Niemsch, Tatjana, Reval im 16. Jahrhundert - Erfahrungsräumliche Deutungsmuster städtischer Konflikte (= Kieler Werkstücke G 6). Lang, Frankfurt am Main 2013. IX, 207 S., Abb. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Das Baltikum als das zwischen germanischen und slawischen Siedlungsräumen liegende Gebiet der kleineren baltischen und auch finnisch-estnischer Völker stand lange Jahrhunderte auch unter dem Einfluss seiner Nachbarn, der insbesondere ab 1207/1227 infolge der Eroberung durch Dänemark und den Schwertbrüderorden und ab 1225/1226 infolge des Hilferufs Herzog Konrad von Masowien an den Deutschen Orden im Kampf gegen die heidnischen Pruzzen zunahm. Kurz danach entstand Reval als deutsche Stadt, die 1257 das Recht der Stadt Lübeck übernahm. Dieses galt bis zur Annexion Estlands durch die  Sowjetunion im Jahre 1944.

 

Die sich mit dem frühneuzeitlichen Reval befassende vorliegende Untersuchung ist die überarbeitete Fassung der von Olaf Mörke betreuten, im Wintersemester 2009/2010 an der philosophischen Fakultät der Universität Kiel eingereichten Dissertation der Verfasserin. Sie gliedert sich in insgesamt sieben Sachabschnitte. Nach einer Einleitung über die Stadt als Erfahrungsraum, den Forschungsstand, die Fragestellung und die gute Quellenlage behandelt die Verfasserin allgemeiner Konflikte im städtischen Raum, den Erfahrungsraum als geschichtswissenschaftliche Erkenntniskategorie und drinnen und draußen als Konzept vom Identität und Alterität, ehe sie sich den Revaler Erfahrungsräumen im 16. Jahrhundert und dann vor allem den städtischen Konflikten zuwendet.

 

Dabei unterscheidet die Verfasserin sorgfältig zwischen Konflikten zwischen Akteuren der Oberstadt und der Unterstadt, zwischen Akteuren der Unterstadt und zwischen Akteuren der Stadt und dem Umland und behandelt danach die Stadt als „Konfliktateur“. Im Ergebnis sieht sie das Auftreten der Revaler Unterstadt in Konflikten mit dem Landesherrn und den Dombergbewohnern um städtische Ressourcen, Handelsrechte und Friedenswahrung auch als Verteidigung der eigenen Erfahrungsräume an. Auf dieser Grundlage hält sie die aus soziologischen, geographischen, sozialgeschichtlichen und kulturgeschichtlichen Ansätzen entwickelte Kategorie Erfahrungsraum auch für erfolgversprechend für andere ähnliche Untersuchungen.

 

Innsbruck                                                        Gerhard Köbler