat mir seine Gnade und seine Unterstützung in Geschäften niemals versagt; das hinderte den Herrn aber nicht, die „Reichsglocke“ täglich zu lesen. Dieses nur von der Verleumdung gegen mich lebende Blatt wurde im Königlichen Hausministerium für unsern und andre Höfe in 13 Exemplaren colportirt und hatte seine Mitarbeiter nicht nur im katholischen, sondern auch im evangelischen Hof- und Landesadel. Die Kaiserin Augusta ließ mich ihre Ungnade andauernd fühlen, und ihre unmittelbaren Untergebenen, die höchsten Beamten des Hofes, gingen in ihrem Mangel an Formen so weit, daß ich zu schriftlichen Beschwerden bei Sr. Majestät selbst veranlaßt wurde. Diese hatten den Erfolg, daß wenigstens die äußern Formen mir gegenüber nicht mehr vernachlässigt wurden. — Minister Falk wurde demnächst durch dergleichen höfische Unfreundlichkeiten gegen ihn und seine Frau mehr als durch sachliche Schwierigkeiten seiner Stellung überdrüssig 1). (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 461 [2-163] und Hofkreisen und in den Ministerien meiner Collegen, neben dem verstimmten Junkerthume und dessen Aera-Artikeln in der Kreuzzeitung, daran arbeiteten, mir das Vertrauen des Kaisers zu entziehn, spielte Graf Harry Arnim eine hervorragende Rolle. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 490 [2-173] Von wem der Gedanke ausgegangen ist, weiß ich nicht; wenn von Gontaut, so wird er bei Gortschakow einen empfänglichen Boden gefunden haben bei dessen eitler Natur, seiner Eifersucht auf mich und dem Widerstande, den ich seinen Ansprüchen auf Präpotenz zu leisten gehabt hatte. Ich hatte ihm in vertraulichem Gespräch sagen müssen: „Sie behandeln uns nicht wie eine befreundete Macht, sondern comme un domestique, qui ne monte pas assez vite, quand on a sonné.“ Gortschakow beutete es aus, daß er dem Gesandten Grafen Redern und den auf ihn folgenden Geschäftsträgern an Autorität überlegen war, und benutzte mit Vorliebe zu Verhandlungen den Weg der Mittheilung seinerseits an unsre Vertretung in Petersburg unter Vermeidung der Instruirung des russischen Botschafters in Berlin behufs Besprechung mit mir. Ich halte es für Verleumdung, was Russen mir gesagt haben, das Motiv dieses Verfahrens sei gewesen, daß in dem Etat des auswärtigen Ministers ein Pauschquantum für Telegramme ausgeworfen sei und Gortschakow deshalb seine Mittheilungen lieber auf deutsche Kosten durch unsern Geschäftsträger als auf russische besorgt habe. Ich suche, obschon er sicher geizig war, das Motiv auf politischem Gebiete. Gortschakow war ein geistreicher und glänzender Redner und liebte es, sich als solchen namentlich den fremden, in Petersburg beglaubigten Diplomaten gegenüber zu zeigen. Er sprach französisch und deutsch mit gleicher Beredsamkeit, und ich habe seinen docirenden Vorträgen oft stundenlang gern zugehört als Gesandter und später als College. Mit Vorliebe hatte er als Zuhörer fremde Diplomaten und namentlich jüngere Geschäftsträger von Intelligenz, denen gegenüber die vornehme Stellung des auswärtigen Ministers, bei dem sie beglaubigt waren, dem oratorischen Eindrucke zu Hülfe kam. Auf diesem Wege gingen mir die Gortschakowschen Willensmeinungen in Formen zu, die an das Roma locuta est erinnerten. Ich beschwerte mich in Privatbriefen bei ihm direct über diese Form des Geschäftsbetriebes und über die Tonart seiner Eröffnungen und bat ihn, in mir nicht mehr den diplomatischen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 494 Ich machte dem Fürsten Gortschakow lebhafte Vorwürfe und sagte, es sei kein freundschaftliches Verhalten, wenn man einem vertrauenden und nichts ahnenden Freunde plötzlich und hinterrücks auf die Schulter springe, um dort eine Circus-Vorstellung auf seine Kosten in Scene zu setzen, und daß dergleichen Vorgänge zwischen uns leitenden Ministern den beiden Monarchien und Staaten zum (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 499 Es war für unsre Begriffe merkwürdig, daß der Kaiser von Rußland bei der Geringschätzung, mit der er sich über seinen leitenden Minister äußerte, ihm doch die ganze Maschine des Auswärtigen Amtes in der Hand ließ und ihm dadurch den Einfluß auf die Missionen gestattete, den er thatsächlich ausübte. Trotz der Klarheit, mit der der Kaiser die Abwege erkannte, die einzuschlagen sein Minister sich durch persönliche Gründe verleiten ließ, unterwarf er die Concepte, die ihm Gortschakow zu eigenhändigen Briefen an den Kaiser Wilhelm vorlegte, nicht der scharfen Sichtung, deren sie bedurft hätten, wenn der Eindruck verhütet werden sollte, daß die wohlwollende Gesinnung des Kaisers in der Hauptsache den anspruchsvollen und bedrohlichen Stimmungen Gortschakows Platz gemacht habe. Der Kaiser Alexander hatte eine elegante und deutliche feine Handschrift, und die Arbeit des Schreibens hatte nichts Unbequemes für ihn, aber wenn auch die in der Regel sehr langen und in die Details eingehenden Schreiben von Souverän zu Souverän ganz von der eignen Hand des Kaisers herrührten, so habe ich doch nach Stil und Inhalt in der Regel auf die Unterlage eines von Gortschakow redigirten Concepts schließen zu können geglaubt; wie denn auch die eigenhändigen Antworten unsres Herrn von mir zu entwerfen waren. Auf diese Weise hatte die eigenhändige Correspondenz, in der beide Monarchen die wichtigsten (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 500 [2-177] politischen Fragen mit entscheidender Autorität behandelten, zwar nicht die constitutionelle Garantie einer ministeriellen Gegenzeichnung, aber doch das Correctiv ministerieller Mitwirkung, vorausgesetzt, daß sich der Allerhöchste Briefsteller genau an das Concept hielt. Darüber erhielt der Verfasser des letztern allerdings keine Sicherheit, da die Reinschrift garnicht oder doch nur versiegelt in seine Hände kam. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 510 [2-181] machen; er aber faßte die Sache so auf, als ob es sich um einen durch die politische Situation gegebenen Systemwechsel handelte, um die Uebernahme der Leitung durch die nationalliberale Partei. Das Streben nach dem Mitbesitz des Regiments hatte sich schon erkennbar gemacht in dem Eifer, mit dem die Partei das Stellvertretungsgesetz betrieben hatte in der Meinung, auf diesem Wege ein collegialisches Reichsministerium anzubahnen, in dem anstatt des allein verantwortlichen Reichskanzlers selbständige Ressorts mit collegialischer Abstimmung wie in Preußen die Entscheidung hätten. Bennigsen wollte daher nicht einfach Eulenburgs Nachfolger werden, sondern verlangte, daß mit ihm wenigstens Forckenbeck und Stauffenberg einträten. Der Erstre sei der geeignete Mann für das Innere und werde dort dieselbe Geschicklichkeit und Thatkraft wie in der Verwaltung der Stadt Berlin bewähren; er selbst würde das Finanzministerium wählen; Stauffenberg müsse an die Spitze des Reichsschatzamts treten, um mit ihm zusammen zu wirken. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 511 Ich sagte ihm, es sei nichts vacant als die Stelle Eulenburgs; ich sei bereit, ihn für diese dem Könige vorzuschlagen, und würde mich freuen, wenn ich den Vorschlag durchsetzte. Wenn ich aber Sr. Majestät rathen wollte, noch zwei Ministerposten proprio motu frei zu machen, um sie mit Nationalliberalen zu besetzen, so werde der hohe Herr das Gefühl haben, daß es sich nicht um eine zweckmäßige Stellenbesetzung, sondern um einen Systemwechsel handle, und einen solchen werde er prinzipiell ablehnen. Bennigsen dürfe überhaupt nicht darauf rechnen, daß es dem Könige und unsrer ganzen politischen Lage gegenüber möglich sein werde, seine Fraction gewissermaßen mit in das Ministerium zu nehmen und als ihr Führer den ihrer Bedeutung entsprechenden Einfluß im Schoße der Regirung auszuüben, gewissermaßen ein constitutionelles Majoritätsministerium zu schaffen. Bei uns sei der König thatsächlich und ohne Widerspruch mit dem Verfassungstexte Ministerpräsident, und Bennigsen würde, wenn er als Minister (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 512 [2-182] etwa die bezeichnete Richtung einhalten wollte, bald zwischen dem Könige und seiner Fraction zu wählen haben. Er möge sich klar machen, daß wenn es mir gelänge, seine Ernennung durchzusetzen, damit ihm und seiner Partei eine mächtige Handhabe zur Verstärkung und Erweiterung ihres Einflusses geboten sei; er möge sich das Beispiel Roons vergegenwärtigen, der als der einzige Conservative in das liberale Auerswaldsche Ministerium trat und der Krystallisationspunkt wurde, um den es sich in ein conservatives verwandelte. Er möge nichts Unmögliches von mir verlangen, ich kennte den König und die Grenzen meines Einflusses genau genug; mir wären die Parteien ziemlich gleichgültig, sogar ganz gleichgültig, wenn ich von den eingestandenen und nicht eingestandenen Republikanern absähe, die nach rechts mit der Fortschrittspartei abschlössen. Mein Ziel sei die Befestigung unsrer nationalen Sicherheit; zu ihrer innern Ausgestaltung werde die Nation Zeit haben, wenn erst ihre Einheit und damit ihre Sicherheit nach Außen consolidirt sein werde. Für die Erreichung des letztern Zwecks sei gegenwärtig auf dem parlamentarischen Gebiete die nationalliberale Partei das stärkste Element. Die conservative Partei, der ich im Parlament angehört, habe die geographische Ausdehnung, deren sie in der heutigen Bevölkerung fähig sei, erreicht und trage nicht das Wachsthum in sich, um zu einer nationalen Majorität zu werden; ihr naturgeschichtliches Vorkommen, ihr Standort sei beschränkt in unsern neuen Provinzen; im Westen und Süden von Deutschland habe sie nicht dieselben Unterlagen wie in Alt-Preußen; in Bennigsens Heimath, Hanover, namentlich habe man nur zwischen Welfen und Nationalliberalen zu wählen, und die letztern böten einstweilen die beste Unterlage von allen denen, auf welchen das Reich Wurzel schlagen könne. Diese politische Erwägung veranlasse mich, ihnen, als der gegenwärtig stärksten Partei, entgegen zu kommen, indem ich ihren Führer zum Collegen zu werben suchte, ob für die Finanzen oder das Innere, sei mir gleichgültig. Ich sähe die Sache von dem rein politischen Standpunkte (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 514 Bennigsen blieb aber dabei, nicht ohne Forckenbeck und Stauffenberg eintreten zu wollen, und ließ mich unter dem Eindrucke, daß mein Versuch mißlungen sei, einem Eindrucke, der schnell verstärkt wurde durch das Einlaufen eines ungewöhnlich ungnädigen Schreibens des Kaisers, aus dem ich ersah, daß Graf Eulenburg zu ihm mit der Frage in das Zimmer getreten sei: „Haben Eure Majestät schon von dem neuen Ministerium gehört? Bennigsen.“ Dieser Mittheilung folgte der lebhafte schriftliche Ausbruch kaiserlicher Entrüstung über meine Eigenmächtigkeit und über die Zumuthung, daß Er aufhören solle, „conservativ“ zu regiren. Ich war unwohl und abgespannt, und der Text des kaiserlichen Schreibens und der Eulenburgische Angriff fielen mir dermaßen auf die Nerven, daß ich von Neuem ziemlich schwer erkrankte, nachdem ich dem Kaiser durch Roon geantwortet hatte, ich könne ihm einen Nachfolger Eulenburgs doch nicht vorschlagen, ohne mich vorher vergewissert zu haben, daß der Betreffende die Ernennung annehmen werde; ich hätte Bennigsen für geeignet gehalten und seine Stimmungen sondirt, bei ihm aber nicht die Auffassung gefunden, die ich erwartet hätte, und die Ueberzeugung gewonnen, daß ich ihn nicht zum Minister vorschlagen könne; die ungnädige Verurtheilung, die ich durch das Schreiben erfahren hätte, nöthige mich, mein Abschiedsgesuch vom Frühjahr zu erneuern. Diese (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 515 [2-184] Correspondenz fand in den letzten Tagen des Jahres 1877 statt, und meine neue Erkrankung fiel grade in die Neujahrsnacht. Der Kaiser antwortete mir auf das Schreiben Roons, er sei über das Sachverhältniß getäuscht worden und wünsche, daß ich seinen vorhergehenden Brief als nicht geschrieben betrachte. Jede weitre Verhandlung mit Bennigsen verbot sich durch diesen Vorgang von selbst, ich hielt es aber in unserm politischen Interesse nicht für zweckmäßig, Letztern von der Beurtheilung in Kenntniß zu setzen, die seine Person und Candidatur bei dem Kaiser gefunden hatte. Ich ließ die für mich definitiv abgeschlossene Unterhandlung äußerlich in suspenso; als ich dann wieder in Berlin war, ergriff Bennigsen die Initiative, um die seiner Meinung nach noch schwebende Angelegenheit in freundschaftlicher Form zum negativen Abschluß zu bringen. Er fragte mich im Reichstagsgebäude, ob es wahr sei, daß ich das Tabakmonopol einzuführen strebe, und erklärte auf meine bejahende Antwort, daß er dann die Mitwirkung als Minister ablehnen müsse. Ich verschwieg ihm auch dann noch, daß mir jede Möglichkeit, mit ihm zu verhandeln, durch den Kaiser schon seit Neujahr abgeschnitten war. Vielleicht hatte er sich auf anderm Wege überzeugt, daß sein Plan einer grundsätzlichen Modification der Regirungspolitik im Sinne der nationalliberalen Anschauungen bei dem Kaiser auf unüberwindliche Hindernisse stoßen würde, namentlich seit einer von Stauffenberg gehaltenen Rede über die Nothwendigkeit der Abschaffung des Art. 109 der preußischen Verfassung (Forterhebung der Steuern). Wenn die nationalliberalen Führer ihre Politik geschickt betrieben hätten, so hätten sie längst wissen müssen, daß bei dem Kaiser, dessen Unterschrift sie zu ihrer Ernennung bedurften und begehrten, es keinen empfindlicheren politischen Punkt gab als diesen Artikel, und daß sie sich den hohen Herrn nicht sichrer entfremden konnten als durch den Versuch, ihm dieses Palladium zu entreißen. Als ich Sr. Majestät vertraulich den Verlauf meiner Verhandlungen mit Bennigsen erzählte und dessen Wunsch in Betreff Stauffenbergs (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 518 [2-186] durch die Feindschaften am Hofe, die katholischen und weiblichen Einflüsse daselbst waren meine Stützpunkte außerhalb der nationalliberalen Fraction schwächer geworden und bestanden allein in dem persönlichen Verhältniß des Kaisers zu mir. Die Nationalliberalen nahmen davon nicht etwa einen Anlaß, unsre gegenseitigen Beziehungen dadurch zu stärken, daß sie mich unterstützten, sondern machten im Gegentheil den Versuch, mich gegen meinen Willen in das Schlepptau zu nehmen. Zu diesem Zwecke wurden Beziehungen zu mehren meiner Collegen angeknüpft; durch die Minister Friedenthal und Botho Eulenburg, welcher Letztre das Ohr meines Vertreters im Präsidium, des Grafen Stolberg hatte, wurden ohne mein Wissen amtliche Verständigungen mit den Präsidien beider Parlamente nicht nur bezüglich der Sitzungs- und Vertagungsfragen, sondern auch in Betreff materieller Vorlagen gegen meinen, den Collegen bekannten Willen eingeleitet. Der Gesammtandrang auf meine Stellung, das Streben nach Mitregentschaft oder Alleinherrschaft an meiner Stelle, das sich in dem Plane selbständiger Reichsminister und in den erwähnten Heimlichkeiten verrathen hatte, trat handgreiflich zu Tage in der Conseilsitzung, die der Kronprinz als Vertreter seines verwundeten Vaters am 5. Juni 1878 abhielt, um über die Auflösung des Reichstags nach dem Nobilingschen Attentate zu beschließen. Die Hälfte meiner Collegen oder mehr, jedenfalls die Majorität des Ministeriums und des Conseils, stimmte abweichend von meinem Votum gegen die Auflösung und machte dafür geltend, daß der vorhandene Reichstag, nachdem das Nobilingsche Attentat auf das Hödelsche gefolgt sei, bereit sein werde, seine jüngste Abstimmung zu ändern und der Regirung entgegen zu kommen. Die Zuversicht, die meine Collegen bei dieser Gelegenheit kundgaben, beruhte offenbar auf vertraulicher Verständigung zwischen ihnen und einflußreichen Parlamentariern, während mir gegenüber kein Einziger von den letztern auch nur eine Aussprache versucht hatte. Es schien, daß man sich über die Theilung meiner Erbschaft bereits verständigt hatte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 519 [2-187] Ich war sicher, daß der Kronprinz, auch wenn alle meine Collegen andrer Ansicht gewesen wären, die meinige annehmen werde, abgesehn von der Zustimmung, die ich unter den 20 oder mehr zugezogenen Generalen und Beamten, wenigstens bei den erstern fand. Wenn ich überhaupt Minister bleiben wollte, was ja eine Opportunitätsfrage geschäftlicher sowohl wie persönlicher Natur war, die ich bei eigner Prüfung mir bejahte, so befand ich mich im Stande der Nothwehr und mußte suchen, eine Aenderung der Situation im Parlament und in dem Personalbestande meiner Collegen herbeizuführen. Minister bleiben wollte ich, weil ich, wenn der schwer verwundete Kaiser am Leben bliebe, was bei dem starken Blutverlust in seinem hohen Alter noch unsicher, fest entschlossen war, ihn nicht gegen seinen Willen zu verlassen, und es als Gewissenspflicht ansah, wenn er stürbe, seinem Nachfolger die Dienste, die ich ihm vermöge des Vertrauens und der Erfahrung, die ich mir erworben hatte, leisten konnte, nicht gegen seinen Willen zu versagen. Nicht ich habe Händel mit den Nationalliberalen gesucht, sondern sie haben im Complot mit meinen Collegen mich an die Wand zu drängen versucht. Die geschmacklose und widerliche Redensart von dem „an die Wand drücken, bis sie quietschten“, hat niemals in meinem Denken, geschweige denn auf meiner Lippe Platz gefunden — eine der lügenhaften Erfindungen, mit denen man politischen Gegnern Schaden zu thun sucht. Obenein war diese Redensart nicht einmal eignes Product derer, welche sie verbreiteten, sondern ein ungeschicktes Plagiat. Graf Beust erzählt in seinen Memoiren („Aus drei Viertel-Jahrhunderten“ Thl. I S. 5): (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 520 „Die Slaven in Oesterreich haben mir das beiläufig nie von mir gesprochene Wort aufgebracht, ‚man müsse sie an die Wand drücken‘. Der Ursprung dieses Wortes war folgender: Der frühere Minister, spätere Statthalter von Galizien, Graf Goluchowski, pflegte sich mit mir in französischer Sprache zu unterhalten. Seinen Bemühungen war es vorzugsweise zu danken, daß nach meiner Uebernahme des Ministerpräsidiums 1867 der galizische Landtag vor (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 522 Ich habe unter meinen Argumenten für Auflösung besonders geltend gemacht, daß dem Reichstage ohne Verletzung seines Ansehns die Zurücknahme seines Beschlusses nur durch vorgängige Auflösung möglich gemacht werden könne. Ob hervorragende Nationalliberale damals die Absicht hatten, nur meine Collegen oder meine Nachfolger zu werden, kann unentschieden bleiben, da erstres immer den Uebergang zu der andern Alternative bilden konnte; den zweifelsfreien Eindruck aber hatte ich, daß zwischen einigen meiner Collegen, einigen Nationalliberalen und einigen Leuten von Einfluß am Hofe und im Centrum über die Theilung meiner politischen Erbschaft die Verhandlungen bis zur Verständigung oder nahezu so weit gediehn waren. Diese Verständigung bedingte ein ähnliches Aggregat wie in dem Ministerium Gladstone zwischen Liberalismus und Katholicismus. Der Letztre reichte durch die nächsten Umgebungen der Kaiserin Augusta, einschließlich des Einflusses der „Reichsglocke“, des Hausministers von Schleinitz bis in das Palais des alten Kaisers; und bei ihm fand der Gesammtangriff gegen mich einen thätigen Bundesgenossen in dem General von Stosch. Derselbe hatte auch am kronprinzlichen Hofe eine gute Stellung, theils direct durch eignes Talent, theils mit Hülfe des Herrn von Normann und seiner Frau, mit denen er schon von Magdeburg her vertraut war und deren Uebersiedlung nach Berlin er vermittelt hatte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 524 Bei dem Plane, mich durch ein Cabinet Gladstone zu ersetzen, war auf den Grafen Botho Eulenburg gerechnet, seit dem 31. März 1878 Minister des Innern, welchem seine Verwandschaft den traditionellen Hofeinfluß seiner und der Dönhoffschen Familie sicherte. Er (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 528 Eure Hochwohlgeboren bitte ich, Herrn Minister Grafen Eulenburg und Herrn Geheim-Rath Hahn mein Bedauern darüber auszusprechen, daß der Entwurf des Socialistengesetzes in der Provinzial- Correspondenz amtlich publicirt worden ist, bevor er im Bundesrath vorgelegt war. Die Veröffentlichung präjudicirt jeder Amendirung durch uns und ist für Baiern und andre Dissentirende verletzend. Nach meinen Verhandlungen von hier aus mit Baiern muß ich annehmen, daß letztres an seinem Widerspruche gegen das Reichsamt unbedingt festhält. Würtemberg und, wie ich höre, auch Sachsen widersprechen dem Reichsamt nicht im Prinzip, wohl aber angebrachter Maßen, indem sie die Zuziehung von Richtern perhorresciren. Diesem Widerspruche kann ich mich persönlich nur anschließen. Es handelt sich nicht um richterliche, sondern um politische Functionen, und auch das preußische Ministerium darf in seinen Vorentscheidungen nicht einem richterlichen Collegium unterstellt und auf diese Weise für alle Zukunft in seiner politischen Bewegung gegen den Socialismus (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 560 [2-195] Die Beschwerde des Grafen Eulenburg über Tiedemann und die darin sofort gestellte Cabinetsfrage waren mir in ihrer Form um so mehr auf die Nerven gefallen, als ich an den Folgen einer schweren Erkrankung litt, die durch die Einwirkung der auf den Kaiser gemachten Attentate und den gleichzeitigen Zwang zur Arbeit in dem Präsidium des Berliner Congresses hervorgerufen, zwar aus amtlichem Pflichtgefühle zurückgedrängt, aber durch die Gasteiner Kur mehr verschärft als geheilt war. Diese Kur, der mein Mitarbeiter, der Staatsminister Bernhard von Bülow, am 20. October 1879 erlag, wirkt auf überarbeitete Nerven nicht beruhigend, wenn sie durch Arbeit oder Gemüthsbewegung gestört wird. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 562 Die Aufgaben eines leitenden Ministers einer europäischen Großmacht mit parlamentarischer Verfassung sind an sich hinreichend aufreibender Natur, um die Arbeitsfähigkeit eines Mannes zu absorbiren; sie werden es in höherm Maße, wenn der Minister, wie in Deutschland und Italien, einer Nation über das Stadium ihrer Ausbildung hinwegzuhelfen und wie bei uns mit einem starken Isolirungstrieb der Parteien und Individuen zu kämpfen hat. Wenn man Alles, was der Mensch an Kräften und Gesundheit besitzt, an die Lösung solcher Aufgaben setzt, so ist man gegen alle Erschwerungen derselben, welche nicht sachlich nothwendig sind, doppelt empfindlich. Ich glaubte schon zu Anfang der 70er Jahre mit meiner Gesundheit zu Ende zu sein und überließ deshalb das Präsidium des Cabinets dem einzigen mir persönlich Nahestehenden unter meinen Collegen, dem Grafen Roon, wurde aber damals (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 563 [2-196] Intrigen. nicht durch sachliche Schwierigkeiten entmuthigt. Um letztres herbeizuführen, mußte die feindliche Intrige der Kreise hinzutreten, auf deren Unterstützung ich vorzugsweise glaubte rechnen zu können, und die sich zur Zeit der „Reichsglocke“ in den Beziehungen der durch dieses Blatt vertretenen Elemente in erster Linie zum Hofe und den Conservativen und zu vielen meiner amtlichen Mitarbeiter kennzeichnete. Die Thatsache, daß ich bei dem mir sonst so gnädigen Monarchen keinen genügenden Beistand gegen die Hof- und Hauseinflüsse des Reichsglockenringes fand, hatte mich am meisten entmuthigt und das Gewicht der Erwägungen vervollständigt, die mich zu meinem Abschiedsgesuche vom 27. März 1877 bewogen hatten. Die Gürtelrose, an welcher ich krank war, als Graf Schuwalow 1878 von mir die Berufung des Congresses verlangte, kennzeichnete den Fehlbetrag in dem damaligen Zustande meiner Gesundheit, war eine Quittung über Erschöpfung der Nerven. Mehr als die „Reichsglocke“ und deren Zubehör am Hofe hatte daran der Mangel an Aufrichtigkeit in der Mitwirkung einiger meiner amtlichen Mitarbeiter Antheil. Meine Vertretung durch das Vicepräsidium des Grafen Stolberg nahm durch den Einfluß, den die Minister Friedenthal und dann Graf Botho Eulenburg auf meinen Vertreter ausübten, eine Gestalt an, die mir schließlich den Eindruck machte, daß ich mich einem Systeme allmäligen Abdrängens von den Geschäften der politischen Leitung gegenüber befand. Das Symbol dieses Systems machte sich in der Thatsache kenntlich, daß die amtlichen Kundgebungen des Staatsministeriums aus der damaligen Zeit meiner Mitunterschrift entbehrten. Es geschah das nicht auf meinen Wunsch oder mit meiner Zustimmung, sondern unter Benutzung meiner Gleichgültigkeit gegen Aeußerlichkeiten, und ich habe diese Vorgänge ungerügt gelassen, bis ich über die systematische Absichtlichkeit derselben keinen Zweifel mehr haben konnte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 565 [2-197] Juni 1878, aber sie beleuchten zum Theil retrospectiv die damalige Lage und ihre Triebfedern. Graf Botho Eulenburg als Minister des Innern gab damals auf der Tribüne des Landtags ohne Zwang sein Wohlwollen für den Abgeordneten Rickert gegenüber einem Artikel der „Nordd. Allg. Ztg.“ mit absichtlicher Klarheit zu erkennen, für mich um so einleuchtender, als ich keinen Zweifel hatte, daß er jenen von ihm gemißbilligten Artikel mit mir in Verbindung brachte. Wie in der Nacht beim Gewitter jeder Blitz die Gegend deutlich zeigt, so gestatteten auch mir einzelne Schachzüge meiner Gegner die Gesammtheit der Situation zu überblicken, die durch äußerlich achtungsvolle Kundgebungen von persönlichem Wohlwollen bei thatsächlicher Boycottirung erzeugt wurde. Ob ein Cabinet Gladstone, dessen Mission durch die Namen Stosch, Eulenburg, Friedenthal, Camphausen, Rickert und beliebige Abschwächungen des Gattungsbegriffs „Windthorst“ mit katholischen Hofeinflüssen bezeichnet werden kann, wenn es gelang, dasselbe zu Stande zu bringen, in sich haltbar gewesen wäre, ist eine Frage, die sich die Interessenten wohl nicht vorgelegt hatten; der Hauptzweck war der negative, mich zu beseitigen, und über den waren einstweilen die Inhaber der Antheilscheine auf die Zukunft einig. Jeder konnte nachher wieder hoffen, den Andern hinauszudrängen, wie das bei uns im System aller der heterogenen Coalitionen liegt, die nur in der Abneigung gegen das Bestehende einig sind. Die ganze Combination hatte damals keinen Erfolg, weil weder der König noch der Kronprinz dafür zu gewinnen waren. Ueber die Beziehungen des Letztern zu mir waren die strebenden Gegner damals wie später 1888 stets falsch unterrichtet. Er hatte bis an sein Lebensende dasselbe Vertrauen zu mir wie sein Vater, und die Neigung, es zu erschüttern, erreichte bei seiner Gemalin niemals dieselbe kampfbereite Entschiedenheit wie bei der Kaiserin Augusta, die sich auch in der Wahl der Mittel freier bewegte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 569 Herr von Gruner, während der Neuen Aera Unterstaatssekretär in dem Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten, wurde bald nach meiner Uebernahme des Ministeriums des Auswärtigen zur Disposition gestellt und durch Herrn von Thile ersetzt. Er gehörte schon seit meiner Ernennung zum Bundesgesandten zu meinen Gegnern, da er diese Stellung als ein Erbtheil von seinem Vater Justus Gruner angesehn hatte; er blieb mir Feind und war geschäftlich unfähig. Im November 1863 richtete er an Se. Majestät ein Schreiben über den Budgetstreit in demselben Sinne, in dem der Oberstlieutenant von Vincke auf Olbendorf (vergl. Bd. I S. 303) und Roggenbach denselben Schritt zu thun für gut befunden hatten. Indem diese Herrn ihre Vorschläge an den König richteten, gingen sie von der Voraussetzung aus, daß derselbe, wenn er ihrem Rathe folgend, dem Abgeordnetenhause nachgäbe, ein andres Ministerium, wenigstens einen andern Ministerpräsidenten und Minister des Auswärtigen berufen werde, ein Ergebniß, für das außerhalb des öffentlichen Lebens Einflüsse in Thätigkeit waren, denen der Hausminister von Schleinitz mit andern dem Hofe nahestehenden Personen seine Dienste widmete. Auch später lebte Herr (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 572 Nachdem der Redacteur dieses Blattes im Januar 1877 verurtheilt und ich im März das von Sr. Majestät abgelehnte Abschiedsgesuch eingereicht hatte, kam es im Juni, während ich mich zur Kur in Kissingen befand, im Geschäftswege zu meiner Kenntniß, daß Herr von Gruner in das Hausministerium berufen, zugleich ohne Gegenzeichnung eines verantwortlichen Ministers zum Wirklichen Geheimen Rath ernannt sei, und daß Herr von Schleinitz an den Curator des „Reichs- und Staats-Anzeigers“ das Ansinnen gestellt habe, diese Ernennung in dem amtlichen Blatte zu publiciren. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 573 Ich schrieb darüber unter dem 8. Juni an den Chef der Reichskanzlei Geheim-Rath Tiedemann, zur Mittheilung an das Staatsministerium: (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 574 „Meiner Ansicht nach ist der amtliche Theil des Reichs- und Staats-Anzeigers für solche Veröffentlichungen da, welche bezüglich der Reichs- und der Preußischen Staats-Angelegenheiten unter Verantwortung des Reichskanzlers resp. des Preußischen Staatsministeriums erfolgen. Kommt die Ernennung Gruners ohne Weitres in den amtlichen Theil, so kann selbst durch die vorgängige Erwähnung der Ueberweisung an das Hausministerium die Präsumtion nicht entkräftet werden, daß das Staatsministerium die Ernennung Gruners zum Wirkl. Geheimen Rath mit seiner Verantwortlichkeit deckt. Die öffentliche Meinung und der Landtag würden kaum annehmen, daß das Staatsministerium diese Auszeichnung seines notorischen Gegners gewünscht habe; sie würden vielmehr die Wahrheit leicht errathen, daß das Staatsministerium bei Hofe nicht das hinreichende Ansehn, bei Sr. Majestät nicht den hinreichenden Einfluß gehabt habe, um diese Ernennung zu hindern; man würde auch darüber garnicht zweifelhaft sein, daß diese im Staatsanzeiger veröffentlichte Ernennung eine vom Staatsministerium more solito contrasignirte gewesen sei. Der Glaube, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 575 [2-200] daß das Staatsministerinm sich im Besitz des von der Verfassung vorausgesetzten Einflusses auf die Allerhöchsten Entschließungen befände, würde auch dann nicht gefördert werden, wenn etwa die ungnädige Allerhöchste Randbemerkung und die darauf erfolgte Antwort des Staatsministeriums öffentlich bekannt würden. Man würde in Versuchung sein, in Betreff von Inhalt und Wirkung Vergleiche mit dem Vorgange in Frankreich anzustellen, der dort zu dem jüngsten Ministerwechsel führte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 576 Ich bin nicht ohne Besorgniß, daß wir in dem Grunerschen Vorgange nur eine Sonde zu erblicken haben, die von Herrn von Schleinitz und seinen Rathgebern (nicht von Sr. Majestät dem Kaiser) angelegt wird, um zu probiren, was man uns bieten kann und wie hoch wir unsre ministerielle Autorität anschlagen. Meiner Ansicht nach ist Fügsamkeit gegen diese unberechtigten Einflüsse auf die Allerhöchsten Entschließungen nicht das Mittel, sie abzuschneiden; im Gegentheil, sie werden wachsen, und der Conflict, der jetzt ein blos formaler ist, würde sich auf ungünstigern Feldern und unter Hineinziehung großer Parteifragen demnächst wiederholen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 577 Ich könnte mich nach meiner augenblicklichen Lage jeder amtlichen Aeußerung enthalten, aber ich habe das Gefühl, daß die für mich persönlich doch sehr wichtige Frage meines Wiedereintritts in die Geschäfte auf diesem Wege auch ohne Rücksicht auf meine Gesundheit präjudicirt werden würde. Da ich hoffe, daß meine Gesundheit sich bessern wird, und da ich für diesen Fall mir gern den Wiedereintritt in die Geschäfte, so weit er dem Allerhöchsten Willen entspricht, offen erhalte, so nehme ich ein persönliches Interesse daran, daß das Ansehn der ministeriellen Stellung hinreichend gewahrt werde, um mir die Wiederaufnahme einer solchen nach meinem Gewissen möglich zu erhalten. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 578 Die richtige der Logik des ersten Beschlusses entsprechende Erledigung wäre meiner Ansicht nach die Ablehnung der von dem Hausminister beantragten Veröffentlichung für den amtlichen Theil des Staats-Anzeigers. Die amtliche Aufnahme ist vor Mißdeutung in (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 579 [2-201] der Oeffentlichkeit nicht zu schützen und bleibt immer ein partieller Sieg der Reichsglocken-Intrige über die gegenwärtige Regirung. Bekanntmachungen des Hausministeriums gehören an und für sich nicht in den ‚Reichs- und Staats-Anzeiger‘; soll letztrer außerdem ein ‚Königlicher Haus-Anzeiger‘ sein, so können doch meiner Ansicht nach in seinem amtlichen Theile immer keine Anordnungen des Hausministers Platz greifen, der keine Verantwortlichkeit für den Inhalt des amtlichen Blattes trägt; dieselben müßten immer in der einen oder andern Gestalt das von dem Hausminister nachzusuchende Placet des verantwortlichen Staatsministeriums erhalten, bevor sie abgedruckt werden. Dieses Placet ist im vorliegenden Falle nicht nachgesucht; der Hausminister hat ein Verfügungsrecht über den Staats-Anzeiger in Anspruch genommen, und wäre deshalb sein Verlangen angebrachtermaßen schon unter Anführung dieses formellen Grundes abzulehnen. Geht ein Befehl zur Aufnahme einer Angelegenheit des Königlichen Hauses von Sr. Majestät dem Könige selbst aus, so wird seine Ausführung in den Fällen, welche die Regel bilden, ja kein Bedenken haben; nur wird es sich auch selbst in unverfänglichen Fällen empfehlen, die amtlichen Bekanntmachungen des Königlichen Hauses durch ihren Platz von denen des Staates gesondert erscheinen zu lassen. Diese Sonderung wäre meines Erachtens in der Art vorzunehmen, daß die das Königliche Haus angehenden Allerhöchsten Anordnungen nicht promiscue mit denen des Staatsministeriums erscheinen, sondern es würde neben den beiden großen amtlichen Rubriken des Staatsanzeigers ‚Deutsches Reich‘ und ‚Königreich Preußen‘, am höflichsten zwischen beiden, eventuell auch nach ‚Königreich Preußen‘ eine dritte mit der Bezeichnung ‚Königliches Haus‘ einzuschalten sein, von den andern beiden Rubriken ebenso mittelst durchgehender Striche geschieden, wie jetzt ‚Preußen‘ und das ‚Reich‘. Damit ließe sich die formale Frage für die Zukunft erledigen, und in einer, wie mir scheint, nach keiner Seite hin verletzenden Form. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 581 [2-202] amtlich bekannt gemacht wird, welche in der Oeffentlichkeit, ungeachtet der in den Acten verbleibenden Versicherung des Gegentheils, dasjenige bekundet, was man im constitutionellen Sprachgebrauch Mangel an Vertrauen des Monarchen zu seinen Ministern zu nennen pflegt. Dagegen haben Minister natürlich kein andres Hülfsmittel, als den Rücktritt aus ihrer Stellung. Unzweifelhaft trifft der vorliegende Fall, soweit er diese Natur hat, mehr mich als meine Collegen. Die letztern sind von der Reichsglocke und andern Blättern, in denen die Tendenzen der Herrn von Gruner, von Schleinitz, Graf Nesselrode, Nathusius-Ludom vertreten wurden, theils garnicht, theils doch nicht in dem Maße wie ich öffentlich verleumdet worden. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 583 Meinen Herrn Collegen stelle ich ergebenst anheim, im Interesse ihrer ministeriellen Zukunft dafür Sorge tragen zu wollen, daß die amtliche Publication von Gruners Ernennung, wenn Se. Majestät nicht überhaupt darauf verzichten will, doch in einer Form stattfinde, aus der die Nichtcontrasignatur zweifellos ersichtlich ist. Es würde dies in der oben vorgeschlagenen Dreitheilung der (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 584 [2-203] Ernennungen zwischen Reich, Preußen und Haus erreichbar sein, namentlich wenn die Presse dazu eine Erläuterung erhält. Empfehlen würde es sich aber meines Erachtens, wenn die Anstellung Gruners im Hausministerium vorher in separato unter der Hausministerial-Rubrik veröffentlicht und am andern Tage bekannt gegeben würde, daß Se. Majestät geruht hätte, den im Hausministerium ꝛc. Angestellten den Titel eines Wirklichen Geheim-Raths ꝛc. zu verleihn; eine etwas abweichende Gestalt des Wortlauts der Bekanntmachung von der sonst üblichen, wenn auch nur eine ganz geringe, würde sich immer empfehlen.“ (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 585 Diesem, an den Geheim-Rath Tiedemann gerichteten, unter fliegendem Siegel an den Minister von Bülow beförderten Schreiben fügte ich für Letztern mit dem Anheimstellen vertraulicher Benutzung bei den Collegen Folgendes hinzu: (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 586 „...Ich bin, wie ich glaube, von dem Vorgange in einem stärkern Maße betroffen als meine Collegen; höchstens Camphausen ist außer mir noch von der Reichsglockenpartei verleumdet worden, aber doch lange nicht mit dem Maße von Niedertracht, wie es mir gegenüber geschehn ist. Man hat ihn sachlich in Bezug auf sein Amt mit unwürdigen Mitteln angegriffen, aber doch seine persönliche Ehre nicht angetastet. Das Staatsministerium im Ganzen ist gewiß in der Lage, sich durch die Form der Ernennung Gruners verletzt zu finden und gegen diese Verletzung zu reagiren, um seine Rechte und seine Würde für die Zukunft sicher zu stellen. Die Verletzung aber, die in der Thatsache der Ernennung Gruners liegt, trifft wesentlich mich allein; seine langjährige Feindschaft gegen mich persönlich ist es allein, welche die Aufmerksamkeit auf ihn hat lenken können, denn er besitzt weder Fähigkeiten noch Verdienste, war im Auswärtigen Amte durch seine, in wichtigen Momenten an Geisteskrankheit grenzende Unfähigkeit ein Hinderniß und hat nunmehr seit 15 Jahren nichts geleistet, als mit der ganzen Verbissenheit verkannter Selbstüberschätzung gegen mich gesprochen, geschrieben, intrigirt. Ich sehe dabei für den (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 588 Ich würde Ihnen sehr dankbar sein, wenn Sie namentlich mit Camphausen, Friedenthal und Falk in diesem Sinne vertraulich reden wollten. Das Verhalten Wilmowskis gestaltet sich anders, als ich erwartet hatte. Ich hatte bisher auf ihn als auf einen sichern Bundesgenossen gegen die Schleinitzsche Camarilla gerechnet; seine Thätigkeit in diesem Falle aber verstehe ich nicht recht. Er wird mit Eulenburg und Leonhardt zusammen das Staatsministerium um das Maß von Selbstachtung, von Consideration und schließlich auch im Lande bringen, ohne welches sich in diesen schwierigen Lagen am Hofe und im Lande die Staatsgeschäfte nicht führen lassen. Gegen Eulenburg wird man sich nur so äußern können, wie es wiedererzählt werden kann. Wie stellt sich eigentlich Hofmann zu der Sache? (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 594 Bei meinen vielen Abwesenheiten verlor ich mit manchen meiner Collegen die Fühlung; die Thatsache, daß ich jedem Einzelnen von ihnen das Aufsteigen von zum Theil geringen Stellungen bis zum Minister verschafft und sie mit Einmischungen in ihre Ressorts nicht belästigt hatte, ließ mich ihr persönliches Wohlwollen für mich überschätzen. In die laufenden Geschäfte ihrer Ressorts habe ich sehr selten hineingeredet, und nur wenn ich sah, daß ein großes öffentliches Interesse Gefahr lief, unter Sonderinteressen zu leiden. Ich habe z. B. die Canalisirung des Rheins am Rheingau bekämpft, die um der Schifffahrt willen geschehn sollte und das Flußbett zwischen den Ufern und den beiden zu erbauenden Dämmen auf 30 Jahre in einen Sumpf verwandelt hätte; desgleichen den Plan, den Kurfürstendamm nur in der gewöhnlichen Breite der Chausseen zu chaussiren und bis dicht an den alten Weg zu bebauen. In beiden Fällen habe ich die Absichten der zunächst competenten Behörden gekreuzt und glaube mir damit ein dauerndes Verdienst erworben zu haben. Auch mit Protectionen bin ich meinen Collegen und den mir untergeordneten Reichsämtern nicht lästig gefallen. Verfassungsmäßig hätte ich alle Post-, Telegraphen- und Eisenbahnbeamte anstellen und alle Posten der einzelnen Reichs-Ressorts besetzen können. Ich glaube aber kaum, daß ich je von Herrn von Stephan oder Andern Posten (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 596 Ungeachtet meiner Zurückhaltung ist nach meinem Ausscheiden bei der Mehrheit meiner Geschäftsfreunde ein Gefühl wie der Erleichterung von einem Drucke wahrgenommen worden, das in vielen Fällen eben aus dem Widerstande zu erklären ist, den ich dem überwuchernden Triebe zu unnöthigen Eingriffen in den Bestand unsrer Gesetzgebung geleistet hatte. Auf dem Gebiete der Schule hatte ich dauernd, aber ohne Erfolg die Theorie bekämpft, daß der Unterrichtsminister ohne Gesetz und ohne sich an das vorhandene Schulvermögen zu binden, auf dem Verwaltungswege und ohne die Leistungsfähigkeit zu beachten, bestimmen könne, was jede Gemeinde zur Schule beizutragen habe. Diese in keinem andern Verwaltungszweige vorhandene Machtvollkommenheit, deren Anwendung in manchen Fällen so weit getrieben wurde, daß die Gemeinden existenzunfähig wurden, beruhte nicht auf Gesetz, sondern auf einem Rescript des frühern Cultusministers von Raumer, das das Schulbudget von einer Verfügung der betreffenden Abtheilung der Regirungen, in letzter Instanz des Ministers, abhängig machte. Das Bestreben, diesen Ministerabsolutismus durch Gesetz zu consolidiren, war für mich ein Hinderniß, den gelegentlich mir vorgelegten Schulgesetzentwürfen meine Zustimmung zu geben. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 598 [2-208] unabhängig sind, nicht ferner als Maßstab für jährliche Zuschläge zu benutzen. Wenn auch die durch Auflegung der Grund- und Häusersteuer einmal begangene Ungerechtigkeit sich nicht ausgleichen ließ, so ist es deshalb doch nicht der Gerechtigkeit entsprechend, sie jährlich durch Zuschläge zu wiederholen. Mein letzter College im Finanzministerium, Scholz, mit dem ich jederzeit in freundlichen Beziehungen gelebt habe, theilte meine Ansicht, hatte jedoch mit den parlamentarischen und ministeriellen Schwierigkeiten der Remedur zu kämpfen; dagegen war die Streitmacht seiner Räthe ohne Zweifel der freiern Bewegung froh, die nach meinem Ausscheiden aus dem Staatsministerium eintrat. Eine Forderung, mit der ich Jahre lang im Finanzministerium keinen Anklang finden konnte, war neben der Selbsteinschätzung die, daß das Einkommen von ausländischen Werthen höher zu besteuern sei als von deutschen, gewissermaßen ein Schutzzoll für deutsche Werthe, und das von selbst flüssige höher als das durch Arbeit jährlich neu zu gewinnende. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 600 [2-209] Als Vertreter des öffentlichen Interesses gegen die Ressorts. Was die Reichsämter betrifft, so habe ich mit dem Schatzamte stets gute Fühlung gehabt, zur Zeit von Scholz wie von Maltzahn. Die Bestimmung dieses Amtes hatte keine größere Tragweite als diejenige, dem Reichskanzler in seinen Erörterungen und Verständigungen mit dem preußischen Minister der Finanzen Beistand und technisch geschulte Arbeitskräfte zu stellen. Die entscheidende Stelle in Finanzfragen blieb der preußische Finanzminister und das Staatsministerium. Der Charakter beider Herrn gestattete, Meinungsverschiedenheiten in ehrlicher Erörterung und ohne Verstimmung zu erledigen. Die neuerdings in der Presse vertretne und thatsächlich gehandhabte Auffassung von der Möglichkeit einer von einander unabhängigen Finanzpolitik des Reichskanzlers oder gar des ihm untergebnen Reichsschatzamtes einerseits und des preußischen Finanzministers andrerseits galt zu meiner Zeit als verfassungswidrig. Divergenzen beider Stellen fanden ihre Lösung in collegialischen Berathungen des Staatsministeriums, dem der Kanzler als auswärtiger Minister angehörte, und ohne dessen vorausgesetztes oder ausgesprochnes Einverständniß er nicht berechtigt ist, im Bundesrath die preußischen Stimmen abzugeben oder eine Gesetzesvorlage zu machen. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 609 [2-212] die Sondirung durch eine Anfrage bei dem Vertreter der zu sondirenden Macht seine Bedenken hat, hatte die russische Diplomatie durch die Vorgänge zwischen dem Kaiser Nicolaus und Seymour erfahren. Die Neigung Gortschakows, telegraphische Anfragen bei uns nicht durch den russischen Vertreter in Berlin, sondern durch den deutschen in Petersburg zu bewirken 1), hat mich genöthigt, unsre Missionen in Petersburg häufiger als an andern Höfen darauf aufmerksam zu machen, daß ihre Aufgabe nicht in der Vertretung der Anliegen des russischen Cabinets bei uns, sondern unsrer Wünsche an Rußland liege. Die Versuchung für einen Diplomaten, seine dienstliche und gesellschaftliche Stellung durch Gefälligkeiten für die Regirung, bei der er beglaubigt ist, zu pflegen, ist groß und wird noch gefährlicher, wenn der fremde Minister unsern Agenten für seine Wünsche bearbeiten und gewinnen kann, ehe dieser alle die Gründe kennt, aus denen für seine Regirung die Erfüllung und selbst die Zumuthung inopportun ist. Außerhalb aller aber, selbst der russischen, Gewohnheiten lag es, wenn der deutsche Militärbevollmächtigte am russischen Hofe uns, und während ich nicht in Berlin war, auf Befehl des russischen Kaisers eine politische Frage von großer Tragweite in dem kategorischen Stile eines Telegramms vorlegte. Ich hatte, so unbequem sie mir auch war, nie eine Aenderung in der alten Gewohnheit erlangen können, daß unsre Militärbevollmächtigten in Petersburg nicht, wie andre, durch das Auswärtige Amt, sondern direct in eigenhändigen Briefen an Se. Majestät berichteten, — einer Gewohnheit, die sich davon herschrieb, daß Friedrich Wilhelm III. dem ersten Militärattaché in Petersburg, dem frühern Commandanten von Kolberg, Lucadou, eine besonders intime Stellung zu dem Kaiser gegeben hatte. Freilich meldete der Militärattaché in solchen Briefen Alles, was der russische Kaiser über Politik in dem gewohnheitsmäßigen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 618 [2-216] Achtundzwanzigstes Kapitel: Berliner Congreß. der russischen Regirung, vermittelst eines Congresses zu dem Frieden mit der Türkei zu gelangen, bewies, daß sie sich militärisch nicht stark genug fühlte, es auf Krieg mit England und Oestreich ankommen zu lassen, nachdem die rechtzeitige Besetzung von Constantinopel einmal versäumt war. Für die Mißgriffe der russischen Politik theilt Fürst Gortschakow ohne Zweifel mit jüngern und energischeren Gesinnungsgenossen die Verantwortlichkeit, aber frei davon ist er nicht. Wie stark seine Stellung, nach den russischen Traditionen gemessen, dem Kaiser gegenüber war, zeigt die Thatsache, daß er gegen den ihm bekannten Wunsch seines Herrn an dem Berliner Congresse als Vertreter Rußlands theilnahm. Indem er, gestützt auf seine Eigenschaft als Reichskanzler und auswärtiger Minister, seinen Sitz einnahm, entstand die eigenthümliche Situation, daß der vorgesetzte Reichskanzler und der seinem Ressort unterstellte Botschafter Schuwalow neben einander figurirten, der Träger der russischen Vollmacht aber nicht der Reichskanzler sondern der Botschafter war 1). (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 619 Diese vielleicht actenmäßig nur aus den russischen Archiven und vielleicht auch aus diesen nicht nachweisbare, aber nach meiner Wahrnehmung unzweifelhafte Situation zeigt, daß auch in einer Regirung mit so einheitlicher und absoluter Spitze, wie der russischen, die Einheit der politischen Action nicht gesichert ist. Sie ist es vielleicht in höherm Grade in England, wo der leitende Minister und die Berichte, die er empfängt, der öffentlichen Kritik unterliegen, während in Rußland nur der jedesmalige Kaiser in der Lage ist, je nach seiner Menschenkenntniß und Befähigung zu beurtheilen, welcher von seinen berichtenden und vortragenden Dienern irrt oder ihn belügt, und von welchem er die Wahrheit erfährt. Ich will damit nicht sagen, daß der laufende Dienst des auswärtigen Amtes in London klüger betrieben wird als in Petersburg, aber die englische Regirung geräth seltener als die russische in die Nothwendigkeit, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 621 [2-217] Irrthümer ihrer Untergebenen durch Unaufrichtigkeit wieder gut zu machen. Lord Palmerston hat freilich am 4. April 1856 im Unterhause mit einer von der Masse der Mitglieder wahrscheinlich nicht verstandenen Ironie gesagt, die Auswahl der dem Parlamente vorzulegenden Schriftstücke über Kars habe große Sorgfalt und Aufmerksamkeit von Personen, die nicht eine untergeordnete, sondern eine hohe Stellung im Auswärtigen einnähmen, erfordert. Das Blaubuch über Kars, die castrirten Depeschen von Sir Alexander Burnes aus Afghanistan und die Mittheilungen der Minister über die Entstehung der Note, welche die Wiener Conferenz 1854 dem Sultan anstatt der Mentschikowschen zur Unterzeichnung empfahl, sind Proben von der Leichtigkeit, mit welcher Parlament und Presse in England getäuscht werden können. Daß die Archive des Auswärtigen Amtes in London ängstlicher als irgendwo gehütet werden, läßt vermuthen, daß in ihnen noch manche ähnliche Probe zu entdecken sein würde. Im Ganzen wird man aber doch sagen dürfen, daß der Zar leichter zu belügen ist als das Parlament. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 660 Ich erinnere mich, daß Fürst Gortschakow mir, als ich in Petersburg Gesandter war und seines unbegrenzten Vertrauens mich erfreute, mitunter, wenn er mich warten ließ, noch unerbrochne Berliner Berichte zu lesen gab, bevor er selbst sie durchgesehn hatte. Ich war zuweilen erstaunt, daraus zu entnehmen, mit welchem Uebelwollen mein früherer Freund Budberg seiner Empfindlichkeit über irgend ein Erlebniß in der Gesellschaft oder auch nur dem Bedürfniß, einen witzigen Sarkasmus über Berliner Verhältnisse am Hofe und in dem Ministerium anzubringen, die Aufgabe der Erhaltung der gegenwärtigen Beziehungen (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 663 [2-227] Darstellungen eigneten, zu verschweigen, und als ich Minister war, dergleichen allerhöchsten Orts nicht vorzulegen. In der Stellung eines Botschafters am Hofe einer Großmacht findet die Verpflichtung zur mechanischen Berichterstattung über alle am Domicil des Botschafters vorkommenden thörichten Reden und Bosheiten nicht Anwendung. Ein Botschafter nicht nur, sondern auch jeder deutsche Diplomat an einem deutschen Hofe, sollte nicht Berichte schreiben, wie sie Budberg, Oubril aus Berlin, Balabin aus Wien nach Hause sandten in der Berechnung, daß sie als witzig mit Interesse und mit selbstgefälliger Heiterkeit gelesen würden, sondern er sollte sich, so lange die Verhältnisse freundlich sind und bleiben sollen, des Hetzens und Klatschens enthalten. Wer nur das Förmliche des Geschäftsganges im Auge hat, wird es allerdings für das Richtigste halten, daß der Gesandte rückhaltlos meldet, was er hört, und es dem Minister überläßt, über was er hinwegsehn und was er betonen will. Ob das aber sachlich zweckmäßig ist, hängt von der Persönlichkeit des Ministers ab. Da ich mich für ebenso einsichtig hielt wie Herrn von Schleinitz und einen tiefern und gewissenhaftern Antheil an dem Schicksal unsres Landes nahm als er, so habe ich mich für berechtigt und verpflichtet gehalten, manches nicht zu seiner Kenntniß zu bringen, was in seinen Händen Verhetzungen und Intrigen am Hofe im Sinne einer Politik dienen konnte, die nicht die des Königs war. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 697 [2-239] Abschluß des Defensivbundes mit Oestreich. werth wäre. Die russischen Bestrebungen sind unruhig und friedlos geblieben; der Einfluß des panslavistischen Chauvinismus auf die Stimmungen des Kaisers Alexander hat sich gesteigert, und mit der, wie es leider scheint, ernstlichen Ungnade des Grafen Schuwalow hat dessen Werk, der Berliner Congreß, seine Verurtheilung durch den Kaiser erfahren. Der leitende Minister, insoweit es einen solchen in Rußland gegenwärtig giebt, ist der Kriegsminister Milutin. Auf sein Verlangen sind jetzt nach dem Frieden, wo Rußland von niemand bedroht ist, die gewaltigen Rüstungen erfolgt, welche trotz der Finanzopfer des Krieges den Friedensstand des russischen Heeres um 56000, den Stand der mobilen westlichen Kriegsarmee um fast 400000 Mann steigerten. Diese Rüstungen können nur gegen Oestreich oder Deutschland bestimmt sein, und die Truppenaufstellungen im Königreich Polen entsprechen einer solchen Bestimmung. Der Kriegsminister hat auch den technischen Commissionen *) gegenüber rückhaltlos geäußert, daß Rußland sich auf einen Krieg ,mit Europa‘ einrichten müsse. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 698 Wenn es zweifellos ist, daß der Kaiser Alexander, ohne den Türkenkrieg zu wollen, unter dem Drucke der panslavistischen Einflüsse denselben dennoch geführt hat, und wenn inzwischen dieselbe Partei ihren Einfluß dadurch gesteigert hat, daß dem Kaiser die Agitation, welche hinter ihr steht, heut mehr und gefährlicheren Eindruck macht als früher, so liegt die Befürchtung nahe, daß es ihr ebenso gelingen kann, die Unterschrift des Kaisers Alexander für weitre kriegerische Unternehmungen nach Westen zu gewinnen. Die europäischen Schwierigkeiten, welchen Rußland auf diesem Wege begegnen könnte, können einen Minister wie Milutin oder Makoff wenig schrecken, wenn es wahr ist, was die Conservativen in Rußland befürchten, daß die Bewegungspartei, indem sie Rußland in schwere Kriege zu verwickeln sucht, weniger einen Sieg Rußlands über das Ausland, als einen Umsturz im Innern Rußlands erstrebt. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 711 Wenn ich für meine Pflicht halte, meine Ansicht über die Lage und die Politik des Deutschen Reiches in Ehrfurcht zu Eurer Majestät Kenntniß zu bringen, so wollen Allerhöchstdieselben der Thatsache in Gnaden Rechnung tragen, daß Graf Andrassy und ich uns die Geheimhaltung des vorstehend dargelegten Planes gegenseitig zugesagt haben und bisher nur Ihre Majestäten die beiden Kaiser Kenntniß haben von der Absicht ihrer leitenden Minister, eine Vereinbarung zwischen Allerhöchstdenselben herbeizuführen.“ (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 736 [2-248] Reise nach Baden-Baden zu machen, so übernahm sie Graf Stolberg; er führte die Verhandlungen, wenn auch unter starkem Widerstreben Sr. Majestät, glücklich zu Ende. Der Kaiser war von den politischen Argumenten nicht überzeugt worden, sondern ertheilte das Versprechen, den Vertrag zu ratificiren, nur aus Abneigung gegen einen Personenwechsel in dem Ministerium. Der Kronprinz war von Hause aus für das östreichische Bündniß lebhaft eingenommen, aber ohne Einfluß auf seinen Vater. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 762 [2-258] Spitze abzubrechen, das wiederholt durch fremde und einheimische Entstellungen und gelegentlich durch diesseitige militärische Unterströmungen in ihm erregt wurde. Er hat mir, als ich ihn auf der Danziger Rhede zum ersten Male als Kaiser sah, und bei allen spätern Begegnungen auch trotz der über den Berliner Congreß verbreiteten Lügen und trotz der Kenntniß des östreichischen Vertrags ein Wohlwollen bewiesen, das in Skierniewice und in Berlin zum authentischen Ausdruck kam und darauf beruhte, daß er mir glaubte. Selbst die durch ihre unverschämte Dreistigkeit eindrucksvolle Intrige mit gefälschten Briefen, die ihm in Kopenhagen zugesteckt worden waren, wurde durch meine einfache Versicherung sofort unschädlich gemacht. Ebenso gelang es mir bei der Begegnung im October 1889, die Zweifel, die er wieder aus Kopenhagen mitgebracht hatte, zu zerstreuen bis auf den einen, ob ich Minister bleiben würde. Er war wohl besser unterrichtet als ich, als er die Frage an mich richtete, ob ich meiner Stellung bei dem jungen Kaiser ganz sicher sei. Ich antwortete, was ich damals dachte, daß ich von dem Vertrauen Kaiser Wilhelms II. zu mir überzeugt sei und nicht glaubte, daß ich jemals gegen meinen Willen würde entlassen werden, weil Seine Majestät bei meiner langjährigen Erfahrung im Dienste und bei dem Vertrauen, das ich mir in Deutschland sowohl wie bei den auswärtigen Höfen erworben hätte, in meiner Person einen schwer zu ersetzenden Diener besäße. Der Kaiser gab seiner großen Genugthuung über meine Zuversicht Ausdruck, wenn er sie auch nicht unbedingt zu theilen schien. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 775 Auch für die östreichische Politik wäre es richtiger, sich den Wirkungen des ungarischen Chauvinismus so lange zu entziehn, bis Rußland eine Position am Bosporus eingenommen und dadurch seine Frictionen mit den Mittelmeerstaaten, also mit England und selbst mit Italien und Frankreich, erheblich verschärft und sein Bedürfniß, sich mit Oestreich à l'amiable zu verständigen, gesteigert hätte. Wenn ich östreichischer Minister wäre, so würde ich die Russen nicht hindern, nach Konstantinopel zu gehn, aber eine (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 793 Der durch das Gesetz vom 20. März 1817 gestiftete Staatsrath war bestimmt, den absoluten König zu berathen. An dessen Stelle ist heut zu Tage der verfassungsmäßig von seinen Ministern berathene König getreten und dadurch das Staatsministerium in den durch die Vorberathung des Staatsraths aufzuklärenden regirenden Factor, den früher der König allein darstellte, mit aufgenommen. Die Berathung des Staatsraths ist heut zu Tage informatorisch nicht nur für den König, sondern auch für die verantwortlichen Minister; seine Reactivirung im Jahre 1852 hatte den Zweck, nicht mir die königlichen Entschließungen, sondern auch die Vota der Staatsminister vorzubereiten. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 794 Die Vorbereitung der Gesetzentwürfe durch das Staatsministerium ist unvollkommen. Ein vortragender Rath ist im Stande, das Schicksal eines Gesetzes festzulegen bis zu der Veröffentlichung, indem er alle Einwirkungen auf den Inhalt, die von dem Staatsministerium oder in den verschiedenen Stadien der parlamentarischen Berathung versucht werden, an der Außenseite des Entwurfs abgleiten läßt, wenn der Gegenstand schwierig und die Zahl der Paragraphen groß ist. Schon im Staatsministerium beherrscht der Ressortminister nicht immer den Stoff, den ihm seine betreffenden Räthe in Gestalt eines Gesetzentwurfes mit Motiven (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 795 [2-272] vorgelegt haben. Noch viel weniger verwenden die übrigen Minister Zeit und Mühe darauf, sich mit Inhalt und Tragweite eines neuen Gesetzes in allen Einzelheiten vertraut zu machen, wenn es nicht Wirkungen hat, die in ihr eignes Ressort eingreifen. Ist das aber der Fall, so regt sich das Unabhängigkeitsgefühl und der Particularismus, wovon jeder der acht föderirten ministeriellen Staaten und jeder Rath in seiner Sphäre beseelt ist. Die Wirkung eines beabsichtigten Gesetzes auf das praktische Leben im Voraus zu beurtheilen, wird aber auch der Ressortminister nicht im Stande sein, wenn er selbst ein einseitiges Product der Bürokratie ist, noch viel weniger aber seine Collegen. Diejenigen unter ihnen, die das Bewußtsein haben, nicht nur Ressortminister, sondern Staatsminister mit solidarischer Verantwortlichkeit für die Gesammtpolitik zu sein, machen nicht fünf Procent derer aus, welche ich zu beobachten Gelegenheit gehabt habe. Die übrigen beschränken sich auf das Bestreben, ihr Ressort einwandfrei zu verwalten, die Geldmittel dazu von dem Finanzminister und dem Landtage bewilligt zu erhalten und parlamentarische Angriffe auf ihr Ressort mit Beredsamkeit und nach Bedürfniß unter Preisgebung ihrer Untergebenen erfolgreich abzuwehren. Die Quittungen, die in der königlichen Unterschrift und der parlamentarischen Bewilligung liegen, sind ausreichend, um daneben die Frage, ob die Sache an sich vernünftig sei, vor einem bürokratisch-ministeriellen Gewissen nicht zur Entscheidung kommen zu lassen. Einreden eines Collegen, dessen Ressort nicht direct betheiligt ist, erregen die Empfindlichkeit des Ressortministers, und diese wird in der Regel geschont, im Hinblick auf gleiche Schonung, die man für eigne Anträge vorkommenden Falls erwartet. Ich habe die Erinnerung, daß die Erörterungen des alten Staatsraths vor 1848, aus dem ich einige hervorragende Mitglieder gekannt habe, mit schärferer Anstrengung des eignen Urtheils und größerer Regsamkeit des Gewissens geführt worden sind, als die Ministerberathungen, die ich mehr als vierzig Jahre lang zu beobachten in der Lage gewesen bin. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 796 [2-273] Ich halte auch die Voraussetzung für trügerisch, daß ein ungeschickter Gesetzentwurf des Ministeriums im Landtage sachlich genügend richtig gestellt werden wird. Er kann und wird hoffentlich in der Regel abgelehnt werden; ist aber die Frage, die er betrifft, dringend, so liegt die Gefahr vor, daß auch ministerieller Unsinn glatt durch die parlamentarischen Stadien geht, namentlich wenn es dem Verfasser gelingt, den einen oder andern einflußreichen oder beredten Freund für sein Erzeugniß zu gewinnen. Abgeordnete, die einen Gesetzentwurf von mehr als hundert Paragraphen zu lesen sich die Mühe geben oder mit Verständniß zu lesen vermöchten, sind bei der Ueberzahl studirter Leute aus der Justiz und der Verwaltung wohl vorhanden, aber die Lust und das Pflichtgefühl zur Arbeit haben nur wenige, und diese sind vertheilt unter einander bekämpfende Fractionen und Parteibestrebungen, deren Tendenzen es ihnen erschweren, sachlich zu urtheilen. Die meisten Abgeordneten lesen und prüfen nicht, sondern fragen die für eigne Zwecke arbeitenden und redenden Fractionsführer, wann sie in die Sitzung kommen und wie sie stimmen sollen. Das Alles ist aus der menschlichen Natur erklärlich, und niemand ist darüber zu tadeln, daß er nicht aus seiner Haut hinaus kann; nur darf man sich darüber nicht täuschen, daß es ein bedenklicher Irrthum ist, anzunehmen, daß unsern Gesetzen heut zu Tage die Prüfung und vorbereitende Arbeit zu Theil werde, deren sie bedürfen, oder auch nur die, welche sie vor 1848 genossen. Ein Denkmal seiner Flüchtigkeit hat sich der Reichstag von 1867 in der Verfassung des Norddeutschen Bundes gesetzt, das in die Verfassung des Deutschen Reiches übergegangen ist. Der einem Beschlusse des Frankfurter Bundestages nachgebildete Artikel 68 des Entwurfs zählte fünf Verbrechen auf, die, wenn sie gegen den Bund begangen werden, so bestraft werden sollen, als wenn sie gegen einen einzelnen Bundesstaat begangen wären. Die fünfte Nummer war mit „endlich“ eingeführt. Der wegen seiner Gründlichkeit gerühmte Twesten stellte den Verbesserungsantrag, die drei ersten Nummern (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 799 Vor 1848 war man beflissen, das Richtige und Vernünftige zu finden, heut genügt die Majorität und die königliche Unterschrift. Ich kann nur bedauern, daß die Mitwirkung weitrer Kreise zur Vorbereitung der Gesetze, wie sie im Staatsrath und im Volkswirthschaftsrath gegeben war, gegenüber ministerieller oder monarchischer Ungeduld nicht hinreichend hat zur Geltung gebracht werden können. Ich habe, wenn ich Muße fand, mich mit diesen Problemen zu beschäftigen, zu meinen Collegen gelegentlich den Wunsch geäußert, daß sie ihre legislatorische Thätigkeit damit beginnen möchten, die Entwürfe zu veröffentlichen, der publicistischen Kritik preis zu geben, möglichst viele sachkundige und an der Frage interessirte Kreise, also Staatsrath, Volkswirthschaftsrath, nach Umständen die Provinziallandtage zu hören, und alsdann erst die Berathung im Staatsministerium möchten eintreten lassen. Das Zurückdrängen des Staatsraths und ähnlicher Berathungskörper schreibe ich hauptsächlich der Eifersucht zu, mit der diese unzünftigen Rathgeber in öffentlichen Angelegenheiten von den zünftigen Räthen und von den Parlamenten betrachtet werden, zugleich aber auch dem Unbehagen, mit dem die ministerielle Machtvollkommenheit innerhalb des eignen Ressorts auf das Mitreden Andrer blickt. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 801 [2-275] beeinflussen, zu erkennen zu geben. Bemerkenswerth war, daß die Vorträge zweier ehemaligen Gardes du Corps-Offiziere, von Zedlitz- Trützschler, späterem Oberpräsidenten in Posen und Cultusminister, und von Minnigerode, einen solchen Eindruck machten, daß der Kronprinz im Sinne der Versammlung verfuhr, indem er die beiden Herrn später zu Referenten bestellte, obschon die theoretisch sachkundigsten Vorträge ohne Zweifel von den anwesenden fachgelehrten Professoren gehalten waren. Die Einwirkung, die dadurch frühern Gardeoffizieren auf die Gestaltung von Gesetzvorlagen zufiel, befestigte mich in der Ueberzeugung, daß die rein und nur ministerielle Prüfung von Entwürfen nicht der richtige Weg ist, um die Gefahr zu vermeiden, daß unpraktische, schädliche und gefährliche Vorlagen in sprachlich unvollkommner Fassung ihren Weg aus den Niederschriften der legislativen Liebhabereien eines einzelnen vortragenden Rathes, unbeirrt oder doch ohne ausreichende Richtigstellung durch alle Stadien des Staatsministeriums, der Parlamente und des Cabinets bis in die Gesetzsammlung finden und dann bis zu etwaiger Abhülfe einen Theil der Last bilden, die sich wie eine Krankheit schleichend fortschleppt. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 827 Von dem Augenblicke des Antritts der Regentschaft an hatte Prinz Wilhelm den Mangel an geschäftlicher Vorbildung so lebhaft empfunden, daß er keine Arbeit Tag und Nacht scheute, um demselben abzuhelfen. Wenn er „Staatsgeschäfte erledigte“, so arbeitete er wirklich, mit vollem Ernst und voller Gewissenhaftigkeit. Er las alle Eingänge, nicht blos die, welche ihn anzogen, studirte die Verträge und Gesetze, um sich ein selbständiges Urtheil zu bilden. Er kannte keine Vergnügung, die den Staatsgeschäften Zeit entzogen hätte. Er las niemals Romane oder sonst Bücher, die nicht Bezug auf seinen Herrscherberuf hatten. Er rauchte nicht, spielte nicht Karten. Wenn nach einem Jagddiner in Wusterhausen die Gesellschaft sich in das Zimmer begab, in dem Friedrich Wilhelm I. das Tabakscollegium zu versammeln pflegte, so ließ er sich, damit die Anwesenden in seiner Gegenwart rauchen durften, eine der langen holländischen Thonpfeifen reichen, that einige Züge und legte sie mit einem krausen Gesichte aus der Hand. Als er in Frankfurt, damals noch Prinz von Preußen, auf einem Balle in ein Zimmer gerieth, in dem Hazard gespielt wurde, sagte er zu mir: „Ich will doch auch einmal mein Glück versuchen, habe aber kein Geld bei mir, geben Sie mir etwas.“ Da auch ich kein Geld bei mir zu tragen pflegte, so half der Graf Theodor Stolberg aus. Der Prinz setzte einige Male einen Thaler, verlor jedes Mal und verließ das Zimmer. Seine einzige Erholung war, nach einem arbeitsvollen Tage in seiner Theaterloge zu sitzen; aber auch dort durfte ich als Minister ihn in dringenden Fällen aufsuchen, (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 831 [2-282] Vaters. Der Einfluß seiner Gemalin brachte ihn in reifern Jahren in Opposition gegen das traditionelle Prinzip, und die Unfähigkeit seiner Minister der Neuen Aera und das überstürzende Ungeschick der liberalen Parlamentarier in der Conflictszeit weckte in ihm wiederum den alten Pulsschlag des preußischen Prinzen und Offiziers, zumal er mit der Frage, ob die Bahn, die er einschlug, gefährlich sei, niemals rechnete. Wenn er überzeugt war, daß Pflicht und Ehre, oder eins von beiden, ihm geboten, einen Weg zu betreten, so ging er ihn ohne Rücksicht auf die Gefahren, denen er ausgesetzt sein konnte, in der Politik ebenso wie auf dem Schlachtfelde. Einzuschüchtern war er nicht. Die Königin war es, und das Bedürfniß des häuslichen Friedens mit ihr war ein unberechenbares Gewicht, aber parlamentarische Grobheiten oder Drohungen hatten nur die Wirkung, seine Entschlossenheit im Widerstande zu stärken. Mit dieser Eigenschaft hatten die Minister der Neuen Aera und ihre parlamentarischen Stützen und Gefolgschaften niemals gerechnet. Graf Schwerin war in seinem Mißverstehn dieses furchtlosen Offiziers auf dem Throne so weit gegangen, zu glauben, ihn durch Ueberhebung und Mangel an Höflichkeit einschüchtern zu können 1). In diesen Vorgängen lag der Wendepunkt des Einflusses der Minister der Neuen Aera, der Altliberalen und der Bethmann-Hollwegschen Partei, von dem ab die Bewegung rückläufig wurde, die Leitung in Roons Hände fiel und der Ministerpräsident Fürst Hohenzollern mit seinem Adjuncten Auerswald meinen Eintritt in das Ministerium wünschten. Die Königin und Schleinitz verhinderten ihn einstweilen noch, als ich im Frühjahr 1860 in Berlin war, aber die Aeußerlichkeiten, die zwischen dem Herrn und seinen Ministern vorgekommen waren, hatten in die gegenseitigen Beziehungen doch einen Riß gebracht, der nicht mehr vernarbte. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 834 Die Prinzessin Augusta vertrat unter Friedrich Wilhelm IV. in der Regel den Gegensatz zur Regirungspolitik; die Neue Aera der Regentschaft sah sie als ihr Ministerium an, wenigstens bis zum Rücktritt des Herrn von Schleinitz. Es lebte in ihr vorher und später ein Bedürfniß des Widerspruchs gegen die jedesmalige Haltung der Regirung ihres Schwagers und später ihres Gemals. Ihr Einfluß wechselte und zwar so, daß derselbe bis auf die letzten Lebensjahre stets gegen die Minister in's Gewicht fiel. War die Regirungspolitik conservativ, so wurden die liberalen Personen und Bestrebungen in den häuslichen Kreisen der hohen Frau ausgezeichnet und gefördert; befand sich die Regirung des Kaisers in ihrer Arbeit zur Befestigung des neuen Reiches auf liberalen Wegen, so neigte die Gunst mehr nach der Seite der conservativen und namentlich der katholischen Elemente, deren Unterstützung, da sie unter einer evangelischen Dynastie sich häufig und bis zu gewissen Grenzen regelmäßig in der Opposition befanden, überhaupt der Kaiserin nahe lag. In den Perioden, wo unsre auswärtige Politik mit Oestreich Hand in Hand gehn konnte, war die Stimmung gegen Oestreich unfreundlich und fremd; bedingte unsre Politik den Widerstreit gegen Oestreich, so fanden dessen Interessen Vertretung durch die Königin und zwar bis in die Anfänge des Krieges 1866 hinein. Während an der böhmischen Grenze schon gefochten wurde, fanden in Berlin unter dem Patronate Ihrer Majestät durch das Organ von Schleinitz noch Beziehungen und Unterhandlungen bedenklicher Natur statt. Herr von Schleinitz hatte, seit ich Minister des Aeußern und er selbst Minister des königlichen Hauses geworden, das Amt einer Art Gegenministers der Königin, um Ihrer Majestät Material zur Kritik und zur Beeinflussung des Königs zu liefern. Er hatte zu diesem Behufe die Verbindungen benutzt, die er in der Zeit, wo er mein Vorgänger war, im Wege (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 835 [2-284] der Privatcorrespondenz angeknüpft hatte, um eine förmliche diplomatische Berichterstattung in seiner Hand zu concentriren. Ich erhielt die Beweise dafür durch den Zufall, daß einige dieser Berichte, aus deren Fassung die Thatsache der Continuität der Berichterstattung ersichtlich war, durch Mißverständniß der Feldjäger oder der Post an mich gelangten und amtlichen Berichten so genau ähnlich sahn, daß ich erst durch einzelne Bezugnahmen im Texte stutzig wurde, mir das dazu gehörige Couvert aus dem Papierkorb suchte und darauf die Adresse des Herrn von Schleinitz vorfand. Zu den Beamten, mit denen er solche Verbindungen unterhielt, gehörte unter Andern ein Consul, über den mir Roon unter dem 25. Januar 1864 schrieb, derselbe stehe im Solde von Drouyn de L'Huys und schreibe unter dem Namen Siegfeld Artikel für das „Mémorial Diplomatique“, die u. A. der Occupation der Rheinlande durch Napoleon das Wort redeten und sie in Parallele stellten mit unsrer Occupation Schleswigs. Zur Zeit der „Reichsglocke“ und der gehässigen Angriffe der conservativen Partei und der „Kreuzzeitung“ auf mich konnte ich ermitteln, daß die Colportage der „Reichsglocke“ und ähnlicher verleumderischer Preßerzeugnisse im Bureau des Hausministeriums besorgt wurde. Der Vermittler war ein höherer Subalternbeamter Namens Bernhard (?), der der Frau von Schleinitz die Federn schnitt und den Schreibtisch in Ordnung hielt. Durch ihn wurden allein an unsre höchsten Herrschaften dreizehn Exemplare der „Reichsglocke“, davon zwei in das Kaiserliche Palais, berichtmäßig eingesandt und andre an mehre verwandte Höfe. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 838 Ich hatte durch langjährige Gewohnheit allmälig ziemliche Sicherheit in Beurtheilung der Frage gewonnen, ob der Kaiser Anträgen, die mir logisch geboten erschienen, aus eigner Ueberzeugung oder im Interesse des Hausfriedens widerstand. War erstres der Fall, so konnte ich in der Regel auf Verständigung rechnen, wenn ich die Zeit abwartete, wo der klare Verstand des Herrn sich die Sache assimilirt hatte. Oder er berief sich auf das Minister-Conseil. In solchen Fällen blieb die Discussion zwischen mir und Sr. Majestät immer sachlich. Anders war es, wenn die Ursache des königlichen Widerstrebens gegen ministerielle Meinungen in vorhergegangenen Erörterungen der Frage lag, die Ihre Majestät beim Frühstück hervorgerufen und bis zu scharfer Aussprache der Zustimmung durchgeführt hatte. Wenn der König in solchen Momenten, beeinflußt durch ad hoc geschriebene Briefe und Zeitungsartikel, zu raschen Aeußerungen im Sinne antiministerieller Politik gebracht war, so pflegte Ihre Majestät den (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 854 Seinem redlichen Sinne und der Aufrichtigkeit seines Wohlwollens für Andre, seiner aus dem Herzen kommenden und von hohem Sinne getragnen Liebenswürdigkeit verdankte er es, daß ihm eine gewisse Leistung leicht wurde und gut gelang, die der Verstandesthätigkeit constitutioneller Regenten und Minister von Zeit zu Zeit viel Mühe macht. Für öffentliche Ansprachen enthalten die jährlich wiederkehrenden Aeußerungen solcher Monarchen, deren Constitutionalismus als mustergültig betrachtet wurde, einen reichen Vorrath an Redewendungen; aber trotz aller sprachlichen Gewandheit haben sowohl Leopold von Belgien wie Louis Philipp die constitutionelle Phraseologie ziemlich erschöpft, und ein deutscher Monarch wird kaum im Stande sein, schriftlich und gedruckt den Kreis der brauchbaren Aeußerungen zu erweitern. Mir selbst ist keine Arbeit unbehaglicher und schwieriger gewesen, als die Herstellung des nöthigen Phrasenbedarfs für Thronreden und ähnliche Aeußerungen. Wenn Kaiser Wilhelm selbst Proclamationen redigirte oder wenn er eigenhändig Briefe schrieb, so hatten dieselben, auch wenn sie sprachlich incorrect waren, doch immer etwas Gewinnendes, oft Be (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 855 [2-291] Treue um Treue: König und Minister, Herr und Diener. geisterndes. Sie berührten angenehm durch die Wärme seines Gefühls und die Sicherheit, die aus ihnen sprach, daß er Treue nicht nur verlangte, sondern auch gewährte. Il était de relation sûre; eine von den fürstlichen Gestalten, in Seele und Körper, deren Eigenschaften mehr des Herzens als des Verstandes die im germanischen Charakter hin und wieder vorkommende Hingebung ihrer Diener und Anhänger auf Tod und Leben erklären. Für monarchische Gesinnung ist die Ausdehnung des Gebietes ihrer Ergebenheit nicht jedem Fürsten gegenüber dieselbe; sie unterscheidet sich, je nachdem politisches Verständniß oder Empfindung die Grenzen ziehn. Ein gewisses Maß der Hingebung wird durch die Gesetze bestimmt, ein größeres durch politische Ueberzeugung; wo es darüber hinaus geht, bedarf es eines persönlichen Gefühls von Gegenseitigkeit, das bewirkt, daß treue Herrn treue Diener haben, deren Hingebung über das Maß staatsrechtlicher Erwägungen hinausreicht. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 917 Sie feiern, mein lieber Fürst, am 23. September d. J. den Tag, an welchem ich Sie vor 25 Jahren in mein Staatsministerium berief und nach kurzer Zeit Ihnen das Präsidium desselben übertrug. Ihre bis dahin dem Vaterlande in den verschiedensten und wichtigsten Aufträgen geleisteten ausgezeichneten Dienste berechtigten mich, Ihnen diese höchste Stellung zu übertragen. Die Geschichte des letzten Viertels des Jahrhunderts beweiset, daß ich mich nicht bei Ihrer Wahl geirrt habe. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 933 [2-301] Briefe Wilhelms I. Im Princip bin ich ganz einverstanden, daß dies geschehe, aber die Ausführung ist eine sehr schwierige — Sie werden ja wissen, daß die an sich sehr natürliche Bestimmung, die ich auf Ihren Rath traf, daß mein Enkel W. in meiner Behinderung die laufenden Erlasse des Civil- und Militär-Cabinets unterschreiben werde unter der Ueberschrift ,auf Allerhöchsten Befehl' — daß diese Bestimmung den Kronprinzen sehr irritirt hat, als denke man in Berlin bereits an seinen Ersatz! Bei ruhigerer Ueberlegung wird sich mein Sohn wohl beruhigt haben. Schwieriger würde diese Ueberlegung sein, wenn er erfährt, daß seinem Sohn nun noch größere Einsicht in die Staatsgeschäfte gestattet wird und selbst ein Civil- Adjutant gegeben wird — wie ich seinerzeit meine vortragenden Räthe bezeichnete. Damals lagen die Dinge jedoch ganz anders, da ein Grund meinen königlichen Vater veranlassen konnte, einen Stellvertreter des damaligen Kronprinzen zu bestellen, obgleich meine Erbschaft an der Krone schon längst vorher zu sehen war und unterblieb meine Einführung bis zu meinem 44. Jahre, als mein Bruder mich sofort zum Mitglied des Staatsministeriums ernannte mit Beilegung des Titels als Prinz von Preußen. Mit dieser Stellung war also Zutheilung eines erfahrenen Geschäftsmannes nothwendig, um mich zur jedesmaligen Staats-Ministerial- Sitzung vorzubereiten. Zugleich erhielt ich täglich die politischen Dépéchen, nachdem dieselben durch 4–5–6 Hände, den Siegeln nach, gegangen waren! Für bloße Conversation, wie Sie es vorschlagen, einen Staatsmann meinem Enkel zuzutheilen, entbehrt also des Grundes einer Vorbereitung, wie bei mir, zu einem bestimmten Zweck u. würde bestimmt meinen Sohn von neuem u. noch mehr irritiren, was durchaus unterbleiben muß. Ich schlage Ihnen daher vor, daß die bisherige Art der Beschäftigung- Erlernung der Behandlung der Staats-Orientirung beibehalten wird d. h. einzelnen Staats-Ministerien zugetheilt werde und vielleicht auf zwei ausgedehnt werde, wie in diesem Winter, wo mein Enkel freiwillig den Besuch des Auswärtigen Amts ferner zu gestatten (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 934 [2-302] neben dem Finanz-Ministerium, welche Freiwilligkeit dann von Neujahr ganz fortfallen könnte u. vielleicht das Minist. des Inneren, wobei meinem Enkel zu gestatten wäre, in (unleserlich) Fällen sich im Auswärt. Amt zu orientiren. Diese Fortsetzung des jetzigen Verfahrens kann meinen Sohn weniger irritiren, obgleich Sie Sich erinnern werden, daß er auch gegen dieses Verfahren scharf opponirt. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 950 Es war ein weitverbreiteter Irrthum, daß der Regirungswechsel von Kaiser Wilhelm zu Kaiser Friedrich mit einem Ministerwechsel, der mir meinen Nachfolger gegeben haben würde, verbunden sein müßte. Im Sommer 1848 hatte ich zuerst Gelegenheit, dem damals 17jährigen Herrn bekannt zu werden und Beweise persönlichen Vertrauens von ihm zu erhalten. Letztres mag bis 1866 gelegentlich geschwankt haben, erwies sich aber als fest und offen bei Erledigung der Danziger Episode in Gastein 1863 1). Im Kriege von 1866, insbesondre in den Kämpfen mit dem Könige und den höhern Militärs über die Opportunität des Friedensschlusses in Nikolsburg, hatte ich mich eines von politischen Prinzipien und Meinungsverschiedenheiten unabhängigen Vertrauens des Kronprinzen zu erfreuen 2). Versuche, es zu erschüttern, sind von verschiedenen Seiten, die äußerste Rechte nicht ausgeschlossen, und unter Anwendung verschiedener Vorwände und Erfindungen gemacht worden, haben aber keinen dauernden Erfolg erreicht; zu ihrer Vereitlung genügte seit 1866 eine persönliche Aussprache zwischen dem hohen Herrn und mir. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)

 

Abs. 961 [2-307] lehnte dann vor der Hand die Unterzeichnung ab, sich die Entschließung vorbehaltend. Es entstand also die Frage, wie das Staatsministerium, das die Königliche Zustimmung beantragt hatte, sich zu verhalten habe. Ich befürwortete und erreichte, daß einstweilen auf eine Erörterung mit dem Könige verzichtet wurde, weil er ein unzweifelhaftes Recht ausübe, weil überdies der Gesetzentwurf vor dem Thronwechsel eingebracht war, und endlich, weil wir vermeiden müßten, die wegen der Krankheit des Monarchen ohnehin schwierige Situation durch Anregung von Cabinetsfragen zu verschärfen. Die Sache erledigte sich dadurch, daß Se. Majestät mir am 27. Mai auch das preußische Gesetz vollzogen aus eignem Antriebe zugehn ließ. (AAABismarckgedanken2korr-20160203.doc)