Dalos, György, Gorbatschow. Mensch und Macht. Eine Biografie. Deutsche Bearbeitung von Zylla, Elsbeth. Beck, München 2011. 288 S., 12 Abb. Besprochen von Gerhard Köbler.

 

Der in Budapest 1943 geborene, nach dem Tode seines aus jüdischer Familie stammenden, 1945 an den Folgen eines Arbeitslagers sterbenden Vaters bei seiner Großmutter aufgewachsene ungarische Schriftsteller studierte von 1962 bis 1967 in Moskau Geschichte. 1968 wurde er wegen maoistischer Umtriebe zu sieben Monaten Haft mit Bewährung verurteilt. Nach einer Teilnahme an der Begründung der demokratischen Oppositionsbewegung in Ungarn wechselte er in den Westen und lebte seit 1987 als freier Publizist in Wien und Berlin. Er ist durch zahlreiche, zwischen Roman und Wissenschaft pendelnde Darstellungen hervorgetreten.

 

Sein Prolog der Biographie des im Eingang sympathisch-menschlich abgelichteten ehemaligen Generalsekretärs des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (11. März 1985), Michail Sergejewitsch Gorbatschow, beginnt mit der im Jahre 1988 bezogenen neuen staatlichen Datscha auf der Halbinsel Krim, auf welchen die damals bereits freie sowjetische Öffentlichkeit deutlich gereizt, wenn nicht geradezu empört reagierte. In diesem Haus wurde der im März 1990 mit 59 Prozent der Stimmen des Kongresses der Volksdeputierten zum ersten und letzten Präsidenten der Sowjetunion gewählte Gorbatschow am 18. August 1991 um 16.30 von einer aus Moskau eingetroffenen Gruppe von Funktionären (Plechanow, Boldin, Baklanow, Schenin und Warennikow) isoliert und zum Rücktritt als Präsident der Sowjetunion aufgefordert. Zwar scheiterte dieser Vorgang, aber am 25. Dezember 1991 erklärte Gorbatschow doch seinen Rücktritt als Präsident.

 

Im Anschluss an dieses Ergebnis verfolgt der Verfasser den politischen Weg des in Priwolnoje in der Region Stawropol am 2. März 1931 als Bauernkind in einer Kolchose geborenen, zuerst als Mähdreschermechaniker tätigen, zum Wehrdienst untauglichen, 1950 ohne Prüfung zum Studium der Rechtswissenschaft an die Lomonossow-Universität in Moskau gewechselten, 1952 der Kommunistischen Partei beigetretenen, nach dem Ende des Erststudiums (1955) in den russischen Nordkaukasus zurückgekehrten und zum Leiter der Jugendorganisation Komsomol zunächst der Stadt Stawropol berufenen Gorbatschow. Ante portas, der Aufbruch, am Scheideweg, der Prozess ist in Gang gekommen, der gordische Knoten, das Jahr der Wende, die einsame Supermacht und zwischen Amt und Würde lauten die einzelnen Stationen des durch Auslandsreisen stark westlich beeinflussten Politikers, der trotz Perestroika und Glasnost im Ergebnis scheiterte. Was den die deutsche Einheit gewährenden Michail Gorbatschow letztlich bewog, den gewaltigen Berg des schwierigen Erbes des 20. Jahrhunderts mit großem Elan und Ehrgeiz, aber mit nur wechselhaften Erfolg anzugreifen, bleibt trotz vieler interessanter Ausführungen im Grunde freilich auch in diesem spannend zu lesenden Werk ungeklärt.

 

Innsbruck                                                                   Gerhard Köbler