Appellation und Revision im Europa des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit, hg. v. Auer, Leopold/Ortlieb, Eva unter Mitarbeit von Franke, Ellen. Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs 3 (2013) 1. Verlag der österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2013. 297 S. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

In der Geschichte der Menschheit ist der Übergang von der Streitentscheidung durch Gewalt zur Konfliktlösung durch in Worte gefasste Entscheidung eines nicht unmittelbar beteiligten Dritten ein wesentlicher Schritt von der Hand zum Verstand. Allerdings erwiesen sich bereits die Lösungsversuche im Altertum als möglicherweise fehlerhaft, so dass schon früh ein allgemeines Bedürfnis nach Überprüfung durch vermutungsweise höhere Einsicht entstand. Seine umfassende Anerkennung im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit führte allmählich an den meisten Orten von der Einstufigkeit der Gerichtsbarkeit zur Mehrstufigkeit von Verfahren.

 

Der Verlauf dieser Entwicklung ist schon vielfach Gegenstand einzelner Untersuchungen gewesen. Nachdem dabei lange Zeit das Reichskammergericht des Heiligen römischen Reiches im Vordergrund gestanden hatte, wurde vor allem durch Wolfgang Sellert der Blick zu Recht auch auf den Reichshofrat gelenkt. Zur Verbesserung der für ihn vorhandenen Erkenntnisse wurde ein eigenes, vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF gefördertes Projekt über Appellationen an den Reichshofrat 1519-1740 unter Leitung Leopold Auers ins Leben gerufen.

 

In seinem Rahmen fand vom 7. bis 9. September 2011 im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien eine wissenschaftliche Tagung Statt.  Sie verfolgte das Ziel, die Projektthematik in ihren rechtlichen und historischen Kontext einzuordnen. Unter Anschluss an Forschungen über die Höchstgerichtsbarkeit in Europa sollte insbesondere die Appellationstätigkeit anderer Gerichte auf dem Gebiet des Heiligen römischen Reiches berücksichtigt werden.

 

Eine Erweiterung des bereits laufenden Projektes sollte auch über den zeitlichen und sachlichen Schwerpunkt hinaus führen. Die vergleichende Betrachtung sollte Reichskammergericht und andere Appellationsgerichte einbeziehen, Schließlich sollten allgemeine Grundlagen der Appellation wie kanonisches Recht oder Privilegien angesprochen werden.

 

Unter dieser vielfältigen weiterführenden Zielsetzung veröffentlicht der vorliegende Band insgesamt 15 Referate, die mit Jürgen Beckers Darstellung der Entwicklung der Appellation im kanonischen Recht von (Anfängen im 4. Jahrhundert und) der klassischen Periode bis zur nachtridentinischen Epoche beginnen. Susanne Lepsius greift von hier aus auf Appellationen vor weltlichen Gerichten in Italien im 13. bis 15. Jahrhundert über und schildert juristische Theorie und kommunale Praxis. Heiner Lück stuft die Appellationsprivilegien als Gestaltungsfaktoren der Gerichtsverfassung des Heiligen römischen Reiches ein.

 

Auf dieser Grundlage stellt Bernd Schildt das Reichskammergericht als oberste Rechtsmittelinstanz im Reich dar. Karin Nehlsen-von Stryk behandelt Appellation und Nichtigkeitsklage aus der Sicht der frühen Kameralistik. Wolfgang Sellert beleuchtet prozessrechtliche Aspekte zur Appellation an den Reichshofrat, für dessen Praxis Ellen Franke ausgewählte Beispiele aus dem niederrheinisch-westfälischen Reichskreis und Verena Kasper-Marienberg aus jüdisch-nichtjüdischen Konflikten in Frankfurt am Main im 18. Jahrhundert vorlegen.

 

Jürgen Weitzel greift die Stellungnahmen des Reichshofrats hinsichtlich des irregulären Beschneidens der Appellation auf. Örtliche Schwerpunkte setzen Matthias Schnettger für Reichsitalien und Eva Ortlieb für Österreich. Als weiteres Appellationsgericht bezieht Alain Wijffels den großen Rat von Mecheln ein, Petr Kreuz das Appellationsgericht in Prag (1548-1783), Thomas Lau die Tagsatzung und schließlich Stefan Andreas Stodolkowitz das Oberappellationsgericht Celle.

 

In den reichen Inhalt des Bandes leiten einführend die beiden Herausgeber ein. Wegen des gleichzeitigen elektronischen Erscheinens im Open-Access-Format unter http://hw.oeaw.ac.at/7232-5inhalt?frames=yes/ halten sie den Verzicht auf Register für vertretbar. Möge der eindrucksvolle Sammelband sowohl das weitere Fortschreiten des zu Grunde liegenden Projekts wie auch das allgemeine Interesse an der praktisch außerordentlich bedeutsamen Verfahrensgeschichte nachhaltig beflügeln.

 

Innsbruck                                                                               Gerhard Köbler