Reichsgesetzblatt
für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder.
XLII.
Stück. – Ausgegeben und versendet am 30. Juni 1873.
(397)
119. Gesetz vom 23. Mai 1873, betreffend die Einführung einer
Strafproceß-Ordnung.
Mit
Zustimmung beider Häuser des Reichsrathes finde Ich anzuordnen, wie folgt:
Art.
I. Die nachfolgende Strafproceßordnung tritt mit dem Ablaufe von sechs Monaten
nach der Kundmachung bei allen Civilgerichten als alleinige Vorschrift für das
Verfahren wegen Verbrechen, Vergehen und aller anderen den Gerichten zur
Aburtheilung zugewiesenen Strafbaren Handlungen in Wirksamkeit.
Art.
II. Nach Beginn der Wirksamkeit dieser Strafproceßordnung können die bisherigen
Gesetze über das Strafverfahren nur nach Maßgabe der folgenden Artikel
Anwendung finden.
Art.
III. Wenn ein Einstellungs- oder Anklagebeschluß oder ein Enderkenntniß vor
Beginn der Wirksamkeit dieser Strafproceßordnung ergangen ist, so entscheiden
die Gerichtshöfe zweiter Instanz und der oberste Gerichtshof über die dagegen
ergriffenen Rechtsmittel nach den bisherigen Gesetzen.
Art.
IV. Wenn in Folge eines vor dem erwähnten Zeitpunkte nach §. 200 der
Strafproceßordnung vom 29. Juli 1853 gefällten Anklagebeschlusses eine
Schlußverhandlung stattzufinden hat, so sind für diese und für das nachfolgende
Verfahren die bisherigen Gesetze maßgebend.
Wäre
jedoch später auf Grund des §§. 220 und 251 der Strafproceßordnung vom 29. Juli
1853 ein neuer Anklagebeschluß zu fällen, so richtet sich das weitere Verfahren
nach dem neuen Gesetze.
In
Preßsachen ist, wenn die Hauptverhandlung nach §. 12 des Gesetzes vom 9. März
1869, Nr. 32 R. G. Bl., bereits angeordnet ist, nach den bisherigen Gesetzen,
sonst aber nach der gegenwärtigen Strafproceßordnung weiter zu verhandeln.
Art.
V. Die Statthaftigkeit der Wiederaufnahme des Strafverfahrens und der
Verfolgung wegen einer neu hervorgekommenen strafbaren Handlung ist nur dann
nach dieser Strafproceßordnung zu beurtheilen, wenn nicht das ältere Gesetz,
nach welchem das frühere Verfahren zu Ende geführt wurde, dem Beschuldigten
günstiger ist.
(398)
Die Zuständigkeit zur Entscheidung über die Wiederaufnahme kommt jenen
Gerichten zu, welche an die Stelle der bisherigen Strafgerichte treten.
Das
wiederaufgenommene Verfahren dagegen ist nach dieser Strafproceßordnung zu
führen und kommt den nach derselben zuständigen Gerichten zu.
Art.
VI. Vom Beginne der Wirksamkeit der gegenwärtigen Strafproceßordnung gehört vor
die Geschwornengerichte die Hauptverhandlung über alle Anklagen:
A.
wegen der durch den Inhalt einer Druckschrift verübten Verbrechen und Vergehen,
B.
wegen nachbenannter Verbrechen und Vergehen:
1.
Hochverrath (§§. 58-61 des Strafgesetzes vom 27. Mai 1852, R. G. Bl. Nr. 117
und Art. I des Gesetzes vom 17. December 1862, R. G. Bl. v. J. 1863 Nr. 8);
2.
Störung der öffentlichen Ruhe (§§. 65 und 66 St. G. und Art. II des Gesetzes
vom 17. December 1862 R. G. Bl. v. J. 1863 Nr. 8);
3.
Aufstand und Aufruhr (§§. 68-73 und 75);
4.
Oeffentliche Gewaltthätigkeit:
a)
durch gewaltsames Handeln gegen eine von der Regierung zur Verhandlung
öffentlicher Angelegenheiten berufenen Versammlung, gegen ein Gericht oder eine
andere öffentliche Behörde (§§. 76, 77 und 80);
b)
durch gewaltsames Handeln gegen gesetzlich anerkannte Körperschaften oder gegen
Versammlungen, die unter Mitwirkung oder Aufsicht einer öffentlichen Behörde
gehalten werden (§§. 78, 79 und 80);
c)
durch boshafte Beschädigung fremden Eigenthums (§§. 85 und 86), oder durch
andere boshafte Handlungen oder Unterlassung unter besonders gefährlichen
Verhältnissen (§§. 87 und 88); jedoch in allen diesen Fällen nur dann, wenn
entweder einer der im §. 86, Abs. 2 St. G., bezeichneten Umstände eingetreten
ist, oder wenn in Fällen des §. 85, lit. b) und c) und des §. 87 in der
Anklageschrift ausdrücklich beantragt ist, wegen der Größe der Bosheit oder
Gefahr auf eine mehr als fünfjährige Kerkerstrafe zu erkennen;
d)
durch Menschenraub (§§. 90 und 91);
e)
durch Betreibung eines fortgesetzten Verkehrs mit Sclaven (Schlußabsatz des §.
95);
f)
durch Entführung (§§. 96 und 97), jedoch nur dann, wenn nach dem Gesetze
mindestens auf fünfjährige Kerkerstrafe zu erkennen ist;
5.
Mißbrauch der Amtsgewalt (§§. 101-103);
6.
Verfälschung der öffentlichen Creditpapiere (§§. 106-117);
7.
Münzverfälschung (§§. 118-121);
8.
Religionsstörung (§§. 122 und 123), jedoch nur dann, wenn in der Anklageschrift
ausdrücklich beantragt ist, nach Maßgabe des §. 123 wegen großer Bosheit oder
Gefährlichkeit auf eine mehr als fünfjährige Kerkerstrafe zu erkennen;
9.
Nothzucht (§§. 125-127);
10.
Schändung (§. 128), wenn eine der im §. 126 St. G. erwähnten Folgen eingetreten
ist, oder in der Anklageschrift ausdrücklich beantragt ist, wegen sehr
erschwerender Umstände auf eine mehr als fünfjährige Kerkerstrafe zu erkennen;
11.
Unzucht wider die Natur (§. 129), jedoch nur unter den im §. 130, Abs. 2,
bezeichneten Umständen;
12.
Mord und Todtschlag (§§. 134-143);
13.
Abtreibung der Leibesfrucht wider Wissen und Willen der Mutter (§. 147 und
148), wenn nach dem Gesetze auf Kerkerstrafe zwischen fünf und zehn Jahren zu
erkennen ist;
14.
Weglegung eines Kindes (§§. 149 und 150), wenn nach dem Gesetze auf
Kerkerstrafe zwischen fünf und zehn Jahren zu erkennen ist;
(399)
15. schwere körperliche Beschädigung (§§. 152 bis 157), wenn nach dem Gesetze
auf Kerkerstrafe zwischen fünf und zehn Jahren zu erkennen ist;
16.
Zweikampf (§§. 158-162), wenn nach dem Gesetze mindestens auf fünfjährige
Kerkerstrafe zu erkennen ist;
17.
Brandlegung (§§. 166-169), wenn nach dem Gesetze mindestens auf fünfjährige
Kerkerstrafe zu erkennen ist;
18.
Diebstahl (§§. 171-176), wenn nach dem §. 179 auf Kerkerstrafe zwischen fünf
und zehn Jahren zu erkennen ist;
19.
Veruntreuung (§§. 181-184), wenn nach dem Gesetze mindestens auf fünfjährige
Kerkerstrafe zu erkennen ist oder in der Anklageschrift auf Grund des §. 184
St. G. beantragt wird, wegen besonders erschwerender Umstände auf eine mehr als
fünfjährige Kerkerstrafe zu erkennen;
20.
Raub (§§. 190-195);
21.
Betrug (§§. 170, 197 bis 204), wenn nach dem Gesetze mindestens auf fünfjährige
Kerkerstrafe zu erkennen ist;
22.
Verleumdung (§§. 209 und 210), wenn in der Anklageschrift einer der im §. 210,
lit. a)-c) bezeichneten Umstände angegeben und deßhalb beantragt wird, auf eine
mehr als fünfjährige Kerkerstrafe zu erkennen;
23.
Verbrechern geleisteter Vorschub, jedoch nur in dem Falle, wenn nach §. 218 auf
Kerkerstrafe zwischen fünf und zehn Jahren zu erkennen ist;
24.
Herabwürdigung der Verfügungen der Behörden und Aufwiegelung (§. 300 St. G. und
Art. III und IV des Gesetzes vom 17. December 1862, Nr. 8 R. G. Bl. v. J.
1863);
25.
Aufreizung zu Feindseligkeiten (§. 302 St. G.).
Wegen
jener Verbrechen, bei welchen nach den vorstehenden Bestimmungen die
Zuständigkeit des Geschwornengerichtes nicht eintritt, darf das erkennende
Gericht in keinem Falle eine mehr als fünfjährige Kerkerstrafe verhängen.
Art.
VII. Wenn auf verfassungsmäßig zulässige Weise in einem bestimmten Gebiete die
Wirksamkeit der Geschwornengerichte zeitweilig eingestellt wird, so finden
rücksichtlich der Hauptverhandlung und der Rechtsmittel gegen die in derselben
gefällten Urtheile die Bestimmungen des XVIII. Hauptstückes, dann des §. 338,
Abs. 2 und 3 und der §§. 339 und 341 der Strafproceßordnung Anwendung.
Art.
VIII. Hinsichtlich aller im Strafgesetze vom 27. Mai 1852 vorgesehenen, sowie
aller anderen ausdrücklich den Gerichten zur Aburtheilung zugewiesenen
Uebertretungen steht das Verfahren und die Urtheilsfällung den Bezirksgerichten
zu.
Art.
IX. Der Minister der Justiz ist mit der Vollziehung dieses Gesetzes beauftragt.
Derselbe hat im Einvernehmen mit dem Minister des Innern die hiezu
erforderlichen Verordnungen zu erlassen.
Wien,
am 23. Mai 1873
Franz
Joseph m. p.
Auersperg
m. p.
Glaser
m. p.
(400)
Strafproceß-Ordnung.
1.
Hauptstück.
Allgemeine
Bestimmungen.
§.
1. Eine Bestrafung wegen der den Gerichten zur Aburtheilung zugewiesenen
Handlungen kann nur nach vorgängigem Strafverfahren in Gemäßheit der
Strafproceßordnung und in Folge eines von dem zuständigen Richter gefällten
Urtheiles erfolgen.
§.
2. Die gerichtliche Verfolgung der strafbaren Handlungen tritt nur auf Antrag
eines Anklägers ein.
Wegen
Handlungen, die nach den Strafgesetzen nur auf Begehren eines Betheiligten
verfolgt werden können, kommt diesem die Anstellung der Privatanklage zu.
Alle
anderen strafbaren Handlungen sind Gegenstand der öffentlichen Anklage, deren
Erhebung zunächst der Staatsanwaltschaft zukommt, statt derselben aber nach
Maßgabe dieser Strafproceßordnung von dem Privatbetheiligten übernommen werden
kann. (§. 48.)
Die
öffentliche Anklage erlischt, sobald der Kaiser anordnet, daß wegen einer
strafbaren Handlung ein strafgerichtliches Verfahren nicht eingeleitet oder das
eingeleitete wieder eingestellt werden soll.
§.
3. Alle in dem Strafverfahren thätigen Behörden haben die zur Belastung und die
zur Vertheidigung des Beschuldigten dienenden Umstände mit gleicher Sorgfalt zu
berücksichtigen, und sie sind verpflichtet, den Beschuldigten auch, wo es nicht
ausdrücklich vorgeschrieben ist, über seine Rechte zu belehren.
§.
4. Privatrechtliche Ansprüche aus strafbaren Handlungen sind auf Antrag des
Beschädigten im Strafverfahren mit zu erledigen, wenn nicht die Nothwendigkeit
weiterer Ausführung eine Verweisung derselben vor die Civilgerichte als
unerläßlich erscheinen läßt.
§.
5. Die strafgerichtliche Untersuchung und Beurtheilung erstreckt sich auch auf
die privatrechtlichen Vorfragen.
An
das über eine solche ergangene Erkenntniß des Civilrichters ist der
Strafrichter, soweit es sich um die Beurtheilung der Strafbarkeit des
Beschuldigten handelt, nicht gebunden.
Nur
wenn die Vorfrage die Giltigkeit einer Ehe betrifft, ist das Erkenntniß des
hiefür zuständigen Civilrichters der strafgerichtlichen Entscheidung zu Grunde
zu legen. Ist ein solches Erkenntniß noch nicht ergangen, die Verhandlung aber
bereits anhängig, oder hat der Strafrichter selbst eine solche veranlaßt, weil
sich Thatsachen ergaben, welche ein von Amtswegen zu berücksichtigendes
Ehehinderniß begründen: so ist die Entscheidung des zuständigen Civilrichters
abzuwarten und nöthigenfalls auf deren Beschleunigung zu dringen.
§.
6. Die in diesem Gesetze anberaumten Fristen können, wenn das Gegentheil nicht
ausdrücklich verfügt ist, nicht verlängert werden. Wenn dieselben von einem
bestimmten Tage an zu laufen haben, sind sie so zu berechnen, daß dieser Tag
nicht mit mitgezählt wird. Sonn- und Feiertage, sowie diejenigen Tage, während
welcher eine für das Gericht bestimmte Schrift sich auf dem Wege befand, werden
eingerechnet.
§.
7. Die in diesem Gesetze ausgesprochenen Geldstrafen, welche von dem Straffälligen
nicht eingebracht werden können, sind in Arreststrafen von je einem Tag für
fünf Gulden umzuwandeln. Nach demselben Maßstabe sind Geldstrafen auf Ansuchen
des Straffälligen in
(401)
Arrest umzuwandeln, wenn dieselben seinen Vermögensumständen oder seinem
Unterhaltserwerbe zum empfindlichen Abbruche gereichen würden. Alle Geldstrafen
sind zur Unterstützung dürftiger Gefangener bei ihrer Entlassung aus der Haft,
insbesondere zum Zwecke ihrer Unterbringung in einem ehrlichen Erwerbe, zu
verwenden. Die Regelung dieser Verwendung erfolgt auf dem Verordnungswege.
II.
Hauptstück.
Von
den Gerichten.
§.
8. zur Gerichtsbarkeit in Strafsachen sind berufen:
1.
die Bezirksgerichte,
2.
die Gerichtshöfe erster Instanz,
3.
die Geschwornengerichte,
4.
die Gerichtshöfe zweiter Instanz,
5.
der oberste Gerichtshof als Cassationshof.
Die
Gerichtsbarkeit eines jeden Strafgerichtes erstreckt sich auf dessen ganzen
Bezirk und umfaßt alle darin befindlichen Personen, hinsichtlich welcher nicht
in dem gegenwärtigen Gesetze eine Ausnahme ausdrücklich angeordnet ist.
Jedermann ist schuldig, auf die an ihn ergangene Vorforderung vor dem
Strafgerichte zu erscheinen, demselben Rede und Antwort zu geben und seinen
Verfügungen zu gehorchen.
I.
Bezirksgerichte.
§.
9. Den Bezirksgerichten als Einzelgerichten liegt ob:
1.
das Strafverfahren rücksichtlich der ihnen durch das Einführungsgesetz zur
Aburtheilung zugewiesenen Uebertretungen;
2.
die Mitwirkung bei Vorerhebungen und Voruntersuchungen wegen Verbrechen und
Vergehen in Gemäßheit dieser Strafproceßordnung.
Sind
in derselben Stadt mehrere Bezirksgerichte aufgestellt, so wird die
Gerichtsbarkeit in Strafsachen ausschließlich von demjenigen oder denjenigen
derselben ausgeübt, welche durch besondere Verordnungen hiezu bestimmt werden.
II.
Gerichtshöfe erster Instanz.
§.
10. Die Gerichtshöfe erster Instanz üben ihre Gerichtsbarkeit aus:
1.
als Untersuchungsgerichte (§. 11);
2.
als Rathskammern über Vorerhebungen und Voruntersuchungen (§. 12);
3.
als Erkenntnißgerichte (§. 13, Z. 1);
4.
als Berufungsgerichte in Uebertretungsfällen (§. 13, Z. 2).
§.
11. Bei jedem Gerichtshofe erster Instanz werden ein oder mehrer Mitglieder
desselben als Untersuchungsrichter bestellt.
Dem
Untersuchungsrichter liegt die Voruntersuchung wegen aller Verbrechen und Vergehen
ob.
§.
12. Eine Abtheilung des Gerichtshofes erster Instanz führt als Rathskammer die
Aufsicht über alle nach Maßgabe des §. 9, Z. 2, und des §. 11 in seinem
Sprengel fallenden Voruntersuchungen und Vorerhebungen und nimmt auf dieselben
den in dieser Strafproceßordnung ihr zugewiesenen Einfluß.
Die
Rathskammer kann in einzelnen Fällen nach Anhörung des Anklägers die dem
Untersuchungsrichter zukommende Vornahme von Vorerhebungen oder die
Voruntersuchung
(402)
wegen Verbrechen und Vergehen, und zwar ganz oder theilweise, an ein im
Sprengel des Gerichtshofes gelegenes Bezirksgericht übertragen. Sie kann jedoch
diese Geschäfte jederzeit wieder an sich ziehen und ist dazu verpflichtet,
sobald es den Anklägern oder der Beschuldigte beantragt.
Die
Rathskammer faßt ihre Beschlüsse in Versammlungen von drei Richtern.
§.
13. Den Gerichtshöfen erster Instanz liegt ob:
1.
die Hauptverhandlung in Entscheidung hinsichtlich aller nicht vor die
Geschwornengerichte gehörige Verbrechen und Vergehen;
2.
die Verhandlung und Entscheidung über Rechtsmittel, welche gegen die
Erkenntnisse und Verfügungen der Bezirksgerichte in Uebertretungsfällen
ergriffen werden.
In
beiden Fällen (1 und 2) üben sie ihre Thätigkeit in Versammlungen von vier
Richtern.
In
allen Fällen, wo nach dieser Strafproceßordnung vom Gerichtshofe erster Instanz
im Verfahren wegen eines Verbrechens oder Vergehens außerhalb der
Hauptverhandlung ein Beschluß zu fassen ist, erfolgt derselbe, soweit nicht
etwas Anderes ausdrücklich vorgeschrieben ist, in einer Versammlung von drei
Richtern.
III.
Geschwornengerichte.
§.
14. Den nach Vorschrift des XIX. Hauptstückes zusammenzusetzenden
Geschwornengerichten kommt die Hauptverhandlung und Entscheidung über die durch
das Einführungsgesetz ihnen zugewiesenen Verbrechen und Vergehen zu.
IV.
Gerichtshöfe zweiter Instanz.
§.
15. Die Gerichtshöfe zweiter Instanz entscheiden über Beschwerden gegen
Beschlüsse der Rathskammer (§. 114), über Einsprüche gegen die Versetzung in
den Anklagestand und über die nach Maßgabe der §§. 283 und 345 zulässigen
Berufungen; sie haben ferner die Aufsicht über die Wirksamkeit der
Strafgerichte ihres Sprengels zu führen und über die Beschwerden gegen
dieselben zu entscheiden, soweit nicht der Rechtszug ausdrücklich untersagt
oder anders geordnet ist. Die Gerichtshöfe zweiter Instanz fassen ihre
Beschlüsse in Versammlungen von fünf Richtern.
V.
Oberster Gerichtshof als Cassationshof.
§.
16. Der oberste Gerichtshof hat als Cassationshof über alle in dieser
Strafproceßordnung für zufällig erklärten Nichtigkeitsbeschwerden zu
entscheiden.
Er
faßt seine Beschlüsse in Versammlungen von sieben Richtern.
VI.
Zusammensetzung und Abstimmung der Richtercollegien.
§.
17. Bei Entscheidungen in Strafsachen darf die Zahl der Stimmführer der
Richtercollegien mit Einschluß des Vorsitzenden weder größer noch kleiner sein,
als sie in den §§. 12. bis 16 festgesetzt ist.
§.
18. Diejenigen Abtheilungen (Senate) der Gerichtshöfe, welche zu den in den §§.
12, 13 (Z. 1 und 2) und 15 bezeichneten Verhandlungen und Entscheidungen in
Strafsachen bestimmt sind, müssen von den Vorstehern dieser Gerichte am Anfange
eines jeden Jahres für die Dauer desselben bleibend zusammengesetzt werden,
wobei zugleich für jede dieser Gerichtsabtheilungen die Ersatzmänner sowohl für
die Vorsitzenden, als für die Mitglieder und die Reihe ihres Eintrittes
bleibend zu bestimmen sind. Ist durch Veränderungen in dem Personalstande eines
Gerichtshofes der Bestand einer oder mehrer dieser (ständigen)
Gerichtsabtheilungen unmöglich geworden, so ist dem Gerichtsvorsteher
gestattet, die unerläßlichen
(403)
Veränderungen in der Zusammensetzung dieser Abtheilungen für den Rest des
Jahres vorzunehmen.
§.
19. Bei allen Richtercollegien geht der Abstimmung eine Berathung voraus. Der
Berichterstatter, wenn ein solcher nach dem Gesetze bestellt ist, gibt seine
Stimme zuerst, der Vorsitzende, welcher sich an der Abstimmung gleich jedem
anderen Richter zu betheiligen hat, gibt die seine zuletzt ab. Außerdem stimmen
die dem Dienstrange nach älteren Richter vor den jüngeren.
§.
20. Wo das Gesetz nicht etwas Anderes ausdrücklich anordnet, wird zu jedem
Beschlusse absolute Stimmenmehrheit, d. i. mehr als die Hälfte sämmtlicher
Stimmen erfordert.
Theilen
sich die Stimmen im mehr als zwei verschiedene Meinungen, so daß keine dieser
Meinungen die erforderliche Mehrheit für sich hat, so versucht der Vorsitzende,
ob sich durch Theilung der Fragen und Wiederholung der Umfrage, eine absolute
Mehrheit erzielen lasse. Bleibt dieser Versuch erfolglos, so werden die dem
Beschuldigten nachtheiligsten Stimmen den zunächst minder nachtheiligen solange
zugezählt, bis sich eine absolute Stimmenmehrheit ergibt.
Bei
Stimmengleichheit ist der Beschluß in jedem Falle nach der dem Angeklagten
günstigeren Meinung zu fallen.
Entsteht
eine Verschiedenheit der Ansichten darüber, welche von zwei Meinungen für den
Beschuldigten minder nachtheilig sei, so ist darüber, als über eine Vorfrage,
besonders abzustimmen. Sind bei dieser Abstimmung die Meinungen gleich
getheilt, so gibt für die Vorfrage die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.
§.
21. Ueber die Zuständigkeit des Gerichtes, über die Nothwendigkeit von
Ergänzungen des Verfahrens und andere Vorfragen muß immer zuerst abgestimmt
werden. Entscheidet sich die Mehrheit der Stimmen dahin, daß ungeachtet der
über die Vorfrage erhobenen Zweifel zur Hauptentscheidung zu schreiten sei, so
sind auch die in der Minderheit gebliebenen Richter verpflichtet, über die
Hauptsache mit abzustimmen.
§.
22. Bei der Entscheidung der Hauptsache ist die Frage, ob der Angeklagte der
ihm zur Last gelegten Handlung schuldig sei, immer von der Frage über die
Strafe zu sondern und vor dieser Frage zur Abstimmung zu bringen. Liegen dem
Angeklagten mehrere strafbare Handlungen zur Last, so muß rücksichtlich jeder
einzelnen That ein eigener Beschluß über die Schuld oder Nichtschuld des
Angeklagten gefaßt werden. Die Berathschlagung über die Strafe hat sich auf
jene strafbaren Handlungen zu beschränken, deren der Angeklagte für schuldig
erklärt worden ist. Hiebei steht es den Richtern, welche den Angeklagten wegen
einer ihm zur Last gelegten strafbaren Handlung nicht schuldig gefunden haben,
frei, auf Grund des über die Schuldfrage gefaßten Beschlusses ihre Stimme über
die Strafe abzugeben oder sich der Abstimmung zu enthalten. In letzterem Falle
sind ihre Stimmen so zu zählen, als ob sie der für den Angeklagten günstigeren
unter den von den übrigen Stimmführern ausgesprochenen Meinungen beigetreten
wären.
VII.
Nebenpersonen bei den Gerichten.
§.
23. Jeder Gerichtssitzung muß ein Schriftführer beiwohnen und das Protokoll
darüber aufnehmen. Sowohl diese Schriftführer, als die zur Führung der
Protokolle bei Vorerhebungen und Voruntersuchungen wegen Verbrechen und
Vergehen zu verwendenden Personen müssen zur Führung der Protokolle beeidigt
sein.
VIII.
Verhältniß der Strafgerichte zu anderen Behörden.
§.
24. Die Sicherheitsbehörden, unter welchen auch die Gemeindevorsteher begriffen
sind, haben allen Verbrechen und Vergehen, soferne sie nicht blos auf Begehren
eines Betheiligten
(404)
untersucht werden, nachzuforschen, und wenn das unverzügliche Einschreiten des
Untersuchungsrichters nicht erwirkt werden kann, die keinen Aufschub
gestattenden vorbereitenden Anordnungen zu treffen, welche zur Aufklärung der
Sache dienen, oder die Beseitigung der Spuren der strafbaren Handlung oder die
Flucht des Thäters verhüten können. Hausdurchsuchungen und die vorläufige
Verwahrung von Personen dürfen die Sicherheitsbehörden und deren Organe zum
Zwecke der Strafgerichtspflege nur in den in dieser Strafproceßordnung
vorgesehenen Fällen unaufgefordert vornehmen, und sie haben von ihrem
Einschreiten und dessen Ergebnisse dem zuständigen Staatsanwalte oder
Untersuchungsrichter sogleich Mittheilung zu machen.
§.
25. Es ist den Sicherheitsorganen, sowie allen öffentlichen Beamten und Dienern
bei strengster Ahndung untersagt, auf die Gewinnung von Verdachtsgründen oder
auf die Ueberführung eines Verdächtigen dadurch hinzuwirken, daß derselbe zur
Unternehmung, Fortsetzung oder Vollendung einer strafbaren Handlung verleitet
oder durch insgeheim bestellte Personen zu Geständnissen, welche sodann dem
Gerichte hinterbracht werden sollen, verlockt wird.
§.
26. Die Strafgerichte sind in Allem, was zu ihrem Verfahren gehört, berechtigt,
mit allen Staats-, Landes- und Gemeindebehörden der im Reichsrathe vertretenen
Länder unmittelbares Vernehmen durch Ersuchschreiben zu pflegen. Alle Staats-,
Landes- und Gemeindebehörden sind verbunden, den Strafgerichten hilfreiche Hand
zu bieten und den an sie gelangten Ersuchen derselben mit möglichster
Beschleunigung zu entsprechen, oder den Strafgerichten die entgegenstehenden
Hindernisse sogleich anzuzeigen. Auch mit den kön. ungarischen Behörden, sowie
mit denen fremder Staaten können die Strafgerichte in unmittelbaren Verkehr
treten, soferne darüber nicht durch besondere Vorschriften etwa Anderes
festgesetzt ist.
§.
27. Bemerkt ein Strafgericht eine Nachlässigkeit oder Verzögerung in Erfüllung
eines von ihm an eine andere Behörde gerichteten Ersuchens, so hat es diesen
Umstand entweder zur Kenntniß der der letzteren zunächst vorgesetzten Behörde
zu bringen oder dem Gerichtshofe zweiter Instanz, zu dessen Sprengel es gehört,
die Anzeige zu erstatten, damit im geeigneten Wege Abhilfe verschafft werde.
Sollte das Strafgericht diese Pflicht außer Acht lassen, so kann ihm die
Saumseligkeit einer anderen Behörde zu keiner Entschuldigung dienen.
Vorstehende
Vorschrift findet insbesondere auch dann Anwendung, wenn die Staatsanwaltschaft
in jenen Fällen, wo sie nach dem Gesetze verpflichtet ist, innerhalb einer
bestimmten Frist eine Erklärung oder einen Antrag einzubringen, dieser Pflicht
nicht pünktlich nachkommt.
§.
28. Die Strafgerichte sind befugt, erforderlichen Falles die bewaffnete Macht
unmittelbar, ohne Dazwischenkunft einer anderen Behörde, zum Beistande
aufzufordern.
III.
Hauptstück.
Von
der Staatsanwaltschaft.
§.
29. Bei jedem Gerichtshofe erster Instanz wird ein Staatsanwalt, bei jedem
Gerichtshofe zweiter Instanz ein Oberstaatsanwalt und bei dem obersten
Gerichtshofe als Cassationshofe ein Generalprocurator mit der erforderlichen
Anzahl von Stellvertretern bestellt. Die Stellvertreter der Staatsanwälte und
Oberstaatsanwälte, sowie des Generalprocurators sind, wo sie für die letzteren
auftreten, zu allen Amtshandlungen derselben gesetzlich berechtigt.
(405)
§. 30. Die Mitglieder der Staatsanwaltschaft haben in dem ihnen angewiesenen
Wirkungskreise das Interesse des Staates zu wahren; sie sind in ihren
Amtsverrichtungen unabhängig von den Gerichten, bei welchen sie bestellt sind.
Die
Staatsanwälte bei den Gerichtshöfen erster Instanz sind den Oberstaatsanwälten
bei den Gerichtshöfen zweiter Instanz und diese, sowie der Generalprocurator am
Cassationshofe, dem Justizminister unmittelbar untergeordnet.
§.
31. Zu dem Geschäftskreise des Staatsanwaltes bei dem Gerichtshofe erster
Instanz gehört die Betheiligung an allen dem letzteren zustehenden
Vorerhebungen, Voruntersuchungen und Hauptverhandlungen wegen Verbrechen und
Vergehen, sowie an den beim Gerichtshofe erster Instanz stattfindenden Berufungsverhandlungen
über Entscheidungen der Bezirksgerichte und bei den im Sprengel des
Gerichtshofes erster Instanz abzuhaltenden Sitzungen des Geschwornengerichtes.
Er ist befugt, sich auch bei den vor die Bezirksgerichte gehörigen
Verhandlungen persönlich oder durch einen Stellvertreter zu betheiligen.
Er
hat über die erledigten, sowie über die noch anhängigen Strafsachen und den
Stand der letzteren dem Oberstaatsanwalte monatlich Bericht zu erstatten.
An
denselben hat er auch in zweifelhaften Fällen, wenn es sich um die Einleitung
oder Einstellung einer Untersuchung oder auch nur um einzelne wichtige
Untersuchungsschritte handelt, zu berichten und dessen Weisungen zu befolgen.
§.
32. Der Oberstaatsanwalt bei dem Gerichtshofe zweiter Instanz hat sein Amt bei
den vor diesem Gerichte vorkommenden Verhandlungen auszuüben.
Außerdem
steht ihm die Aufsicht über alle im Sprengel des letzteren bei den
Gerichtshöfen erster Instanz und bei den Bezirksgerichten bestellten Organen
der Staatsanwaltschaft zu. Er ist berechtigt, sich bei jeder zu deren
Geschäftskreise gehörigen Strafsache persönlich oder durch einen Stellvertreter
zu betheiligen.
§.
33. Die Verhandlungen vor dem Cassationshofe gehören in den Geschäftskreis des
bei demselben angestellten Generalprocurators oder seiner Stellvertreter.
Der
Generalprocurator am Cassationshofe kann von Amtswegen oder im Auftrage des
Justizministers gegen Urtheile der Strafgerichte, welche auf einer Verletzung
oder unrichtigen Anwendung des Gesetzes beruhen, sowie gegen jeden gesetzwidrigen
Beschluß oder Vorgang eines Strafgerichtes, welcher zu seiner Kenntniß gelang,
eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes, und zwar auch dann noch
erheben, wenn der Angeklagte oder der Ankläger in der gesetzlichen Frist von
dem Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde keinen Gebrauch gemacht hat. Den
Staatsanwälten liegt ob, diejenigen Fälle, welche sie zu einer solchen
Nichtigkeitsbeschwerde für geeignet halten, den Oberstaatsanwälten vorzulegen,
welche zu beurtheilen haben, ob dieselben dem Generalprocurator am
Cassationshofe anzuzeigen seien.
§.
34. Die Staatsanwälte haben alle strafbaren Handlungen, welche zu ihrer
Kenntniß kommen und nicht blos auf Begehren eines Betheiligten zu untersuchen
und zu bestrafen sind, von Amtswegen zu verfolgen und daher wegen deren
Untersuchung und Bestrafung durch das zuständige Gericht das Erforderliche zu
veranlassen.
Sie
haben darauf zu sehen, daß alle zur Erforschung der Wahrheit dienlichen Mittel
gehörig benützt werden. Sie sind befugt, jederzeit von dem Stande der
anhängigen Untersuchungen durch Einsicht der Acten Kenntniß zu nehmen oder
deren Mittheilung zu verlangen und die geeigneten Anträge zu stellen, ohne daß
jedoch das Strafverfahren dadurch aufgehalten werden darf. Nehmen sie Unregelmäßigkeiten
oder Verzögerungen wahr, so haben sie auf gesetzliche Weise deren Abstellung zu
veranlassen.
Auf
den Strafvollzug nehmen die Staatsanwälte den in dieser Strafproceßordnung
ihnen zugewiesenen Einfluß.
(406)
§. 35. Die Staatsanwälte stellen ihre Anträge mündlich oder schriftlich, und es
muß über jeden derselben eine richterliche Verfügung oder Beschlußnahme
erfolgen. In gleicher Weise geben sie über Anträge des Beschuldigten oder über
Anfragen des Gerichtes Erklärungen ab.
Sie
können der Berathung des Gerichtshofes beiwohnen, soferne dieselbe nicht eine
Entscheidung, die in der Hauptverhandlung oder bei dem über eine Berufung oder
Nichtigkeitsbeschwerde angeordneten Gerichtstage zu fällen ist, zum Gegenstande
hat; sie haben jedoch kein Recht, bei der Abstimmung und Beschlußfassung
anwesend zu sein.
§.
36. Die Staatsanwälte sind befugt, sich in unmittelbare Verbindung mit
Sicherheits- oder anderen Staats-, Landes- oder Gemeindebehörden zu setzen und
deren Unterstützung in Anspruch zu nehmen, sowie auch erforderlichen Falles die
bewaffnete Macht, ohne Dazwischenkunft einer anderen Behörde, zum Beistande
aufzufordern. Die Sicherheitsbehörden und deren untergeordnete Diener haben
ihren Anordnungen Folge zu leisten.
§.
37. Der Generalprocurator am Cassationshofe und die Oberstaatsanwälte haben dem
Justizminister nach Ablauf jedes Jahres über die im Laufe desselben erledigten
und über die noch anhängigen Strafsachen, über den Zustand und Gang der
Rechtspflege, sowie über die wahngenommenen Gebrechen der Gesetzgebung und des
Geschäftsganges Bericht zu erstatten.
IV.
Hauptstück.
Von
dem Beschuldigten und seiner Vertheidigung.
§.
38. Derjenige, welchen der Verdacht einer strafbaren Handlung trifft, kann als
Beschuldigter erst dann angesehen werden, wenn gegen ihn die Anklageschrift
oder der Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung eingebracht wurde.
Als
Angeklagter ist Derjenige anzusehen, gegen welchen eine Hauptverhandlung
angeordnet worden ist.
Soweit
indeß die den Beschuldigten betreffenden Vorschriften dieses Gesetzes nicht als
ihrer Natur nach auf die Voruntersuchung beschränkt erscheinen, finden sie auch
auf den Angeklagten und auf Denjenigen Anwendung, welcher als einer strafbaren
Handlung verdächtig vernommen oder als solcher zur Vernehmung vorgeladen oder in
Verwahrung oder Haft genommen wurde.
§.
39. Der Beschuldigte kann sich in allen Strafsachen eines Vertheidigers
bedienen und dazu Jeden wählen, der in die Vertheidigerliste eines der im
Reichsrathe vertretenen Länder eingetragen ist.
Für
einen Minderjährigen oder Pflegebefohlenen kann der Vater, Vormund oder
Curator, selbst wider den Willen desselben, einen Vertheidiger bestellen.
Jeder
Gerichtshof zweiter Instanz hat für seinen Sprengel eine Vertheidigerliste
anzulegen, mit Anfang eines jeden Jahres zu erneuern und allen Strafgerichten
zuzustellen, bei welchen sie zu Jedermanns Einsicht offen zu halten ist. In
diese Liste sind vorerst alle im Sprengel des Gerichtshofes zweiter Instanz die
Advocatur wirklich ausübenden Advocaten aufzunehmen. Auf ihr Ansuchen sind aber
auch für das Richteramt, die Advocatur oder das Notariat geprüfte
Rechtsverständige, sowie alle Doctoren der Rechte, welche Mitglieder des
Lehrkörpers einer rechts- oder staatswissenschaftlichen Facultät sind,
aufzunehmen, soferne nicht Umstände vorliegen, welche nach dem Gesetze die
Ausschließung von dem Richteramte, der Advocatur oder dem Notariate zur Folge
haben. Wer sich durch die Ausschließung aus dieser Liste gekränkt erachtet,
kann darüber bei dem Justizminister Beschwerde führen.
(407)
Staatsbeamte können nur dann in die Vertheidigerliste aufgenommen werden, wenn
sie
die
Bewilligung ihrer vorgesetzten Dienstbehörde beibringen.
§.
40. Ausgeschlossen von der Vertheidigung bei der Hauptverhandlung sind
Diejenigen, welche als Zeugen zu derselben vorgeladen wurden. Inwieferne in dem
vorausgehenden Verfahren bestimmte Personen deßhalb von der Vertheidigung
auszuschließen seien, weil sie als Zeugen vernommen wurden oder weil ihre
Vorladung zur Hauptverhandlung beantragt ist, hat die Rathskammer zu
beurtheilen.
Dem
Beschuldigten ist auch gestattet, mehrere Vertheidiger beizuziehen; doch darf
hiedurch eine Vermehrung der für den Angeklagten in der Hauptverhandlung
gestatteten Vorträge nicht herbeigeführt werden.
§.
41. Bei der Mittheilung der Anklageschrift ist der Beschuldigte über sein
Recht, sich eines Vertheidigers zu bedienen, zu belehren.
Für
die Hauptverhandlung vor dem Geschwornengerichte ist dem Angeklagten ein
Vertheidiger von Amtswegen zu bestellen, wenn er sich eines solchen nicht bedienen
will.
Ist
ein Beschuldigter nach seinen dem Gerichte bekannten Verhältnissen nicht im
Stande, die Vertheidigungskosten aus Eigenem zu tragen, so ist ihm auf sein
Verlangen zur Ausführung bestimmter, von ihm angemeldeter Rechtsmittel, zur
Begründung des von ihm angemeldeten Einspruches gegen die Anklageschrift, sowie
für die Hauptverhandlung vom Gerichte ein Armenvertreter beizugeben.
§.
42. In allen Fällen, in welchen von dem Gerichte ein Vertheidiger zu bestellen
ist, hat es denselben soweit thunlich aus der Zahl der am Orte des Gerichtes
wohnhaften Vertheidiger (§. 39) zu nehmen.
An
Orten, wo sich ein Advocatenausschuß befindet, steht diesem die Benennung der
aus dem Stande der Advocaten und Advocaturscandidaten zu bestellenden
Vertheidiger zu.
Für mehrere
gleichzeitig Beschuldigte kann ein gemeinschaftlicher Vertheidiger bestellt
werden; doch ist auf Antrag eines der Beschuldigten oder des Vertheidigers und
selbst von Amtswegen für die abgesonderte Vertretung derjenigen Beschuldigten
Sorge zu tragen, bezüglich welcher sich ein Widerstreit der Interessen zeigt.
§.
43. Jeder in die Vertheidigerliste Eingetragene ist verpflichtet, in seinem
Wohnorte die ihm übertragenen Vertheidigungen zu übernehmen, soferne er nicht
für die Ablehnung Gründe geltend macht, über deren Erheblichkeit die
Rathskammer entscheidet.
Die
bei Gericht angestellten, zum Richteramte befähigten Beamten haben
Vertheidigungen, welche ihnen der Gerichtsvorsteher in Ermanglung anderer
Vertheidiger aufträgt, auch dann zu übernehmen, wenn sie nicht in die
Vertheidigerliste eingetragen sind.
§.
44. Der einmal bestellte Vertheidiger bedarf zur Vornahme einzelner
Proceßhandlungen keiner besonderen Vollmacht, selbst nicht zur Stellung des
Antrages auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens.
Der
Beschuldigte kann die Vertheidigung von dem durch ihn selbst gewählten
Vertheidiger jederzeit auf einen Anderen übertragen. Auch der Auftrag des von
Amtswegen bestellten Vertheidigers erlischt, sobald der Beschuldigte einen
anderen Vertheidiger bestellt. Doch darf in solchen Fällen durch den Wechsel in
der Person des Vertheidigers das Verfahren nicht aufgehalten werden.
§.
45. Auch während der Vorerhebungen und der Voruntersuchung kann der
Beschuldigte sich eines Rechtsbeistandes aus der Zahl der Vertheidiger zur
Wahrnehmung seiner Rechte bei jenen gerichtlichen Acten, welche unmittelbar die
Feststellung des Thatbestandes betreffen und eine spätere Wiederholung nicht
zulassen, sowie zur Ausführung bestimmter, von ihm angemeldeter Rechtsmittel
bedienen, und sich, wenn er verhaftet ist, mit demselben
(408)
im Beisein einer Gerichtsperson besprechen. Soferne es der Untersuchungsrichter
und, im Falle der Beschwerde, die Rathskammer mit dem Zwecke des Verfahrens
vereinbar findet, kann dem Rechtsbeistande auch die Einsichtnahme aller Acten
oder eines Theiles derselben gestattet werden; jedenfalls aber ist demselben
auf Verlangen vom Verhaftsbefehle und von dessen Gründen, sowie von jener
gerichtlichen Verfügung, gegen welche der Beschuldigte ein Rechtsmittel
angemeldet hat, Abschrift zu ertheilen.
Nach
Mittheilung der Anklageschrift dagegen kann sich der Beschuldigte mit dem
Vertheidiger ohne Beisein einer Gerichtsperson besprechen, und haben beide das
Recht, die Acten, mit Ausnahme der Berathungsprotokolle des Gerichtshofes,
unter Aufsicht einzusehen und von denselben Abschrift zu nehmen. Von den
Augenscheinsprotokollen (!), den Gutachten der Sachverständigen und von
Originalurkunden, welche den Gegenstand der strafbaren Handlung bilden, sind
ihnen auf Verlangen unentgeltliche Abschriften zu ertheilen.
V.
Hauptstück.
Von
dem Privatankläger und dem Privatbetheiligten.
§.
46. Handelt es sich um ein Vergehen, das nach den Strafgesetzen nur auf
Begehren eines in seinem Rechte Verletzten strafrechtlich verfolgt werden darf,
so steht diesem das Befugniß zu, bei dem Strafgerichte als Privatankläger
schriftlich oder mündlich das Begehren um strafrechtliche Verfolgung zu
stellen.
Der
Privatankläger ist berechtigt, während der Vorerhebungen und der
Voruntersuchung dem Gerichte Alles an die Hand zu geben, was seine Anklage
unterstützen kann, von den Acten Einsicht zu nehmen und zur Geltendmachung
seiner Anklage alle Schritte bei Gericht einzuleiten, zu welchen sonst der
Staatsanwalt berechtigt ist.
Hat
der Privatankläger unterlassen, innerhalb der gesetzlichen Frist die
Anklageschrift oder die sonst zur Aufrechthaltung der Anklage erforderlichen
Anträge einzubringen, ist er bei der Hauptverhandlung nicht erschienen, oder
hat er bei derselben unterlassen, die Schlußanträge zu stellen, so wird
angenommen, daß er von der Verfolgung zurückgetreten sei.
Auf
den Wunsch des Privatanklägers kann der Staatsanwalt dessen Vertretung
übernehmen.
§.
47. Jeder durch ein Verbrechen oder durch ein von Amtswegen zu verfolgendes
Vergehen in seinen Rechten Verletzte kann sich bis zum Beginne der
Hauptverhandlung seiner privatrechtlichen Ansprüche wegen dem Strafverfahren
anschließen und wird hiedurch Privatbetheiligter.
Dem
Privatbetheiligten stehen folgende Rechte zu:
1.
Er kann dem Staatsanwalte und dem Untersuchungsrichter Alles an die Hand geben,
was zur Ueberweisung des Beschuldigten oder zur Begründung des
Entschädigungsanspruches dienlich ist.
2.
Er kann von den Acten, und zwar, falls nicht besondere Gründe entgegenstehen,
schon während der Vorerhebungen und der Voruntersuchung Einsicht nehmen.
3.
Zur Hauptverhandlung wird der Privatbetheiligte mit dem Beisatze geladen, daß
im Falle seines Nichterscheinens die Verhandlung dennoch vor sich gehen werde,
und daß seine Anträge aus den Acten vorgelesen werden würden. Er kann an den
Angeklagten, an Zeugen und Sachverständige Fragen stellen oder, um andere
Bemerkungen zu machen, schon während der Verhandlung das Wort erhalten. Am
Schlusse der Verhandlung erhält er unmittelbar, nachdem der Staatsanwalt seinen
Schlußantrag gestellt und begründet hat, das Wort, um seine Ansprüche
auszuführen und zu begründen und diejenigen Anträge zu stellen, über die er im
Haupterkenntnisse mitentschieden haben will.
(409)
§. 48. Außerdem ist der Privatbetheiligte berechtigt, nach Maßgabe der
folgenden Bestimmungen statt des Staatsanwaltes die öffentliche Anklage zu
erheben und durchzuführen:
1.
Wenn der Staatsanwalt die Anzeige des Verletzten zurückweist und die
gerichtliche Verfolgung, sei es sofort, sei es nach Vornahme von Vorerhebungen
(§. 90) ablehnt, so hat er jenen davon zu verständigen.
Der
Verletzte ist in diesem Falle, insoferne er sich dem Strafverfahren
anzuschließen erklärt, berechtigt, den Antrag auf Einleitung der
Voruntersuchung bei der Rathskammer einzubringen, welche über diesen Antrag
nach allenfalls gepflogenen Erhebungen Beschluß zu fassen hat.
2.
Wenn der Staatsanwalt von der Verfolgung einer strafbaren Handlung zurücktritt,
ehe der Beschuldigte wegen derselben rechtskräftig in Anklagestand gesetzt ist,
so ist der Privatbetheiligte hievon in Kenntniß zu setzen, und ist berechtigt,
binnen drei Tagen nach erfolgter Verständigung mündlich oder schriftlich beim
Untersuchungsrichter die Erklärung abzugeben, daß er die Verfolgung aufrecht
erhalte. Wenn der durch die strafbare Handlung Verletzte von dem Rücktritte des
Staatsanwaltes nicht ämtlich (!) verständigt wurde, so kann er diese Erklärung
binnen drei Monaten nach der Einstellung des Verfahrens abgeben.
In
beiden Fällen ist die Erklärung, in welcher sowohl der Beschuldigte, als die
ihm zur Last gelegte That genau bezeichnet sein muß, sammt allen Acten dem
Gerichtshofe zweiter Instanz vorzulegen, welcher, soferne er nicht erachtet,
daß kein Grund zur weiteren Verfolgung des Beschuldigten vorliege, die
Einleitung oder Wiederaufnahme der Voruntersuchung verfügt. Ist der
Beschuldigte über die gegen ihn erhobene Anschuldigung bereits vernommen
worden, so kann der Gerichtshof zweiter Instanz auch auf Grund der Erklärung
des Privatbetheiligten sofort die Versetzung in Anklagestand aussprechen.
3.
Tritt der Staatsanwalt von der Anklage zu einer Zeit zurück, wo die Versetzung
in Anklagestand bereits rechtskräftig ist, so ist dieß dem Privatbetheiligten
mit der Eröffnung mitzutheilen, daß er berechtigt sei, die Anklage aufrecht zu erhalten, dieß jedoch
binnen drei Tagen beim Gerichtshofe erster Instanz zu erklären habe. Auf eine
später abgegebene Erklärung kann keine Rücksicht genommen werden.
§.
49. Auch wenn der Privatbetheiligte als Ankläger einschreitet, steht es dem Staatsanwalte
frei, von dem Gange des Strafverfahrens Kenntniß zu nehmen und ist derselbe
jederzeit berechtigt, die gerichtliche Verfolgung wieder zu übernehmen.
Im
Uebrigen finden die den Privatankläger betreffenden Bestimmungen dieser
Strafproceßordnung auf den statt des Staatsanwaltes die Anklage führenden
Privatbetheiligten mit folgenden Einschränkungen Anwendung:
1.
Es ist seinem Ermessen nicht anheimgestellt, ohne vorausgegangene
Voruntersuchung die Anklageschrift einzubringen.
2.
Gegen die Beschlüsse der Rathskammer steht ihm außer der Beschwerde gegen die
Einstellung der Voruntersuchung kein Rechtsmittel offen.
3.
Er ist nicht berechtigt, die Nichtigkeitsbeschwerde gegen Beschlüsse des
Gerichtshofes zweiter Instanz oder gegen das in der Hauptverhandlung ergehende
Urtheil zu ergreifen; die Berufung gegen das letztere steht ihm nur insoweit
offen, als sie dem Privatbetheiligten überhaupt eingeräumt ist (§§. 283, 345,
465). Er ist nicht berechtigt, auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens
anzutragen.
4.
Die Versetzung des Beschuldigten auf freien Fuß soll wegen des nach §. 48, Z.
2. dem Privatbetheiligten zustehenden Rechtes nicht aufgehalten werden.
Im
Falle des §. 48, Z. 3, hat die Rathskammer nach ihrem Ermessen zu entscheiden,
ob die Entlassung des verhafteten Angeklagten aufzuschieben sei.
(410)
§. 50. Der Privatankläger und der Privatbetheiligte, sowie deren gesetzliche
Vertreter, können ihre Sache selbst oder durch einen Bevollmächtigten führen
und sich eines Rechtsbeistandes aus der Zahl der in die Vertheidigerlisten
Eingetragenen bedienen.
Das
Gericht kann, wenn es ihm angemessen erscheint, dem vom Gerichtsorte abwesenden
Privatankläger oder Privatbetheiligten die Namhaftmachung eines daselbst
wohnhaften Bevollmächtigten auftragen und den einen wie den anderen anweisen,
sich eines Rechtsbeistandes aus der Zahl der in die Vertheidigerliste
Eingetragenen zu bedienen.
VI.
Hauptstück.
Von
der Zuständigkeit der Strafgerichte und von der Verbindung mehrerer
Strafsachen.
I.
Einzelne Gerichtsstände.
§.
51. Das Strafverfahren steht in der Regel demjenigen Gerichte zu, in dessen
Sprengel die strafbare Handlung begangen wurde, und zwar auch dann, wenn der
zum Thatbestande gehörige Erfolg an einem anderen Orte eingetreten ist.
Wurde
die strafbare Handlung in mehreren Bezirken oder auf der Gränze zweier
Gerichtsbezirke begangen, oder ist es ungewiß, in welchem von mehreren
bestimmten Gerichtsbezirken sie begangen worden sei, so entscheidet unter den
dadurch in Frage kommenden Gerichten das Zuvorkommen.
Dasjenige
Gericht ist zuvorgekommen, welches zuerst eine Untersuchungshandlung
vorgenommen hat.
Wird
die Ungewißheit über den Ort der begangenen That noch vor der Versetzung in den
Anklagestand behoben, so steht die Fortsetzung des Strafverfahrens dem Gerichte
des Thatortes zu.
§.
52. Wird die Anzeige wegen einer strafbaren Handlung bei dem Gerichte gemacht,
in dessen Sprengel der Beschuldigte seinen Wohnsitz oder Aufenthalt hat oder
betreten wird, so ist dasselbe zuständig, soferne nicht das Gericht des
Bezirkes der begangenen That bereits zuvorgekommen ist. Doch ist die Sache an
dieses letztere Gericht abzugeben, wenn es der Staatsanwalt des einen oder des
anderen Sprengels, der Privatankläger oder der Beschuldigte, und falls deren
mehrere sind, wenn auch nur einer derselben es verlangt.
Wird
das gegen einen verhafteten Beschuldigten wegen eines Verbrechens oder
Vergehens eingeleitete Strafverfahren vor der Hauptverhandlung eingestellt, so
ist hinsichtlich der ihm noch zur Last liegenden, vor das Bezirksgericht
gehörigen strafbaren Handlungen jenes Bezirksgericht zuständig, in dessen
Bezirke er sich in Haft befindet. Doch kann auch in diesem Falle sowohl der
Ankläger, als auch der Beschuldigte die Abtretung an das Gericht des Thatortes
verlangen.
§.
53. Demjenigen Strafgerichte, welches zuerst von einer in den im Reichsrathe
vertretenen Ländern verübten strafbaren Handlung Kenntniß erlangt, steht das
Verfahren wegen derselben solange zu, bis ein Umstand erhoben ist, welcher nach
einer der Bestimmungen der §§. 51 und 52 die Zuständigkeit eines anderen
Gerichtes begründet.
§.
54. Ist eine strafbare Handlung außerhalb der im Reichsrathe vertretenen Länder
begangen worden, so ist dasjenige innerhalb derselben gelegene Gericht
zuständig, in dessen Sprengel der Beschuldigte seinen Wohnsitz oder Aufenthalt
hat, in Ermanglung eines solchen dasjenige, in dessen Sprengel er betreten
wird.
Wird
von einem auswärtigen Staate oder von einer Behörde der zur ungarischen Krone
gehörigen Länder die Auslieferung eines Beschuldigten angeboten, oder soll die
Auslieferung
(411)
erst begehrt werden, und ist nicht bereits die Zuständigkeit eines hierländigen
Gerichtes begründet, so wird dasjenige Gericht zuständig, welches der
Cassationshof nach Anhörung des Generalprocurators hiefür bestimmt.
§.
55. Die Zuständigkeit eines Gerichtes über den Thäter begründet auch die
Zuständigkeit über alle Mitschuldigen und Theilnehmer.
§.
56. Liegen demselben Beschuldigten mehrere strafbare Handlungen zur Last, oder
haben sich an derselben strafbaren Handlung mehrere Personen betheiligt, oder
hat eine dieser letzteren auch noch in Verbindung mit anderen Personen
strafbare Handlungen begangen: so ist in der Regel das Strafverfahren gegen
alle diese Personen und wegen aller dieser strafbaren Handlungen bei demselben Gerichte
gleichzeitig zu führen und über alle zusammentreffenden Strafsachen ein
Endurtheil zu fällen.
Zu
diesem Verfahren ist dasjenige unter den dabei in Frage kommenden Gerichten,
welches den anderen zuvorgekommen ist, zuständig. Gehört jedoch eine der zusammentreffenden
Strafsachen vor das Geschwornengericht, so gibt sie für die Zuständigkeit den
Ausschlag, wenngleich ein für eine andere Strafsache zuständiges Gericht
zuvorgekommen wäre. Ebenso richtet sich die Zuständigkeit nach dem vor einen
Gerichtshof gehörigen Verbrechen oder Vergehen, wenngleich ein Bezirksgericht
rücksichtlich einer vor dasselbe gehörigen strafbaren Handlung zuvorgekommen
wäre.
§.
57. Das nach §. 56 für mehrere zusammentreffende Strafsachen zuständige Gericht
kann auf Antrag oder von Amtswegen verfügen, daß hinsichtlich einzelner
strafbaren Handlungen oder einzelner Beschuldigten das Strafverfahren
abgesondert zu führen und zum Abschlusse zu bringen sei, soferne dieß zur
Vermeidung von Verzögerungen oder Erschwerungen des Verfahrens oder zur Kürzung
der Haft eines Beschuldigten dienlich scheint.
In
jedem solchen Falle ist der Ankläger verpflichtet, sogleich zu erklären, ob er
sich hinsichtlich der übrigen gegen denselben Beschuldigten vorliegenden
Anschuldigungspunkte die Verfolgung vorbehalte. Geschieht dieß, so ist das
Verfahren hinsichtlich der letzteren ohne unnöthigen Aufschub fortzuführen und
zum Abschlusse zu bringen; im entgegengesetzten Falle kann eine Verfolgung
wegen derselben nur unter jenen Bedingungen stattfinden, unter welchen die
Wiederaufnahme eines vor der Hauptverhandlung eingestellten Strafprocesses
zulässig erscheint.
Läßt
diese Erklärung eine strafbare Handlung, welche Gegenstand gerichtlicher
Vorerhebungen oder einer Voruntersuchung war, unberührt, so kann der Beschuldigte
verlangen, daß der Ankläger sich auch darüber erkläre, widrigens anzunehmen
wäre, daß er auf die Verfolgung verzichtet habe.
Handelt
es sich um Vergehen oder Uebertretungen, die nicht blos auf Begehren eines
Betheiligten verfolgt werden, so ist jedenfalls auch dem Staatsanwalte eine
Erklärung abzufordern.
§.
58. Ist die Verfügung getroffen, daß eine der zusammengehörigen Strafsachen
abgesondert zur Hauptverhandlung gebracht, oder daß rücksichtlich eines der
Beschuldigten die Voruntersuchung abgesondert geführt werde, so kann die
ausgeschiedene Strafsache an dasjenige Gericht abgegeben werden, welches für
dieselbe, abgesehen von dem Zusammentreffen mit anderen Strafsachen, zuständig
wäre.
§.
59. Wenn ein Beschuldigter an eine königlich ungarische oder an eine
ausländische Behörde auszuliefern ist, so steht die Beurtheilung und die
Verhandlung mit jener Behörde demjenigen Gerichtshofe erster Instanz zu, in
dessen Bezirk der Auszuliefernde seinen Wohnsitz oder Aufenthaltsort hat, und
in Ermanglung eines solchen demjenigen, in dessen Bezirke er betreten wird. Auf
ein solches Verlangen der Auslieferung oder auf erlassene Steckbriefe ist
(412)
zwar gegen die Entweichung des Beschuldigten die nöthige Vorkehrung zu treffen;
auf seine Auslieferung aber hat die Rathskammer nach Vernehmung des
Staatsanwaltes nur dann bei dem Gerichtshofe zweiter Instanz anzutragen, wenn
von der die Auslieferung verlangenden Behörde sogleich oder in einem
angemessenen Zeitraume solche Beweise oder Verdachtsgründe beigebracht werden,
worüber sich der Beschuldigte bei seiner Vernehmung nicht auf der Stelle
auszuweisen vermag. Der Gerichtshof zweiter Instanz hat seinen, nach Anhörung
des Oberstaatsanwaltes gefaßten Beschluß jederzeit vorläufig dem Justizminister
zur Genehmigung vorzulegen.
II.
Besondere Gerichtsstände.
§.
60. Das Strafverfahren gegen Personen, die nach dem Gesetze in Straffällen der
Militärgerichtsbarkeit unterstehen, bleibt auch fernerhin den Militärgerichten
vorbehalten. Die Erhebung des Thatbestandes rücksichtlich solcher strafbarer
Handlungen, welche nach den allgemeinen Strafgesetzen zu beurtheilen sind,
steht jedoch den Militärgerichten nur dann zu, wenn der Beschuldigte offenbar
der Militärgerichtsbarkeit untersteht. Ergibt sich dieß erst im Laufe einer vor
dem Zivilstrafgerichte geführten Untersuchung, so ist die Verhandlung von dem
Zivilstrafgerichte abzubrechen und dem Militärgerichte zu übergeben.
§.
61. Die am österreichisch-ungarischen Hofe beglaubigten auswärtigen Gesandten
und das eigentliche Gesandtschaftspersonale derselben stehen nicht unter der
Gerichtsbarkeit der Landesbehörden. Auch die Haus- und Dienstleute dieser
Gesandten und der in Oesterreich sich aufhaltenden fremden Souveräne, welche
zugleich Unterthanen des Staates sind, welchem der Souverän oder Gesandte
angehört, unterstehen den österreichischen Gerichten nicht. Hätte daher mit
solchen Personen eine Amtshandlung wegen einer strafbaren Handlung einzutreten,
so hat die Behörde sich zwar nach Umständen der Person des Beschuldigten zu
versichern, jedoch sogleich die Anzeige davon an das Obersthofmarschallamt zur
weiteren Eröffnung an den Souverän oder Gesandten wegen Uebernahme des
Beschuldigten zu machen.
III.
Befugniß zur Delegirung.
§.
62. Die Gerichtshöfe zweiter Instanz sind berechtigt, nach Anhörung des
Oberstaatsanwaltes aus Rücksichten der öffentlichen Sicherheit, oder aus
anderen wichtigen Gründen ausnahmsweise dem zuständigen Gerichte Strafsachen
abzunehmen und sie einem anderen Gerichte derselben Art in ihrem Sprengel
zuzuweisen.
§.
63. Dasselbe Recht hat auch der Cassationshof für den ganzen Umfang der im
Reichsrathe vertretenen Länder.
Gegen
die in Gemäßheit des §. 62 vom Gerichtshofe zweiter Instanz verfügte Delegirung
eines anderen Gerichtes kann sowohl der Ankläger, als der Beschuldigte beim
Cassationshofe Beschwerde führen. Dieselbe ist binnen drei Tagen nach der
Eröffnung des Beschlusses bei dem eröffnenden Gerichte anzubringen.
IV.
Streitigkeiten über die Zuständigkeit von Gerichten.
§.
64. Ist die Zuständigkeit zwischen Bezirksgerichten streitig, welche unter
demselben Gerichtshofe erster Instanz stehen, so entscheidet die Rathskammer
des letzteren. Können sich zwei Gerichtshöfe erster Instanz über ihre
Zuständigkeit, oder über die zweier ihnen unterstehenden Gerichte nicht einigen,
so entscheidet der Gerichtshof zweiter Instanz. Ist die Zuständigkeit zwischen
Gerichten, welche nicht unter demselben Gerichtshofe zweiter Instanz stehen,
oder zwischen zwei Gerichtshöfen zweiter Instanz streitig, so entscheidet der
Cassationshof. Entscheidungen dieser Art können nur nach Anhörung der
Staatsanwaltschaft erfolgen, und es findet gegen dieselben kein abgesondertes
Rechtsmittel statt.
(413)
In der Zwischenzeit hat jedes der streitenden Gerichte die zur Einleitung der
Untersuchung und Herstellung des Thatbestandes in seinem Bezirke nöthigen
Handlungen, und insbesondere alle jene Untersuchungsschritte vorzunehmen, bei
welchen Gefahr auf dem Verzuge haftet.
V.
Amtshandlungen nicht zuständiger Gerichte.
§.
65. Alle, auch die nicht zuständigen Strafgerichte, in deren Bezirk sich Spuren
eines Verbrechens oder Vergehens finden, sind, wenn Gefahr auf dem Verzuge
haftet, berechtigt und verpflichtet, jene Handlungen vorzunehmen, die zur
Erhebung des Thatbestandes oder zur Festhaltung eines Beschuldigten dienen
können. Sie müssen jedoch die zuständigen Gerichte oder Staatsanwälte davon
alsbald in Kenntniß setzen und denselben die von ihnen aufgenommenen
Verhandlungen übersenden.
§.
66. Untersuchungshandlungen, welche ein nicht zuständiges Strafgericht außer
dem Falle des vorhergehenden Paragraphen vorgenommen, sind deßhalb allein noch
nicht ungiltig, soferne sie sich nur auf die Voruntersuchung beziehen; doch
liegt dem zuständigen Gerichte ob, zu beurtheilen, inwieferne eine Wiederholung
oder Ergänzung dieser Handlung einzuleiten sei.
VII.
Hauptstück.
Von
der Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen und Staatsanwälten.
I.
Ausschließung der Gerichtspersonen.
§.
67. Jeder Richter und Protokollführer ist von der Vornahme gerichtlicher
Handlungen im Strafverfahren ausgeschlossen, wenn er selbst der durch die
strafbare That Verletzte, oder wenn die beschuldigte oder verletzte Person mit
ihm durch das Band der Ehe verbunden, oder wenn der Beschuldigte, der
Verletzte, der Staatsanwalt, der Privatankläger oder der Vertheidiger mit ihm
in auf- oder absteigender Linie verwandt oder verschwägert, sein
Geschwisterkind, oder noch näher mit ihm verwandt, oder in gleichem Grade
verschwägert ist, oder zu ihm in dem Verhältnisse von Wahl- oder Pflege-Eltern
oder -Kindern, eines Vormundes oder eines Mündels steht.
§.
68. Ausgeschlossen von der Wirksamkeit als Richter oder Protokollführer in
allen Instanzen ist ferner Derjenige, welcher
1.
außerhalb seiner Dienstverrichtungen Zeuge der in Frage stehenden Handlung
gewesen oder in der Sache als Zeuge oder Sachverständiger vernommen worden ist;
2.
welcher in dieser Sache als Vertheidiger, als Vertreter des Privatanklägers
oder Privatbetheiligter, oder als Staatsanwalt mitgewirkt hat.
Von
der Mitwirkung und Entscheidung bei der Hauptverhandlung ist Derjenige
ausgeschlossen, welcher in derselben Sache als Untersuchungsrichter thätig
gewesen ist, oder an der Entscheidung über den Einspruch gegen die Versetzung
in den Anklagestand (§§. 211 bis 214) theilgenommen hat. Muß eine Hauptverhandlung
in Folge einer Berufung oder Nichtigkeitsbeschwerde wiederholt werden, so sind
von der neuen Hauptverhandlung jene Richter ausgeschlossen, welche an der
ersten theilgenommen haben.
§.
69. Mitglieder von Gerichten höherer Instanzen sind insbesondere auch
ausgeschlossen:
1.
von der Verhandlung über alle Strafsachen, bei welchen sie als
Untersuchungsrichter thätig waren;
(414)
2. von der Verhandlung über Rechtsmittel gegen alle diejenigen Entscheidungen,
bei welchen sie selbst in einer unteren Instanz an der Abstimmung theilgenommen
haben;
3.
von der Führung des Referates und von dem Vorsitze bei einer Verhandlung in
Strafsachen, in denen als Untersuchungsrichter oder Referent bei einem
untergeordneten Gerichte eine Person thätig war, welche mit ihnen in einem er
im §. 67 bezeichneten Verhältnisse steht.
§.
70. Der Richter ist schuldig, das Verhältniß, welches den Grund seiner
Ausschließung bildet, unverzüglich dem Vorsteher des Gerichtes, dessen Mitglied
er ist, anzuzeigen. Der ausgeschlossene Vorsteher eines Bezirksgerichtes hat
die Anzeige an den Vorsteher des Gerichtshofes erster Instanz zu machen.
Der
Protokollführer hat diese Anzeige dem Richter zu machen, bei welchem er das
Protokoll führen soll.
§.
71. Jede Gerichtsperson hat sich von dem Zeitpunkte, in welchem ihr ein
Ausschließungsgrund bekannt geworden, aller gerichtlichen Handlungen bei
sonstiger Nichtigkeit dieser Acte zu enthalten. Nur wenn Gefahr auf dem Verzuge
haftet, und die Bestellung eines anderen Richters oder Protokollführers nicht
sogleich bewirkt werden kann, hat eine solche Gerichtsperson die dringend
nöthigen gerichtlichen Handlungen selbst vorzunehmen, ausgenommen, wenn gegen
die Ehegattin des Richters oder gegen Personen, welche mit ihm verwandt oder
verschwägert sind (§. 67), einzuschreiten wäre, in welchem Falle unverzüglich
die Amtshandlung an den nächsten Richter abzutreten ist.
II.
Ablehnung der Gerichtspersonen.
§.
72. Der Staatsanwalt, der Privatbetheiligte, der Privatankläger und der
Beschuldigte können Mitglieder des Gerichtes und Protokollführer ablehnen, wenn
sie außer den in den §§. 67- 69 bezeichneten Fällen andere Gründe anzugeben und
darzuthun vermögen, welche geeignet sind, die volle Unbefangenheit des
Abzulehnenden in Zweifel zu setzen.
§.
73. Das Gesuch, womit ein Betheiligter die Ablehnung eines Richters geltend
machen will, ist jederzeit bei dem Gerichte, welchem der Abgelehnte angehört,
und zwar, wenn es sich um die Ablehnung eines Mitgliedes des erkennenden
Gerichtes handelt, längstens binnen vierundzwanzig Stunden vor Beginn der
Verhandlung, und wenn es sich um die Ablehnung eines ganzen Gerichtshofes
handelt, längstens binnen drei Tagen nach der Vorladung zu der Verhandlung zu
überreichen oder zu Protokoll zu geben. In diesem Gesuche müssen die Gründe der
Ablehnung genau angegeben und soviel als möglich bescheinigt sein.
§.
74. Ueber die Zulässigkeit der Ablehnung einer Gerichtsperson entscheidet in
der Regel der Vorsteher des Gerichtes, zu welchem sie gehört.
Wird
ein Bezirksrichter abgelehnt, so entscheidet die Rathskammer des Gerichtshofes
erster Instanz; wenn ein ganzes Gericht erster Instanz oder dessen Vorsteher
abgelehnt wird, so entscheidet der Gerichtshof zweiter Instanz, und wenn ein
Gerichtshof zweiter Instanz oder dessen Präsident abgelehnt wird, so
entscheidet der Cassationshof.
Gegen
diese Entscheidungen findet kein Rechtsmittel statt. Der Vorsteher,
beziehungsweise der Gerichtshof, welcher über die Ablehnung entscheidet, hat
zugleich, falls derselben stattgegeben wird, denjenigen Richter oder das
Gericht zu bezeichnen, welchem die Sache zu übertragen ist.
III.
Ausschließung von Staatsanwälten.
§.
75. von dem Einschreiten in Strafsachen sind diejenigen Mitglieder der
Staatsanwaltschaft ausgeschlossen, mit welchen der Beschuldigte oder dessen Vertheidiger,
oder der
(415)
durch das Verbrechen oder Vergehen Verletzte, oder der Privatankläger in einem
der im §. 67 erwähnten Verhältnisse steht; ferner Diejenigen, welche in der
Sache als Zeugen oder Sachverständige vernommen worden, oder als Vertheidiger,
als Vertreter des Privatanklägers oder Privatbetheiligten, oder als Richter
thätig gewesen sind.
§.
76. Jedes Mitglied der Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, sich von dem
Zeitpunkte, in welchem ihm ein Ausschließungsgrund bekannt geworden, des Einschreitens
in der Sache, für die er als ausgeschlossen erscheint, zu enthalten, dieselbe
seinem Stellvertreter zu überlassen und davon seinem unmittelbaren Vorgesetzten
die Anzeige zu erstatten. Durch Beschwerden von Parteien gegen das Einschreiten
eines Staatsanwaltes, welcher sich nach dem Gesetze des Einschreitens hätte
enthalten sollen, darf das Verfahren nicht aufgehalten werden.
VIII.
Hauptstück.
Von
der Bekanntmachung der gerichtlichen Verfügungen und von der Gestattung der
Acteneinsicht.
§.
77. Die Bekanntmachung gerichtlicher Verfügungen geschieht entweder durch
mündliche Verkündung vor Gericht oder durch Zustellung der Urschrift oder einer
amtlich beglaubigten Abschrift derselben.
Die
mündliche Verkündung muß durch ein Protokoll beurkundet werden. Auf Verlangen
ist Demjenigen, welchem eine Verfügung mündlich verkündet wird, eine Abschrift
derselben zu ertheilen.
§.
79. Die Vorladung zur Hauptverhandlung in erster Instanz muß dem Beschuldigten
selbst zugestellt werden.
Die
Zustellung dieser Vorladung an den Privatankläger und Privatbetheiligten, sowie
die aller Actenstücke, von deren Behändigung für einen Betheiligten die Frist
zur Ergreifung eines Rechtsmittels oder des Einspruches gegen die Versetzung in
Anklagestand läuft, muß entweder an die Partei selbst oder an ihren bestellten
Vertreter erfolgen.
Sucht
sich der Betheiligte, obgleich dessen Aufenthalt bekannt ist, der persönlichen
Zustellung zu entziehen, so ist die zuzustellende Verfügung dem
Gemeindevorsteher zu behändigen und der Betheiligte hievon durch Anschlag an
seiner Wohnung und am Gemeindehause in Kenntniß zu setzen.
§.
80. Soll eine Zustellung in anderen als den im §. 79 erwähnten Fällen
stattfinden, und wird Derjenige, an welchem sie gerichtet ist, in seiner
Wohnung nicht angetroffen, so wird die gerichtliche Verfügung an einen
erwachsenen Hausgenossen desselben übergeben. In Ermanglung eines solchen ist
die zuzustellende Urkunde einem Nachbar einzuhändigen, oder, wenn sich Niemand
findet, der sie übernehmen will, beim Gemeindevorsteher niederzulegen und eine
Benachrichtigung in der Wohnung an einer leicht in die Augen fallenden Stelle
zurückzulassen oder, wenn die Wohnung verschlossen ist, an der Thür anzuheften.
Kann
die Wohnung Desjenigen, an welchen eine Zustellung erfolgen soll, nicht
ermittelt werden, so geschieht dieselbe durch Anschlag am Gemeindehause und,
wenn das Gericht es angemessen findet, durch Bekanntmachung in den öffentlichen
Blättern.
(416)
§. 81. Befindet sich der Betheiligte, an den die Zustellung zu erfolgen hat,
außer dem Bezirke des Gerichtes, von welchem die Verfügung ausgeht, so ist das
Bezirksgericht des Zustellungsortes um die Zustellung zu ersuchen. Dasselbe
geschieht mit Verfügungen des Gerichtshofes erster Instanz, welche außer dem
Bereiche des am Sitze desselben befindlichen Bezirksgerichtes zuzustellen sind.
In
diesen Fällen steht es dem Betheiligten frei, bei dem um die Zustellung
ersuchten Bezirksgerichte die Rechtsmittel nach Vorschrift dieser
Strafproceßordnung anzubringen.
§.
82. Der Beurtheilung der Gerichte ist es überlassen, ob es zulässig erscheine,
einer Partei oder ihrem ausgewiesenen Vertreter auch außer den in dieser
Strafproceßordnung insbesondere bezeichneten Fällen die Einsicht in
strafgerichtliche Acten oder die Ausfolgung von Abschriften aus solchen zu
bewilligen, soferne diese Personen glaubwürdig darthun, daß ihnen dieselbe zur
Ausführung eines Entschädigungsanspruches oder zum Zwecke des Begehrens um
Wiederaufnahme, oder aus anderen Gründen nothwendig sei.
§.
83. Von der Einleitung und von der Beendigung des Strafverfahrens gegen
Militär- und Landwehrpersonen, sowie gegen Personen, welche in einem Staats-
oder anderen öffentlichen, daher auch in einem Landes- oder Gemeindeamte oder
-Dienste stehen, Mitglieder einer Gemeinde- oder einer anderen zur Besorgung
öffentlicher Angelegenheiten berufenen Vertretung sind, oder welchen
öffentliche Titel oder in- oder ausländische Orden oder Ehrenzeichen verliehen
sind, ist ihrer vorgesetzten Behörde, beziehungsweise dem Vorstande des
Vertretungskörpers und den betreffenden Hofämtern oder Ordenskanzleien
Mittheilung zu machen.
IX.
Hauptstück.
Von
der Erforschung strafbarer Handlungen und von den Vorerhebungen über Verbrechen
und Vergehen.
§.
84. Alle öffentlichen Behörden und Aemter sind schuldig, die entweder von ihnen
selbst wahrgenommen oder sonst zu ihrer Kenntniß gelangten strafbaren
Handlungen, welche nicht blos auf Begehren eines Betheiligten zu untersuchen
sind, sogleich dem Staatsanwalte des zuständigen Gerichtes anzuzeigen.
Bei
Gefahr am Verzuge kann die Anzeige einer verübten strafbaren Handlung auch an
jenes Bezirksgericht erstattet werden, in dessen Sprengel sich die Behörde
befindet.
§.
85. Das Gericht, welches einen Concurs für eröffnet erklärt, oder entscheidet,
daß die Concurseröffnung nur wegen Geringfügigkeit des Vermögens oder nur
deßhalb nicht stattfinde, weil nur ein einziger persönlicher Gläubiger
vorhanden ist, hat sofort den Staatsanwalt an jenem Gerichtshofe erster
Instanz, in dessen Sprengel der Schuldner seinen Wohnsitz hat, in Kenntniß zu
setzen; das Zivilgericht ist ferner verpflichtet, dem Staatsanwalte, sowie dem
Strafrichter alle nothwendigen Aufklärungen zu ertheilen, und die Acten, deren
sie bedürfen, in der Urschrift oder in beglaubigter Abschrift mitzutheilen.
§.
86. Wer immer von einer strafbaren Handlung, welche von Amtswegen zu verfolgen
ist, Kenntniß erlangt, ist berechtigt, dieselbe anzuzeigen. Zur Annahme der
Anzeige ist nicht blos der Staatsanwalt, sondern es sind dazu auch der
Untersuchungsrichter, der Bezirksrichter und die Sicherheitsbehörde
verpflichtet, welche die Anzeige dem Staatsanwalte zu übermitteln haben.
§.
87. Der Staatsanwalt ist verpflichtet, alle an ihn gelangten Anzeigen über
strafbare Handlungen, welche von Amtswegen zu verfolgen sind, zu prüfen, sowie
die zu seiner
(417)
Kenntniß gelangenden Spuren solcher strafbarer Handlungen zu verfolgen. Er hat
auch zur Entdeckung unbekannter Thäter durch Erforschung dahin führender
Verdachtsgründe mitzuwirken.
Wenn
namenlose Anzeigen, oder solche, die von einem völlig Unbekannten herrühren,
bestimmte, die strafbare Handlung glaubwürdig bezeichnende Umstände enthalten,
so ist zwar zur Erhebung dieser Umstände zu schreiten; doch ist dabei mit
Vermeidung alles Aufsehens und mit möglichster Schonung der Ehre der beschuldigten
Personen vorzugehen.
Wenn
der Ruf von einer strafbaren Handlung, die nicht blos auf Begehren eines
Betheiligten zu untersuchen ist, an den Staatsanwalt gelangt, so ist er
verpflichtet, die Vernehmung der Personen, durch welche der Ruf fortgepflanzt
wurde, zu veranlassen, demselben unter Mitwirkung der Sicherheitsbehörden bis
zu seinem Ursprunge nachzugehen und sich, soviel als möglich, von dessen Grunde
oder Ungrunde zu überzeugen.
§.
88. Ueberhaupt ist er berechtigt, durch den Untersuchungsrichter, durch die
Bezirksgerichte oder durch die Sicherheitsbehörden Vorerhebungen zu dem Zwecke
führen zu lassen, um die nöthigen Anhaltspunkte für die Veranlassung des
Strafverfahrens wider eine bestimmte Person oder für die Zurücklegung der
Anzeige zu erlangen.
Die
Untersuchungsrichter und Bezirksrichter haben auch bei diesen Vorerhebungen
jene Rechte und Obliegenheiten, welche dem Untersuchungsrichter in der
Voruntersuchung zukommen.
Durch
die Sicherheitsbehörden kann der Staatsanwalt Personen, welche Aufklärungen
über begangene strafbare Handlungen zu ertheilen im Stande sein dürften,
unbeeidigt vernehmen lassen und diesen Vernehmungen auch selbst beiwohnen.
Augenschein und Hausdurchsuchung kann er durch sie nur dann vornehmen lassen,
wenn sich in Abwesenheit einer zur Amtshandlung berufenen Gerichtsperson die
Nothwendigkeit eines unverzüglichen Einschreitens herausstellt; er kann diesen
Untersuchungshandlungen, bei welchen alle für gerichtliche Acte dieser Art
vorgeschriebenen Förmlichkeiten zu beobachten sind, auch selbst beiwohnen. Die
hierüber aufgenommenen Protokolle können jedoch bei sonstiger Nichtigkeit nur
dann als Beweismittel benützt werden, wenn sie unverweilt dem
Untersuchungsrichter mitgetheilt worden sind, welcher deren Form und
Vollständigkeit zu prüfen und nöthigenfalls die Wiederholung oder Ergänzung der
Verhandlung zu bewirken hat.
§.
89. Der Untersuchungsrichter am Gerichtshofe erster Instanz nimmt, solange kein
Antrag des Staatanwaltes vorliegt, nur diejenigen Amtshandlungen vor, welche ohne
Gefährdung des Zweckes oder ohne Ueberschreitung einer gesetzlichen Frist nicht
aufgeschoben werden können. Von dem Vorgenommenen hat er den Staatsanwalt in
Kenntniß zu setzen, und sodann dessen Anträge abzuwarten.
Bezirksgerichte
dagegen haben zwar ebenfalls die zu ihrer Kenntniß kommenden Verbrechen und von
Amtswegen zu verfolgenden Vergehen unverweilt dem Staatsanwalte anzuzeigen,
zugleich aber, und ohne die Anträge des letzteren abzuwarten, die Vorerhebungen
(§. 88, Absatz 1 und 2) zu führen. Untersuchungshandlungen jedoch, durch welche
die Spuren der strafbaren Handlungen verwischt und einer wiederholten
Besichtigung entzogen werden könnten, haben sie nur dann vorzunehmen, wenn
Gefahr am Verzuge haftet; außerdem haben sie nur in der zu erstattenden Anzeige
auf die Nothwendigkeit einer solchen Untersuchungshandlung aufmerksam zu machen
und dafür zu sorgen, dass die Spuren der That erhalten werden, bis entweder der
Untersuchungsrichter oder das Verlangen desselben um Vornahme der
Untersuchungshandlungen eintrifft.
Die
über die Vorerhebungen aufgenommenen Protokolle hat das Bezirksgericht mit
größter Beschleunigung und, falls eine Verhaftung vorgenommen wurde, längstens
binnen acht Tagen an den Staatsanwalt einzusenden, welcher in dem letzteren
Falle längstens binnen
(418)
drei Tagen nach deren Einlangen den Verhafteten außer Verfolgung zu setzen oder
seine Anträge bezüglich der Person und des Verfahrens bei dem
Untersuchungsrichter anzubringen hat (§. 27, Absatz 2).
§.
90. Findet der Staatsanwalt nach Prüfung der Anzeige oder der Acten der,
nöthigenfalls auf seine Veranlassung zu ergänzenden, Vorerhebungen genügende
Gründe, um wider eine bestimmte Person das Strafverfahren zu veranlassen, so
bringt er entweder den Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung (§. 91) oder
die Anklageschrift ein. Im entgegengesetzten Falle legt er die an ihn gelangte
Anzeige mit kurzer Aufzeichnung der ihn dazu bestimmenden Erwägungen zurück,
und übersendet dem Untersuchungsrichter die Acten der Vorerhebungen mit der
Bemerkung, dass er keinen Grund zur weiteren Verfolgung finde. Der
Untersuchungsrichter hat in diesem Falle die Vorerhebungen einzustellen und den
etwa verhafteten Beschuldigten sofort auf freien Fuß zu setzen.
X.
Hauptstück.
Von
der Voruntersuchung über Verbrechen und Vergehen im Allgemeinen.
I.
Einleitung der Voruntersuchung und Stellung des Untersuchungsrichters in
derselben.
§.
91. Der Versetzung in den Anklagestand (XVI. Hauptstück) muss eine
Voruntersuchung vorangehen, wenn es sich um ein Verbrechen handelt, dessen
Aburtheilung dem Geschwornengerichte zukommt, oder wenn gegen einen Abwesenden
das Strafverfahren eingeleitet werden soll. In allen anderen Fällen bleibt es
dem Ermessen des Staatsanwaltes, beziehungsweise des Privatanklägers
anheimgestellt, ob eine Voruntersuchung zu beantragen sei.
Die
Voruntersuchung hat den Zweck, die gegen eine bestimmte Person erhobene
Anschuldigung einer strafbaren Handlung einer vorläufigen Prüfung zu
unterwerfen und den Sachverhalt soweit ins Klare zu setzen, als es nöthig ist,
um jene Momente festzustellen, welche geeignet sind, entweder die Einstellung
des Strafverfahrens herbeizuführen oder die Versetzung in Anklagestand und die
Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung vorzubereiten.
§.
92. Der Untersuchungsrichter darf die Voruntersuchung nur wegen solcher
strafbarer Handlungen und nur gegen diejenigen Personen einleiten, bezüglich
welcher ihm ein darauf abzielender Antrag eines berechtigten Anklägers
vorliegt.
Beantragt
der Staatsanwalt die Einleitung einer Voruntersuchung, so hat er sie Anzeige,
sowie die zu seiner Kenntniß gelangten Beweismittel und die Ergebnisse der etwa
veranlaßten Vorerhebungen dem Untersuchungsrichter mitzutheilen.
Findet
der Untersuchungsrichter Bedenken, einem Antrage auf Einleitung der
Voruntersuchungen beizutreten, so ist darüber der Beschluß der Rathskammer
einzuholen. Der Untersuchungsrichter nimmt an der Berathung, aber nicht an der
Beschlußfassung Theil. Von solchen Berathungen ist der Staatsanwalt jedesmal
vorher zu benachrichtigen, damit er seine Ansichten schriftlich oder mündlich
vortragen könne.
§.
93. Die Voruntersuchung wird in der Regel von dem Untersuchungsrichter
persönlich und unmittelbar geführt. Dann kann derselbe die Bezirksgerichte
sowohl innerhalb als außerhalb des Sprengels seines Gerichtshofes um die
Vornahme einzelner gerichtlicher Handlungen ersuchen.
Die
Bezirksgerichte haben dem Ersuchen unter Beachtung der für den
Untersuchungsrichter geltenden Vorschriften zu entsprechen, und wenn sich
hieraus die Nothwendigkeit weiterer, in ihren Sprengel fallender
Untersuchungshandlungen ergibt, dieselben sofort vorzunehmen.
(419)
§. 94. Der Untersuchungsrichter erstattet der Rathskammer über den Stand aller
anhängigen Voruntersuchungen monatlich einmal oder auch während des Monats,
wenn er dieß wegen der Wichtigkeit einer Sache für nöthig erachtet, oder die
Entscheidung der Rathskammer einzuholen hat, mündlich Bericht. Den Sitzungen,
in welchen die Rathskammer diese Berichte entgegennimmt, wohnt der Staatsanwalt
bei, und er ist berechtigt, Anträge zu stellen.
§.
95. Beschließt die Rathskammer, die Führung einer Voruntersuchung einem
Bezirksgerichte zu übertragen (§. 12), so hat dieses alle für den
Untersuchungsrichter geltenden Vorschriften zu beobachten. Den monatlichen
Bericht über den Stand aller anhängigen Voruntersuchungen erstattet das
Bezirksgericht schriftlich; in gleicher Weise holt es die Entscheidungen der
Rathskammer ein. Die mündliche Berichterstattung in der Sitzung der Rathskammer
wird in solchen Fällen einem Mitgliede derselben übertragen. Auch diesen
Sitzungen wohnt der Staatsanwalt bei.
II.
Geschäftsgang in der Voruntersuchung.
§.
96. Ist die Voruntersuchung eingeleitet, so schreitet der Untersuchungsrichter
von Amtswegen, und ohne weitere Anträge des Anklägers abzuwarten, ein, um den
Thatbestand zu erheben, den Thäter zu ermitteln, und die zur Ueberführung oder
Vertheidigung des Beschuldigten dienenden Beweismittel soweit festzustellen,
als es der Zweck der Voruntersuchung erfordert.
§.
97. Der Ankläger ist berechtigt, auch hinsichtlich der Vornahme einzelner
Untersuchungshandlungen Anträge an den Untersuchungsrichter zu stellen, über
welche dieser, falls er Bedenken findet, ihnen beizutreten, die Entscheidung
der Rathskammer einzuholen hat (§. 94).
Untersuchungshandlungen
nimmt der Staatsanwalt bei sonstiger Nichtigkeit des Actes nicht vor. Weder der
Ankläger noch der Vertheidiger dürfen bei der förmlichen Vernehmung des
Beschuldigten oder der Zeugen durch den Untersuchungsrichter gegenwärtig sein.
Sie sind aber berechtigt, dem Augenscheine, der Hausdurchsuchung und der
Durchsuchung von Papieren beizuwohnen und die Gegenstände zu bezeichnen, auf
welche diese Untersuchungshandlungen auszudehnen sind. Der Untersuchungsrichter
soll den Ankläger zu diesem Behufe in der Regel von der Vornahme dieser
Handlungen vorher benachrichtigen, kann sie aber auch, wenn Gefahr am Verzuge
haftet, ohne vorausgegangene Verständigung desselben vornehmen.
§.
98. Hat ein Verbrechen oder ein Vergehen Spuren zurückgelassen, so sind diese
in geeigneter Weise, insbesondere durch Augenschein nach den in dem folgenden
Hauptstücke enthaltenen Bestimmungen zu erheben.
Gegenstände,
an oder mit welchen die strafbare That verübt wurde, oder welche der Thäter am
Orte der That zurückgelassen haben dürfte, überhaupt Gegenstände, welche von
dem Beschuldigten oder von Zeugen anzuerkennen sind oder in anderer Weise zur
Herstellung des Beweises dienen können, sind, soweit es möglich ist, in
gerichtliche Verwahrung zu nehmen. Sie sind entweder in einen mit dem Gerichtssiegel
zu verschließenden Umschlag zu legen, oder es ist an ihnen eine gegen
Unterschiebung oder Verwechslung schützende gerichtliche Bezeichnung
anzubringen.
Befinden
sich unter den vorgefundenen Gegenständen zum Gottesdienste geweihte Sachen, so
hat das Gericht für deren Absonderung von allen übrigen Gegenständen und für
deren entsprechende Aufbewahrung zu sorgen.
§.
99. Kann der durch ein Verbrechen oder Vergehen verursachte Schade oder
entgangene Gewinn durch die Aussage des Beschädigten nicht zuverlässig erhoben
werden oder ist der Grund zu vermuthen, daß derselbe seinen Schaden zu hoch
schätze, so ist die Größe
(420)
desselben in jenen Fällen, in welchen sie auf die Zurechnung der That als
Verbrechen, auf das Strafmaß oder auf die Zuerkennung der Entschädigung von
Einfluß ist, durch Vernehmung von Zeugen oder durch Sachverständige zu
ermitteln.
§.
100. Schriften, die in einer nicht gerichtsüblichen Sprache geschrieben und für
die Untersuchung erheblich sind, hat der Untersuchungsrichter durch einen
beeideten Dolmetsch übersetzen zu lassen und sammt der Uebersetzung zu den
Acten zu bringen.
§.
101. Ueber alle gerichtlichen, zur Untersuchung gehörenden Handlungen sind
Protokolle aufzunehmen; es muß außer dem Beamten, welcher die Handlung vornimmt
oder leitet, stets ein beeideter Protokollführer gegenwärtig sein.
§.
102. Ist bei einer Untersuchungshandlung die Zuziehung von Gerichtszeugen
erforderlich, so müssen diese volljährige, unbescholtene, bei der Sache
unbetheiligte Männer sein und entweder allgemein oder für den einzelnen Fall
mittelst Handschlages angelobt sein, daß sie, um möglicherweise Zeugniß vor
Gericht abzulegen, auf Alles, was vor ihnen vorgenommen oder ausgesagt wird,
volle Aufmerksamkeit verwenden, über die getreue Protokollirung desselben wachen
und bis zur Hauptverhandlung über Alles, was ihnen bei Gelegenheit der
Untersuchungshandlung bekannt geworden, Stillschweigen beobachten werden.
§.
103. Es ist eine allgemeine Bürgerpflicht, sich bei Untersuchungshandlungen
unentgeltlich als Gerichtszeuge verwenden zu lassen. Diese Pflicht trifft
zunächst die Bewohner jener Gemeinde, in welcher die Untersuchungshandlung
vorzunehmen ist.
Befreit
sind:
1.
die Seelsorger der gesetzlich anerkannten Religionsgesellschaften;
2.
Militär- und Landwehrpersonen in activer Dienstleistung und wirklich dienende
öffentliche Beamte und Diener;
3.
öffentliche Lehrer, die ihren Beruf wirklich ausübenden Sanitätspersonen,
Advocaten, Notare, bei Eisenbahn- und Dampfschiffahrten beschäftigte Personen,
sowie Alle, deren Berufsdienst ohne Verletzung des öffentlichen Interesses
nicht unterbrochen werden kann, endlich
4.
Personen, welche vom Tag- oder Wochenlohne leben.
§.
104. Die Protokolle über gerichtliche Verhandlungen werden gleich bei Vornahme
derselben, und wo dieß nicht thunlich ist, unmittelbar nachher aufgenommen.
Jedes
Protokoll enthält die Bezeichnung des Ortes, Jahres und Tages der Aufnahme und
der gegenwärtigen Personen.
Die
Fragen sind nur soweit niederzuschreiben, als es zum Verständniß einer Antwort
erforderlich ist. Die Antworten sind in der Regel blos ihrem wesentlichen
Inhalte nach erzählungsweise aufzunehmen. Nur wo es für die Beurtheilung der
Sache wichtig oder wo zu erwarten ist, daß die Vorlesung des Protokolles in der
Hauptverhandlung erforderlich sein werde, ist der Vernommene unter Beibehaltung
seiner eigenen Ausdrücke redend anzuführen.
Der
Richter hat das Protokoll laut, so daß es die Anwesenden hören, zu dictiren.
Doch steht dem Vernommenen frei, seine Antworten dem Protokollführer in die
Feder zu dictiren. Mißbraucht der Vernommene dieses Recht, so kann es ihm vom
Richter entzogen werden.
§.
105. Jedes Protokoll ist den vernommenen oder sonst beigezogenen Personen
vorzulegen, auch auf Verlangen zum Durchlesen vorzulegen und die geschehene
Vorlesung oder Vorlegung, sowie die Genehmigung im Protokolle zu bemerken.
Dasselbe ist sodann von den vernommenen Personen durch Beisetzung der
Unterschrift oder des Handzeichens auf jedem Bogen, und am Schlusse von den
anwesenden Beamten, dem Protokollführer und den beigezogenen
(421)
Gerichtszeugen zu unterschreiben. Verweigert der Vernommene die Unterschrift,
so ist dieß nebst dem Grunde der Weigerung im Protokolle zu bemerken.
§.
106. In dem einmal Niedergeschriebenen darf nichts Erhebliches ausgelöscht,
zugesetzt oder verändert werden. Durchstrichene Stellen müssen noch lesbar
bleiben. Erhebliche Zusätze oder Berichtigungen, die ein Vernommener seiner
Aussage beifügt, sind am Rande des Protokolles oder in einem Nachtrage zu
bemerken und auf die im §. 105 bezeichnete Art zu genehmigen und zu
unterschreiben.
§.
107. Besteht das Protokoll aus mehreren Bogen, so müssen diese sämmtlich mit
einem Faden zusammengeheftet und die Enden des Fadens mit dem Gerichtssiegel
befestigt werden.
Der
Untersuchungsrichter hat ein Tagebuch zu führen, in welchem alle Acten der
Voruntersuchung genau zu verzeichnen sind.
§.
108. Gegen Diejenigen, welche sich ungeachtet vorausgegangener Ermahnungen bei
irgend einer Amtshandlung des Untersuchungsrichters ein ungestümes oder
beleidigendes Betragen zu Schulden kommen lassen, kann der Untersuchungsrichter
eine Geldstrafe bis zu fünfzig Gulden oder eine Arreststrafe bis zu acht Tagen,
und insolange der zu Bestrafende ohnehin verhaftet ist, Anweisung eines harten
Lagers, Anhaltung in Einzelhaft, einsame Absperrung in dunkler Zelle (mir
Beobachtung der in den §§. 255-257 des Strafgesetzes angeordneten
Einschränkungen) oder Entziehung der warmen Kost während einer Woche verhängen.
Gegen
Gerichtszeugen, Sachverständige und Rechtsbeistände der Parteien können nur
Geldstrafen verhängt werden.
Jede
solche Verfügung ist in den Acten ersichtlich zu machen und der Rathskammer
sogleich anzuzeigen, welcher die Befugniß zukommt, diese vom
Untersuchungsrichter verhängten Strafen auch von Amtswegen aufzuheben oder zu
mildern (§. 113).
III.
Einstellung oder Schließung der Voruntersuchung.
§.
109. Die Voruntersuchung ist durch Verfügung des Untersuchungsrichters
einzustellen, sobald der Ankläger das Begehren nach strafgerichtlicher
Verfolgung zurückzieht oder auf Einstellung der Voruntersuchung anträgt, oder
erklärt, daß er keinen Grund zur weiteren gerichtlichen Verfolgung finde (§.
112).
Außerdem
kann die Einstellung der Voruntersuchung nur durch Beschluß der Rathskammer
oder des Gerichtshofes zweiter Instanz erfolgen.
§.
110. Wird die Voruntersuchung eingestellt, so sind der Ankläger, der
Privatbetheiligte und der Beschuldigte hievon zu verständigen und letzterer
ist, wenn er verhaftet war, sogleich freizulassen.
Auf
sein Verlangen ist ihm ein Amtszeugniß darüber auszufertigen, dass kein Grund
zur weiteren gerichtlichen Verfolgung gegen ihn vorhanden sei.
Hat
sich der durch das Verbrechen oder Vergehen in seinem Rechte Verletzte dem
Verfahren nicht angeschlossen, so ist ihm auf sein Ansuchen die Bestätigung der
erfolgten Einstellung zu ertheilen.
§.
111. Die Voruntersuchung wird geschlossen, sobald die gepflogenen Erhebungen
zureichen, um die Anordnung der Hauptverhandlung zu begründen, und zugleich die
zur vollständigen Vorführung der Beweismittel in der Hauptverhandlung
erforderliche Uebersicht über dieselben erlangt ist.
§.
112. Nach geschlossener Voruntersuchung theilt der Untersuchungsrichter die
Acten dem Staatsanwalte mit. Dieser ist verpflichtet (§. 27), binnen acht Tagen
nach Empfang der Acten entweder die Anklageschrift bei dem Untersuchungsrichter
einzubringen oder die Acten
(422)
demselben mit der Erklärung zurückzustellen, daß er keinen Grund zur weiteren
gerichtlichen Verfolgung finde.
Der
Privatankläger ist von dem Abschlusse der Voruntersuchung mit der Aufforderung
zur Einbringung der Anklageschrift binnen vierzehn Tagen und mit der Belehrung
in Kenntniß zu setzen, daß die Nichteinhaltung dieser Frist dem Rücktritte von
der Anklage gleichkomme (§. 109).
Innerhalb
der zur Einbringung der Anklageschrift bestimmten Frist kann auch der Antrag
auf Ergänzung der Voruntersuchung gestellt werden. Wird dieser Antrag
abgelehnt, so läuft die neue Frist zur Einbringung der Anklageschrift von der
Bekanntmachung des bezüglichen Beschlusses der Rathskammer.
IV.
Rechtsmittel gegen Verfügungen des Untersuchungsrichters und der Rathskammer.
§.
113. Alle, welche sich während der Vorerhebungen, der Voruntersuchung oder in
dem der Einbringung der Anklageschrift nachfolgenden Verfahren durch eine
Verfügung oder Verzögerung des Untersuchungsrichters beschwert erachten, haben
das Recht, darüber eine Entscheidung der Rathskammer zu verlangen und ihr
Begehren entweder schriftlich oder mündlich bei dem Untersuchungsrichter oder
unmittelbar bei der Rathskammer anzubringen. Eine solche Beschwerde hemmt den
Vollzug der Verfügung des Untersuchungsrichters nur in den im §. 108 erwähnten
Fällen.
Die
Rathskammer entscheidet in nicht öffentlicher Sitzung nach Anhörung des
Untersuchungsrichters und des Staatsanwaltes.
§.
114. Gegen diese Entscheidung der Rathskammer findet in der Regel ein weiterer
Rechtszug nicht statt. Doch kann gegen dieselbe sowohl der Staatsanwalt oder
Privatankläger als auch der Beschuldigte beim Gerichtshofe zweiter Instanz
Beschwerde führen, wenn sie die Ausscheidung einzelner Strafsachen aus dem
gemeinsam zu führenden Strafverfahren, die Verhängung oder Aufhebung der Haft
oder die Bestimmung der Versicherungssumme betrifft. Ferner steht dem
Staatsanwalte oder Privatankläger die Beschwerdeführung an den Gerichtshof zweiter
Instanz gegen jene Entscheidungen offen, durch welche ein Antrag auf Einleitung
der Voruntersuchung abgelehnt oder die Einstellung der letzteren ausgesprochen
wird.
Diese
Beschwerde hat in der Regel (§. 197) keine aufschiebende Wirkung. Sie ist
binnen drei Tagen nach Eröffnung des Beschlusses, gegen welchen sie gerichtet
ist, bei der Rathskammer anzubringen. Der Gerichtshof zweiter Instanz
entscheidet über die Beschwerde endgiltig in nicht öffentlicher Sitzung nach
Anhörung des Oberstaatsanwaltes.
Bei
der Entscheidung über solche Beschwerden kann der Gerichtshof niemals zum
Nachtheile des Beschuldigten Verfügungen und Beschlüsse abändern, gegen welche
nicht Beschwerde geführt wird; im Uebrigen aber ist er berechtigt, die
Beseitigung wahrgenommener Gebrechen des Verfahrens auch dann anzuordnen, wenn
eine Beschwerde gegen dieselben nicht ergriffen werden konnte oder nicht
ergriffen ward.
Findet
er die Beschwerde gegen die Einstellung einer Voruntersuchung begründet, so
kann er wegen solcher Handlungen, deren Verfolgung von einem berechtigten
Ankläger verlangt wurde (§. 92) und wegen welcher der Beschuldigte bereits
vernommen wurde, sofort dessen Versetzung in Anklagestand aussprechen.
§.
115. Es ist nach Möglichkeit dafür zu sorgen, daß durch die wegen Ergreifung
von Rechtsmitteln erfolgende Vorlegung der Acten der Rang des Verfahrens nicht
aufgehalten werde; nöthigenfalls sind von Actenstücken, welche zur Fortführung
desselben unentbehrlich sind, Abschriften zu machen.
(423)
XI. Hauptstück.
Von
dem Augenscheine und den Sachverständigen.
I.
Von dem Augenscheine und der Zuziehung von Sachverständigen überhaupt.
§.
116. Der Augenschein ist vorzunehmen, so oft dieß zur Aufklärung eines für die
Untersuchung erheblichen Umstandes nothwendig erscheint. Es sind stets zwei
Gerichtszeugen, und wenn sich dieß wegen Anerkennung der zu untersuchenden
Gegenstände oder zur Erlangung von Aufklärungen als zweckdienlich darstellt,
ist auch der Beschuldigte zuzuziehen. Dem Vertheidiger des Beschuldigten kann
die Betheiligung bei der Vornahme des Augenscheines nicht versagt werden; auch
ist ein bereits bestellter Vertheidiger, wenn kein besonderes Bedenken dagegen
obwaltet, von der Vornahme des Augenscheines in Kenntniß zu setzen.
§.
117. Das über den Augenschein aufzunehmende Protokoll ist so bestimmt und
umständlich abzufassen, dass es eine vollständige und treue Anschauung der
besichtigten Gegenstände gewähre. Es sind demselben zu diesem Zwecke
erforderlichenfalls Zeichnungen, Pläne oder Risse beizufügen; Maße, Gewichte,
Größen und Ortsverhältnisse sind nach bekannten und unzweifelhaften
Bestimmungen zu bezeichnen.
§.
118. Sind bei einem Augenscheine Sachverständige erforderlich, so soll der
Untersuchungsrichter in der Regel deren zwei beiziehen.
Die
Beziehung (!) eines Sachverständigen genügt, wenn der Fall von geringerer
Wichtigkeit ist, oder das Warten bis zum Eintreffen eines zweiten
Sachverständigen für den Zweck der Untersuchung bedenklich erscheint.
§.
119. Die Wahl der Sachverständigen steht dem Untersuchungsrichter zu. Sind
solche für ein bestimmtes Fach bei dem Gerichte bleibend angestellt, so soll er
andere nur dann zuziehen, wenn Gefahr am Verzuge haftet, oder wenn jene durch
besondere Verhältnisse abgehalten sind, oder in dem einzelnen Falle als
bedenklich erscheinen.
Wenn
ein Sachverständiger der an ihn ergangenen Vorladung nicht Folge leistet oder
seine Mitwirkung bei der Vornahme des Augenscheines verweigert, so kann der
Untersuchungsrichter eine Geldstrafe von fünf bis einhundert Gulden gegen ihn
verhängen.
§.
120. Personen, welche in einem Untersuchungsfalle als Zeugen nicht vernommen
oder nicht beeidet werden dürfen, oder welche zu dem Beschuldigten oder dem
Verletzten in einem der im §. 152, Z. 1, bezeichneten Verhältnisse stehen, sind
bei sonstiger Nichtigkeit des Actes als Sachverständige nicht beizuziehen. Von
der Wahl der Sachverständigen sind in der Regel sowohl der Ankläger, als der
Beschuldigte vor der Vornahme des Augenscheines in Kenntniß zu setzen; werden
erhebliche Einwendungen vorgebracht und haftet nicht Gefahr am Verzuge, so sind
andere Sachverständige beizuziehen.
§.
121. Diejenigen Sachverständigen, welche vermöge ihrer bleibenden Anstellung
schon im Allgemeinen beeidigt sind, hat der Untersuchungsrichter vor dem
Beginne der Amtshandlung an die Heiligkeit des von ihnen abgelegten Eides zu
erinnern.
Andere
Sachverständige müssen vor der Vornahme des Augenscheines eidlich verpflichtet
werden, dass sie den Gegenstand desselben sorgfältig untersuchen, die gemachten
Wahrnehmungen treu und vollständig angeben und den Befund, sowie ihr Gutachten
nach bestem Wissen und Gewissen und nach den Regeln ihrer Wissenschaft oder
Kunst abgeben wollen.
§.
122. Die Gegenstände des Augenscheines sind von den Sachverständigen in
Gegenwart der Gerichtspersonen zu besichtigen und zu untersuchen, außer wenn
letztere aus Rücksichten des sittlichen Umstandes für angemessen erachten, sich
zu entfernen oder, wenn die
(424)
erforderlichen Wahrnehmungen, wie bei der Untersuchung von Giften, nur durch
fortgesetzte Beobachtung oder länger dauernde Versuche gemacht werden können.
Bei
jeder solchen Entfernung der Gerichtspersonen von dem Orte des Augenscheines
ist aber auf geeignete Weise dafür zu sorgen, daß die Glaubwürdigkeit der von
den Sachverständigen zu pflegenden Erhebungen sichergestellt werde.
Ist
von dem Verfahren der Sachverständigen die Zerstörung oder die Veränderung
eines von ihnen zu untersuchenden Gegenstandes zu erwarten, so soll ein Theil
des letzteren, insoferne es thunlich erscheint, in gerichtlicher Verwahrung
behalten werden.
§.
123. Der Untersuchungsrichter leitet den Augenschein. Er bezeichnet mit
möglichster Berücksichtigung der von dem Ankläger und dem Beschuldigten oder
dessen Vertheidiger gestellten Anträge die Gegenstände, auf welche die
Sachverständigen ihre Beobachtung zu richten haben, und stellt die Fragen,
deren Beantwortung er für erforderlich hält. Die Sachverständigen können
verlangen, daß ihnen aus den Acten oder durch Vernehmung von Zeugen jene
Aufklärungen über von ihnen bestimmt zu bezeichnende Punkte gegeben werden,
welche sie für das abzugebende Gutachten für erforderlich erachten.
Wenn
den Sachverständigen zur Abgabe eines gründlichen Gutachtens die Einsicht der
Untersuchungsacten unerläßlich erscheint, können ihnen, soweit nicht besondere
Bedenken dagegen obwalten, auch die Acten selbst mitgetheilt werden.
§.
124. Die Angaben der Sachverständigen über die von ihnen gemachten
Wahrnehmungen (Befund) sind von dem Protokollführer sogleich aufzuzeichnen. Das
Gutachten sammt dessen Gründen können sie entweder sofort zu Protokoll geben
oder sich die Abgabe eines schriftlichen Gutachtens vorbehalten, wofür eine
angemessene Frist zu bestimmen ist.
§.
125. Weichen die Angaben der Sachverständigen über die von ihnen wahrgenommenen
Thatsachen erheblich voneinander ab, oder ist ihr Befund dunkel, unbestimmt, im
Widerspruche mit sich selbst, oder mit erhobenen Thatumständen, und lassen sich
die Bedenken nicht durch eine nochmalige Vernehmung der Sachverständigen
beseitigen, so ist der Augenschein, soferne es möglich ist, mit Zuziehung
derselben oder anderer Sachverständigen zu wiederholen.
§.
126. Ergeben sich solche Widersprüche oder Mängel in Bezug auf das Gutachten
oder zeigt sich, daß es Schlüsse enthält, welche aus den angegebenen
Vordersätzen nicht folgerichtig gezogen sind, und lassen sich die Bedenken
nicht durch eine nochmalige Vernehmung der Sachverständigen beseitigen, so ist
das Gutachten eines anderen oder mehrerer anderen
Sachverständigen
einzuholen.
Sind
die Sachverständigen Aerzte oder Chemiker, so kann in solchen Fällen das
Gutachten einer medicinischen Facultät der im Reichsrathe vertretenen Länder
eingeholt werden. Dasselbe geschieht, wenn die Rathskammer die Einholung eines
Facultätsgutachtens wegen der Wichtigkeit oder Schwierigkeit des Falles nöthig
findet.
II.
Verfahren bei Untersuchungen wegen Tödtungen und Körperverletzungen
insbesondere.
§.
127. Wenn sich bei einem Todesfall Verdacht ergibt, daß derselbe durch ein
Verbrechen oder ein Vergehen verursacht worden sei, so muss vor der Beerdigung
die Leichenbeschau und Leicheneröffnung vorgenommen werden.
Ist
die Leiche bereits beerdigt, so muss sie zu diesem Behufe wieder ausgegraben
werden, wenn nach den Umständen noch ein erhebliches Ergebniß davon erwartet
werden kann und nicht dringende Gefahr für die Gesundheit der Personen, welche
an der Leichenbeschau Theil nehmen müssen, vorhanden ist.
(425)
Ehe zur Oeffnung der Leiche geschritten wird, ist dieselbe genau zu beschreiben
und deren Identität durch Vernehmung von Personen, die den Verstorbenen gekannt
haben, außer Zweifel zu setzen. Diesen Personen ist nöthigenfalls vor der
Anerkennung eine genaue Beschreibung des Verstorbenen abzufordern. Ist aber der
letztere ganz unbekannt, so ist eine genaue Beschreibung der Leiche durch
öffentliche Blätter bekannt zu machen.
Bei
der Leichenbeschau hat der Untersuchungsrichter darauf zu sehen, daß die Lage
und Beschaffenheit des Leichnams, der Ort, wo, und die Kleidung, worin er
gefunden wurde, genau bemerkt, sowie Alles, was nach den Umständen für die
Untersuchung von Bedeutung sein könnte, sorgfältig beachtet werde. Insbesondere
sind Wunden und andere äußere Spuren erlittener Gewaltthätigkeit nach ihrer
Zahl und Beschaffenheit genau zu verzeichnen, die Mittel und Werkzeuge, durch
welche sie wahrscheinlich verursacht wurden, anzugeben und die etwa
vorgefundenen, möglicherweise gebrauchten Werkzeuge mit den vorhandenen
Verletzungen zu vergleichen.
§.
128. Die Leichenbeschau und Leichenöffnung ist durch zwei Aerzte, wovon der
eine auch nur ein Wundarzt sein kann, nach den dafür bestehenden besonderen
Vorschriften vorzunehmen.
Der
Arzt, welcher den Verstorbenen in der seinem Tode allenfalls vorhergegangenen
Krankheit behandelt hat, ist, wenn es zur Aufklärung des Sachverhaltes
beitragen und ohne Verzögerung geschehen kann, zur Gegenwart bei der
Leichenbeschau aufzufordern.
§.
129. Das Gutachten hat sich darüber auszusprechen, was in dem vorliegenden
Falle die den eingetretenen Tod zunächst bewirkende Ursache gewesen und wodurch
dieselbe erzeugt worden sei.
Werden
Verletzungen wahrgenommen, so ist insbesondere zu erörtern:
1.
ob dieselben dem Verstorbenen durch die Handlung eines Anderen zugefügt wurden,
und falls diese Frage bejaht wird,
2.
ob diese Handlung
a)
schon ihrer allgemeinen Natur wegen,
b)
vermöge der eigenthümlichen persönlichen Beschaffenheit oder eines besonderen
Zustandes des Verletzten,
c)
wegen der zufälligen Umstände, unter welchen sie verübt wurde, oder
d)
vermöge zufällig hinzugekommener, jedoch durch sie veranlaßter oder aus ihr
entstandener Zwischenursachen den Tod herbeigeführt habe, und ob endlich
e)
der Tod durch rechtzeitige und zweckmäßige Hilfe hätte abgewendet werden
können.
Insoferne
sich das Gutachten nicht über alle für die Entscheidung erheblichen Umstände
verbreitet, sind hierüber von dem Untersuchungsrichter besondere Fragen an den
Sachverständigen zu stellen.
§.
130. Bei Verdacht einer Kindestödtung ist nebst den nach den vorstehenden
Vorschriften zu pflegenden Erhebungen auch zu erforschen, ob das Kind auch
lebendig geboren sei.
§. 131.
Liegt der Verdacht einer Vergiftung vor, so sind der Erhebung des Thatbestandes
nebst den Aerzten nach Thunlichkeit noch zwei Chemiker beizuziehen. Die
Untersuchung der Gifte selbst aber kann nach Umständen auch von den Chemikern
allein in einem hiezu geeigneten Locale vorgenommen werden.
§.
132. Auch bei körperlichen Beschädigungen ist die Besichtigung des Verletzten
durch zwei Sachverständige vorzunehmen, welche sich nach genauer Beschreibung
der Verletzungen insbesondere auch darüber auszusprechen haben, welche von den
vorhandenen Körperverletzungen oder Gesundheitsstörungen an und für sich, oder
in ihrem Zusammenwirken, unbedingt oder unter den besonderen Umständen des
Falles, als leichte, schwere oder lebensgefährliche
(426)
anzusehen seien; welche Wirkungen Beschädigungen dieser Art gewöhnlich nach
sich zu ziehen pflegen, und welche in dem vorliegenden einzelnen Falle daraus
hervorgegangen sind, sowie durch welche Mittel oder Werkzeuge und auf welche
Weise dieselben zugefügt worden seien.
§.
133. Ist die körperliche Besichtigung einer Frauensperson nöthig, so können
nach Umständen auch Geburtshelfer, oder in minder wichtigen Fällen
Geburtshelferinnen statt der Aerzte oder Wundärzte damit beauftragt werden.
III.
Verfahren bei Zweifeln über Geistesstörungen oder über Zurechnungsfähigkeit.
§.
134. Entstehen Zweifel darüber, ob der Beschuldigte den Gebrauch seiner
Vernunft besitze, oder ob er an einer Geistesstörung leide, wodurch die
Zurechnungsfähigkeit desselben aufgehoben sein könnte, so ist die Untersuchung
des Geistes- und Gemüthszustandes des Beschuldigten jederzeit durch zwei Aerzte
zu veranlassen.
Dieselben
haben über das Ergebniß ihrer Beobachtungen Bericht zu erstatten, alle für die
Beurtheilung des Geistes- und Gemüthszustandes des Beschuldigten einflußreichen
Thatsachen zusammenzustellen, sie nach ihrer Bedeutung sowohl einzeln als im
Zusammenhange zu prüfen und, falls sie eine Geistesstörung als vorhanden
betrachten, die Natur der Krankheit, die Art und den Grad derselben zu
bestimmen, und sich sowohl nach den Acten, als nach ihrer eigenen Beobachtung
über den Einfluß auszusprechen, welchen die Krankheit auf die Vorstellungen,
Triebe und Handlungen des Beschuldigten geäußert habe und noch äußere, und ob
und in welchem Maße dieser getrübte Geisteszustand zur Zeit der begangenen That
bestanden habe.
IV.
Prüfung von Handschriften.
§.
135. Entstehen Zweifel über die Echtheit einer Urkunde, oder soll ermittelt
werden, von wessen Hand eine bestimmte Schrift herrühre, so kann eine
Vergleichung mit unzweifelhaft echten Schriftstücken durch Sachverständige
vorgenommen werden.
V.
Verfahren bei Untersuchungen wegen Verfälschung oder Nachmachung öffentlicher
Creditpapiere und bei Münzverfälschungen.
§.
136. In Fällen der Nachmachung oder Verfälschung von öffentlichen
Creditpapieren hat der Untersuchungsrichter die Stücke, welche den Gegenstand
der Untersuchung bilden, in der Regel an das Finanzministerium einzusenden, um
den Befund über ihre Echtheit oder Unechtheit und die weitere Auskunft zu
erhalten, in welcher Art die Fälschung geschehen sei, ob vorbereitete
Werkzeuge, welche die Vervielfältigung erleichtern, benützt worden, endlich ob
und wo solche gefälschte Stücke bereits vorgekommen seien.
Ebendahin
sind auch nach gänzlich beendigtem strafgerichtlichen Verfahren die Falsificate
sammt allen von der strafbaren Handlung herrührenden Werkzeugen, Materialien
und anderen dazu gehörigen Gegenständen einzuschicken. Sobald diese Gegenstände
zu einer neuerlichen strafgerichtlichen Amtshandlung nöthig werden, sind sie
zurückzuverlangen.
Bei
Fälschungen von Noten oder Creditpapieren der privilegirten österreichischen
Nationalbank haben sich die Untersuchungsrichter unmittelbar an die letztere,
bei Fälschungen von inländischem Metallgeld an das hiefür bestimmte Münzamt zu
wenden und ebendahin nach beendigtem Verfahren auch die Falsificate
einzusenden.
Wegen
Erlangung des Befundes über gefälschtes ausländisches Geld oder solche
Creditpapiere hat sich der Untersuchungsrichter unmittelbar an das
Justizministerium zu wenden.
(427) VI. Verfahren bei Untersuchungen wegen Brandlegungen.
§. 137. Bei Brandlegungen ist insbesondere zu ermitteln, auf
welche Weise der Brand gelegt, ob dazu ein Zündstoff und welcher verwendet
worden; ferner der Ort, wo, und die Zeit zu erforschen, wann die Brandlegung,
ob bei Tag oder Nacht, und ob sie unter solchen Umständen geschehen, daß daraus
wirklich eine Feuersbrunst an fremdem Eigenthume bewirkt oder doch die Gefahr
einer solchen herbeigeführt, oder das Leben eines Menschen einer Gefahr ausgesetzt
worden sei, und ob das Feuer bei dem Ausbruche sich leicht hätte verbreiten
können; endlich ist bei einem wirklich ausgebrochenen Brande die Größe des
dadurch verursachten Schadens zu erheben.
VII. Verfahren bei Untersuchungen wegen anderer Beschädigungen.
§. 138. Bei Verbrechen oder Vergehen, durch welche auf
andere, als die eben erwähnte Weise, ein Schade oder eine Gefahr für Leben oder
Eigenthum herbeigeführt wurde, ist durch den Augenschein vorzüglich die
Beschaffenheit der angewendeten Gewalt oder List, der gebrauchten Mittel oder
Werkzeuge und die Größe des verursachten oder beabsichtigten Schadens und des
entgangenen Gewinnes oder der Gefahr für das Leben, die Gesundheit, oder
körperliche Sicherheit von Menschen und für fremdes Eigenthum zu erheben.
XII. Hauptstück.
Von der Haus- und Personsdurchsuchung und der Beschlagnahme.
I. Haus- und Personsdurchsuchung.
§. 139. Eine Hausdurchsuchung, das ist die Durchsuchung der
Wohnung oder sonstiger zum Hauswesen gehörigen Räumlichkeiten, darf nur dann
vorgenommen werden, wenn gegründeter Verdacht vorliegt, daß sich darin eine,
eines Verbrechens oder Vergehens verdächtige Person verborgen halte, oder daß
sich daselbst Gegenstände befinden, deren Besitz oder Besichtigung für eine
bestimmte Untersuchung von Bedeutung sein könne.
Gegen Personen, bei welchen eine hohe Wahrscheinlichkeit für
den Besitz solcher Gegenstände spricht, oder welche eines Verbrechens oder
Vergehens verdächtig oder sonst übel berüchtigt sind, kann auch die
Durchsuchung der Person und ihrer Kleidung stattfinden.
§. 140. Eine Durchsuchung findet in der Regel nur nach
vorausgegangener Vernehmung Desjenigen, bei oder an welchem sie vorgenommen
werden soll, und nur insoferne statt, als durch die Vernehmung weder die
freiwillige Herausgabe des Gesuchten, noch die Beseitigung der die Durchsuchung
veranlassenden Gründe herbeigeführt wird.
Von dieser Vernehmung kann Umgang genommen werden bei übel
berüchtigten Personen, sowie auch dann, wenn Gefahr am Verzuge ist, oder wenn
die Durchsuchung von dem Publicum offen stehenden Räumlichkeiten vorgenommen
wird.
In der Regel darf die Durchsuchung nur kraft eines mit
Gründen versehenen richterlichen Befehles unternommen werden. Dieser Befehl ist
dem Betheiligten sogleich oder doch innerhalb der nächsten vierundzwanzig
Stunden zuzustellen.
Von Hausdurchsuchungen wegen Verbrechen oder Vergehen,
rücksichtlich welcher weitere polizeiliche Nachforschungen oder Vorkehrungen im
Interesse der öffentlichen Sicherheit erforderlich sein können, ist, insoferne
dieß ohne Verzögerung geschehen kann, die nächste Sicherheitsbehörde vorläufig
in Kenntniß zu setzen, damit ein Abgeordneter derselben hiebei anwesend sein
und, ohne auf den Untersuchungsact Einfluß zu nehmen, sich die nöthigen
Kenntnisse zu den weiter erforderlichen Vorkehrungen verschaffen könne.
(428) Ist eine Hausdurchsuchung in einem militärischen oder
von Militär (Landwehr) besetzten Gebäude vorzunehmen, so ist dieß dem
Commandanten anzuzeigen und eine von ihm beigegebene Militär- (Landwehr-)
Person beizuziehen.
§. 141. Zum Zwecke der Strafgerichtspflege kann bei Gefahr
am Verzuge auch ohne richterlichen Befehl eine Hausdurchsuchung von
Gerichtsbeamten oder Beamten der Sicherheitsbehörden angeordnet werden. Der zur
Vornahme Abgeordnete ist mit einer schriftlichen Ermächtigung zu versehen,
welche er dem Betheiligten vorzuweisen hat.
Zu demselben Zwecke kann eine Hausdurchsuchung auch durch
die Sicherheitsorgane aus eigener Macht vorgenommen werden, wenn gegen Jemanden
ein Vorführungs- oder Verhaftbefehl erlassen, oder wenn Jemand auf der That
betreten, durch öffentliche Nacheile oder öffentlichen Ruf als einer strafbaren
Handlung verdächtig bezeichnet oder im Besitze von Gegenständen betreten wird,
welche auf die Betheiligung an einer solchen hinweisen.
In beiden Fällen ist dem Betheiligten auf sein Verlangen
sogleich oder doch binnen der nächsten vierundzwanzig Stunden die Bescheinigung
über die Vornahme der Hausdurchsuchung und deren Gründe zuzustellen.
§. 142. Haus- und Personsdurchsuchungen sind stets mit Vermeidung
alles unnöthigen Aufsehens, jeder nicht unumgänglich nöthigen Belästigung oder
Störung der Betheiligten, mit möglichster Schonung ihres Rufes und ihrer mit
dem Gegenstande der Untersuchung nicht zusammenhängenden Privatgeheimnisse,
sowie mit sorgfältigster Wahrung der Schicklichkeit und des Anstandes
vorzunehmen.
Der Inhaber der Räumlichkeit, welche durchsucht werden soll,
ist aufzufordern, der Durchsuchung beizuwohnen; ist er verhindert oder nicht
anwesend, so muß die Aufforderung an ein erwachsenes Mitglied seiner Familie
oder in dessen Ermanglung an einen Hausgenossen oder Nachbar ergehen.
Außerdem sind bei der Durchsuchung stets ein Protokollführer
und zwei Gerichtszeugen beizuziehen.
Das über die Durchsuchung aufzunehmende Protokoll ist von allen
Anwesenden zu unterfertigen. Ist nichts Verdächtiges ermittelt worden, so ist
dem Betheiligten auf sein Verlangen eine Bestätigung hierüber zu ertheilen.
II. Beschlagnahme.
§. 143. Werden Gegenstände gefunden, welche für die
Untersuchung von Bedeutung sein können, so sind dieselben in ein Verzeichniß zu
bringen und in gerichtliche Verwahrung oder doch unter gerichtliche Obhut oder
in Beschlag zu nehmen (§. 98).
Jedermann ist verpflichtet, solche Gegenstände, insbesondere
auch Urkunden, auf Verlangen herauszugeben. Wird die Herausgabe eines
Gegenstandes, dessen Innehabung zugestanden oder sonst erwiesen ist,
verweigert, und läßt sich die Abnahme nicht mittelst Hausdurchsuchung bewirken,
so kann der Besitzer, falls er nicht selbst der strafbaren Handlung verdächtig
erscheint oder von der Verbindlichkeit zur Ablegung eines Zeugnisses gesetzlich
befreit ist, durch Verhängung einer Geldstrafe bis zu fünfzig Gulden und bei
fernerer Weigerung in wichtigeren Fällen durch Arrest bis zu sechs Wochen dazu
angehalten werden.
§. 144. Werden bei einer Haus- oder Personsdurchsuchung
Gegenstände gefunden, welche auf die Begehung einer anderen strafbaren
Handlung, als derjenigen, wegen welcher die Durchsuchung vorgenommen wird,
schließen lassen, so werden sie, wenn jene von Amtswegen zu verfolgen ist, zwar
mit Beschlag belegt; es muß jedoch hierüber ein besonderes Protokoll
aufgenommen und dieses sofort dem Staatsanwalte mitgetheilt werden. Beantragt
dieser nicht die Einleitung des Strafverfahrens, so sind die in Beschlag genommenen
Gegenstände unverzüglich zurückzugeben.
(429) III. Durchsuchung und Beschlagnahme von Papieren.
§. 145. Bei der Durchsuchung von Papieren ist dafür zu
sorgen, daß deren Inhalt nicht zur Kenntniß unbefugter Personen gelange.
Will der Inhaber von Papieren deren Durchsuchung nicht
gestatten, so sind dieselben versiegelt zu Gericht zu hinterlegen, und es ist
sofort die Entscheidung der Rathskammer einzuholen, ob sie durchsucht oder
zurückgegeben werden sollen.
Auch außerdem sind Papiere, welche in gerichtliche
Verwahrung genommen wurden und welche nicht sofort verzeichnet werden können,
in einen mit dem Gerichtssiegel zu verschließenden Umschlag zu bringen. Auch
dem bei der Durchsuchung etwa anwesenden Betheiligten ist die Beidrückung
seines Siegels zu gestatten. Wird eine Entsiegelung vorgenommen, so ist der
Betheiligte aufzufordern, derselben beizuwohnen. Erscheint er auf eine solche
Aufforderung nicht, oder kann ihm dieselbe wegen seiner Abwesenheit nicht
zugestellt werden, so ist die Entsiegelung dennoch vorzunehmen.
IV. Beschlagnahme und Eröffnung von Briefen und anderen
Sendungen.
§. 146. Befindet sich der Beschuldigte bereits wegen eines
Verbrechens oder Vergehens in Haft, oder ist wegen eines solchen ein
Vorführungs- oder Verhaftsbefehl gegen ihn erlassen, so kann der
Untersuchungsrichter Telegramme, Briefe oder andere Sendungen, welche der
Beschuldigte abschickt, oder welche an ihn gerichtet werden, in Beschlag nehmen
und von den Post- oder Telegraphenämtern und sonstigen Beförderungsanstalten deren
Auslieferung verlangen,
Diese sind ferner verpflichtet, auf Verlangen des
Staatsanwaltes solche Sendungen bis zum Eintreffen einer gerichtlichen
Verfügung zurückzuhalten; erfolgt jedoch eine solche Verfügung von Seite des
Untersuchungsgerichtes nicht binnen drei Tagen, so dürfen sie die Beförderung
nicht weiter verschieben.
§. 147. Die Eröffnung der mit Beschlag belegten Sendungen
kann nur durch den Untersuchungsrichter, und zwar mit Zustimmung des
Beschuldigten ohneweiters geschehen. Wenn der Beschuldigte nicht zustimmt, hat
der Untersuchungsrichter, soferne nicht Gefahr am Verzuge haftet, vorläufig die
Genehmigung der Rathskammer einzuholen.
Bei der Eröffnung, über welche ein Protokoll aufzunehmen
ist, dürfen die Siegel nicht verletzt werden; Umschläge und Adressen sind
aufzubewahren.
§. 148. Die Beschlagnahme von Sendungen ist dem
Beschuldigten, oder, wenn er abwesend ist, einem seiner Angehörigen sogleich
und längstens binnen vier und zwanzig Stunden bekannt zu machen. Ist die
Eröffnung der Sendungen erfolgt, so sind Briefe und Telegramme, soferne von der
Mittheilung ihres Inhaltes kein nachtheiliger Einfluß für die Untersuchung zu
besorgen ist, dem Beschuldigten oder Demjenigen, an welchen sie gerichtet sind,
in Urschrift oder Abschrift, ganz oder auszugsweise mitzutheilen. Ist der
Beschuldigte abwesend, so geschieht die Mittheilung an einen seiner
Angehörigen. Sind keine Angehörigen des Beschuldigten vorhanden, so ist der
Brief, wenn der Richter es im Interesse des Absenders erachtet, diesem zurückzuschicken
oder demselben, falls der Brief oder das Telegramm bei den Acten bleiben muß,
die erfolgte Beschlagnahme anzuzeigen.
§. 149. In Beschlag genommene Sendungen, deren Eröffnung
nicht für nöthig erachtet wurde, sind ohne Verzug Denjenigen, an welche sie
gerichtet sind, auszufolgen oder der Beförderungsanstalt zurückzugeben.
(430) XIII. Hauptstück.
Von der Vernehmung der Zeugen.
§. 150. In der Regel ist Jeder, der als Zeuge vorgeladen
wird, verpflichtet, der Vorladung Folge zu leisten und über dasjenige, was ihm
von dem Gegenstande der Untersuchung bekannt ist, vor Gericht Zeugniß
abzulegen.
§. 151. Als Zeugen dürfen, bei sonstiger Nichtigkeit ihrer
Aussage, nicht vernommen werden:
1. Geistliche in Ansehung dessen, was ihnen in der Beichte
oder sonst unter dem Siegel geistlicher Amtsverschwiegenheit anvertraut wurde;
2. Staatsbeamte, wenn sie durch ihr Zeugniß das ihnen
obliegende Amtsgeheimniß
verletzen würden, insoferne sie dieser Pflicht nicht durch
ihre Vorgesetzten entbunden sind;
3. Personen, die zur Zeit, in welcher sie das Zeugniß
ablegen sollen, wegen ihrer Leibes- oder Gemüthsbeschaffenheit außer Stande
sind, die Wahrheit anzugeben.
§. 152. Von der Verbindlichkeit zur Ablegung eines
Zeugnisses sind befreit:
1. Die Verwandten und Verschwägerten des Beschuldigten in
auf- und absteigender Linie, sein Ehegatte und dessen Geschwister, seine
Geschwister und deren Ehegatten, die Geschwister seiner Eltern und Großeltern,
seine Neffen, Nichten, Geschwisterkinder, Adoptiv- und Pflegeeltern, Adoptiv-
und Pflegekinder, sein Vormund und Mündel;
2. Vertheidiger in Ansehung desjenigen, was ihnen in dieser
Eigenschaft von dem Beschuldigten anvertraut worden ist.
Steht eine als Zeuge vorgeladene Person nur zu einem von
mehreren Beschuldigten in einem der vorstehend erwähnten Verhältnisse, so kann
sie sich des Zeugnisses hinsichtlich der anderen nur dann entschlagen, wenn
eine Sonderung der Aussagen, welche die letzteren betreffen, nicht möglich ist.
Der Untersuchungsrichter hat die unter 1. bezeichneten
Personen, wenn sie als Zeugen vorgerufen werden, vor ihrer Vernehmung oder
doch, sobald ihm ihr Verhältniß zu dem Beschuldigten bekannt wird, über ihr
Recht, sich des Zeugnisses zu entschlagen, zu belehren und ihre darüber
erfolgte Erklärung in das Protokoll aufzunehmen. Hat der Zeuge auf sein Recht,
sich des Zeugnisses zu entschlagen, nicht ausdrücklich verzichtet, so ist seine
Aussage nichtig.
§. 153. Wenn die Ablegung des Zeugnisses oder die
Beantwortung einer Frage für den Zeugen einen unmittelbaren und bedeutenden
Vermögensnachtheil nach sich ziehen oder ihm selbst oder einem seiner
Angehörigen (§. 152, Z.1) Schande bringen würde, und er deßhalb das Zeugniß
verweigert, so soll er nur in besonderes wichtigen Fällen dazu verhalten
werden.
§. 154. Personen, welche durch Krankheit oder
Gebrechlichkeit vor Gericht zu erscheinen verhindert sind, können in ihrer
Wohnung vernommen werden.
§. 155. Mitglieder des kaiserlichen Hauses werden als Zeugen
durch den Obersthofmarschall oder außer Wien durch den Präsidenten des Gerichtshofes
erster Instanz ihrer Aufenthaltsortes in ihrer Wohnung vernommen.
§. 156. Ist der Aufenthaltsort eines Zeugen außerhalb des
Sprengels des am Sitze des Untersuchungsrichters befindlichen Bezirksgerichtes
gelegen, so ist die Vernehmung in der Regel durch jenes Bezirksgericht, in
dessen Bezirk sich der Zeuge befindet, zu veranlassen. Hält jedoch der
Untersuchungsrichter es zur Erlangung einer erschöpfenden Aussage oder zur
Beschleunigung der Sache für nothwendig, den Zeugen selbst zu vernehmen, so kann
er denselben unmittelbar oder durch das Bezirksgericht, welchem der Zeuge
untersteht, zum persönlichen Erscheinen vorladen. Ist die Stellung des Zeugen
vor den Untersuchungsrichter mit zu großen Schwierigkeiten oder mit zu großen
Kosten verbunden, so kann er ihn an dessen Aufenthaltsorte (431) auch selbst
vernehmen, hat jedoch, wenn dieser nicht in dem Sprengel des Gerichtshofes
liegt, welchem er angehört, den zuständigen Gerichtshof davon gleichzeitig zu
benachrichtigen.
§. 157. Sind Zeugen zu vernehmen, die sich außer dem Gebiete
der im Reichsrathe vertretenen Länder befinden, so ist in der Regel um deren
Vernehmung der zuständige fremde Richter zu ersuchen. Demselben sind die
Gegenstände und Fragen mitzutheilen, worüber die Vernehmung stattzufinden hat,
und es ist zugleich das Ersuchen zu stellen, nach Beschaffenheit der Umstände
die Vernehmung auch auf solche Fragepunkte auszudehnen, die sich aus dem
Inhalte der von dem Zeugen abgelegten Aussage ergeben werden. Stellt sich aber
das persönliche Erscheinen eines solchen Zeugen vor dem Strafgerichte als
nothwendig dar, so ist, wenn der Zeuge sich nicht freiwillig einfindet, darüber
dem Justizminister Bericht zu erstatten.
§. 158. Steht die zu vernehmende Person in einem
öffentlichen Amte oder Dienste und muß zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit
oder anderer öffentlicher Interessen eine Stellvertretung während ihrer
Verhinderung eintreten, so ist der unmittelbare Vorgesetzte von deren Vorladung
gleichzeitig zu benachrichtigen.
Diese Vorschrift hat auch dann zu gelten, wenn Angestellte
von Eisenbahnen und Dampfschiffen, Berg-, Hütten-, Hammer- und
Walzwerksarbeiter, im Staats- oder Gemeindedienste stehende Sanitätspersonen,
im öffentlichen oder Privatforstdienste stehende Personen vorzuladen sind.
§. 159. Wenn ein Zeuge der ihm zugestellten Vorladung nicht
Folge leistet, so geschieht seine neuerliche Vorladung unter Androhung einer
Geldstrafe bis zu hundert Gulden für den Fall des Nichterscheinens und unter
der ferneren Drohung, daß ein Vorführungsbefehl gegen ihn werde erlassen
werden. Bleibt der Zeuge ohne giltige Entschuldigungsgründe dennoch aus, so hat
der Untersuchungsrichter die Geldstrafe wider ihn zu verhängen und den
Vorführungsbefehl auszufertigen. In dringenden Fällen kann der
Untersuchungsrichter schon nach dem ersten nicht gerechtfertigten Ausbleiben
gegen ihn einen Vorführungsbefehl erlassen. Die Kosten der Vorführung hat der
Zeuge zu vergüten.
§. 160. Erscheint der Zeuge, verweigert er aber ohne
gesetzlichen Grund ein Zeugniß abzulegen oder den Zeugeneid zu leisten, so kann
ihn der Untersuchungsrichter durch eine Geldstrafe bis zu hundert Gulden, und
bei fernerer Weigerung in wichtigeren Fällen durch Arrest bis zu sechs Wochen
dazu anhalten, ohne daß deßhalb die Fortsetzung oder Beendigung der Voruntersuchung
aufgehalten werden muß.
§. 161. Im Laufe der Voruntersuchung sind Zeugen, welche der
Militär-Gerichtsbarkeit unterstehen, nach dem Ermessen des
Untersuchungsrichters entweder gleich anderen Zeugen von diesem selbst oder
durch dasjenige Militärgericht, welchem über sie die Gerichtsbarkeit zusteht,
zu vernehmen. Der Untersuchungsrichter hat sich im ersteren Falle wegen
Zustellung der Vorladung an das vorgesetzte Commando des Zeugen oder an das
nächste Militär-Stationscommando zu wenden, im letzteren Falle aber das
Militärgericht, dem der Zeuge untersteht, wegen dessen Vernehmung anzugehen.
Die Mitglieder der Gendarmerie, Militär-Polizeiwache und
Sicherheitswache sind rücksichtlich ihrer Vernehmung als Zeugen immer wie
Personen aus dem Civilstande zu behandeln. Die Vorladungen an dieselben sind
jedoch nur den selbständigen Commandanten unmittelbar, den übrigen Mitgliedern
dieser Körper aber immer durch ihre Vorgesetzten zuzustellen, welchen es
obliegt, das Erscheinen des Vorgeladenen vor der Civilbehörde anzuordnen.
Sollte ein der Militär-Gerichtsbarkeit unterstehender Zeuge
sich weigern, vor dem Untersuchungsrichter zu erscheinen oder die abgeforderte
Aussage oder den Zeugeneid abzulegen, so hat sich der Untersuchungsrichter
unmittelbar an den Vorgesetzten des Zeugen zu wenden, welchem es obliegt,
denselben zur Befolgung des Gesetztes zu verhalten.
(432) §. 162. Jeder Zeuge wird von dem Untersuchungsrichter
ohne Beisein des Anklägers, des Privatbetheiligten, Beschuldigten oder anderer
Zeugen einzeln vernommen. Es ist ihm während seiner Vernehmung ein Sitz zu
gestatten.
§. 163. Ist ein Zeuge der Gerichtssprache nicht kundig, so
kann die Vernehmung desselben ohne Dolmetsch nur dann geschehen, wenn sowohl
der Untersuchungsrichter, als der Protokollführer seiner Sprache zureichend
kundig sind; nach Erforderniß ist den Acten eine beglaubigte Uebersetzung des
Protokolles in der Gerichtssprache beizulegen.
Außer diesem Falle aber hat die Vernehmung mit Zuziehung
eines beeidigten Dolmetsches stattzufinden und es muß das Verhör sowohl in der
Sprache, in welcher der Zeuge vernommen wird, als auch in der Uebersetzung in
die Gerichtssprache zu Protokoll gebracht werden. Der Dolmetsch kann auch
zugleich als Protokollführer verwendet werden.
§. 164. Ist ein Zeuge taub, so werden ihm die Fragen
schriftlich vorgelegt, und ist er stumm, so wird er aufgefordert, schriftlich
zu antworten. Wenn die eine oder die andere Art der Vernehmung nicht möglich
ist, so muß die Vernehmung des Zeugen unter Zuziehung einer oder mehrerer
Personen geschehen, welche der Zeichensprache desselben kundig sind oder sonst
die Geschicklichkeit besitzen, sich mit Taubstummen zu verständigen, und welche
vorher als Dolmetsche zu beeidigen sind.
§. 165. Der Zeuge ist vor seiner Vernehmung zu ermahnen, daß
er auf die an ihn zu richtenden Fragen nach seinem besten Wissen und Gewissen
die reine Wahrheit anzugeben, nichts zu verschweigen und seine Aussage so
abzulegen habe, daß er sie erforderlichenfalls eidlich bekräftigen könne.
§. 166. Sodann ist der Zeuge um Vor- und Zunamen, Alter,
Geburtsort, Religion, Stand, Gewerbe oder Beschäftigung, Wohnort und
erforderlichenfalls über andere persönliche Verhältnisse, insbesondere über
sein Verhältniß zu dem Beschuldigten oder zu anderen bei der Untersuchung Betheiligten
zu befragen.
Erscheint es dem Untersuchungsrichter nach den besonderen
Umständen des Falles unumgänglich nothwendig, so kann der Zeuge auch darüber
gefragt werden, ob er schon einmal in einer strafgerichtlichen Untersuchung
gestanden und welches Ergebniß dieselbe hatte.
§. 167. Bei der Vernehmung über die Sache selbst ist der
Zeuge zuvörderst zu einer zusammenhängenden Erzählung der den Gegenstand des
Zeugnisses bildenden Thatsachen, sodann aber zur Ergänzung derselben und zur
Hebung von Dunkelheiten oder Widersprüchen zu veranlassen. Der Zeuge ist
insbesondere aufzufordern, den Grund seines Wissens anzugeben. Fragen, durch
welche ihm Thatumstände vorgehalten werden, welche erst durch seine Antwort
festgestellt werden sollen, sind möglichst zu vermeiden, und wenn sie gestellt
werden müssen, im Protokolle ersichtlich zu machen.
§. 168. Wird es nothwendig, die Anerkennung von Personen
oder Sachen durch den Zeugen zu erlangen, so ist die Vorstellung oder Vorlegung
in angemessener Weise zu veranlassen; jedoch ist der Zeuge vorher zur genauen
Beschreibung und Angabe der unterscheidenden Kennzeichen aufzufordern.
Stimmen Aussagen von Zeugen unter einander in erheblichen
Umständen nicht überein, so kann der Untersuchungsrichter deren
Gegenüberstellung veranlassen.
Die Gegenüberstellung soll in der Regel nicht zwischen mehr
als zwei Personen zugleich geschehen. Die Gegenübergestellten sind über jeden
einzelnen Umstand, in Beziehung auf welchen sie von einander abweichen,
besonders zu vernehmen und die beiderseitigen Antworten zu Protokoll zu
bringen.
§. 169. Die Beeidigung von Zeugen darf in der
Voruntersuchung nur dann stattfinden, wenn bei einem Zeugen wegen Krankheit
längere Abwesenheit, wegen des Mangels eines bestimmten
(433) Aufenthaltsortes oder aus anderen Gründen zu besorgen
ist, daß er bei der Hauptverhandlung nicht werde gegenwärtig sein können, wenn
der Ankläger oder der Beschuldigte die Beeidigung eines Zeugen aus wichtigen
Gründen beantragt, oder wenn der Untersuchungsrichter nur durch die Forderung
der eidlichen Bestätigung der Zeugenaussage die volle Wahrheit erfahren zu
können glaubt.
§. 170. Folgende Personen dürfen bei sonstiger Nichtigkeit
des Eides nicht beeidet werden:
1. Welche selbst überwiesen sind oder in Verdacht stehen,
daß sie die strafbare Handlung, wegen welcher sie abgehört werden, begangen
oder daran Theil genommen haben;
2. die sich wegen eines Verbrechens in Untersuchung befinden
oder wegen eines solchen zu einer Freiheitsstrafe verurtheilt sind, welche sie
noch abzubüßen haben;
3. diejenigen, welche schon einmal wegen falschen Zeugnisses
oder falschen Eides verurtheilt worden sind;
4. die zur Zeit ihrer Abhörung das vierzehnte Lebensjahr
noch nicht zurückgelegt haben;
5. welche an einer erheblichen Schwäche des Wahrnehmungs-
oder Erinnerungsvermögens leiden;
6. die mit dem Beschuldigten, gegen welchen sie aussagen, in
einer Feindschaft leben, welche nach Maßgabe der Persönlichkeiten und mit
Rücksicht auf die Umstände geeignet ist, die volle Glaubwürdigkeit der Zeugen
auszuschließen;
7. welche in ihrem Verhöre wesentliche Umstände angegeben
haben, deren Unwahrheit bewiesen ist, und worüber sie nicht einen bloßen
Irrthum nachweisen können.
§. 171. Vor dem Untersuchungsrichter erfolgt die Beeidigung
des Zeugen erst nach der Abhörung desselben unter Beobachtung des Gesetzes vom
3. Mai 1868, R. G. Bl. Nr. 33.
§. 172. Der durch ein Verbrechen oder Vergehen in seinem
Rechte Verletzte ist bei seiner Vernehmung als Zeuge insbesondere darüber zu
befragen, ob er sich dem Strafverfahren anschließe.
Auch in diesem Falle, und wenn er als Ankläger auftritt,
finden alle über die Zeugenvernehmung ertheilten Vorschriften auch auf ihn
Anwendung.
XIV. Hauptstück.
Von der Vorladung, Vorführung, vorläufigen Verwahrung und
Verhaftung des Beschuldigten.
I. Vorladung.
§. 173. Der Beschuldigte wird, wo das Gesetz nichts Anderes
vorschreibt, zuerst nur zur Vernehmung vorgeladen.
Diese Vorladung geschieht durch Zustellung einer von dem
Untersuchungsrichter unterzeichneten, an den Vorzuladenden gerichteten schriftlichen
und verschlossenen Ladung. Diese muß den Namen des Gerichtes und des
Vorgeladenen, die allgemeine Bezeichnung des Gegenstandes der Untersuchung, den
Ort, den Tag und die Stunde des Erscheinens und den Beisatz enthalten, daß der
Vorgeladene als Beschuldigter vernommen werden solle und im Falle seines
Ausbleibens persönlich werde vor Gericht geführt werden.
II. Vorführung, vorläufige Verwahrung und ordentliche
Untersuchungshaft.
§. 174. Erscheint der Vorgeladene nicht, ohne eine
hinreichende Entschuldigungsursache angezeigt zu haben, so ist ein
schriftlicher Vorführungsbefehl gegen ihn auszufertigen.
(434) §. 175. Der Untersuchungsrichter kann auch ohne
vorgängige Vorladung die Vorführung und vorläufige Verwahrung des eines
Verbrechens oder Vergehens Verdächtigen anordnen:
1. Wenn er auf frischer That betreten oder unmittelbar nach
der That als des Verbrechens oder Vergehens verdächtig durch amtliche Nacheile
oder öffentlichen Nachruf bezeichnet oder mit Waffen oder mit anderen
Gegenständen, die von dem Verbrechen oder Vergehen herrühren oder sonst auf
seine Theilnahme an demselben hinweisen, betreten wird.
2. Wenn er Anstalten zur Flucht gemacht hat oder wenn er
wegen der Größe der ihm muthmaßlich bevorstehenden Strafe, wegen seines
herumziehenden Lebenswandels, oder als in der Gegend unbekannt als ausweis-
oder heimatlos, oder aus anderen triftigen Gründen der Flucht verdächtigt ist.
3. Wenn er auf eine die Ermittlung der Wahrheit hindernde
Art auf Zeugen, Sachverständige oder Mitbeschuldigte einzuwirken oder sonst
durch Vernichtung der Spuren des Verbrechens oder Vergehens die Untersuchung zu
erschweren gesucht hat, oder wenn gegründete Besorgniß vorhanden ist, daß dieß
geschehen könne.
4. Wenn besondere Umstände die Befürchtung rechtfertigen,
daß der Beschuldigte die vollendete That wiederholen oder eine versuchte oder
angedrohte That ausführen werde.
Wenn es sich aber um ein Verbrechen handelt, bei welchem
nach dem Gesetze auf die Todesstrafe oder auf mindestens zehnjährige
Kerkerstrafe zu erkennen ist, hat der Untersuchungsrichter gegen den eines
solchen Verbrechens Verdächtigen sogleich einen Haftbefehl zu erlassen.
§. 176. Der Untersuchungsrichter hat in diesen Fällen (§.
175) einen mit Gründen versehenen schriftlichen Verhaftsbefehl zu erlassen, welcher
dem Beschuldigten sogleich bei seiner Verhaftung oder doch innerhalb der
nächsten vierundzwanzig Stunden zuzustellen ist.
Wird eine der im §. 158 erwähnten Personen in Haft genommen,
so ist deren unmittelbarer Vorgesetzter hievon unverzüglich und, soferne keine
besonderen Bedenken entgegenstehen, noch vor dem Vollzuge des Verhaftsbefehles
in Kenntniß zu setzten. Wird die Haft wieder aufgehoben, so ist auch dieß
sofort mitzutheilen.
§. 177. Ausnahmsweise kann eine Verfolgung durch Nacheile
und die vorläufige Verwahrung des eines Verbrechens oder Vergehens Verdächtigen
zum Behufe der Vorführung vor den Untersuchungsrichter auch durch zur
Untersuchung nicht zuständige Richter und durch Organe der Sicherheitsbehörden
ohne schriftliche Anordnung vorgenommen werden:
1. im Falle des §. 175, Z. 1 und
2. in den Fällen des §. 175, Z. 2, 3 und 4, soferne die
vorläufige Einholung des richterlichen Befehles wegen Gefahr am Verzuge nicht
thunlich ist.
Der in Verwahrung Genommene ist durch den Richter oder die
Polizeibehörde ungesäumt zu vernehmen, und wenn sich dabei ergibt, daß kein
Grund zu seiner weiteren Verwahrung vorhanden sei,
sogleich freizulassen, sonst aber binnen achtundvierzig
Stunden an den Untersuchungsrichter abzuliefern.
§. 178. Der für die Vorerhebungen zuständige Bezirksrichter
(§. 89) kann, wenn der Beschuldigte nach seiner Vernehmung der ihm zur Last
gelegten That verdächtig bleibt, und einer der im §. 175 erwähnten Fälle
vorhanden ist, beschließen, daß der Beschuldigte bis auf weitere Weisung des Untersuchungsrichters
in Verwahrung zu bleiben habe.
Dieser Beschluß sammt Gründen ist dem Beschuldigten mündlich
zu eröffnen; diese Mittheilung ist im Protokolle zu bemerken. Verlangt jedoch
der Beschuldigte vor den Untersuchungsrichter gestellt zu werden, so ist er
längstens binnen achtundvierzig Stunden an ihn abzuliefern.
§. 179. Jeder dem Gerichte Eingelieferte oder auf Befehl des
Untersuchungsrichters Vorgeführte ist durch den Untersuchungsrichter binnen
vierundzwanzig Stunden zu vernehmen. Wäre
(435) dieß nicht möglich, so kann der Beschuldigte zwar
einstweilen in Verwahrung behalten werden, es ist jedoch dessen Vernehmung
sobald als möglich, und zwar längstens innerhalb drei Tagen einzuleiten und der
Grund, warum dieselbe nicht früher stattfinden konnte, im Protokolle
anzumerken.
Nach der Vernehmung hat der Untersuchungsrichter sofort zu
beschließen, ob der Beschuldigte wieder auf freien Fuß gestellt oder wider ihn
die ordentliche Untersuchungshaft verhängt werden solle.
§. 180. Die ordentliche Untersuchungshaft kann nur gegen
einen Beschuldigten verhängt werden, welcher auch nach seiner Vernehmung durch
den Untersuchungsrichter eines Verbrechens oder Vergehens verdächtig bleibt,
und bei welchem einer der im §. 175, Z. 2, 3 und 4 bezeichneten Umstände eintritt.
Die Untersuchungshaft muß verhängt werden, wenn es sich um
ein Verbrechen handelt, bei welchem nach dem Gesetze auf die Todesstrafe oder
auf mindestens zehnjährige Kerkerstrafe zu erkennen ist.
Der Beschluß des Untersuchungsrichters auf Verhängung der
Untersuchungshaft ist sammt der Begründung dem Beschuldigten mündlich zu
eröffnen, die geschehene Eröffnung ist in dem Protokolle zu bemerken. Auf
Verlangen ist dem Beschuldigten dieser Beschluß sammt Begründung binnen
vierundzwanzig Stunden auch schriftlich mitzutheilen.
Militär-(Landwehr-)Personen, welche im Frieden zur
Recruten-Ausbildung oder zu den Waffenübungen einberufen sind, dürfen während
der Dauer der Einberufung von dem Civil-Strafgerichte nur dann in
Untersuchungshaft genommen werden, wenn es sich um ein Verbrechen handelt, oder
wenn einer der im §. 175, Z. 3, erwähnten Fälle eintritt. Ist eine
Kriegserklärung erfolgt oder ein Krieg ausgebrochen, so findet die
Untersuchungshaft gegen die genannten Personen, wenn sie zur Dienstleistung einberufen
sind, nur dann statt, wenn es sich um ein mit der Todesstrafe oder mit mehr als
fünfjähriger Kerkerstrafe bedrohtes Verbrechen handelt.
§. 181. Wenn es bei einem Aufstande oder Aufruhre, bei einer
öffentlichen Gewaltthätigkeit oder bei einer anderen von einer großen Anzahl
von Personen begangenen strafbaren Handlung nicht möglich ist, die Schuldigen
sogleich auszumitteln, so können Alle, welche dem Vorgange beigewohnt haben und
von dem Verdachte der Theilnahme nicht völlig frei sind, einstweilen festgenommen
werden.
Sie müssen jedoch binnen längstens drei Tagen von dem
zuständigen Richter vernommen und dürfen nicht länger in Gewahrsam behalten
werden, Diejenigen ausgenommen, wider welche bereits die ordentliche
Untersuchungshaft verhängt werden konnte.
§. 182. Begibt sich der Untersuchungsrichter gleich nach
Verübung eines Verbrechens oder Vergehens an Ort und Stelle, um den Thatbestand
zu erheben, so kann er Jedem, bei dem er es nothwendig findet, verbieten,
während desselben oder auch noch während des folgenden Tages seinen
Aufenthaltsort zu verlassen. Wer diesem Befehle zuwider handelt, kann von dem
Untersuchungsrichter nach Umständen zu einer Geldstrafe bis zu fünfzig Gulden
verurtheilt, und es kann gegen ihn ein Verhaftsbefehl erlassen werden.
III. Behandlung der Untersuchungsgefangenen.
§. 183. Die Untersuchungshaft, sowie die vorläufige
Verwahrung eines Beschuldigten ist mit möglichster Schonung der Person und der
Ehre desselben zu vollziehen. Der Gefangene soll nur jene Beschränkungen
erleiden, welche erforderlich sind, um sich seiner Person zu versichern und für
die Untersuchung nachtheilige Verabredungen zu hindern.
§. 184. Die Verhafteten sollen, so viel möglich, jeder
allein verwahrt werden. Wo diese abgesonderte Verwahrung jedes Verhafteten nicht
thunlich ist, hat das Gericht dafür zu sorgen, daß nicht Personen verschiedenen
Geschlechtes, Theilnehmer an demselben Verbrechen und
(436) Vergehen, ungeübte oder jugendliche Verbrecher mit
geübten oder erwachsenen zusammen in ein Gefängniß gebracht werden. Auch ist
bei dieser Vertheilung der Untersuchungsgefangenen auf deren Bildungsstufe und
auf die Art der ihnen zur Last liegenden Verbrechen oder Vergehen Rücksicht zu
nehmen.
§. 185. Bequemlichkeiten und Beschäftigungen, die dem Stande
und den Vermögensverhältnissen des Gefangenen entsprechen, darf er sich auf
seine Kosten verschaffen, insoferne sie mit dem Zwecke der Haft vereinbar sind
und weder die Ordnung des Hauses stören, noch die Sicherheit gefährden.
§. 186. Wenn der Gefangene den Besuch eines Arztes oder
eines Geistlichen seiner Confession nach eigener Wahl verlangt, oder wenn ihn
Verwandte oder Personen, die mit ihm in Geschäftsverhältnissen stehen oder mit
welchen er sich zu berathen wünscht, besuchen wollen, so ist die Erlaubniß
hiezu unter den durch die Hausordnung gebotenen Bedingungen nicht zu
verweigern. Solche Besuche finden nur in Gegenwart einer Gerichtsperson statt
und können, wenn nach den Umständen des Falles aus denselben Nachtheil für die
Untersuchung zu besorgen ist, von dem Untersuchungsrichter gänzlich untersagt
werden.
§. 187. Der Verhaftete darf nur mit Vorwissen des
Untersuchungsrichters Telegramme, Briefe und ähnliche Sendungen empfangen oder
an Andere absenden, und wenn Nachtheile für die Untersuchung zu besorgen sind,
nur nachdem der Untersuchungsrichter dieselben gelesen und deren Absendung oder
Aushändigung an den Verhafteten unbedenklich gefunden hat. Die Erlaubniß zur
Absendung von Schreiben an höhere Justizbehörden darf dem Gefangenen nie
verweigert werden.
§. 188. Die Fesselung eines Untersuchungs-Gefangenen darf
nur bei einem besonders widerspänstigen,
gewaltthätigen oder Andere aufreizenden Benehmen, sowie
wegen Versuchs oder Vorbereitung zur Flucht zeitweilig und nie durch längere
Zeit, als das strengste Bedürfniß es erfordert, in Anwendung gebracht werden.
§. 189. Die Bezirksrichter, sowie die Vorsteher der
Gerichtshöfe erster Instanz sind verpflichtet, wenigstens einmal in jeder
Woche, unter Zuziehung einer Gerichtsperson, die ihnen unterstehenden
Gefängnisse unvermuthet zu besuchen, die Verhafteten in Abwesenheit der
Gefangenwärter über ihre Verpflegung und Behandlung zu befragen und wegen
Abstellung der entdeckten Gebrechen das Nöthige zu verfügen.
IV. Sicherheitsleistung, Aufhebung der vorläufigen
Verwahrung und der Untersuchungshaft.
§. 190. Die Untersuchungshaft, sowie die vorläufige
Verwahrung sind sofort aufzuheben, sobald die Gründe derselben entfallen.
Sämmtliche am Strafverfahren betheiligten Behörden sind verpflichtet, auf die
möglichste Abkürzung dieser Haft hinzuwirken.
Ist der Beschuldigte blos aus dem im §. 175, Z. 3, erwähnten
Grunde in Haft, so darf diese in der Regel nicht über zwei Monate ausgedehnt
werden. Eine Ausnahme hievon, jedoch auch nur in der Ausdehnung bis auf
höchstens drei Monate, vom Tage der Verhaftung angefangen, kann auf Antrag des
Staatsanwaltes oder des Untersuchungsrichters von dem Gerichtshofe zweiter
Instanz aus sehr wichtigen Gründen und bei besonders weitwendigen
Untersuchungen bewilligt werden.
§. 191. Wird ein Beschuldigter entlassen und auf freien Fuß
gesetzt, so kann ihm der Untersuchungsrichter das Gelöbniß abfordern, daß er
sich bis zur rechtskräftigen Beendigung des Strafverfahrens ohne Genehmigung
des Untersuchungsrichters von seinem Aufenthaltsorte nicht entfernen, noch sich
verborgen halten, noch auch die Untersuchung zu vereiteln suchen werde. Der
Bruch dieses Gelöbnisses zieht die Verhängung der Untersuchungshaft wider den
Beschuldigten nach sich.
(427) VI. Verfahren bei Untersuchungen wegen Brandlegungen.
§. 137. Bei Brandlegungen ist insbesondere zu ermitteln, auf
welche Weise der Brand gelegt, ob dazu ein Zündstoff und welcher verwendet
worden; ferner der Ort, wo, und die Zeit zu erforschen, wann die Brandlegung,
ob bei Tag oder Nacht, und ob sie unter solchen Umständen geschehen, daß daraus
wirklich eine Feuersbrunst an fremdem Eigenthume bewirkt oder doch die Gefahr
einer solchen herbeigeführt, oder das Leben eines Menschen einer Gefahr
ausgesetzt worden sei, und ob das Feuer bei dem Ausbruche sich leicht hätte
verbreiten können; endlich ist bei einem wirklich ausgebrochenen Brande die
Größe des dadurch verursachten Schadens zu erheben.
VII. Verfahren bei Untersuchungen wegen anderer
Beschädigungen.
§. 138. Bei Verbrechen oder Vergehen, durch welche auf
andere, als die eben erwähnte Weise, ein Schade oder eine Gefahr für Leben oder
Eigenthum herbeigeführt wurde, ist durch den Augenschein vorzüglich die
Beschaffenheit der angewendeten Gewalt oder List, der gebrauchten Mittel oder
Werkzeuge und die Größe des verursachten oder beabsichtigten Schadens und des
entgangenen Gewinnes oder der Gefahr für das Leben, die Gesundheit, oder
körperliche Sicherheit von Menschen und für fremdes Eigenthum zu erheben.
XII. Hauptstück.
Von der Haus- und Personsdurchsuchung und der Beschlagnahme.
I. Haus- und Personsdurchsuchung.
§. 139. Eine Hausdurchsuchung, das ist die Durchsuchung der
Wohnung oder sonstiger zum Hauswesen gehörigen Räumlichkeiten, darf nur dann
vorgenommen werden, wenn gegründeter Verdacht vorliegt, daß sich darin eine,
eines Verbrechens oder Vergehens verdächtige Person verborgen halte, oder daß
sich daselbst Gegenstände befinden, deren Besitz oder Besichtigung für eine
bestimmte Untersuchung von Bedeutung sein könne.
Gegen Personen, bei welchen eine hohe Wahrscheinlichkeit für
den Besitz solcher Gegenstände spricht, oder welche eines Verbrechens oder
Vergehens verdächtig oder sonst übel berüchtigt sind, kann auch die
Durchsuchung der Person und ihrer Kleidung stattfinden.
§. 140. Eine Durchsuchung findet in der Regel nur nach
vorausgegangener Vernehmung Desjenigen, bei oder an welchem sie vorgenommen
werden soll, und nur insoferne statt, als durch die Vernehmung weder die
freiwillige Herausgabe des Gesuchten, noch die Beseitigung der die Durchsuchung
veranlassenden Gründe herbeigeführt wird.
Von dieser Vernehmung kann Umgang genommen werden bei übel
berüchtigten Personen, sowie auch dann, wenn Gefahr am Verzuge ist, oder wenn
die Durchsuchung von dem Publicum offen stehenden Räumlichkeiten vorgenommen
wird.
In der Regel darf die Durchsuchung nur kraft eines mit
Gründen versehenen richterlichen Befehles unternommen werden. Dieser Befehl ist
dem Betheiligten sogleich oder doch innerhalb der nächsten vierundzwanzig
Stunden zuzustellen.
Von Hausdurchsuchungen wegen Verbrechen oder Vergehen,
rücksichtlich welcher weitere polizeiliche Nachforschungen oder Vorkehrungen im
Interesse der öffentlichen Sicherheit erforderlich sein können, ist, insoferne
dieß ohne Verzögerung geschehen kann, die nächste Sicherheitsbehörde vorläufig
in Kenntniß zu setzen, damit ein Abgeordneter derselben hiebei anwesend sein
und, ohne auf den Untersuchungsact Einfluß zu nehmen, sich die nöthigen
Kenntnisse zu den weiter erforderlichen Vorkehrungen verschaffen könne.
(428) Ist eine Hausdurchsuchung in einem militärischen oder
von Militär (Landwehr) besetzten Gebäude vorzunehmen, so ist dieß dem
Commandanten anzuzeigen und eine von ihm beigegebene Militär- (Landwehr-)
Person beizuziehen.
§. 141. Zum Zwecke der Strafgerichtspflege kann bei Gefahr
am Verzuge auch ohne richterlichen Befehl eine Hausdurchsuchung von
Gerichtsbeamten oder Beamten der Sicherheitsbehörden angeordnet werden. Der zur
Vornahme Abgeordnete ist mit einer schriftlichen Ermächtigung zu versehen,
welche er dem Betheiligten vorzuweisen hat.
Zu demselben Zwecke kann eine Hausdurchsuchung auch durch
die Sicherheitsorgane aus eigener Macht vorgenommen werden, wenn gegen Jemanden
ein Vorführungs- oder Verhaftbefehl erlassen, oder wenn Jemand auf der That
betreten, durch öffentliche Nacheile oder öffentlichen Ruf als einer strafbaren
Handlung verdächtig bezeichnet oder im Besitze von Gegenständen betreten wird,
welche auf die Betheiligung an einer solchen hinweisen.
In beiden Fällen ist dem Betheiligten auf sein Verlangen
sogleich oder doch binnen der nächsten vierundzwanzig Stunden die Bescheinigung
über die Vornahme der Hausdurchsuchung und deren Gründe zuzustellen.
§. 142. Haus- und Personsdurchsuchungen sind stets mit
Vermeidung alles unnöthigen Aufsehens, jeder nicht unumgänglich nöthigen Belästigung
oder Störung der Betheiligten, mit möglichster Schonung ihres Rufes und ihrer
mit dem Gegenstande der Untersuchung nicht zusammenhängenden Privatgeheimnisse,
sowie mit sorgfältigster Wahrung der Schicklichkeit und des Anstandes
vorzunehmen.
Der Inhaber der Räumlichkeit, welche durchsucht werden soll,
ist aufzufordern, der Durchsuchung beizuwohnen; ist er verhindert oder nicht
anwesend, so muß die Aufforderung an ein erwachsenes Mitglied seiner Familie
oder in dessen Ermanglung an einen Hausgenossen oder Nachbar ergehen.
Außerdem sind bei der Durchsuchung stets ein Protokollführer
und zwei Gerichtszeugen beizuziehen.
Das über die Durchsuchung aufzunehmende Protokoll ist von
allen Anwesenden zu unterfertigen. Ist nichts Verdächtiges ermittelt worden, so
ist dem Betheiligten auf sein Verlangen eine Bestätigung hierüber zu ertheilen.
II. Beschlagnahme.
§. 143. Werden Gegenstände gefunden, welche für die
Untersuchung von Bedeutung sein können, so sind dieselben in ein Verzeichniß zu
bringen und in gerichtliche Verwahrung oder doch unter gerichtliche Obhut oder
in Beschlag zu nehmen (§. 98).
Jedermann ist verpflichtet, solche Gegenstände, insbesondere
auch Urkunden, auf Verlangen herauszugeben. Wird die Herausgabe eines
Gegenstandes, dessen Innehabung zugestanden oder sonst erwiesen ist,
verweigert, und läßt sich die Abnahme nicht mittelst Hausdurchsuchung bewirken,
so kann der Besitzer, falls er nicht selbst der strafbaren Handlung verdächtig
erscheint oder von der Verbindlichkeit zur Ablegung eines Zeugnisses gesetzlich
befreit ist, durch Verhängung einer Geldstrafe bis zu fünfzig Gulden und bei
fernerer Weigerung in wichtigeren Fällen durch Arrest bis zu sechs Wochen dazu
angehalten werden.
§. 144. Werden bei einer Haus- oder Personsdurchsuchung
Gegenstände gefunden, welche auf die Begehung einer anderen strafbaren
Handlung, als derjenigen, wegen welcher die Durchsuchung vorgenommen wird,
schließen lassen, so werden sie, wenn jene von Amtswegen zu verfolgen ist, zwar
mit Beschlag belegt; es muß jedoch hierüber ein besonderes Protokoll
aufgenommen und dieses sofort dem Staatsanwalte mitgetheilt werden. Beantragt
dieser nicht die Einleitung des Strafverfahrens, so sind die in Beschlag
genommenen Gegenstände unverzüglich zurückzugeben.
(429) III. Durchsuchung und Beschlagnahme von Papieren.
§. 145. Bei der Durchsuchung von Papieren ist dafür zu
sorgen, daß deren Inhalt nicht zur Kenntniß unbefugter Personen gelange.
Will der Inhaber von Papieren deren Durchsuchung nicht
gestatten, so sind dieselben versiegelt zu Gericht zu hinterlegen, und es ist
sofort die Entscheidung der Rathskammer einzuholen, ob sie durchsucht oder
zurückgegeben werden sollen.
Auch außerdem sind Papiere, welche in gerichtliche
Verwahrung genommen wurden und welche nicht sofort verzeichnet werden können,
in einen mit dem Gerichtssiegel zu verschließenden Umschlag zu bringen. Auch
dem bei der Durchsuchung etwa anwesenden Betheiligten ist die Beidrückung
seines Siegels zu gestatten. Wird eine Entsiegelung vorgenommen, so ist der
Betheiligte aufzufordern, derselben beizuwohnen. Erscheint er auf eine solche
Aufforderung nicht, oder kann ihm dieselbe wegen seiner Abwesenheit nicht
zugestellt werden, so ist die Entsiegelung dennoch vorzunehmen.
IV. Beschlagnahme und Eröffnung von Briefen und anderen
Sendungen.
§. 146. Befindet sich der Beschuldigte bereits wegen eines
Verbrechens oder Vergehens in Haft, oder ist wegen eines solchen ein
Vorführungs- oder Verhaftsbefehl gegen ihn erlassen, so kann der
Untersuchungsrichter Telegramme, Briefe oder andere Sendungen, welche der
Beschuldigte abschickt, oder welche an ihn gerichtet werden, in Beschlag nehmen
und von den Post- oder Telegraphenämtern und sonstigen Beförderungsanstalten
deren Auslieferung verlangen,
Diese sind ferner verpflichtet, auf Verlangen des
Staatsanwaltes solche Sendungen bis zum Eintreffen einer gerichtlichen
Verfügung zurückzuhalten; erfolgt jedoch eine solche Verfügung von Seite des
Untersuchungsgerichtes nicht binnen drei Tagen, so dürfen sie die Beförderung
nicht weiter verschieben.
§. 147. Die Eröffnung der mit Beschlag belegten Sendungen
kann nur durch den Untersuchungsrichter, und zwar mit Zustimmung des
Beschuldigten ohneweiters geschehen. Wenn der Beschuldigte nicht zustimmt, hat
der Untersuchungsrichter, soferne nicht Gefahr am Verzuge haftet, vorläufig die
Genehmigung der Rathskammer einzuholen.
Bei der Eröffnung, über welche ein Protokoll aufzunehmen
ist, dürfen die Siegel nicht verletzt werden; Umschläge und Adressen sind
aufzubewahren.
§. 148. Die Beschlagnahme von Sendungen ist dem
Beschuldigten, oder, wenn er abwesend ist, einem seiner Angehörigen sogleich
und längstens binnen vier und zwanzig Stunden bekannt zu machen. Ist die
Eröffnung der Sendungen erfolgt, so sind Briefe und Telegramme, soferne von der
Mittheilung ihres Inhaltes kein nachtheiliger Einfluß für die Untersuchung zu
besorgen ist, dem Beschuldigten oder Demjenigen, an welchen sie gerichtet sind,
in Urschrift oder Abschrift, ganz oder auszugsweise mitzutheilen. Ist der
Beschuldigte abwesend, so geschieht die Mittheilung an einen seiner
Angehörigen. Sind keine Angehörigen des Beschuldigten vorhanden, so ist der
Brief, wenn der Richter es im Interesse des Absenders erachtet, diesem
zurückzuschicken oder demselben, falls der Brief oder das Telegramm bei den Acten
bleiben muß, die erfolgte Beschlagnahme anzuzeigen.
§. 149. In Beschlag genommene Sendungen, deren Eröffnung
nicht für nöthig erachtet wurde, sind ohne Verzug Denjenigen, an welche sie
gerichtet sind, auszufolgen oder der Beförderungsanstalt zurückzugeben.
(430) XIII. Hauptstück.
Von der Vernehmung der Zeugen.
§. 150. In der Regel ist Jeder, der als Zeuge vorgeladen
wird, verpflichtet, der Vorladung Folge zu leisten und über dasjenige, was ihm
von dem Gegenstande der Untersuchung bekannt ist, vor Gericht Zeugniß
abzulegen.
§. 151. Als Zeugen dürfen, bei sonstiger Nichtigkeit ihrer
Aussage, nicht vernommen werden:
1. Geistliche in Ansehung dessen, was ihnen in der Beichte
oder sonst unter dem Siegel geistlicher Amtsverschwiegenheit anvertraut wurde;
2. Staatsbeamte, wenn sie durch ihr Zeugniß das ihnen
obliegende Amtsgeheimniß
verletzen würden, insoferne sie dieser Pflicht nicht durch
ihre Vorgesetzten entbunden sind;
3. Personen, die zur Zeit, in welcher sie das Zeugniß
ablegen sollen, wegen ihrer Leibes- oder Gemüthsbeschaffenheit außer Stande
sind, die Wahrheit anzugeben.
§. 152. Von der Verbindlichkeit zur Ablegung eines
Zeugnisses sind befreit:
1. Die Verwandten und Verschwägerten des Beschuldigten in
auf- und absteigender Linie, sein Ehegatte und dessen Geschwister, seine
Geschwister und deren Ehegatten, die Geschwister seiner Eltern und Großeltern,
seine Neffen, Nichten, Geschwisterkinder, Adoptiv- und Pflegeeltern, Adoptiv-
und Pflegekinder, sein Vormund und Mündel;
2. Vertheidiger in Ansehung desjenigen, was ihnen in dieser
Eigenschaft von dem Beschuldigten anvertraut worden ist.
Steht eine als Zeuge vorgeladene Person nur zu einem von
mehreren Beschuldigten in einem der vorstehend erwähnten Verhältnisse, so kann
sie sich des Zeugnisses hinsichtlich der anderen nur dann entschlagen, wenn
eine Sonderung der Aussagen, welche die letzteren betreffen, nicht möglich ist.
Der Untersuchungsrichter hat die unter 1. bezeichneten
Personen, wenn sie als Zeugen vorgerufen werden, vor ihrer Vernehmung oder
doch, sobald ihm ihr Verhältniß zu dem Beschuldigten bekannt wird, über ihr
Recht, sich des Zeugnisses zu entschlagen, zu belehren und ihre darüber
erfolgte Erklärung in das Protokoll aufzunehmen. Hat der Zeuge auf sein Recht,
sich des Zeugnisses zu entschlagen, nicht ausdrücklich verzichtet, so ist seine
Aussage nichtig.
§. 153. Wenn die Ablegung des Zeugnisses oder die
Beantwortung einer Frage für den Zeugen einen unmittelbaren und bedeutenden
Vermögensnachtheil nach sich ziehen oder ihm selbst oder einem seiner Angehörigen
(§. 152, Z.1) Schande bringen würde, und er deßhalb das Zeugniß verweigert, so
soll er nur in besonderes wichtigen Fällen dazu verhalten werden.
§. 154. Personen, welche durch Krankheit oder
Gebrechlichkeit vor Gericht zu erscheinen verhindert sind, können in ihrer
Wohnung vernommen werden.
§. 155. Mitglieder des kaiserlichen Hauses werden als Zeugen
durch den Obersthofmarschall oder außer Wien durch den Präsidenten des
Gerichtshofes erster Instanz ihrer Aufenthaltsortes in ihrer Wohnung vernommen.
§. 156. Ist der Aufenthaltsort eines Zeugen außerhalb des
Sprengels des am Sitze des Untersuchungsrichters befindlichen Bezirksgerichtes
gelegen, so ist die Vernehmung in der Regel durch jenes Bezirksgericht, in
dessen Bezirk sich der Zeuge befindet, zu veranlassen. Hält jedoch der
Untersuchungsrichter es zur Erlangung einer erschöpfenden Aussage oder zur
Beschleunigung der Sache für nothwendig, den Zeugen selbst zu vernehmen, so
kann er denselben unmittelbar oder durch das Bezirksgericht, welchem der Zeuge
untersteht, zum persönlichen Erscheinen vorladen. Ist die Stellung des Zeugen
vor den Untersuchungsrichter mit zu großen Schwierigkeiten oder mit zu großen
Kosten verbunden, so kann er ihn an dessen Aufenthaltsorte (431) auch selbst
vernehmen, hat jedoch, wenn dieser nicht in dem Sprengel des Gerichtshofes
liegt, welchem er angehört, den zuständigen Gerichtshof davon gleichzeitig zu
benachrichtigen.
§. 157. Sind Zeugen zu vernehmen, die sich außer dem Gebiete
der im Reichsrathe vertretenen Länder befinden, so ist in der Regel um deren
Vernehmung der zuständige fremde Richter zu ersuchen. Demselben sind die
Gegenstände und Fragen mitzutheilen, worüber die Vernehmung stattzufinden hat,
und es ist zugleich das Ersuchen zu stellen, nach Beschaffenheit der Umstände
die Vernehmung auch auf solche Fragepunkte auszudehnen, die sich aus dem
Inhalte der von dem Zeugen abgelegten Aussage ergeben werden. Stellt sich aber
das persönliche Erscheinen eines solchen Zeugen vor dem Strafgerichte als
nothwendig dar, so ist, wenn der Zeuge sich nicht freiwillig einfindet, darüber
dem Justizminister Bericht zu erstatten.
§. 158. Steht die zu vernehmende Person in einem
öffentlichen Amte oder Dienste und muß zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit
oder anderer öffentlicher Interessen eine Stellvertretung während ihrer
Verhinderung eintreten, so ist der unmittelbare Vorgesetzte von deren Vorladung
gleichzeitig zu benachrichtigen.
Diese Vorschrift hat auch dann zu gelten, wenn Angestellte
von Eisenbahnen und Dampfschiffen, Berg-, Hütten-, Hammer- und
Walzwerksarbeiter, im Staats- oder Gemeindedienste stehende Sanitätspersonen,
im öffentlichen oder Privatforstdienste stehende Personen vorzuladen sind.
§. 159. Wenn ein Zeuge der ihm zugestellten Vorladung nicht
Folge leistet, so geschieht seine neuerliche Vorladung unter Androhung einer
Geldstrafe bis zu hundert Gulden für den Fall des Nichterscheinens und unter
der ferneren Drohung, daß ein Vorführungsbefehl gegen ihn werde erlassen
werden. Bleibt der Zeuge ohne giltige Entschuldigungsgründe dennoch aus, so hat
der Untersuchungsrichter die Geldstrafe wider ihn zu verhängen und den
Vorführungsbefehl auszufertigen. In dringenden Fällen kann der
Untersuchungsrichter schon nach dem ersten nicht gerechtfertigten Ausbleiben
gegen ihn einen Vorführungsbefehl erlassen. Die Kosten der Vorführung hat der
Zeuge zu vergüten.
§. 160. Erscheint der Zeuge, verweigert er aber ohne
gesetzlichen Grund ein Zeugniß abzulegen oder den Zeugeneid zu leisten, so kann
ihn der Untersuchungsrichter durch eine Geldstrafe bis zu hundert Gulden, und
bei fernerer Weigerung in wichtigeren Fällen durch Arrest bis zu sechs Wochen
dazu anhalten, ohne daß deßhalb die Fortsetzung oder Beendigung der
Voruntersuchung aufgehalten werden muß.
§. 161. Im Laufe der Voruntersuchung sind Zeugen, welche der
Militär-Gerichtsbarkeit unterstehen, nach dem Ermessen des
Untersuchungsrichters entweder gleich anderen Zeugen von diesem selbst oder
durch dasjenige Militärgericht, welchem über sie die Gerichtsbarkeit zusteht,
zu vernehmen. Der Untersuchungsrichter hat sich im ersteren Falle wegen
Zustellung der Vorladung an das vorgesetzte Commando des Zeugen oder an das
nächste Militär-Stationscommando zu wenden, im letzteren Falle aber das
Militärgericht, dem der Zeuge untersteht, wegen dessen Vernehmung anzugehen.
Die Mitglieder der Gendarmerie, Militär-Polizeiwache und
Sicherheitswache sind rücksichtlich ihrer Vernehmung als Zeugen immer wie
Personen aus dem Civilstande zu behandeln. Die Vorladungen an dieselben sind
jedoch nur den selbständigen Commandanten unmittelbar, den übrigen Mitgliedern
dieser Körper aber immer durch ihre Vorgesetzten zuzustellen, welchen es
obliegt, das Erscheinen des Vorgeladenen vor der Civilbehörde anzuordnen.
Sollte ein der Militär-Gerichtsbarkeit unterstehender Zeuge
sich weigern, vor dem Untersuchungsrichter zu erscheinen oder die abgeforderte
Aussage oder den Zeugeneid abzulegen, so hat sich der Untersuchungsrichter
unmittelbar an den Vorgesetzten des Zeugen zu wenden, welchem es obliegt,
denselben zur Befolgung des Gesetztes zu verhalten.
(432) §. 162. Jeder Zeuge wird von dem Untersuchungsrichter
ohne Beisein des Anklägers, des Privatbetheiligten, Beschuldigten oder anderer
Zeugen einzeln vernommen. Es ist ihm während seiner Vernehmung ein Sitz zu
gestatten.
§. 163. Ist ein Zeuge der Gerichtssprache nicht kundig, so
kann die Vernehmung desselben ohne Dolmetsch nur dann geschehen, wenn sowohl
der Untersuchungsrichter, als der Protokollführer seiner Sprache zureichend
kundig sind; nach Erforderniß ist den Acten eine beglaubigte Uebersetzung des
Protokolles in der Gerichtssprache beizulegen.
Außer diesem Falle aber hat die Vernehmung mit Zuziehung
eines beeidigten Dolmetsches stattzufinden und es muß das Verhör sowohl in der
Sprache, in welcher der Zeuge vernommen wird, als auch in der Uebersetzung in
die Gerichtssprache zu Protokoll gebracht werden. Der Dolmetsch kann auch
zugleich als Protokollführer verwendet werden.
§. 164. Ist ein Zeuge taub, so werden ihm die Fragen
schriftlich vorgelegt, und ist er stumm, so wird er aufgefordert, schriftlich
zu antworten. Wenn die eine oder die andere Art der Vernehmung nicht möglich
ist, so muß die Vernehmung des Zeugen unter Zuziehung einer oder mehrerer
Personen geschehen, welche der Zeichensprache desselben kundig sind oder sonst
die Geschicklichkeit besitzen, sich mit Taubstummen zu verständigen, und welche
vorher als Dolmetsche zu beeidigen sind.
§. 165. Der Zeuge ist vor seiner Vernehmung zu ermahnen, daß
er auf die an ihn zu richtenden Fragen nach seinem besten Wissen und Gewissen
die reine Wahrheit anzugeben, nichts zu verschweigen und seine Aussage so
abzulegen habe, daß er sie erforderlichenfalls eidlich bekräftigen könne.
§. 166. Sodann ist der Zeuge um Vor- und Zunamen, Alter,
Geburtsort, Religion, Stand, Gewerbe oder Beschäftigung, Wohnort und
erforderlichenfalls über andere persönliche Verhältnisse, insbesondere über
sein Verhältniß zu dem Beschuldigten oder zu anderen bei der Untersuchung
Betheiligten zu befragen.
Erscheint es dem Untersuchungsrichter nach den besonderen
Umständen des Falles unumgänglich nothwendig, so kann der Zeuge auch darüber
gefragt werden, ob er schon einmal in einer strafgerichtlichen Untersuchung
gestanden und welches Ergebniß dieselbe hatte.
§. 167. Bei der Vernehmung über die Sache selbst ist der
Zeuge zuvörderst zu einer zusammenhängenden Erzählung der den Gegenstand des
Zeugnisses bildenden Thatsachen, sodann aber zur Ergänzung derselben und zur
Hebung von Dunkelheiten oder Widersprüchen zu veranlassen. Der Zeuge ist
insbesondere aufzufordern, den Grund seines Wissens anzugeben. Fragen, durch
welche ihm Thatumstände vorgehalten werden, welche erst durch seine Antwort
festgestellt werden sollen, sind möglichst zu vermeiden, und wenn sie gestellt
werden müssen, im Protokolle ersichtlich zu machen.
§. 168. Wird es nothwendig, die Anerkennung von Personen
oder Sachen durch den Zeugen zu erlangen, so ist die Vorstellung oder Vorlegung
in angemessener Weise zu veranlassen; jedoch ist der Zeuge vorher zur genauen
Beschreibung und Angabe der unterscheidenden Kennzeichen aufzufordern.
Stimmen Aussagen von Zeugen unter einander in erheblichen
Umständen nicht überein, so kann der Untersuchungsrichter deren
Gegenüberstellung veranlassen.
Die Gegenüberstellung soll in der Regel nicht zwischen mehr
als zwei Personen zugleich geschehen. Die Gegenübergestellten sind über jeden
einzelnen Umstand, in Beziehung auf welchen sie von einander abweichen,
besonders zu vernehmen und die beiderseitigen Antworten zu Protokoll zu
bringen.
§. 169. Die Beeidigung von Zeugen darf in der
Voruntersuchung nur dann stattfinden, wenn bei einem Zeugen wegen Krankheit
längere Abwesenheit, wegen des Mangels eines bestimmten
(433) Aufenthaltsortes oder aus anderen Gründen zu besorgen
ist, daß er bei der Hauptverhandlung nicht werde gegenwärtig sein können, wenn
der Ankläger oder der Beschuldigte die Beeidigung eines Zeugen aus wichtigen
Gründen beantragt, oder wenn der Untersuchungsrichter nur durch die Forderung
der eidlichen Bestätigung der Zeugenaussage die volle Wahrheit erfahren zu
können glaubt.
§. 170. Folgende Personen dürfen bei sonstiger Nichtigkeit
des Eides nicht beeidet werden:
1. Welche selbst überwiesen sind oder in Verdacht stehen,
daß sie die strafbare Handlung, wegen welcher sie abgehört werden, begangen
oder daran Theil genommen haben;
2. die sich wegen eines Verbrechens in Untersuchung befinden
oder wegen eines solchen zu einer Freiheitsstrafe verurtheilt sind, welche sie
noch abzubüßen haben;
3. diejenigen, welche schon einmal wegen falschen Zeugnisses
oder falschen Eides verurtheilt worden sind;
4. die zur Zeit ihrer Abhörung das vierzehnte Lebensjahr
noch nicht zurückgelegt haben;
5. welche an einer erheblichen Schwäche des Wahrnehmungs-
oder Erinnerungsvermögens leiden;
6. die mit dem Beschuldigten, gegen welchen sie aussagen, in
einer Feindschaft leben, welche nach Maßgabe der Persönlichkeiten und mit
Rücksicht auf die Umstände geeignet ist, die volle Glaubwürdigkeit der Zeugen
auszuschließen;
7. welche in ihrem Verhöre wesentliche Umstände angegeben
haben, deren Unwahrheit bewiesen ist, und worüber sie nicht einen bloßen
Irrthum nachweisen können.
§. 171. Vor dem Untersuchungsrichter erfolgt die Beeidigung
des Zeugen erst nach der Abhörung desselben unter Beobachtung des Gesetzes vom
3. Mai 1868, R. G. Bl. Nr. 33.
§. 172. Der durch ein Verbrechen oder Vergehen in seinem
Rechte Verletzte ist bei seiner Vernehmung als Zeuge insbesondere darüber zu
befragen, ob er sich dem Strafverfahren anschließe.
Auch in diesem Falle, und wenn er als Ankläger auftritt,
finden alle über die Zeugenvernehmung ertheilten Vorschriften auch auf ihn
Anwendung.
XIV. Hauptstück.
Von der Vorladung, Vorführung, vorläufigen Verwahrung und
Verhaftung des Beschuldigten.
I. Vorladung.
§. 173. Der Beschuldigte wird, wo das Gesetz nichts Anderes
vorschreibt, zuerst nur zur Vernehmung vorgeladen.
Diese Vorladung geschieht durch Zustellung einer von dem
Untersuchungsrichter unterzeichneten, an den Vorzuladenden gerichteten
schriftlichen und verschlossenen Ladung. Diese muß den Namen des Gerichtes und
des Vorgeladenen, die allgemeine Bezeichnung des Gegenstandes der Untersuchung,
den Ort, den Tag und die Stunde des Erscheinens und den Beisatz enthalten, daß
der Vorgeladene als Beschuldigter vernommen werden solle und im Falle seines
Ausbleibens persönlich werde vor Gericht geführt werden.
II. Vorführung, vorläufige Verwahrung und ordentliche
Untersuchungshaft.
§. 174. Erscheint der Vorgeladene nicht, ohne eine
hinreichende Entschuldigungsursache angezeigt zu haben, so ist ein
schriftlicher Vorführungsbefehl gegen ihn auszufertigen.
(434) §. 175. Der Untersuchungsrichter kann auch ohne
vorgängige Vorladung die Vorführung und vorläufige Verwahrung des eines
Verbrechens oder Vergehens Verdächtigen anordnen:
1. Wenn er auf frischer That betreten oder unmittelbar nach
der That als des Verbrechens oder Vergehens verdächtig durch amtliche Nacheile
oder öffentlichen Nachruf bezeichnet oder mit Waffen oder mit anderen
Gegenständen, die von dem Verbrechen oder Vergehen herrühren oder sonst auf
seine Theilnahme an demselben hinweisen, betreten wird.
2. Wenn er Anstalten zur Flucht gemacht hat oder wenn er
wegen der Größe der ihm muthmaßlich bevorstehenden Strafe, wegen seines
herumziehenden Lebenswandels, oder als in der Gegend unbekannt als ausweis-
oder heimatlos, oder aus anderen triftigen Gründen der Flucht verdächtigt ist.
3. Wenn er auf eine die Ermittlung der Wahrheit hindernde
Art auf Zeugen, Sachverständige oder Mitbeschuldigte einzuwirken oder sonst
durch Vernichtung der Spuren des Verbrechens oder Vergehens die Untersuchung zu
erschweren gesucht hat, oder wenn gegründete Besorgniß vorhanden ist, daß dieß
geschehen könne.
4. Wenn besondere Umstände die Befürchtung rechtfertigen,
daß der Beschuldigte die vollendete That wiederholen oder eine versuchte oder
angedrohte That ausführen werde.
Wenn es sich aber um ein Verbrechen handelt, bei welchem
nach dem Gesetze auf die Todesstrafe oder auf mindestens zehnjährige
Kerkerstrafe zu erkennen ist, hat der Untersuchungsrichter gegen den eines
solchen Verbrechens Verdächtigen sogleich einen Haftbefehl zu erlassen.
§. 176. Der Untersuchungsrichter hat in diesen Fällen (§.
175) einen mit Gründen versehenen schriftlichen Verhaftsbefehl zu erlassen,
welcher dem Beschuldigten sogleich bei seiner Verhaftung oder doch innerhalb
der nächsten vierundzwanzig Stunden zuzustellen ist.
Wird eine der im §. 158 erwähnten Personen in Haft genommen,
so ist deren unmittelbarer Vorgesetzter hievon unverzüglich und, soferne keine
besonderen Bedenken entgegenstehen, noch vor dem Vollzuge des Verhaftsbefehles
in Kenntniß zu setzten. Wird die Haft wieder aufgehoben, so ist auch dieß
sofort mitzutheilen.
§. 177. Ausnahmsweise kann eine Verfolgung durch Nacheile
und die vorläufige Verwahrung des eines Verbrechens oder Vergehens Verdächtigen
zum Behufe der Vorführung vor den Untersuchungsrichter auch durch zur
Untersuchung nicht zuständige Richter und durch Organe der Sicherheitsbehörden
ohne schriftliche Anordnung vorgenommen werden:
1. im Falle des §. 175, Z. 1 und
2. in den Fällen des §. 175, Z. 2, 3 und 4, soferne die
vorläufige Einholung des richterlichen Befehles wegen Gefahr am Verzuge nicht
thunlich ist.
Der in Verwahrung Genommene ist durch den Richter oder die
Polizeibehörde ungesäumt zu vernehmen, und wenn sich dabei ergibt, daß kein
Grund zu seiner weiteren Verwahrung vorhanden sei,
sogleich freizulassen, sonst aber binnen achtundvierzig
Stunden an den Untersuchungsrichter abzuliefern.
§. 178. Der für die Vorerhebungen zuständige Bezirksrichter
(§. 89) kann, wenn der Beschuldigte nach seiner Vernehmung der ihm zur Last
gelegten That verdächtig bleibt, und einer der im §. 175 erwähnten Fälle
vorhanden ist, beschließen, daß der Beschuldigte bis auf weitere Weisung des
Untersuchungsrichters in Verwahrung zu bleiben habe.
Dieser Beschluß sammt Gründen ist dem Beschuldigten mündlich
zu eröffnen; diese Mittheilung ist im Protokolle zu bemerken. Verlangt jedoch
der Beschuldigte vor den Untersuchungsrichter gestellt zu werden, so ist er
längstens binnen achtundvierzig Stunden an ihn abzuliefern.
§. 179. Jeder dem Gerichte Eingelieferte oder auf Befehl des
Untersuchungsrichters Vorgeführte ist durch den Untersuchungsrichter binnen
vierundzwanzig Stunden zu vernehmen. Wäre
(435) dieß nicht möglich, so kann der Beschuldigte zwar
einstweilen in Verwahrung behalten werden, es ist jedoch dessen Vernehmung
sobald als möglich, und zwar längstens innerhalb drei Tagen einzuleiten und der
Grund, warum dieselbe nicht früher stattfinden konnte, im Protokolle
anzumerken.
Nach der Vernehmung hat der Untersuchungsrichter sofort zu
beschließen, ob der Beschuldigte wieder auf freien Fuß gestellt oder wider ihn
die ordentliche Untersuchungshaft verhängt werden solle.
§. 180. Die ordentliche Untersuchungshaft kann nur gegen
einen Beschuldigten verhängt werden, welcher auch nach seiner Vernehmung durch
den Untersuchungsrichter eines Verbrechens oder Vergehens verdächtig bleibt,
und bei welchem einer der im §. 175, Z. 2, 3 und 4 bezeichneten Umstände
eintritt.
Die Untersuchungshaft muß verhängt werden, wenn es sich um
ein Verbrechen handelt, bei welchem nach dem Gesetze auf die Todesstrafe oder
auf mindestens zehnjährige Kerkerstrafe zu erkennen ist.
Der Beschluß des Untersuchungsrichters auf Verhängung der
Untersuchungshaft ist sammt der Begründung dem Beschuldigten mündlich zu
eröffnen, die geschehene Eröffnung ist in dem Protokolle zu bemerken. Auf
Verlangen ist dem Beschuldigten dieser Beschluß sammt Begründung binnen
vierundzwanzig Stunden auch schriftlich mitzutheilen.
Militär-(Landwehr-)Personen, welche im Frieden zur
Recruten-Ausbildung oder zu den Waffenübungen einberufen sind, dürfen während
der Dauer der Einberufung von dem Civil-Strafgerichte nur dann in
Untersuchungshaft genommen werden, wenn es sich um ein Verbrechen handelt, oder
wenn einer der im §. 175, Z. 3, erwähnten Fälle eintritt. Ist eine
Kriegserklärung erfolgt oder ein Krieg ausgebrochen, so findet die
Untersuchungshaft gegen die genannten Personen, wenn sie zur Dienstleistung
einberufen sind, nur dann statt, wenn es sich um ein mit der Todesstrafe oder
mit mehr als fünfjähriger Kerkerstrafe bedrohtes Verbrechen handelt.
§. 181. Wenn es bei einem Aufstande oder Aufruhre, bei einer
öffentlichen Gewaltthätigkeit oder bei einer anderen von einer großen Anzahl
von Personen begangenen strafbaren Handlung nicht möglich ist, die Schuldigen
sogleich auszumitteln, so können Alle, welche dem Vorgange beigewohnt haben und
von dem Verdachte der Theilnahme nicht völlig frei sind, einstweilen
festgenommen werden.
Sie müssen jedoch binnen längstens drei Tagen von dem zuständigen
Richter vernommen und dürfen nicht länger in Gewahrsam behalten werden,
Diejenigen ausgenommen, wider welche bereits die ordentliche Untersuchungshaft
verhängt werden konnte.
§. 182. Begibt sich der Untersuchungsrichter gleich nach
Verübung eines Verbrechens oder Vergehens an Ort und Stelle, um den Thatbestand
zu erheben, so kann er Jedem, bei dem er es nothwendig findet, verbieten,
während desselben oder auch noch während des folgenden Tages seinen
Aufenthaltsort zu verlassen. Wer diesem Befehle zuwider handelt, kann von dem
Untersuchungsrichter nach Umständen zu einer Geldstrafe bis zu fünfzig Gulden
verurtheilt, und es kann gegen ihn ein Verhaftsbefehl erlassen werden.
III. Behandlung der Untersuchungsgefangenen.
§. 183. Die Untersuchungshaft, sowie die vorläufige
Verwahrung eines Beschuldigten ist mit möglichster Schonung der Person und der
Ehre desselben zu vollziehen. Der Gefangene soll nur jene Beschränkungen
erleiden, welche erforderlich sind, um sich seiner Person zu versichern und für
die Untersuchung nachtheilige Verabredungen zu hindern.
§. 184. Die Verhafteten sollen, so viel möglich, jeder
allein verwahrt werden. Wo diese abgesonderte Verwahrung jedes Verhafteten
nicht thunlich ist, hat das Gericht dafür zu sorgen, daß nicht Personen verschiedenen
Geschlechtes, Theilnehmer an demselben Verbrechen und
(436) Vergehen, ungeübte oder jugendliche Verbrecher mit
geübten oder erwachsenen zusammen in ein Gefängniß gebracht werden. Auch ist
bei dieser Vertheilung der Untersuchungsgefangenen auf deren Bildungsstufe und
auf die Art der ihnen zur Last liegenden Verbrechen oder Vergehen Rücksicht zu
nehmen.
§. 185. Bequemlichkeiten und Beschäftigungen, die dem Stande
und den Vermögensverhältnissen des Gefangenen entsprechen, darf er sich auf
seine Kosten verschaffen, insoferne sie mit dem Zwecke der Haft vereinbar sind
und weder die Ordnung des Hauses stören, noch die Sicherheit gefährden.
§. 186. Wenn der Gefangene den Besuch eines Arztes oder
eines Geistlichen seiner Confession nach eigener Wahl verlangt, oder wenn ihn
Verwandte oder Personen, die mit ihm in Geschäftsverhältnissen stehen oder mit
welchen er sich zu berathen wünscht, besuchen wollen, so ist die Erlaubniß
hiezu unter den durch die Hausordnung gebotenen Bedingungen nicht zu
verweigern. Solche Besuche finden nur in Gegenwart einer Gerichtsperson statt
und können, wenn nach den Umständen des Falles aus denselben Nachtheil für die
Untersuchung zu besorgen ist, von dem Untersuchungsrichter gänzlich untersagt
werden.
§. 187. Der Verhaftete darf nur mit Vorwissen des
Untersuchungsrichters Telegramme, Briefe und ähnliche Sendungen empfangen oder
an Andere absenden, und wenn Nachtheile für die Untersuchung zu besorgen sind,
nur nachdem der Untersuchungsrichter dieselben gelesen und deren Absendung oder
Aushändigung an den Verhafteten unbedenklich gefunden hat. Die Erlaubniß zur
Absendung von Schreiben an höhere Justizbehörden darf dem Gefangenen nie
verweigert werden.
§. 188. Die Fesselung eines Untersuchungs-Gefangenen darf
nur bei einem besonders widerspänstigen,
gewaltthätigen oder Andere aufreizenden Benehmen, sowie
wegen Versuchs oder Vorbereitung zur Flucht zeitweilig und nie durch längere
Zeit, als das strengste Bedürfniß es erfordert, in Anwendung gebracht werden.
§. 189. Die Bezirksrichter, sowie die Vorsteher der
Gerichtshöfe erster Instanz sind verpflichtet, wenigstens einmal in jeder
Woche, unter Zuziehung einer Gerichtsperson, die ihnen unterstehenden
Gefängnisse unvermuthet zu besuchen, die Verhafteten in Abwesenheit der
Gefangenwärter über ihre Verpflegung und Behandlung zu befragen und wegen
Abstellung der entdeckten Gebrechen das Nöthige zu verfügen.
IV. Sicherheitsleistung, Aufhebung der vorläufigen
Verwahrung und der Untersuchungshaft.
§. 190. Die Untersuchungshaft, sowie die vorläufige
Verwahrung sind sofort aufzuheben, sobald die Gründe derselben entfallen.
Sämmtliche am Strafverfahren betheiligten Behörden sind verpflichtet, auf die
möglichste Abkürzung dieser Haft hinzuwirken.
Ist der Beschuldigte blos aus dem im §. 175, Z. 3, erwähnten
Grunde in Haft, so darf diese in der Regel nicht über zwei Monate ausgedehnt
werden. Eine Ausnahme hievon, jedoch auch nur in der Ausdehnung bis auf
höchstens drei Monate, vom Tage der Verhaftung angefangen, kann auf Antrag des
Staatsanwaltes oder des Untersuchungsrichters von dem Gerichtshofe zweiter
Instanz aus sehr wichtigen Gründen und bei besonders weitwendigen
Untersuchungen bewilligt werden.
§. 191. Wird ein Beschuldigter entlassen und auf freien Fuß
gesetzt, so kann ihm der Untersuchungsrichter das Gelöbniß abfordern, daß er
sich bis zur rechtskräftigen Beendigung des Strafverfahrens ohne Genehmigung
des Untersuchungsrichters von seinem Aufenthaltsorte nicht entfernen, noch sich
verborgen halten, noch auch die Untersuchung zu vereiteln suchen werde. Der
Bruch dieses Gelöbnisses zieht die Verhängung der Untersuchungshaft wider den
Beschuldigten nach sich.
(437)
§. 192. Soferne es sich nicht um ein Verbrechen handelt, bei welchem nach dem
Gesetze auf die Todesstrafe oder auf eine mindestens fünfjährige Kerkerstrafe
zu erkennen ist, muß die wegen des Verdachtes der Flucht verhängte Haft gegen
Caution oder Bürgschaft für eine von der Rathskammer mit Rücksicht auf die
Folgen der strafbaren Handlung, die Verhältnisse der Person des Verhafteten und
das Vermögen des Sicherheit Leistenden zu bestimmende Summe und gegen Ablegung
des im §. 191 erwähnten Gelöbnisses auf Verlangen unterbleiben oder aufgehoben
werden.
§.
193. Die Cautions- oder Bürgschaftssumme ist entweder in barem Gelde oder in
solchen Werthpapieren, welche nach den bestehenden Gesetzen zur Anlegung der
Gelder von Minderjährigen oder Pflegebefohlenen verwendet werden dürfen, nach
dem Börsecourse des Erlagstages berechnet, gerichtlich zu hinterlegen oder
durch Pfandbestellung auf unbewegliche Güter oder durch taugliche Bürgen (§.
1374 des allgemein bürgerlichen Gesetzbuches), welche sich zugleich als Zahler
verpflichten, sicherzustellen.
Die
Cautions- oder Bürgschaftssumme ist vom Gerichte für verfallen zu erklären,
wenn sich der Beschuldigte ohne Erlaubniß von seinem Wohnorte entfernt oder
über die an ihn ergangene Vorladung, welche im Falle seiner Nichtauffindung in
seiner Wohnung anzuschlagen ist, binnen drei Tagen vor Gericht nicht erscheint.
Dieses
Erkenntniß ist, sobald es rechtskräftig geworden, gleich jedem Urtheile
executionsfähig. Die verfallenen Sicherheitsbeträge sind an die Staatscasse
abzuführen; doch hat der durch die strafbare Handlung Beschädigte das Recht, zu
verlangen, daß vor allem seine Entschädigungsansprüche daraus befriedigt
werden.
§.
194. Der Gerichtshof zweiter Instanz kann unter Beobachtung der vorstehenden,
die Cautions- und Bürgschaftsleistung betreffenden Vorschriften die Belassung
des Beschuldigten auf freiem Fuße oder durch die Versetzung auf denselben auch
bei einem Verbrechen bewilligen, bei welchem nach dem Gesetze auf mindestens
fünfjährige Kerkerstrafe zu erkennen ist.
§.
195. Wenn der Beschuldigte nach gestatteter Freilassung Anstalten zur Flucht
trifft, oder wenn neue Umstände vorkommen, die seine Verhaftung erfordern, so
hat ungeachtet der Sicherheitsleistung die Verhaftung desselben einzutreten;
ist die Verhaftung in diesen Fällen erfolgt, so wird die Cautions- und
Bürgschaftssumme frei.
Dasselbe
ist der Fall, sobald das Strafverfahren durch Einstellung oder durch Endurtheil
rechtskräftig beendigt ist.
§.
196. Außer den Fällen der Sicherheitsleistung und des Ablaufes der im §. 190,
Abs. 2, festgesetzten Frist wird die Aufhebung der Untersuchungshaft von den
Untersuchungsrichter mit Zustimmung des Staatsanwaltes verfügt. Sind der
Untersuchungsrichter und der Staatsanwalt hierüber verschiedener Meinung, so
hat die Rathskammer zu entscheiden.
§.
197. Die Beschwerdeführung des Staatsanwaltes gegen den Beschluß der
Rathskammer, wodurch die verhängte Untersuchungshaft gegen Sicherheitsleistung
oder auch ohne dieselbe aufgehoben wird, hat nur dann aufschiebende Wirkung,
wenn derselbe seine Beschwerde gleich bei Eröffnung jenes Beschlusses anmeldet
und längstens binnen drei Tagen ausführt.
15.
Hauptstück.
Von
der Vernehmung des Beschuldigten.
§.
198. Der Beschuldigte ist in der Voruntersuchung, ohne Beisein des Anklägers
oder anderer hiezu gesetzlich nicht berufenen Personen, von dem
Untersuchungsrichter zu vernehmen.
(438)
Diese Vernehmung muß mit Anstand und Gelassenheit vorgenommen werden. Sie
findet in der Regel mündlich statt, doch kann der Untersuchungsrichter bei
verwickelten Punkten auch eine schriftliche Beantwortung gestatten.
Gerichtszeugen sind der Vernehmung des Beschuldigten nur dann beizuziehen, wenn
der Untersuchungsrichter es für nöthig erachtet, oder der Beschuldigte es
verlangt.
Ist
ein Verhafteter mit Fesseln belegt worden, so müssen ihm dieselben vor seiner
Vernehmung abgenommen werden, soferne dieß ohne Gefahr geschehen kann. Auch ist
jedem Beschuldigten während seiner Vernehmung ein Sitz zu gestatten.
Ist
der Beschuldigte der Gerichtssprache nicht kundig, oder ist er taub oder stumm,
so sind die Vorschriften der §§. 163 und 164 zu beobachten.
§.
199. Der Untersuchungsrichter hat vor dem Beginne der Vernehmung den
Beschuldigten zu ermahnen, daß er die ihm vorzulegenden Fragen bestimmt,
deutlich und der Wahrheit gemäß beantworte.
Nach
der Vernehmung der persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten hat ihm der
Untersuchungsrichter das Verbrechen oder das Vergehen, dessen er beschuldigt
ist, im Allgemeinen zu bezeichnen und ihn zu veranlassen, daß er sich über die
den Gegenstand der Anschuldigung bildenden Thatsachen in einer
zusammenhängenden, umständlichen Erzählung äußere. Die weiteren Fragen sind, mit
Vermeidung aller unnöthigen Weitläufigkeit, auf die Ergänzung der Erzählung,
auf die Entfernung von Dunkelheiten und Widersprüchen zu richten und
insbesondere so zu stellen, daß der Beschuldigte alle gegen ihn vorliegenden
Verdachtsgründe erfahre und vollständige Gelegenheit zu deren Beseitigung und
zu seiner Rechtfertigung erhalte. Gibt er Thatsachen oder Beweismittel zu
seiner Entlastung an, so müssen dieselben, soferne sie nicht offenbar nur zur
Verzögerung angegeben wurden, erhoben werden.
§.
200. Die an den Beschuldigten zu richtenden Fragen dürfen nicht unbestimmt,
dunkel, mehrdeutig oder verfänglich sein; sie müssen eine aus der andern
natürlichen Ordnung fließen. Es ist daher insbesondere die Stellung solcher
Fragen zu vermeiden, in welchen eine von dem Beschuldigten nicht zugestandene
Thatsache als bereits zugestanden angenommen wird.
Fragen,
wodurch dem Beschuldigten Thatumstände vorgehalten werden, die erst durch seine
Antwort festgehalten werden sollen, oder wodurch ihm die zu erforschenden Mitbetheiligten
durch Namen oder andere leicht kennbare Merkmale bezeichnet werden, dürfen erst
dann gestellt werden, wenn der Beschuldigte nicht in anderer Weise zu einer
Erklärung über dieselben geführt werden konnte. Die Fragen sind in solchen
Fällen wörtlich an das Protokoll aufzunehmen.
§.
201. Gegenstände, die sich auf das Verbrechen oder Vergehen beziehen oder zur
Ueberweisung des Beschuldigten dienen, sind ihm nach vorläufiger Beschreibung
derselben zur Anerkennung vorzulegen und er ist, soferne eine Vorlegung
derselben nicht möglich ist, zu diesen Gegenständen zum Behufe ihrer
Anerkennung zu führen. Der Beschuldigte kann, wenn dieß zur Beseitigung von
Zweifeln über die Echtheit eines ihm beigemessenen Schriftstückes dienlich
scheint, veranlaßt werden, einige Worte oder Sätze vor Gericht
niederzuschreiben, ohne daß jedoch deßhalb Zwangsmittel angewendet werden
dürfen.
§.
202. Es dürfen weder Versprechungen oder Vorspiegelungen, noch Drohungen oder
Zwangsmittel angewendet werden, um den Beschuldigten zu Geständnissen oder
anderen bestimmten Angaben zu bewegen. Auch darf die Voruntersuchung durch das
Bemühen, ein Geständniß zu erlangen, nicht verzögert werden.
§.
203. Verweigert der Beschuldigte die Antwort überhaupt oder auf bestimmte
Fragen, oder stellt er sich taub, stumm, oder blödsinnig, und ist der
Untersuchungsrichter in den letzteren Fällen entweder durch seine eigenen
Wahrnehmungen oder durch Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen von der
Verstellung überzeugt, so ist der Beschuldigte lediglich aufmerksam zu machen,
daß sein Verhalten die Untersuchung nicht hemmen, und daß er sich dadurch
seiner Vertheidigungsgründe berauben könne.
(439)
§. 204. Weichen spätere Angaben des Beschuldigten von den früheren ab,
widerruft er insbesondere frühere Geständnisse, so ist er über die Veranlassung
zu jenen Abweichungen und die Gründe seines Widerrufes zu befragen.
§.
205. Wenn die Aussagen eines Beschuldigten in erheblichen Punkten von den
Angaben eines wider ihn aussagenden Zeugen oder Mitbetheiligten abweichen, so
sind ihm diese im Laufe der Voruntersuchung nur dann gegenüberzustellen, wenn
es der Untersuchungsrichter zur Aufklärung der Sache für nothwendig hält. Bei
solchen Gegenüberstellungen ist das in dem §. 168, Absatz 3, vorgeschriebene
Verfahren zu beobachten.
Die
im §. 152, Z. 1, aufgeführten Personen dürfen, wenn sie sich als Zeugen abhören
lassen, die Gegenüberstellung mit dem Beschuldigten ablehnen, außer wenn sie
dieser selbst verlangt.
§.
206. Geständnisse des Beschuldigten entbinden den Untersuchungsrichter nicht
von der Pflicht, den Thatbestand soweit als möglich zu ermitteln. Ist das
Geständniß umfassend und durch die übrigen Ergebnisse der Voruntersuchung
unterstützt, so hängt die Vornahme weiterer Erhebungen von den besonderen
Anträgen des Anklägers ab.
16.
Hauptstück.
Von
der Versetzung in den Anklagestand.
§.
207. Dem Ankläger liegt ob, die Versetzung in den Anklagestand durch
Einbringung der Anklageschrift einzuleiten.
Die
Anklageschrift muß enthalten:
1.
den Namen des Beschuldigten;
2.
die Angabe der ihm von dem Ankläger zur Last gelegten strafbaren Handlung oder
Handlungen nach allen ihren gesetzlichen, die Anwendung eines bestimmten
Strafsatzes bedingenden Merkmalen, wobei die besonderen Umstände des Orts, der
Zeit, des Gegenstandes u.s.f. soweit hinzuzufügen sind, als dieß zur deutlichen
Bezeichnung der That nothwendig ist;
3.
die gesetzliche Benennung der strafbaren Handlung oder Handlungen, worauf die
Anklage gerichtet ist, sowie die Anführung jener Stellen des Strafgesetzes,
deren Anwendung beantragt wird, und die sonst zur Begründung der sachlichen
Zuständigkeit erforderlichen Angaben;
4.
die Angaben des Gerichtes, vor welchem die Hauptverhandlung stattfinden soll.
Der
Anklageschrift ist eine kurze, aber erschöpfende Begründung beizufügen, in
welcher der Sachverhalt, wie er sich aus der Anzeige oder aus den Acten der
Vorerhebungen oder Voruntersuchung ergibt, zusammenhängend zu erzählen ist.
Außerdem
ist das Verzeichniß der vorzuladenden Zeugen und Sachverständigen, sowie der
anderen Beweismittel, deren sich der Ankläger in der Hauptverhandlung zu
bedienen gedenkt, in die Anklageschrift aufzunehmen oder derselben beizulegen.
Der
Ankläger kann in der Anklageschrift auch den Antrag auf Verhaftung des
Beschuldigten stellen.
Die
Anklageschrift ist in so vielen Anklageschriften zu überreichen, daß jedem der
Angeklagten ein Exemplar zugestellt und eines bei dem Untersuchungsrichter
zurückbehalten werden kann.
(440)
§. 208. Die Anklageschrift ist bei jenem Richter, welcher die Voruntersuchung geführt
hat, und falls eine Voruntersuchung nicht stattgefunden hat, bei dem
Vorsitzenden der Rathskammer einzubringen.
Hat
der Untersuchungsrichter (Vorsitzende der Rathskammer) Bedenken, dem Antrage
auf Verhaftung des Beschuldigten stattzugeben, so holt er die Entscheidung der
Rathskammer ein. Ist ein solches Bedenken nicht vorhanden, oder ist es durch
die Entscheidung der Rathskammer beseitigt, so theilt der Untersuchungsrichter
die Anklageschrift sammt Beilagen dem Beschuldigten mit und belehrt denselben
darüber, dass er gegen die Anklageschrift Einspruch erheben und die
Entscheidung des Gerichtshofes zweiter Instanz über die Zuständigkeit des in
der Anklageschrift genanten Gerichtes und über die Zulässigkeit der Anklage
begehren könne.
§.
209. Befindet sich der Beschuldigte bereits in Haft, so ist ihm die
Anklageschrift längstens binnen vierundzwanzig Stunden, wird aber dessen
Verhaftung auf Grund der Anklageschrift verfügt, so ist sie ihm zugleich mit
dem Haftbefehle zuzustellen.
Zur
Anmeldung des Einspruches steht dem Verhafteten eine Frist von vierundzwanzig
Stunden offen, welche im letzteren Falle vom Zeitpunkte seiner Einlieferung zu
laufen beginnt; die Ausführung derselben kann er bei dem Untersuchungsrichter
zu Protokoll oder schriftlich binnen den nächsten acht Tagen anbringen.
Wird
auf sein Verlangen die Anklageschrift seinem Vertheidiger zugestellt, so läuft
die Frist zur Ausführung des angemeldeten Einspruches von der Zustellung an den
Vertheidiger.
Bleibt
der Beschuldigte auf freiem Fuße, so ist ihm die Anklageschrift mit der
Belehrung zuzustellen, daß er den Einspruch dagegen binnen acht Tagen bei dem
Untersuchungsrichter mündlich oder schriftlich anmelden und ausführen könne.
§.
210. Ist der Einspruch innerhalb der gesetzlichen Frist nicht angemeldet
worden, oder hat der Beschuldigte ausdrücklich darauf verzichtet, so legt der
Untersuchungsrichter die Acten dem Gerichtshofe erster Instanz vor, welcher
sofort die Hauptverhandlung anzuordnen hat.
Im
entgegengesetzten Falle sendet der Untersuchungsrichter nach Einbringung der
Ausführung oder nach Ablauf der dafür offen stehenden Frist die Acten dem
Gerichtshofe zweiter Instanz unter gleichzeitiger Benachrichtigung des
Anklägers.
Der
Gerichtshof zweiter Instanz entscheidet über den Einspruch nach Anhörung des
Oberstaatsanwaltes in nicht öffentlicher Sitzung.
In
gleicher Weise ist vorzugeben, wenn der Beschuldigte nur gegen die, sei es vom
Untersuchungsrichter, sei es von der Rathskammer, gegen ihn verhängte Haft (§.
208) sich beschwert; auch in diesem Falle hat der Gerichtshof zweiter Instanz
so vorzugehen, als würde gegen die Anklageschrift Einspruch erhoben.
§.
211. Der Gerichtshof zweiter Instanz weiset die Anklageschrift vorläufig
zurück, wenn er dieß zur Beseitigung eines Formgebrechens oder zur besseren
Aufklärung des Sachverhaltes für nothwendig erachtet.
Der
Ankläger hat sohin binnen drei Tagen seine allfälligen Anträge an den
Untersuchungsrichter zu stellen oder eine Anklageschrift neuerlich zu
überreichen (§§. 27 und 46).
§.
212. Wenn der Gerichtshof zweiter Instanz dafür hält, daß zur Vornahme der
Hauptverhandlung ein anderes Gericht seines Sprengels zuständig ist, so
verweiset er dieselbe dahin und erkennt zugleich in der Sache selbst. Erachtet
er dagegen die Zuständigkeit eines im Sprengel eines anderen Gerichtshofes
zweiter Instanz liegenden Gerichtes als begründet, so spricht er seine eigene
Nichtzuständigkeit aus und übersendet die Acten zur weiteren Entscheidung dem
zuständigen Gerichtshofe zweiter Instanz.
(441)
§. 213. Erachtet der Gerichtshof zweiter Instanz, daß der Anklage einer der
folgenden Gründe entgegenstehe:
1.
daß die dem Beschuldigten zur Haft gelegte That keine zur Zuständigkeit der
Gerichte gehörige strafbare Handlung begründe;
2.
daß es an genügenden Gründen fehle, um den Beschuldigten derselben für
verdächtig zu halten;
3.
daß Umstände vorliegen, vermöge welcher die Strafbarkeit der That aufgehoben
oder die Verfolgung wegen derselben ausgeschlossen ist; endlich
4.
daß das nach dem Gesetze erforderliche Verlangen oder die gesetzlich geforderte
Zustimmung eines hiezu Berechtigten fehle - so entscheidet der Gerichtshof
zweiter Instanz: es werde der Anklage seine Folge gegeben und das Verfahren
eingestellt.
Betrifft
dieser Ausspruch nicht alle Anklagepunkte, so verfügt der Gerichtshof zugleich,
daß diejenigen, hinsichtlich welcher er ergangen ist, aus der Anklageschrift zu
entfallen haben.
Kommt
der Grund, dessentwegen der Anklage keine Folge gegeben wird, auch einem
Mitangeklagten zu statten, der keinen Einspruch erhoben hat, so geht der
Gerichtshof so vor, als wenn ein solcher Einspruch vorläge.
§.
214. Tritt keiner der in den §§. 211-213 erwähnten Fälle ein, so lautet die
Entscheidung: Es werde der Anklage Folge gegeben.
In
diesem Falle ist zugleich über all die Verbindung oder Trennung mehrerer
Anklagen und die Vorladung von Zeugen und Sachverständigen betreffenden Anträge
Beschluß zu fassen. Außerdem ist sowohl in diesem Falle, wie in dem der §§.
211-213 über die Haft des Beschuldigten, über die Ablieferung desselben an ein anderes
Gericht oder über dessen Versetzung auf freien Fuß die nöthige Verfügung zu
treffen.
§.
215. Diese Entscheidung (§§. 211-214) sind in der Art zu begründen, daß dadurch
der Entscheidung des erkennenden Gerichtes über die Hauptsache nicht
vorgegriffen werde:
In
der Ausfertigung dieser Entscheidung sind die Namen der Richter, welche an der
Verhandlung Theil genommen haben, anzugeben.
§.
216. Gegen die über den Einspruch ergangene Entscheidung steht nur die
Nichtigkeitsbeschwerde an den obersten Gerichts- als Cassationshof, und nur aus
einem der folgenden Gründe offen:
1.
wenn bei Einbringung und Mittheilung der Anklageschrift die in den §§. 207-209
ertheilten Vorschriften nicht beobachten worden sind;
2.
wenn der Gerichtshof zweiter Instanz nicht zuständig, oder bei der Entscheidung
über den Einspruch nicht gehörig besetzt war, oder wenn daran ein nach dem
Gesetze ausgeschlossener
oder
mit dem Grund abgelehnter Richter Theil genommen hat.
§.
217. Die Nichtigkeitsbeschwerde kann sowohl vom Oberstaatsanwalte am
Gerichtshofe zweiter Instanz und vom Privatankläger, als vom Beschuldigten
ergriffen werden.
Sie
ist vom Oberstaatsanwalte bei dem Gerichtshofe zweiter Instanz, vom
Privatankläger und vom Beschuldigten bei dem Untersuchungsrichter (§. 208, Abs.
1) binnen drei Tagen nach der Zustellung des Erkenntnisses anzubringen. In der
Beschwerde sind die Beschwerdepunkte genau zu bezeichnen.
Der
oberste Gerichts- als Cassationshof entscheidet über dieselbe nach Anhörung des
Generalprocurators in nicht öffentlicher Sitzung.
Liegt
einer der im §. 216 erwähnten Nichtigkeitsgründe vor, so hebt der Cassationshof
die Entscheidung des Gerichtshofes zweiter Instanz auf und verfügt die nöthige
Verbesserung des Verfahrens.
(442)
§. 218. Beschließt der Gerichtshof zweiter Instanz die Versetzung in
Anklagestand, ohne daß ihm eine Anklageschrift vorliegt (§. 48, Z. 2, §. 114, Abs. 4), so wird sein Beschluß unter
Beobachtung der im §. 214, letzter Absatz, und im §. 205 sowie unter
sinngemäßer Anwendung der über den Inhalt der Anklageschrift im §. 207
ertheilten Vorschrift ausgefertigt und vertritt für das weitere Verfahren die
Stelle der Anklageschrift.
Auch
gegen solche Beschlüsse findet die Nichtigkeitsbeschwerde nach Maßgabe der §§.
216 und 217 statt.
§.
219. Ist der Beschuldigte rechtskräftig den Anklagestand versetzt (§§. 210,
214, 218), so kann die Zuständigkeit desjenigen Gerichtes, welches nach der
Anklageschrift oder dem durch den Einspruch gegen dieselbe veranlaßten
Erkenntnisse zur Hauptverhandlung berufen ist, nicht mehr angefochten und
können die im §. 216 erwähnten Nichtigkeitsgründe nicht mehr geltend gemacht
werden. Im Uebrigen bleibt die Unterlassung des Einspruches gegen die
Anklageschrift oder die Unterlassung der Geltendmachung eines
Nichtigkeitsgrundes ohne Einfluß auf das weitere Verfahren.
17.
Hauptstück.
Von
den Vorbereitungen zur Hauptverhandlung.
§.
220. Jeder verhaftete Angeklagte muß in der Regel (§. 221, Absatz 2) binnen
drei Tagen, nachdem er rechtskräftig in den Anklagestand versetzt ist, in das
Gefängniß des Gerichtshofes, bei welchem die Hauptverhandlung stattfindet,
abgeführt werden. Nach seiner Ankunft in diesem Gefängnisse ist der Angeklagte,
soferne die Anklage auf eines der dem Geschwornengerichte zur Aburtheilung
zugewiesenen Verbrechen gerichtet ist, längstens binnen vierundzwanzig Stunden
von dem Vorsitzenden des Schwurgerichtshofes oder von dessen Stellvertreter
oder von dem Vorsteher des Gerichtshofes erster Instanz zu vernehmen, ob er
seinen in der Voruntersuchung abgelegten Aussagen etwas beizusetzen oder daran
abzuändern finde. Bei dieser Gelegenheit ist er, falls er noch seinen
Vertheidiger hätte, zur Bestellung eines Vertheidigers aufzufordern und ihm,
wenn er von dieser Befugniß keinen Gebrauch macht, ein solcher sofort von
Amtswegen zu ernennen (§§. 41, 42).
Ist
der Angeklagte nicht verhaftet, so kann ihn der Vorsitzende zu dieser
Vernehmung entweder vorladen oder diese Vernehmung durch den Bezirksrichter, in
dessen Sprengel jener sich befindet, veranlassen.
§.
221. Der Tag der Hauptverhandlung wird von dem Vorsitzenden in der Art
bestimmt, daß dem Angeklagten, soferne dieser nicht selbst zu einer Abkürzung
der Frist seine Zustimmung gibt, bei sonstiger Nichtigkeit von der Zustellung
der Vorladung eine Frist von wenigstens drei Tagen, und falls es sich um ein
dem Geschwornengerichte zur Aburtheilung zugewiesenes Verbrechen handelt, eine
Frist von wenigstens acht Tagen zur Vorbereitung seiner Vertheidigung bleibe.
Der Tag der Hauptverhandlung ist sowohl dem Angeklagten und dessen Vertheidiger,
als auch dem Staatsanwalte, beziehungsweise dem Privatankläger und dem
Privatbetheiligten, bekannt zu geben. Die Vorladung des Angeklagten hat die
Androhung zu enthalten, daß er im Falle seines Ausbleibens zu gewärtigen hätte,
daß je nach Umständen die Hauptverhandlung in seiner Abwesenheit vorgenommen
oder er durch einen Vorführungsbefehl zu derselben gestellt, oder falls dieß
zeitgerecht nicht ausführbar wäre, die Hauptverhandlung auf seine Kosten
vertragt und er zu derselben vorgeführt werde. Auch die Zeugen und
Sachverständigen sind hiezu in der Art vorzuladen, daß in der Regel zwischen
der Zustellung der Vorladung und dem Tage, an welchem die Hauptverhandlung
vorgenommen wird, ein Zeitraum von drei Tagen in der Mitte liegt.
(443)
Der Regel nach findet die Hauptverhandlung am Sitze des Gerichtshofes erster
Instanz statt; doch kann dessen Vorsteher, mit Ausnahme des im §. 297, Abs. 3,
bezeichneten Falles, nach Anhörung des Anklägers, verfügen, daß die
Hauptverhandlung am Sitze jenes Bezirksgerichtes abgehalten werde, in dessen
Sprengel die That begangen wurde.
Ist
zu erwarten, daß die Hauptverhandlung von längerer Dauer sein werde, so ist die
Verfügung zu treffen, daß ein oder zwei Ersatzrichter der Verhandlung
beiwohnen, um im Falle der Verhinderung eines Richters an dessen Stelle treten
zu können.
§.
222. Will der Ankläger, der Privatbetheiligte oder der Angeklagte die Vorladung
von Zeugen oder Sachverständigen beantragen, welche nicht bereits zufolge der
Anklageschrift oder des über den Einspruch gegen dieselbe ergangenen
Erkenntnisses vorzuladen sind, so hat er dieß dem Vorsitzenden unter Angabe der
Thatsachen und Punkte, worüber der Vorzuladende vernommen werden soll,
rechtzeitig anzuzeigen.
Die
Liste der neu zu ladenden Zeugen und Sachverständigen ist dem Gegner längstens
drei Tage vor der Hauptverhandlung mitzutheilen; außerdem können diese Personen
nicht ohne seine Zustimmung vernommen werden, unbeschadet jedoch der dem
Vorsitzenden in dieser Hinsicht eingeräumten Macht (§. 254).
§.
223. In Ansehung der Vorladung und Vernehmung von Zeugen, welche der
Militärgerichtsbarkeit unterstehen, gelten im Allgemeinen die für Zeugen
bestehenden Bestimmungen.
Die
Vorladung eines der Militärgerichtsbarkeit unterstehenden Zeugen zur
Hauptverhandlung hat das Gericht, wie in der Voruntersuchung, durch eines der
im §. 161 benannten Militär-Commanden zu veranlassen.
§.
224. Sollte der Angeklagte oder dessen Vertheidiger darauf antragen, daß ein
zur Vertheidigung dienender Umstand noch näher erforscht werde, so hat der Vorsitzende,
wenn er das Begehren begründet findet, die Erhebung ohne Zeitverlust zu
veranstalten, und nachdem sie geschehen ist, dem Ankläger und dem Angeklagten
oder dessen Vertheidiger zum Zwecke allfälliger Einsichtnahme und weiterer
Antragstellung davon Kenntniß zu geben. Eine gleiche Vervollständigung der
Voruntersuchung ist auch auf Antrag des Anklägers oder des Privatbetheiligten
zulässig.
Die
Erörterung der Ergebnisse solcher nachträglichen Erhebungen bleibt in der Regel
(§. 227) der Hauptverhandlung vorbehalten.
§.
225. Glaubt der Vorsitzende, daß einem auf Grund der §§. 222 und 224 gestellten
Antrage nicht stattzugeben sei, so entscheidet hierüber die Rathskammer. In
gleicher Weise hat er die Entscheidung der Rathskammer einzuholen, wenn er in
Fällen, wo ein Einspruch gegen die Anklageschrift nicht erhoben wurde, Bedenken
trägt, alle in derselben namhaft gemachte Zeugen und Sachverständigen
vorzuladen.
Gegen
diese Entscheidung findet kein Rechtsmittel statt; jedoch kann der Antrag in
der Hauptverhandlung erneuert werden.
§.
226. Weiset der Angeklagte nach, daß er wegen Krankheit oder einer sonstigen
unabwendbaren Verhinderung bei der Hauptverhandlung nicht erscheinen kann, oder
trägt der Ankläger oder der Angeklagte aus anderen erheblichen Gründen darauf
an, daß die Hauptverhandlung vertragt werde, so entscheidet hierüber die
Rathskammer. Wegen einer Verhinderung des Vertheidigers findet eine Vertagung
nur dann statt, wenn das Hinderniß dem Angeklagten oder dem Gerichte so spät
bekannt wurde, daß ein anderer Vertheidiger nicht mehr aufgestellt werden
konnte.
§.
227. Tritt der Ankläger vor Beginn der Hauptverhandlung von der Anklage zurück,
so hat die Rathskammer den Einstellungsbeschluß mit dem beifügen zu fassen, daß
es von der allenfalls schon angeordneten Hauptverhandlung abzukommen habe.
(444)
Haben nach der Versetzung in den Anklagestand noch gerichtliche Erhebungen
stattgefunden, so hat der Ankläger das Recht, vor Beginn der Hauptverhandlung
die von ihm eingebrachte Anklageschrift unter gleichzeitiger Einbringung einer
neuen zurückzuziehen. Mit der letzteren sodann nach Vorschrift des 16.
Hauptstückes vorzugehen; hinsichtlich der Haft des Angeklagten ist aber von der
Rathskammer sogleich die nöthige Verfügung zu treffen.
18.
Hauptstück.
Von
der Hauptverhandlung vor den Gerichtshöfen erster Instanz und von den
Rechtsmitteln gegen deren Urtheile.
1.
Hauptverhandlung und Urtheil.
1.
Oeffentlichkeit der Hauptverhandlung.
§.
228. Die Hauptverhandlung ist öffentlich bei sonstiger Nichtigkeit. Es ist nur
erwachsenen und unbewaffneten Personen gestattet, als Zuhörer bei derselben zu
erscheinen. Doch darf Personen, welche vermöge ihres öffentlichen Dienstes zum
Fragen einer Waffe verpflichtet sind, der Zutritt nicht verweigert werden.
§.
229. Die Oeffentlichkeit einer Hauptverhandlung darf nur aus Gründen der
Sittlichkeit oder der öffentlichen Ordnung ausgeschlossen werden. Der
Gerichtshof verfügt diese Ausschließung von Amtswegen oder auf den Antrag des
Anklägers oder des Angeklagten nach darüber gepflogener geheimer Verhandlung
und Berathung durch ein schriftlich abzufassendes, mit Gründen versehenes
Erkenntniß, gegen welches kein Rechtsmittel zulässig ist.
§.
230. Nach der öffentlichen Verlesung dieses Erkenntnisses müssen sich alle
Zuhörer entfernen.
Nur
die durch strafbare Handlung in ihren rechten Verletzten, wirklich angestellte
Richter, die Conceptsbeamten der Staatsanwaltschaft und des Justizministeriums
und die in die Vertheidigerliste eingetragenen Personen dürfen niemals
ausgeschlossen werden. Sowohl der Angeklagte als der Privatbetheiligte kann
verlangen, daß der Zutritt drei Personen seines Vertrauens gestattet werde.
§.
231. Die Anordnung einer geheimen Sitzung auf Grund des §. 229 kann nach
erfolgtem Aufrufe der Sache in jedem Momente der Verhandlung begehrt werden.
Die Ausschließung der Oeffentlichkeit kann für einen Theil des Verfahrens oder
für die ganze Verhandlung stattfinden. Die Verkündung des Urtheiles aber muß
jederzeit öffentlich geschehen.
2.
Amtsverrichtungen des Vorsitzenden und des Gerichtshofes während der
Hauptverhandlung.
§.
232. Der Vorsitzende leitet die Verhandlung.
Er
ist verpflichtet, die Ermittlung der Wahrheit zu befördern, und hat dafür zu
sorgen, daß Erörterungen, welche die Hauptverhandlung ohne Nutzen für die
Aufklärung der Sache verzögern wurden, unterbleiben.
Er
vernimmt den Angeklagten und die Zeugen und bestimmt die Reihenfolge, in
welcher diejenigen, welche das Wort verlangen, zu sprechen haben.
Wenn
mehrere Anklagepunkte vorliegen, kann er verfügen, daß über jeden oder über
einzelne derselben abgesondert zu verhandeln sei.
§.
233. Dem Vorsitzenden liegt die Erhaltung der Ruhe und Ordnung und des der
Würde des Gerichtes entsprechenden Anstandes in dem Gerichtssaale ob.
(445)
Wer vor Gericht vernommen wird oder das Gericht anredet, hat stehend zu
sprechen; doch kann der Vorsitzende wegen der Körperbeschaffenheit des
Sprechenden oder wegen der längeren Dauer der Vernehmung eine Ausnahme
gestatten.
Zeichen
des Beifalles oder der Mißbilligung sind untersagt. Der Vorsitzende ist
berechtigt, Personen, welche die Sitzung durch solche Zeichen oder auf eine
andere Weise stören, zur Ordnung zu ermahnen und nöthigenfalls einzelne oder
alle Zuhörer aus dem Sitzungssaale entfernen zu lassen. Widersetzt sich Jemand
seinen Befehlen, oder werden die Störungen wiederholt, so kann der Vorsitzende
die Widersetzlichen auch verhaften lassen und nach Umständen zu einer
Arreststrafe bis zu acht Tagen verurtheilen. Untersteht der die Verhandlung
Störende der Militärgerichtsbarkeit, so kann der Vorsitzende dessen Entfernung
veranlassen und beziehungsweise dessen Bestrafung bei der nächsten
Militärbehörde begehren.
§.
234. Wenn der Angeklagte die Ordnung der Verhandlung durch ein ungeziemendes
Benehmen stört, und ungeachtet der Ermahnung des Vorsitzenden und der
Androhung, daß er aus der Sitzung werde entfernt werden, nicht davon absteht,
so kann er durch Beschluß des Gerichtshofes auf einige Zeit oder für die ganze
Dauer der Verhandlung von derselben entfernt, die Sitzung in seiner Abwesenheit
fortgesetzt und ihm das Urtheil durch ein Mitglied des Gerichtshofes in
Gegenwart des Schriftführers verkündet werden.
§.
235. Der Vorsitzende hat darüber zu wachen, daß gegen Niemand Beschimpfungen
oder offenbar ungegründete oder zur Sache nicht gehörige Beschuldigungen
vorgebracht werden. Hat sich der Angeklagte, oder Privatankläger, der
Privatbetheiligte, ein Zeuge oder ein Sachverständiger solche Aeußerungen
erlaubt, so kann der Gerichtshof wider denselben auf Antrag des Beleidigten
oder des Staatsanwaltes oder von Amtswegen Geldstrafe bis fünfzig Gulden, oder
Arreststrafe bis zu acht Tagen, gegen einen Verhafteten aber eine angemessene
Disciplinarstrafe (§. 108) verhängen.
§.
236. Macht sich der Vertheidiger oder der Vertreter des Privatanklägers oder
Privatbetheiligten einer solchen Uebertretung schuldig, oder verletzt er die
dem Gerichte gebührende Achtung, so kann er vom Gerichtshofe mit einem Verweise
oder einer Geldstrafe bis zum Betrage von Einhundert Gulden belegt werden.
Setzt
er sein ungebührliches Benehmen fort, so kann ihm der Vorsitzende das Wort
entziehen und die Partei zur Wahl eines anderen Vertreters auffordern,
nöthigerfalls auch von Amtswegen dem Angeklagten einen Vertheidiger ernennen.
Bei
erschwerenden Umständen kann auf Antrag des Gerichtshofes der Gerichtshof
zweiter Instanz dem Schuldigen, wenn er nicht Advocat ist, auch die Befugniß,
als Vertreter in Strafsachen vor Gericht zu erscheinen, für die Dauer von einem
bis zu sechs Monaten entziehen. Ist er Advocat, so hat der Gerichtshof die Angelegenheit
an die Disciplinarbehörde des Schuldigen zu leiten, welche diesem auch das
Recht zur Vertheidigung in Strafsachen für die Dauer von einem bis zu sechs
Monaten entziehen kann.
§.
237. Die auf Grund der §§. 233-235 und 236, Absatz 1 und 2, ergehenden
Beschlüsse und Erkenntnisse sind sofort zu vollstrecken. Ein Rechtsmittel steht
gegen dieselben nicht offen.
Begründet
das in den gedachten Paragraphen erwähnte Benehmen eine im allgemeinen
Strafgesetze vorgesehene strafbare Handlung, so sind die Bestimmungen des §.
278 in Anwendung zu bringen.
Die
Erklärung des Beleidigten oder Verletzten, daß er sich das Klagerecht wegen der
gegen ihn begangenen strafbaren Handlung vorbehalte, oder daß er auf dasselbe
verzichte, steht der Anwendung der in den §§. 233-236 enthaltenen
Strafbestimmungen nicht entgegen.
(446)
§. 238. Wenn im Laufe einer Hauptverhandlung über einzelne Punkte des
Verfahrens von den Parteien entgegengesetzte Anträge gestellt werden, oder wenn
der Vorsitzende dem unbestrittenen Antrage einer Partei nicht stattzugeben
findet, so entscheidet über solche Zwischenfragen der Gerichtshof sofort, ohne
daß ein selbstständiges, die weitere Verhandlung hemmendes Rechtsmittel dagegen
zulässig ist.
Die
Entscheidungsgründe müssen jederzeit verkündet und im Protokolle ersichtlich
gemacht werden.
3.
Beginn der Hauptverhandlung.
§.
239. Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Anrufe der Sache durch den
Schriftführer. Der Angeklagte erscheint ungefesselt, jedoch wenn er in
Untersuchungshaft ist, in Begleitung einer Wache. Die zur Beweisführung etwa
erforderlichen Gegenstände, welche dem Angeklagten oder den Zeugen zur
Anerkennung vorzulegen sind, müssen vor dem Beginne der Verhandlung in den
Gerichtssaal gebracht werden.
§.
240. Der Vorsitzende befragt hierauf den Angeklagten um Vor- und Zunamen,
Alter, Geburtsort, Zuständigkeitsgemeinde, Religion, Stand; Gewerbe oder
Beschäftigung und Wohnort und ermahnt ihn zur Aufmerksamkeit auf die
vorzutragende Anklage und auf den Gang der Verhandlung.
§.
241. Hierauf werden die vorgeladenen Zeugen und Sachverständigen aufgerufen und
der Vorsitzende weiset sie an, nachdem er sie an die Heiligkeit des von ihnen
abzulegenden Eides erinnert hat, sich in das für sie bestimmte Zimmer zu
begeben. Nach Umständen kann auch der Privatankläger oder Privatbetheiligte,
wenn er als Zeuge zu vernehmen ist, unbeschadet seines Rechtes, sich durch
einen Anderen bei der Verhandlung vertreten zu lassen, zur Entfernung aus dem
Sitzungssaale angewiesen werden. Der Vorsitzende ordnet auch nach Befinden
Maßregeln an, um Verabredungen oder Versprechungen der Zeugen zu verhindern.
Rücksichtlich
der Sachverständigen kann der Vorsitzende in allen Fällen, in welchen er es für
die Erforschung der Wahrheit zweckdienlich findet, verfügen, daß dieselben
sowohl während der Vernehmung des Angeklagten als der Zeugen im Sitzungssaale
bleiben.
§.
242. Wenn Zeugen oder Sachverständige, der an die ergangenen Vorladung
ungeachtet, bei der Hauptverhandlung nicht erscheinen, so kann der Gerichtshof
deren ungesäumte Vorführung verfügen.
Ist
diese nicht möglich, so entscheidet der Gerichtshof nach Anhörung des Anklägers
und des Angeklagten oder seines Vertheidigers, ob die Hauptverhandlung vertragt
oder fortgesetzt werden und statt der mündlichen Abhörung jener Zeugen oder Sachverständigen
die Verlesung der in der Voruntersuchung abgelegten Aussagen derselben erfolgen
soll.
Der
Ausgebliebene ist zu einer Geldstrafe von fünf bis fünfzig Gulden zu
verurtheilen. Ist die Hauptverhandlung vertragt worden, so hat er überdieß die
Kosten der durch sein Ausbleiben vereitelten Sitzung zu tragen. Auch kann, um
sein Erscheinen bei der neu angeordneten Sitzung zu sichern, ein
Vorführungsbefehl wider ihn erlassen werden.
§.
243. Gegen die in Gemäßheit des vorstehenden Paragraphen ausgesprochene
Verurtheilung kann der Zeuge oder Sachverständige binnen acht Tagen nach
Zustellung des gegen ihn ergangenen Erkenntnisses bei dem erkennenden
Gerichtshofe Einspruch erheben.
Wenn
er nachzuweisen vermag, daß ihm die Vorladung nicht gehörig zugestellt worden,
oder daß ihm ein unvorhergesehenes und unabwendbares Hinderniß vom Erscheinen
abgehalten habe, wird er von der wider ihn ausgesprochenen Strafe losgezählt.
Eine
Minderung der verhängten Strafe oder des ihm auferlegten Kostenbetrages kann
ausgesprochen werden, wenn er darzuthun im Stande ist, daß diese Strafe oder
Kostenverurtheilung
(447)
nicht im richtigen Verhältnisse zu seinem Verschulden oder zu den Folgen seines
Ausbleibens steht.
Wird
der Einspruch erst nach dem Schlusse der Hauptverhandlung erhoben, so
entscheidet darüber der Gerichtshof erster Instanz in nicht öffentlicher
Sitzung, in einer Versammlung von drei Richtern, von denen einer den Vorsitz
führt.
Gegen
das über den Einspruch ergehende Erkenntniß ist kein Rechtsmittel zulässig.
§.
244. Nachdem die Zeugen abgetreten sind, läßt der Vorsitzende bei sonstiger
Nichtigkeit die Anklageschrift, und falls ein Erkenntniß vorliegt, vermöge
dessen ein Anklagepunkt zu entfallen hat, auch dieses verlesen.
4)
Vernehmung des Angeklagten.
§.
245. Hierauf wird der Angeklagte vom Vorsitzenden über den Inhalt der Anklage
vernommen. Beantwortet der Angeklagte die Anklage mit der Erklärung, er sei
nicht schuldig, so hat ihm der Vorsitzende zu eröffnen, daß er berechtigt sei,
der Anklage eine zusammenhängende Erklärung des Sachverhaltes entgegenzustellen
und nach Anführung jedes einzelnen Beweismittels seine Bemerkungen darüber
vorzubringen. Weicht der Angeklagte von seinen früheren Aussagen ab, so ist er
um die Gründe dieser Abweichung zu befragen. Der Vorsitzende kann in diesem
Falle, sowie dann, wenn der Angeklagte eine Antwort verweigert, das über die
früheren Aussagen aufgenommene Protokoll ganz oder theilweise vorlesen lassen.
Der
Angeklagte kann zur Beantwortung der an ihn gerichteten Fragen nicht verhalten
werden.
Es
ist dem Angeklagten unbenommen, sich auch während der Hauptverhandlung mit
seinem Vertheidiger zu besprechen; es ist ihm jedoch nicht gestattet, sich mit
demselben unmittelbar über die Beantwortung der einzelnen an ihn gestellten
Fragen zu berathen.
5)
Beweisverfahren.
§.
246. Nach der Vernehmung des Angeklagten sind die Beweise in der vom
Vorsitzenden bestimmten Ordnung vorzuführen und in der Regel die vom Ankläger
vorgebrachten Beweise zuerst aufzunehmen.
Der
Ankläger und der Angeklagte können im Laufe der Hauptverhandlung Beweismittel
fallen lassen, jedoch nur wenn der Gegner zustimmt.
§.
247. Zeugen und Sachverständige werden einzeln vorgerufen und in Anwesenheit
des Angeklagten abgehört. Sie sind vor ihrer Vernehmung zur Angabe der Wahrheit
zu ermahnen. Sachverständige, welche den Eid bereits abgelegt haben, und
Zeugen, welche im Vorverfahren beeidigt wurden, sind an die Heiligkeit des
abgelegten Eides zu erinnern.
Außer
diesem Falle ist jeder derselben, bei sonstiger Nichtigkeit, nach Beantwortung
der allgemeinen Fragen und vor seiner weiteren Vernehmung und Beobachtung des
Gesetzes vom 3. Mai 1868, R. G. Bl. Nr. 33, zu beeidigen, soferne nicht einer
der im §. 170 unter 1 bis 6 bezeichneten Gründe entgegensteht.
Die
Beeidigung kann unterbleiben oder bis nach erfolgter Abhörung des Zeugen
ausgesetzt werden, wenn Ankläger und Angeklagter darüber einverstanden sind.
§.
248. Der Vorsitzende hat bei der Abhörung der Zeugen und Sachverständigen die
für den Untersuchungsrichter in der Voruntersuchung ertheilten Vorschriften,
soweit dieselben nicht ihrer Natur nach als in der Hauptverhandlung
unausführbar erscheinen, zu beobachten. Er hat dafür zu sorgen, daß ein noch
nicht vernommener Zeuge nicht bei der Beweisaufnahme überhaupt, ein nicht vernommener
Sachverständiger nicht bei der Vernehmung anderer Sachverständigen über
denselben Gegenstand zugegen sei.
(448)
Zeugen, deren Aussagen von einander abweichen, kann der Vorsitzende einander
gegenüberstellen.
Zeugen
und Sachverständige haben nach ihrer Vernehmung solange in der Sitzung anwesend
zu bleiben, als der Vorsitzende sie nicht entläßt oder ihr Abtreten verordnet.
Die einzelnen Zeugen dürfen einander über ihre Aussagen nicht zu Rede stellen.
Der
Angeklagte muß nach der Abhörung eines jeden Zeugen, Sachverständigen oder
Mitangeklagten befragt werden, ob er auf die eben vorgenommene Aussage etwas zu
entgegnen habe.
§.
249. Außer dem Vorsitzenden sind auch die übrigen Mitglieder des Gerichtshofes,
der Ankläger, der Angeklagte und der Privatbetheiligte, sowie deren Vertreter
befugt, an jede zu vernehmende Person, nachdem sie das Wort hiezu von dem
Vorsitzenden erhalten haben, Fragen zu stellen. Der Vorsitzende ist berechtigt,
Fragen, die ihm unangemessen erscheinen, zurückzuweisen.
§.
250. Der Vorsitzende ist befugt, ausnahmsweise den Angeklagten während der
Abhörung eines Zeugen oder eines Mitangeklagten aus dem Sitzungssaale abtreten
zu lassen. Er muß ihn aber, sobald er ihn nach seiner Wiedereinführung über den
in seiner Abwesenheit verhandelten Gegenstand vernommen hat, von Allem in
Kenntniß setzen, was in seiner Abwesenheit vorgenommen wurde, insbesondere von
den Aussagen, welche inzwischen gemacht worden sind.
Ist
diese Mittheilung unterblieben, so muß sie jedenfalls bei sonstiger Nichtigkeit
vor Schluß des Beweisverfahrens nachgetragen werden.
§.
251. Sowohl der Angeklagte als der Ankläger können verlangen, daß sich Zeugen
nach ihrer Abhörung aus dem Gerichtssaale entfernen und später wieder
hereingerufen und entweder allein oder in Gegenwart anderer Zeugen nochmals
vernommen werden. Der Vorsitzende kann dieß auch von Amtswegen anordnen.
§.
252. Protokolle über die Vernehmung von Mitbeschuldigten und Zeugen, dann die
Gutachten der Sachverständigen dürfen nur in folgenden Fällen vorgelesen
werden:
1)
wenn die Vernommenen in der Zwischenzeit gestorben sind; wenn ihr Aufenthalt
unbekannt oder ihr persönliches Erscheinen wegen ihres Alters, wegen Krankheit
oder Gebrechlichkeit oder wegen entfernten Aufenthaltes oder aus anderen
erheblichen Gründen füglich nicht bewerkstelligt werden konnte;
2)
wenn die in der Hauptverhandlung Vernommenen in wesentlichen Punkten von ihren
früher abgelegten Aussagen abweichen;
3)
wenn Zeugen, ohne dazu berechtigt zu sein, oder wenn Mitschuldige die Aussage
verweigern; endlich
4)
wenn über die Vorlesung Ankläger und Angeklagter einverstanden sind.
Augenscheins-
und Befundaufnahmen, gegen den Angeklagten früher ergangene Straferkenntnisse,
sowie Urkunden und Schriftstücke anderer Art, welche für die Sache von
Bedeutung sind, müssen vorgelesen werden, wenn nicht beide Theile darauf
verzichten.
Nach
jeder Vorlesung ist der Angeklagte zu befragen, ob er darüber etwas zu bemerken
habe.
§.
253. Im Laufe oder am Schlusse des Beweisverfahrens läßt der Vorsitzende dem
Angeklagten und soweit es nöthig ist, den Zeugen und Sachverständigen
diejenigen Gegenstände, welche zur Aufklärung des Sachverhaltes dienen können,
vorlegen, und fordert sie auf, sich zu erklären, ob sie dieselben anerkennen.
§.
254. Der Vorsitzende ist ermächtigt, ohne Antrag des Anklägers oder Angeklagten
Zeugen und Sachverständige, von welchen nach dem Gange der Verhandlung
Aufklärung
(449)
über erhebliche Thatsachen zu erwarten ist, im Laufe des Verfahrens vorladen
und nöthigenfalls vorführen zu lassen und zu vernehmen.
Ob
eine Beeidigung solcher neuen Zeugen oder Sachverständigen stattfinde, darüber
hat nach deren Abhörung und nach Vernehmung der Parteien der Gerichtshof zu
entscheiden.
Der
Vorsitzende kann auch neue Gutachten abfordern oder andere Beweismittel herbeischaffen
lassen, mit dem Gerichte einen Augenschein vornehmen oder hiezu ein Mitglied
des Gerichtes abordnen, welches darüber Bericht zu erstatten hat.
6)
Vorträge der Parteien.
§.
255. Nachdem der Vorsitzende das Beweisverfahren für geschlossen erklärt hat,
erhält zuerst der Ankläger das Wort, um die Ergebnisse der Beweisführung
zusammenzufassen und seine Anträge sowohl rücksichtlich der Schuld des
Angeklagten, als auch in Betreff der gegen ihn anzuwendenden Strafbestimmungen
zu stellen und zu begründen. Einen bestimmten Antrag über die Bemessung der
Strafe innerhalb des gesetzlichen Strafsatzes hat der Ankläger nicht zu
stellen.
Der
Privatbetheiligte erhält zunächst nach dem Staatsanwalte das Wort.
Dem
Angeklagten und seinem Vertheidiger steht das Recht zu, darauf zu antworten.
Findet
der Staatsanwalt der Privatankläger oder der Privatbetheiligte hierauf etwas zu
erwidern, so gebührt dem Angeklagten und seinem Vertheidiger jedenfalls die
Schlußrede.
§.
256. In der Regel ist in den Schlußvoträgen über alle im Urtheile zu
entscheidenden Fragen ungetrennt zu verhandeln.
Doch
steht es dem Vorsitzenden oder dem Gerichtshofe (§. 238) frei, zu verfügen, daß
die Schlußvorträge über die Schuldfrage von jenen über die Strafbestimmungen,
über die privatrechtlichen Ansprüche und über die Proceßkosten zu trennen
seien. In diesen Fällen werden, nachdem der Gerichtshof über die Schuld des
Angeklagten entschieden und seinen Ausspruch verkündet hat, neuerliche
Schlußvorträge gehalten, welche jedoch auf die noch zu entscheidenden Fragen
einzuschränken sind.
7)
Urtheil des Gerichtshofes.
§.
257. Nachdem der Vorsitzende die Verhandlung für geschlossen erklärt hat, zieht
sich der Gerichtshof zur Urtheilsfällung in das Berathungszimmer zurück. Der
Angeklagte wird, wenn er verhaftet war, einstweilen aus dem Sitzungssaale
abgeführt.
§.
258. Das Gericht hat bei der Urtheilsfällung nur auf dasjenige Rücksicht zu
nehmen, was in der Hauptverhandlung vorgekommen ist. Actenstücke können nur
insoweit als Beweismittel dienen, als sie bei der Hauptverhandlung vorgelesen
worden sind.
Das
Gericht hat die Beweismittel in Ansehung ihrer Glaubwürdigkeit und Beweiskraft
sowohl einzeln, als auch in ihrem inneren Zusammenhange sorgfältig und
gewissenhaft zu prüfen. Ueber die Frage, ob eine Thatsache als erwiesen
anzunehmen sei, entscheiden die Richter nicht nach gesetzlichen Beweisregeln,
sondern nur nach ihrer freien, aus der gewissenhaften Prüfung aller für und
wider vorgebrachten Beweismittel gewonnenen Ueberzeugung.
§.
259. Der Angeklagte wird durch Urtheil des Gerichtshofes von der Anklage
freigesprochen:
1)
wenn sich zeigt, daß das Strafverfahren ohne den Antrag eines gesetzlich
berechtigten Anklägers eingeleitet oder gegen dessen Willen fortgesetzt worden
sei;
2)
wenn der Ankläger nach Eröffnung der Hauptverhandlung und ehe der Gerichtshof
sich zur Schöpfung des Urtheiles zurückzieht, von der Anklage zurücktritt;
3)
wenn der Gerichtshof erkennt, daß die der Anklage zu Grunde liegende That vom
Gesetze nicht mit Strafe bedroht, oder der Thatbestand nicht hergestellt, oder
nicht erwiesen sei,
(450)
daß der Angeklagte die ihm zur Last gelegte That begangen habe, oder daß
Umstände vorliegen, vermöge welcher die Strafbarkeit aufgehoben oder die
Verfolgung aus anderen als den unter Z. 1 und 2 angegebenen Gründen
ausgeschlossen ist.
§.
260. Wird der Angeklagte schuldig befunden so muß das Strafurtheil aussprechen:
1)
welcher That der Angeklagte schuldig befunden worden, und zwar unter
ausdrücklicher Bezeichnung der einen bestimmten Strafsatz bedingenden Thatumstände;
2)
welche strafbare Handlung durch die als erwiesen angenommenen Thatsachen, deren
der Angeklagte schuldig befunden worden, begründet wird;
3)
zu welcher Strafe der Angeklagte verurtheilt werde; - und zwar diese drei
Punkte bei sonstiger Nichtigkeit; außerdem ist noch beizufügen:
4)
welche strafgesetzliche Bestimmungen auf ihn angewendet wurden;
5)
die Entscheidung über die geltend gemachten Entschädigungsansprüche und über
die Proceßkosten.
§.
261. Erachtet der Gerichtshof, daß die Thatsachen, welche der Anklage zu Grunde
liegen, an sich oder in Verbindung mit den in der Hauptverhandlung
hervortretenden Umständen ein zur Zuständigkeit des Geschwornengerichtes
gehöriges Verbrechen oder Vergehen begründen, so spricht er seine
Nichtzuständigkeit aus.
Sobald
dieser Ausspruch in Rechtskraft erwachsen ist, hat der Ankläger längstens
binnen drei Tagen (§§. 27 und 46) seine Anträge wegen Einleitung oder
Wiedereröffnung der Voruntersuchung, oder – falls eine solche nicht nothwendig
ist – wegen Anordnung der Hauptverhandlung vor dem Geschwornengerichte
anzubringen. Im ersteren Falle muß eine neue Anklageschrift eingebracht werden;
außer diesem Falle ist aber bei der neuen Hauptverhandlung die ursprüngliche
Anklageschrift und der nach gegenwärtigem Paragraphe gefällte Ausspruch des
Gerichtshofes zu verlesen.
§.
262. Erachtet der Gerichtshof, daß die der Anklage zu Grunde liegenden
Thatsachen an sich oder in Verbindung mit den erst in der Hauptverhandlung
hervortretenden Umständen eine andere als die in der Anklage bezeichnete,
jedoch nicht zur Zuständigkeit des Geschwornengerichtes gehörige strafbare
Handlung begründen, so schöpft er, nachdem er die Parteien darüber gehört und
über einen allfälligen Vertagungsantrag entschieden hat, das Urtheil nach
seiner rechtlichen Ueberzeugung, ohne an die in der Anklageschrift enthaltene
Bezeichnung der That gebunden zu sein.
§.
263. Wird der Angeklagte bei der Hauptverhandlung noch einer anderen That
beschuldigt, als wegen welcher er angeklagt war, so kann der Gerichtshof, wenn
dieselbe von Amtswegen zu verfolgen ist, auf Antrag des Staatsanwaltes oder des
durch diese That Verletzten, in anderen Fällen aber nur auf Begehren des zur
Privatanklage Berechtigten die Verhandlung und das Urtheil auch auf diese That
ausdehnen. Die Zustimmung des Angeklagten ist nur dann erforderlich, wenn
derselbe bei seiner Verurtheilung wegen dieser That unter ein Strafgesetz
fiele, welches strenger ist als dasjenige, welches auf die in der
Anklageschrift angeführte strafbare Handlung anzuwenden wäre.
Verweigert
in einem solchen Falle der Angeklagte seine Zustimmung zu sofortigen
Aburtheilung, oder kann dieselbe nicht erfolgen, weil eine sorgfältigere
Vorbereitung nöthig erscheint, oder weil der Gerichtshof zur Aburtheilung über
die hinzugekommene strafbare Handlung nicht zuständig ist, so hat sich das
Urtheil auf den Gegenstand der Anklage zu beschränken und dem Ankläger – auf
sein Verlangen – die selbständige Verfolgung wegen der hinzugekommenen That
vorzubehalten, außer welchem Falle wegen dieser letzteren eine Verfolgung nicht
mehr stattfindet.
Nach
Umständen kann der Gerichtshof auch, wenn er über die hinzugekommene That nicht
sofort aburtheilt, die Hauptverhandlung abbrechen und die Entscheidung über
alle dem
(451)
Angeklagten zur Last fallenden strafbaren Handlungen einer neuen
Hauptverhandlung vorbehalten.
In
beiden Fällen muß der Ankläger binnen drei Tagen (§§. 27 und 46) seine Anträge
wegen Einleitung des gesetzlichen Verfahrens anbringen.
§.
264. Wird gegen den Angeklagten ein Strafurtheil gefällt, so steht der
Vollstreckung desselben der Umstand nicht entgegen, daß die Verfolgung wegen
einer anderen strafbaren Handlung noch vorbehalten ist. Nur wenn die letztere
mit der Todesstrafe bedroht ist, muß bis zur Entscheidung über dieselbe mit der
Vollstreckung des nach §. 263 ergehenden Urtheils innegehalten werden.
Macht
der Ankläger von dem im §. 263 erwähnten Vorbehalte Gebrauch, so kann der
Gerichtshof anordnen, daß die Vollstreckung des unter diesem Vorbehalte
erlassenen Urtheils bis zur Entscheidung über die neue Anklage auf sich beruhen
habe. In diesem Falle sind beide Urtheile hinsichtlich der Rechtsmittel so zu
behandeln, als wären sie gleichzeitig gefällt.
§.
265. Wird ein Angeklagter, gegen welchen bereits ein Strafurtheil ergangen ist,
einer anderen vor der Fällung jenes Strafurtheiles begangenen strafbaren
Handlung schuldig befunden, so ist bei Bemessung der Strafe für die neu
hervorgekommene strafbare Handlung auf die dem Schuldigen durch das frühere
Erkenntniß zuerkannte Strafe angemessene Rücksicht zu nehmen, so daß die im
Gesetze für die schwerer strafbare Handlung bestimmte höchste Strafe nie
überschritten werden darf.
§.
266. Wird auf eine Geldstrafe erkannt, so ist zugleich die für den Fall der
Uneinbringlichkeit an die Stelle tretende Arreststrafe zu bestimmen.
§.
267. An die Anträge des Anklägers ist der Gerichtshof nur insoweit gebunden,
daß er den Angeklagten nicht einer That schuldig erklären kann, auf welche die
Anklage weder ursprünglich gerichtet, noch während der Hauptverhandlung
ausgedehnt wurde.
8)
Verkündung und Ausfertigung des Urtheils.
§.
268. Unmittelbar nach dem Beschlusse des Gerichtshofes ist der Angeklagte
wieder vorzuführen oder vorzurufen, und es ist in öffentlicher Sitzung durch
den Vorsitzenden das Urtheil sammt den wesentlichen Gründen desselben unter
Verlesung der angewendeten Gesetzesbestimmungen zu verkünden. Zugleich belehrt
der Vorsitzende den Angeklagten über die ihm zustehenden Rechtsmittel.
§.
269. Hat sich der Angeklagte zur Urtheilsverkündung nicht eingefunden, so kann
der Vorsitzende ihn zu diesem Behufe vorführen lassen oder anordnen, daß ihm
das Urtheil entweder durch einen hiezu abgeordneten Richter mündlich eröffnet
oder ihm in Abschrift zugestellt werde.
§.
270. Jedes Urtheil muß binnen drei Tagen vom Tage der Verkündung schriftlich
ausgefertigt und von dem Vorsitzenden, sowie vom Schriftführer unterschrieben
werden.
Die
Urtheilsausfertigung muß enthalten:
1)
die Bezeichnung des Gerichtes und die Namen der anwesenden Mitglieder des
Gerichtshofes, sowie den des Staatsanwaltes (Privatanklägers) und des
Privatbetheiligten;
2)
den Vor- und Zunamen, sowie denjenigen Namen, unter welchem der Angeklagte
allenfalls sonst noch bekannt ist, sein Alter, Stand, Gewerbe oder seine
Beschäftigung; ferner den Namen seines Vertheidigers;
3)
den Tag der die Hauptverhandlung anordnenden Verfügung und den wesentlichen
Inhalt der Anklageschrift;
4)
den Tag der Hauptverhandlung und des ergehenden Urtheiles;
5)
die Schlußanträge des Anklägers und des Privatbetheiligten;
(452)
6) das Erkenntniß des Gerichtshofes über die Schuldfrage, und zwar im Falle
eines Strafurtheiles mit allen im §. 260 aufgeführten Punkten; endlich
7)
die Entscheidungsgründe. In denselben muß in gedrängter Darstellung, aber mit
voller Bestimmtheit angegeben sein, welche Thatsachen und aus welchen Gründen
der Gerichtshof dieselben als erwiesen oder als nicht erwiesen angenommen, von
welchen Erwägungen er bei der Entscheidung der Rechtsfragen und bei Beseitigung
der vorgebrachten Einwendungen geleitet wurde, und im Falle einer
Verurtheilung, welche Erschwerungs- und Milderungsumstände er gefunden habe.
Bei einem freisprechenden Urtheile haben die Entscheidungsgründe insbesondere
deutlich anzugeben, aus welchem der im §. 259 angegebenen Gründe sich der Gerichtshof
zur Freisprechung bestimmt gefunden habe.
Schreib-
und Rechnungsfehler, ferner solche Formgebrechen und Auslassungen, welche nicht
die im §. 260, Z. 1 bis 3, erwähnten Punkte betreffen, hat der Gerichtshof
jederzeit, allenfalls nach Anhörung der Parteien, zu berichtigen. Gegen die
Zurückweisung eines darauf abzielenden Antrages ist kein Rechtsmittel zulässig.
Die beschlossene Verbesserung ist am Rande des Urtheils beizusetzen, und muß
allen Ausfertigungen beigefügt werden.
9)
Protokollführung.
§. 271.
Ueber die Hauptverhandlung ist bei sonstiger Nichtigkeit ein von dem
Vorsitzenden und dem Schriftführer zu unterschreibendes Protokoll aufzunehmen.
Dasselbe soll die Namen der anwesenden Mitglieder des Gerichtshofes, der
Parteien und ihrer Vertreter enthalten, alle wesentlichen Förmlichkeiten des
Verfahrens beurkunden, insbesondere anführen, welche Zeugen und
Sachverständigen vernommen, und welche Actenstücke vorgelesen wurden, ob die
Zeugen und Sachverständigen beeidigt wurden, oder aus welchen Gründen die
Beeidigung unterblieb; endlich alle Anträge der Parteien und die von dem
Vorsitzenden oder dem Gerichte darüber erfolgten Entscheidungen bemerken. Den
Parteien steht es frei, die Feststellung einzelner Punkte im Protokolle zur
Wahrung ihrer Rechte zu verlangen.
Der
Vorsitzende hat, wo es auf Feststellung der wörtlichen Fassung ankommt, auf
Verlangen einer Partei sofort die Verlesung einzelner Stellen anzuordnen.
Der
Antworten des Angeklagten und der Aussagen der Zeugen oder Sachverständigen
geschieht nur dann eine Erwähnung, wenn sie Abweichungen, Veränderungen oder
Zusätze der in den Acten niedergelegten Angaben enthalten, oder wenn die Zeugen
oder Sachverständigen in der öffentlichen Sitzung das erste Mal vernommen
werden.
Wenn
der Vorsitzende oder der Gerichtshof es angemessen findet, kann er die
stenographische Aufzeichnung aller Aussagen und Vorträge anordnen; auf
rechtzeitiges Verlangen einer Partei und gegen vorläufigen Erlag der Kosten,
ist dieselbe stets zu verfügen. Die stenographischen Aufzeichnungen sind jedoch
binnen achtundvierzig Stunden in gewöhnliche Schrift zu übertragen, dem
Vorsitzenden oder einem von ihm hiemit betrauten Richter zur Prüfung vorzulegen
und dem Protokolle beizuschließen.
Es
steht übrigens den Parteien frei, von dem abgeschlossenen Protokolle und dessen
Beilagen Einsicht und Abschrift zu nehmen.
§.
272. Ueber die Berathungen und Abstimmungen während und am Schlusse der
Hauptverhandlung ist in den Fällen, wo sich das Gericht zur Beschlußfassung in
das Berathungszimmer zurückgezogen hat, ein abgesondertes Protokoll zu führen.
10)
Vertagung der Hauptverhandlung.
§.
273. Die Hauptverhandlung darf, wenn sie begonnen hat, nur soweit unterbrochen
werden, als es der Vorsitzende zur nöthigen Erholung der dabei betheiligten
Personen oder zur unverzüglichen Herbeischaffung von Beweismitteln erforderlich
findet; sie kann nach dem Ermessen des Gerichtshofes in dringenden Fällen auch
an einem Sonn- oder Feiertage fortgesetzt werden.
(453)
§. 274. Ist der Vertheidiger, ungeachtet gehöriger Ladung bei der
Hauptverhandlung nicht erschienen, oder hat er sich vor dem Schlusse derselben
entfernt, oder tritt der im §. 236, Absatz 2, vorgesehene Fall ein, und kann
ein anderer Vertheidiger überhaupt nicht, oder doch nicht ohne Beeinträchtigung
der Vertheidigung des Angeklagten bestellt werden, so ist die Verhandlung zu
vertagen. Die Kosten der Bestellung eines anderen Vertreters und der Vertagung
hat der schuldige Vertheidiger zu tragen.
§.
275. Erkrankt der Angeklagte während der Hauptverhandlung in dem Maße, daß er
derselben nicht weiter beiwohnen kann, und willigt er nicht selbst ein, daß
eine Verhandlung in seiner Abwesenheit fortgesetzt und seine in der
Voruntersuchung abgegebene Erklärung vorgelesen werde, so ist die Verhandlung
zu vertagen.
§.
276. Eine Vertagung der Hauptverhandlung kann nach Ermessen des Gerichtes auch
dann beschlossen werden, wenn der Gerichtshof aus irgend einem Anlasse
vorläufig noch neue Erhebungen oder Untersuchungshandlungen oder die
Herbeischaffung neuer Beweismittel anzuordnen findet, oder wenn wegen äußerer
Hindernisse eine zeitweilige Aufschiebung der Verhandlung sich als nothwendig
oder zweckmäßig darstellt.
11)
Zwischenfälle.
§.
277. Ergibt sich aus der Hauptverhandlung mit Wahrscheinlichkeit, daß ein Zeuge
wissentlich falsch ausgesagt habe, so kann der Vorsitzende über dessen Aussage
ein Protokoll aufnehmen und nach geschehener Vorlesung und Genehmigung von dem
Zeugen unterfertigen lassen; er kann auch den Zeugen verhaften und dem
Untersuchungsrichter vorführen lassen.
§.
278. Wird während der Hauptverhandlung in dem Sitzungssaale eine strafbare
Handlung verübt, und dabei der Thäter auf frischer That betreten, so kann
darüber mit Unterbrechung der Hauptverhandlung oder am Schlusse derselben, auf
Antrag des dazu berechtigten Anklägers, sowie nach Vernehmung des Beschuldigten
und der vorhandenen Zeugen von dem versammelten Gerichte sogleich abgeurtheilt
werden. Rechtsmittel gegen ein solches Urtheil haben keine aufschiebende
Wirkung.
Ist
die sofortige Aburtheilung nicht thunlich, oder begründet die That ein vor das
Geschwornengericht gehöriges Verbrechen oder Vergehen, so läßt der Vorsitzende
den Thäter dem Untersuchungsrichter vorführen.
Ueber
einen solchen Vorgang ist ein besonderes Protokoll aufzunehmen.
§.
279. Hat der Angeklagte während der Hauptverhandlung eine strafbare Handlung
begangen, so finden die Bestimmungen des §. 263 ihre volle Anwendung.
II.
Rechtsmittel gegen das Urtheil.
§.
280. Gegen die Urtheile der Gerichtshöfe erster Instanz stehen nur die Rechtsmittel
der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung offen. Die erstere geht an den
obersten Gerichtshof als Cassationshof, die letztere an den Gerichtshof zweiter
Instanz.
§.
281. Die Nichtigkeitsbeschwerde kann gegen ein freisprechendes Urtheil nur zum
Nachtheile, gegen ein verurtheilendes sowohl zum Vortheile als zum Nachtheile
des Angeklagten ergriffen werden, stets jedoch nur wegen eines der folgenden
Nichtigkeitsgründe:
1)
wenn der Gerichtshof nicht gehörig besetzt war; wenn nicht alle Richter der
ganzen Verhandlung beiwohnten, oder wenn sich ein ausgeschlossener Richter (§§.
67 und 68) an der Entscheidung betheiligte; es wäre denn, daß der die
Nichtigkeit begründende Thatumstand dem Beschwerdeführer noch vor oder während
der Hauptverhandlung bekannt und von ihm nicht gleich beim Beginne der
Hauptverhandlung oder sofort, nachdem er in die Kenntniß desselben gelangte,
geltend gemacht wurde;
(454)
2) wenn trotz der Verwahrung des Beschwerdeführers ein Schriftstück über einen
nach dem Gesetze nichtigen Vorerhebungs- oder Voruntersuchungsact bei der
Hauptverhandlung verlesen wurde;
3)
wenn bei der Hauptverhandlung eine Vorschrift verletzt oder vernachlässigt
worden ist, deren Beobachtung das Gesetz ausdrücklich bei sonstiger Nichtigkeit
vorschreibt (§§. 120, 151, 152, 170, 221, 228, 244, 247, 250, 260, 271 und
427);
4)
wenn während der Hauptverhandlung über einen Antrag des Beschwerdeführers nicht
erkannt worden ist, oder wenn durch ein gegen seinen Antrag oder Widerspruch
gefälltes Zwischenerkenntniß Gesetze oder Grundsätze des Verfahrens
hintangesetzt oder unrichtig angewendet worden sind, deren Beobachtung durch
das Wesen eines die Strafverfolgung und die Vertheidigung sichernden Verfahrens
geboten ist;
5)
wenn der Ausspruch des Gerichtshofes über entscheidende Thatsachen (§. 270, Z.
6 und 7) undeutlich, unvollständig oder mit sich selbst im Widerspruche ist;
wenn für diesen Ausspruch keine Gründe angegeben sind oder wenn zwischen den
Angaben der Entscheidungsgründe über den Inhalt von bei den Acten befindlichen
Urkunden oder über gerichtliche Aussagen und den Urkunden oder Vernehmungs- und
Sitzungsprotokollen selbst ein erheblicher Widerspruch besteht;
6)
wenn der Gerichtshof mit Unrecht seine Nichtzuständigkeit (§. 261)
ausgesprochen hat;
7)
wenn das ergangene Endurtheil die Anklage nicht erledigt, oder
8)
dieselbe gegen die Vorschrift der §§. 262, 263 und 267 überschritten hat;
9)
wenn durch den ergangenen Ausspruch über die Frage:
a)
ob die dem Angeklagten zur Last fallende That ein Verbrechen, ein Vergehen oder
eine andere zur Zuständigkeit der Gerichte gehörige strafbare Handlung
begründe,
b)
ob Umstände vorhanden seien, vermöge welcher die Strafbarkeit der That
aufgehoben, oder die Verfolgung wegen derselben ausgeschlossen ist, endlich
c)
ob die nach dem Gesetze erforderliche Anklage fehle,
ein
Gesetz verletzt oder unrichtig angewendet wurde;
10)
wenn die der Entscheidung zu Grunde liegende That durch unrichtige
Gesetzesauslegung einem Strafgesetze unterzogen wurde, welches darauf keine
Anwendung findet;
11)
wenn der Gerichtshof bei Ausmessung der Strafe seine Strafbefugnis oder die
Gränzen des gesetzlichen Strafsatzes, soweit derselbe durch namentlich im
Gesetze angeführte Erschwerungs- oder Milderungsumstände begründet wird, oder
wenn er die Gränzen des ihm zustehenden Strafumwandlungs- oder
Milderungsrechtes überschritten, oder die Bestimmungen des §. 293, Absatz 3,
und §. 359, Absatz 4, verletzt oder unrichtig angewendet hat.
Die
unter 2, 3 und 4 erwähnten Nichtigkeitsgründe können zum Vortheile des Angeklagten
nicht geltend gemacht werden, wenn unzweifelhaft erkennbar ist, daß die
Formverletzung auf die Entscheidung keinen dem Angeklagten nachtheiligen
Einfluß üben konnte. Zum Nachtheile des Angeklagten können sie nur geltend
gemacht werden, wenn erkennbar ist, daß die Formverletzung einen die Anklage
beeinträchtigenden Einfluß auf die Entscheidung zu üben vermochte, und wenn
außerdem der Ankläger sich derselben widersetzt, die Entscheidung des
Gerichtshofes begehrt und sofort nach der Verweigerung oder Verkündung dieser
Entscheidung die Nichtigkeitsbeschwerde sich vorbehalten hat.
§.
282. Zu Gunsten des Angeklagten kann die Nichtigkeitsbeschwerde sowohl von ihm
selbst, als auch von seinem Ehegatten, seinen Verwandten in auf- und
absteigender Linie und seinem Vormunde und von dem Staatsanwalte, gegen seinen
Willen aber nur im Falle der Minderjährigkeit von den Eltern und vom Vormunde
ergriffen werden. Soweit es sich um die Beurtheilung der geltend gemachten
Nichtigkeitsgründe handelt, ist die zu Gunsten des Angeklagten von Anderen
ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde, als von ihm selbst eingelegt, anzusehen.
(455)
Zum Nachtheile des Angeklagten kann die Nichtigkeitsbeschwerde nur vom
Staatsanwalte oder vom Privatankläger ergriffen werden.
§.
283. Die Berufung kann nur gegen den Ausspruch über die Strafe, soweit nicht
der im §. 281, Z. 11, erwähnte Nichtigkeitsgrund vorliegt, und gegen den über
die privatrechtlichen Ansprüche ergriffen werden. Wegen des Ausspruches über
die Strafe kann die Berufung von allen zur Ergreifung der
Nichtigkeitsbeschwerde Berechtigten, und zwar zum Nachtheile des Angeklagten
nur dann ergriffen werden, wenn eine außerordentliche Strafmilderung oder eine
Strafumwandlung erfolgt ist; zu Gunsten des Angeklagten aber nur dann, wenn der
Gerichtshof von diesem ihm zustehenden Rechte nicht ohnehin schon Gebrauch
gemacht hat.
Gegen
den Inhalt der über die privatrechtlichen Ansprüche gefällten Entscheidung
können nur der Angeklagte und dessen gesetzliche Vertreter und Erben Berufung
einlegen.
1) Verfahren
bei Nichtigkeitsbeschwerden.
§.
284. Die Nichtigkeitsbeschwerde ist binnen drei Tagen nach Verkündung des
Urtheils bei dem Gerichtshofe erster Instanz anzumelden. War der Angeklagte bei
der Verkündung des Urtheiles nicht gegenwärtig (§. 234), so ist sie binnen drei
Tagen, nachdem er von demselben verständigt wurde (§. 269), anzumelden.
Für
die im §. 282 erwähnten Angehörigen des Angeklagten läuft die Frist zur
Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde von demselben Tage, von welchem sie für
den Angeklagten beginnt.
Die
Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde hat aufschiebende Wirkung. Die Entlassung
eines freigesprochenen Angeklagten aus der Haft wird jedoch nur wegen einer
Nichtigkeitsbeschwerde des Staatsanwaltes, und zwar nur dann aufgeschoben, wenn
diese sogleich bei Verkündung des Urtheils angemeldet wurde.
§.
285. Der Beschwerdeführer ist berechtigt, binnen längstens acht Tagen, von
Zustellung des Urtheils an, eine Ausführung seiner Beschwerdegründe bei dem
Gerichte zu überreichen. Er muß entweder in dieser Schrift oder bei Anmeldung
seiner Beschwerde die Nichtigkeitsgründe einzeln und bestimmt bezeichnen,
widrigens auf seine Beschwerde von dem Cassationshofe keine Rücksicht zu nehmen
ist. Hat er eine Beschwerdeschrift innerhalb der gesetzlichen Frist überreicht,
so ist dieselbe seinem Gegner mit dem Bedeuten mitzutheilen, daß er binnen acht
Tagen seine Gegenausführung überreichen könne.
Nach
Ueberreichung dieser Gegenausführung oder nach Ablauf der hiezu bestimmten
Frist sind alle Acten an den Cassationshof einzusenden, welcher darüber zu
entscheiden hat.
§.
286. Der Cassationshof hat zuerst in nicht öffentlicher Sitzung nach Anhörung
des Generalprocurators über die Nichtigkeitsbeschwerde zu berathen. Ist
dieselbe zu spät angemeldet oder sind die Nichtigkeitsgründe nicht einzeln und
bestimmt bezeichnet, oder sind dieselben bereits durch eine in derselben Sache
ergangene frühere Entscheidung des Cassationshofes beseitigt, oder ist die
Beschwerde nicht auf einen der im §. 281 aufgeführten Nichtigkeitsgründe
gestützt oder nicht von einem hiezu Berechtigten erhoben worden, so ist
dieselbe sofort zu verwerfen. Dasselbe geschieht, wenn es sich lediglich um
eine auf §. 281, Z. 5, gestützte Nichtigkeitsbeschwerde handelt und der
Cassationshof diese nicht gegründet findet. Außerdem ist entweder sofort oder
nach Einholung der etwa nöthig befundenen thatsächlichen Aufklärungen über eine
behauptete Formverletzung (§. 281, Z. 1-4) ein Gerichtstag zur öffentlichen
Verhandlung der Sache anzuberaumen und die Vorladung des Angeklagten, sowie des
allenfalls einschreitenden Privatanklägers in der Art vorzunehmen, daß sie
dieselbe wenigstens acht Tage vor dem Gerichtstage erhalten. Dabei ist ihnen zu
bedeuten, daß im Falle ihres Ausbleibens ihre Beschwerden und Ausführungen vorgetragen
und der Entscheidung zu Grunde gelegt werden würden.
(456)
Ist der Angeklagte verhaftet, so wird er von dem Gerichtstage mit dem Beisatze
in Kenntniß gesetzt, daß er nur durch einen Vertheidiger erscheinen könne.
Hat
er einen Vertheidiger bereits namhaft gemacht oder um die Bestellung eines
solchen gebeten, so ist die Vorladung nur an den Vertheidiger zu richten.
§.
287. Die Verhandlung der Sache vor dem Cassationshofe an dem angesetzten
Gerichtstage ist öffentlich nach den Vorschriften der §§. 228-231.
Zuerst
trägt ein von dem Präsidenten des Cassationshofes bestimmtes Mitglied desselben
als Berichterstatter eine Darstellung des bisherigen Ganges des Strafverfahrens
vor und bezeichnet die von dem Beschwerdeführer angestellten Nichtigkeitsgründe
und die sich daraus ergebenden Streitpunkte, ohne eine Ansicht über die zu
fällende Entscheidung zu äußern.
Hierauf
erhält der Beschwerdeführer das Wort zur Begründung seiner Beschwerde und
sodann sein Gegner zur Erwiderung. Dem Angeklagten oder seinem Vertheidiger
gebührt jedenfalls das Recht der letzten Aeußerung. Ist ein Theil nicht
erschienen, so wird dessen Beschwerdeschrift oder Gegenausführung vorgelesen.
Hierauf zieht sich der Gerichtshof in sein Berathungszimmer zurück.
§.
288. Findet der Cassationshof die Nichtigkeitsbeschwerde ungegründet, so hat
der dieselbe zu verwerfen, und wenn sie offenbar muthwillig oder nur zur
Verzögerung der Sache angebracht wurde, gegen den Beschwerdeführer oder nach
Umständen gegen dessen Vertreter auf eine Geldstrafe von zehn bis hundert
Gulden zu erkennen.
Ist
die Nichtigkeitsbeschwerde begründet, so ist das Urtheil, soweit es angefochten
und durch den Nichtigkeitsgrund berührt ist, aufzuheben und nach
Verschiedenheit der Nichtigkeitsgründe in Gemäßheit der folgenden Vorschriften
zu erkennen und weiter zu verfahren:
1.
Liegt einer der im §. 281 unter Z. 1-5 angeführten Nichtigkeitsgründe vor, so
ordnet der Cassationshof eine neuerliche Hauptverhandlung an und verweist die
Sache nach seinem Ermessen entweder an denselben oder an einen anderen
Gerichtshof erster Instanz.
2.
Hat der Gerichtshof mit Unrecht seine Nichtzuständigkeit ausgesprochen oder die
Anklage nicht erledigt (§. 281, Z. 6 und 7), so trägt ihm der Cassationshof
auf, sich der Verhandlung und Urtheilsfällung zu unterziehen, welche sich im
letzteren Falle auf die unerledigt gebliebenen Anklagepunkte zu beschränken
hat.
3.
In allen anderen Fällen erkennt der Cassationshof in der Sache selbst, indem er
seiner Entscheidung jene Thatsachen zu Grunde legt, welche der Gerichtshof
erster Instanz ohne Ueberschreitung der Anklage (§. 281, Z. 8) festgestellt
hat. Findet der Cassationshof jedoch in dem Urtheile und dessen
Entscheidungsgründen jene Thatsachen nicht festgestellt, welche bei richtiger
Anwendung des Gesetzes dem Erkenntnisse zu Grunde zu legen wären, so verweist
er die Sache zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an denselben oder an
einen anderen Gerichtshof erster Instanz, geeigneten Falls auch an das
zuständige Bezirksgericht.
§.
289. War die Nichtigkeitsbeschwerde nur gegen einzelne in dem Urtheile
enthaltene Verfügungen gerichtet, und findet der Cassationshof, daß diese von
dem Inhalte des ganzen Urtheiles trennbar seien, so steht ihm auch frei, das
angefochtene Urtheil nur theilweise aufzuheben. Eben dies ist der Fall, wenn
dem angefochtenen Urtheile mehrere strafbare Handlungen zu Grunde liegen, und
die Nichtigkeitsbeschwerde sich nur auf das Verfahren oder die Beurtheilung
hinsichtlich einzelner derselben beschränkt, zugleich aber die erforderliche theilweise
Wiederholung des Verfahrens oder auch ohne dieselbe ein neuerlicher Ausspruch
rücksichtlich dieser einzelnen strafbaren Handlung ausführbar erscheint.
§.
290. Der Cassationshof hat sich auf die vom Beschwerdeführer ausdrücklich oder
doch durch deutliche Hinweisung geltend gemachten Nichtigkeitsgründe zu
beschränken. Ueberzeugt er sich jedoch aus Anlaß einer von wem immer
ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde, daß
(457)
zum Nachtheile des Angeklagten das Strafgesetz unrichtig angewendet worden sei
(§. 281, Z. 9-11), oder daß dieselben Gründe, auf welchen seine Verfügung zu
Gunsten eines Angeklagten beruht, auch einem Mitangeklagten zu statten kommen,
welcher die Nichtigkeitsbeschwerde nicht ergriffen hat, so hat er von Amtswegen
so vorzugehen, als wäre der in Frage kommende Nichtigkeitsgrund geltend gemacht
worden.
Ist
die Nichtigkeitsbeschwerde lediglich zu Gunsten des Angeklagten ergriffen
worden, so kann der Cassationshof keine strengere Strafe gegen den Angeklagten
verhängen, als welche das angefochtene Urtheil ausgesprochen hatte.
§.
291. Das Urtheil des Cassationshofes ist, nachdem sich derselbe in den
Gerichtssaal zurückbegeben hat, sammt den Entscheidungsgründen mündlich zu
verkünden; hat der Angeklagte der Verhandlung bei dem Cassationshofe nicht
beigewohnt, so ist ihm ohne Verzug eine amtlich beglaubigte Abschrift des
Urtheils durch den Gerichtshof erster Instanz zuzustellen. Rücksichtlich der
Ausfertigung des Urtheils und der Führung des Protokolles bei den Verhandlungen
des Cassationshofes sind die den §§. 260, 268 bis 271 enthaltenen Vorschriften
zu beobachten.
§.
292. Die Verhandlung über die zur Wahrung des Gesetzes ergriffene
Nichtigkeitsbeschwerde richtet sich im Allgemeinen nach den in den §§. 287-291
ertheilten Vorschriften, jedoch mit der Abweichung, daß sich der Angeklagte
dabei nicht zu betheiligen und daß der Cassationshof die Entscheidung darüber
in einer Versammlung von elf Richtern zu fällten hat. Findet der Cassationshof
die zur Wahrung des Gesetzes erhobene Beschwerde gegründet, so hat er zu
erkennen, daß in der fraglichen Strafsache durch den angefochtenen Beschluß
oder Vorgang, durch das gepflogene Verfahren oder durch das erlassene Urtheil
das Gesetz verletzt worden sei. Dieser Ausspruch ist in der Regel ohne Wirkung
auf den Angeklagten. Ist jedoch der Angeklagte durch ein solches nichtiges
Urtheil zu einer Strafe verurtheilt worden, so steht es dem Cassationshofe
frei, nach seinem Ermessen entweder den Angeklagten freizusprechen, oder einen
milderen Strafsatz anzuwenden, oder nach Umständen eine Erneuerung des gegen
denselben gepflogenen Verfahrens anzuordnen.
§.
293. Das Gericht, an welches die Sache nach den §§. 288 und 292 zu neuerlicher
Verhandlung verwiesen wird, hat dabei die ursprüngliche Anklage zu Grunde zu
legen, soferne nicht der Cassationshof eine Abweichung angeordnet hat.
Es
ist an die Rechtsansicht, von welcher der Cassationshof bei seiner Entscheidung
ausgegangen, gebunden.
Die
Bestimmung des §. 290, Absatz 2, ist auch für das auf Grund der neuerlichen
Hauptverhandlung ergebende Urtheil maßgebend.
Gegen
dieses letztere kann die Nichtigkeitsbeschwerde aus allen im §. 281 erwähnten
Gründen, soweit dieselben nicht bereits durch eine in derselben Sache ergangene
Entscheidung des Cassationshofes beseitigt sind, ergriffen werden.
2.
Verfahren bei Berufungen.
§.
294. Die Berufung ist innerhalb der im §. 284 bezeichneten Frist beim
Gerichtshofe erster Instanz anzumelden. Sie hat nur dann aufschiebende Wirkung,
wenn sie gegen die Strafart gerichtet ist, oder wenn der Angeklagte, insoferne
sie gegen das Strafmaß gerichtet ist, nicht selbst die Strafe einstweilen
antreten zu wollen erklärt.
Der
Beschwerdeführer hat die Berufungsausführung binnen acht Tagen nach der
Anmeldung einzubringen.
Nach
Ueberreichung der Ausführung oder nach Ablauf der hiezu bestimmten Frist sind
alle Acten dem Gerichtshofe zweiter Instanz vorzulegen, welcher über die
Berufung in nicht öffentlicher Sitzung nach Anhörung des Oberstaatsanwaltes
entscheidet.
(458)
§. 295. Der Gerichtshof zweiter Instanz hat sich bei seiner Entscheidung auf
die der Berufung unterzogenen Punkte zu beschränken und dabei den Ausspruch des
Gerichtes über die Schuld des Angeklagten und über das anzuwendende Strafgesetz
zu Grunde zu legen. Setzt er die Strafe zu Gunsten eines oder mehrerer
Mitschuldigen aus Gründen herab, welche auch anderen zu statten kommen, so hat
er von Amtswegen so vorzugehen, als hätten auch diese Mitschuldigen die
Berufung ergriffen.
Ist
die Berufung lediglich zu Gunsten des Angeklagten ergriffen worden, so kann der
Gerichtshof zweiter Instanz keine strengere Strafe gegen den Angeklagten
verhängen, als welche das erste Urtheil ausgesprochen hatte.
Gegen
seine Entscheidung ist kein Rechtsmittel zulässig.
§.
296. Ist außer der Berufung auch eine Nichtigkeitsbeschwerde von der einen oder
der anderen Seite ergriffen worden, so sind bei Vorlegung der Acten an den
Cassationshof auch jene Actenstücke beizulegen, welche die Berufung betreffen.
In diesem Falle entscheidet der Cassationshof nach oder bei Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde
auch über die Berufung, und zwar stets in nicht öffentlicher Sitzung nach
Anhörung des Generalprocurators.
XIX.
Hauptstück.
Von
den Geschwornengerichten.
I.
Vom Geschwornengerichte überhaupt.
§.
297. An dem Sitze jedes Gerichtshofes erster Instanz werden alle drei Monate
die ordentlichen Schwurgerichtssitzungen abgehalten, und zwar bei den unter
demselben Gerichtshofe zweiter Instanz stehenden Gerichten nach einer von dem
ersteren zu bestimmenden Reihenfolge. In Wien finden die ordentlichen
Schwurgerichtssitzungen alle Monate, in anderen Städten, für welche der
Präsident des Gerichtshofes zweiter Instanz es anzuordnen nothwendig findet,
alle zwei Monate statt.
Wenn
die Zahl oder Wichtigkeit der vorliegenden Anklagen es erfordert, kann derselbe
auch die Abhaltung einer außerordentlichen Schwurgerichtssitzung anordnen.
Der
Gerichtshof zweiter Instanz kann aus besonders wichtigen Gründen beschließen,
daß eine Sitzung des Geschwornengerichtes statt am Sitze des Gerichtshofes
erster Instanz an einem andern Orte abzuhalten sei.
§.
298. Eine ordentliche Schwurgerichtssitzung darf nicht eher geschlossen werden,
als bis über alle Strafsachen entschieden ist, rücksichtlich deren die
Versetzung in den Anklagestand bei Eröffnung der Sitzung bereits rechtskräftig
war. Ueber Fälle, in welchen dieß bei Eröffnung der Schwurgerichtssitzung noch
nicht eingetreten war, kann die Hauptverhandlung während derselben Sitzung mit
Genehmigung des Vorsitzenden des Schwurgerichtshofes nur dann erfolgen, wenn
der Ankläger oder der Angeklagte darauf anträgt und der Gegentheil diesem
Begehren zustimmt.
Der
Angeklagte hat jedoch in beiden Fällen auf den ihm zustehenden Einspruch gegen
die Versetzung in Anklagestand, auf die Nichtigkeitsbeschwerde gegen das
denselben zurückweisende Erkenntniß und auf die im §. 221 zugestandene Frist
ausdrücklich zu verzichten.
§.
299. Hat der Ankläger oder der Angeklagte erhebliche Gründe, zu beantragen, daß
eine Sache bei der nächsten Schwurgerichtssitzung nicht vorgenommen werde, so
hat der Schwurgerichtshof, oder wenn dieser noch nicht versammelt wäre, die
Rathskammer (§. 225) darüber zu entscheiden, ob dem Begehren statt zu geben
sei.
Gegen
diese Entscheidung findet kein Rechtsmittel statt.
(459)
§. 300. Jedes Geschwornengericht besteht aus einem Gerichtshofe und zwölf
Geschwornen (Geschwornenbank).
§.
301. Der Gerichtshof des Geschwornengerichtes besteht aus drei Richtern, von
denen einer den Vorsitz führt, und dem Schriftführer. Zum Vorsitzenden ernennt
der Präsident des Gerichtshofes zweiter Instanz in der Regel den Präsidenten
des Gerichtshofes erster Instanz, bei welchem das Schwurgericht gehalten werden
soll; doch kann er zu diesem Amte auch ein Mitglied dieses Gerichtshofes oder
des Gerichtshofes zweiter Instanz berufen. Jedenfalls hat er auch ein Mitglied
des Gerichtshofes erster Instanz als Stellvertreter des Vorsitzenden zu
bezeichnen. Diese Ernennungen sind in der Regel sechs Wochen vor dem Beginne
der Schwurgerichtssitzung, bei außerordentlichen Sitzungen aber wenigstens
vierzehn Tage vor dem Beginne derselben vorzunehmen und sammt dem Tage und der
Stunde der Eröffnung der Sitzung durch die öffentlichen Blätter und durch
Anschlag an dem Gerichtshause kundzumachen.
Die
übrigen Mitglieder des Schwurgerichtshofes und zwei Ergänzungsrichter werden
von dem Vorsteher des Gerichtshofes erster Instanz aus dessen Mitgliedern oder
aus der Zahl der Bezirksrichter vor Eröffnung der Schwurgerichtssitzung
ernannt.
§.
302. Für jede Schwurgerichtssitzung werden sechsunddreißig Geschworne und neun
Ergänzungsgeschworne einberufen, aus deren Zahl die zur Besetzung der
Geschwornenbank für jede einzelne Verhandlung bestimmten zwölf Geschwornen
hervorgehen.
Die
Bildung der Geschwornenlisten wird durch ein besonderes Gesetz geregelt.
§.
303. Die Namen der zum Geschwornengerichte berufenen Mitglieder des
Gerichtshofes und das Verzeichniß der Haupt- und Ergänzungsgeschwornen sind
jedem Angeklagten bei sonstiger Nichtigkeit spätestens am dritten Tage vor
demjenigen, an welchem die Hauptverhandlung beginnen soll, durch den
Gerichtshof erster Instanz mitzutheilen.
II.
Bildung der Geschwornenbank.
§.
304. Unmittelbar vor dem Beginne der Hauptverhandlung wird für jeden einzelnen
Straffall, in nicht öffentlicher Sitzung des Schwurgerichtshofes und in
Gegenwart des Anklägers, des Privatbetheiligten, des Angeklagten und seines
Vertheidigers, sowie der vorgeladenen Geschwornen zur Bildung der
Geschwornenbank geschritten. Dieselbe beginnt mit dem Aufrufe der
sechsunddreißig Hauptgeschwornen durch den Schriftführer.
§.
305. Sind weniger als dreißig Hauptgeschworne erschienen, so sind die fehlenden
aus den neun Ergänzungsgeschwornen in der durch das Los zu bestimmenden
Reihenfolge zu ersetzen.
§.
306. Sobald die Zahl von wenigstens dreißig Geschwornen vollständig ist, richtet
der Vorsitzende bei sonstiger Nichtigkeit an den Ankläger, an den
Privatbetheiligten, an den Angeklagten und an die Geschwornen die Frage, ob bei
einem der letzteren ein Grund vorhanden sei, der ihn von der Theilnahme an der
vorliegenden Verhandlung ausschließe. Diese Gründe sind:
1)
Wenn der Geschworne zu den Parteien oder deren Vertretern in einem solchen
Verhältnisse steht, welches in Gemäßheit des §. 67 einen Richter von der
Ausübung des Richteramtes ausschließen würde;
2)
wenn er aus der Freisprechung oder Verurtheilung des Angeklagten einen Nutzen
oder Schaden zu erwarten hat;
3)
wenn er in der vorliegenden Sache als Gerichtszeuge verwendet wurde, wenn er
als Anzeiger, Vertheidiger oder Vertreter des Privatbetheiligten aufgetreten
ist, oder als Zeuge oder Sachverständiger abgehört wurde oder abgehört werden
soll;
(460)
4) wenn er bei einer früheren Hauptverhandlung über dieselbe Strafsache, welche
nunmehr zur neuerlichen Hauptverhandlung gelangt (§§. 332, 348, 350, Absatz 2),
sich als Geschworner betheiligt hat.
Ueber
die vorgebrachten Gründe der Ausschließung entscheidet der Gerichtshof; eine
etwa erforderliche Ergänzung der Zahl der Geschwornen wird auf die im
vorhergehenden Paragraphe bestimmte Weise bewirkt.
§.
307. Zur Bildung der Geschwornenbank darf bei sonstiger Nichtigkeit nur dann
geschritten werden, wenn wenigstens vierundzwanzig Geschworne, die nicht in
Gemäßheit des vorhergehenden Paragraphes ausgeschlossen wurden, zugegen sind.
Nur wenn alle zur Ablehnung von Geschwornen Berechtigten sich ausdrücklich
damit einverstanden erklären, darf mit der Bildung der Geschwornenbank auch bei
Anwesenheit einer geringeren Zahl von Geschwornen vorgegangen werden.
§.
308. Von der Zahl der Geschwornen, soweit sie zwölf übersteigt, kann der
Ankläger die eine, der Angeklagte die andere Hälfte ablehnen. Ist die Zahl der
Geschwornen eine ungerade, so hat der Angeklagte das Recht, einen mehr
abzulehnen. Sind mehrere Ankläger oder mehrere Angeklagte vorhanden, so üben
erstere das dem Ankläger, letztere das dem Angeklagten zukommende
Ablehnungsrecht gemeinschaftlich aus. Kommen sie über die Art der
gemeinschaftlichen Ausübung nicht überein, so entscheidet das Los über die
Reihenfolge, in welcher sie jedesmal das Recht der Ablehnung auszuüben haben.
Die Ablehnung durch einen Mitberechtigten gilt und zählt dann für Alle.
§.
309. Die Namen der Geschwornen werden in eine Urne gelegt. Der Vorsitzende gibt
die jedem Betheiligten zukommende Anzahl von Ablehnungen bekannt und stellt
nöthigenfalls die Art der Ausübung des Ablehnungsrechtes fest. Hieraus zieht er
die Namen einzeln aus der Urne und verliest sie.
Nach
Ziehung und Verlesung jedes einzelnen Namens haben die Ablehnungsberechtigten,
solange deren Recht nicht erschöpft ist, und zwar der Ankläger zuerst zu
erklären, ob der Geschworne angenommen oder abgelehnt werde. Erfolgt nicht eine
Erklärung, ehe ein weiterer Name aus der Urne gezogen ist, so gilt dieß als
Annahme. Gründe der Annahme oder Ablehnung dürfen nicht angegeben werden.
Sobald
zwölf nicht abgelehnte Geschworne gezogen oder nur noch so viele Namen in der
Urne übrig sind, als zur Ergänzung der Zahl der Geschwornen bis auf zwölf
erfordert werden, ist die Geschwornenbank, vor welcher die Hauptverhandlung
vorzunehmen ist, gebildet.
§.
310. Läßt sich voraussehen, daß eine Hauptverhandlung einen längeren Zeitraum
in Anspruch nehmen werde, so kann der Vorsitzende verfügen, daß ein oder zwei
Ersatzmänner zugezogen, und daß daher statt der zwölf Geschwornen deren
dreizehn oder vierzehn ausgelost werden, von welchen die ersten zwölf
Hauptgeschworne, die anderen Ersatzgeschworne sind. Die Zahl der erlaubten
Ablehnungen vermindert sich in diesem Falle verhältnißmäßig. Die
Ersatzgeschwornen müssen der ganzen Verhandlung ohne Unterbrechung beiwohnen,
und treten, falls einer oder der andere der Hauptgeschwornen verhindert sein
sollte, der ganzen Verhandlung bis zum Ausspruche der Geschwornen beizuwohnen,
in der Reihenfolge, in welcher ihre Namen gezogen wurden, an deren Stelle.
III.
Hauptverhandlung vor dem Geschwornengerichte.
§.
311. Die Hauptverhandlung vor dem Geschwornengerichte richtet sich, soweit in
diesem Hauptstücke nicht etwas Anderes verfügt ist, nach den im XVIII.
Hauptstücke enthaltenen Anordnungen. Alles, was bezüglich des Gerichtshofes und
des Vorsitzenden verfügt ist, gilt vom Schwurgerichtshofe und dessen
Vorsitzenden.
(461)
Der Vorsitzende des Schwurgerichtshofes hat insbesondere die Pflicht, den
Geschwornen in Beziehung auf die Ausübung ihres Amtes die erforderliche
Anleitung zu geben, ihnen die Sache, über welche sie zu berathen haben,
auseinander zu setzen und sie nöthigenfalls an ihre Pflichten zu erinnern.
1.
Beginn der Hauptverhandlung und Beeidigung der Geschwornen.
§.
312. Sobald die Geschwornenbank gebildet ist und die Geschwornen ihre Sitze in
der Reihenfolge, in welcher ihre Namen aus der Urne gezogen wurden, eingenommen
haben, beginnt die Hauptverhandlung mit dem Aufrufe der Sache durch den
Schriftführer. Der Vorsitzende stellt an den Angeklagten die im §. 240
vorgeschriebenen allgemeinen Fragen, und richtet an ihn die in demselben
Paragraphe angeordnete Ermahnung.
§.
313. Hierauf wird von dem Vorsitzenden bei sonstiger Nichtigkeit die Beeidigung
der Geschwornen vorgenommen. Der Vorsitzende hält zu diesem Behufe an die
Geschwornen, welche sich von ihren Sitzen erheben, folgende Anrede:
„Sie
schwören und geloben vor Gott, die Beweise, welche gegen und für den
Angeklagten werden vorgebracht werden, mit der gewissenhaftesten Aufmerksamkeit
zu prüfen, nichts unerwogen zu lassen, was zum Vortheile oder zum Nachtheile
des Angeklagten gereichen kann, das Gesetz, dem Sie Geltung verschaffen sollen,
treu zu beobachten, vor Ihrem Ausspruche über den Gegenstand der Verhandlung
mit Niemand, außer mit Ihren Mitgeschwornen, Rücksprache zu nehmen, der Stimme
der Zu- oder Abneigung, der Furcht oder der Schadenfreude kein Gehör zu geben,
sondern sich mit der Unparteilichkeit und Festigkeit eines redlichen und freien
Mannes nur nach den für und wider den Angeklagten vorgeführten Beweismitteln
und Ihrer darauf gegründeten Ueberzeugung so zu entscheiden, wie Sie es vor
Gott und Ihrem Gewissen verantworten können.“
Sodann
wird jeder Geschworne einzeln von dem Vorsitzenden aufgerufen und antwortet:
„Ich schwöre, so wahr mir Gott helfe!“ Das Religionsbekenntniß der Geschwornen macht
hiebei keinen Unterschied. Nur solche, deren Bekenntniß die Eidesleistung
untersagt, werden durch Handschlag verpflichtet.
2.
Beweisverfahren.
§.
314. Nach der Beeidigung der Geschwornen läßt der Vorsitzende durch den
Schriftführer die Zeugen und Sachverständigen aufrufen.
Hiebei,
sowie in Betreff der vorläufigen Entfernung derselben aus dem Gerichtssaale und
des Verfahrens gegen ungehorsame Zeugen und Sachverständige, sind die
Vorschriften der §§. 241-243 zu beobachten.
Sodann
läßt der Vorsitzende bei sonstiger Nichtigkeit die Anklageschrift, und falls
ein Erkenntniß vorliegt, vermöge dessen ein Anklagepunkt zu entfallen hat, auch
dieses vorlesen.
§.
315. Der Vorsitzende vernimmt hierauf den Angeklagten und leitet die Vorführung
der Beweismittel unter Beobachtung der in den §§. 245-254 enthaltenen
Anordnungen. Das im §. 249 erwähnte Recht der Fragestellung steht auch den
Geschwornen mit Einschluß der Ersatzgeschwornen zu. Dieselben können auch
Beweisaufnahmen zur Aufklärung von erheblichen Thatsachen beantragen.
Die
Würdigung dieser Anträge bleibt dem Gerichtshofe vorbehalten.
3.
Fragestellung an die Geschwornen.
§.
316. Nach Schluß des Beweisverfahrens stellt der Vorsitzende nach vorläufiger
Berathung mit dem Gerichtshofe die an die Geschwornen zu richtenden Fragen
fest. Sie sind bei sonstiger Nichtigkeit, nachdem sie von dem Vorsitzenden
unterfertigt worden, zu
(462)
verlesen und sowohl dem Ankläger als dem Vertheidiger auf Verlangen schriftlich
vorzulegen. Die Parteien sind berechtigt, Abänderung der Fragen und Hinzufügung
anderer Fragen zu beantragen, worüber der Gerichtshof sogleich entscheidet.
Wird die Fragestellung abgeändert, so müssen die Fragen nochmals verlesen
werden.
§.
317. Die Fragestellung an die Geschwornen entfällt, wenn der Gerichtshof nach
Anhörung der Parteien erkennt, daß der Angeklagte freizusprechen sei, weil
einer der im §. 259, Z. 1 und 2, erwähnten Fälle eingetreten ist, oder weil die
Strafbarkeit der dem Angeklagten zur Last gelegten That durch Verjährung oder
Begnadigung aufgehoben oder die Verfolgung aus Gründen des Proceßrechtes
ausgeschlossen ist.
§.
318. Die Hauptfrage ist darauf gerichtet: Ob der Angeklagte schuldig sei, die
der Anklage zu Grunde liegenden Handlung begangen zu haben? Hiebei sind alle
gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung in die Frage aufzunehmen und die
besonderen Umstände der That nach Ort, Zeit, Gegenstand u. s. w., soweit
beizufügen, als dieß zur deutlichen Bezeichnung der That oder für die
Entscheidung über die Entschädigungsansprüche nothwendig ist.
§.
319. Ist behauptet worden, daß ein Zustand vorhanden gewesen oder eine
Thatsache eingetreten sei, welche die Strafbarkeit ausschließen oder aufheben
würden, so ist, sofern es sich nicht um einen der im §. 317 erwähnten Fälle
handelt, eine dieser Behauptung entsprechende Frage zu stellen.
§.
320. Sind Thatsachen behauptet worden, vermöge welcher, ihre Wahrheit
vorausgesetzt, ein des vollendeten Verbrechens oder Vergehens Angeklagter nur
des Versuches schuldig wäre, oder ein als Thäter Angeklagter nur als
Mitschuldiger oder Theilnehmer anzusehen wäre, oder wornach die dem Angeklagten
zur Last gelegte That unter ein anderes Strafgesetz fiele, welches nicht
strenger ist, als das in der Anklageschrift angeführte, so sind entsprechende
Fragen an die Geschwornen zu stellen.
Eine
Frage dagegen, vermöge welcher die dem Angeklagten zur Last gelegte That unter
den Begriff einer schwerer verpönten strafbaren Handlung gebracht wird, kann
nur mit Zustimmung des Angeklagten gestellt werden. Verweigert er diese Zustimmung,
oder findet es sonst der Gerichtshof zur gründlicheren Vorbereitung der
Verhandlung nothwendig, so kann er dem Ankläger auf dessen spätestens vor
Beginn der Berathung der Geschwornen zu stellenden Antrag die Verfolgung wegen
der betreffenden Thatsachen vorbehalten (§. 263, Abs. 4, §. 264).
§.
321. Wird der Angeklagte bei der Hauptverhandlung noch einer anderen That
beschuldigt, als wegen welcher er angeklagt war, so können auch darauf
besondere Fragen gestellt werden.
Die
Stellung solcher Fragen unterbleibt jedoch, wenn sich eine bessere Vorbereitung
der Anklage oder Vertheidigung als nothwendig darstellt, oder wenn der
Angeklagte im Falle der Bejahung derselben unter ein Strafgesetz fiele, welches
strenger ist, als das in der Anklageschrift angeführte, und er seine Zustimmung
zur sofortigen Entscheidung versagt.
Indeß
ist in beiden Fällen dem Ankläger auf seinen Antrag die Verfolgung wegen der
betreffenden Thatsachen vorzubehalten (§§. 263 und 264).
§.
322. Erschwerungs- und Milderungsumstände sind nur dann Gegenstand der
Fragestellung an die Geschwornen, wenn das Vorhandensein eines solchen
Umstandes nach dem Gesetze eine Aenderung des Strafsatzes oder der Strafart
begründet.
§.
323. Die an die Geschwornen zu richtenden Fragen sind so zu stellen, daß die
sich mit „Ja!“ oder „Nein!“ beantworten lassen.
(463)
Welche Thatsachen in einer Frage zusammenzufassen oder zum Gegenstande
besonderer Fragen zu machen seien, bleibt ebenso wie die Reihenfolge der Fragen
der Beurtheilung in jedem einzelnen Falle überlassen.
Fragen,
welche nur für den Fall der Bejahung (Zusatzfragen) oder für den der Verneinung
einer anderen Frage gestellt werden (Eventualfragen), sind als solche
ausdrücklich zu bezeichnen. Für den Fall der Bejahung einer Frage kann die
Stellung von Zusatzfragen zu dem Zwecke verlangt werden, um ein in die Frage
aufgenommenes gesetzliches Merkmal auf das ihm entsprechende thatsächliche
Verhältniß zurückzuführen.
4.
Vorträge der Parteien und des Vorsitzenden.
§.
324. Nach Verletzung der Fragen, nach welcher ein Rücktritt von der Anklage
nicht mehr zulässig ist, werden der Ankläger und der Privatbetheiligte, der
Angeklagte und dessen Vertheidiger in der in dem §. 255 bestimmten Reihenfolge
gehört. Ihre Ausführungen haben sich hier auf jene Ergebnisse der Hauptverhandlung,
welche dem Ausspruche der Geschwornen zum Grunde zu legen sind, zu beschränken.
Erörterungen jener Ergebnisse der Hauptverhandlung, welche der Entscheidung des
Gerichtshofes unterliegen, sind einem späteren Zeitpunkte (§. 335) vorzubehalten.
§.
325. Hierauf erklärt der Vorsitzende die Verhandlung für geschlossen; er faßt
die wesentlichen Ergebnisse der Hauptverhandlung in einer gedrängten
Darstellung zusammen, führt in möglichster Kürze die für und wider den
Angeklagten sprechenden Beweise auf, ohne jedoch seine eigene Ansicht darüber
kundzugeben. Er erklärt den Geschwornen die gesetzlichen Merkmale der
strafbaren Handlung und die Bedeutung der in den Fragen vorkommenden
gesetzlichen Ausdrücke, und macht sie auf ihre Pflichten im Allgemeinen und
insbesondere auf die Vorschriften über ihre Berathung und Abstimmung
aufmerksam. Der Vortrag des Vorsitzenden darf von Niemand unterbrochen oder
einer Erörterung unterzogen werden; dagegen steht es jeder Partei frei zu
verlangen, daß die den Geschwornen vom Vorsitzenden ertheilte Rechtsbelehrung
im Protokolle ersichtlich gemacht werde.
Der
Vorsitzende übergibt die niedergeschriebenen Fragen den Geschwornen, welche
sich sofort in ihre Berathungszimmer zurückziehen. Es werden ihnen die
Anklageschrift, das vorgelesene Erkenntniß (§. 314), die Beweisgegenstände, die
Augenscheinprotokolle (!), sowie die übrigen Proceßacten mit Ausnahme der in
der Hauptverhandlung nicht verlesenen Vernehmungsprotokolle mitgegeben.
Zugleich verfügt der Vorsitzende die Entfernung des Angeklagten aus dem
Sitzungssaale.
5.
Berathung und Schlußfassung der Geschwornen.
§.
326. Die Geschwornen wählen einen Obmann aus ihrer Mitte mit einfache
Stimmenmehrheit. Vor der Berathung hat der Obmann den Geschwornen folgende
Belehrung vorzulesen:
„Das
Gesetz fordert von den Geschwornen keine Rechenschaft über die Gründe ihrer
Ueberzeugung; es schreibt ihnen keine bestimmten Regeln vor, nach welchen die
Vollständigkeit und Hinlänglichkeit eines Beweises zu beurtheilen wäre. Es
fordert sie nur auf, alle für und wider den Angeklagten vorgebrachten
Beweismittel sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen und sich dann selbst zu
fragen, welchen Eindruck die in der Hauptverhandlung wider den Angeklagten
vorgeführten Beweise und die Gründe seiner Vertheidigung auf sie gemacht haben.
„Nach
der durch die Prüfung der Beweismittel gewonnen Ueberzeugung allein haben sie
ihren Ausspruch über Schuld oder Nichtschuld des Angeklagten zu fällen.
„Sie
müssen sich dabei beständig vor Augen halten, daß ihre Berathschlagung sich nur
auf die ihnen vorgelegten Fragen, über die der Anklage zu Grunde liegenden oder
damit in Verbindung stehenden Thatsachen zu beschränken hat. Nicht sie, sondern
nur die Richter sind
(464)
berufen, die gesetzlichen Folgen auszusprechen, welche den Angeklagten im Falle
seiner Schuldigerklärung treffen. Die Geschwornen haben daher ihre Erklärung,
ohne Rücksicht auf die gesetzlichen Folgen ihres Ausspruches, abzugeben.“
Die
Belehrung, sowie die §§. 327-330 dieses Gesetzes sollen in dem Berathungszimmer
der Geschwornen in mehreren Exemplaren angeschlagen sein.
§.
327. Die Geschwornen dürfen das Berathungszimmer nicht verlassen, bevor sie
ihren Ausspruch gefällt haben. Niemand darf während der Dauer ihrer Berathung
ohne schriftliche Bewilligung des Vorsitzenden in ihr Berathungszimmer
eintreten; auch ist ihnen während dieser Zeit jeder Verkehr mit dritten
Personen untersagt. Der Gerichtshof verurtheilt den Geschwornen, der diesem
Verbote zuwiderhandelt, zu einer Geldstrafe von zehn bis hundert Gulden, dritte
Personen aber, welche diese Vorschrift übertreten, zu vierundzwanzigstündigem
Arrest.
Entstehen
bei den Geschwornen Zweifel über das von ihnen zu beobachtende Verfahren oder
über den Sinn der gestellten Fragen, oder über die Fassung einer Antwort, so begibt
sich auf schriftliches Ansuchen des Obmannes der Vorsitzende unter Zuziehung
des Protokollführers, dann des Anklägers und des Vertheidigers, wenn diese im
Gerichtshause anwesend sind, zu den Geschwornen.
Die
von dem Vorsitzenden hiebei ertheilte Belehrung ist auf Verlangen zu Protokoll
zu nehmen.
Aeußern
die Geschwornen den Wunsch nach Abänderung oder Ergänzung der an sie
gerichteten Fragen, so ist darüber in wieder eröffneter Sitzung zu verhandeln
und Beschluß zu fassen.
Der
Abstimmung der Geschwornen darf bei sonstiger Nichtigkeit Niemand beiwohnen.
§.
328. Nach abgehaltener Berathung läßt der Obmann die Geschwornen über die
einzelnen Fragen nach der Reihenfolge, in der sie von dem Vorsitzenden gestellt
wurden, mündlich abstimmen, indem er jeden Geschwornen einzeln um seine
Erklärung befragt; der Obmann gibt seine Stimme zuletzt ab. Die Geschwornen
stimmen über jede Frage mit „Ja“ oder „Nein“ ab; doch ist ihnen auch gestattet,
eine Frage nur theilweise zu bejahen oder zu verneinen.
Bei
theilweiser Bejahung einer Frage ist die Beschränkung kurz beizufügen. Ihre
Antwort ist dann: „Ja, aber nicht mit diesen oder jenen in der Frage
enthaltenen Umständen.“
§.
329. Zur Bejahung der Schuldfrage, sowie zur Bejahung der in Betreff
erschwerender Umstände gestellten Fragen ist eine Mehrheit von wenigstens zwei
Drittheilen der Stimmen erforderlich. In allen anderen Fällen entscheidet die
einfache Stimmenmehrheit; bei Stimmengleichheit gibt die dem Angeklagten
günstigere Meinung den Ausschlag. Ist eine Hauptfrage zu Ungunsten des
Angeklagten bejaht worden, so können sich die überstimmten Geschwornen der
Abstimmung über die für diesen Fall gestellte Zusatzfrage enthalten; ihre
Stimmen werden dann den dem Angeklagten günstigsten beigezählt.
Der
Obmann zählt die Stimmen und schreibt neben jede Frage, je nachdem sie durch
die Geschwornen beantwortet ist, Ja oder Nein, mit den allfälligen
Beschränkungen, unter Angabe des Stimmenverhältnisses.
In
der Aufzeichnung des Ausspruches der Geschwornen, welcher von dem Obmanne zu unterschreiben
ist, darf keine Radirung vorkommen; Ausstreichungen, Randbemerkungen oder
Einschaltungen müssen von dem Obmanne durch eine von ihm unterschriebene
ausdrückliche Bemerkung genehmigt sein.
(465)
§. 330. Nach beendigter Abstimmung kehren die Geschwornen in den Sitzungssaal
zurück und nehmen wieder ihre Plätze ein. Der Vorsitzende fordert sie auf, das
Ergebniß ihrer Berathung mitzutheilen. Hierauf erhebt sich der Obmann der
Geschwornen und spricht: „Die Geschwornen haben nach Eid und Gewissen die an
sie gestellten Fragen beantwortet, wie folgt:“
Sodann
verliest er, und zwar bei sonstiger Nichtigkeit, in Gegenwart aller Geschwornen
die an sie gerichteten Fragen und unmittelbar nach jeder den beigefügten
Ausspruch der Geschwornen. Hierauf übergibt er den von ihm unterzeichneten
Fragenbogen dem Vorsitzenden, welcher denselben unterschreibt und von dem
Schriftführer mitfertigen läßt.
Sobald
die Geschwornen das Berathungszimmer verlassen haben, kann keiner derselben von
seiner früheren Meinung abgehen; eine neue Berathung kann nur dann zugelassen
werden, wenn es sich um die Beseitigung einer durch bloßes Mißverständniß in
den Wahrspruch gelangten irrigen Angabe handelt.
§.
331. Ist der Ausspruch der Geschwornen undeutlich, unvollständig oder in sich
widersprechend, so hat der Gerichtshof darüber sogleich ein Erkenntniß zu
fällen und den Geschwornen die Fragen und Antworten mit der Aufforderung
zurückzustellen, daß sie sich in ihre Berathungszimmer zurückziehen und nach
neuerlicher Berathung ihren Wahrspruch verbessern. Es steht in solchem Falle
dem Gerichtshofe frei, nach Anhörung der Parteien die sich als wünschenswerth
darstellenden Aenderungen und Ergänzungen der Fragen zu beschließen. Der
Vorsitzende eröffnet den Geschwornen, daß sie nur zur Abänderung der
beanständeten (!) Antworten und zur Beantwortung der neu oder in geänderter
Fassung vorgelegten Fragen berechtigt sind.
§.
332. Wurde der Angeklagte für schuldig erklärt, und ist der Gerichtshof
einstimmig der Ansicht, daß sich die Geschwornen bei ihrem Ausspruche in der
Hauptfrage geirrt haben, so erkennt der Gerichtshof, ohne daß ein Parteiantrag
darauf gestellt werden kann, daß die Entscheidung bis zur nächsten
Schwurgerichtssitzung auszusetzen, und die Sache vor ein anderes
Geschwornengericht zu verweisen sei. Findet der Gerichtshof, daß sich die
Geschwornen bei ihrem Ausspruch über eine gegen Mehrere gerichtet Anklage nur
rücksichtlich Eines Angeklagten oder bei mehreren Angeklagten nur rücksichtlich
eines derselben geirrt haben, so hat sich diese Verweisung auf diesen
Angeklagten oder diesen Anklagepunkt zu beschränken, und sie bleibt ohne
Einfluß auf die übrigen. Bei der wiederholten Verhandlung darf keiner der
Richter den Vorsitz führen und keiner der Geschwornen zugelassen werden, welche
an der ersten Verhandlung theilgenommen. Stimmt der Ausspruch des zweiten
Geschwornengerichtes mit jenem des ersten überein, so muß der Gerichtshof
denselben seinem Urtheile zu Grunde legen.
7.
Weiteres Verfahren und Urtheil des Gerichtshofes.
§.
333. Der Vorsitzende läßt hierauf den Angeklagten in den Sitzungssaal wieder
eintreten und in dessen Gegenwart den Wahrspruch der Geschwornen, oder das in
Gemäßheit des vorstehenden §. 332 gefällte Erkenntniß durch den Schriftführer
vorlesen.
§.
334. Lautet der Wahrspruch der Geschwornen auf „nicht schuldig“, so fällt der
Schwurgerichtshof sofort das die Freisprechung des Angeklagten enthaltende
Urtheil, welches dem letzteren unverzüglich auszufertigen ist.
§.
335. Ist der Angeklagte für schuldig erklärt worden, so erhält zunächst der
Ankläger das Wort, um seine Anträge wegen der anzuwendenden Strafbestimmung,
sowie der zu berücksichtigenden Erschwerungs- und Milderungsumstände zu
stellen. Nach ihm werden der
(466)
Privatbetheiligte, der Angeklagte und sein Vertheidiger gehört, wobei die
Vorschriften des §. 255 zu beobachten sind. Die Ausführungen dürfen nicht
darauf abzielen, das durch den Ausspruch der Geschwornen Festgestellte in Frage
zu stellen, sondern haben sich auf die Strafanwendung und die allfälligen
Entschädigungsansprüche zu beschränken.
§.
336. Hierauf zieht sich der Gerichtshof, wenn er es für nöthig erachtet, in
sein Berathungszimmer zurück. Der Angeklagte wird in diesem Falle nach Ermessen
des Vorsitzenden abgeführt. Der Vorsitzende leitet die Abstimmung nach den in
den §§. 19 u. folg. enthaltenen Vorschriften.
§.
337. Ist der Gerichtshof der Ansicht, daß die That, welche der Angeklagte nach
dem Ausspruche der Geschwornen begangen hat, vom Gesetze nicht mit Strafe
bedroht sei, so erkennt er auf Freisprechung des Angeklagten.
§.
338. In anderen Fällen erkennt der Gerichtshof, nach gewissenhafter Prüfung der
erschwerenden und mildernden Umstände, auf die entsprechende Strafe, und zwar
auch dann, wenn der Fall nach dem Ausspruche der Geschwornen nicht mehr zur
Competenz des Schwurgerichtshofes gehören würde.
Er
ist befugt, die Strafe, welche nach dem Gesetz zwischen zehn und zwanzig Jahren
oder auf Lebenszeit zu bemessen wäre, wegen des Zusammentreffens sehr wichtiger
und überwiegender Milderungsumstände, zwar nicht in der Art, aber in der Dauer
herabzusetzen, jedoch nicht unter drei Jahre.
In
Fällen, für welche die Strafe im Gesetz zwischen fünf und zehn Jahren bestimmt
ist, darf der Gerichtshof wegen solcher mildernder Umstände sowohl auf eine
gelindere Art der Kerkerstrafe erkennen, als auch dieselbe in der Dauer, jedoch
nie unter ein Jahr herabsetzten.
§.
339. Wird gegen mehrere Personen auf Todesstrafe erkannt, so ist in dem
Urtheile auch die Ordnung festzusetzen, in welcher die Verurtheilten
hingerichtet werden sollen.
§.
340. Unmittelbar nach Fällung des Straferkenntnisses ist dasselbe von dem
Vorsitzenden in der öffentlichen Gerichtssitzung, und zwar in Gegenwart des
Anklägers, des Angeklagten (§. 234) und des Vertheidigers zu verkünden.
Der
Vorsitzende muß zugleich die wesentlichen Gründe der Strafzumessung unter
Vorlesung der Gesetzesstellen, worauf das Erkenntniß gegründet ist, angeben und
den Angeklagten über die ihm zustehenden Rechtsmittel belehren.
Die
Ausfertigung des Urtheiles muß in der in den §§. 260 und 270 vorgeschriebenen
Weise erfolgen, und auch die an die Geschwornen gestellten Fragen und deren
Beantwortung enthalten.
§.
341. Hat der Schwurgerichtshof ein Todesurtheil gefällt, so nimmt er
unmittelbar nach dessen Verkündung mit Zuziehung des Staatsanwaltes in
Berathung, ob der Verurtheilte einer Begnadigung würdig erscheine oder nicht,
und welche Strafe im Falle der Begnadigung anstatt der Todesstrafe angemessen
wäre. Das hierüber aufgenommene Protokoll ist den Acten beizuschließen, welche
auch dann, wenn sie nicht durch Ergreifung einer Nichtigkeitsbeschwerde an den
Cassationshof gelangen, diesem von dem Schwurgerichtshofe oder dem Gerichtshofe
erster Instanz vorzulegen sind. Der Cassationshof übermittelt dieselben, wenn
das Urtheil in Rechtkraft erwachsen ist, unter Beifügung seines in nicht
öffentlicher Sitzung nach Anhörung des Generalprocurators abzufassenden
Gutachtens dem Justizminister.
§.
342. Ueber die Führung des Protokolles bei der Hauptverhandlung vor den
Geschwornengerichten gelten die in den §§. 271 und 272 ertheilten Vorschriften.
Das Protokoll
(467)
muß überdieß die Namen der Geschwornen, die Vorgänge bei Bildung der
Geschwornenbank und die Beendigung der Geschwornen enthalten. Der Fragenbogen
ist dem Protokolle beizuheften.
IV.
Rechtsmittel gegen Urtheile der Geschwornengerichte.
§.
343. Gegen die Urtheile der Geschwornengerichte stehen die Rechtsmittel der
Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung offen (§. 280).
§.
344. Eine Nichtigkeitsbeschwerde kann nur dann ergriffen werden, wenn einer der
folgenden Fälle vorliegt:
1.
wenn der Schwurgerichtshof nicht gehörig besetzt oder die Geschwornenbank nicht
vollzählig war, wenn nicht alle Richter und Geschwornen der ganzen dem
Wahrspruche vorausgehenden Verhandlung beigewohnt haben, oder wenn sich ein
ausgeschlossener Richter (§§. 67 und 68) oder Geschworner (§. 306) an der
Entscheidung betheiligte; es wäre denn, daß der die Nichtigkeit begründende
Thatumstand dem Beschwerdeführer noch vor oder während der Hauptverhandlung
bekannt wurde und von ihm nicht gleich beim Beginne der Hauptverhandlung oder
sofort, nachdem er in die Kenntniß desselben gelangt, geltend gemacht wurde;
2.
wenn die Hauptverhandlung ohne Beiziehung eines Vertheidigers geführt wurde;
3.
wenn ungeachtet der Verwahrung der Beschwerdeführers ein Schriftstück über
einen nach dem Gesetze nichtigen Vorerhebungs- oder Voruntersuchungsact bei der
Hauptversammlung verlesen wurde;
4.
wenn bei einer Hauptverhandlung eine Vorschrift verletzt oder vernachlässigt
worden ist, deren Beobachtung das Gesetz ausdrücklich bei sonstiger Nichtigkeit
vorschreibt (§§. 120, 151, 152, 170, 201, 228, 244, 247, 250, 260, 271, 303,
306, 307, 313, 314, 316, 327, 330 und 427);
5.
wenn während der Hauptverhandlung über einen Antrag des Beschwerdeführers nicht
erkannt worden ist, oder wenn durch ein gegen seinen Antrag oder Widerspruch
gefälltes Zwischenerkenntniß Gesetze oder Grundsätze des Verfahrens
hintangesetzt oder unrichtig angewendet worden sind, deren Beobachtung durch
das Wesen eines die Strafverfolgung und die Vertheidigung sichernden Verfahrens
geboten ist.
6.
wenn eine Verletzung der in den §§. 318 bis 323 enthaltenen Vorschriften
stattgefunden hat;
7.
wenn an die Geschwornen eine Frage mit Verletzung der in §. 267 ertheilten
Vorschrift gestellt und diese Frage bejaht wurde;
8.
wenn der Vorsitzende den Geschwornen eine unrichtige Rechtsbelehrung ertheilt
hat (§§. 325 und 327);
9.
wenn die Antwort der Geschwornen undeutlich, unvollständig oder in sich
widersprechend ist;
10.
wenn durch die Entscheidung des Gerichtshofes über die Frage
a)
ob die dem Angeklagten zur Last fallenden That eine zur Zuständigkeit der
Gerichte gehörige strafbare Handlung begründe,
b)
ob Umstände vorhanden seien, vermöge welcher die Strafbarkeit der That
aufgehoben oder die Verfolgung wegen derselben ausgeschlossen ist; endlich
c)
ob die nach dem Gesetze erforderliche Anklage fehle,
ein
Gesetz verletzt oder unrichtig angewendet wurde;
11.
wenn die der Entscheidung zu Grunde gelegte That durch unrichtige
Gesetzauslegung einem Strafgesetze unterzogen wurde, welches darauf seine
Anwendung findet;
(468)
12. wenn der Gerichtshof bei Ausmessung der Strafe die Gränzen des gesetzlichen
Strafsatzes, soweit derselbe durch namentlich im Gesetze angeführte
Erschwerungs- oder Milderungsumstände begründet wird, oder wenn er die Gränzen
des ihm zustehenden Strafumwandlungs- oder Milderungsrechtes überschritten,
oder die Bestimmungen des §. 293, Abs. 3, oder des §. 359, Abs. 4, verletzt
oder unrichtig angewendet hat.
Die
unter 3 – 6 erwähnten Nichtigkeitsgründe können zum Vortheile des Angeklagten
nicht geltend gemacht werden, wenn unzweifelhaft erkennbar ist, daß die
eingetretene Formverletzung auf die Entscheidung keinem dem Angeklagten
nachtheiligen Einfluß üben konnte.
Zum
Nachtheile des Angeklagten können die unter Zahl 2 und 7 erwähnten
Nichtigkeitsgründe niemals, die unter Zahl 3 – 6 erwähnten aber nur dann
geltend gemacht werden, wenn erkennbar ist, daß die Formverletzung einen die
Anklage beeinträchtigenden Einfluß auf die Entscheidung zu üben vermochte, wenn
außerdem der Ankläger sich derselben widersetzt, die Entscheidung der
Gerichtshofes begehrt und sofort nach der Verweigerung oder Verkündung dieser
Entscheidung die Nichtigkeitsbeschwerde sich vorbehalten hat.
§.
345. Die Berufung kann unter den im §. 283 bezeichneten Beschränkungen nur
wegen des Ausspruches über die Strafe und wegen der Entscheidung über
privatrechtliche Ansprüche ergriffen werden.
§.
346. Das Recht zur Ergreifung der Berufung und der Nichtigkeitsbeschwerde,
welche übrigens miteinander verbunden werden können, das Verfahren bei der
Anmeldung und Ausführung, bei der Einbringung der Gegenausführung, sowie bei
der Verhandlung und Entscheidung, richtet sich nach den in den §§. 282 bis 291
enthaltenen Bestimmungen.
Die
Anmeldung kann noch in der Sitzung des Schwurgerichtshofes erfolgen; später ist
sie beim Gerichtshofe erster Instanz anzubringen, welchem auch das weitere
Verfahren und die Vorlegung der Acten an den Cassationshof, beziehungsweise
Gerichtshof zweiter Instanz zusteht.
§.
347. Hat der Angeklagte nicht selbst erklärt, daß er auf seine Kosten einen
Vertheidiger zu dem beim Cassationshofe stattfindenden Gerichtstage absenden
wolle, so ist ihm ein solcher vom Cassationshofe aus der Zahl der am Sitze
desselben wohnhaften Verteidiger zu bestellen.
§.
348. Liegt einer der im §. 344, Zahl 1 bis 9, erwähnten Fälle vor, so hebt der
Cassationshof den Wahrspruch der Geschwornen und das darauf beruhende Urtheil
auf und verweist, soferne er nicht aus dem im §. 344, Zahl 7, angeführten
Grunde den Angeklagten freispricht, die Sache in die nächste
Schwurgerichtssitzung des von ihm zu bezeichnenden Gerichtshofes zur
nochmaligen Behandlung und Entscheidung.
Werden
nicht alle Theile des Wahrspruches von dem geltend gemachten Nichtigkeitsgrunde
betroffen, und ist die Sonderung möglich, so läßt der Cassationshof die nicht
betroffenen Theile des Wahrspruches und des Urtheiles von dieser Verfügung
unberührt und trägt dem Schwurgerichtshofe, an welchen die Sache verwiesen
wird, auf, dieselben seiner Entscheidung mit zu Grunde zu legen.
§.
349. Liegt der im §. 260 erwähnte Nichtigkeitsgrund vor, so verweist der
Cassationshof die Sache an den Gerichtshof, bei dem die Schwurgerichtssitzung
abgehalten wurde, und trägt demselben auf, in einer nach Thunlichkeit aus
denselben Mitgliedern, welche den Gerichtshof der Schwurgerichtssitzung
bildeten, zusammenzusetzenden Versammlung von drei Richtern ein neues Urtheil
auf Grund des früheren Ausspruches der Geschwornen zu fällen.
§.
350. Findet der Cassationshof, daß das Urtheil des Schwurgerichtshofes ein
Gesetz verletzt oder unrichtig angewendet habe (§. 344, Zahl 10 – 12), so hat
er in der Regel sofort in der Hauptsache zu entscheiden.
(469)
Sind jedoch jene Thatsachen, welche er seiner Entscheidung zu Grunde zu legen
hätte, durch den Wahrspruch nicht festgestellt, so verweist er die Sache in die
nächste Schwurgerichtssitzung des von ihm bezeichnenden Sprengels, oder wenn
die strafbare Handlung bei richtiger Anwendung des Gesetzes nicht mehr vor das
Geschwornengericht gehört, vor das zuständige Gericht zu nochmaliger
Verhandlung.
§.
351. Die der Entscheidung des Cassationshofes zu Grunde liegende Rechtsansicht
ist für die unteren Gerichte bei der angeordneten Wiederholung der
Hauptverhandlung bindend.
Gegen
dieses Urtheil stehen dieselben Rechtsmittel offen, wie gegen ein erstes
Erkenntniß.
XX.
Hauptstück.
Von
der Wiederaufnahme des Strafverfahrens und der Wiedereinsetzung gegen den
Ablauf von Fristen.
I.
Wiederaufnahme des Verfahrens.
§.
352. Ist das Strafverfahren wider eine bestimmte Person durch Einstellung,
Zurückweisung der Anklage oder Rücktritt von derselben vor der Hauptversammlung
beendigt worden, so kann dem Antrage des Staatsanwaltes oder Privatanklägers
auf Wiederaufnahme desselben nur dann stattgegeben werden, wenn die
Strafbarkeit der That noch nicht durch Verjährung erloschen ist, und wenn neue
Beweismittel beigebracht werden, welche geeignet erscheinen, die Ueberführung
des Beschuldigten zu begründen.
Ueber
die Zulassung dieses Antrages entscheidet, nachdem die nöthig befundenen
Vorerhebungen gepflogen worden sind, die Rathskammer; gegen die Entscheidung
kann beim Gerichtshofe zweiter Instanz Beschwerde geführt werden. Die
Beschwerde ist innerhalb drei Tagen nach Eröffnung des Beschlusses bei dem
Gerichtshofe erster Instanz anzubringen.
Dem
Privatankläger, welcher seine Klage zurückgenommen hat, kann die Wiederaufnahme
des Strafverfahrens nie bewilligt werden.
§.
353. Der rechtskräftig Verurtheilte kann die Wiederaufnahme des Strafverfahrens
selbst nach vollzogener Strafe verlangen:
1.
wenn dargethan ist, dass seine Verurtheilung durch Fälschung einer Urkunde oder
durch falsches Zeugniß oder Bestechung oder eine sonstige strafbare Handlung
einer dritten Person veranlasst worden ist;
2.
wenn er neue Thatsachen oder Beweismittel beibringt, welche allein oder in
Verbindung mit den früher erhobenen Beweise geeignet erscheinen, seine
Freisprechung oder die Verurtheilung wegen einer unter ein milderes Strafgesetz
fallenden Handlung zu begründen, oder wenn
3.
wegen derselben That zwei oder mehrere Personen durch verschiedene Erkenntnisse
verurtheilt worden sind, und bei der Vergleichung dieser Erkenntnisse, sowie
der ihnen zu Grunde liegenden Thatsachen, die Nichtschuld einer oder mehrerer
dieser Personen nothwendig anzunehmen ist.
§.
354. Den Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens zu Gunsten des
Angeklagten können, und zwar auch nach dessen Tode, alle jene Personen stellen,
welche berechtigt wären, zu seinen Gunsten die Nichtigkeitsbeschwerde oder
Berufung zu ergreifen. Gelangt der Staatsanwalt in die Kenntniß eines
Umstandes, welcher einen Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens zu
Gunsten des Angeklagten begründen kann (§. 353) so
(470)
ist er verpflichtet, hievon den Angeklagten oder sonst eine zur Stellung dieses
Antrages berechtigte Person in Kenntniß zu setzen oder selbst den Antrag zu
stellen.
§.
355. Der Staatsanwalt oder Privatankläger kann die Wiederaufnahme der
Strafverfahrens wegen einer Handlung, hinsichtlich deren der Angeklagte durch
rechtskräftiges Urtheil freigesprochen worden ist, nur insoferne beantragen,
als die Strafbarkeit der That noch nicht durch Verjährung erloschen worden ist,
und als entweder,
1.
das Erkenntniß durch Fälschung einer Urkunde oder durch falsches Zeugniß,
Bestechung oder eine sonstige strafbare Handlung des Angeklagten oder einer
dritten Person herbeigeführt worden ist, oder
2.
der Angeklagte später gerichtlich oder außergerichtlich ein Geständniß der ihm
beigemessenen That ablegt, oder andere neue Thatsachen oder Beweismittel sich
ergeben, welche allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen
geeignet erscheinen, die Ueberführung des Angeklagten zu begründen.
§.
356. Der Staatsanwalt kann die Wiederaufnahme des Verfahrens, um zu bewirken,
daß eine Handlung, wegen welcher der Angeklagte verurtheilt worden ist, nach
einem strengeren Strafgesetze verurtheilt werde, nur unter den im §. 355
erwähnten Voraussetzungen und überdieß nur dann beantragen, wenn
1.
das wirklich verübte Verbrechen mit Todes- oder lebenslanger Kerkerstrafe
bedroht ist, während nach dem dem Urtheile zu Grunde gelegten Strafsatze nur
auf eine zeitliche Kerkerstrafe erkannt werden konnte, oder wenn
2.
wenigstens zehnjährige Kerkerstrafe zu verhängen wäre, während die Bemessung der
Strafe nach einem Strafsatze in der Dauer von höchstens fünf Jahren vorgenommen
wurde, oder wenn
3.
eine That sich als Verbrechen darstellt, während der Angeklagte nur wegen eines
Vergehens oder einer der dem Bezirksgerichte zur Aburtheilung zugewiesenen
strafbaren Handlungen verurtheilt wurde.
§.
357. Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens ist bei dem Gerichtshofe erster
Instanz, bei welchem dasselbe anhängig war, zu beantragen. Ist über eine That,
welche sich als Verbrechen darstellt, von einem Bezirksgerichte abgeurtheilt
worden, so ist der Antrag bei dem Gerichtshofe erster Instanz, zu dessen
Sprengel jenes Bezirksgericht gehört, anzubringen. Der Untersuchungsrichter hat
die Thatsachen, durch welche der Antrag begründet wird, zu erheben. Sodann ist im
Falle des §. 353 der Staatsanwalt oder der Privatankläger, in den Fällen der
§§. 355 und 356 aber der Beschuldigte zu vernehmen und vor dem Gerichtshofe
erster Instanz in einer Versammlung von vier Richtern, wovon einer den Vorsitz
zu führen hat, über die Statthaftigkeit in nicht öffentlicher Sitzung zu
entscheiden.
Gegen
diesen Beschluß steht nur die Beschwerde an den Gerichtshofe zweiter Instanz
offen. Dieselbe ist binnen drei Tagen bei dem Gerichtshofe erster Instanz
anzubringen.
Beschließt
der Gerichtshof zweiter Instanz die Wiederaufnahme des Verfahrens, so ist er
auch berechtigt, einen anderen Gerichtshof zur Führung der Untersuchung zu
bestellen.
§.
358. Durch den Beschluß, welcher der Wiederaufnahme des Strafverfahrens
stattgibt, wird das frühere Urtheil insoweit für aufgehoben erklärt, als es
diejenige strafbare Handlung, hinsichtlich welcher die Wiederaufnahme bewilligt
wird, betrifft. Die gesetzlichen Folgen der in dem ersten Erkenntnisse
ausgesprochenen Verurtheilung dauern einstweilen fort und sind nur dann und
insoweit als aufgehoben anzusehen, als sie nicht auch vermöge des Erkenntnisses
einzutreten haben.
(471)
Die Vollstreckung der im früheren Urtheile enthaltenen Entscheidung über die
privatrechtlichen Ansprüche ist während der Dauer des wieder aufgenommenen
Verfahrens nur bis zur Sicherstellung zulässig.
§.
359. Die Sache tritt durch die Wiederaufnahme in der Regel (§. 360) in den
Stand der Voruntersuchung. Diese ist nach Maßgabe der die Wideraufnahme
bewilligenden Entscheidung und der neuen Beweise zu führen oder zu ergänzen.
Die hinsichtlich der Einstellung der Voruntersuchung und der Versetzung in den
Anklagestand geltenden Vorschriften finden auch hier Anwendung. Wird in Folge
dessen das Verfahren ohne Vornahme einer Hauptverhandlung beendigt, so hat der
Beschuldigte das Recht, die öffentliche Bekanntmachung der Einstellung oder des
Erkenntnisses, wodurch die Anklage endgiltig zurückgewiesen wurde, zu
verlangen. Diese Entscheidungen haben gleiche Wirkung mit dem Erkenntnisse,
wodurch der Angeschuldigte freigesprochen wird.
Kommt
es zur neuerlichen Hauptverhandlung, so ist von derselben auch der
Privatbeteiligte in Kenntniß zu setzen; es sind die Aussagen jener Zeugen,
Sachverständigen oder Mitbeschuldigten, welche nicht mehr vernommen werden
können, aus den Acten abzulesen, und schließlich ist ein neues Urtheil zu
schöpfen.
Wird
durch dieses Erkenntniß der Angeklagte verurtheilt, so ist bei Bemessung der
Strafe auf die bereits erlittene Strafe Rücksicht zu nehmen (§§. 265 und 339).
Ist
die Wiederaufnahme nur zu Gunsten des Angeklagten bewilligt worden, so kann das
neue Urtheil keine schwerere Strafe gegen ihn verhängen, als welche ihm das
erste Erkenntniß auferlegte.
Gegen
das neue Erkenntniß stehen dieselben Rechtsmittel offen, wie gegen jedes andere
Urtheil.
§.
360. Das Gericht, welches die Wiederaufnahme des Strafverfahrens zu Gunsten des
Beschuldigten für zulässig erklärt, kann, soferne der Ankläger damit
einverstanden ist, sofort ein Urtheil zu fällen, wodurch der Beschuldigte
freigesprochen oder seinem Antrage auf Anwendung eines milderen Strafsatzes
stattgegeben wird.
Gegen
ein solches Erkenntniß ist kein Rechtsmittel zulässig.
Der
Freigesprochene kann die Veröffentlichung desselben verlangen.
§.
361. Das Gesuch eines Verurtheilten um Wiederaufnahme des Verfahrens hemmt den
Vollzug der Strafe der Strafe nicht; es wäre denn, daß der über die
Wiederaufnahme entscheidende Gerichtshof nach der Anhörung des Anklägers die
Hemmung des Strafvollzuges nach den Umständen des Falles für angemessen erachtet.
Wird
die Statthaftigkeit der Wiederaufnahme rechtskräftig ausgesprochen, so ist der
Vollzug der Strafe unverzüglich einzustellen (§. 358) und über die Haft des
Beschuldigten nach den im XIV. Hauptstücke enthaltenen Bestimmungen zu
entscheiden.
§.
362. Der Cassationshof ist berechtigt, nach Anhörung des Generalprocurators im
außerordentlichen Wege und ohne an die im §. 353 vorgezeichneten Bedingungen
gebunden zu sein, die Wiederaufnahme des Wiederaufnahme des Strafverfahrens zu
Gunsten des wegen eines Verbrechens oder Vergehens Verurtheilten zu verfüge,
wenn sich ihm
1.
bei der vorläufigen Berathung über eine Nichtigkeitsbeschwerde, oder nach der
öffentlichen Verhandlung über dieselbe, oder
2.
bei der Berathung über einen nach §. 341 erstatteten Bericht, oder endlich
3.
bei einer auf besonderen Antrag des Generalprocurators vorgenommenen Prüfung
der Acten erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Urtheile zu Grunde
gelegten Thatsachen ergeben, welche auch nicht durch einzelne, vom Cassationshof
etwa angeordnete Erhebungen beseitigt werden.
(472)
Der Cassationshof kann in solchen Fällen auch sofort ein neues Urtheil
schöpfen, wodurch der Beschuldigte freigesprochen oder ein milderer Strafsatz
auf denselben angewendet wird (§. 360, Absatz 3); hiezu ist jedoch
Einstimmigkeit und die Zustimmung des Generalprocurators erforderlich.
Anträge
von Privaten, welche auf Herbeiführung eines der vorstehend erwähnten
Beschlüsse des Cassationshofes abzielen, sind von den Gerichten, bei denen sie
einlaufen, abzuweisen; auch dürfen sie niemals zum Gegenstande der Erörterung
in der mündlichen Verhandlung gemacht werden.
Auf
die vom Cassationshofe verfügte Wiederaufnahme des Strafverfahrens finden die
§§. 358 und 359 Anwendung.
Die
Entscheidung über die Hemmung des Strafvollzuges und über die Verweisung des
weiteren Verfahrens an das Gericht eines anderen Sprengels steht nur dem
Cassationshof zu.
§.
363. Das Strafverfahren kann unabhängig von den Bedingungen und Förmlichkeiten
der Wiederaufnahme nach den allgemeinen Vorschriften, und zwar durch das nach
denselben zuständige Gericht eingeleitet oder fortgesetzt werden:
1.
wenn die Vorerhebungen eingestellt worden sind, ehe eine bestimmte Person als
Beschuldigter behandelt wurde;
2.
wenn der zur Klage noch berechtigte Privatankläger dieselbe anbringt, während
in dem früheren Verfahren die Einstellung oder ein freisprechendes Urtheil
lediglich wegen Mangels des nach dem Gesetze erforderlichen Antrages eines
Betheiligten erfolgt ist;
3.
wenn dem Ankläger bei der Beendigung des Strafverfahrens wegen eines
Verbrechens oder Vergehens die Verfolgung wegen anderer strafbarer Handlungen
vorbehalten wurde, oder wenn sich erst nachher Verdachtsgründe einer anderen
früher begangenen strafbaren Handlung ergaben;
4.
wenn eine That, welche ein Verbrechen begründet, von einem Bezirksgerichte
durch unrichtige Anwendung des Gesetzes als ihm zur Aburtheilung zukommend
behandelt wurde, vorausgesetzt, daß seit der Entscheidung des Bezirksgerichtes
noch nicht mehr als sechs Monate, und wenn es sich um eines der den
Geschwornengerichten zur Aburtheilung zugewiesenen Verbrechen handelt, noch
nicht mehr als zwölf Monate verflossen sind.
II.
Wiedereinsetzung gegen den Ablauf von Fristen.
§.
364. Wider die Versäumung der Frist zur Anmeldung eines Rechtsmittels gegen ein
Urtheil kann das zur Entscheidung über das Rechtsmittel berufene Gericht dem
Beschuldigten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ertheilen, sofern er:
1.
nachzuweisen vermag, daß es ihm durch unabwendbare Umstände ohne sein oder
seines Vertreters Verschulden unmöglich gemacht wurde, die Frist einzuhalten;
2.
die Wiedereinsetzung innerhalb drei Tagen nach dem Aufhören des Hindernisses
nachsucht und
3.
die Anmeldung zugleich anbringt.
Das
Gesuch ist bei jenem Gerichte anzubringen, bei welchem das Rechtsmittel
anzumelden war. Dieses Gericht theilt dasselbe sammt der Anmeldung dem Ankläger
zur Erstattung seiner Aeußerung und allfälligen Gegenausführung mit und legt
nach Ablauf der für letztere offen stehenden Frist die Acten dem zur Entscheidung
über das Rechtsmittel berufenen Gericht vor, welches, falls es die
Wiedereinsetzung bewilligt, sofort in der Hauptsache erkennt.
Gegen
die Verweigerung der Wiedereinsetzung findet kein Rechtsmittel statt.
(473)
Das Gericht hemmt, solange die Wiedereinsetzung nicht bewilligt ist, die
Vollstreckung nicht; es wäre denn, daß das Gericht, bei welchem es angebracht
wird, nach den Umständen des Falles für angemessen erachtet, die Aussetzung der
Vollstreckung zu verfügen.
XXI.
Hauptstück.
Von
den Erkenntnissen und Verfügungen des Strafgerichtes hinsichtlich der
privatrechtliche Ansprüche.
§.
365. Der aus der strafbaren Handlung entstandene Schade und die sonstigen
hinsichtlich der privatrechtlichen Folgen wichtigen Nebenumstände sind von
Amtswegen zu berücksichtigen. Dem Beschädigten ist, wenn es zweifelhaft ist, ob
er von dem stattfindenden strafrechtlichen Verfahren Kenntniß habe, hievon
Mittheilung zu machen, damit er von seinem Rechte, sich dem Strafverfahren
anzuschließen, Gebrauch machen könne.
Im Falle
des Anschlusses bleibt es dem Privatbetheiligten, oder falls dieser sich selbst
zu vertreten nicht berechtigt wäre, dessen gesetzlichem Vertreter überlassen,
seine Ansprüche auszuführen und genügend darzuthun. Der Beschuldigte ist
darüber zu vernehmen, und es sind die zur Erforschung des Schadens nöthigen
Erhebungen zu pflegen. Der Privatbetheiligte kann die Verfolgung seiner
Ansprüche zu jeder Zeit, selbst während der Hauptverhandlung, wieder aufgeben.
§.
366. Wird der Beschuldigte nicht verurtheilt, so ist der Privatbetheiligte mit
seinen Entschädigungsansprüchen jederzeit auf den Civilrechtsweg zu verweisen.
Erfolgt
die Verurtheilung des Beschuldigten, so hat in der Regel der Gerichtshof
zugleich über die privatrechtlichen Ansprüche des Beschädigten zu entscheiden.
Erachtet das Strafgericht, daß die Ergebnisse des Strafverfahrens nicht
ausreichen, um auf Grund derselben über die Ersatzansprüche verläßlich
urtheilen zu können, so verweist es den Privatbetheiligten auf den
Civilrechtsweg. Gegen diese Verweisung steht kein Rechtsmittel offen.
§.
367. Ist eine Sache, bezüglich welcher das Gericht sich überzeugt, daß sie dem
Privatbetheiligten gehöre, unter den Habseligkeiten des Angeklagten, eines
Mitschuldigen oder eines Theilnehmers an der strafbaren Handlung oder an einem
solchen Orte gefunden worden, wohin sie von diesen Personen nur zur
Aufbewahrung gelegt oder gegeben wurde, so verordnet der Gerichtshof, daß die
Zurückstellung nach eingetretener Rechtskraft des Urtheils erfolge. Mit
ausdrücklicher Zustimmung des Beschuldigten kann jedoch die Ausfolgung auch
sogleich geschehen.
Diese
Zurückstellung der dem Beschuldigten entzogenen Gegenstände kann auch vor der
Hauptverhandlung durch den Untersuchungsrichter erfolgen, wenn deren
Aufbewahrung nicht zur Ueberweisung des Beschuldigten, eines Mitschuldigen oder
eines Theilnehmers nöthig ist, und wenn der Beschuldigte und der Ankläger damit
einverstanden sind.
§.
368. Ist das entzogene Gut bereits in die Hände eines Dritten, der sich an der
strafbaren Handlung nicht betheiligt hat, auf eine zur Uebertragung des
Eigenthums giltige Art oder als Pfand gerathen, oder ist das Eigenthum des
entzogenen Gegenstandes unter mehreren Beschädigten streitig, oder kann der
Beschädigte sein Recht nicht sogleich genügend nachweisen, so ist das auf
Zurückstellung des Gutes gerichtete Begehren auf den ordentlichen
Civilrechtsweg zu verweisen.
§.
369. Wenn das dem Beschädigten entzogene Gut nicht mehr zurückgestellt werden
kann, sowie in allen Fällen, wo es sich nicht um die Rückstellung eines
entzogenen Gegenstandes, sondern um den Ersatz eines erlittenen Schadens oder
entgangenen Gewinnes, oder
(474)
um Tilgung einer verursachten Beleidigung handelt (§. 1323 des allgemein
bürgerlichen Gesetzbuches), ist in dem Strafurtheile die Schadloshaltung oder
Genugthuung zuzuerkennen, insoferne sowohl der Betrag derselben, als auch die
Person, welcher dieselbe gebührt, mit Zuverlässigkeit bestimmt werden kann.
Ergeben
sich aus den gepflogenen Erhebungen Gründe, zu vermuthen, daß der Beschädigte
seinen Schaden zu hoch angebe, so kann ihn das Gericht, nach Erwägung aller
Umstände, allenfalls nach vorgenommener Schätzung durch Sachverständige
mäßigen.
§.
370. Insbesondere hat das Strafgericht in den Fällen, wo jemand des Verbrechens
des Hochverrathes, des Aufstandes oder Aufruhrs schuldig erklärt wird, auch
über die von Seite des Staates oder von Privatpersonen gegen den Verurtheilten
geltend gemachten Ansprüche auf Schadensersatz zu erkennen.
Zu
dem aus diesen Verbrechen entstandenen Schaden sind aber nicht nur alle
unmittelbar oder mittelbar durch dasselbe herbeigeführten Beschädigungen,
sondern auch alle zur Unterdrückung der verbrecherischen Unternehmung oder zur
Wiederherstellung der Ordnung und Sicherheit aufgewendeten Kosten zu rechnen.
§. 371.
Ergibt sich aus der Schuld des Angeklagten die gänzliche oder theilweise
Ungiltigkeit eines mit demselben eingegangenen Rechtsgeschäftes oder eines
Rechtsverhältnisses, so ist in dem Strafurtheile auch hierüber und über die
daraus entspringenden Rechtsfolgen zu erkennen.
Nur
wenn es sich um die Ungiltigkeit einer Ehe handelt, bleibt die Entscheidung
hierüber dem zuständigen Civilgerichte vorbehalten (§. 5).
§.
372. Dem Privatbetheiligten steht es frei, den Civilrechtsweg zu betreten, wenn
er sich mit der vom Strafgerichte ihm zuerkannten Entschädigung nicht begnügen
will.
§.
373. Ist das über die privatrechtlichen Ansprüche ergangene strafgerichtliche
Erkenntniß in Rechtskraft erwachsen, so ist jeder Betheiligte berechtigt, von
dem Gerichte, welches in erster Instanz erkannt hat, die Anmerkung der
Rechtskräftigkeit desselben auf dem Urtheile zu begehren, und ein solches
Erkenntniß hat dann die Wirkung, daß die Execution desselben unmittelbar bei
dem Zivilgerichte angesucht werden kann.
§.
374. Die Abänderung des rechtskräftigen strafgerichtlichen Ausspruches über
privatrechtliche Ansprüche wegen neu aufgefundener Beweismittel, sowie die
Aufhebung der Vollstreckung desselben wegen eines nachgefolgten Thatumstandes,
kann außer dem Falle einer aus anderen Gründen stattfindenden Wiederaufnahme
des Strafverfahrens, von dem Verurtheilten und dessen Rechtsnachfolgern nur vor
dem Civilrichter aufgesucht werden.
§.
375. Wenn bei einem Beschuldigten ein nach allem Anscheine fremdes Gut gefunden
wird, dessen Eigenthümer er nicht angeben kann oder will, und wenn sich binnen
einer angemessenen Frist Niemand mit einem Eigenthumsanspruche gemeldet hat,
ist von dem Untersuchungsrichter die Beschreibung eines solchen Gutes so
abzufassen, daß dasselbe zwar von dem Eigenthümer erkannt werden könne, daß
jedoch einige wesentliche Unterscheidungszeichen verschwiegen werden, um die
Bezeichnung desselben dem Eigenthümer als Beweis seines Rechtes vorzubehalten.
§.
376. Eine solche Beschreibung ist an denjenigen Orten, wo sich der Beschuldigte
aufgehalten hat, oder wo die ihm zur Haft gelegten strafbaren Handlungen
begangen wurden, durch Edict öffentlich bekannt zu machen. In diesem Edicte ist
der Eigenthümer aufzufordern, daß er sich binnen Jahresfrist vom Tage der
dritten Einschaltung des Edictes melde und sein Eigenthumsrecht nachweise.
(475)
Die Auffindung von Gegenständen, deren Werth fünfundzwanzig Gulden nicht
erreicht und hinsichtlich welcher eine unverzügliche abgesonderte Bekanntmachen
nicht aus anderen Gründen nothwendig erscheint, kann von Zeit zu Zeit in
gemeinsamen Edicten bekannt gemacht werden.
§.
377. Ist das fremde Gut von solcher Beschaffenheit, daß es sich ohne Gefahr des
Verderbnisses nicht durch ein Jahr aufbewahren läßt, oder wäre die Aufbewahrung
mit Kosten verbunden, so hat der Staatsanwalt die Veräußerung desselben durch
öffentliche Versteigerung einzuleiten. Der Kaufpreis ist bei dem Strafgerichte
zu erlegen. Zugleich ist eine umständliche Beschreibung jedes verkauften
Stückes unter Bemerkung des Käufers und des Kaufschillings den Acten
beizulegen.
§.
378. Wenn binnen der Edictalfrist Niemand ein Recht auf die beschriebenen
Gegenstände darthut, so sind dieselben, oder es ist deren Erlös, wenn sie der
Dringlichkeit wegen verkauft worden, dem Beschuldigten auf sein Verlangen
auszufolgen, soferne nicht durch einen Beschluß des zur Entscheidung in erster
Instanz berufenen Gerichtes ausgesprochen ist, daß die Rechtmäßigkeit des
Besitzes des Beschuldigten nicht glaubwürdig sei. Gegen diese Beschlüsse findet
kein Rechtsmittel statt.
§.
379. Gegenstände, welche dem Beschuldigten nicht ausgefolgt werden, sind auf
die im §. 377 angeordnete Weise zu veräußern und es ist der Kaufpreis an die
Staatscasse abzugeben. Dem Berechtigten steht jedoch frei, seine Ansprüche auf
den Kaufpreis gegen den Staatsschatz binnen dreißig Jahren vom Tage der dritten
Einschaltung des Edictes im Zivilrechtswege geltend zu machen.
XXII.
Hauptstück.
Von
den Kosten des Strafverfahrens.
§.
380. Alle Verhandlungen in Strafsachen, sie mögen von was immer für einer
Behörde vorgenommen werden, und alle darauf bezüglichen Eingaben der Parteien
sind gebühren und portofrei. Vorspannsfuhren sind bei solchen Anlässen für die
Hin- und Rückfahrt von der Weg- und Brückenmauth befreit.
Werden
Beschuldigte zu Wagen befördert, so haben die Gemeinden die nöthige Vorspann
beizuschaffen und dafür die Vergütung nach den für die Vorspann bestehenden
Vorschriften anzusprechen.
§.
381. Zu denjenigen Kosten des Strafverfahrens, rücksichtlich welcher eine
Vergütung von Seite des Beschuldigten stattfinden kann, gehören:
1.
die Auslagen für Zustellungen, Vorladungen und Botengänge;
2.
die Kosten für die Vorführung, Wachebegleitung, und Transportirung des
Beschuldigten oder anderer Personen;
3.
die Gebühren der Zeugen, der Sachverständigen und Dolmetsche;
4.
die Gebühren der Vertheidiger und anderer Parteienvertreter;
5.
die Kosten für die Verpflegung des Beschuldigten während der Untersuchungshaft;
6.
die Reisekosten und Diäten der Gerichtspersonen und Staatsanwälte, sowie die
Reisekosten der Geschwornen, endlich
7.
die Kosten für die Vollstreckung eines Strafurtheils.
Diese
Kosten werden, mit Ausnahme der unter Z. 4 bezeichneten Gebühren, von dem
Staate vorgeschossen, vorbehaltlich des Rückersatzes nach den Bestimmungen der
§§. 389 – 391.
(476)
§. 382. Die Gebühren der Amtsdiener und ihrer Gehilfen für Zustellungen,
Vorladungen, Botengänge, für die Vorführung, Wachebegleitung oder
Transportirung des Beschuldigten oder anderer Personen, ferner die Taggelder
der Gendarmen, welche zur Vorführung oder Escortirung aufgeboten werden, werden
durch besondere Verordnungen geregelt.
§.
383. Solchen Zeugen, die vom Tag- oder Wochenlohne leben, und welchen daher
eine Entziehung auch nur von wenigen Stunden einen Entgang an ihrem Erwerbe
bringen würde, hat das sie vernehmende Gericht auf ihr Verlangen nicht blos
eine Schadloshaltung für die nothwendigen Kosten des Hin- und Rückweges, sofern
auch den Ersatz des entgangenen Erwerbes und der allenfalls nöthigen höheren
Kosten des Aufenthaltes am Orte der Vernehmung mit billiger Erwägung aller
Verhältnisse aller Verhältnisse zu bestimmen. Anderen Zeugen darf auf ihr
Verlangen nur in dem Falle, wenn der Ort ihrer Vernehmung von ihrem
gewöhnlichen Aufenthaltsorte mehr als zwei Meilen (vier Stunden) entfernt ist,
eine angemessene Vergütung der nothwendigen Auslagen für die Reise und für den
Aufenthalt am Orte der Vernehmung bewilligt werden. Die zuerkannten Gebühren
sind sogleich nach der Vernehmung auszuzahlen, oder wenn dies ohne Verschulden
des Zeugen nicht sogleich geschehen kann, ihm doch in kürzester Frist und
jedenfalls kostenfrei zuzumitteln.
In
der Vorladung sind die Zeugen aufmerksam zu machen, daß sie die ihnen
gebührende Vergütung, bei Verlust derselben, längstens binnen vierundzwanzig
Stunden nach ihrer Vernehmung anzusprechen haben.
Der
Privatankläger hat auf Zeugengebühren keinen Anspruch; andere Beschädigte haben
ihn nur dann, wenn sie vorgeladen werden, um als Zeugen vernommen zu werden.
Die
Gebühren der in activer Dienstleistung stehenden Militär- (Landwehr-) Personen,
welche vor einem außer ihrem Standorte befindlichen Strafgerichte als Zeugen
erscheinen, werden durch besondere Vorschriften bestimmt.
§.
384. Sachverständige, welche bei einem Gerichte bleibend als solche bestellt
sind und dafür eine Entlohnung beziehen, haben nur den Ersatz der zur
Erstattung eines Gutachtens nöthig gewesenen und gehörig nachgewiesenen
Vorauslagen anzusprechen. Andere Sachverständige erhalten außerdem eine von dem
Gerichte mit Erwägung aller Umstände zu bemessende Gebühr. Soweit hierüber in
den bestehenden Vorschriften nichts Besonderes bestimmt ist, wird die Gebühr
zwischen einem und fünf Gulden, und in dem Falle, wenn zu dem Gutachten
besondere wissenschaftliche, technische oder künstlerische Kenntnisse oder
Fertigkeiten erforderlich sind, zwischen zwei Gulden und zwanzig Gulden
bemessen. Zur Bewilligung einer diesen Betrag übersteigenden Entlohnung ist die
Genehmigung des Gerichtshofes zweiter Instanz einzuholen.
§.
385. Einem Dolmetsch gebühren für die mündliche Uebersetzung einer in einer
fremden Sprache abgefassten Urkunde fünfzig Kreuzer, für eine schriftliche
Uebersetzung aber 2 Gulden für jeden Bogen.
Ausnahmsweise
können diese Gebühren, wenn die Uebersetzung mit besonderen Schwierigkeiten
verbunden ist, von dem Gerichte um die Hälfte des Betrages erhöht werden. Dem
Dolmetsch, welcher einer gerichtlichen Vernehmung beigezogen wird, gebühren für
jeden halben Tag zwei Gulden, und wenn er das Protokoll selbst schreiben muß,
drei Gulden. Werden die bei dem Gerichte angestellten Beamten oder für
beständig und entgeltlich angestellte beeidete Dolmetsche zu solchen
Verrichtungen berufen, so haben sie diese Arbeiten unentgeltlich zu verrichten.
(477)
§. 386. Dagegen haben Sachverständige und Dolmetsche, wenn sie die vorstehenden
Amtshandlungen außer dem Orte ihres gewöhnlichen Aufenthaltes zu verrichten
haben, auch Reise- und Zehrungskosten, und zwar die in öffentlichen Diensten
angestellten nach Vorschrift der hiefür bestehenden allgemeinen Verordnungen,
die übrigen aber nach Maßgabe der im §. 383 gegebenen Bestimmungen, jedoch
allerdings auch bei einer geringeren als der dort angegebenen Entfernung
anzusprechen.
Alle
vorerwähnten Gebühren sind übrigens den Sachverständigen und Dolmetschen,
womöglich sogleich nach ihrer Verwendung auszuzahlen oder kostenfrei
zuzumitteln.
In
der schriftlichen Vorladung ist ihnen zu bedeuten, daß sie ihre Forderung bei
Verlust des Anspruches längstens binnen vierzehn Tagen nach Abgabe ihres
Gutachtens anzubringen haben.
§.
387. Die Kosten für die Verpflegung des Beschuldigten während der
Untersuchungshaft schließen die Auslagen für Kost, Lagerstätte, Beheizung,
Licht, die etwa nöthige Beischaffung, sowie die Reinigung der Wäsche und
Kleidung und allenfällige (!) Krankheits- und Entbindungskosten in sich.
Hinsichtlich
der Krankheits- und Entbindungskosten werden den einzelnen Verhafteten die für
sie wirklich aufgelaufenen Auslagen angerechnet; hinsichtlich aller übrigen
Verpflegungskosten ist für den Sprengel eines jeden Gerichtshofes zweiter
Instanz von diesem alljährlich und bei sehr bedeutenden Preisänderungen auch
öfters der für jeden Verhafteten auf einen Tag entfallende Betrag festzusetzen,
in welchem die Vergütung dieser Verpflegskosten (!) zu geschehen hat, insoweit
nicht etwa ein Verhafteter sich die Verpflegung aus eigenem Vermögen
beigeschafft hat.
Denn
an den verschiedenen Orten, wo sich Strafgerichte befinden, sehr große
Preisunterschiede hinsichtlich der Lebensmittel bestehen, so kann der Betrag
dieser Verpflegungskosten für verschiedene Gerichte im Sprengel desselben
Gerichtshofes zweiter Instanz verschieden festgesetzt werden.
§.
388. Die von einem Verurtheilten zu ersetzenden Kosten für die Vollstreckung
des Strafurtheils umfassen bei Freiheitsstrafen nicht blos die bestrittenen
Auslagen für Verpflegung (§. 387), sondern auch jenen Antheil an den Kosten der
Bewachung und Verwaltung des Strafortes, welcher auf jeden Sträfling in der
Strafhaft entfällt. Die Bemessung dieser Kosten wird durch besondere
Verordnungen geregelt.
Die
Kosten der Vollstreckung einer anderen Strafe werden von Fall zu Fall
festgestellt.
§.
389. Wird der Angeklagte durch ein Strafurtheil einer strafbaren Handlung
schuldig erkannt, so ist in dem Urtheile zugleich auszudrücken, daß er auch die
Kosten des Strafverfahrens zu ersetzen habe.
Doch
hat der Gerichtshof in dem Falle, wenn sich das Verfahren auf mehrere strafbare
Handlungen bezog, die Kosten hinsichtlich derjenigen Handlungen, deren der
Angeklagte nicht für schuldig erkannt wird, soweit es thunlich ist, von dem
Ersatze auszuscheiden.
Die
Verpflichtung zum Ersatze der Kosten trifft jedoch den rechtskräftig
Verurtheilten nur für seine Person, und insoferne er nach eingetretener
Rechtskraft des Urtheils gestorben ist, seinen Nachlaß; keineswegs aber dritte
Personen, welche nach dem Gesetze oder aus übernommener Pflicht für dessen
Unterhalt zu sorgen haben. Von mehreren Mitbetheiligten ist jeder Einzelne zur
Tragung derjenigen Kosten zu verurtheilen, welche durch seine Verpflegung in
der Untersuchungshaft, seine Vertheidigung, den Strafvollzug oder durch
besondere, nur bei ihm eingetretene Ereignisse oder durch sein besonderes
Verschulden entstanden sind. Zur Bezahlung aller anderen Kosten des
Strafverfahrens sind sämmtliche Mitschuldige und Theilnehmer zur ungetheilten
Hand zu verurtheilen, soferne der Gerichtshof nicht besondere Gründe findet,
eine Beschränkung dieser Haftung eintreten zu lassen.
(478)
§. 390. Wird das Strafverfahren auf andere Weise als durch ein verurtheilendes
Erkenntniß beendigt, so sind die Kosten in der Regel von dem Staate zu tragen.
Insoweit aber das Strafverfahren auf Begehren eines Privatanklägers oder in
Gemäßheit des §. 48 lediglich auf Antrag des Privatbetheiligten stattgefunden
hat, ist diesen der Ersatz aller in Folge ihres
Einschreitens
aufgelaufenen Kosten durch Beschluß des Gerichtes aufzutragen.
Für
diejenigen besonderen Kosten, welche durch Ergreifung eines ordentlichen
Rechtsmittels oder durch das Begehren um Wiederaufnahme des Verfahrens
herbeigeführt werden, haftet Derjenige, welcher das Rechtsmittel ergriffen oder
das erwähnte Begehren gestellt hat, insoferne das erstere ganz erfolglos
geblieben oder das letztere abgewiesen worden ist.
Die
Staatsanwaltschaft kann nie zum Ersatze der Kosten verurtheilt werden.
Wurde
endlich das Strafverfahren durch wissentlich falsche Anzeige veranlaßt, so hat
die Kosten der Anzeiger zu ersetzen.
§.
391. Die Kosten des Strafverfahrens sind jedoch von dem Verurtheilten nun
insoweit einzutreiben, als er dadurch nach dem Ermessen des Gerichts weder an
seinem Nahrungsstande gefährdet, noch an der Erfüllung derjenigen Pflichten
gehindert wird, welche ihm zur Leistung einer aus der strafbaren Handlung
entspringenden Entschädigung oder zur Ernährung seiner Angehörigen obliegen.
Personen,
für welche während ihrer Verhaftung Alimentationsbeträge angewiesen werden,
haben aus denselben die für sie aufgewendeten Verpflegungskosten zu vergüten.
Die
Entscheidung über die Einbringlichkeit der Kosten soll, soweit thunlich, gleich
bei Schöpfung des Erkenntnisses erfolgen.
§.
392. In jenen Fällen, wo die Beschwerde über den Kostenpunkt nicht ohnehin mit
dem wider das Urtheil offenstehenden Rechtsmittel angebracht werden kann, steht
Jedem, der sich durch eine Entscheidung oder Verfügung eines Gerichtes in
Ansehung der Kosten gekränkt erachtet, frei, sich darüber insbesondere bei dem
Gerichtshofe zweiter Instanz zu beschweren. Die Beschwerden sind bei dem
Gerichte, welches in erster Instanz entschieden hat, längstens binnen vierzehn
Tagen zu überreichen und von diesem an den Gerichtshof zweiter Instanz
einzubegleiten, welcher darüber endgiltig entscheidet.
§.
393. Wer sich im Strafverfahren eines Vertreters bedient, hat in der Regel auch
die für diese Vertretung auflaufenden Kosten, und zwar selbst in dem Falle zu
zahlen, wenn ihm ein solcher Vertreter von Amtswegen bestellt wird.
Wurde
dem Angeklagten ein Armenvertreter beigegeben, so sind demselben auf sein
Verlangen die nöthig gewesen und wirklich bestrittenen baren Auslagen und zwar
aus dem Staatsschatze zu vergüten.
In
jenen Fällen, in welchen dem Beschuldigten, dem Privatankläger, dem
Privatbetheiligten (§. 48) oder Demjenigen, der eine wissentliche falsche
Anzeige gemacht, der Ersatz der Proceßkosten überhaupt zur Last fällt, haben
diese Personen auch alle Kosten der Vertheidigung und der Vertretung zu
ersetzen.
§.
394. Gebührt dem Vertreter einer Partei eine Belohnung, so ist die Bestimmung
derselben sowohl in dem Falle, wenn sich der Beschuldigte, der Privatankläger
oder der Privatbetheiligte selbst einen solchen wählte, als auch dann, wenn dem
Angeklagten ein Vertheidiger vom Gerichte bestellt wurde, dem freien
Uebereinkommen zwischen dem Vertreter und dem Zahlungspflichtigen überlassen.
§.
395. Im Falle zwischen einer Partei und ihrem Vertreter über die Gebühren für
die geleistete Vertretung sein Uebereinkommen zu Stande kommt, steht jedem
Theile frei, bei demjeningen Gerichte, welches zur Entscheidung erster Instanz
berufen war, um die Bestimmung dieser Gebühren anzusuchen, es möge sich die
Vertretung auf das Vorverfahren, auf die Hauptverhandlung
(479)
oder auf die Verfassung von Schriften bezogen haben. Ueber ein solches Gesuch
hat das Gericht die Gegenpartei zu vernehmen.
Bei
Bemessung dieser Gebühren sind die Gerichtshöfe an seinen bestimmten Betrag
gebunden, sondern sie haben hiebei das wesentliche Verdienst des Vertreters zu
würdigen, daher insbesondere die auf die Herbeischaffung von Beweismitteln und
auf die Vertretung selbst verwendete Zeit, Mühe und bare Auslagen zu
berücksichtigen.
Gegen
die von dem Gerichte erster Instanz ausgesprochene Gebührenbestimmung steht
beiden Theilen binnen vierzehn Tagen, vom Tage der Zustellung des Beschlusses,
die Beschwerde an den Gerichtshof zweiter Instanz zu, welcher darüber endgiltig
entscheidet.
In
gleicher Weise ist vorzugehen, wenn über die Höhe der nach §. 393, Absatz 3, zu
ersetzenden Kosten ein Uebereinkommen nicht erzielt wird.
XXIII.
Hauptstück.
Von
der Vollstreckung der Urtheile.
§.
396. Jeder durch ein Urtheil freigesprochene Angeklagte ist, wenn er verhaftet
war, sogleich nach der Verkündung des Urtheils in Freiheit zu setzen; es wäre
denn, daß die Ergreifung eines Rechtsmittels mit aufschiebender Wirkung oder
andere gesetzliche Gründe seine Verwahrung nöthig machten.
§.
397. Jedes Strafurtheil ist ungesäumt in Vollzug zu setzen, sobald feststeht,
daß der Vollstreckung nicht ein gesetzliches Hinderniß und insbesondere nicht
rechtzeitig und von einem hiezu Berechtigten ergriffenes Rechtsmittel, dem das
Gesetz aufschiebende Wirkung beimisst (§. 284, Absatz 3, §. 294, Absatz 1, §.
346) entgegensteht. Ist ein Rechtsmittel zu Gunsten des verhafteten Angeklagten
von solchen Personen ergriffen worden, welche hiezu gegen seinen Willen nicht
berechtigt sind, so ist der Angeklagte hievon in Kenntniß zu setzen und über
den dadurch herbeigeführten Aufschub der Strafvollstreckung zu belehren.
Dasselbe hat zu geschehen, wenn es zweifelhaft ist, ob der verhaftete
Angeklagte der Einlegung des Rechtsmittels durch seinen Vertheidiger zugestimmt
habe. Die Vollstreckung des Strafurtheiles wird, soweit nicht in diesem Gesetze
etwas anderes bestimmt ist (§§. 402, 405, Absatz 2, 407-409) von dem Vorsteher
jenes Gerichtes, welches in der Sache in erster Instanz erkannt hat,
angeordnet.
§.
398. Wenn der zum Tode oder zu einer Freiheitsstrafe Verurtheilte zur Zeit, wo
das Strafurtheil in Vollzug gesetzt werden soll, geisteskrank oder körperlich
schwer krank, oder die Verurtheilte schwanger ist, hat die Vollziehung solange
zu unterbleiben, bis dieser Zustand aufgehört hat. Nur dann kann der Vollzug
einer Freiheitsstrafe auch gegen eine Schwangere eingeleitet werden, wenn die
bis zu ihrer Entbindung fortdauernde Haft für sie härter sein würde, als die
zuerkannte Strafe.
§.
399. Ein Strafurtheil gegen eine Person, welche ein öffentliches Amt oder eine
öffentliche Würde bekleidet, ist, sobald es rechtskräftig wurde, dem
unmittelbaren Vorgesetzten derselben bekannt zu geben.
§.
400. Die Zeit, welche der zu einer Freiheitsstrafe Verurtheilte seit der
Verkündung des Urtheils erster Instanz in Haft zubrachte, ist insoweit die
Strafzeit einzurechnen, als der Eintritt der Strafe durch von dem Willen des
Verurtheilten unabhängige Umstände, insbesondere auch durch Ergreifung eines
Rechtsmittels von Seite solcher Personen verzögert wurde, die hiezu auch gegen
seinen Willen berechtigt waren. Die Einrechnung findet außerdem
(480)
dann statt, wenn ein zu Gunsten des Verurtheilten ergriffenes Rechtsmittel auch
nur theilweise Erfolg hatte.
§.
401. Der Beginn des Vollzugs einer Freiheitsstrafe, welche nicht sechs Monate
übersteigt, kann auf kurze Zeit aufgeschoben werden, wenn durch deren
unverzügliche Vollstreckung der Erwerb des Verurtheilten oder der Unterhalt
seiner schuldlosen Familie gefährdet würde, und eine Entweichung desselben
nicht zu besorgen ist. Diesen Aufschub kann der Gerichtshof erster Instanz in
einer Versammlung von vier Richtern, wovon einer den Vorsitz führt, nach
Vernehmung des Staatsanwaltes für eine Zeit von höchstens sechs Wochen
bewilligen. Ein längerer Aufschub kann nur auf Antrag des Gerichtes erster
Instanz von Gerichtshofe zweiter Instanz aus besonders wichtigen Gründen
bewilliget werden. Das Ansuchen um eine solchen Strafaufschub ist bei dem
Gerichte erster Instanz anzubringen, welches dasselbe zurückzuweisen hat, wenn
es nicht auf Bewilligung anzutragen erachtet. Gegen die bezüglichen
Entscheidungen findet kein Rechtsmittel statt.
Der
Vollzug der gegen eine Militär- (Landwehr-) Person verhängten Freiheitsstrafe,
welche nicht sechs Monate übersteigt, ist auf Verlangen der zuständigen
Militär-(Landwehr-)Behörde zu verschieben, wenn der Verurtheilte zur
Dienstleistung einberufen wird.
Die
Vollstreckung der Freiheitsstrafe darf nicht unterbrochen werden.
§.
402. Zieht eine Verurtheilung nach dem Gesetze für den Verurtheilten den Verlust
des Adels, der Mitgliedschaft bei Gemeindevertretungen oder bei anderen zu
Besorgung öffentlicher Angelegenheiten berufenen Vertretungen oder den Verlust
von Aemtern, Diensten, Titeln, Würden und Orden, den zeitigen Verlust des
Wahlrechtes oder der Wählbarkeit zu den erwähnten Vertretungen oder den Verlust
von anderen Rechten und Befugnissen oder von Bezügen aus öffentlichen Cassen
nach sich, so ist eine Abschrift des rechtskräftigen Urtheils von dem
Strafgerichte auch derjenigen Behörde mitzutheilen, welcher die deßhalb
erforderlichen Vorkehrungen zustehen.
Muß
in Folge eines Strafurtheiles eine der im §. 158 erwähnten Personen verhaftet
werden, so ist deren unmittelbarem Vorgesetzten eine Abschrift des in
Rechtskraft erwachsenen Erkenntnisses ungesäumt zuzustellen (§. 83).
Für
die Beobachtung der hinsichtlich der Anzeigen über erfolgte Verurtheilungen
bestehenden Vorschriften hat der Staatsanwalt zu sorgen.
§.
403. Die Vollstreckung von Todesurtheilen geschieht am nächsten Morgen nach dem
Tage, an welchen dem Verurtheilten eröffnet worden ist, daß die Strafe wegen
nicht eingetretener Begnadigung an ihm werde vollzogen werden. Diese Eröffnung
geschieht im Gerichtshause in Gegenwart eines Vorsitzenden, zweier Richter und
des Staatsanwaltes. Das Strafgericht hat darauf zu sehen, daß die Vollziehung
weder auf einen Sonn- oder Feiertag, noch auf einen solchen Tag falle, welcher
nach dem Religionsbekenntnisse des Verurtheilten ein Festtag ist, und daß der
Vollstreckung an dem bestimmten Tage überhaupt kein Hinderniß im Wege stehe.
Nach
dieser Verkündung hat das Strafgericht dem Verurtheilten einen Seelsorger
seines Religionsbekenntnisses beizugeben, insoferne er sich nicht selbst einen
solchen wählt, und ihm nöthigen Falles zu bedeuten, daß weder seine Ablehnung
der Vorbereitung zum Tode, noch ein von wem immer überreichtes
Begnadigungsgesuch die Vollstreckung der Todesstrafe hemmen könne.
Der
Zutritt zu dem Verurtheilten ist außer den durch ihre amtliche Stellung hiezu
Berufenen nur seinen Angehörigen und denjenigen Personen zu gestatten, die er
selbst zu sehen oder zu sprechen wünscht.
§.
404. Die Vollstreckung der Todesstrafe erfolgt innerhalb der Mauern des
Gefangenhauses oder in einem anderen umschlossenen Raume in Gegenwart einer
Gerichtscommission,
(481)
welche wenigstens aus drei Mitgliedern des Gerichtes und einem Protokollführer
bestehen muß, dann des Staatsanwaltes, eines Gerichtsarztes und des den
Verurtheilten begleitenden Seelsorgers. Der Vertheidiger, der Vorstand und die
Vertretung der Gemeinde, in deren Gebiet die Vollstreckung stattfindet, sind
von dem Orte und der Stunde der Vollstreckung, um derselben beiwohnen zu
können, in Kenntniß zu setzen.
Den
Beamten des Gerichtes, der Staatsanwaltschaft und den Sicherheitsbehörden,
ferner den nächsten Verwandten des Verurtheilten ist gestattet, der Hinrichtung
beizuwohnen. Soweit es der Raum zuläßt, kann dies auch außerdem achtbaren
Männern gestattet werden.
Ist
das Todesurtheil an Mehreren zu vollstrecken, so ist die Veranstaltung zu
treffen, daß Keiner die Hinrichtung des Anderen sehen könne.
Das
Strafurtheil sammt einer kurzen Darstellung der That ist in Druck zu legen und
nach der Hinrichtung zu vertheilen.
Der
Körper des Hingerichteten ist bei Nacht mit Vermeidung alles Aufsehens an einem
besonders dazu bestimmten Platze zu begraben; derselbe kann aber seiner Familie
auf deren Begehren zur Beerdigung ausgefolgt werden, wenn sein Bedenken dagegen
obwaltet. Auch in diesem Falle darf die Beerdigung nur im Stillen und ohne
alles Gepränge stattfinden. Solange die Leiche nicht weggebracht ist, ist außer
den oben erwähnten Personen Niemand zu dem Orte der Hinrichtung zuzulassen.
§.
405. Sträflinge, welche wegen eines Verbrechens zu einer mehr als einjährigen
Freiheitsstrafe verurtheilt sind, haben die Strafen an denjenigen Orten zu
bestehen, welche durch besondere Vorschriften hiezu angewiesen werden. Andere
Freiheitsstrafen sind in der Regel bei dem Strafgerichte, welches das Urtheil
in erster Instanz erlassen hat, zu vollziehen. Der Staatsanwalt veranlaßt die
Ablieferung des Verurtheilten in die Strafanstalt und theilt derselben eine
genaue Auskunftstabelle über die Verhältnisse des Verurtheilten mit.
§.
406. Bei Freiheitsstrafen, welche bei dem erkennenden Gerichte zu vollziehen
wären, kann der Gerichtshof zweiter Instanz wegen Ueberfüllung der Gefängnisse,
zur Ersparung unverhältnißmäßiger Reise- oder Transportauslagen oder aus
anderen wichtigen Gründen die Vollstreckung bei einem anderen Gerichtshofe
seines Sprengels bewilligen. Soll diese Vollstreckung außerhalb des Sprengels
des Gerichtshofes zweiter Instanz erfolgen, so ist die Entscheidung des
Justizministers einzuholen.
§.
407. Ist durch ein Strafurtheil die Landesverweisung des Verurtheilten nach
ausgestandener Strafe oder dessen Abschaffung aus einem der im Rechtsrathe
vertretenen Länder oder aus allen ausgesprochen, so ist von der
Staatsanwaltschaft die Anzeige hievon an den Landeschef desjenigen Landes, in
dem das Strafgericht gelegen ist, zu erstatten.
Bezieht
sich die Abschaffung nur auf einen einzigen Ort oder Bezirk, so sind die
unterste politische und die Sicherheitsbehörde hievon zu verständigen.
§.
408. Zieht ein Strafurtheil den Verfall von Waaren, Feilschaften, oder
Geräthen, die Vernichtung oder Zerstörung von Geräthschaften oder anderen Gegenständen,
den Verlust eines Gewerbes oder anderer Rechte und Befugnisse nach sich, so hat
der Staatsanwalt mit denjenigen Behörden in das Einvernehmen zu setzen, in
deren Wirkungskreis die Vorkehrung der hiezu erforderlichen Maßregeln
einschlägt.
§.
409. Die Einbringung der Kosten des Strafverfahrens (§. 381) und der
Geldstrafen erfolgt nach den dafür bestehenden Vorschriften.
§.
410. Wenn nach eingetretener Rechtskraft eines Strafurtheils Milderungsgründe
hervorkommen, welche zur Zeit der Urtheilsfällung noch nicht vorhanden oder
doch nicht bekannt waren, und welche zwar nicht die Anwendung eines anderen
Strafsatzes, aber doch
(482)
offenbar eine mildere Bemessung der Strafe herbeigeführt haben würden, so hat
der Gerichtshof erster Instanz (§. 401), sobald er sich von dem Vorhandensein
dieser Milderungsgründe überzeugt, einen Antrag auf angemessene Milderung der
Strafe an den Gerichtshof zweiter Instanz zu stellen, welcher über den Antrag
nach Anhörung des Oberstaatsanwaltes entscheidet.
Gegen
die Ablehnung eines auf Strafmilderung gerichteten Gesuches oder Antrages
findet kein Rechtsmittel statt.
Tritt
der Gerichtshof zweiter Instanz dem Antrage auf Milderung einer vom
Cassationshofe bemessenen Strafe bei, so hat er diesen Antrag dem
Cassationshofe vorzulegen, welcher darüber nach Anhörung des Generalprocurators
endgiltig entscheidet.
§.
411. Eine in dem Gesetze nicht vorbedachte Nachsicht oder Milderung der Strafe
steht nur dem Kaiser zu. Gnadengesuche haben keine aufschiebende Wirkung. Sie
sind, soferne nicht einzelnen Fällen besondere höhere Aufträge ergehen, nach
dem folgenden Bestimmungen zu behandeln: Bringt ein Verurtheilter nach Antritt
der Strafe bei dem Vorsteher der Strafe der Strafanstalt oder bei dem zur
Visitation derselben abgesandten Beamten ein Gnadengesuch an, so ist dasselbe
mit der Aeußerung des Vorstehers über das Betragen und den Gesundheitszustand
des Sträflings dem Gerichte, welches in erster Instanz erkannt hat (§. 401), zu
übermitteln.
Dieses
Gericht, an welches auch alle anderen Gnadengesuche zu leiten sind, hat das
Gesuch zu prüfen und dasselbe zurückzuweisen, wenn es nicht findet, daß
wichtige Gründe für die Milderung oder Nachsicht der Strafe sprechen. Im
entgegengesetzten Falle legt es dasselbe mit seinem Antrage dem Gerichtshofe zweiter
Instanz vor, welcher darüber nach Anhörung des Oberstaatsanwaltes Beschluß faßt
und das Gesuch entweder zurückweist oder dasselbe mit seinem Antrage dem
Justizminister vorlegt. Hat über das Urtheil der Cassationshof auf Grund des §.
288, Z. 3 oder des §. 350, Abs.1, entschieden, so ist der das Gnadengesuch
befürwortende Antrag des Gerichtshofes zweiter Instanz an den Cassationshof zu
richten, welcher nach Anhörung des Generalprocurators entscheidet, ob das
Gesuch zurückzuweisen oder bei dem Justizminister zu befürworten sei.
Gegen
die Zurückweisung eines Gnadengesuches durch eines der genannten Gerichte
findet keine Beschwerde statt.
XXIV.
Hauptstück.
Von
dem Verfahren wider Unbekannte, Abwesende und Flüchtige.
I.
Verfahren gegen Unbekannte, Abwesende oder Flüchtige während der
Voruntersuchung.
§.
412. Wenn der Thäter eines Verbrechens oder Vergehens nicht bekannt ist oder
nicht vor Gericht gestellt werden kann, so muß doch die Erhebung der
Beschaffenheit der That auf Antrag des Staatsanwaltes mit der
vorschriftsmäßigen Sorgfalt und Genauigkeit gepflogen werden. Das Verfahren ist
in solchen Fällen erst, wenn keine Anhaltspunkte zu weiteren Nachforschungen
mehr vorhanden sind, bis zur künftigen Entdeckung oder Auffindung des Thäters
einzustellen.
§.
413. Wenn ein Abwesender, von dem es jedoch nicht wahrscheinlich ist, dass er
flüchtig geworden sei, eines Verbrechens oder Vergehens beschuldigt erscheint,
und die Bedingungen zu einem Haftbefehle nach §. 175 nicht vorhanden sind, so
ist nur die Erforschung seines Aufenthaltes einzuleiten und erst, wenn er nach
dessen Ermittlung auf die an ihn ergangene Vorladung nicht erscheint, ist ein
Vorführungsbefehl gegen ihn zu erlassen, oder sind nach Beschaffenheit
(483)
der Umstände die in dem folgenden Paragraphe bezeichneten Maßregeln wider ihn
anzuwenden.
§.
414. Ist von dem Beschuldigten den Umständen nach anzunehmen, daß er die Flucht
ergriffen habe, oder wird ein Abwesender eines Verbrechens oder Vergehens unter
Umständen beschuldigt, welche nach §. 175 dessen Verhaftung rechtfertigen
würden, so haben sich die mit der Erforschung und Verfolgung der Verbrechen und
Vergehen beauftragten Behörden zur Habhaftwerdung des Beschuldigten nach
Umständen der Hausdurchsuchung, der Ersuchschreiben an andere Behörden, in deren
Bereich er anzutreffen sein dürfte, der gerichtlichen Nacheile oder Steckbriefe
zu bedienen.
§.
415. Läßt sich hoffen, einen flüchtig gewordenen Verdächtigen durch Nacheile zu
erreichen, so sind der Untersuchungsrichter und in dringenden Fällen die Bezirksgerichte
und Sicherheitsbehörden verpflichtet, denselben durch hiezu bestellte Personen,
welche mit offenen Beglaubigungsschreiben zu versehen sind, verfolgen zu
lassen. Sie sind dabei nicht auf ihren Bezirk beschränkt, sondern können diese
Verfolgung bis an die Gränzen der im Reichsrathe vertretenen Länder ausdehnen.
Alle Gerichte und Sicherheitsbehörden sind den Nacheilenden beizustehen
verpflichtet.
§.
416. Steckbriefe dürfen gegen Flüchtige und gegen solche Abwesende, deren
Aufenthaltsort unbekannt ist, nur dann erlassen werden, wenn dieselben eines
Verbrechens dringend verdächtig erscheinen. In der Regel steht die Ausfertigung
von Steckbriefen der Rathskammer, in dringenden Fällen aber der
Untersuchungsrichter allein zu.
Ein
Steckbrief ist auch auszufertigen, wenn ein wegen eines Verbrechens Verhafteter
aus dem Untersuchungs- oder Strafgefängnisse entweicht.
Gegen
die nur eines Vergehens Beschuldigten kann kein Steckbrief erlassen, wenn
jedoch an deren Habhaftwerdung sehr gelegen ist, kann den Behörden eine
Beschreibung ihrer Person mit der Aufforderung mitgetheilt werden, in Fällen
der Auffindung an das Strafgericht, welches die Personenbeschreibung erlassen
hat, die Mittheilung zu machen.
§.
417. In jedem Steckbriefe ist das Verbrechen, dessen der Beschuldigte
verdächtig geworden ist, zu benennen, seine Personen so genau als möglich zu
beschreiben und das an alle Gerichte und Sicherheitsbehörden gerichtete
Ersuchen um vorläufige Festnehmung und Einlieferung desselben beizufügen. Die
Steckbriefe sind nach den bestehenden Vorschriften
zu
verbreiten und insbesondere auf das schleunigste allen Bezirksgerichten,
Sicherheitsbehörden und Aufsichtsorganen der Umgebung mitzutheilen. Nach
Erforderniß ist auch eine weitere Verbreitung der Steckbriefe und nach Umständen
deren Kundmachung durch die öffentlichen Blätter zu veranlassen.
Wie
mit Steckbriefen, so ist auch mit der Beschreibung und Kundmachung von
gestohlenen oder geraubten Sachen, von Gegenständen eines verübten Betruges,
einer unternommenen Verfälschung öffentlicher Creditpapiere oder Münzen
vorzugehen. Wenn eine solche Beschreibung Gegenstände von größerem Werthe oder
von solcher Beschaffenheit betrifft, daß Hoffnung vorhanden ist, durch ihre
Bekanntmachung den Thäter selbst zu entdecken, oder noch ferneres Uebel zu
verhindern, oder demjenigen, der Schaden leidet, Entschädigung zu verschaffen,
so kann die Bekanntmachung sogleich vorgenommen werden. Bei Beschreibung
verfälschter öffentlicher Creditpapiere oder Münzen aber muß vorläufig die
Anzeige an den Gerichtshof zweiter Instanz gemacht und dessen Weisung
abgewartet werden.
Jedermann
ist verpflichtet, dasjenige, was er von den beschriebenen Gegenständen erfährt,
sogleich der Obrigkeit anzuzeigen.
§.
418. Sobald die Gründe, welche den Steckbrief oder die Beschreibung veranlaßt
haben, entfallen, ist der Widerruf unverzüglich zu veranlassen.
(484)
§. 419. Einem abwesenden oder flüchtigen Beschuldigten, welcher sich gegen
sicheres Geleit vor dem Gerichte stellen zu wollen bereit erklärt, kann dieses
Geleit von dem Justizminister nach eingeholtem Gutachten des Oberstaatsanwaltes
an dem Gerichtshofe zweiter Instanz, in dessen Sprengel das untersuchende
Gericht sich befindet, allenfalls gegen Sicherheitsleistung mit der Wirkung
ertheilt werden, daß der Beschuldigte bis zu der Urtheilsfällung in erster
Instanz von der Haft befreit bleiben soll.
§.
420. Das sichere Geleit äußert seine Wirkung nur in Bezeichnung auf das
Verbrechen oder Vergehen, in Ansehung dessen es ertheilt ist. Es verliert seine
Wirkung, wenn der Beschuldigte auf eine an ihn ergangene Vorladung ohne
genügende Rechtfertigung ausbleibt, wenn er Anstalten zur Flucht macht, wenn er
sich der Fortsetzung der Untersuchung durch die Flucht oder durch Verbergen
seines Aufenthaltes entzieht oder wenn er eine der Bedingungen nicht erfüllt,
unter welchen ihm das sichere Geleit ertheilt worden ist.
II.
Verfahren gegen Abwesende und Flüchtige nach dem Schlusse der Voruntersuchung.
§.
421. Erhebt am Schlusse der Voruntersuchung der Ankläger die Anklage wegen eines
Verbrechens oder Vergehens gegen einen Beschuldigten, dessen Aufenthaltsort
unbekannt ist oder nicht in einem der im Reichsrathe vertretenen Länder liegt,
so ist die Anklageschrift dem hiefür zu bestellenden Vertheidiger zuzustellen,
welcher berechtigt ist, binnen acht Tagen nach dieser Zustellung den Einspruch
anzumelden und auszuführen. Im Uebrigen finden die Bestimmungen des XVI.
Hauptstückes auch in diesem Falle Anwendung.
Die
rechtskräftig gewordene Versetzung in den Anklagestand ist zu veröffentlichen
und zwar, wenn es sich um ein Verbrechen handelt, in Form eines Steckbriefes.
Ist
Aussicht vorhanden, daß die Auslieferung des im Auslande befindlichen
Beschuldigten in Gemäßheit der bestehenden Staatsverträge erwirkt werden
könnte, so hat sich das Gericht nach Anhörung des Staatsanwaltes im
vorgeschriebenen Wege an die ausländische Strafgerichtsbehörde, in deren Bezirk
sich der Angeklagte befindet, zu wenden. Sollten der Auslieferung
Schwierigkeiten entgegengesetzt werden, so ist wegen deren Behebung durch den
Gerichtshof zweiter Instanz an den Justizminister zu berichten.
Dasselbe
hat zu geschehen, wenn die Auslieferung eines Beschuldigten, welcher sich in
einem zur ungarischen Krone gehörigen Lande befindet, von den dortigen Behörden
verweigert wird.
Wenn
der Angeklagte später sich stellt oder ergriffen wird, so ist ihm die
Anklageschrift und das über den Einspruch ergangene Erkenntniß mitzutheilen.
Ist die Versetzung in den Anklagestand bereits rechtskräftig geworden und gibt
der Angeklagte zu seiner Vertheidigung Umstände an, deren Erhebung er verlangt,
so ist nach Vorschrift des §. 224 vorzugehen.
III.
Ungehorsamverfahren gegen Abwesende und Flüchtige.
§.
422. Nach erfolgter Versetzung in den Anklagestand hat das Strafverfahren gegen
Solche, welchen die Vorladung zur Hauptverhandlung wegen ihrer Abwesenheit
nicht zugestellt werden kann, bis zu ihrer Vertretung auf sich beruhen.
Nur
wenn der Ankläger die Einleitung des Ungehorsamverfahrens ausdrücklich begehrt,
hat der zur Abgabe des Straferkenntnisses zuständige Gerichtshof dieses
Verfahren mittelst öffentlicher Vorladung einzuleiten.
§.
423. Die öffentliche Vorladung muß erhalten:
1.
den Vor- und Zunamen, das Alter, den Geburtsort, Stand oder das Gewerbe und den
Wohnort des Angeklagten, soweit dieß Alles bekannt ist;
2.
die Bezeichnung des Verbrechens mit den den Strafsatz bedingenden Umständen;
(485)
3. die Aufforderung an den Angeklagten, binnen einer angemessenen Frist, welche
auf wenigstens einen Monat festzusetzen ist, bei dem Gerichte zu erscheinen und
sich wegen der ihm zur Last gelegten That zu verantworten, widrigens gegen ihn
als einen Ungehorsamen nach dem Gesetze verfahren und ihm die Ausübung der
staatsbürgerlichen Rechte werde untersagt werden.
§.
424. Diese öffentliche Vorladung ist an dem Orte, wo das Verbrechen begangen
wurde, an dem Sitze des Gerichtshofes erster Instanz, sowie an dem Wohnorte
oder letzten Aufenthaltsorte des Angeklagten anzuschlagen und in dem Amtsblatte
des Landes in angemessenen Zwischenräumen dreimal einzuschalten. Nach Umständen
kann auch deren Einschaltung in andere in- und ausländische Blätter verfügt
werden. Außerdem ist diese Vorladung dem etwa bekannten Bevollmächtigen des
Angeklagten, seinem Vormunde oder Ehegatten oder einem seiner nahen Verwandten
besonders zu eröffnen. Die Veröffentlichung dieser Vorladung besorgt der
Ankläger.
§.
425. Stellt sich der Angeklagte nicht während der in der Vorladung
festgesetzten Frist (§. 423), so erkennt auf Antrag des Anklägers die
Rathskammer, dass dem Angeklagten während seiner Abwesenheit die Ausübung der
staatsbürgerlichen Rechte untersagt sei. Der Einleitung oder Fortsetzung eines
Civilprocesses gegen den Angeklagten steht der Umstand, daß über die gegen ihn
erhobene Anklage die strafgerichtliche Entscheidung noch nicht erfolgt ist,
fortan nicht im Wege.
§.
426. Wenn der Angeklagte sich stellt oder in der Folge betreten wird, so ist
auf Antrag des Anklägers nach Vorschrift des XVIII. Hauptstückes weiter zu
verfahren.
§.
427. Ist der Angeklagte bei der Hauptverhandlung nicht erschienen, so kann in
seiner Abwesenheit die Hauptverhandlung vorgenommen und das Urtheil gefällt
werden, jedoch bei sonstiger Nichtigkeit nur dann, wenn es sich um ein
höchstens mit fünfjähriger Freiheitsstrafe bedrohtes Verbrechen oder um einen
Vergehen handelt, der Angeklagte bereits in der Voruntersuchung vernommen und
ihm die Vorladung zur Hauptverhandlung noch persönlich zugestellt wurde. In
diesem Falle wird dem Angeklagten das Urtheil durch einen hiezu bestimmten
Richter eröffnet oder in Abschrift zugestellt. Ist dieß wegen seiner
Abwesenheit nicht möglich, so ist das Urtheil auf die im §. 424 angegebene Art
zu veröffentlichen.
Kann
jedoch die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten nicht vorgenommen
oder fortgesetzt werden, weil den vorstehend bezeichneten Bedingungen nicht
entsprochen ist, oder weil der Gerichtshof erachtet, daß in Abwesenheit des
Angeklagten eine vollkommen beruhigende Aufklärung des Sachverhalts nicht zu
erwarten sei, so ist nach §. 221 vorzugehen. Kann die Vorführung des
Angeklagten nicht bewerkstelligt werden, so steht es dem Ankläger frei, auf
Einleitung des in den §§. 423-426 bezeichneten Verfahrens anzutragen; die im §.
423 unter 3 erwähnte Frist kann in diesem Falle auf vierzehn Tage abgekürzt
werden.
Gegen
das in Abwesenheit des Angeklagten gefällte Urtheil kann dieser beim
Gerichtshof erster Instanz innerhalb der zur Anmeldung der
Nichtigkeitsbeschwerde bestimmten Frist Einspruch erheben. Diesem Einspruch ist
stattzugeben, wenn nachgewiesen wird, daß der Angeklagte durch ein
unabweisbares Hinderniß abgehalten wurde, in der
Hauptverhandlung
zu erscheinen. In diesem Falle ist eine neuerliche Hauptverhandlung anzuordnen.
Bleibt der Angeklagte auch bei dieser aus, so ist das durch Einspruch
angefochtene Urtheil ihm gegenüber als rechtskräftig anzusehen. Ueber den
Einspruch entscheidet der Gerichtshof zweiter Instanz nach Anhörung des
Oberstaatsanwaltes in nicht öffentlicher Sitzung. Weist er den Einspruch
zurück, so steht dem Angeklagten gegen das Urtheil ein Rechtsmittel nicht mehr
offen. Hat der Verurtheilte zugleich mit dem Einspruche die
Nichtigkeitsbeschwerde oder die Berufung ergriffen, oder liegt eine von anderer
Seite ergriffene Berufung oder Nichtigkeitsbeschwerde vor, so ist von jenem
Gerichte, welchem die Acten nach Vorschrift der §§. 285
(486)
und 294 vorgelegt werden, vorerst über den Einspruch in nicht öffentlicher
Sitzung nach Anhörung der Staatsanwaltschaft zu entscheiden, und nur wenn
derselbe zurückgewiesen wird, in die Prüfung der Berufung oder Nichtigkeitsbeschwerde
einzugehen.
§.
428. Durch das Nichterscheinen eines Angeklagten und das dadurch veranlaßte
Ungehorsamverfahren darf das Verfahren gegen die abwesenden Mitangeklagten
nicht verzögert werden. Werden in solchen Fällen Gegenstände, die zur Ueberweisung
der Angeklagten dienen können, an die Eigenthümer zurückgestellt, so kann
diesen die Verpflichtung auferlegt werden, die Beweisstücke auf Begehren wieder
beizubringen. Zugleich ist eine genaue Beschreibung der zurückgestellten
Gegenstände zu den Acten zu bringen.
XXV.
Hauptstück.
Von
den standrechtlichen Verfahren.
I.
Einleitung des standrechtlichen Verfahrens.
§.
429. Das standrechtliche Verfahren kann in der Regel nur in den Fällen des
Aufruhrs stattfinden, wenn die übrigen gesetzlichen Mittel zu dessen
Unterdrückung nicht ausreichen. Die Erklärung, daß die Nothwendigkeit des
Standrechts vorhanden sei, steht dem Landeschef im Einverständnisse mit dem
Präsidenten des Gerichtshofes zweiter Instanz und mit dem Oberstaatsanwalte zu.
Wenn jedoch Gefahr auf dem Verzuge haftet, ist auch der Vorsteher der
politischen Bezirksbehörde berechtigt, diese Erklärung im Einverständnisse mit
dem Präsidenten des Gerichtshofes erster Instanz und dem Staatsanwalte zu
erlassen.
§.
430. Außerdem kann das standrechtliche Verfahren auch dann angeordnet werden,
wenn in einzelnen oder mehreren Bezirken Mord, Raub, Brandlegung oder das im §.
85 des Strafgesetzes vorgesehene Verbrechen der öffentlichen Gewaltthätigkeit
in besonders gefahrdrohender Weise um sich greifen. Das Erkenntniß über die
Nothwendigkeit der Anwendung des Standrechtes steht in solchen Fällen dem
Minister des Inneren im Einverständisse mit dem Justizminister zu.
§.
431. Die Erklärung, daß das standrechtliche Verfahren einzutreten habe, ist in
denjenigen Gemeinden, für welche es angeordnet wurde, bei Trommelschlag oder
Trompetenschall zu verkünden und außerdem durch Mittheilung an die
Gemeindebehörden, durch Anschlag an öffentlichen Plätzen, durch öffentliche
Blätter und nach Umständen durch Verkündung von der Kanzel ohne Verzug zur
allgemeinen Kenntniß zu bringen, und auch dem General- oder Militär- und
Landwehrcommando des Kronlandes zur Verständigung der unterstehenden Truppen-
(Landwehr-) Körper bekannt zu geben.
§.
432. Die Bekanntmachung des standrechtlichen Verfahrens ist im Falle des
Aufruhrs mit dem Befehle zu verbinden, daß sich Jedermann von allen
aufrührerischen Zusammenrottungen, allen Aufreizungen hiezu und aller
Theilnahme daran zu enthalten und den zur Unterdrückung dieser Verbrechen
ergehenden Anordnungen der Obrigkeit zu fügen habe, widrigens Jeder, der sich
nach der Kundmachung derselben dieses Verbrechens schuldig macht,
standrechtlich gerichtet und mit dem Tode bestraft würde.
§.
433. Auf die im vorausgehenden Paragraphe angegebene Art ist auch bei
Bekanntmachung des Standrechts wegen eines der im §. 430 bezeichneten
Verbrechen vorzugehen. Nach Umständen kann das Standrecht auch nur gegen
Diejenigen bekannt gemacht werden, welche eines dieser Verbrechen auf eine
bestimmt bezeichnete, besondere Art begehen sollten.
(487)
In jedem dieser Fälle ist die Begehung des Verbrechens überhaupt oder in der
bezeichneten besonderen Art mit der Strafe des Todes zu bedrohen.
§.
434. Mit der Kundmachung des standrechtlichen Verfahrens wird der Gerichtshof
erster Instanz, in dessen Sprengel die Verkündung erfolgte, für alle in seinem
Bezirke verübten Verbrechen, auf welche sich das standrechtliche Verfahren nach
den Bestimmungen der §§. 432 und 433 zu erstrecken hat, sowie für die Mitschuld
und jede strafbare Betheiligung an denselben ausschließend zuständig, und zwar
ohne Rücksicht auf die gegen den Beschuldigten bei einem ordentlichen Gerichte
etwa anhängigen Untersuchungen.
Hat
der Beschuldigte mehrere strafbare Handlungen in verschiedenen Bezirken
begangen, und ist dadurch die Zuständigkeit mehrerer Standgerichte begründet,
so ist dasjenige Standgericht, vor welches er bereits gestellt wurde oder an
welches er zuerst abgeliefert werden kann, ausschließlich zuständig.
§.
435. Der Gerichtshof erster Instanz erkennt als Standgericht in Versammlungen
von vier Richtern, von denen einer den Vorsitz führt, mit Beiziehung eines
Protokollführers. Dasselbe kann nach dem Ermessen des Präsidenten an jedem Orte
des Bezirkes, für welchen das Standrecht verkündet wurde, seinen Sitz
aufschlagen, wovon die Verwaltungsbehörde unverweilt zu benachrichtigen ist.
§.
436. Sobald das standrechtliche Verfahren angeordnet ist, hat die
Verwaltungsbehörde mit der größten Beschleunigung Sorge zu tragen, daß von dem
nächsten Militärcommando die zur Sicherheit des Standrechtes nöthige Mannschaft
abgeordnet werde, daß an dem zur Abhaltung des Standrechtes bestimmten Orte die
nöthigen Amtsgeräthschaften bereit und ein Seelsorger, ein Gerichtsarzt, ferner
der Scharfrichter und dessen Gehilfen gegenwärtig seien, und daß der
Vollziehung der Todesstrafe, falls dieselbe verhängt werden sollte, kein
Hinderniß entgegenstehe.
II.
Verfahren vor dem Standgerichte.
§.
437. Dem Staatsanwalte bei dem Gerichtshofe erster Instanz oder dem für das
Standgericht besonders abgeordneten Mitgliede der Staatsanwaltschaft liegt ob,
die Einleitung des standrechtlichen Verfahrens gegen die Beschuldigten zu
veranlassen. Es ist dabei als Regel zu beobachten, daß nur solche Personen vor
das Standgericht gestellt werden, welche entweder auf der That ergriffen worden
sind, oder hinsichtlich welcher sich mit Grund erwarten läßt, es werde der
Beweis der Schuld gegen sie ohne Verzug hergestellt werden können.
Schwer
Erkrankte und Schwangere dürfen nicht vor das Standgericht gestellt werden.
§.
438. Das Standgericht ist auch zur Aburtheilung von Personen, die der
Militärgerichtsbarkeit unterstehen, zuständig, und es haben die Militärbehörden
dieselben über Verlangen des Standgerichtes auszuliefern. Werden solche
Militärpersonen bei einer Civilbehörde eingebracht, so ist hievon dem nächsten
Militärcommando unter Anführung des Namens, des Geburtsortes, der
Zuständigkeitsgemeinde und des Militärcharakters des Beschuldigten Mittheilung
zu machen.
§.
439. Das ganze Verfahren gegen einzelne Beschuldigte ist vom Anfange bis zum
Ende vor dem versammelten Gerichte und, so viel als möglich, ohne Unterbrechung
zu pflegen. Der Beschuldigte ist sogleich nach seiner Ergreifung vor das
Standgericht zu stellen, wenn nicht der Staatsanwalt das ordentliche Verfahren
anhängig zu machen findet, in welchem Falle aber eine Ablieferung an das
Standgericht nicht mehr zulässig ist. Die längste Dauer des Verfahrens gegen
den einzelnen Beschuldigten wird auf drei Tage festgesetzt, und ist diese Frist
von dem Zeitpunkte, da der Beschuldigte vor das Standgericht gestellt wurde (§.
441) zu rechnen.
(488)
§. 440. Das Verfahren vor dem Standgerichte ist mündlich und öffentlich. Der
Beschuldigte kann sich selbst den Vertheidiger wählen; macht er von diesem
Rechte keinen Gebrauch, so hat das Gericht den Vertheidiger von Amtswegen zu
ernennen.
§.
441. Der Staatsanwalt beginnt die Verhandlung mit einer Darstellung der dem
Beschuldigten zur Last liegenden Thatsachen. Bei dem Verhöre und bei Vorführung
der Beweismittel sind im Allgemeinen die Vorschriften der §§. 245-254 zu
beobachten.
Das
Verfahren hat sich in der Regel auf den Beweis der That zu beschränken, wegen
welcher das standrechtliche Verfahren eingeleitet worden ist. Es ist daher auf
andere strafbare Handlungen des Ergriffenen keine Rücksicht zu nehmen. Werden
diese im Wege des ordentlichen Strafverfahrens verfolgt, so hat das Gericht bei
Ausmessung der Strafe auf die vom Standgerichte ausgesprochene Freiheitsstrafe
(§. 442, Absatz 2) Rücksicht zu nehmen.
Das
Verfahren darf durch Erhebungen über die Entschädigung nicht aufgehalten
werden. Ebenso ist die Ausforschung der Mitschuldigen zwar nicht außer Acht zu
lassen, jedoch soll deßhalb die Schöpfung und Vollziehung des Erkenntnisses
gegen den Ergriffenen nicht aufgeschoben werden.
Nach
geschlossenem Beweisverfahren hat der Staatsanwalt die Ergebnisse desselben zu
entwickeln und seinen Antrag zu stellen. Der Beschuldigte und sein Vertheidiger
haben darauf zu antworten, und wenn der Staatsanwalt hierauf noch etwas zu erwidern
findet, gebührt dem Beschuldigten und seinem Vertheidiger jederzeit das Recht
der letzten Aeußerung.
§.
442. Hierauf wird von dem Gerichte das Urtheil in nichtöffentlicher Berathung
unter Beobachtung der Vorschriften der §§. 17, 19 bis 22, 258 und 267 gefällt
und unmittelbar darauf dem Beschuldigten in öffentlicher Sitzung verkündigt.
Wird der Beschuldigte einstimmig für schuldig erklärt, so hat das Standgericht
zugleich auf die Todesstrafe zu erkennen.
Nur
wenn bereits durch Vollziehung der Todesstrafe an Einem oder Mehreren der
Strafwürdigsten das zur Herstellung der Ruhe nöthige abschreckende Beispiel
gegeben ist, kann das Standgericht aus wichtigen Milderungsgründen gegen minder
Betheiligte auf schweren Kerker von fünf bis zwanzig Jahren erkennen. Dieselbe
Strafe ist gegen Diejenigen auszusprechen, welche zur Zeit des verübten
Verbrechens das Alter von zwanzig Jahren noch nicht zurückgelegt haben.
§.
443. Wenn die im §. 259 vorgesehenen Bedingungen eintreten, hat das
Standgericht auf Freisprechung des Beschuldigten zu erkennen und sofort dessen
Freilassung zu verfügen. Wenn das Standgericht sich nicht für zuständig
erachtet, wenn ein Todesurtheil nur wegen Mangels der Einstimmigkeit der
Richter nicht gefällt wird (§. 442, Absatz 1), oder wenn zwar die Herstellung
des Beweises der Schuld des Beschuldigten innerhalb der gesetzlichen Frist von
drei Tagen nicht möglich ist, wider denselben aber dringende Verdachtsgründe
vorliegen, daß er die ihm zur Last gelegte oder eine andere strafbare Handlung
verübt habe, so erkennt das Standgericht auf Ueberweisung des Beschuldigten an
den ordentlichen Richter, und hat in diesem Falle zugleich zu beschließen, ob
die Haft des Beschuldigten fortzudauern habe oder aufzuheben sei.
§.
444. Ueber die Verhandlung vor dem Standgerichte ist ein Protokoll nach
Vorschrift der §§. 271 und 272 aufzunehmen. Dasselbe ist von sämmtlichen
Richtern und dem Schriftführer zu unterzeichnen.
§.
445. Gegen die Urtheile des Standgerichtes findet kein Rechtsmittel statt, und
ein dagegen von wem immer eingebrachtes Gnadengesuch hat nie eine aufschiebende
Wirkung.
Die
Todesstrafe ist in der Regel zwei Stunden nach der Verkündung des Urtheiles zu
vollziehen; nur auf ausdrückliches Bitten des Verurtheilten kann demselben noch
eine dritte Stunde zu seiner Vorbereitung auf den Tod gestattet werden.
(489)
III. Aufhebung des standrechtlichen Verfahrens.
§.
446. Die Aufhebung des standrechtlichen Verfahrens steht den in den §§. 429 und
430 bezeichneten Personen zu. Dieselbe ist, wenn der Grund, der die Einleitung
des Standrechtes veranlaßte, weggefallen ist, sogleich auszusprechen und
jederzeit durch die öffentlichen Blätter kundzumachen.
Sobald
die Aufhebung des standrechtlichen Verfahrens dem Standgerichte mitgetheilt
ist, hört dessen Wirksamkeit auf. Alle noch anhängigen Untersuchungen, sowie
diejenigen, über welche Todesurtheile ergangen, aber noch nicht vollzogen sind,
müssen an die ordentlichen Gerichte abgegeben und von diesen als
Voruntersuchungen behandelt werden. Es ist darüber nach den allgemeinen
Vorschriften dieser Strafproceßordnung weiter zu verfahren. Alle von dem
Standgerichte erlassenen Urtheile sammt den Verhandlungsacten sind binnen
vierzehn Tagen nach Aufhebung des Standrechtes dem Oberstaatsanwalte
vorzulegen, welcher die ihm geeignet scheinenden Anträge zu stellen hat.
Ergeben
sich später Gründe zur Wiederaufnahme des Verfahrens, so ist darüber vor den
ordentlichen Gerichten nach Vorschrift des XX. Hauptstückes zu verhandeln.
XXVI.
Hauptstück.
Von
dem Verfahren in Uebertretungsfällen.
§.
447. Das Verfahren wegen jener strafbaren Handlungen, welche den
Bezirksgerichten zur Untersuchung und Bestrafung zugewiesen sind, richtet sich
zunächst nach den in dem gegenwärtigen Hauptstücke enthaltenen Vorschriften. In
allen jenen Punkten aber, worüber hier keine besondere Vorschrift ertheilt ist,
sind jene Bestimmungen in Anwendung zu bringen, welche für das Verfahren bei
Verbrechen und Vergehen gelten.
I.
Anklage.
§.
448. Die Verrichtungen der Staatsanwaltschaft werden durch die hiefür auf dem Verordnungswege
zu bezeichnenden Organe ausgeübt. Diese sind dabei dem Staatsanwalte am
Gerichtshofe erster Instanz, in dessen Sprengel sie sich befinden,
untergeordnet, haben dessen Weisungen zu befolgen und demselben alle Monate
einen Ausweis über die von ihnen verfolgten strafbaren Handlungen und den
Erfolg der getroffenen Einleitungen vorzulegen (§. 31).
§.
449. Dem durch eine von Amtswegen zu verfolgende strafbare Handlung in seinen
Rechten Verletzten steht es frei, sich dem Strafverfahren anzuschließen.
Verweigert der zu den Verrichtungen der Staatsanwaltschaft berufene Beamte die
Verfolgung, so kann der Privatbetheiligte den Antrag auf gesetzliche Bestrafung
stellen (§§. 451 und 457).
II.
Ordentliches Verfahren vor den Bezirksgerichten.
§.
450. Hält das Bezirksgericht dafür, daß es nicht zuständig sei, weil ein
Verbrechen oder Vergehen vorliegt, so hat es dieß dem Staatsanwalte am
Gerichtshofe erster Instanz oder dem Privatankläger (§§. 46, 449) bekannt zu
geben. Verweiset aber der Gerichtshof erster Instanz oder ein höheres Gericht
die Sache wieder an das Bezirksgericht zurück, so kann letzteres sie nicht
weiter wegen Nichtzuständigkeit von sich abweisen.
(490)
§. 451. Es findet weder eine förmliche Voruntersuchung noch eine abgesonderte
Verhandlung über die Versetzung in Anklagestand statt. Es genügt ein
allgemeiner schriftlich oder mündlich angebrachter Antrag auf gesetzliche
Bestrafung.
Wird
dem Richter zugleich der Beschuldigte vorgeführt und gesteht derselbe die ihm
zur Last gelegte That, oder erscheinen der Ankläger und der Beschuldigte
zugleich vor dem Richter, und sind alle Beweismittel für die Anklage und
Vertheidigung zur Hand, so kann der Richter mit Zustimmung des Beschuldigten
sogleich die Verhandlung vornehmen (§. 456) und das Urtheil fällen.
Außer
diesem Falle aber ist nach Vornahme der etwa nöthig befundenen Vorerhebungen
ein Tag zur Hauptverhandlung festzusetzen.
§.
452. Bei allen Vorerhebungen hat der Bezirksrichter im Allgemeinen die für die
Untersuchungsrichter ertheilten Vorschriften zu beobachten, jedoch unter
nachstehenden Beschränkungen:
1.
Die vorläufige Festnehmung des Beschuldigten zum Behufe der Vorführung kann
außer den im §. 175, Z. 2 und 3, erwähnten Fällen nur dann stattfinden, wenn
der ausdrücklich zum persönlichen Erscheinen aufgeforderte Beschuldigte dieser
Aufforderung nicht nachkommt. Reisenden ist die Fortsetzung der Reise zu
gestatten, insoferne nicht zu besorgen ist, daß dadurch die Untersuchung oder
die Vollstreckung des Urtheils vereitelt werde.
2.
Kann dem Beschuldigten die Vorladung nicht zugestellt werden, so hat das
weitere Verfahren bis zu seiner Betretung auf sich zu beruhen. Die Ausfertigung
von Steckbriefen ist unzulässig; dagegen kann in wichtigeren Fällen den
Behörden eine Beschreibung der Person des Beschuldigten mitgetheilt werden. (§.
416).
3.
Die Untersuchungshaft kann nur in den Fällen des §. 175, Z. 2 und 3, verhängt
werden. Die Verhafteten dürfen nicht in dasselbe Gefängnisß mit Personen,
welche sich wegen eines Verbrechens in Untersuchung oder Strafe befinden,
gebracht werden. Sie können sich ihre Nahrung außer dem Hause bereiten lassen,
soferne dadurch die Ordnung des Hauses nicht gestört wird.
4.
Die Durchsuchung von Papieren dritter Personen und die Beschlagnahme oder
Eröffnung von Briefen ist nicht gestattet.
5.
Gerichtszeugen sind bei keiner Untersuchungshandlung erforderlich.
6.
Bei einem Augenscheine, sowie bei Einholung eines Gutachtens genügt die
Beiziehung eines Sachverständigen.
7.
Die Führung eines Protokolles ist nur bei solchen Erhebungen erforderlich,
welche zum Beweise bei der Hauptverhandlung gebraucht und in derselben nicht
wiederholt werden sollen; in anderen Fällen genügt die kurze Aufzeichnung des
wesentlichen Inhaltes der von den vernommenen Personen gemachten Aussagen durch
den Protokollführer oder auch durch den vernehmenden Richter selbst.
8.
Die Beigebung eines Vertheidigers von Amtswegen findet nicht statt.
§.
453. Die Beeidigung der Zeugen findet in der Regel nicht statt, sondern der
Richter kann sich statt des Eides der Zeugen mit einem Handschlage derselben
begnügen.
Handelt
es sich aber um die Ueberweisung eines leugnenden Beschuldigten durch die
Aussage von Zeugen, so müssen dieselben, wenn der Beschuldigte deren Beeidigung
insbesondere verlangt, oder wenn es sich um eine Gesetzesübertretung handelt,
welche eine Arreststrafe von wenigstens einem Monate, oder eine Geldstrafe von
wenigstens hundert Gulden, oder den Verlust des Gewerbes oder anderer Rechte
und Befugnisse nach sich zieht, vorschriftmäßig beeidet werden, soferne ihrer
Beeidigung kein gesetzliches Hinderniß entgegensteht.
(491)
Beamte und beeidete Diener der öffentlichen Gewalt, welche eine Aussage über
Thatsachen oder Umstände ablegen, die sie in Ausübung ihres Amtes wahrgenommen
haben, sind, wenn ihre Aussagen Gegenstände betreffen, auf welche sich ihre
Amtshandlung bezog, nur unter Erinnerung an ihren Diensteid als Zeugen zu
vernehmen.
§.
454. Kann die Verhandlung nicht nach §. 451 sogleich nach Anbringung der
Anklage stattfinden, so ist der Beschuldigte, falls er nicht verhaftet ist, zur
Hauptverhandlung durch einen schriftlichen Befehl vorzuladen, welcher die
wesentlichen Thatsachen der ihm zur Last gelegten strafbaren Handlung und die
Aufforderung enthalten muß, zur festgesetzten Stunde zu erscheinen und die zu
seiner Vertheidigung dienenden Beweismittel mitzubringen oder dem Richter so
zeitlich anzuzeigen, daß sie zur Hauptverhandlung noch herbeigeschafft werden
können. Zugleich ist die Warnung beizufügen, daß im Falle seines Ausbleibens
dennoch mit der Verhandlung und Urtheilsfällung vorgegangen werden würde.
§.
455. Die Vorladung ist in der Regel so einzurichten, daß dem Beschuldigten von
der Zustellung derselben nach Abrechnung der Zeit; die er benöthigt, um sich an
den Ort des Gerichtes zu verfügen, bis zur Hauptverhandlung ein Zeitraum von
wenigstens vierundzwanzig Stunden frei bleibt. In dringenden Fällen aber, bei
unbedeutenden Gesetzesübertretungen, und wenn sich der Beschuldigte an dem Orte
des Gerichtes befindet, kann diese Frist auch abgekürzt werden. Nur auf Grund
bescheinigter erheblicher Hindernisse kann dem Antrage des Beschuldigten auf
Vertagung der Verhandlung stattgegeben werden.
Es
steht dem Beschuldigten unter den in den §§. 39 und 40 erwähnten
Beschränkungen, welche der Beurtheilung des Richters unterliegen, frei, sich
eines Vertheidigers zu bedienen.
Ist
der Beschuldigte nicht verhaftet, so kann er sich, wenn er nicht persönlich
erscheinen will, bei der Verhandlung durch einen Machthaber, der sich mit einer
besonderen Vollmacht auszuweisen hat, vertreten lassen; doch steht es dem
Gerichte zu, in allen Fällen, wo es im Interesse der Erforschung der Wahrheit
nöthig befunden wird, sein persönliches Erscheinen zu veranlassen. Personen,
welche, ohne in die Vertheidigerliste eingetragen zu sein, aus solchen
Vertretungen ein Gewerbe machen, sind als Machthaber nicht zuzulassen.
§
456. Die Hauptverhandlung vor dem Bezirksgerichte (§. 9) ist öffentlich bei
sonstiger Nichtigkeit jedoch unter den in den §§. 228-231 enthaltenen
Beschränkungen. Schreitet ein Privatankläger ein, so wird die Oeffentlichkeit
ausgeschlossen, wenn beide Theile übereinstimmend darauf antragen.
§.
457. Die Verhandlung beginnt mit dem Vortrage der Anklage. Hierauf wird der
Beschuldigte oder dessen Machthaber darüber vernommen, und die Beweise werden
vorgeführt. Sodann werden der Ankläger und der Privatbetheiligte mit ihren
Anträgen und der Beschuldigte und dessen Vertheidiger mit ihrer Antwort gehört.
Der Ankläger kann sich darauf beschränken, im Allgemeinen den Antrag auf
Anwendung des Gesetzes zu stellen.
§
458. Nach geschlossener Verhandlung wird sofort das Urtheil gefällt, sammt
dessen wesentlichen Gründen vom Richter verkündet und bei sonstiger Nichtigkeit
dem Protokolle einverleibt und beigelegt. Der Richter ist befugt, nach geschlossener
Verhandlung die Fällung des Urtheiles bis auf den darauf folgenden Tag
auszusetzen. Im Uebrigen haben die im XVIII. Hauptstücke für die
Hauptverhandlung ertheilten Vorschriften auch für die Verhandlung vor dem
Bezirksgerichte zu gelten.
§.
459. Wenn der Beschuldigte der gehörig erfolgten Vorladung ungeachtet zur
bestimmten Stunde nicht erscheint, so kann der Richter, wenn er die Vernehmung
des Beschuldigten nöthig findet, ihn zum persönlichen Erscheinen auffordern,
oder, wenn das bereits geschehen, vorführen lassen. Außerdem wird sofort das
Verfahren begonnen, die Beweise werden aufgenommen
(492)
und es wird hierauf nach Anhörung des Anklägers das Urtheil gefällt und
verkündet. Dem ausgebliebenen Beschuldigten ist eine amtliche Abschrift des
Urtheiles zuzustellen.
III.
Mandatsverfahren.
§.
460. Wenn von einer öffentlichen Behörde oder einer der im §. 68 des
Strafgesetzes erwähnten Personen gegen einen auf freiem Fuße befindlichen
Beschuldigten auf Grund ihrer eigenen dienstlichen Wahrnehmung eine Gesetzesübertretung
angezeigt wird, welche im Gesetze nur mit Arrest von höchstens einem Monate
oder nur mit einer Geldstrafe bedroht ist, so kann der Richter, insoferne er
Arrest von höchstens drei Tagen oder eine Geldstrafe von höchstens fünfzehn
Gulden zu verhängen findet, auf Antrag des mit den staatsanwaltschaftlichen
Verrichtungen betrauten Beamten die verwirkte Strafe ohne vorausgehendes
Verfahren durch eine Strafverfügung festsetzen.
§.
461. In der Strafverfügung muß angegeben sein:
1.
Die Beschaffenheit der strafbaren Handlung, sowie die Zeit und der Ort ihrer
Begehung;
2.
der Name der Person oder Behörde, welche die Anzeige gemacht hat;
3.
die Straffestsetzung unter Anführung der Strafbestimmung, auf welche dieselbe
sich gründet;
4.
daß es dem Beschuldigten freistehe, wenn er sich durch die Strafverfügung
beschwert finden sollte, innerhalb einer achttägigen Frist, von der Zustellung
der Verfügung an gerechnet, seinen Einspruch dagegen bei dem Bezirksgerichte
(§. 81) schriftlich oder zu Protokoll anzumelden und zugleich die zu seiner
Vertheidigung dienenden Beweismittel anzuzeigen, daß aber, falls in dieser
Frist ein Einspruch nicht erfolgt, die Strafverfügung in Rechtskraft übergehen
und gegen ihn vollstreckt werden würde.
§.
462. Wird in der achttägigen Frist der Einspruch erhoben, so tritt das
ordentliche Verfahren ein; im entgegengesetzten Falle findet gegen die
Strafverfügung ein Rechtsmittel nicht statt, jedoch kann, soferne die
Voraussetzungen des. § 364, Z. 1 und 2, eintreten, die Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand ertheilt werden.
IV.
Rechtsmittel gegen Urtheile der Bezirksgerichte.
§.
463. Gegen Urtheile der Bezirksgerichte, welche gegen einen Anwesenden ergangen
sind, findet nur das Rechtsmittel der Berufung statt, und zwar an den
Gerichtshof erster Instanz, in dessen Sprengel das Bezirksgericht liegt.
§.
464. Die Berufung kann ergriffen werden:
1.
Wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe;
2.
wegen des Ausspruches über die Schuld und Strafe, wegen des letzteren jedoch
nur unter den im §. 283 bezeichneten Voraussetzungen;
3.
wegen der Entscheidung über die privatrechtlichen Ansprüche.
§.
465. Zu Gunsten des Angeklagten kann die Berufung sowohl von ihm selbst, als
auch von seinem Ehegatten, seinen Verwandten in auf- und absteigender Linie,
seinem Vormunde und im Falle der Minderjährigkeit des Angeklagten von dessen
Eltern und Vormunde auch gegen dessen Willen ergriffen werden.
Erben
des Angeklagten, welche nicht in einem der erwähnten Verhältnisse zu dem
Angeklagten standen, können die Berufung nur wegen der in dem Urtheile
allenfalls enthaltenen Entscheidung über privatrechtliche Ansprüche ergreifen
oder fortsetzen.
(493)
Zum Nachtheile des Angeklagten kann die Berufung nur vom Ankläger und vom
Privatbetheiligten, vom letzteren aber nur wegen seiner privatrechtlichen
Ansprüche ergriffen werden.
§.
466. Die Berufung ist binnen drei Tagen nach Verkündung des Urtheils beim
Bezirksgerichte anzumelden.
War
der Angeklagte bei der Verkündung des Urtheiles nicht anwesend, so ist die
Berufung binnen drei Tagen, nachdem er von demselben verständigt wurde,
anzumelden.
Für
die im §. 465 erwähnten Angehörigen des Angeklagten läuft die Frist zur
Anmeldung der Berufung von demselben Tage, von welchem an sie für den
Angeklagten beginnt.
Die
Anmeldung der Berufung hat aufschiebende Wirkung.
Die
Entlassung eines freigesprochenen Angeklagten aus der Haft wird jedoch wegen
der Berufung des Staatsanwaltes nur dann aufgeschoben, wenn diese sogleich bei
Verkündung des Urtheils angemeldet wurde.
Wenn
der zu einer Freiheitsstrafe Verurtheilte sich weder durch den Ausspruch über
die Schuld, noch durch den über die Strafart, sondern nur durch das Strafmaß
beschwert erachtet, so kann er die Strafe einstweilen antreten. Eben dieß gilt
auch dann, wenn der Verurtheilte keine Berufung ergriffen hat und der Ankläger
seine Berufung nur gegen das Strafmaß richtet.
§.
467. Der Beschwerdeführer hat das Recht, innerhalb acht Tagen nach der
Anmeldung der Berufung, und soferne er vor oder bei derselben eine Abschrift
des Urtheils verlangt hat, nach der Zustellung, eine Ausführung der Gründe
seiner Berufung bei dem Bezirksgerichte zu überreichen und allenfalls neue
Thatsachen oder Beweismittel unter genauer Angabe aller zur Beurtheilung ihrer
Erheblichkeit dienenden Umstände anzuzeigen.
Er
hat entweder bei der Anmeldung der Berufung oder in der Berufungsschrift
ausdrücklich zu erklären, durch welche Punkte des Erkenntnisses (§. 464) er
sich beschwert finde und welche Nichtigkeitsgründe er geltend machen wolle,
widrigens auf die Berufung, beziehungsweise auf Nichtigkeitsgründe von dem
Gerichtshofe erster Instanz keine Rücksicht zu nehmen ist.
Die
zu Gunsten des Angeklagten ergriffene Berufung gegen den Ausspruch über die
Schuld enthält auch die Berufung gegen die Strafbemessung.
Geschieht
die Anmeldung der Berufung mündlich, so hat der Richter, welcher das Protokoll
hierüber aufnimmt, den Beschwerdeführer zur genauen Angabe der Beschwerdepunkte
besonders aufzufordern und über die Rechtsfolgen der Unterlassung dieser Angabe
zu belehren.
Eine
verspätete Berufung oder Berufungsausführung ist vom Bezirksgerichte
zurückzuweisen.
§.
468. Wegen Nichtigkeit kann die Berufung gegen Urtheile der Bezirksgerichte nur
aus einem der folgenden Gründe ergriffen werden:
1.
wenn das Bezirksgericht nicht zuständig, oder nicht gehörig besetzt war, oder
wenn ein gesetzlich ausgeschlossener Richter (§. 67 und 68) das Urtheil gefällt
hat;
2.
wenn eine Vorschrift verletzt oder vernachlässigt worden ist, deren Beobachtung
das Gesetz bei sonstiger Nichtigkeit vorschreibt (§§. 120, 151, 152, 170, 271,
456 und 458) oder wenn einer der im §. 281, Z. 4 und 5, erwähnten
Nichtigkeitsgründe vorliegt;
3.
aus den im §. 281, Z. 6-11 angegebenen Gründen.
Die
unter 1 und 2 erwähnten Nichtigkeitsgründe können nur unter den im §. 281
bezeichneten Bedingungen geltend gemacht werden; doch wird auch der Ankläger
der Geltendmachung eines Nichtigkeitsgrundes deßhalb nicht verlustig, weil er
hinsichtlich eines Formgebrechens
(494)
die Entscheidung des Bezirksrichters nicht begehrt und die Beschwerde nicht
sofort nach Verweigerung oder Verkündung der Entscheidung sich vorbehalten hat.
§.
469. Der Gerichtshof erster Instanz hat über jede Berufung zuerst in nicht
öffentlicher Sitzung nach Anhörung des Staatsanwaltes zu berathen und die
Berufung sofort zu verwerfen, wenn sie von einer Person ergriffen wurde,
welcher das Berufungsrecht überhaupt nicht oder nicht in der Richtung, in
welcher es in Anspruch genommen wird, zusteht, oder welche auf dasselbe giltig
Verzicht geleistet hat, wenn sie zu spät angemeldet ist, wenn die Punkte, gegen
welche sie gerichtet ist, oder wenn die Nichtigkeitsgründe, wegen welcher
allein sie ergriffen wurde, nicht einzeln und bestimmt bezeichnet sind. Ist die
Berufung lediglich gegen den Ausspruch über die Strafe oder die privatrechtlichen
Ansprüche gerichtet, so entscheidet der Gerichtshof sofort auch in der Sache
selbst.
§.
470. Bei dieser nicht öffentlichen Berathung hat der Gerichtshof erster Instanz
auch zu prüfen, ob die nach §. 467 angezeigten neuen Thatsachen und Beweismittel
erheblich seien. Die Vernehmung neuer Zeugen und Sachverständigen ist nur dann
zulässig, wenn dieselbe geeignet erscheint, die vom ersten Richter als erwiesen
angenommenen erheblichen Thatsachen als unrichtig darzustellen. Der Gerichtshof
kann die neuen Beweise, sowie die Thatsachen, woraus ein Nichtigkeitsgrund
abgeleitet wird, nach Umständen auch durch einen dazu abgeordneten Richter
erheben lassen.
Die
nochmalige Anhörung solcher Zeugen und Sachverständigen, welche bereits in der
Hauptverhandlung vor dem Bezirksgerichte vernommen worden sind, findet nur dann
statt, wenn der Gerichtshof dieselbe wegen wesentlicher Bedenken gegen die
Richtigkeit der im Urtheile erster Instanz enthaltenen Feststellung der
Thatsachen erforderlich findet. Außer diesem Falle hat der Gerichtshof die in
erster Instanz aufgenommenen Protokolle seiner Entscheidung zu Grunde zu legen.
Zeigt
sich schon bei der nichtöffentlichen Vorberathung die Nothwendigkeit einer
Wiederholung der Hauptverhandlung in erster Instanz, so hat der Gerichtshof
sofort darauf zu erkennen.
§.
471. Liegt keiner der im §. 469 und §. 470, Absatz 3, erwähnten Fälle vor, so
ist ein Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung über die Berufung, und zwar
auch soweit sie gegen den Ausspruch über die Strafe und die privatrechtlichen
Ansprüche gerichtet ist, anzuordnen, und es sind dazu der Ankläger, der
Angeklagte und jene Zeugen und Sachverständigen, deren Vorladung nach §. 470
beschlossen wurde, rechtzeitig vorzuladen.
Dem
Angeklagten müssen mit Rücksicht auf seine Entfernung vom Sitze der
Berufungsbehörde wenigstens drei Tage zur Vorbereitung seiner Vertheidigung
frei bleiben.
Ist
er Angeklagte verhaftet, so kann er, falls der Gerichtshof nicht seine
Vorführung zur Erforschung der Wahrheit nothwendig findet, sich durch einen
Vertheidiger vertreten lassen.
Sowohl
dem Angeklagten, als dem Privatankläger ist in der Vorladung zu bemerken, daß
auch im Falle ihres Ausbleibens, mit Berücksichtigung des in der
Berufungsausführung Vorgebrachten über die Berufung dem Gesetze gemäß erkannt
werden würde.
Der
Privatbetheiligte ist von dem angesetzten Gerichtstage mit der Bemerkung in
Kenntniß zu setzten, daß es ihm frei stehe, bei demselben zu erscheinen.
Haben
diese Personen einen Vertheidiger oder Vertreter namhaft gemacht, so ist die
Vorladung an diesen zu richten.
§.
472. Die Verhandlung vor der Berufungsbehörde ist öffentlich nach den
Vorschriften der §§. 228-231.
Sie
beginnt mit einem schriftlichen Vortrage eines Mitgliedes der Berufungsbehörde,
welcher weder Gutachten noch Anträge enthalten, sondern nur das Thatsächliche
des Falles,
(495)
den bisherigen Verlauf der Sache, soweit es zur Beurtheilung der angebrachten
Beschwerde erforderlich ist, das Wesentliche der Berufungsschrift und die
daraus sich ergebenden Streitpunkte umfassen soll.
Der
auf die Berufungspunkte sich beziehende Theil des Erkenntnisses erster Instanz
sammt den Entscheidungsgründen ist jederzeit und, wenn es der Vorsitzende für
zweckdienlich erachtet, auch das über die Hauptverhandlung erster Instanz aufgenommene
Protokoll vorzulesen.
§.
473. Hierauf sind die etwa vorgeladenen Zeugen und Sachverständigen und der
Angeklagte, wenn er persönlich anwesend ist, zu vernehmen, wobei die für die
Hauptverhandlung vor den Gerichtshöfen erster Instanz gegebenen Vorschriften zu
beobachten sind.
Sodann
wird Derjenige, welcher die Berufung einlegte, zur Begründung derselben und
sohin der Gegner zur Erwiderung aufgefordert.
Dem
Angeklagten oder seinem Vertheidiger gebührt jedenfalls das Recht der letzten
Aeußerung.
Hierauf
zieht sich der Gerichtshof zur Berathung und Schlußfassung zurück.
§.
474. Der Gerichtshof erkennt, wenn er die Berufung nicht als unzulässig oder
ungegründet zurückzuweisen oder seine eigene Nichtzuständigkeit auszusprechen
findet, in der Sache selbst nach den für die Urtheilsfällung der Gerichtshöfe
erster Instanz geltenden Vorschriften, insoferne nicht in den nächstfolgenden
Paragraphen etwas Anderes angeordnet ist.
§.
475. Wird das Urtheil des Bezirksgerichtes wegen eines der im §. 468 unter 1
und 2 angeführten Nichtigkeitsgründe aufgehoben, so verweist der Gerichtshof
die Sache zur neuerlichen Verhandlung an ein anderes Bezirksgericht seines
Sprengels.
Hat
das Bezirksgericht über eine That geurtheilt, welche ein Verbrechen oder ein
Vergehen begründet, so ist auf Antrag des Staatsanwaltes das Urtheil des
Bezirksgerichtes aufzuheben und die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens zu
veranlassen.
Hat
das Bezirksgericht bezüglich einer Thatsache, auf welche sich die Anklage
bezieht, mit Unrecht seine Nichtzuständigkeit ausgesprochen, oder die Anklage
nicht vollständig erledigt (§. 281, Z. 6 und 7), so trägt ihm der Gerichtshof
auf, sich der Verhandlung und Urtheilsfällung zu unterziehen, welche sich in
letztem Falle auf die unerledigt gebliebenen Anklagepunkte zu beschränken hat.
§.
476. In den im §. 475, Absatz 1 und 3, erwähnten Fällen steht es jedoch der
Berufungsbehörde frei, sofort oder in einer späteren Sitzung nöthigenfalls
unter Wiederholung oder Ergänzung der in erster Instanz gepflogenen Verhandlung
und unter Verbesserung der mangelhaft befundenen Proceßhandlung, in der Sache
selbst zu erkennen.
§.
477. Der Gerichtshof hat sich auf die in Beschwerde bezogenen Punkte zu
beschränken, und er darf nur jene Theile des erstrichterlichen Erkenntnisses
abändern, gegen welche die Berufung gerichtet ist. Ueberzeugt er sich jedoch
aus Anlaß einer von wem immer ergriffenen Berufung, daß zum Nachtheile des
Angeklagten das Strafgesetz unrichtig angewendet wurde (§. 281, Z. 9-11), oder
daß dieselben Gründe, auf welchen seine Verfügung zu Gunsten eines Angeklagten
beruht, auch einem Mitangeklagten zu statten kommen, welcher die Berufung
nicht, oder nicht in der in Frage kommenden Richtung ergriffen hat, so hat der
Gerichtshof so vorzugehen, als wäre eine solche Berufung eingelegt.
Ist
die Berufung lediglich zu Gunsten des Angeklagten ergriffen worden, so kann der
Gerichtshof keine strengere Strafe gegen den Angeklagten verhängen, als welche
das erste Urtheil ausgesprochen hat.
§.
478. Gegen ein Urtheil des Bezirksgerichtes, welches in Gemäßheit des §. 459
über Ausbleiben des Angeklagten erlassen wurde, kann dieser binnen acht Tagen
von Zustellung
(496)
des Urtheils bei dem erkennenden Bezirksgerichte Einspruch erheben, wenn ihm
die Vorladung nicht gehörig zugestellt worden ist, oder er nachweisen kann, daß
er durch ein unabwendbares Hinderniß angehalten worden sei.
Ueber
diesen Einspruch hat der Bezirksrichter nach vorläufiger Vernehmung des
Anklägers zu erkennen. Verwirft er denselben, so steht dem Angeklagten das
Rechtsmittel der Beschwerde an den Gerichtshof erster Instanz binnen drei Tagen
zu. Der Angeklagte ist in diesem Falle berechtigt, mit diesem Rechtsmittel für
den Fall der Verwerfung desselben die Berufung zu verhindern, rücksichtlich
welcher nach den Bestimmungen der §§. 469-472 zu verfahren ist.
Findet
der Bezirksrichter oder in Folge der Beschwerde der Gerichtshof den Einspruch
gegründet, so ist eine neuerliche Verhandlung vor dem Bezirksgerichte
anzuordnen, bei welcher, wenn der Angeklagte erscheint, die Sache so verhandelt
wird, wie im §. 457 vorgeschrieben ist. Erscheint der Angeklagte bei dieser
zweiten Verhandlung abermals nicht, so ist der Einspruch nicht erfolgt und das
angefochtene Urtheil als rechtskräftig anzusehen.
§.
479. Gegen die Urtheile der Gerichtshöfe erster Instanz über eine in Gemäßheit
der §§. 463, 464 und 478 an dieselben gelangte Berufung findet nur die
Nichtigkeitsbeschwerde an den Cassationshof zur Wahrung des Gesetzes (§§. 33
und 292) statt.
§.
480. Die Wiederaufnahme des Strafverfahrens richtet sich nach den im XX.
Hauptstücke aufgestellten Grundsätzen. Ueber die Zulassung der Wiederaufnahme
entscheidet der Bezirksrichter. Gegen die Verweigerung derselben steht nur die
Beschwerde an den Gerichtshof erster Instanz offen, welche binnen drei Tagen
beim Bezirksgerichte anzubringen ist.
Die
im §. 362 dem Cassationshofe eingeräumte Befugniß steht demselben in
Uebertretungsfällen nicht zu.
§.
481. Gegen Entscheidungen der Bezirksrichter, insoferne dieselben der Berufung
nicht unterliegen, steht den Betheiligten das Rechtsmittel der Beschwerde an
den Gerichtshof erster Instanz binnen drei Tagen zu.
V.
Vollstreckung der Strafe.
§.
482. Die Vollstreckung von Freiheitsstrafen hat in der Regeln, insoferne nicht
von dem Gerichtshofe erster Instanz in einzelnen Fällen eine andere Verfügung
getroffen wird, bei demjenigen Bezirksgerichte stattzufinden, welches das
Erkenntniß in erster Instanz gefällt hat.
Wenn
ein Gesuch um Milderung oder Nachsicht der Strafe (§§. 410 und 411) noch vor
Antritt der Strafe eingebracht wurde, und sich auf solche rücksichtswürdige
Umstände stützt, welche erst nach dem ergangenen Urtheile hervorgetreten sind,
kann mit der Vollstreckung der Strafe innegehalten werden, insoferne sonst der
Zweck des Gesuches ganz oder zum Theile vereitelt würde.
XXVII.
Hauptstück.
Von
dem Strafverfahren in Preßsachen.
§.
483. Für das Verfahren in Preßstrafsachen gelten alle Vorschriften dieser
Strafproceßordnung, soweit nicht in den folgenden Paragraphen etwas
Abweichendes bestimmt ist.
§.
484. Das Strafrichteramt in Preßsachen steht ausschließlich den Gerichten zu.
Zur Verhandlung und Entscheidung sind, wenn es ich um Uebertretungen handelt,
die Bezirksgerichte,
(497)
in Ansehuung der durch den Inhalt eines Druckwerkes begangenen Verbrechen und
Vergehen aber die Geschworenengerichte berufen.
§.
485. Zuständig ist derjenige Gerichtshof erster Instanz, in dessen Sprengel das
Verbrechen oder Vergehen begangen wurde, und dasjenige Bezirksgericht, welches
am Sitze des Gerichtshofes erster Instanz besteht, in dessen Sprengel die
Uebertretung begangen wurde; falls daselbst mehrere Bezirksgerichte bestehen,
dasjenige, welches durch besondere Verordnung mit der Strafrechtspflege
überhaupt betraut wird.
§.
486. Wird die strafbare Handlung durch den Inhalt einer Druckschrift begangen,
so ist, wenn der Druckort bekannt und in dem Gebiete gelegen ist, für welches
diese Strafproceßordnung Wirksamkeit hat, stets der Druckort; wenn dieser aber
unbekannt oder außerhalb jenes Gebietes gelegen ist, der Ort der Verbreitung in
dem letzteren als Thatort anzusehen.
Erscheinen
im letzteren Falle mehrere Gerichte für dieselbe Untersuchung zuständig, so
entscheidet unter ihnen das Zuvorkommen.
§.
487. Druckschriften, welche gegen die Vorschriften des Preßgesetzes ausgegeben
oder verbreitet werden, oder welche ihres Inhaltes wegen im öffentlichen
Interesse zu verfolgen sind, können von der Sicherheitsbehörde unmittelbar oder
auf Veranlassung des Staatsanwaltes mit Beschlag belegt werden.
In
allen anderen Fällen kann der Beschlag nur von dem Gerichte über eine Klage und
den darin gestellten Antrag des Privatanklägers angeordnet werden.
Gegen
die Verfügung einer vorläufigen Beschlagnahme findet keine abgesonderte
Beschwerde statt.
Die
von der Sicherheitsbehörde unmittelbar oder auf Veranlassung des Staatsanwaltes
vorgenommene Beschlagnahme ist dem Staatsanwalte desjenigen Ortes, wo das zum
Strafrichteramte berufene Gericht seinen Sitz hat, binnen vierundzwanzig
Stunden unter Anschluß eines Exemplares der Druckschrift anzuzeigen.
§. 488.
Hat der Staatsanwalt die Beschlagnahme einer Druckschrift veranlaßt, so hat er
binnen drei Tagen, vom Zeitpunkte des ihm angezeigten Vollzuges, bei dem
Gerichtshofe erster Instanz, beziehungsweise bei dem Bezirksgerichte (§. 485)
um die Bestätigung der Beschlagnahme einzuschreiten.
In
jenen Fällen, in welchen die Sicherheitsbehörde die Beschlagnahme unmittelbar
verfügt, hat der Staatsanwalt binnen drei Tagen, vom Tage der erhaltenen
Anzeige, entweder die Aufhebung der Beschlagnahme durch die Sicherheitsbehörde
oder die Bestätigung derselben, wie im vorhergehenden Falle, zu veranlassen.
§.
489. Das Gericht hat binnen drei Tagen die Bestätigung oder Aufhebung der
Beschlagnahme auszusprechen. Erfolgt die Bestätigung derselben binnen acht
Tagen nach deren Vornahme nicht, so ist, wenn nicht eine von dem Staatsanwalte
gegen die Verweigerung der Bestätigung eingebrachte Beschwerde sich im Zuge
befindet, die Beschlagnahme erloschen und auf Verlangen der Partei von der
Sicherheitsbehörde die Aufhebung derselben sogleich zu verfügen.
Die
bestätigte Beschlagnahme bleibt bis zur endgiltigen Entscheidung in der
Hauptsache wirksam (§. 490).
Die
Nichtbefolgung der Vorschriften des §. 488 oder die Aufhebung der Beschlagnahme
hindert jedoch nicht die weitere strafgerichtliche Verfolgung.
§.
490. Innerhalb acht Tagen nach erfolgter Bestätigung der Beschlagnahme hat der
Staatsanwalt, insoferne dieß nicht schon geschehen ist, entweder den Antrag auf
Führung einer gerichtlichen Voruntersuchung zu stellen oder seine Anklageschrift
zu überreichen (§. 91), widrigenfalls die Beschlagnahme erloschen und auf
Verlangen der Partei aufzuheben ist.
(498)
§. 491. Im Falle der Erlöschung oder Aufhebung einer von der Sicherheitsbehörde
unmittelbar oder auf Veranlassung des Staatsanwaltes vorgenommen Beschlagnahme
gebührt dem durch diese Beschlagnahme Beschädigten der Ersatz des erweislichen
Schadens aus der Staatscasse, jedoch im Falle der ausdrücklichen Aufhebung nur
dann, wenn hiebei die Beschlagnahme als weder durch den Inhalt der Druckschrift,
noch durch eine Außerachtlassung der in dem Preßgesetze enthaltenen
Vorschriften gerechtfertigt erkannt wird. Dieser Ersatzanspruch ist bei
sonstigem Verluste innerhalb der nächsten vierzehn Tage bei dem Gerichte
nachzuweisen.
Das
Gericht hat hierüber nach vorläufiger Vernehmung des Staatsanwaltes unter
Vorbehalt der binnen acht Tagen zu überreichenden Beschwerde zu entscheiden.
§.
492. Wird in dem Inhalte einer Druckschrift zwar der Thatbestand einer
strafbaren Handlung befunden, jedoch auf Einstellung der Voruntersuchung oder
auf Freisprechung des Angeklagten erkannt, so hat das Gericht doch nach Maßgabe
der Gesetze die gänzliche oder theilweise Vernichtung der für strafbar
erklärten Druckschriften zu verfügen und das Verbot der weiteren Verbreitung derselben
auszusprechen.
§.
493. Der Staatsanwalt kann, auch wenn er gegen keine bestimmte Person eine
Anklage erhebt, im öffentlichen Interesse begehren, daß das Gericht darüber
erkenne, ob der Inhalt einer Druckschrift eine strafbare Handlung begründe, und
daß es in diesem Falle das Verbot der weiteren Verbreitung der Druckschrift
ausspreche. Hierüber erkennt der Gerichtshof erster Instanz, und wenn es sich
um eine Uebertretung handelt, das zuständige Bezirksgericht nach Anhörung des
Staatsanwaltes in nicht öffentlicher Sitzung, ohne daß durch ein solches
Erkenntniß dem etwa später gegen eine bestimmte Person einzuleitenden
Strafverfahren vorgegriffen wird.
Gegen
die Entscheidung des Gerichtes, welche im Falle der Erlassung des Verbotes am
Sitze des Gerichtes öffentlich anzuschlagen und durch die amtliche Zeitung
kundzumachen ist, kann von jedem Betheiligten binnen acht Tagen nach der
Kundmachung der Einspruch erhoben werden, über welchen das Gericht in
öffentlicher Sitzung nach Anhörung des Staatsanwaltes und des den Einspruch
Erhebenden zu entscheiden hat.
§.
494. Die Beschwerde gegen die nach den §§. 487, 489, 491 und 493 ergehenden
Entscheidungen geht, je nachdem sie von den Bezirksgerichten oder den
Gerichtshöfen erster Instanz geschöpft wurden, im ersten Falle an den
Gerichtshof erster, im zweiten an den Gerichtshof zweiter Instanz. Ein weiterer
Rechtszug steht nicht offen.
(499)
Inhalts-Verzeichniß
Einführungsgesetz
397
I.
Hauptstück.
Allgemeine
Bestimmungen 400
II.
Hauptstück.
Von
den Gerichten 401
I.
Bezirksgerichte 401
II.
Gerichtshöfe 1. Instanz 401
III.
Geschwornengerichte 402
IV.
Gerichtshöfe 2. Instanz 402
V.
Oberster Gerichtshof als Cassationshof 402
VI.
Zusammensetzung und Abstimmung der Richtercollegien 402
VII.
Nebenpersonen bei den Gerichten 403
VIII.
Verhältniß der Strafgerichte zu anderen Behörden 403
III.
Hauptstück.
Von
der Staatsanwaltschaft 404
IV.
Hauptstück.
Von
dem Beschuldigten und seiner Vertheidigung 406
V.
Hauptstück.
Von
dem Privatankläger und dem Privatbetheiligten 408
VI.
Hauptstück.
Von
der Zuständigkeit der Strafgerichte und von der Verbindung mehrerer Strafsachen
410
I.
Einzelne Gerichtsstände 410
II.
Besondere Gerichtsstände 412
III.
Befugniß zur Delegirung 412
IV.
Streitigkeiten über die Zuständigkeit von Gerichten 412
V. Amtshandlungen
nicht zuständiger Gerichte 413
VII.
Hauptstück.
Von
der Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen und Staatsanwälten 413
I.
Ausschließung der Gerichtspersonen 413
II.
Ablehnung der Gerichtspersonen 414
III.
Ausschließung von Staatsanwälten 414
VIII.
Hauptstück.
Von
der Bekanntmachung der gerichtlichen Verfügungen und von der Gestattung der
Acteneinsicht 415
IX.
Hauptstück.
Von
der Erforschung strafbarer Handlungen und von den Vorerhebungen über Verbrechen
und Vergehen 416
X.
Hauptstück.
Von
der Voruntersuchung über Verbrechen und Vergehen im Allgemeinen 418
I.
Einleitung der Voruntersuchung und Stellung des Untersuchungsrichters in
derselben 418
II.
Geschäftsgang in der Voruntersuchung 419
III.
Einstellung oder Schließung der Voruntersuchung 421
IV:
Rechtsmittel gegen Verfügungen des Untersuchungsrichters und der Rathskammer
422
(500)
XI. Hauptstück.
Von
dem Augenscheine und den Sachverständigen 423
I.
Von dem Augenscheine und der Zuziehung von Sachverständigen überhaupt 423
II.
Verfahren bei Untersuchungen wegen Tödtungen und Körperverletzungen
insbesondere 424
III.
Verfahren bei Zweifeln über Geistesstörungen oder über Zurechnungsfähigkeit 426
IV.
Prüfung von Handschriften 426
V.
Verfahren bei Untersuchungen wegen Verfälschung oder Nachmachung öffentlicher
Creditpapiere und bei Münzverfälschungen 426
VI.
Verfahren bei Untersuchungen wegen Brandlegungen 427
VII.
Verfahren bei Untersuchungen wegen anderer Beschädigungen 427
XII.
Hauptstück.
Von
der Haus- und Personsdurchsuchung und der Beschlagnahme 427
I.
Haus- und Personsdurchsuchung 427
II.
Beschlagnahme 428
III.
Durchsuchung und Beschlagnahme von Papieren 429
IV.
Beschlagnahme und Eröffnung von Briefen und anderen Sendungen 429
XIII.
Hauptstück.
Von
der Vernehmung der Zeugen 430
XIV.
Hauptstück.
Von
der Vorladung, Vorführung, vorläufigen Verwahrung und Verhaftung des
Beschuldigten 433
I.
Vorladung 433
II.
Vorführung, vorläufige Verwahrung und ordentliche Untersuchungshaft 433
III.
Behandlung der Untersuchungsgefangenen 435
IV.
Sicherheitsleistung, Aufhebung der vorläufigen Verwahrung und der
Untersuchungshaft 436
XV.
Hauptstück.
Von
der Vernehmung des Beschuldigten 437
XVI.
Hauptstück.
Von
der Versetzung in den Anklagestand 439
XVII.
Hauptstück.
Von
den Vorbereitungen zur Hauptverhandlung 442
XVIII.
Hauptstück.
Von
der Hauptverhandlung vor den Gerichtshöfen 1. Instanz und von den Rechtsmitteln
gegen deren Urtheile 444
I.
Hauptverhandlung und Urtheil 444
1.
Oeffentlichkeit der Hauptverhandlung 444
2.
Amtsverrichtungen des Vorsitzenden und des Gerichtshofes während der
Hauptverhandlung 444
3.
Beginn der Hauptverhandlung 446
4.
Vernehmung des Angeklagten 447
5.
Beweisverfahren 447
6.
Vorträge der Parteien 449
7.
Urtheil des Gerichtshofes 449
8.
Verkündung und Ausfertigung des Urtheils 451
9. Protokollführung
452
10.
Vertagung der Hauptverhandlung 452
11.
Zwischenfälle 453
II.
Rechtsmittel gegen das Urtheil 453
1.
Verfahren bei Nichtigkeitsbeschwerden 455
2.
Verfahren bei Berufungen 457
(501)
XIX. Hauptstück.
Von
den Geschwornengerichten 458
I. Vom
Geschworenengerichte überhaupt 458
II.
Bildung der Geschwornenbank 459
III.
Hauptverhandlung vor dem Geschwornengerichte 460
1.
Beginn der Hauptverhandlung und Beeidigung der Geschwornen 461
2.
Beweisverfahren 461
3.
Fragestellung an die Geschwornen 461
4.
Vorträge der Parteien und des Vorsitzenden 463
5.
Berathung und Schlußfassung der Geschwornen 463
6.
Ausspruch der Geschwornen 465
7.
Weiteres Verfahren und Urtheil des Gerichtshofes 465
IV.
Rechtsmittel gegen Urtheile der Geschworenengerichte 467
XX.
Hauptstück.
Von
der Wiederaufnahme des Strafverfahrens und der Wiedereinsetzung gegen den
Ablauf von Fristen 469
I.
Wiederaufnahme des Verfahrens 469
II.
Wiedereinsetzung gegen den Ablauf von Fristen 472
XXI.
Hauptstück.
Von
den Erkenntnissen und Verfügungen des Strafgerichtes hinsichtlich der
privatrechtlichen Ansprüche 473
XXII.
Hauptstück.
Von
den Kosten des Strafverfahrens 475
XXIII.
Hauptstück.
Von
der Vollstreckung der Urtheile 479
XXIV.
Hauptstück.
Von
dem Verfahren wider Unbekannte, Abwesende und Flüchtige 482
I..
Verfahren gegen Unbekannte, Abwesende oder Flüchtige während der
Voruntersuchung 482
II:
Verfahren gegen Abwesende und Flüchtige nach dem Schlusse der Voruntersuchung
484
III.
Ungehorsamverfahren gegen Abwesende und Flüchtige 484
XXV.
Hauptstück.
Von
dem standrechtlichen Verfahren 486
I.
Einleitung des standrechtlichen Verfahrens 486
II.
Verfahren vor dem Standgerichte 487
III.
Aufhebung des standrechtlichen Verfahrens 489
XXVI.
Hauptstück.
Von
dem Verfahren in den Uebertretungsfällen 489
I.
Anklage 489
II.
Ordentliches Verfahren vor den Bezirksgerichten 489
III.
Mandatsverfahren 492
IV.
Rechtsmittel gegen Urtheile der Bezirksgerichte 492
V.
Vollstreckung der Strafe 496
XXVII.
Hauptstück.
Von
dem Strafverfahren in Preßsachen 496