Fischer,
Hartmut, Die Auflösung der Fideikommisse
und anderer gebundener Vermögen in Bayern nach 1918. Nomos, Baden-Baden 2013. 440
S. Besprochen von Werner Schubert.
Das umfangreiche Werk Jörn Eckerts über den „Kampf um die Familienfideikommisse in Deutschland“ (1992) hat die Gesetzgebung der Länder über die Aufhebung der Familienfideikommisse, die weitgehend nach dem Inkrafttreten der Weimarer Verfassung vom 14. 8. 1919 (vgl. deren Art. 155 Abs. 2 S. 2) ergingen, und vor allem die überwiegend den Gerichten überlassene Durchführung der Aufhebung der Fideikommisse nur im Überblick behandeln können. Es ist deshalb zu begrüßen, dass mit dem Werk Fischers nunmehr eine Monographie über die Aufhebung der Fideikommisse und anderer gebundener Vermögen (Stammgüter und Hausgüter, Lehen, landwirtschaftliche Erbgüter) in Bayern, dem zweitgrößten Land der Weimarer Republik, vorliegt. Die Untersuchung befasst sich im Schwerpunkt mit der Frage, „wie es zur Aufhebung der Fideikommisse und der verwandten Rechtsinstitute, einschließlich der Lehen, in Bayern gekommen ist und wie diese traditionsreichen Einrichtungen in der Praxis abgewickelt wurden“ (S. 30). Der rechtstatsächliche Teil der Arbeit beruht auf einer Auswertung des Bestandes „sämtlicher beim Staatsarchiv München vorhandenen Fideikommissakten des OLG München, zu denen im Wesentlichen auch die Fideikommissakten des OLG Augsburg gehören, da sie nach dessen Auflösung vom OLG München weitergeführt wurden“ (S. 31). Ferner wurde eine kleinere Anzahl zufällig ausgewählter Fideikommissakten der Oberlandesgerichte Nürnberg und Bamberg berücksichtigt. Nach einer Begriffserklärung und Abgrenzung der Familienfideikommisse und anderer gebundener Vermögen gegenüber ähnlichen Rechtsinstituten (S. 32ff.) bringt Fischer einen Überblick über das Rechtsinstitut der Fideikommisse in Deutschland bis zur Weimarer Zeit (S. 38ff.) und in Bayern bis 1900 (S. 38ff., 53ff.). Detailliert herausgearbeitet werden die wesentlichen Grundzüge des Fideikommissedikts von 1818 und die Reformbestrebungen bis zum Ende des Ersten Weltkriegs (S. 67ff., 79ff.). Noch am 9. 5. 1918 war ein Gesetz betreffend die Familienfideikommisse ergangen, das eine Fideikommisssperre anordnete (S. 99ff.).
Nach Kriegsende beschloss Bayern als eines der ersten Länder des Deutschen Reiches die Aufhebung der Fideikommisse durch ein Gesetz vom 28. 3. 1919 kurz nach dem Inkrafttreten des Vorläufigen Staatsgrundgesetzes vom 17. 3. 1919 (S. 109ff.; Text S. 429). Die tatsächliche Aufhebung der Fideikommisse erfolgte durch Ausführungsvorschriften zum Fideikommissgesetz (Text der Verordnung vom 26. 9. 1919 S. 430ff.). Nach dieser Verordnung fanden auf die Rechtsstellung des Fideikommissbesitzers, „in dessen Hand das Fideikommiss allod geworden ist“ die für die „Vorerbschaft geltenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs Anwendung“ (§ 8 Abs. 1). Vorerbe war der gegenwärtige Fideikommissbesitzer, Nacherbe der nächste Anwärter, für den ein Pfleger einzusetzen war. Fiel das Fideikommissvermögen einem Anwärter zu, so konnten die Abkömmlinge des Fideikommissbesitzers aus dem Fideikommissvermögen „die Zahlung des Betrages verlangen, der ihnen von dem Nachlasse des Fideikommissbesitzers als Pflichtteil gebühren würde“ (S. 11 der Verordnung). Damit ging Bayern „nur scheinbar den Weg einer sofortigen Auflösung“, hatte jedoch „tatsächlich mit der genannten Regelung eine fideikommissähnliche Bindung bis zum Eintritt des nächsten Sukzessionsfalles aufrecht erhalten“ (S. 179). Höchst umstritten während des Zustandekommens der Ausführungsverordnung und auch danach war die Frage der Beseitigung der Rechte der entfernteren Anwärter (S. 138ff., 154ff.).
Im 10. Kapitel befasst sich Fischer mit der Auflösungspraxis auf der Grundlage der detailliert analysierten Ausführungsbestimmungen unter Berücksichtigung des bisherigen Rechts zwischen 1919 und 1938 (S. 175-241). Aufzulösen waren in Bayern 212 gebundene Güter, von denen 1938 100 Güter noch nicht völlig frei geworden waren (S. 298). Die Anwärterpfleger hatten entsprechend §§ 2113ff. BGB die dort genannten Verfügungen zu genehmigen (S. 187ff.), wobei bei Verfügungen über Grundstücke, Rechte an Grundstücken und Wertpapiere nach den §§ 1812ff., 1821f. BGB die Genehmigung des Fideikommissgerichts erforderlich war. Weitere Abschnitte des 10. Kapitels befassen sich mit der Haftung für Fideikommissschulden und mit der Sicherung von Versorgungsansprüchen der Familienangehörigen sowie der Ansprüche der Fideikommissbeamten und ihrer Hinterbliebenen. Die weiteren Kapitel 11 und 12 beschäftigen sich mit den zwischenstaatlichen Fideikommissen und der Rechtslage in dem zum 1. 7. 1920 mit Bayern vereinigten Coburg (S. 222ff., 256ff.) sowie mit der Auflösung der nicht in die Fideikommissmatrikel eingetragenen Fideikommisse, der Hausgüter und Stammgüter sowie der landwirtschaftlichen Erbgüter (S. 259ff.; S. 265ff. Überblick über das gebundene Vermögen des Königshauses). Das 14. Kapitel bezieht sich auf das Reichsgesetz vom 6. 7. 1938 über das Erlöschen der Familienfideikommisse und sonstiger gebundener Vermögen und auf dessen Durchführungsverordnung vom 20. 3. 1939, über deren rechtspolitische Grundlagen man gerne noch mehr erfahren hätte (vgl. S. 304ff. und F. Hartmannsgruber, Akten der Reichskanzlei. Die Regierung Hitler, Bd. 4 1937 und Bd. 5 1938, München 2005 und 2008 [Nr. 98 in Bd. 4, Nr. 123 in Bd. 5]). Mit dem Gesetz von 1938 kam es trotz des Erlöschens der Fideikommisse noch nicht zu einer „sofortigen Beendigung sämtlicher fideikommissrechtlicher Beschränkungen“ (S. 307). Bis zur Erteilung eines Fideikommiss-Ablösungsscheins unterlag der Fideikommissbesitzer den bisherigen Verfügungsbeschränkungen. Nach einer Entscheidung des Obersten Fideikommissgerichts von 1940 war die Sperrwirkung erst aufgehoben, wenn alle Fideikommissvermerke in den öffentlichen Büchern, insbesondere im Grundbuch gelöscht worden waren. Dieser Rechtsentscheid hatte für den Bezirk des Oberlandesgerichts München zur Folge, dass bei 35 Fideikommissen das Verfahren wieder aufgenommen wurde (S. 322; Einschränkungen durch einen Rechtsentscheid von 1942, S. 334f.). Das 15. Kapitel behandelt die Rechtsentwicklung nach 1945 (S. 338ff.). Mit der Aufhebung oder Beschränkung von Schutz- und Sicherungsmaßnahmen insbesondere zur Erhaltung von Kulturgegenständen (vgl. § 6 des Gesetzes von 1938) befassen sich die Fideikommissgerichte, „wenn auch nur in wenigen Fällen“ bis zur Gegenwart (S. 349).
Die Auflösung der Lehen (hierzu der zweite Teil des Werkes, S. 364ff.) erfolgte durch ein Gesetz vom 28. 3. 1919 (S. 379ff.), dessen Durchführung S. 393ff. beschrieben wird (S. 397ff. Beispiel für die Auflösung des Rittermannslehens Neuburg a.K.). Der sogenannte Heimfall bei Dotationslehen sollte 15-25 % des Reinwerts betragen (S. 386). Im Ausblick geht Fischer noch auf die heutigen Möglichkeiten einer Vermögensperpetuierung ein (S. 401ff.). Mit seinem detailreichen Werk über die Auflösung der Fideikommisse in Bayern hat Fischer dem Leser den Zugang zu einem „überaus komplexen Rechtsgebilde“ (vgl. S. 338) erschlossen. Es wäre hilfreich gewesen, wenn Fischer die zahlreichen Einzelheiten am Schluss seines Werkes mit gegenüber den Ausführungen S. 50ff. detaillierteren Hinweisen auf die Entwicklung in den anderen größeren Ländern der Weimarer Republik noch zusammengefasst hätte.
Kiel |
Werner Schubert |