Verfassung von Westphalen.
Constitution
vom l5ten November 1807.
Wir Napoleon, von
Gottes Gnade und durch die Constitutionen, Kaiser der Franzosen, König von
Italien und Beschützer des Rheinischen Bundes,
haben
in der Absicht, den 19ten Artikel des Tilsiter Friedensschlusses schleunig in
Vollzug zu setzen, und dem Königreiche Westphalen eine Grundverfassung zu
geben, welche das Glück seiner Völker sichere und zugleich deren Beherrscher
die Mittel gewähre, als Mitglied des Rheinischen Bundes, zur gemeinschaftlichen
Sicherheit und Wohlfahrt mitzuwirken, verordnet und verordnen, wie folgt:
Erster Titel.
Art. 1 Das
Königreich ist aus folgenden Staaten zusammengesetzt, nämlich: aus den Braunschweig-Wolfenhüttelschen
Staaten, aus dem auf linken Ufer der Elbe gelegenen Theile der Altmark, aus dem
auf dem linken Elbufer gelegenen Theile der Provinz Magdeburg, aus dem Gebiet
von Halle, aus dem Hildesheimischen, aus dem Gebiete von Quedlinburg, aus der
Grafschaft Mansfeld, aus dem Eichsfelde, nebst Treffurt, Mühlhausen,
Nordhausen, aus der Grafschaft Stollberg-Wernigerorde, aus den Staaten von
Hessen-Cassel, nebst Rinteln und Schaumburg, jedoch mit Ausnahme des Gebietes
von Hanau und Catzenellnbogen am Rheine, aus dem Gebiet von Corvey, Göttingen
und Grubenhagen, nebst den Zubehörungen von Hohenstein, und Elbingerode, aus
dem Bisthume Osnabrück, aus dem Bisthume Paderborn, Minden und Ravensberg, aus
der Grafschaft Rietberg-Kaunitz.
Art. 2 Wir behalten Uns die Hälfte der
Allodial-Domänen der Fürsten vor, um solche zu den Belohnungen zu verwenden,
die Wir den Offizieren Unserer Armeen versprochen haben, welche Uns im
gegenwärtigen Kriege die meisten Dienste leisteten.
Die Besitznahme von diesen Gütern soll
unverzüglich durch Unsere Intendanten geschehen, und das Protokoll darüber soll
vor dem ersten December mit Zuziehung der Landesbehörden aufgesetzt werden.
Art. 3 Die, besagten Ländern auferlegten,
außerordentlichen Kriegssteuern sollen abgetragen, oder es soll für ihre
Abzahlung, vor dem ersten December, Sicherheit gegeben werden.
Art. 4 Den ersten December soll der König durch
Commissarien, welche Wir zu dem Ende ernennen werden, in den Besitz des vollen
Genusses und der Souveränität seines Gebietes gesetzt werden.
Zweyter Titel.
Art. 5 Das Königreich Westphalen macht einen
Theil des Rheinischen Bundes aus.
Seine Contingent soll aus fünf und zwanzig
tausend Mann wirklich dienstthuender Soldaten von Waffen aller Art bestehen,
nämlich:
20 000 Mann Infanterie, 3 500 Mann Cavallerie, 1
500 Mann Artillerie.
Wahrend der ersten Jahre sollen nur zehn tausend
Mann Infanterie, zwey tausend Mann Cavallerie, und fünfhundert Mann Artillerie
besoldet werden. Die übrigen zwölftausend fünfhundert Mann sollen von
Frankreich gestellt werden und die Garnison von Magdeburg bilden. Diese zwölftausend
fünfhundert Mann sollen vom Könige von Westphalen besoldet und gekleidet
werden.
Dritter Titel.
Art. 6 Das
Königreich Westphalen soll in des Prinzen Hieronymus Napoleon directer,
natürlicher und rechtmäßiger Nachkommenschaft, männlichen Geschlechtes, in
Folge der Erstgeburt, und mit beständiger Ausschließung der Weiber und ihrer
Nachkommenschaft, erblich seyn.
Falls der Prinz Hieronymus keine natürliche und
rechtmäßige Nachkommenschaft haben würde, soll der Thron Westphalens Uns, und
Unsern natürlichen und rechtmäßigen oder adoptirten Erben und Nachkommen,
in Ermangelung dieser, den natürlichen und
rechtmäßigen Nachkommen des Prinzen Joseph Napoleon, Königs von Neapel und
Sicilien,
in Ermangelung dieser, den natürlichen und
rechtmäßigen Nachkommen des Prinzen Ludwig Napoleon, Königs von Holland.
Und in Ermangelung dieser letzteren, den
natürlich und rechtmäßigen Nachkommen des Prinzen Joachim, Großherzogs von Berg
und Cleve, anheim fallen.
Art. 7 Der König von Westphalen und seine
Familie sind in dem, was sie betrifft, den Verfügungen der Kaiserlichen
Familien-Statuten unterworfen.
Art. 8 Im Falle der Minderjährigkeit, soll der
Regent des Königreichs von Uns oder Unsern Nachfolgern, in unser Eigenschaft
als Haupt der Kaiserlichen Familie, ernannt werden.
Er soll unter den Prinzen der Königlichen
Familie gewählt werden.
Die Minderjährigkeit des Königs endet sich mit
dem zurückgelegten achtzehnten Jahre.
Vierter Titel.
Art. 10 Das
Königreich Westphalen soll nach solchen Grundgesetzen regiert werden, welche
die Gleichheit aller Unterthanen vor dem Gesetze, und die freie Ausübung des
Gottesdienstes der verschiedenen Religions-Gesellschaften festsetzen.
Art. 11 Die
Landstände der Provinzen, aus welchen das Königreich besteht, sowohl die
allgemeinen, als die besonderen, alle politischen Korporationen dieser Art und
alle Privilegien besagter Korporationen, Städte und Provinzen, sind aufgehoben.
Art. 12 Gleichergestalt sind alle Privilegien
einzelner Personen und Familien, in so fern sie mit den Verfügungen
vorstehenden Artikels unverträglich sind, aufgehoben.
Art. 13 Alle Leibeigenschaft, von welcher Natur
sie seyn, und wie sie heißen möge ist aufgehoben, indem alle Einwohner des
Königreichs die nämlichen Rechte genießen sollen.
Art. 14 Der
Adel soll in seinen verschiedenen Graden und seinen verschiedenen Benennungen
fortbestehen, ohne dass solcher ein ausschließendes Recht zu irgend einem Amte,
Dienste oder einer Würde, noch Befreyung von irgend einer öffentlichen Last
verleihen könne.
Art. 15 Die Statuten der adelichen Abteyen,
Priorate und Capitel sollen dahingehend abgeändert werden, dass jeder Unterthan
des Reichs darin zugelassen werden könne.
Art. 16 Es soll ein und dasselbe Steuer-System
für alle Theile des Königreichs seyn. Die Grundsteuer soll das Fünftel der
Revenuen nicht übersteigen dürfen.
Art. 17 Das Münzsystem und das System der Maaße
und Gewichte, welche dermalen in Frankreich bestehen, sollen im ganzen
Königreiche eingeführt werden.
Art. 18 Die Münzen sollen mit dem Wappen
Westphalens und mit dem Bildnisse des Königs geschlagen werden.
Fünfter Titel.
Art. 19 Es sollen vier Minister seyn, nämlich:
einer für das Justizwesen und die inneren
Angelegenheiten, einer für das Kriegswesen, einer für die Finanzen, den Handel
und den öffentlichen Schatz; es soll ein Minister Staats-Secretaire seyn.
Art. 20 Die Minister sind, jeder in seinem Fache
für die Vollziehung der Gesetze und der Befehle verantwortlich.
Sechster Titel.
Art. 21 Der Staatsrath soll zum wenigsten aus
sechzehn und höchstens aus fünf und zwanzig Mitgliedern bestehen, welche vom
Könige ernannt werden, und deren Ernennung von ihm nach Gutdünken
zurückgenommen werden kann.
Er soll in drey Sectionen abgetheilt werden,
nämlich:
Section des Justizwesens und der inneren
Angelegenheiten, Section des Kriegswesens, Section des Handels und der
Finanzen.
Der Staatsrath soll die Verrichtungen des
Cassations-Gerichts versehen. Es sollen bey demselben für die Geschäfte, welche
geeignet sind, vor das Cassationsgericht gebracht zu werden, und für die streitigen
Fälle in Verwaltungssachen, Advocaten angestellt werden.
Art. 22 Das Gesetz über die Auflagen, oder das
Finanz-Gesetz, die Civil- und die peinlichen Gesetze sollen im Staatsrathe
discutiert und entworfen werden.
Art. 23 Die im Staatsrathe entworfenen Gesetze
sollen den von den Ständen ernannten Commissionen mitgetheilt werden.
Diese Commissionen, deren drey seyn sollen,
nämlich eine Finanz-Commission, eine Commission des bürgerlichen Justizwesens,
und eine Commission des peinlichen Justizwesens, sollen aus fünf Mitgliedern
bestehen, welche in jeder Session ernannt werden müssen.
Art. 24 Diese ständischen Commissionen können
mit den respectiven Sectionen des Staatsrathes die ihnen mitgetheilten
Gesetzesentwürfe dicutiren.
Die Bemerkungen besagter Commissionen sollen im
versammelten, vom Könige präsidirten Staatsrathe verlesen, und es soll, wenn
man es nöthig finden wird, über die Modificationen, deren die Gesetzes-Entwürfe
für empfänglich werden gehalten werden, berathschlaget werden.
Art. 25 Die definitiv angenommene Redaction der
Gesetzes-Entwürfe soll durch Mitglieder des Staatsrathes unmittelbar den
Ständen überbracht werden, welche nach Anhörung der Beweggründe jener
Gesetzes-Entwürfe und der Berichte der Commissionen, darüber berathschlagen werden.
Art. 26 Der Staatsrath hat die
Verwaltungs-Verordnungen zu discutiren und solche zu entwerfen.
Art. 27 Er hat über die unter den Verwaltungs-
und gerichtlichen Behörden sich erhebenden Jurisdictions-Streitigkeiten, über
die streitigen Verwaltungsgegenstände und über die Frage zu erkennen, ob
Verwaltungs-Beamte vor Gericht gestellt werden können und sollen?
Art. 28 Der Staatsrath hat, in Ausübung seiner
Attributen, nur eine berathende Stimme.
Siebenter Titel.
Art. 29 Die Stände des Reichs sollen aus hundert
Mitgliedern bestehen, welche durch die Departements-Collegien ernannt worden,
nämlich: siebenzig werden gewählt aus der Classe der Grundeigenthümer, funfzehn
unter den Kaufleuten und Fabrikanten, und funfzehn unter den Gelehrten und
andern Bürgern, welche sich um den Staat verdient gemacht haben.
Die Mitglieder der Stände bekommen keinen
Gehalt.
Art. 30 Sie sollen alle drey Jahre, zu einem
Drittel, erneuert werden; die austretenden Mitglieder können unmittelbar wieder
gewählt werden.
Art. 31 Der
Präsident der Stände wird vom König ernannt.
Art. 32 Die Stände versammeln sich auf die vom Könige anbefohlene Zusammenberufung. Sie
können blos durch den König zusammenberufen, prorogirt, vertagt, und aufgelöset
werden.
Art. 33 Die Stände berathschlagen über die vom
Staatsrathe verfaßten Gesetzes-Entwürfe, welche ihnen auf Befehl des Königs
vorgelegt worden, sowohl über die Auflagen oder das jährliche Finanz-Gesetz,
als über die im Civilgesetzbuche und im Münzsysteme vorzunehmenden
Veränderungen.
Die gedruckten Rechnungen der Minister sollen
ihnen alle Jahre vorgelegt werden.
Die Stände berathschlagen über die
Gesetzes-Entwürfe im geheimen Scrutinum durch absolute Mehrheit der Stimmen.
Achter Titel.
Art. 34 Das
Gebiet soll in Departemente, die Departemente in Districte, die Districte in
Cantone, und diese in Municipalitäten eingetheilt werden.
Die Zahl der Departemente soll weder unter acht,
noch über zwölf seyn.
Die Zahl der Districte soll in einem Departement
weder unter drey, noch über fünf seyn.
Neunter Titel.
Art. 35
Die Departemente sollen durch einen Präfekten verwaltet werden.
Es soll in jedem Departemente ein Präfeturrath
für die streitigen Sachen, und eine General-Departementsrath seyn.
Art. 36 Die
Districte sollen durch einen Unterpräfekten verwaltet werden.
Es soll in jedem Districte oder in jeder
Unterpräfektur ein Districts-Rath sey.
Art. 37 Jede Municipalität soll durch einen
Maire verwaltet werden.
Es soll in jeder Municipalität eine
Municipal-Rath seyn.
Art. 38 Die Mitglieder der General-Departements-Räthe,
der Districts-Räthe und der Municipal-Räthe sollen alle zwei Jahre zur Hälfte
erneuert werden.
Zehnter Titel.
Art. 39 Es
soll in jedem Departement ein Departements-Collegium gebildet werden.
Art. 40 Die
Zahl der Mitglieder der Departements-Collegien soll durch die Zahl der Bewohner
des Departement bestimmt werden, so daß ein Mitglied auf tausend Bewohner
desselben kommt; doch darf die Zahl der Mitglieder nicht unter zweihundert
seyn.
Art. 41 Die Mitglieder der
Departements-Collegien sollen vom Könige ernannt und folgendermaßen gewählt
werde, nämlich:
Vier Sechstel unter den sechs hundert
Höchst-Besteurten des Departement, ein Sechstel unter den reichsten Kaufleuten
und Fabrikanten, und ein Sechstel unter den ausgezeichnetesten Gelehrten und
Künstlern, und unter den Bürgern, welche sich am meißten um den Staat verdient
gemacht haben.
Art. 42 Es kann niemand, der nicht volle 21
Jahre alt ist, zum Mitgliede eines Departement-Collegium ernannt werden.
Art. 43 Das
Amt der Mitglieder der Departements-Collegien ist lebenslänglich; es kann keins
derselben dessen anders, als durch einen Urtheilspruch, entsetzt werden.
Art. 44 Die Departements-Collegien sollen die
Mitglieder der Stände ernennen, und dem Könige Candidaten für die Stellen der
Friedensrichter, Departements-, Districts-, und MunicipalRäthe vorschlagen.
Für jede zu machende Ernennung sollen zwey
Candidaten vorgeschlagen werden.
Elfter Titel.
Art. 45 Der Codex Napoleon soll vom ersten
Januar 1808 an, das bürgerliche Gesetzbuch des Königreichs Westphalen seyn.
Art. 46 Das
gerichtliche Verfahren soll öffentlich seyn, und in peinlichen Fällen sollen die
Geschwornen-Gerichte statt haben. Diese neue peinliche Jurisprudenz soll
spätestens bis zum ersten Julius 1808 eingeführt seyn.
Art. 47 In jedem Cantone soll ein
Friedensgericht, in jedem Districte ein Civil-Gericht erster Instanz, und in
jedem Departemente ein peinlicher Gerichtshof, und für das ganze Königreich ein
einziger Appellations-Gerichtshof seyn.
Art. 48 Die Friedensrichter sollen vier Jahre
lang im Amte bleiben und sollen zugleich darauf wieder gewählt werden können,
wenn sie als Candidaten von den Departements-Collegien vorgeschlagen worden.
Art. 49 Der richterliche Stand ist unabhängig.
Art. 50 Die
Richter werden vom Könige ernannt.
Ernennungen auf Lebenszeit sollen sie erst
erhalten, wenn man, nachdem sie ihr Amt fünf Jahre lang werden verwaltet haben,
überzeugt seyn wird, dass sie in ihren Aemtern beyhehalten zu werden verdienen.
Art. 51 Das
Appellationsgericht kann auf die Denunciation des königlichen Prokurators
sowohl, als auf jene eines seiner Präsidenten, vom Könige die Absetzung eines
Richters begehren, welchen es in der Ausübung seiner Amtsverrichtungen einer
Verletzung seiner Pflichten für schuldig hält.
In diesem einzigen Falle soll die Amtsentsetzung
eines Richters vom Könige ausgesprochen werden.
Art. 52 Die Urtheile der Gerichtshöfe und
Tribunale werden im Namen des Königs ausgesprochen.
Er allein kann Gnade ertheilen, die Strafe
erlassen oder mildern.
Zwölfter Titel.
Art. 53 Die Militair-Conscription soll
Grundgesetz des Königreichs Westphalen seyn. Es dürfen keine Werbungen für Geld
statt haben.
Dreyzehnter Titel.
Art. 54 Gegenwärtige Constitution soll durch
königliche, im Staatsrathe discutirte Verordnungen ergänzt werden.
Art. 55 Die Gesetze und Verwaltungs-Verordnungen
sollen im Gesetz-Bulletin bekannt gemacht werden und haben zu ihrer
Verbindlichkeit keiner anderweiten Publications-Formalität nöthig.
Gegeben in Unserm Pallaste zu Fontainebleau, am
l5ten Tage des Monats November des Jahrs 1807.
Unterschrieben: Napoleon.
Auf Befehl des Kaisers,
der Minister Staats-Secretaire, Hugo B. Maret.