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|0002|
|0003|
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|0005|
|0006|
|0007 : [I]|
Syſtem
des
heutigen Römiſchen Rechts
von
Friedrich Carl von Savigny.
Siebenter Band.
Mit. K. Bairiſchen und K. Würtembergiſchen Privilegien.
Berlin. Bei Veit und Comp.
1848.
|0008 : [II]|
|0009 : [III]|
Vorrede.
Viele mögen glauben, daß es einer beſonderen
Rechtfertigung bedürfe, wenn in der gegenwärtigen
Zeit ein Werk über das Römiſche Recht unter-
nommen, oder auch nur fortgeſetzt werde. Schon
lange vor dem Sturm, der über Europa einher gezogen
iſt, war in Deutſchland jenes Recht von manchen Seiten
her als ein fremdes, unvaterländiſches angefochten
worden, und es hatte ſich nicht ſelten dem ungün-
ſtigen Urtheil über den Gegenſtand auch eine Miß-
ſtimmung gegen die Anhänger und Bearbeiter
unvermerkt beigemiſcht, indem die Bekämpfung
deſſelben mit einer vorzugsweiſe vaterländiſchen Ge-
ſinnung, die Anhänglichkeit an daſſelbe mit einer
dem Vaterlande fremden oder gleichgültigen in
|0010 : IV|
Vorrede.
Verbindung gedacht wurde. Eine ſolche Auffaſſung
mußte neue Nahrung gewinnen durch die letzten
Weltbewegungen, von welchen ſelbſt wiſſenſchaftliche
Gegenſätze und Parteiungen, obgleich dem an ſich
ſtillen und friedlichen geiſtigen Gebiete angehörend,
nicht unberührt bleiben konnten.
Da nun in jenen Bewegungen unter den
treibenden Kräften die Nationalität eine der erſten
Stellen einnimmt, ſo liegt der Gedanke ſehr nahe,
von jetzt an für uns Deutſche das deutſche Recht
als allein zuläſſig, als einzigen, der wiſſenſchaftlichen
Thätigkeit würdigen Gegenſtand zu betrachten.
Indeſſen iſt die Frage von der Stellung des
Römiſchen Rechts zum Deutſchen Recht und zum
Deutſchen Vaterlande überhaupt, nicht von heute
und geſtern; ſie iſt älter, als der Sturm unſerer
Tage, und ſo habe auch ich ſeit länger, als einem
Menſchenalter, Gelegenheit gehabt, mich über dieſe
Frage öfter auszuſprechen (a). Ein Gleiches iſt
von Manchen meiner wiſſenſchaftlichen Freunde
(a) Ich verweiſe zunächſt auf
die Vorrede zum erſten Band
dieſes Werkes, aus deren ausführ-
licher Darſtellung die hier folgen-
den Gedanken einen zuſammen-
gedrängten Auszug enthalten, ſo
wie ihn das Bedürfniß des gegen-
wärtigen Augenblicks zu erfordern
ſchien.
|0011 : V|
Vorrede.
geſchehen, auch von ſolchen, die nicht mehr unter
uns ſind.
Die unbefangene Betrachtung des hier vorlie-
genden Gegenſatzes kann nicht mehr verdunkelt
werden, als durch eine ungehörige Einmiſchung der
vaterländiſchen Geſinnung in die Prüfung der ent-
gegenſtehenden Meinungen, indem man denſelben bald
Gunſt, bald Ungunſt zuzuwenden verſucht, je nachdem
die eine oder die andere Meinung als Kennzeichen
des Beſitzes oder des Mangels einer ſolchen Ge-
ſinnung dargeſtellt wird. Dieſes Verfahren alſo
muß vor Allem vermeiden, Wer in der Erforſchung
der Wahrheit durch keinen falſchen Schein ſich ſtören
zu laſſen entſchloſſen iſt. Ich will gerne in meiner
Wiſſenſchaft die tiefere Einſicht und die vielſeitigere
Auffaſſung Anderer anerkennen, durch welche ich
ſelbſt ja nur gehoben und bereichert werden kann.
Ich bin ferner bereit, es als möglich anzuerkennen,
daß die großen Schickſale unſerer Tage auch in den
Wiſſenſchaften neue Entwickelungen hervorrufen
werden, denen vielleicht die abnehmenden Kräfte
eines höheren Alters nicht mehr gewachſen ſeyn
dürften. Mögen ſich denn Forſcher von friſchen
Kräften zur Löſung dieſer Aufgabe hervorthun, und
|0012 : VI|
Vorrede.
mögen ſie ſowohl ſelbſt den Ernſt der Aufgabe
erkennen, als von außen, neben unbefangener Auf-
nahme, zugleich auch ſtrenge Prüfung ihrer Be-
rechtigung finden. — Aber in ernſter, aufrichtiger,
warmer Liebe zu meinem Vaterlande, in der Be-
reitſchaft, ihm jedes Opfer der Selbſtverleugnung
zu bringen, will ich Keinem nachſtehen, wer er
auch ſey.
Wenn von mir und Anderen das Römiſche Recht
auch in Deutſchland hoch geſtellt, wenn es fort-
während für einen würdigen, ja unentbehrlichen
Gegenſtand wiſſenſchaftlicher Thätigkeit erachtet
worden iſt, ſo iſt Dieſes geſchehen, nicht um das
Fremde zu erheben auf Koſten der vaterländiſchen
Ehre, nicht um die einheimiſchen Gedanken und
Sitten des Rechts zu verdrängen durch die fremden,
ſondern damit auch auf dieſem Felde Das, was
Gott anderen Zeiten und Völkern an geiſtiger Ent-
wicklung beſchieden hat, unſerm Volke nicht fremd
bleibe, daß es ihm vielmehr zur Erhöhung der
eigenen Kraft und zur Erweiterung ſeines geiſtigen
Beſitzes zubereitet und dargeboten werde.
Ganz beſonders aber iſt es geſchehen in der
Ueberzeugung, daß für uns Deutſche, wie für viele
|0013 : VII|
Vorrede.
andere Nationen, jenes urſprünglich fremde Element
ohnehin ſeit Jahrhunderten ein Beſtandtheil des
einheimiſchen Rechtslebens geworden iſt, und daß
es hier, großentheils unverſtanden oder halbver-
ſtanden, oft verderblich wirkt, anſtatt daß es, in
richtigem Verſtändniß, nur eine Bereicherung des
eigenen Rechtslebens ſchaffen kann. Wir haben
alſo gar nicht zu fragen, ob wir das Römiſche
Recht, etwa wie eine neu entdeckte Inſel, auf ſich
beruhen laſſen, oder uns aneignen wollen mit allen
Vortheilen und Schwierigkeiten, die es etwa mit ſich
führen mag. Wir haben es einmal, unſer ganzes
juriſtiſches Denken iſt ſeit Jahrhunderten damit ver-
wachſen, und die Frage iſt nur, ob durch daſſelbe
unſer Denken bewußtlos unterjocht, oder vielmehr
mit freiem Bewußtſeyn geſtärkt und bereichert
werden ſoll.
Man könnte etwa dieſe geſchichtliche Nothwendig-
keit als Thatſache anerkennen, aber als ein Uebel
beklagen, und dieſer Gedanke könnte zu dem Ent-
ſchluß führen, das Römiſche Recht durch eigene
Schöpfungen zu verdrängen und in Vergeſſenheit zu
bringen. Nicht zu gedenken aber, daß dieſes Be-
ſtreben nur zu einer, den Rechtszuſtand weſentlich
|0014 : VIII|
Vorrede.
verſchlimmernden Selbſttäuſchung führen würde, iſt
auch jener Gedanke ſelbſt von Grund aus irrig und
verwerflich. Die erwähnte geſchichtliche Verbindung
des Römiſchen Rechts mit dem Rechtsleben eines
großen Theils von Europa iſt ſo wenig ein Uebel
zu nennen, daß wir darin vielmehr die größte
Wohlthat erkennen müſſen. Die Beſchäftigung mit
dem Recht unterliegt, ihrer Natur nach, einer zwei-
fachen Gefahr: durch Theorie ſich zu verflüchtigen
in die hohlen Abſtractionen eines vermeintlichen
Naturrechts, durch die Praxis herabzuſinken zu
einem geiſtloſen, unbefriedigenden Handwerk. Gegen
beide Gefahren gewährt das Römiſche Recht, wenn
wir es recht gebrauchen, ein ſicheres Heilmittel.
Es hält uns feſt auf dem Boden eines lebens-
kräftigen Daſeyns; es knüpft unſer juriſtiſches
Denken einestheils an eine großartige Vergangenheit,
anderntheils an das Rechtsleben jetztlebender fremder
Nationen, mit welchen wir dadurch in einer, für beide
Theile gleich heilſamen, Verbindung erhalten werden.
Ein beſonders gefährlicher, kaum begreiflicher
Irrthum aber iſt es, welcher zu verſchiedenen
Zeiten zu der Annahme eines feindlichen Verhält-
niſſes zwiſchen dem Römiſchen und Deutſchen Recht
|0015 : IX|
Vorrede.
geführt hat. Nur nach einer ſehr beſchränkten Auf-
faſſung können die Bearbeiter des einen oder des
anderen dieſer Hauptzweige unſerer gemeinſamen
Rechtswiſſenſchaft glauben, das Gebiet ihrer eigenen
Thätigkeit zu fördern und zu erheben, indem ſie
das fremde bekämpfen und herabſetzen. Jeder
Fortſchritt auf dem einen Gebiet iſt vielmehr ein
ſicherer Gewinn auch für das andere, indem dadurch
ſtets der Geſichtskreis für das Ganze erweitert
wird.
Von dieſem Standpunkte aus hielten Alle, die
von jeher für das Römiſche Recht ſprachen, ihre
beſondere wiſſenſchaftliche Aufgabe zugleich für eine
ächt vaterländiſche, und von dieſer Ueberzeugung
kann ich auch jetzt nicht laſſen, auch nach den
großen Schickſalen der neueſten Zeit nicht.
Um es recht anſchaulich zu machen, wie in
ſolchen Dingen die Wahrheit und das Mißver-
ſtändniß zu einander ſich verhalten, will ich eine
Geſchichte erzählen, die ſich auf einem ganz anderen
Gebiete zugetragen hat. Als ich vor vierzig Jahren
eine Lehrſtelle an der Bairiſchen Univerſität Lands-
hut bekleidete, lebte daſelbſt ein Profeſſor der
Botanik, der wohlgemerkt kein eingeborner Baier
|0016 : X|
Vorrede.
war. Dieſer ſuchte ſeine ausſchließende Werth-
ſchätzung des beſonderen Bairiſchen Vaterlandes
dadurch zu bethätigen, daß er aus dem botaniſchen
Garten alle Pflanzen verbannen wollte, die nicht
in Baiern wild wachſen, um auf dieſe Weiſe einen
rein Vaterländiſchen Garten, befreit von fremden
Erzeugniſſen, herzuſtellen. Dieſes Verfahren wurde
damals von allen wirklichen Baiern in der Univer-
ſität verwerflich gefunden, denen es an der kräftigſten
Vaterlandsliebe gewiß nicht fehlte.
Der Verfaſſer hat hier die Gründe dargelegt,
aus welchen er entſchloſſen iſt, ſein Werk auch in
dieſer neuen Zeit, und ungeachtet derſelben, mit
Ernſt nnd Liebe fortzuſetzen; beide Geſinnungen ſollen
ja, nach dem Ausſpruch unſeres Dichters, gerade
dem Deutſchen beſonders wohl anſtehen. Die
Weltereigniſſe haben mir zu dieſer Arbeit jetzt
freie Muße gewährt. Wie lange dazu Leben und
Kraft ausreichen wird, ſteht in Gottes Hand.
|0017 : XI|
Vorrede.
Von dem allgemeinen Theil des gegenwärtigen
Rechtsſyſtems iſt jetzt nur noch das dritte Buch
übrig, welches die Anwendung der Rechtsregeln auf
die Rechtsverhältniſſe enthalten wird, insbeſondere
die Lehren von der örtlichen und räumlichen Colliſion
der Quellen des poſitiven Rechts, oder von dem
ſ. g. internationalen Recht, und von der rückwir-
kenden Kraft der Geſetze. Dieſe wichtige Lehren
werden wahrſcheinlich in dem achten Band dargeſtellt
werden können.
Geſchrieben im Auguſt 1848.
|0018 : [XII]|
|0019 : XIII|
Inhalt des ſiebenten Bandes.
Zweites Buch. Die Rechtsverhältniſſe.
Viertes Kapitel. Verletzung der Rechte.
Seite.
§. 302. Surrogate des Urtheils. Einleitung 1
§. 303. Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Ge-
ſtändniß. — Confessio in jure 6
§. 304. Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Ge-
ſtändniß. — Confessio in jure (Fortſetzung). 12
§. 305. Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Ge-
ſtändniß. — Interrogatio in jure 20
§. 306. Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Ge-
ſtändniß. — Widerruf 28
§. 307. Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Ge-
ſtändniß. — Widerruf (Fortſetzung) 34
§. 308. Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Ge-
ſtändniß. — Heutiges Recht 39
§. 309. Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Einleitung 47
§. 310. Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Zu-
ſchiebung, Ableiſtung, Inhalt, Form, Erlaß
des zugeſchobenen Eides 56
|0020 : XIV|
Inhalt des ſiebenten Bandes.
§. 311. Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Gemein-
ſame Wirkungen 63
§. 312. Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Beſondere
Wirkungen, je nach der verſchiedenen Lage des
Streites 70
§. 313. Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Beſondere
Wirkungen, je nach der verſchiedenen Lage des
Streites (Fortſetzung) 78
§. 314. Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Heutiges
Recht 84
§. 315. Reſtitution. — Einleitung 90
§. 316. Reſtitution. — Begriff derſelben 95
§. 317. Reſtitution. — Eigenthümliche Natur und Ent-
wicklung derſelben 107
§. 318. Reſtitution. — Bedingungen. — I. Verletzung 118
§. 319. Reſtitution. — Bedingungen. — I. Verletzung
(Fortſetzung) 124
§. 320. Reſtitution. — Bedingungen. — II. Reſtitutions-
grund 130
§. 321. Reſtitution. — Bedingungen. — III. Abweſenheit
poſitiver Ausnahmen 138
§. 322. Reſtitution. — Einzelne Gründe. — I. Minder-
jährigkeit 145
§. 323. Reſtitution. — Einzelne Gründe. — I. Minder-
jährigkeit (Fortſetzung) 149
§. 324. Reſtitution. — Einzelne Gründe. — I. Minder-
jährigkeit (Fortſetzung) 156
§. 325. Reſtitution. — Einzelne Gründe. — II. Abweſenheit 161
§. 326. Reſtitution. — Einzelne Gründe. — II. Abweſenheit
(Fortſetzung) 169
§. 327. Reſtitution. — Einzelne Gründe. — II. Abweſenheit
(Fortſetzung) 173
|0021 : XV|
Inhalt des ſiebenten Bandes.
§. 328. Reſtitution. — Einzelne Gründe. — II. Abweſenheit
(Fortſetzung) 180
§. 329. Reſtitution. — Einzelne Gründe. — II. Abweſenheit
(Fortſetzung) 185
§. 330. Reſtitution. — Einzelne Gründe. — III. Zwang 191
§. 331. Reſtitution. — Einzelne Gründe. — IV. Irrthum 196
§. 332. Reſtitution. — Einzelne Gründe. — V. Betrug 198
§. 333. Reſtitution. — Einzelne Gründe. — VI. Antiquirte
Gründe 210
§. 334. Reſtitution. — Gerichtsbehörden 214
§. 335. Reſtitution. — Parteiperſonen 216
§. 336. Reſtitution. — Parteiperſonen (Fortſetzung) 223
§. 337. Reſtitution. — Verfahren 228
§. 338. Reſtitution. — Verfahren (Fortſetzung) 239
§. 339. Reſtitution. — Verfahren (Fortſetzung) 244
§. 340. Reſtitution. — Verfahren (Fortſetzung) 251
§. 341. Reſtitution. — Verfahren (Fortſetzung) 257
§. 342. Reſtitution. — Wirkungen 264
§. 343. Reſtitution. — Wirkungen (Fortſetzung) 269
Beilage XVIII. Reſtitution der Minderjährigen, welche in
väterlicher Gewalt ſtehen 277
Beilage XIX. L. 57 mandati 292
|0022|
|0023 : [1]|
§. 302.
Surrogate des Urtheils. Einleitung.
Es iſt ſchon oben auf die Natur einiger Rechtsinſtitute
hingedeutet worden, welche die Stelle eines Urtheils ver-
treten können, alſo ein ſolches unnöthig machen (a). Der
Begriff eines ſolchen Surrogats iſt aber nur da vorhanden,
wo in der That die Entſcheidung eines Rechtsſtreits,
nur auf einem anderen Wege, als durch ein richterliches
Urtheil, herbeigeführt wird. Dahin gehören folgende In-
ſtitute, die nunmehr der Reihe nach abgehandelt werden
ſollen:
I. Das gerichtliche Geſtändniß (Confessio und Interro-
gatio in jure).
II. Der Eid.
Wohl davon zu unterſcheiden aber, und gar nicht hier-
her zu ziehen, ſind die häufigen und wichtigen Fälle, in
welchen zwar ein äußerlich ähnlicher Erfolg wahrzunehmen
iſt, nämlich die Beſeitigung eines Rechtsſtreits, jedoch
nicht durch Entſcheidung deſſelben, ſondern durch deſſen
Vernichtung, indem durch Verwandlung ein neues,
(a) S. o. B. 6 S. 265. des Zuſammenhangs wegen vgl. B. 5 § 204
B. 6 § 256.
VII. 1
|0024 : 2|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
nicht ſtreitiges, Rechtsverhältniß an die Stelle des bis-
herigen ſtreitigen geſetzt wird. Die meiſten derſelben laſſen
ſich auf einen Vertrag, alſo auf Einigung der Parteien,
zurückführen; alle aber gehören nicht hierher, in das
Actionenrecht, ſondern in den ſpeciellen Theil des Rechts-
ſyſtems, und zwar in das Obligationenrecht. An dieſer
Stelle mag eine kurze Ueberſicht der hier auszuſcheidenden
Fälle der Beſeitigung eines Rechtsſtreits genügen.
1. Vergleich.
Darunter iſt zu verſtehen die Beendigung eines Rechts-
ſtreits durch die freie Uebereinkunft beider Theile über irgend
einen, zwiſchen ihren urſprünglichen Anſprüchen in der
Mitte liegenden, Punkt. Hierin liegt augenſcheinlich eine
rein vertragsmäßige, alſo obligatoriſche, Umwandlung des
bisherigen Rechtsverhältniſſes.
2. Erlaß oder Verzicht, alſo völliges Nachgeben
von Seiten des Klägers. Dieſer Fall hat Aehnlichkeit mit
dem Fall des Vergleichs, unterſcheidet ſich aber dadurch,
daß zum Weſen des Vergleichs ein Nachgeben von beiden
Seiten gehört.
Außerdem iſt aber zu bemerken, daß dieſer Fall eine
ſehr vieldeutige Natur an ſich trägt (b). Es kann darin
liegen das Anerkenntniß des Klägers, daß er kein Recht
hat; oder auch umgekehrt die Abſicht, ſein (vielleicht ſelbſt
(b) Dieſe mögliche Vieldeutigkeit
der zum Grunde liegenden Abſicht
wird erwähnt in L. 29 § 1 de
don. (39. 5). Nach derſelben Stelle
aber ſoll der Verzicht gleichmäßig
bindend wirken, es mag die eine
oder die andere Abſicht zum
Grunde liegen.
|0025 : 3|
§. 302. Surrogate des Urtheils. Einleitung.
vom Gegner anerkanntes) Recht ſchenkungsweiſe aufzugeben;
oder endlich die unbeſtimmtere Abſicht, blos die Verfolgung
des Rechts, als ſchwierig oder zweifelhaft, für immer fallen
zu laſſen. Oft werden dieſe verſchiedenen möglichen Gedanken
in der vorliegenden Willenserklärung, ja ſelbſt in dem
eigenen Bewußtſeyn des Klägers, nicht mit Sicherheit zu
unterſcheiden ſeyn; die Wirkſamkeit der Handlung aber iſt
davon unabhängig.
Aber nicht blos in den zum Grunde liegenden Gedanken,
ſondern auch in der Form der Handlung, erſcheint der
Verzicht auf verſchiedene Weiſe. Er kommt vor in Geſtalt
eines Vertrags (c), und in dieſer Geſtalt iſt ſo eben die
Verwandtſchaft deſſelben mit dem Vergleiche bemerkt worden.
Er kommt aber auch vor in der Geſtalt einer vor dem
Richter abgegebenen einſeitigen Erklärung, den Rechtsſtreit
fallen laſſen zu wollen (desistere). Geſchieht dieſe Er-
klärung in jure, ſo hat ſie die Natur einer confessio in
jure, alſo eines wahren Surrogats (d).
Mit dem Verzicht wird, als Fiction deſſelben, nicht
ſelten der Fall zuſammengeſtellt, wenn der Kläger die Sache
liegen läßt, und dadurch ein abweiſendes Contumacial-
Urtheil veranlaßt. Man betrachtet hier das Benehmen des
Klägers als eine Erklärung, die Sache nicht weiter ver-
(c) Das pactum ne petatur,
welches den größten Theil des
Pandektentitels de pactis (II. 14.)
ausfüllt. Die Stellung dieſes Titels
unmittelbar vor dem de trans-
actionibus erklärt und rechtfertigt
ſich aus der eben bemerkten Ver-
wandtſchaft beider Inſtitute.
(d) L. 29 § 1 de don.
(39. 5), ſ. u. § 303 Note r.
1*
|0026 : 4|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
folgen zu wollen, wobei der Beweggrund dahin geſtellt
bleiben ſoll. Wenn es indeſſen wirklich zu einem abweiſen-
den Urtheil kommt, ſo ſind ſtets die Regeln, die für das
Urtheil gelten, nicht die vom Verzicht anzuwenden (e).
3. Der umgekehrte Fall von dem Erlaß oder Verzicht
würde in einem völligen Nachgeben von Seiten des Be-
klagten beſtehen. Allein dieſer Fall hat im Römiſchen Recht,
in der Geſtalt der in jure confessio, die Natur eines
wahren Surrogats des richterlichen Urtheils angenommen,
und wird daher unter den nunmehr darzuſtellenden Surro-
gaten ſeine eigenthümliche Stelle erhalten. Er kann
übrigens auch die reine Form des Vertrags annehmen, und
iſt dann allerdings ganz ſo, wie der vorhergehende Fall, zu
behandeln.
4. Das Compromiß hat an ſich eine augenſcheinliche
Verwandtſchaft mit den Surrogaten des Urtheils. Daß
wir es nicht dahin rechnen, liegt in der urſprünglichen Be-
handlung dieſes Inſtituts bei den Römern, welche auf der
reinen Natur eines Vertrages beruhte. Allerdings hat es
ſich in der ſpäteren Zeit mehr den Urtheilen angenähert;
dennoch müſſen wir es in die Reihe der Verträge ſetzen,
(e) Vgl. Thibaut civiliſti-
ſche Abhandlungen S. 160. 161.,
Hollweg Gerichtsverfaſſung und
Prozeß S. 287. 294 — 296.,
Bayer Vorträge S. 285 — 288.
— Blos in manchen ſpeciellen Be-
ziehungen ſoll das Ausbleiben als
Verzicht, zum Vortheil des Klägers,
behandelt werden, z. B. inſofern
er dadurch die Nachtheile vermeidet,
die ihn wegen der Anfechtung eines
Teſtaments treffen würden. L. 8
§. 14 de inoff. test. (5. 2), L. 8
C. de his quib. ab ind. (6. 35).
Vgl. auch L. 27 § 1 de lib.
causa (40. 12).
|0027 : 5|
§. 302. Surrogate des Urtheils. Einleitung.
weil nur in dieſem Zuſammenhang ſeine eigenthümliche Ent-
wicklung deutlich gemacht werden kann.
5. Die Selbſthülfe gehört in die Reihe der hier
zuſammengeſtellten Rechtsinſtitute, inſofern durch ſie das
vielleicht wirklich vorhandene Recht zur Strafe verloren,
dann alſo zugleich jeder mögliche Rechtsſtreit darüber auf
unfreiwillige Weiſe vernichtet werden kann. Sie gehört in
die Reihe der Obligationen welche aus Delicten entſtehen.
Wenngleich nun alle hier angegebene Fälle die Natur
wahrer Surrogate des Urtheils nicht an ſich tragen, ſo iſt
doch bei einigen derſelben eine wichtige Verwandtſchaft mit
dem Urtheil, die ſchon bei einer anderen Gelegenheit ange-
deutet wurde, hier wieder in Erinnerung zu bringen. Die
Fälle nämlich, welche die Natur wahrer Verträge haben
(Num 1. 2.), heben nicht blos den gegenwärtigen Rechts-
ſtreit auf, ſondern verhindern auch deſſen Erneuerung für
jede künftige Zeit. Dabei kann die Frage entſtehen, ob ein
ſpäterhin verſuchter Rechtsſtreit in der That eine ſolche
unzuläſſige Erneuerung des durch Vertrag beendigten in
ſich ſchließe, oder ob er als ein ganz neuer, von dem
früheren unabhängiger, zu betrachten ſey. Dieſelbe Frage
iſt ſchon oben, bei den Folgen des rechtskräftigen Urtheils,
ausführlich behandelt worden, und die dort aufgeſtellten
Regeln finden auch hier ihre Anwendung. Wenn alſo die
Frage nach der Identität eines verſuchten Rechtsſtreits mit
|0028 : 6|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
einem früher beendigten zu beantworten iſt, ſo gelten die-
ſelben Regeln, es mag die Beendigung durch ein rechts-
kräftiges Urtheil, oder aber durch einen Vertrag herbeige-
führt worden ſeyn. Es hat alſo in dieſer Beziehung
die pacti exceptio gleiche Natur mit der exceptio rei
judicatae (f).
§. 303.
Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Geſtändniß. —
Confessio in jure.
Quellen:
Dig. XLII. 2 (de confessis). XI. 1 (de interrogatio-
nibus in jure faciendis et de interrogatoriis actionibus).
Cod. VII. 59 (de confessis).
Paulus V. 5 A, II. 1 § 5.
Cod. Greg. X. 2.
Schriftſteller:
Donellus Lib. 28 C. 1.
Weber Verbindlichkeit zur Beweisführung, herausg. von
Heffter. Halle 1832. Vierte Abhandlung und Zuſ.
S. 290—296.
Bethmann-Hollweg Verſuche über Civilprozeß.
Berlin 1827. Vierte Abhandlung.
Puchta Curſus der Inſtitutionen, Auflage 2. B. 2
§. 173. 174.
(f) L. 27 § 6. 8 de pactis (2. 14). Vgl. oben B. 6 S. 414.
426. 446.
|0029 : 7|
§. 303. Surrogate. I. Geſtändniß. Confessio.
Das Römiſche Recht hat zwei hierher gehörende, ſehr
alte Rechtsinſtitute, die wegen ihrer inneren Verwandtſchaft
nur in Verbindung mit einander deutlich gemacht werden
können: die confessio in jure, und die interrogatio in jure.
Der Grundſatz, worauf die confessio in jure beruht,
läßt ſich ſo ausdrücken: Wenn ein Beklagter vor dem Prätor
die Behauptung des Klägers vollſtändig einräumt, ſo ſoll
dieſes Zugeſtändniß einer Verurtheilung gleich gelten.
Nur das vor dem Prätor (in jure) abgelegte Geſtänd-
niß ſollte dieſe eigenthümliche Wirkung haben, nicht das
vor dem Judex (a). Daher wird in den Quellen zuweilen
dem Ausdruck Confessio oder Confessus der Zuſatz beige-
geben: in jure (b). Gemeint iſt dieſer Zuſatz immer, und
darum wird er in den meiſten Stellen nicht einmal nöthig
gefunden.
In dem aufgeſtellten Grundſatz liegt eine zweifache
Wirkung: Der Beklagte iſt durch ſein Geſtändniß verpflichtet,
und dieſe Verpflichtung tritt unmittelbar ein, ohne daß es
dazu eines Urtheils bedarf. Durch dieſe zweite Wirkung
erhält eben das Geſtändniß ſeinen beſonderen Charakter als
Surrogat des Urtheils.
(a) Das Geſtändniß vor dem Ju-
dex hatte immer entſcheidenden Ein-
fluß auf das Urtheil, aber keine ſelbſt-
ſtändige Natur und keine formelle
Regeln. Seit der Aufhebung des
ordo judiciorum verſchwindet
dieſer Unterſchied.
(b) L. 29 § 1 de don. (39. 5)
L. 56 de re jud. (42. 1), L. un.
C. de confessis (7. 59), L. 4 C.
de repud. her. (6. 31).
|0030 : 8|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Die Römer drücken den aufgeſtellten Grundſatz ſo aus:
Confessus pro judicato est oder habetur (c). Dieſer Aus-
druck aber iſt ganz ernſtlich gemeint; denn es ſoll aus dem
bloßen Geſtändniß, ohne Urtheil, ſogleich Execution gegen
den Beklagten erfolgen, durch Abpfändung und Verkauf
ſeiner Sachen (d). Daher wird denn auch das Geſtändniß
neben das Urtheil und den Eid geſtellt, alſo auf gleiche
Linie mit denſelben (e). Bei dem Urtheil aber gilt die
durchgreifende Regel: condemnatus ut pecuniam solvat (f).
Die Wahrheit jenes Grundſatzes alſo iſt außer Zweifel
geſetzt; dennoch hat er nur eine beſchränkte Wahrheit, indem
er zunächſt und unmittelbar nur für den einzigen Fall gilt,
wenn eine Schuldklage auf eine beſtimmte Geldſumme an-
geſtellt und von dem Beklagten zugeſtanden wird (g). Der
Grund dieſer Beſchränkung liegt darin, daß im alten Pro-
zeß auch das Urtheil nur auf eine beſtimmte Geldſumme
gehen konnte (h), und nur dabei eine unmittelbare Execution
durch abgepfändete und verkaufte Sachen möglich war.
(c) L. 1. 3. 6 § 2 de confessis
(42. 2), L. 56 de re jud. (42. 1),
L. un. C. de confessis (7. 59),
L. 4 C. de repud her. (6. 31),
Paulus u. Cod. Greg. in den
oben angeführten Stellen.
(d) L. 9 C. de execut. (7. 53),
Paulus II. 1 § 5.
(e) L. 56 L. 31 de re jud.
(42. 1).
(f) L. 4 § 3 de re jud.
(42. 1).
(g) L. 4 C. de repud. her.
(6. 31) „quod confessos in jure
pro judicatis haberi placuit …
ad certam quantitatem deberi
confitentem pertinet.“ L. 6 pr.
de confessis (42. 2) „Certum
confessus pro judicato erit,
incertum non erit.“ Certum
aber heißt hier und in vielen
andern Stellen, die von Klagen
handeln, ſo viel als certa pecunia
(B. 5 S. 623—625), wie auch die
gleich folgenden Worte zeigen.
(h) Gajus IV. § 48.
|0031 : 9|
§. 303. Surrogate. I. Geſtändniß. Confessio.
In allen übrigen Fällen, das heißt, bei dem Geſtändniß
eines beſtimmten Gegenſtandes außer baarem Geld, oder
eines unbeſtimmten Gegenſtandes, alſo in den meiſten
Fällen überhaupt, ſoll der Beklagte wo möglich dazu ge-
bracht werden, ſein Geſtändniß auf eine beſtimmte Geld-
ſumme zu richten, alſo in ein certum zu verwandeln (i).
Iſt aber Dieſes nicht möglich, ſo erfolgt nunmehr ein ge-
wöhnlicher Prozeß; es wird ein Juder beſtellt, eine Litis-
conteſtation vorgenommen, und ein Urtheil geſprochen (k).
Man könnte durch dieſe Unterſcheidung verleitet werden,
dem oben aufgeſtellten Grundſatz eine geringere praktiſche
Bedeutung zuzuſchreiben, als ihm in der That zukommt.
Er iſt aber wahr auch für alle übrigen Fälle, nur in einer
etwas anderen Weiſe.
In dem nunmehr entſtehenden Rechtsſtreit iſt nämlich
der Judex an den Inhalt des Geſtändniſſes ſtreng gebunden;
er darf davon nicht abweichen, hat deshalb Nichts zu
unterſuchen (l), und ſeine Thätigkeit beſchränkt ſich darauf,
den eingeräumten Gegenſtand in eine beſtimmte Geldſumme
zu verwandeln (m).
(i) L. 6 § 1 de confessis
(42. 2) „urgeri debet“. Darin
liegt aber weder ein directer, noch
ein indirecter Zwang, außer etwa
inſofern die grundloſe Weigerung
vielleicht den Judex zu einem
nachtheiligeren Urtheil ſtimmen
könnte. Bethmann-Hollweg
S. 265.
(k) L. 7. 5. 3. 8 de confessis
(42. 2).
(l) „nihil quaeritur“. L. 56
de re jud. (42. 1), welcher Satz
hier ausdrücklich abgeleitet wird
aus der Regel: confessi pro
judicatis habentur.
(m) „Judex non rei judican-
dae, sed aestimandae datur“.
|0032 : 10|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Die Formel mag in ſolchen Fällen etwa auf folgende
Weiſe gefaßt worden ſeyn:
Quod N. Negidius in jure confessus est, fundum
Cornelianum A. Agerio se dare oportere, quanti is
fundus est, eum condemna,
ſo daß dabei die Intentio: si paret, N. Negidium fundum
dare oportere, ganz ausfiel (n).
Kam ein ſolches Geſtändniß bei einer arbiträren Klage,
insbeſondere bei einer Eigenthumsklage vor, ſo hatte es
ganz die Natur einer pronuntiatio, und machte dieſelbe ent-
behrlich, indem es ihre Stelle vertrat (o).
Bei der confessio wird noch die beſondere Regel er-
wähnt, daß hier dieſelbe geſetzliche Zahlungsfriſt eintrete,
wie bei dem Urtheil, und daß dieſe von dem Tage des
Geſtändniſſes an gerechnet werden müſſe (p).
Nach der bis hierher geführten Unterſuchung kann die
gemeinſame Wirkung des gerichtlichen Geſtändniſſes, an-
L. 25 § 2. L. 26 ad L. Aquil.
(9. 2), L. 40 § 1 de pactis
(2. 14).
(n) Dieſes war nun die actio
confessoria, von welcher in dem
folgenden § die Rede ſeyn wird
(§ 304 Note k).
(o) L. 6 § 2 de confessis
(42. 2). Ueber die pronuntiatio
ſ. o. B. 6 S. 318—320.
(p) L. 6 § 6 de confessis
(42. 2), L. 21 de jud. (5. 1),
L. 31 de re jud. (42. 1), Paulus
V. 5 A. § 2. — Natürlich konnte
dieſer Satz nur gelten von dem
auf baares Geld gerichteten Ge-
ſtändniß, wodurch ein nachfolgen-
des Urtheil ganz entbehrlich wurde
(Note g).
|0033 : 11|
§. 303. Surrogate. I. Geſtändniß. Confessio.
ſchließend an die Wirkung des rechtskräftigen Urtheils (q),
ſo ausgedrückt werden:
Confessio pro veritate accipitur,
und dieſer Ausdruck iſt gleich wahr und gleich wichtig für
jedes gerichtliche Geſtändniß, es mag auf eine Geldſchuld
oder auf einen anderen, beſtimmten oder unbeſtimmten Ge-
genſtand gerichtet ſeyn. In dieſem Sinn alſo kann man
ſagen, daß jedes gerichtliche Geſtändniß als Surrogat eines
Urtheils gelten kann, indem es, gleich dem Urtheil, die
Fiction der Wahrheit, das heißt, formelle Wahr-
heit, begründet, wenngleich es nicht in allen Fällen ein
nachfolgendes Urtheil entbehrlich macht.
Wenn man das gerichtliche Geſtändniß in dieſer ſeiner
allgemeinen Natur auffaßt, ſo iſt es der reine Gegenſatz
des von dem Kläger vor Gericht ausgeſprochenen Verzichts
(§ 302). Dieſe Vergleichung muß auch darin als wahr
anerkannt werden, daß dem Geſtändniß ſehr verſchiedene
Gedanken zum Grunde liegen können; am häufigſten die
wirkliche Anerkennung des Rechts des Klägers; ferner die
beſtimmte Abſicht, zu ſchenken; endlich eine unbeſtimmte, in
der Mitte liegende Abſicht, das Nachgeben bei einer zweifel-
haften Sache, um nur den Rechtsſtreit zu vermeiden. —
Ferner iſt die Vergleichung dahin auszudehnen, daß außer
dem gerichtlichen Geſtändniß auch ein auf gleichen Zweck
gerichteter Vertrag vorkommen kann. Dieſes iſt der Recog-
(q) S. o. B. 6 S. 274.
|0034 : 12|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
nitiv-Vertrag, der in das Obligationenrecht gehört, und
gewöhnlich nicht in ſeiner wahren Natur aufgefaßt wird.
Uebrigens kann eine ſolche confessio in jure auch von
Seiten des Klägers vorkommen, wenn nämlich dieſer vor
dem Prätor unbedingt erklärt, daß er keinen Anſpruch an
den Beklagten habe. Dadurch giebt er ſein Klagrecht völlig
auf, die Handlung gilt gleich einer rechtskräftigen Frei-
ſprechung, und hat alſo ganz die Natur eines Surrogats
des Urtheils. Ein ſolcher Fall aber wird in dieſer Form
nur ſehr ſelten vorkommen, und wenn er vorkommt, hat er
eine ſo einfache Natur, daß er näherer Beſtimmungen kaum
bedürfen wird. Aus beiden Gründen iſt es wohl zu erklären,
daß derſelbe, ſo viel ich weiß, nur in einer einzigen Stelle
des Römiſchen Rechts erwähnt wird (r), und daß er weder
durch die Geſetzgebung, noch durch die Arbeiten der alten
Juriſten beſonders ausgebildet worden iſt.
§. 304.
Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Geſtändniß. —
Confessio in jure. (Fortſetzung.)
Der oben aufgeſtellte wichtige Grundſatz über die Kraft
des gerichtlichen Geſtändniſſes des Beklagten hat folgende
Entſtehung und allmälige Entwicklung gehabt.
(r) L. 29 § 1 de don. (39. 5).
S. o. § 302 Note d. — Es heißt
in jener Stelle: „eum actionem
jure amisisse respondit“. Wenn
er nun dennoch die Klage anſtellen
wollte, ſo ſtand ihm ohne Zweifel
eine exceptio confessi oder con-
fessoria entgegen, mit gleicher
Wirkung, wie die exceptio rei
judicatae.
|0035 : 13|
§. 304. I. Geſtändniß. Confessio. (Fortſetzung.)
1. Für den Hauptfall, das Geſtändniß einer beſtimmten
Geldſchuld, iſt die erſte Quelle in der Vorſchrift der zwölf
Tafeln zu ſuchen: Aeris confessi rebusque jure judicatis
XXX. dies justi sunto etc. (a), in welchem das Geſtändniß
dem rechtskräftigen Urtheil mit gleicher Kraft an die Seite
geſetzt wurde. Beiden Thatſachen gleichmäßig wurde hier
die Wirkung der Schuldknechtſchaft, alſo der Perſonal-
execution, beigelegt, an welche ſich dann in ſpäterer Ent-
wicklung die der Realexecution angeſchloſſen hat, von
welcher allein jetzt noch die Rede iſt (b). — Damit war alſo
der Grund zu dieſem Rechtsinſtitut gelegt.
2. Eine Erweiterung deſſelben für einige beſondere Fälle
wurde durch das prätoriſche Edict eingeführt. Für vier
Klagen galt die Vorſchrift, daß der Beklagte, wenn er
wiſſentlich leugnete und überführt wurde, den eingeklagten
Werth zur Strafe doppelt bezahlen ſollte (c); das Einge-
ſtändniß ſchützte alſo vor dieſer Strafe, und es konnte im
Fall deſſelben nur die Frage entſtehen, ob denn der Be-
klagte durch ſein Geſtändniß auch wirklich für den einfachen
Werth verpflichtet werde. Dieſes mußte unbedingt ange-
nommen werden, weil das Geſtändniß hier die Natur eines
(a) Gellius XX. 10.
(b) Ob die Schuldknecht-
ſchaft auf die Geldſchulden aus
dem Darlehen beſchränkt war, iſt
ſtreitig; vgl. Savigny über das
altrömiſche Schuldrecht, Abhand-
lungen der Berliner Akademie 1833.
Daß die Realexecution, in
Folge des Geſtändniſſes wie des
Urtheils, auf Geldſchulden jeder
Art ging, iſt unzweifelhaft.
(c) Lis inficiando crescit in
duplum. Gajus IV. § 9. 171. Dieſe
vier Klagen ſind: judicati, de-
pensi, damni injuria dati, le-
gati per damnationem relicti.
|0036 : 14|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Vergleichs hatte; der Beklagte übernahm die Leiſtung des
einfachen Werthes, um dadurch der Gefahr der doppelten
Leiſtung zu entgehen. Dieſe in der Natur der Sache ge-
gründete Auffaſſung erhielt eine ausdrückliche Beſtätigung
durch das Edict, welches neben der Klage auf das Doppelte
gegen den Leugnenden auch die einfache Klage gegen den
Geſtändigen ausſprach, alſo die Verpflichtung wegen des
Geſtändniſſes geradezu anerkannte (d). — Indeſſen konnte
dieſe Beſtimmung nur für die wenigſten unter den angege-
benen Fällen als etwas Neues, folglich als eine wahre
Erweiterung, angeſehen werden. Die actio judicati und
depensi gingen ohnehin ſtets auf eine beſtimmte Geldſumme,
und ſtanden alſo ſchon unter der Vorſchrift der Zwölf Tafeln
(Num. 1.); eben ſo auch die Klage aus dem Legat, wenn
daſſelbe auf eine Geldſumme gerichtet war. So blieben
alſo als neu, als Gegenſtände einer Erweiterung für die
Kraft des Geſtändniſſes, nur folgende zwei Klagen übrig:
die Klage aus einem legatum damnationis, wenn daſſelbe
auf einen anderen beſtimmten Gegenſtand, als baares Geld,
z. B. auf ein Haus, ein Pferd u. ſ. w. gerichtet war, und
die actio legis Aquiliae wegen körperlicher Beſchädigung
fremder Sachen. Für den letzten Fall ſind uns die genaue-
ſten Nachrichten von dieſer neuen Beſtimmung über die
Kraft des Geſtändniſſes aufbewahrt, wovon ſogleich noch
mehr die Rede ſeyn wird.
(d) Bethmann-Hollweg S. 265—268.
|0037 : 15|
§. 304. I. Geſtändniß. Confessio. (Fortſetzung.)
In allen übrigen Fällen eines gerichtlichen Geſtändniſſes
fehlte es alſo ganz an ausdrücklichen Beſtimmungen über
deſſen formelle Kraft. Dennoch iſt nicht zu bezweifeln, daß
das Geſtändniß ſtets thatſächliche Anerkennung in den
Urtheilen der Richter gefunden haben wird, und zwar ohne
Unterſchied, ob es vor dem Prätor oder vor dem Judex
abgelegt war.
3. Die volle Ausdehnung endlich, in welcher der
Grundſatz oben aufgeſtellt worden iſt (§ 303), erhielt der-
ſelbe erſt durch einen Senatsſchluß unter der Regierung
des K. Marcus Aurelius (oratio D. Marci). Hierin
wurde beſtimmt ausgeſprochen, daß bei Klagen aller Art
das vor dem Prätor abgelegte Geſtändniß für den Beklagten
dieſelbe verpflichtende Kraft haben ſollte, wie ein rechtskräf-
tiges Urtheil (e). — Wenngleich aber die Ausdrücke der alten
Juriſten über den Umfang dieſes Senatsſchluſſes höchſt allge-
mein gefaßt ſind, ſo muß derſelbe doch auf diejenigen Klagen
beſchränkt werden, worüber jede Partei eine völlig freie
Verfügung hat, welches bei den Klagen über Vermögens-
rechte durchaus der Fall iſt. Dagegen iſt dem Geſtändniß
nicht dieſelbe Kraft beizulegen, wenn es darauf abzweckt,
die perſönliche Freiheit des Geſtändigen zu verneinen, oder
eine Ehe als ungültig darzuſtellen (f).
4. Seit dem Untergang des ordo judiciorum hatte jede
(e) L. 6 § 2 de confessis (42. 2), L. 56 de re jud. (42. 1).
(f) L. 24. 39 C. de lib. causa (7. 16), C. 5 X. de eo, qui
cognovit (4. 13). — Bethmann-Hollweg S. 274.
|0038 : 16|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
confessio in judicio die Kraft der alten confessio in jure.
Als eigentliches Surrogat aber konnte ſie nun nicht mehr
gelten, ſondern nur noch als Grundlage eines richterlichen
Urtheils, welches an den Inhalt derſelben gebunden war.
Das Weſen des Geſtändniſſes wurde oben darin geſetzt,
daß der Beklagte die Behauptung des Klägers einräume
(§ 303), alſo in ein Einverſtändniß beider Parteien über
dieſe Behauptung. Nun geht dieſe Behauptung ſtets und
nothwendig auf das Daſeyn eines Rechtsverhältniſſes, ein
ſolches aber beruht wieder auf Thatſachen; zur genaueren
Einſicht in das Weſen des Geſtändniſſes iſt es alſo nöthig,
zu beſtimmen, ob als der eigentliche Gegenſtand des Ein-
verſtändniſſes das Rechtsverhältniß, oder vielmehr die
Thatſache gedacht werden müſſe.
Der Ausdruck confessio, ſo wie der entſprechende
deutſche Ausdruck, kann leicht dahin führen, die Thatſache
als den unmittelbaren Gegenſtand des Einverſtändniſſes
anzuſehen, wodurch alſo das Geſtändniß als bloßes Be-
weismittel erſcheinen könnte; allein die oben angegebene
juriſtiſche Natur deſſelben, welche in der Gleichſtellung mit
dem richterlichen Urtheil beſteht, führt vielmehr auf das
Rechtsverhältniß. Denn auf ein ſolches geht nothwendig
jedes Urtheil, und ſoll alſo das Geſtändniß gleiche Kraft
mit dem Urtheil haben, in manchen Fällen ſogar jedes
|0039 : 17|
§. 304. I. Geſtändniß. Confessio. (Fortſetzung.)
Urtheil völlig entbehrlich machen (§ 303), ſo muß es gleichfalls
das Daſeyn eines Rechtsverhältniſſes unmittelbar feſtſtellen.
Dieſe Natur des Geſtändniſſes wird denn auch in
unſern Rechtsquellen geradezu anerkannt; der Beklagte ge-
ſteht nämlich: se debere, oder fundum actoris esse (g),
und es wird Niemand bezweifeln, daß Schuld und Eigen-
thum reine Rechtsverhältniſſe ſind, wozu ſich gewiſſe That-
ſachen nur als Entſtehungsgründe verhalten können.
Indeſſen darf dabei nicht verkannt werden, daß in der
Anerkennung des Rechtsverhältniſſes ſtets auch die Aner-
kennung der dazu nöthigen Thatſachen liegt, nur daß dabei
die Auswahl unter mehreren gleich möglichen Thatſachen
ungewiß bleiben kann. Eben ſo wird nicht ſelten die An-
erkennung einer reinen Thatſache, z. B. des Empfanges
eines Darlehens, zugleich die Anerkennung eines Rechts-
verhältniſſes (hier der Darlehensſchuld) in ſich ſchließen.
Dadurch aber wird das Weſen der Sache nicht verändert.
Auch kommt in der That ein Fall vor, in welchem die
Römiſchen Juriſten das Geſtändniß auf eine reine Thatſache
beziehen. Dieſes darf aber nicht etwa als ein ungenauer,
nachläſſiger Ausdruck betrachtet werden, oder als Zeichen
eines Schwankens jener Juriſten über die hier zur Frage
geſtellten Anſichten. Vielmehr hat dieſe Beziehung ihren
Grund in der eigenthümlichen Natur einer einzelnen Klage,
und es muß gleich hier darauf näher eingegangen werden,
weil damit wichtige andere Streitfragen zuſammenhangen.
(g) L. 3. 5. 7 de confessis (42. 2), L. 6 § 2 eod.
VII. 2
|0040 : 18|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Es iſt nämlich ſchon bemerkt worden, daß die actio
L. Aquiliae unter die wenigen Klagen gehörte, worin das
Geſtändniß ſchon vor der oratio D. Marci eine beſondere
Wirkung hatte: einestheils den Beklagten von der Gefahr
des doppelten Erſatzes zu befreien, anderntheils ihn zum
einfachen Erſatz unbedingt, wie durch ein geſprochenes
Urtheil, zu verpflichten (§ 303). In dieſem Fall nun
konnte ſchon deswegen ein Urtheil durch das bloße Geſtänd-
niß nicht entbehrlich werden, weil noch immer der Geld-
werth des zugefügten Schadens zu beſtimmen blieb (h).
Das Geſtändniß alſo, das hier eine beſondere Wirkung
haben ſollte, ging nicht auf die (noch unbeſtimmte) Forderung
des Klägers, ſondern auf die reine Thatſache; ja nicht
einmal auf die ganze, vollſtändige Thatſache, ſondern ledig-
lich auf die perſönliche Thätigkeit des Beklagten, die Thäter-
ſchaft: Das, was unſere Criminaliſten den ſubjectiven
Thatbeſtand nennen (i). Dieſe eigenthümliche Beſchränkung
darf auch gar nicht als eine zufällige, willkürliche be-
trachtet werden, ſondern ſie hatte ihren guten Grund in
folgendem Umſtand. Wenn wegen der Tödtung oder Ver-
wundung eines Sklaven geklagt wurde, ſo war die That-
(h) L. 25 § 2 L. 26 ad L.
Aqu. (9. 2).
(i) L. 23 § 11 L. 24 L. 25
pr. ad L. Aquil. (9. 2), L. 4
de confessis (42. 2). In der
erſten dieſer Stellen ſind beſonders
entſcheidend die Worte: „hoc
enim solum remittere actori
confessoriam actionem, ne ne-
cesse habeat docere, eum
occidisse, ceterum occisum
esse hominem a quocunque
oportet“.
|0041 : 19|
§. 304. I. Geſtändniß. Confessio. (Fortſetzung.)
ſache des Todes oder der Verwundung meiſt unbeſtritten,
konnte wenigſtens durch den Augenſchein leicht außer
Zweifel geſetzt werden. Dagegen war die Thatſache, daß
gerade dieſer Beklagte die That begangen habe, leicht abzu-
leugnen; dieſem Leugnen ſollte durch die Drohung des
doppelten Erſatzes vorgebeugt werden, und daher war das
Geſtändniß gerade dieſer Thatſache allein von Wichtigkeit.
Dieſes Geſtändniß wurde daher auch in die Klagformel,
als für den Richter bindend, aufgenommen, und die ſo
abgefaßte Klage hieß nun confessoria actio (k).
Nachdem nun die geſchichtliche und formelle Seite der
confessio in jure feſtgeſtellt worden iſt, bleibt noch die Er-
örterung der praktiſchen Seite übrig. Dahin gehört zunächſt
die wichtige Frage, die auch ſchon für das Römiſche Recht
zu beantworten iſt, ob das gerichtliche Geſtändniß eine
unbedingt verpflichtende Kraft mit ſich führt, oder ob daſ-
ſelbe widerrufen und angefochten werden kann auf den
Grund der Behauptung, daß es nicht mit der Wahrheit
übereinſtimme. — Dann aber iſt beſonders auch die
heutige Anwendbarkeit der Grundſätze des Römiſchen Rechts
über das gerichtliche Geſtändniß zu unterſuchen, um die
richtige Behandlung deſſelben im heutigen Recht feſtſtellen
zu können.
(k) L. 23 § 11 L. 25 § 1 ad
L. Aqu. (9. 2). Nur hier kommt
dieſer Name vor, welches jedoch
ganz zufällig ſeyn kann; an ſich
paßte er auf jede Klage, die in
Folge einer confessio in jure
angeſtellt wurde (§ 303 Note n).
2*
|0042 : 20|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Die Beantwortung dieſer Fragen aber wird mit Erfolg
erſt unternommen werden können, wenn zuvor die Interro-
gatio in jure dargeſtellt ſeyn wird.
§. 305.
Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Geſtändniß. —
Interrogatio in jure.
Wenn ein Rechtsſtreit abhängig iſt von einer, die
Perſon des Beklagten betreffenden Präjudicialfrage, welches
neuere Schriftſteller die Paſſivlegitimation nennen, ſo ſoll
ſowohl der Kläger, als der Richter befugt ſeyn, eine ſolche
Frage dem Beklagten vorzulegen, welcher dann verbunden
iſt, zu antworten; dieſe Verbindlichkeit iſt hier eigenthümlich.
Durch den Inhalt der Antwort wird der Beklagte verpflichtet,
und darin liegt die Aehnlichkeit dieſes Inſtituts mit der
confessio in jure. Die Verſchiedenheit beider Prozeßhand-
lungen aber liegt darin, daß die confessio den eigentlichen
Gegenſtand des Rechtsſtreits, den Anſpruch des Klägers,
betrifft, und daher das Urtheil entbehrlich machen kann
(§ 303), anſtatt daß die interrogatio nur eine vorläufige
Frage, nicht den Streitgegenſtand ſelbſt betrifft, und daher
niemals für ein Surrogat des Urtheils gelten kann.
Außer dieſem beſonderen Fall konnte aber auch jede
andere Frage von einer Partei ihrem Gegner vor dem
Prätor vorgelegt werden, und wenn ſich der Gegner durch
eine beſtimmte Antwort darauf freiwillig einließ, ſo war
er durch eine ſolche in jure confessio nach den oben auf-
|0043 : 21|
§. 305. Surrogate. I. Geſtändniß. Interrogatio.
geſtellten Grundſätzen gebunden, wobei dann die vorher-
gehende interrogatio nur als die zufällige Veranlaſſung der
confessio zu betrachten war, und gar nicht ſelbſtſtändig
zur Form der Handlung gehörte (a). — Hierauf beruhte
unter andern auch die uralte Form der in jure cessio als
Uebertragung des Eigenthums durch freien Willen des
bisherigen Eigenthümers. Der neue Eigenthümer vindicirte
die Sache zum Schein; der Prätor fragte den Veräußernden,
ob er das Eigenthum des Klägers anerkenne, und wenn
der Befragte es anerkannte oder nur ſchwieg, ſo erfolgte
die Addiction des Prätors, die das Eigenthum übertrug (b).
An ſich ließ ſich dieſes Verfahren denken ſowohl vor
dem Prätor, als vor dem Judex. Urſprünglich kam es
nur vor dem Prätor vor, war alſo eine interrogatio in
jure (c), nicht in judicio, weil es dort allein auf die Ab-
faſſung der Klagformel Einfluß haben konnte, wozu es
urſprünglich beſtimmt war. Wir finden die Anwendung
deſſelben ausdrücklich erwähnt in folgenden Fällen, worin
dem Kläger eine Antwort des Beklagten auf die hier ange-
gebenen Fragen von Wichtigkeit ſeyn konnte:
(a) Ein ſolcher Fall von der
Frage eines Beklagten an den
Kläger kommt vor in L. 29 § 1
de don. (39. 5), ſ. o. § 303 r.
Die daſelbſt abwechſelnd gebrauchten
Ausdrücke: interrogatus, re-
spondit, confessus, confessio,
find daher gar nicht als ungenauer
Sprachgebrauch anzuſehen. Im
ganzen Titel de interrogationibus
iſt abwechſelnd von respondere
und confiteri die Rede.
(b) Gajus II § 24.
(c) Dieſer Name findet ſich
in der Ueberſchrift des Titels,
ferner in L. 1 pr. L. 4 § 1 de
interr. (11. 1).
|0044 : 22|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
1. Ob der Beklagte Erbe eines verſtorbenen Schuldners
des Klägers ſey (d);
2. Zu welchem Antheil er Erbe ſey (e);
3. Ob er, im Fall einer noxalis actio, Eigenthümer des
verletzenden Sklaven ſey: eben ſo, bei der actio si
quadrupes, Eigenthümer des ſchädlichen Thieres (f);
4. Ob, im Fall einer actio de peculio, ein peculium des
Sohnes oder Sklaven vorhanden ſey (g);
5. Ob, im Fall einer cautio damni infecti, der Beklagte
Eigenthümer des Gefahr drohenden Hauſes ſey (h);
6. Im Fall einer Eigenthumsklage, zu welchem Theil der
Sache der Beklagte den Beſitz habe (i);
7. Wie alt der Beklagte ſey (k); nämlich ob der Beklagte
unmündig, imgleichen ob er minderjährig ſey, weil er
im erſten Fall einen Tutor als Auctor, im zweiten
einen Curator als Beiſtand haben mußte, wenn der
Rechtsſtreit gültig geführt werden ſollte (l).
(d) L. 2. 3. 5. 9 § 7 de
interr. (11. 1)
(e) L. 1 pr. 4 pr. 5 eod.
(f) L. 5. 8. 7 eod.
(g) L. 9 § 8 eod.
(h) L. 10 L. 2 § 2 eod.
(i) L. 20 §. 1 eod. — Ueber
das Eigenthum des Beklagten ſollte
der Kläger nicht fragen, weil
Dieſes mit ſeinem eigenen Recht
zuſammenhing, das er kennen
mußte. L. 73 pr. de R. V. (6. 1).
(k) L. 11 pr. de interr. (11. 1).
(l) Nicht eigentlich zu dieſem
Rechtsinſtitut gehört die Frage,
die ein Ehemann ſeiner geſchie-
denen Frau vor dem Prätor vor-
legen durfte, ob ſie ſchwanger ſey;
die Frau wurde durch Pfändung
oder Geldſtrafe zur Antwort ge-
zwungen, aber es knüpfte ſich an
dieſe Frage keine Klage, wovon
allein bei unſerm Inſtitut die Rede
iſt. L. 1 § 2. 3 de insp. ventre
(25. 4).
|0045 : 23|
§. 305. Surrogate. I. Geſtändniß. Interrogatio.
Alle dieſe Fragen konnten bequem und zweckmäßig ge-
funden werden, um dem Kläger die Mühe und Koſten
eines unnützen Rechtsſtreites, oder die unrichtige Führung
deſſelben zu erſparen. In einem jener Fälle (Num. 2)
konnte die Frage ſogar nothwendig ſeyn, um den Verluſt
eines Rechts von ihm abzuwenden: Wenn nämlich der
Kläger eine certi condictio gegen einen der Erben ſeines
urſprünglichen Schuldners anſtellen wollte, und über die
Größe des Erbtheils ſeines Beklagten ungewiß war. Denn
wenn er einen größeren Theil der Schuld einklagte, als den
welcher dem Erbtheil entſprach, ſo verlor er nach den
Regeln des alten Prozeſſes den ganzen Anſpruch an dieſen
Erben (m).
Auf die ertheilte Antwort gründete ſich nun eine inter-
rogatoria actio (n), das heißt, es wurde in die ohnehin
beabſichtigte Klagformel der Inhalt der Antwort als unab-
änderlich feſtſtehend mit aufgenommen. Folgendes Beiſpiel
wird Dieſes anſchaulich machen. Wenn Jemand aus einer
Stipulation Hundert zu fordern hatte, der Schuldner ſtarb,
einer der Erben widerſprach der Schuld, antwortete aber
auf die vorgelegte Frage, er ſey Erbe zur Hälfte des Ver-
mögens, ſo mag wohl die Formel in folgender Weiſe
gefaßt worden ſeyn:
Quod N. Negidius interrogatus respondit, se esse
(m) L. 1 pr. de interr. (11. 1).
(n) Dieſer Name findet ſich in der Ueberſchrift des Titels, ferner
in L. 1 § 1 und L. 22 eod.
|0046 : 24|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Seji heredem ex semisse, si paret, Sejum Aulo Agerio
centum dare oportere, N. Negidium in quinquaginta
condemna.
Die verſchiedene Art, in welcher der Beklagte durch ſein
Benehmen verpflichtet werden konnte, wird ſogleich genauer
angegeben werden.
Zuvor aber muß die Veränderung erwähnt werden,
die in dieſem Verfahren ſchon zur Zeit der alten Juriſten
eingetreten iſt. Darüber ſagt Calliſtratus wörtlich Fol-
gendes (o): „Nach dem gegenwärtigen Gerichtsgebrauch
wird kein Beklagter mehr gezwungen, ſchon vor dem Prätor
in eine ſolche Vorverhandlung über vorgelegte Fragen ſich
einzulaſſen; vielmehr wird dieſer Theil des Verfahrens, ſo
wie jede andere Beweisführung über Thatſachen, dem Judex
überlaſſen. Daher ſind denn auch die interrogatoriae
actiones faſt ganz außer Gebrauch gekommen (p).“
(o) L. 1 § 1 eod.
(p) L. cit. „Interrogatoriis
autem actionibus hodie non
utimur … minus frequentan-
tur et in desuetudinem abierunt.“
Es iſt oben erwähnt worden, daß
das alte Verfahren meiſt nur zur
Bequemlichkeit diente, und dieſe
konnte auch vor dem Judex hin-
länglich verſorgt werden. In
Einem (vergleichungsweiſe gewiß
ſeltenen) Fall konnte daſſelbe noth-
wendig ſeyn zur Abwendung von
Gefahr (Note m), und in dieſem
einzigen Fall mögen ſie denn auch
noch angewendet worden ſeyn, ſo
lange der ordo judiciorum mit
ſeinen ſtrengen Formeln beſtand.
Auch ſagt ja der Juriſt nicht, daß
ſie durchaus verſchwunden ſeyen,
ſondern nur, daß ſie wenig mehr
vorkämen (minus frequentantur),
und dieſer unbeſtimmte Ausdruck
mag abſichtlich gebraucht ſeyn mit
Rückſicht auf jenen einzelnen Fall.
Es iſt wohl zu bemerken, daß die
Nothwendigkeit der int. act.
für dieſen Fall in derſelben Stelle,
und nur wenige Worte vorher,
bemerklich gemacht wird.
|0047 : 25|
§. 305. Surrogate. I. Geſtändniß. Interrogatio.
Neuere Schriftſteller haben dieſe geſchichtliche Angabe
ſo anſtößig gefunden, daß ſie die künſtlichſten Mittel verſucht
haben, um die vermeintlichen Widerſprüche zu beſeitigen (q).
Sie haben die Erzählung des Calliſtratus ſo aufgefaßt,
als ſey das ganze poſitive Rechtsinſtitut der Interrogationen
außer Gebrauch gekommen; damit ſchien ihnen der Umſtand
im Widerſpruch zu ſtehen, daß die genau beſtimmten Regeln
deſſelben (welche ſogleich angegeben werden ſollen) in den
Digeſten als geltendes Recht dargeſtellt werden. Dieſe
Schwierigkeit ſollte auf zweierlei Weiſe gelöſt werden.
Einige ſagten, die ganze Erzählung von dem verän-
derten Recht beruhe auf Interpolationen von Tribonian;
früher habe ſich gar Nichts geändert. — Allein eine ſolche
Interpolation wäre eben ſo unnütz, als zweckwidrig geweſen.
Unnütz, weil zur Zeit von Juſtinian durchaus keine Ge-
fahr war, daß Jemand zwiſchen Prätor und Judex fehl
greifen möchte. Zweckwidrig, weil aus dem ganzen Titel
der Digeſten deutlich erhellt, daß die alten praktiſchen Re-
geln über die Interrogationen fortbeſtehen ſollten.
Andere haben folgende Behauptung aufgeſtellt. In der
alten Zeit, ſagen ſie, waren außergerichtliche Interro-
gationen üblich, und mit dieſen wurden die größten Unge-
rechtigkeiten und Bedrückungen verübt. Dieſe ſind es,
welche nach der Erzählung des Calliſtratus außer Ge-
brauch geſetzt wurden. — Dieſe ganze Geſchichte von den
(q) Vgl. Glück B. 11 S. 247—249. 255. 293. Zimmern
Rechtsgeſch. B. 3 S. 379. Puchta Inſtitutionen B. 2. S. 192.
|0048 : 26|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
bedrückenden außergerichtlichen Interrogationen iſt völlig
leer, und nur dazu erſonnen, um die hier erwähnte (gar
nicht vorhandene) Schwierigkeit zu beſeitigen. Sie beruht
eigentlich nur auf dem augenſcheinlichen Mißverſtändniß
von zwei Worten des Calliſtratus (r).
Die ganze Schwierigkeit verſchwindet durch folgende
Auffaſſung der eingetretenen Veränderung. Die alten In-
terrogationen mit ihren ſehr poſitiv beſtimmten Wirkungen
wurden gar nicht verändert; ſie ſollten nur nicht mehr vor
dem Prätor vorkommen, ſondern vor dem Judex, alſo auch
keinen Einfluß mehr haben auf die Abfaſſung der formula.
Daher waren es die interrogatoriae actiones, die außer
Gebrauch kamen, nicht die Interrogationen mit ihren Folgen,
die unverändert blieben. So erzählt die Sache faſt wörtlich
Calliſtratus, und ſeine Erzählung wird völlig beſtätigt
durch eine Stelle des Ulpian (s).
Faßt man die Sache ſo auf, ſo muß man ſich über-
zeugen, daß Tribonian Nichts mehr zu ändern vorfand,
weil ſchon zur Zeit des ordo judiciorum Alles in die Lage
gebracht worden war, in welcher es auch nun bleiben
(r) L. 1 § 1 cit. „Interroga-
toriis autem actionibus hodie
non utimur, quia nemo cogitur
ante judicium de suo jure ali-
quid respondere.“ Die Worte
ante judicium erklärte man durch
außergerichtlich, da ſie doch
ſo viel heißen, als: in jure,
coram Praetore.
(s) L. 21 eod. „Ubicunque
judicem aequitas moverit, ae-
que oportere fieri interroga-
tionem, dubium non est.“
|0049 : 27|
§. 305. Surrogate. I. Geſtändniß. Interrogatio.
konnte. Wir haben daher keine Urſache, auch nur in den
Worten der alten Juriſten irgend eine erhebliche Interpola-
tion vorauszuſetzen (t).
Es bleibt nun noch übrig, die praktiſchen Regeln anzu-
geben, die urſprünglich für die interrogatio in jure ein-
treten ſollten, dann aber, und zwar ſchon zur Zeit der
alten Juriſten, auf die interrogatio in judicio übertragen
worden ſind.
Der Beklagte kann über jeden, ſeine perſönlichen Ver-
hältniſſe betreffenden Präjudicialpunkt ſowohl von der
Richterbehörde, als von dem Gegner, befragt werden, und
er iſt in beiden Fällen zur Antwort verpflichtet (u). Nun-
mehr können folgende Fälle eintreten.
A. Er antwortet. Dadurch wird der Gegner zunächſt
berechtigt, den Inhalt der Antwort als förmliche
Wahrheit (wie aus einem Urtheil) gegen ihn
geltend zu machen. Seine Antwort hat in dieſer
Hinſicht die Natur eines Quaſicontracts (v).
(t) Höchſtens iſt eine ſolche,
und zwar ſehr unſchuldige und
ungefährliche, anzunehmen in fol-
genden Worten des Ulpian (L. 4
pr. eod.) „Voluit Praetor ad-
stringere eum, qui convenitur,
ex sua in judicio respon-
sione“ .... Hier mag wohl
Ulpian geſchrieben haben: in
jure.
(u) L. 9 pr. § 1, L. 11 § 9
eod.
(v) L. 11 § 9 eod.
|0050 : 28|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
B. Er antwortet, und wird hinterher einer wiſſentlich
unwahren Anwort überführt.
C. Er verweigert die Antwort.
In beiden letzten Fällen iſt der Gegner befugt, gegen
ihn das Nachtheiligſte anzunehmen, das im vorliegenden
Falle denkbar iſt, und Dieſes gilt als Strafe ſeines unred-
lichen Benehmens (x). So z. B., wenn er des urſprüng-
lichen Schuldners Erbe zur Hälfte iſt, auf Befragen aber
nur ein Viertheil angiebt, ſo darf er als einziger Erbe be-
handelt, und für die ganze Schuld in Anſpruch genommen
werden.
Die Verpflichtung zur Antwort, alſo auch die Strafe
der Verweigerung, fällt jedoch weg, wenn der Beklagte
Gründe der Ungewißheit über den Gegenſtand der Frage
angeben kann, ſo z. B., wenn er befragt wird, ob er Erbe
ſey, und über dieſes Erbrecht in einem Rechtsſtreit befangen
iſt (y).
§. 306.
Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Geſtändniß. —
Widerruf.
Nachdem die Lehre von der confessio und von der
interrogatio, jede für ſich, dargeſtellt iſt, kann zur Beant-
wortung einer wichtigen praktiſchen Frage übergegangen
(x) L. 4 pr. L. 5 L. 11
§ 1. 2. 3. 4. 5. 9 L. 17 eod.,
L. 39 pr. de proc. (3. 3), L. 26
§ 5 de nox. act. (9. 4). —
Bethmann-Hollweg S. 281.
(y) L. 6 § 1 de interr.
(11. 1).
|0051 : 29|
§. 306. Surrogate. I. Geſtändniß. Widerruf.
werden, welche ſich auf beide Inſtitute, als verſchiedene
Zweige des gerichtlichen Geſtändniſſes, gemeinſchaftlich be-
zieht. Dies iſt die Frage, ob es dem Geſtändigen erlaubt
iſt, das Geſtändniß durch Widerruf zu entkräften, wenn
er es unternimmt, das Eingeſtandene als unwahr darzu-
thun, alſo einen darin enthaltenen Irrthum nachzuweiſen.
Dieſe Frage iſt bei unſern Schriftſtellern in hohem Grade
beſtritten, welches ſeinen Grund in den ſcheinbar ſehr wider-
ſprechenden Ausſprüchen der Römiſchen Juriſten hat.
Um in dieſer Unterſuchung einen feſten Boden zu ge-
winnen, iſt es nöthig, auf allgemeine, leitende Grundſätze
zurück zu gehen. Hier begegnen wir aber zwei äußerſten,
völlig entgegen geſetzten Anſichten. Nach der einen iſt das
gerichtliche Geſtändniß ein reines Beweismittel, ähnlich dem
außergerichtlichen (nur vielleicht dem Grade nach ſtärker),
ſo wie dem Zeugenbeweiſe. Nach dieſer Anſicht iſt es
folgerecht, einen einfachen Gegenbeweis als Entkräftung
zuzulaſſen. — Nach der zweiten Anſicht bildet jenes Ge-
ſtändniß förmliches Recht, ähnlich dem rechtskräftigen Ur-
theil. Von dieſem Standpunkt aus ſcheint jede Anfechtung,
jeder Widerruf verneint werden zu müſſen, auch wenn der
Geſtändige die Unwahrheit des Geſtändniſſes zu beweiſen
unternehmen wollte.
Zwiſchen dieſen äußerſten Anſichten liegt die Wahrheit
in der Mitte. Allerdings bildet das gerichtliche Geſtändniß
förmliches Recht, mit bindender Kraft für den Geſtändigen,
und iſt nicht ein bloßes Beweismittel, das heißt, ein Mittel
|0052 : 30|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
auf die Ueberzeugung des Richters einzuwirken. Dennoch
iſt eine Entkräftung deſſelben möglich, jedoch nur durch Re-
ſtitution von Seiten des Prätors, alſo durch dieſelbe Macht,
wodurch unter gewiſſen Bedingungen auch die Entkräftung
eines Urtheils möglich iſt. — Dieſe Sätze gelten ſowohl
für die confessio, als für die interrogatio. — Es giebt
aber ausgenommene Fälle, in welchen jede Anfechtung
gänzlich ausgeſchloſſen iſt. — Dieſe Sätze ſollen nun
einzeln entwickelt, und in den Quellen des Römiſchen
Rechts nachgewieſen werden.
1. Die confessio in jure (im Juſtinianiſchen Recht
in judicio) hat bindende Kraft für den Geſtändigen (§. 303.
304). Dieſelbe Kraft hat die interrogatio und responsio
in jure (ſchon zur Zeit der alten Juriſten in judicio);
dieſe wirkt in der Regel als Quaſicontract, ausnahmsweiſe
als Strafe. Die bindende Kraft überhaupt iſt alſo allen
Formen des gerichtlichen Geſtändniſſes gemeinſam.
Es kommt aber darauf an, die Natur dieſer bindenden
Kraft näher zu beſtimmen. Sie begründet eine feſte Be-
gränzung des Rechtsſtreits, und iſt daher als eine
das Urtheil vorbereitende und bedingende formelle Handlung
anzuſehen. Sie hat daher eine innere Verwandtſchaft mit
der Litisconteſtation, und bildet gleichſam eine durch den
ganzen Prozeß fortſchreitende, ergänzende Litisconteſtation.
Durch dieſes Geſtändniß wird alſo nicht ſowohl dieſe oder
jene Thatſache feſtgeſtellt, worüber der Richter ein freies
Urtheil zu bilden haben möchte, ſondern es wird durch
|0053 : 31|
§. 306. Surrogate. I. Geſtändniß. Widerruf.
daſſelbe dem Gebiet des Streitigen unter den Parteien,
worüber allein von dem Richter ein Urtheil erwartet wird,
Mehr oder Weniger entzogen, alſo jenes Gebiet enger
begränzt.
2. Beruht das Geſtändniß auf Irrthum, ſo kann der
Geſtändige von den Folgen deſſelben Befreiung erlangen.
Dieſe Befreiung wird ertheilt durch Reſtitution (alſo im
alten Prozeß nur durch den Prätor) (a).
Die Reſtitution wird hier aber nur unter folgenden Be-
dingungen ertheilt. — Der Irrthum muß ein factiſcher ſeyn,
kein Rechtsirrthum (b). — Er darf nicht auf grober Nach-
läſſigkeit beruhen (c). — Er muß als Irrthum bewieſen
werden, ſo daß der bloße Beweis des Gegentheils der ein-
geſtandenen Thatſachen nicht hinreicht (d). Dieſer wichtige,
in unſern Rechtsquellen ausdrücklich anerkannte Satz iſt die
nothwendige Folge davon, daß dem Geſtändniß ja auch ganz
andere Abſichten, als die Anerkennung der Wahrheit, zum
(a) L. 7 de confessis (42. 2)
L. 11 § 8 de interr. (11. 1).
Dieſe Reſtitution gehört unter die
zahlreichen Fälle, in welchen
überhaupt gegen Prozeßhand-
lungen Reſtitution wegen Irr-
thums ertheilt wird. S. o. B. 3.
S. 386. 387.
(b) L. 2 de confessis (42. 2),
C. 3 X. de confess. (2. 18), C. 2
de restit. in VI. (1. 21).
(c) L. 11 § 11 de interr.
(11. 1) „nisi culpa dolo proxi-
ma sit“.
(d) C. 3 X. de confessis
(2. 18) „si de hujusmodi po-
tuerit errore docere“. — Es
wird ſtets darauf ankommen, die
Entſtehung der irrigen Meinung
aus ſcheinbaren äußeren Thatſachen
nachzuweiſen. Beiſpiele eines ſolchen
Beweiſes finden ſich in L. 11 § 8
de interr. (11. 1).
|0054 : 32|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Grunde liegen können, unter andern die Abſicht, zu ſchenken
(§ 303). Ferner können nur durch dieſen Beweis die oben
aufgeſtellten Bedingungen feſtgeſtellt werden, daß nämlich
der Irrthum blos factiſch ſeyn und nicht auf grober Nach-
läſſigkeit beruhen muß.
Dieſe Grundſätze ſind gleichmäßig anzuwenden auf die
confessio und auf die interrogatio (Note a). Bei dieſer
letzten alſo wird durch die Reſtitution der Quaſicontract
(§ 305. v) entkräftet. Was aber die Strafverpflichtung
wegen wiſſentlicher Unwahrheit betrifft (§ 305. x), ſo iſt
ſelbſt der Begriff einer ſolchen Unwahrheit durch den Be-
weis des Irrthums ausgeſchloſſen (e).
Dabei iſt noch beſonders aufmerkſam zu machen auf die
innere Verwandtſchaft des Widerrufs eines irrigen Geſtänd-
niſſes mit der condictio indebiti. Hier, wie dort, muß der
Irrthum bewieſen werden, welcher ein factiſcher ſeyn und
nicht auf grober Nachläſſigkeit beruhen muß. Von dieſer
Verwandtſchaft wird ſogleich noch weiterer Gebrauch ge-
macht werden.
3. Die förmliche Reſtitution wird aber nicht in allen
Fällen erfordert.
Wenn der Geſtändige noch vor dem Prätor ſeine Er-
klärung zurück nehmen oder verbeſſern wollte, bevor dadurch
dem Gegner ein Schade entſtanden ſeyn konnte, ſo war
ihm Dieſes geſtattet, ohne daß es dazu eines Beweiſes und
einer Reſtitution bedurfte. Nach der Litisconteſtation, alſo
(e) L. 11 §. 3. 10. 11. de interr. (11. 1).
|0055 : 33|
§. 306. Surrogate. I. Geſtändniß. Widerruf.
vor dem Juder, war eine ſolche Veränderung nicht mehr
möglich, ohne auf den Prätor zurück zu gehen und Re-
ſtitution zu erlangen (f).
Wenn ferner das Eingeſtandene in Folge von Rechts-
regeln als unmöglich erkannt werden muß, ſo bedarf es
keiner Reſtitution, und auch ſchon der Römiſche Judex
mußte dieſem Geſtändniß jede Wirkung verfagen. Wenn
alſo eine Noxalklage angeſtellt wurde wegen der Handlung
eines Sklaven oder Sohnes gegen den vermeintlichen Herrn
oder Vater, welcher auf Befragen das Daſeyn der po-
testas einräumte, ſo war dieſes Geſtändniß allerdings hin-
reichend, um gerade ihn zum Schuldner zu machen, und
alſo die Schuld vom wahren Herrn oder Vater auf ihn
zu übertragen. Wenn aber hinterher bewieſen wurde,
daß der Thäter gar nicht Sklave oder Sohn, ſondern frei
und unabhängig war, oder daß der Geſtändige gar nicht
des Eigenthums (über einen Sklaven) fähig, oder ſeines
Alters wegen nicht der väterlichen Gewalt über den (viel-
leicht älteren) Thäter fähig war, ſo ſollte in allen dieſen
Fällen dem Geſtändniß alle Wirkung verſagt werden (g).
Dieſes iſt nun die einzige Beziehung, in welcher dem
Beweis der Unmöglichkeit, worauf Manche einen unver-
(f) L. 11 § 12 de interr.
(11. 1), „licere responsi poeni-
tere.“ L. 26 § 5 de nox. act.
(9. 4).
(g) L. 13. 14. 16 de interr.
(11. 1). In dieſem Sinn heißt
es in den angeführten Stellen:
„quia falsae confessiones natu-
ralibus convenire deberent“,
und: „si id, quod in confessio-
nem venit, et jus et naturam
recipere potest“.
VII. 3
|0056 : 34|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap IV. Verletzung.
hältnißmäßigen Werth legen, ein beſonderer Einfluß zuge-
ſtanden werden kann. Allerdings iſt jede unmögliche That-
ſache ſtets zugleich eine unwahre, und der Beweis der
Unwahrheit einer Thatſache iſt die Grundlage für den
Beweis des Irrthums über das früher abgegebene Ge-
ſtändniß der Wahrheit dieſer Thatſache. Aber der voll-
ſtändige Beweis dieſes Irrthums liegt darin nicht, weil
das Unmögliche, eben ſo gut, als das blos Unwahre, mit
Bewußtſeyn der Unwahrheit, folglich ohne Irrthum, einge-
ſtanden ſeyn kann. Daher iſt es unrichtig, wenn Manche
behaupten, der Beweis der Unmöglichkeit ſey ſtets hinreichend,
und mache den Beweis des Irrthums unnöthig. Wenn
alſo Jemand eine von ihm perſönlich begangene That ein-
geſteht, ſo iſt zum Widerruf nicht hinreichend, daß er das
Alibi beweiſt. Denn aus dem Alibi folgt allerdings, daß
er die That nicht begangen haben kann, alſo auch nicht
begangen hat; es folgt aber nicht, daß er im Irrthum war,
als er das Geſtändniß der That ablegte. Ja ſogar wird
gerade in dieſem Fall der Irrthum höchſt unwahrſcheinlich,
vielleicht nur unter den abentheuerlichſten Vorausſetzungen
möglich ſeyn.
§. 307.
Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Geſtändniß. —
Widerruf. (Fortſetzung.)
Die in dem vorhergehenden §. aufgeſtellten Grundſätze
leiden eine Ausnahme in den Fällen der Klagen, worin
|0057 : 35|
§. 307. Surrogate. I. Geſtändniß. Widerruf. (Fortſ.)
das böswillige Leugnen durch die Verurtheilung auf den
doppelten Werth beſtraft wird (ubi lis inficiando crescit in
duplum) (§ 304). In dieſen Fällen hat das Geſtändniß
die Natur eines Vergleichs, um der Gefahr der höheren
Verurtheilung zu entgehen. Daher gilt hier kein Widerruf
aus dem Grnnd des Irrthums, und keine Reſtitution, ſelbſt
wenn der Irrthum bewieſen werden könnte (a).
Hier zeigt ſich wieder die, ſchon oben erwähnte, Ver-
wandtſchaft zwiſchen dem Widerruf des Geſtändniſſes und
der condictio indebiti (§ 306). Denn auch die condictio
indebiti iſt in denſelben Fällen ausgeſchloſſen (b), indem
die Zahlung nicht als vermeintliche Erfüllung einer unzwei-
felhaften Forderung angeſehen werden ſoll, ſondern als eine
Vergleichsſumme zur Abwendung der Gefahr einer höheren
Verurtheilung.
Dieſe Ausnahme alſo mußte gelten bei der actio judi-
cati und depensi, ſo wie bei der Klage aus dem legatum
damnationis einer beſtimmten Geldſumme. Daß ſie dabei
von den alten Juriſten nicht erwähnt wird, erklärt ſich aus
der Natur dieſer Schulden als reiner Geldſchulden. Denn
bei dieſen wurde die ganze Sache vor dem Prätor zu Ende
gebracht ohne Juder (§ 304), ſo daß dabei kaum jemals
Zeit und Anlaß zu einem Widerruf des abgegebenen Ge-
(a) Dieſe Ausnahme hat keine Anwendung bei den Interrogationen,
ſondern nur bei der eigentlichen confessio in jure.
(b) § 7 J. de obl. quasi ex contr. (3. 27), L. 4 C. de cond
ind. (4. 5).
3*
|0058 : 36|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
ſtändniſſes geweſen ſeyn mag. Es bleiben alſo nur noch
zwei Klagen dieſer Art zu betrachten übrig, die actio
L. Aquiliae, und die Klage aus einem legatum damnationis
auf eine beſtimmte Sache außer baarem Gelde.
Wenn die actio L. Aquiliae wegen der Tödtung oder
Verwundung eines Sklaven angeſtellt wird, und der Be-
klagte die That als von ihm begangen eingeſteht, ſo wird
er dadurch unbedingt zum einfachen Schadenserſatz ver-
pflichtet, und hat keine Reſtitution zu hoffen, auch wenn
er ſich zum Beweiſe des Irrthums erbietet. Der entſchei-
dende Grund dieſer auffallenden Vorſchrift liegt in der ſo
eben bemerkten Vergleichsnatur eines ſolchen Geſtändniſſes,
indem er dadurch der Gefahr entgeht, außerdem vielleicht
zum doppelten Erſatz verurtheilt zu werden (§ 304. i).
Allein dieſe Gefahr und die damit verbundene unbedingte
Verpflichtung beſchränkt ſich auf die perſönliche Thäterſchaft
des Beklagten. Wenn alſo der Widerruf dahin gerichtet
iſt, daß der Sklave noch lebe, daß er ohne Wunden ſey,
ſo bezieht ſich darauf die Ausnahme nicht; vielmehr iſt hier,
wie bei anderen Klagen, die Reſtitution wegen eines Irr-
thums zuläſſig. — Allerdings kommt hier zu dem bereits
geltend gemachten, ſchon allein genügenden Grund noch ein
anderer hinzu, der ſelbſt ohne Beweis eines Irrthums hin-
reichen würde, die Klage völlig auszuſchließen. Denn wenn
der Sklave lebt und geſund iſt, ſo muß die Klage ohne
Erfolg bleiben, da es ganz an einem Schaden fehlt,
deſſen Abſchätzung allein der Verurtheilung einen Inhalt
|0059 : 37|
§. 307. Surrogate. I. Geſtändniß. Widerruf. (Fortſ.)
geben könnte (c). — Dagegen iſt hier die Unmöglichkeit
an und für ſich keinesweges das entſcheidende Moment.
Denn auch die Unmöglichkeit der Thäterſchaft könnte be-
hauptet werden im Fall des erwieſenen Alibi, und doch
würde hierin kein Grund liegen, die unbedingt verpflichtende
Kraft des Geſtändniſſes zu beſchränken.
Der zweite hierher gehörende Fall iſt der eines legatum
damnationis auf eine beſtimmte Sache außer baarem Geld.
Wenn der verklagte Erbe die Verpflichtung zu dieſem Legat
eingeſteht, ſo iſt er unbedingt verpflichtet, ſelbſt wenn er
beweiſen kann, daß die Sache nie exiſtirt hat, oder daß ſie
untergegangen iſt (d). In dieſen beiden Fällen iſt das
(c) L. 24 ad L. Aquil. (9. 2).
(d) L. 3 de confessis (42. 2)
„Julianus ait, confessum certum
se debere legatum, omnimodo
damnandum, etiamsi in rerum
natura non fuisset, etsi jam a
natura recessit, ita tamen, ut
in aestimationem ejus dam-
netur, quia confessus pro judi-
cato habetur“. — Dieſer Stelle
ſcheinen zwei andere nach ver-
ſchiedenen Richtungen hin zu wider-
ſprechen. L. 8 eod. „Non om-
nimodo confessus condemnari
debet rei nomine, quae an in
rerum natura esset incertum
sit“. Hier wird jedoch gar nicht
geſagt, daß von einem legatum
damnationis die Rede ſey; bei
jeder andern Klage aber iſt die
unbeſtimmte Verneinung ganz an
ihrem Platze. — L. 5 eod. „Qui
Stichum debere se confessus
est, sive mortuus jam Stichus
erat, sive post litis contesta-
tionem decesserit, condemnan-
dus est“. Nach der Ueberſchrift
der Stelle ſprach darin Ulpian
von einer Stipulationsſchuld. Aus
dieſem herausgeriſſenen Fragment
aber iſt gar Nichts zu entnehmen,
da gewiß noch irgend ein anderer
Grund der Obligation hinzuge-
dacht werden muß, beſonders in
dem Fall des Todes nach der L. C.,
in welchem Fall eine Verpflichtung
entſtanden ſeyn kann nur durch
Dolus, Culpa, oder Mora des Be-
klagten, ſ. o. B. 6 § 272. 273
Note l.
|0060 : 38|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Legat an ſich ungültig (e), folglich die eingeſtandene Ver-
pflichtung zum Legat unmöglich, woraus alſo folgt, daß
auch hierin die Unmöglichkeit des Eingeſtandenen (se debere
legatum) keinen Unterſchied macht. — In dieſem Fall nun
hat eben ſo, wie in dem vorhergehenden, das Geſtändniß
die Natur eines Vergleichs, indem der Geſtändige nur den
einfachen Werth des Legats leiſtet (f), alſo die Gefahr der
höheren Verurtheilung von ſich abwendet.
Die hier dargeſtellten Ausnahmen, in welchen das Ge-
ſtändniß unbedingt, ohne Reſtitution wegen Irrthums, ver-
pflichten ſoll, ſind für das heutige Recht ganz ohne An-
wendung. Denn es iſt unbezweifelt, daß das ganze Rechts-
inſtitut, welches mit dem Ausdruck: lis inficiando crescit
in duplum bezeichnet wird, als ein einzelnes, höchſt poſitives,
Stück der Römiſchen Ptrivatſtrafen, für unſer Recht ver-
ſchwunden iſt. Damit aber müſſen auch die erwähnten
Ausnahmen, als bloße Folgen jenes Inſtituts, nothwendig
wegfallen.
Ich habe es verſucht, die in dieſer Lehre ſcheinbar
widerſprechenden Stellen des Römiſchen Rechts zu ver-
einigen. Neuere Schriftſteller haben verſchiedene Wege ein-
geſchlagen, um zum Ziel einer ſolchen Vereinigung zu ge-
(e) L. 108 § 10. L. 36 § 3
de leg. 1 (30. un.), § 16 J. de
leg. (2. 20).
(f) L. 61 in f. ad L. Falc.
(35. 2), L. 71 § 3 de leg. 1
(30. un.).
|0061 : 39|
§. 308. Surrogate. I. Geſtändniß. Heutiges Recht.
langen. Iſt der hier verſuchte richtig, ſo bedarf es der
beſonderen Prüfung und Widerlegung jener fremden Ver-
ſuche nicht (g).
§. 308.
Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Geſtändniß. —
Heutiges Recht.
Zunächſt könnte man glauben, die ganze hier dargeſtellte
Lehre ſey ſchon deswegen unanwendbar, weil die confessio
in jure und die interrogatio in jure mit dem alten ordo
judiciorum verſchwunden ſeyn müßten. Allein der ordo
judiciorum war ſchon zu Juſtinian’s Zeit längſt ſpurlos
untergegangen, und doch wird in den Digeſten dieſe Lehre
noch als praktiſches Recht vorgetragen. Wir werden alſo
die Sache ganz im Sinn von Juſtinian vielmehr ſo auf-
zufaſſen haben, daß nach der Verſchmelzung von jus und
judicium die alten Rechtsinſtitute als confessio und interro-
gatio in judicio fortbeſtehen.
Damit hängt zuſammen die Frage, worüber namhafte
neuere Schriftſteller verſchiedener Meinung ſind, ob die ſo
(g) Am nächſten der Wahrheit
kommt wohl Bayer Vorträge
S. 305 — 310, nur daß er die Un-
möglichkeit dem Irrthum coordinirt,
alſo für einen Grund des Wider-
rufs gelten läßt auch ohne Beweis
des Irrthums. — Ebenſo legt
Bethmann-Hollweg S. 272.
273 einen zu großen Werth auf die
Unmöglichkeit an ſich, und ſtellt
dagegen den Irrthum in den Hin-
tergrund. — Weber S. 58 — 64
iſt ganz verworren. — Linde
§ 256 nimmt an, in der Regel ſey
kein Widerruf zuläſſig, beſchränkt
aber dieſe Regel durch eine große
Zahl unzuſammenhangender Aus-
nahmen.
|0062 : 40|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
eben dargeſtellten poſitiven Vorſchriften des Römiſchen Rechts
noch Geltung haben oder nicht (a). Ich nehme an, daß
die meiſten und wichtigſten Ausſprüche des Römiſchen Rechts
in dieſer Lehre gar nicht als poſitive Vorſchriften, ſondern
vielmehr als die natürliche Entwickelung dieſes Rechts-
inſtituts anzuſehen ſind, allerdings mit einigen, nicht erheb-
lichen, rein poſitiven Beimiſchungen, die für uns nicht
mehr anwendbar ſind.
Die richtige Behandlung dieſer Lehre iſt bis jetzt durch
Nichts ſo ſehr gehindert worden, als durch den Ausgangs-
punkt, den man dafür zu wählen pflegte. Als Gattungs-
begriff galt der eines Beweismittels, genannt Geſtändniß,
beſtehend in der eigenen Erklärung Deſſen, gegen welchen
damit ein Beweis geführt werden ſollte. Dieſer Gattungs-
begriff wurde zerlegt in zwei Arten, das gerichtliche und
das außergerichtliche Geſtändniß, je nachdem in oder
außer dem Gericht jene Erklärung abgegeben wird; dieſe
als untergeordnet angeſehene Verſchiedenheit konnte nicht
hindern, beide Begriffe ihrem Weſen nach als gleichartig
zu behandeln.
Ich gehe von einer völlig verſchiedenen Grundanſicht
aus, deren Hauptzüge ſchon oben (§ 306) angegeben
worden ſind. Beide Begriffe haben den Namen mit ein-
ander gemein, ſind aber in ihrem inneren Weſen verſchieden.
(a) Heffter S. 290. 291 bejaht dieſe Frage, Bethmann-
Hollweg S. 301 verneint dieſelbe.
|0063 : 41|
§. 308. Surrogate. I. Geſtänduiß. Heutiges Recht.
Die genauere Darſtellung dieſer Verſchiedenheit wird zu-
gleich den Weg bahnen zu der jetzt vorliegenden Frage, wie
ſich das heutige Recht zu den oben dargeſtellten Begriffen
und Regeln des Römiſchen Rechts verhält, und was von
dieſem letzten noch für uns brauchbar iſt.
Das gerichtliche Geſtändniß iſt die Erklärung,
welche eine ſtreitende Partei vor dem Richter des vorlie-
genden Rechtsſtreits über Gegenſtände dieſes Streites ab-
giebt. Das Weſen und die wichtige Wirkung deſſelben
beſteht in der Feſtſtellung der Gränzen zwiſchen dem ſtreitigen
und nicht ſtreitigen Theil der gegenſeitigen Behauptungen.
Da nun der Richter nur dazu berufen iſt, über den Streit
der Parteien zu entſcheiden, ſo wird durch jedes gerichtliche
Geſtändniß die Aufgabe des Richters ihrem Umfang nach
beſtimmt und begränzt. Dieſes Geſtändniß alſo iſt nicht (ſo
wie jedes wahre Beweismittel) ein Motiv für den Richter, ſo
oder anders zu ſprechen, ſondern eine Feſtſtellung von Ge-
genſtänden, worüber er ſich des eigenen Urtheils zu enthalten
hat, weil ſie nicht zu dem, unter den Parteien ſtreitigen
Gebiet von Behauptungen gehören. Das gerichtliche Ge-
ſtändniß begründet alſo formelle Wahrheit (§ 303).
Das gerichtliche Geſtändniß kann ohne Zweifel auf reine
Thatſachen gehen, weil die Feſtſtellung von Thatſachen
einen großen Theil (oft den größten) eines Rechtsſtreits
auszumachen pflegt. Genau zu reden, müßte man ſagen,
daß dadurch Thatſachen nicht ſowohl bewieſen, als dem
|0064 : 42|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Bedürfniß eines Beweiſes entzogen werden; einen prak-
tiſchen Werth hat dieſe Unterſcheidung nicht.
Das gerichtliche Geſtändniß kann aber auch auf Rechts-
verhältniſſe gehen, ja dieſes iſt das eigenthümlichſte Gebiet,
worin es wirkt.
Für jedes gerichtliche Geſtändniß iſt ein Widerruf
möglich, welcher zu einer richterlichen Reſtitution führen
kann. Dieſe muß aber begründet werden durch den Be-
weis eines Irrthums, welcher jedoch ein factiſcher Irr-
thum ſeyn muß, und nicht aus großer Nachläſſigkeit hervor-
gegangen ſeyn darf. Die Ueberzeugung des Richters von
dem Daſeyn eines Irrthums als Entſtehungsgrund des
Geſtändniſſes kann nur aus den Umſtänden hervorgehen,
welche die Entſtehung des Irrthums natürlich und wahr-
ſcheinlich erklären (§ 306 d.). Der bloße Beweis, daß das
Eingeſtandene unwahr, ſelbſt daß es unmöglich ſey, iſt
ohne Beweis eines Irrthums zur Reſtitution nicht hin-
reichend.
Dieſes ſind die Regeln des Römiſchen Rechts über das
gerichtliche Geſtändniß, welche oben ausführlich dargeſtellt
worden ſind. In ihnen liegt Nichts, das als rein poſitiv,
insbeſondere aus der eigenthümlichen Gerichtsverfaſſung der
Römer entſprungen, angeſehen werden könnte. Sie ent-
halten vielmehr eine reine Entwicklung dieſes Rechtsinſtituts,
hervorgegangen aus den wahren praktiſchen Bedürfniſſen
deſſelben. In den Grundſätzen unſers heutigen gemeinen
|0065 : 43|
§. 308. Surrogate. I. Geſtändniß. Heutiges Recht.
Prozeſſes liegt Richts, das einer vollſtändigen Anwendung
jener Regeln hinderlich ſeyn könnte
Dagegen ſind allerdings einige Stücke des Römiſchen
Rechts in dieſer Lehre, jedoch gerade die unbedeutendſten,
ſo beſchaffen, daß davon im heutigen Recht keine An-
wendung gemacht werden kann. Ueber dieſe Unanwendbar-
keit iſt auch unſere Praris niemals im Zweifel geweſen.
Ich will ſie hier in einzelnen Sätzen zuſammenſtellen.
1. Von einem Unterſchied zwiſchen confessio in jure
und interrogatio in jure kann nicht mehr die Rede ſeyn;
ſchon im Römiſchen Recht war kein praktiſcher Unterſchied,
und die Unterſcheidung in Formen und Ausdrücken hatte
eine blos geſchichtliche Bedeutung. Es iſt alſo ganz gleich-
gültig, ob ein gerichtliches Geſtändniß veranlaßt wird durch
eine Anfrage des Gegners (vielleicht auch durch ein prozeß-
leitendes Decret des Richters), oder nicht, ob es eine bloße
Präjudicialfrage betrifft, oder den Gegenſtand des Rechts-
ſtreites felbſt.
2. Die Strafen, welche das Römiſche Recht bei den In-
terrogationen auf die wiſſentliche Unwahrheit und auf die
verweigerte Antwort androht (§ 305), ſind unſerm heutigen
Prozeß gewiß fremd.
3. Eben ſo iſt demſelben völlig fremd die unbedingte,
jeder Reſtitution entzogene, Verpflichtung, die das gericht-
liche Geſtändniß ausnahmsweiſe mit ſich führen ſoll bei
der actio legis Aquiliae und bei der Klage aus einem
legatum damnationis (§ 307). Dieſe mußte verſchwinden
|0066 : 44|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
als bloße Folge der Verurtheilung in den doppelten Werth,
welche überhaupt nur ein Stück des ganzen Syſtems der
Privatſtrafen iſt, und mit dieſem Syſtem in unſer heutiges
Recht keinen Eingang gefunden hat. Insbeſondere bei dem
legatum damnationis iſt eine ſolche Ausnahme unanwendbar,
weil dieſe eigenthümliche Form der Legate nicht nur für uns
verſchwunden, ſondern ſelbſt ſchon von Juſtinian geſetz-
lich aufgehoben und mit allen übrigen Legaten verſchmolzen
worden iſt (b).
4. Das gerichtliche Geſtändniß iſt im heutigen Recht
niemals eigentliches Surrogat eines Urtheils, ſo daß das
Urtheil ſelbſt dadurch entbehrlich würde. Vielmehr muß
immer noch ein Urtheil geſprochen werden, deſſen Inhalt
jedoch mit dem Inhalt des Urtheils übereinſtimmen muß.
So war es von jeher ſchon im Römiſchen Recht in den
allermeiſten Fällen, nämlich nur mit Ausnahme des auf
eine beſtimmte Geldſchuld gerichteten Geſtändniſſes (§ 303);
ſeit der Aufhebung des ordo judiciorum allgemein (§ 304).
In dieſer Rückſicht alſo iſt kein Unterſchied zwiſchen dem
heutigen und dem Römiſchen Prozeß.
Außergerichtliches Geſtändniß heißt jede Er-
klärung einer ſtreitenden Partei, die über einen Gegenſtand
dieſes Rechtsſtreites nicht vor dem Richter deſſelben abge-
geben wird; wohin alſo nicht nur reine Privaterklärungen,
in Briefen und Geſprächen niedergelegt, gehören, ſondern
auch gerichtliche Erklärungen, die in einem anderen, als
(b) L. 1 C. communia de leg. (6. 43), § 2 J. de leg. (2. 20).
|0067 : 45|
§. 308. Surrogate. I. Geſtändniß. Heutiges Recht.
dem jetzt vorliegenden Rechtsſtreite vorkommen. Dieſes
Geſtändniß iſt ein reines Beweismittel, und kann einen
vollſtändigen Beweis bilden, weil Jeder gegen ſich ſelbſt
ein glaubwürdiges Zeugniß ablegen lann.
Als Beweismittel kann dieſes Geſtändniß eigentlich nur
auf reine Thatſachen gehen, nicht auf Rechtsverhältniſſe.
Da jedoch jedem Nechtsverhältniß Thatſachen zum Grunde
liegen, und da oft die Sache eine ſo einfache Natur hat,
daß nur die Thatſache ſtreitig ſeyn kann, ſo kann auch die
über ein Rechtsverhältniß abgegebene Erklärung nach Um-
ſtänden den vollen Beweis einer Thatſache bilden (§ 304).
So z. B. wenn Jemand in einem Briefe erklärt, daß er
einem Anderen Hundert aus einem Darlehen oder Hundert
aus einem Kaufvertrag ſchuldig ſey, ſo liegt darin die
unzweifelhafte Erklärung, daß er Hundert als Darlehen
empfangen, oder Hundert als Kaufgeld verſprochen
habe, welches reine Thatſachen ſind, die durch jenes
außergerichtliche Geſtändniß vollſtändig bewieſen werden.
Das außergerichtliche Geſtändniß kann widerrufen und
entkräftet werden dadurch, daß das Gegentheil der einge-
ſtandenen Thatſachen vollſtändig bewieſen wird. Einer
Reſtitution bedarf es dazu nicht, alſo kommt es auch nicht
auf den Beweis eines Irrthums, und auf die beſonderen
Eigenſchaften dieſes Irrthums an, eben weil jenes Ge-
ſtändniß keine verpflichtende Handlung iſt, ſondern ein
reines Beweismittel.
|0068 : 46|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Unſere Schriftſteller über den Prozeß haben dieſe
weſentlichen Unterſchiede beider Arten des Geſtändniſſes
großentheils verkannt, und daher die ganze Lehre vom Ge-
ſtändniß nicht auf befriedigende Weiſe behandelt (c).
Sehr merkwürdig iſt die Art, in welcher die Preußiſche
Prozeßgeſetzgebung dieſen Gegenſtand behandelt (d). Aller-
dings folgt ſie im Allgemeinen den herrſchenden Anſichten
der Schriftſteller des gemeinen Rechts, welche beide Arten
des Geſtändniſſes als reine Beweismittel und als Arten
deſſelben Gattungsbegriffs behandeln. Aber die Behandlung
im Einzelnen nähert ſich auf merkwürdige Weiſe der rich-
tigen Auffaſſung des Römiſchen Rechts.
Wenn der Beklagte den Anſpruch des Klägers voll-
ſtändig einräumt, ſo erfolgt kein Urtheil, ſondern ein bloßes
Agnitionsreſolut, welches jedoch wie ein Urtheil publicirt
wird, und zur Execution geeignet iſt. — Dieſes iſt im
Weſentlichen die ältere Römiſche Behandlung der confessio
in jure.
(c) Danz Prozeß § 292—299,
Martin § 128. Selbſt Beth-
mann-Hollweg, der die Lehre
im Ganzen ſehr richtig auffaßt,
ſcheint doch in dieſem Punkt nicht
ganz im Klaren zu ſeyn. S. 310
ſchreibt er zwar dem gerichtlichen
Geſtändniß förmliche Wahr-
heit zu, aber S. 311 geſtattet er
doch dagegen den Beweis des bloßen
Gegentheils der eingeſtandenen
Thatſache, ohne Anfechtung wegen
eines bewieſenen Irrthums.
(d) Allg. Gerichtsordnung I.
8 § 14 — 16, II. 10 § 27 bis
§ 82 und § 88 b.
|0069 : 47|
§. 308. Surrogate. I. Geſtändniß. Heutiges Recht.
Jedes Geſtändniß kann widerrufen werden, aber es iſt
nicht genug, das Gegentheil des Eingeſtandenen zu beweiſen,
ſondern es muß in allen Fällen der Irrthum nachgewieſen
werden, welches nur dadurch geſchehen kann, daß deſſen
Entſtehung aus wahrſcheinlichen Gründen dargethan wird.
Jedem Widerruf ſteht die Vermuthung der Wahrheit des
Eingeſtandenen entgegen, jedoch in verſchiedenen Graden,
das heißt, der Richter ſoll mit der Zulaſſung des Widerrufs
mehr oder weniger ſchwierig und ſtrenge ſeyn; am ſtrengſten
bei dem gerichtlichen Geſtändniß im gegenwärtigen Prozeß,
weniger bei dem, in einem anderen Prozeß abgegebenen
gerichtlichen Geſtändniß; am wenigſten bei dem außergericht-
lichen. — Durch dieſe Strenge, und die damit verbundene
Abſtufung, wird die grundſätzlich unrichtige Behandlung
der Sache großentheils wieder gut gemacht.
§. 309.
Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Einleitung.
Quellen:
Dig. XII. 2 (de jurejurando, sive voluntario, sive neces-
sario, sive judiciali).
Cod. IV. 1 (de rebus creditis et jurejurando).
Paulus II. 1.
Schriftſteller:
Malblanc doctrina de jurejurando Nor. 1781. 8 (enthält
viel praktiſches Material).
Zimmern Rechtsgeſchichte B. 3 § 127. 135. 150.
|0070 : 48|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Puchta Curſus der Inſtitutionen, Auflage 2. B. 2
§. 173. 174.
(Beide für die geſchichtliche Seite der Lehre.)
Der Eid beſteht in der Betheuerung der Wahrheit irgend
eines Ausſpruchs durch Beziehung auf einen Gegenſtand,
der von dem Schwörenden als ein hoher, heiliger angeſehen
wird (a). Dieſe Beziehung ſoll gegen Andere eine gewiſſe
Sicherheit geben für die Wahrheit des Ausſpruchs, das
heißt, für die Uebereinſtimmung deſſelben mit dem Bewußt-
ſeyn des Schwörenden, indem vorausgeſetzt wird, daß die
Ehrfurcht vor dem bezogenen Gegenſtand eine gleichzeitige
Abweichung von der Wahrheit hindern werde (b).
Das auf dieſe Weiſe verſicherte Bewußtſeyn kann
zweierlei Inhalt oder Richtung haben:
I. Richtung auf die Zukunft, wobei alſo der Eid
Sicherheit geben ſoll für den Willen und die künftige That.
Die Neueren nennen dieſen Eid, deſſen juriſtiſche Bedeutung
(a) Das R. R. läßt in der
Auswahl dieſer Gegenſtände die
größte Freiheit zu, z. B. per
salutem tuam, per caput tuum
vel filiorum, per genium prin-
cipis, auch ſelbſt propriae super-
stitionis, nur nicht improbatae
publice religionis; dieſer Eid iſt
verboten und hat gar nicht die
Wirkungen eines Eides. L. 5 pr.
§ 1. 3 de jur. (12. 2). — Für
Chriſten giebt es keinen anderen
Eid, als bei dem Namen Gottes,
obgleich dabei verſchiedene Aus-
drücke vorkommen können.
(b) Cicero de officiis III.
29. „Est enim jusjurandum
affirmatio religiosa. Quod
autem affirmate, quasi Deo
teste, promiseris, id tenendum
est“.
|0071 : 49|
§. 309. Surrogate. II. Eid. Einleitung.
nur eine obligatoriſche ſeyn kann, als Beſtärkung eines
Verſprechens, jusjurandum promissorium.
II. Richtung auf die Vergangenheit, wobei der Eid
Sicherheit geben ſoll für die Wahrheit des ausgeſprochenen
Denkens. Dieſer Eid wird von den Neueren assertorium
genannt. Seiner allgemeinen Natur nach geht derſelbe auf
reine Thatſachen, iſt alſo bloßes Beweismittel, und gehört
lediglich in die Prozeßlehre. So iſt es in der That mit
dem Zeugeneid, desgleichen mit dem Erfüllungseid und
Reinigungseid der Parteien.
Eine eigenthümliche Natur aber hat im Römiſchen Recht
der zugeſchobene Eid (jusjurandum delatum) ange-
nommen, welcher unter gewiſſen Umſtänden ſelbſtſtändiges
Mittel der Entſcheidung eines Rechtsſtreits, alſo Surrogat
eines Urtheils werden kann, und daher ganz eigentlich
hierher gehört.
Ueber die Anwendungen des promiſſoriſchen Eides ſoll hier,
damit es an einer vollſtändigen Anſchauung der ganzen
Lehre nicht fehle, eine kurze Ueberſicht gegeben werden. Die
Fälle dieſer Anwendung ſind ſo verſchiedenartig, daß das
Obligationenrecht keine Gelegenheit darbietet, ſie unter einem
gemeinſamen Geſichtspunkte zuſammen zu faſſen.
Es kommt dieſer Eid vor, ſowohl im öffentlichen Recht,
als im Privatrecht. Im öffentlichen Recht: der Eid der
Soldaten, der Beamten, des Vormundes.
VII. 4
|0072 : 50|
Buch II. Rechtsverhältnifſe. Kap. IV. Verletzung.
Im Privatrecht ſind die Anwendungen des Verſprechungs-
eides nicht von Erheblichkeit; folgende kommen im Römiſchen
Recht vor:
1. Die wichtigſte und eigenthümlichſte Anwendung
findet ſich bei den Dienſten freigelaſſener Sklaven, die der
Patron einklagen konnte, wenn ſie eidlich verſprochen
waren. Das Bedürfniß und der Nutzen dieſer Rechts-
form wäre klar, wenn der, noch im Sklavenſtand wegen
künftiger Dienſte geleiſtete Eid dieſe Kraft gehabt hätte,
weil der Sklave durch gewöhnliche Vertragsformen ſich
nicht klagbar verpflichten konnte. Aber gerade in dieſem
Fall ſollte auch ſelbſt der Eid keine Klage bewirken,
ſondern nur, wenn derſelbe nach der Freilaſſung geleiſtet
wurde; zu dieſer Zeit aber war auch die gewöhnliche Sti-
pulation zuläſſig und von gleicher Wirkung, ſo daß man
zwiſchen ihr und dem Eid die Wahl hatte. Der Gebrauch
dieſer beſonderen Form iſt wohl daraus zu erklären, daß
ein ſolcher Eid auch ſchon im Sklavenſtand üblich war,
und dann zwar keine Klage bewirkte, wohl aber die religiöſe
Verpflichtung mit ſich führte, denſelben Eid nach der Frei-
laſſung zu wiederholen, wodurch er dann klagbar wurde (c).
Daß das Recht aus dieſem Eid durch jede capitis
deminutio des Patrons unterging, iſt ſchon oben bemerkt
worden (d).
(c) L. 7 de op. libert. (38. 1),
L. 44 de lib. causa (40. 12).
(d) Gajus III. § 83, § 1. J.
de adqu. per adrog. (3. 10).
S. o. B. 2 S. 81.
|0073 : 51|
§. 309. Surrogate. II. Eid. Einleitung.
2. Die Beſtätigung eines Rechtsgeſchäfts durch den
Eid ſoll daſſelbe ſelbſt dann unanfechtbar machen, wenn es
außerdem hätte angefochten werden können.
Dieſer wichtige abſtracte Grundſatz iſt dem Römiſchen
Recht ſelbſt fremd. Nur die Reſtitution iſt überhaupt und
am meiſten in Beziehung auf die Minderjährigen, einem
ſehr freien Ermeſſen der richterlichen Obrigkeit unter-
worfen (e), und ſo findet ſich denn auch einmal ein kaiſer-
liches Reſcript, welches die von einem Minderjährigen bei
dem Kaiſer (wahrſcheinlich in der Appellationsinſtanz) nach-
geſuchte Reſtitution gegen eine Veräußerung unter andern
aus dem Grunde abſchlägt, weil der Vertrag durch Eid
beſtätigt ſey, die Anfechtung alſo einen Meineid in ſich
ſchließen würde (f). Allein dieſes Reſcript, welches offen-
bar mit Rückſicht auf alle Umſtände des einzelnen Falles
erlaſſen war, kann unmöglich als abſtracte Vorſchrift für
den Eid der Minderjährigen überhaupt angeſehen werden,
weder im Sinn ſeines Verfaſſers, noch im Sinn der Ju-
ſtinianiſchen Sammlung, in welche es aufgenommen wurde;
es ſollte hier blos zeigen, daß unter den Gründen der
Verweigerung einer Reſtitution auch ein geleiſteter Eid
vorkommen könne. Dennoch iſt jener Stelle im zwölften
Jahrhundert von einer Partei der Juriſten (im Widerſpruch
mit einer andern Partei) der erwähnte abſtracte Sinn bei-
gelegt worden, und der K. Friedrich I. hat dieſe falſche
(e) L. 3 de in int. rest. (4. 1),
L. 24 § 1. 5 de minor. (4. 4).
(f) L. 1 C. si adv. vend.
(2. 28).
4*
|0074 : 52|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Auslegung geſetzlich beſtätigt, welche ſeitdem als Beſtand-
theil des Römiſchen Rechts anerkannt worden iſt (g).
Päbſtliche Verordnungen haben dieſen Satz anerkannt und
näher ausgebildet (h).
3. Die Anfechtung eines beſchworenen Vergleichs oder
anderen Vertrags ſoll die Infamie zur Folge haben (i).
4. Wenn ein Zahlungsverſprechen per genium principis
eidlich beſtärkt, dann aber nicht erfüllt wird, ſo ſoll darauf
die Strafe körperlicher Züchtigung erfolgen (k).
5. Der Ausſpruch eines Schiedsrichters ſollte klagbar
wirken, wenn das Compromiß eidlich beſtärkt wäre (l).
Dieſe Beſtimmung iſt jedoch ſpäterhin wieder aufgehoben
worden (m).
6. Endlich kann die Leiſtung eines Eides einem Rechtsge-
ſchäft als Bedingung hinzugefügt werden, in welchem Fall
durch willkürliche Uebereinkunft der Eid, gleich jeder an-
deren Thatſache, zum Grund der Entſtehung oder auch der Auf-
hebung einer Verbindlichkeit gemacht werden kann (n). —
Nur bei Erbeinſetzungen und Legaten iſt eine ſolche Be-
dingung (die conditio jurisjurandi) beſonders unterſagt, und
da, wo ſie dennoch hinzugefügt wird, ſoll der letzte Wille
(g) Auth. Frid. Sacramenta
puberum C. si adv. vend. (2. 28).
Vgl. Savigny Rechtsgeſchichte
B. 4 S. 162.
(h) C. 28 X de jurej. (2. 24),
C. 2 de pactis in VI. (1. 18).
(i) L. 41 C. de transact.
(2. 4).
(k) L. 13 §. 6 de jurej.
(12. 2).
(l) L. 4. C. de recept. (2. 56).
(m) Nov. 82 C. 11, Auth.
Decernit. C. de recept. (2. 56).
(n) L. 19. § 6 de don. (39. 5),
L. 39 de jurej. (12. 2).
|0075 : 53|
§. 309. Surrogate. II. Eid. Einleitung.
als unbedingt behandelt, und die zu beſchwörende Handlung
in einen Modus verwandelt werden (o).
Der zugeſchobene Eid, von welchem allein nunmehr die
Rede ſeyn wird, beruht auf dem Grundſatz, daß Jeder,
der in einem zweifelhaften, ſtreitigen Rechtsverhältniſſe zu
einem Anderen ſteht, die Feſtſtellung deſſelben durch Eid
bewirken kann. Aus dem Eide entſteht dann ſtets formelle
Wahrheit, ſo wie aus dem gerichtlichen Geſtändniß (§ 303).
Unter gewiſſen Bedingungen kann daraus ſogar die ſelbſt-
ſtändige Entſcheidung eines Streites hervorgehen, in welchem
Fall ein richterliches Urtheil entbehrlich wird, und der Eid
ſelbſt als Surrogat des Urtheils erſcheint.
Wäre dieſer Grundſatz ſo gemeint, daß jede Partei
verlangen könnte, durch ihren eigenen Eid den Rechtsſtreit
zu entſcheiden, ſo wäre dieſes Inſtitut für die Rechtsſicher-
heit höchſt gefährlich; in vielen Fällen würde Alles von
dem Zufall abhangen, welcher von Beiden ſich zuerſt zum
Eide meldete. Es ſoll daher keine Partei befugt ſeyn, ſich
ſelbſt des Eides willkührlich zu bemächtigen (p). Jener
Grundſatz aber hat vielmehr die Bedeutung, daß Jeder
ſeinem Gegner den Eid zuſchieben kann, und daß der ſo
(o) S. o. B. 3 S. 185 — 190.
(p) L. 3 pr. de jurej. (12.2)
„.. nam si reus juravit, ne-
mine ei jusjurandum deferente,
Praetor id jusjurandum non
tuebitur, sibi enim juravit;
alioquin facillimus quisque ad
jusjurandum decurrens, nemine
sibi deferente jusjurandum,
oneribus actionum se liberabit“.
|0076 : 54|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
veranlaßte Eid die Kraft einer Entſcheidung des Streites
haben ſoll. Der Sinn dieſes Rechtsinſtituts beruht auf
der Vorausſetzung, daß eine Partei in die ſittlich-religiöſe
Geſinnung der Gegenpartei das Vertrauen ſetzt, dieſe werde
nicht ſchwören, wenn ſie nicht von ihrem Rechte, alſo von
der Wahrheit ihrer Behauptungen, überzeugt ſey. Der Eid
wird alſo meiſt zugeſchoben, nicht damit der Gegner ihn
leiſte, ſondern in der Erwartung und mit dem Wunſche,
daß er ihn nicht leiſten, vielmehr durch die Scheu vor dem
Meineide zum freiwilligen Nachgeben ſich bewegen laſſen
werde.
Dieſer Hergang nun läßt ſich denken innerhalb der
folgenden drei verſchiedenen Zuſtände.
1. Ehe noch ein Rechtsſtreit angefangen hat (außer-
gerichtlicher Eid).
2. In einem Rechtsſtreit, und zwar vor dem Prätor
(in jure).
3. In einem Rechtsſtreit, und zwar vor dem Juder
(in judicio).
In der Hauptſache, nämlich in der, aus dem Eide her-
vorgehenden, formellen Wahrheit, ſtehen dieſe drei Fälle nach
Römiſchem Recht einander gleich. Beide letzte Fälle aber
haben noch folgende Eigenthümlichkeiten.
Im zweiten und dritten Fall wird durch die bloße Zu-
ſchiebung für den Gegner eine gewiſſe Nothwendigkeit, ein
Zwang, herbeigeführt, wovon im erſten Fall nicht die
Rede iſt.
|0077 : 55|
§. 309. Surrogate. II. Eid. Einleitung.
Im zweiten Fall können zugleich noch beſondere und
ſtärkere Wirkungen eintreten.
Außer der wirklichen Ableiſtung des Eides aber kommen
noch folgende erhebliche Ereigniſſe in Betracht:
A. Der Erlaß des Eides (remissio), nachdem der Gegner
ihn angenommen hat, und zu ſchwören bereit ge-
weſen iſt.
B. Die Zurückſchiebung des Eides (relatio). Durch
dieſe wird daſſelbe Verhältniß, wie durch die ur-
ſprüngliche Zuſchiebung, mit allen ſeinen Folgen,
herbeigeführt, nur mit umgekehrter Stellung beider
Parteien.
Die hier überſichtlich aufgeſtellten Sätze ſollen nunmehr
einzeln entwickelt und aus unſeren Rechtsquellen nachge-
wieſen werden, wobei folgender Gang der Unterſuchung
engeſchlagen werden wird:
A. Römiſches Recht.
I. Zuſchiebung.
II. Ableiſtung.
III. Möglicher Inhalt des Eides.
IV. Form des Eides.
V. Erlaß.
VI. Gemeinſame Wirkungen.
VII. Beſondere Wirkungen, je nach der verſchiedenen
Lage des Streites.
B. Heutiges Recht.
|0078 : 56|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
§. 310.
Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Zuſchiebung,
Ableiſtung, Inhalt, Form, Erlaß des zugeſchobenen
Eides.
I. Zuſchiebung des Eides.
Nur durch dieſe völlig freie Handlung einer Partei
kann die Reihe von Wirkungen hervorgerufen werden, die
das Weſen dieſes Rechtsinſtituts ausmacht. Der einſeitige
Eid alſo, ohne vorhergehende Zuſchiebung, iſt völlig wir-
kungslos (§ 309. p).
Die Zuſchiebung iſt möglich in und außer einem Rechts-
ſtreit. Sie kann geſchehen ſowohl von dem Kläger (d. h. der
es ſchon iſt, oder künftig werden kann), als von dem Be-
klagten. Wenn Beide gleichzeitig damit auftreten, ſoll der
Kläger den Vorzug haben (a); dieſe Regel iſt aber ohne
praktiſche Wichtigkeit, weil ohnehin Jeder den zugeſchobenen
Eid zurückſchieben kann, welche Handlung mit der erſten
Zuſchiebung gleiche Wirkung hat (§ 312. c. g.).
Die in der Zuſchiebung liegende freie Handlung iſt
nicht ohne Gefahr, weil durch ſie die Entſcheidung der
Sache in die Macht des Gegners gelegt wird; ſie hat alſo
eine ähnliche Natur, wie eine Veräußerung (deteriorem
facit conditionem). Daher iſt dazu ein Unmündiger nicht
ohne ſeinen Vormund fähig (b); der Minderjährige iſt
(a) Paulus II. 1 §. 2.
(b) L. 17 § 1 de jurej. (12. 2).
|0079 : 57|
§. 310. Surrogate. II. Eid. Zuſchiebung. Ableiſtung ꝛc.
fähig, kann aber Reſtitution dagegen erhalten (c); der
erklärte Verſchwender iſt ganz unfähig (d). — Ein zahlungs-
unfähiger Schuldner kann dieſe Handlung nicht vornehmen
zum Nachtheil ſeiner Gläubiger (e). — Jeder Tutor oder
Curator der Partei iſt dazu fähig; ein Procurator nur,
wenn ſeine Vollmacht auf das ganze Vermögen, oder auf
dieſe Handlung beſonders, oder in rem suam gerichtet
iſt (f). — Der Sklave oder der Sohn der Partei iſt dazu
nur fähig, wenn der Streit auf ſein Peculium ſich bezieht,
und zugleich deſſen freie Verwaltung ihm anvertraut iſt (g).
II. Ableiſtung des Eides.
Dieſe freie Handlung kann keinen Nachtheil bringen,
nur Vortheil, und iſt daher einem Erwerbe zu vergleichen
(meliorem facit conditionem).
Daher iſt dazu Jeder fähig, ohne Rückſicht auf ſein
Alter, auch der Unmündige; denn der Gegner hat in die
mit dem unmündigen Alter verbundene Gefahr einge-
willigt (h).
(c) L. 9 § 4 eod. — L. 4
C. eod. (4. 1), die aus der ange-
führten Stelle der Digeſten erklärt
werden muß; pupillus ſoll alſo
hier ſo viel heißen als: quondam
pupillus.
(d) L. 35 §. 1 eod.
(e) L. 9 § 5 eod.
(f) L. 17 § 2. 3, L. 18. 19. 34
§ 1. L. 35 pr. eod., L. 7 C. eod.
(4. 1).
(g) L. 20. 21. 22 eod.
(h) L. 26 pr. L. 42 pr. eod. —
Scheinbar widerſpricht L. 34 § 2
eod. „pupillo non defertur
jusjurandum.“ Das heißt aber
nur ſo viel, daß der Unmündige
nicht ſo, wie jeder Andere, gezwun-
gen iſt, ſich auf den zugeſchobenen
Eid einzulaſſen.
|0080 : 58|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Der Procurator der Partei, ſo wie der Defenſor ohne
Auftrag, können den ihnen zugeſchobenen Eid ableiſten,
ſind aber nicht zur Einlaſſung genöthigt (i).
Wegen eines Rechtsſtreits, der das Peculium betrifft,
kann der Sklave oder Sohn ſchwören, auch wenn er keine
freie Verwaltung hat (k). Eben ſo kann deshalb der Vater
ſchwören, daß der Sohn Nichts ſchuldig ſey (l).
Wollen aber dieſe Perſonen nicht ſelbſt ſchwören, ſondern
den Eid zurück ſchieben, ſo treten dabei wieder dieſelben
Beſchränkungen ein, wie bei der erſten Zuſchiebung (m).
Die bloße Annahme des Eides übrigens, ohne wirkliche
Ableiſtung, giebt kein unwiderrufliches Recht auf die Ab-
leiſtung; vielmehr kann die Zuſchiebung willkürlich zurück-
genommen werden bis zum Urtheil (n).
Sehr beſtritten iſt die Frage, wer den Eid abzuleiſten
hat, wenn derſelbe einer juriſtiſchen Perſon zugeſchoben
wird, da dieſe nur ein fingirtes Daſeyn, und nicht die bei
dem Eide vorausgeſetzten geiſtigen Eigenſchaften eines den-
kenden und wollenden Menſchen hat. Keinen Zweifel kann
es haben, daß der Procurator einer juriſtiſchen Perſon,
wenn er ſich dazu entſchließt, den Eid gültig ableiſten kann
(Note i). Dieſes ſetzt aber voraus, daß der Gegner gerade
dieſem Procurator den Eid zuſchiebt, ihm alſo das Ver-
(i) L. 9 § 6. L. 42 § 2. L. 34
§ 3 eod.
(k) L. 23. 24. 25 eod.
(l) L. 26 § 1 eod.
(m) L. 24 eod.
(n) L. 11. 12 pr. C. eod.
(4. 1).
|0081 : 59|
§. 210. Surrogate. II. Eid. Zuſchiebung. Ableiſtung ꝛc.
trauen beweiſt, welches das Weſen des Eides ausmacht;
dazu wird jedoch häufig keine Veranlaſſung ſeyn, weil der
Procurator von den thatſächlichen Verhältniſſen oft keine
Kenntniß haben wird. Nach dem Römiſchen Recht ſind
eigentlich die Vorſteher der juriſtiſchen Perſon, als
Verwalter ihrer Rechte zu dem Eide berufen und befugt,
ſo daß es der Gegner zu erwägen hat, ob er dieſen
Perſonen ſo viel Zutrauen ſchenken will, um ihnen den
Eid zuzuſchieben. Nach der überwiegenden heutigen
Praxis iſt der Eid von einigen einzelnen Mitgliedern
der juriſtiſchen Perſon zu leiſten, und zwar nimmt man
am conſequenteſten an, daß dieſe Mitglieder durch die
freie Auswahl von Seiten des Gegners beſtimmt werden (o).
III. Der mögliche Inhalt des zugeſchobenen Eides
verdient eine beſonders genaue Betrachtung. Zuerſt iſt zu
bemerken, daß der Eid ſtets gerichtet wird auf das Gegen-
theil der von dem Zuſchiebenden aufgeſtellten Behauptung.
Wenn alſo bei einer Schuldklage der Kläger den Eid zu-
ſchiebt, ſo geht der Eid auf das Nichtdaſeyn der Schuld;
wenn der Beklagte zuſchiebt, auf das Daſeyn derſelben.
Dieſe Faſſung iſt die Folge davon, daß der Eid zugeſchoben
wird in der Erwartung und mit dem Wunſche, daß er
nicht abgeleiſtet werde (§ 309). Auf gleiche Weiſe wurden
im alten Prozeß die Exceptionen vom Beklagten ſo gefaßt,
daß ſie das Gegentheil ſeiner Behauptung ausdrückten (p).
Uebrigens konnte nach Römiſchem Recht der Eid ſowohl
(o) S. o. B. 2 S. 297.
(p) Gajus IV § 119.
|0082 : 60|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
auf ein Rechtsverhältniß, als auf eine Thatſache gerichtet
ſeyn.
a. Die Richtung auf ein Rechtsverhältniß wird
im Römiſchen Recht als der regelmäßige und gewöhnliche
Fall behandelt. Dabei liegt zum Grunde der Gedanke einer
vertragsmäßigen Anerkennung des Daſeyns oder Nicht-
daſeyns dieſes Verhältniſſes. Da demſelben aber jederzeit
Thatſachen zum Grunde liegen, ſo werden ſtets auch dieſe
durch den Eid mittelbar feſtgeſtellt; ja oft hat der Streit
eine ſo einfache Natur, daß beide Richtungen des Eides
völlig zuſammen fallen und nur in Worten verſchieden ſind.
Uebrigens kann der Eid vorkommen bei allen Arten von
Rechtsverhältniſſen und Klagen (q). Folgende Fälle werden
in unſeren Rechtsquellen namentlich angeführt:
Ueber das Daſeyn oder Nichtdaſeyn eines Eigenthums
oder Erbrechts (r).
Ueber das Daſeyn oder Nichtdaſeyn einer Schuld-
forderung (s).
Ueber die väterliche oder die Herren-Gewalt (t).
Ueber das Patronatsrecht (u).
Ueber Abſtammung und Ingenuität eines Menſchen (v).
b. Die Richtung auf eine bloße Thatſache wird bei
dem zugeſchobenen Eide ſeltener erwähnt, und kann nicht
(q) L. 3 § 1. L. 34 pr. de
jurej. (12. 2).
(r) L. 9 § 7. L. 11 pr. § 1.
eod.
(s) L. 3 pr. 7 pr. 9 pr. eod.
(t) L. 3 § 2 eod.
(u) L. 13 pr. L. 30 § 4 eod.
(v) L. 6 C. eod. (4. 1).
|0083 : 61|
§. 310. Surrogate. II. Eid. Zuſchiebung. Ableiſtung ꝛc.
als der eigentliche Zweck des Inſtituts nach Römiſchem
Recht angeſehen werden. Sie kommt in folgenden Fällen
vor, in welchen die Thatſache augenſcheinlich entſcheidend
iſt über das Daſeyn eines Rechtsverhältniſſes:
Der Beklagte habe einen Diebſtahl oder Raub nicht
begangen (w).
Verkauf einer Sache um beſtimmten Preis (x).
Abſchluß einer Societät (y).
Uebergabe einer Sache als Pfand oder als Braut-
gabe (z).
Schwangerſchaft oder Nichtſchwangerſchaft einer
Frau (aa).
Gehaltloſigkeit eines Peculium (bb).
Die Thatſache, daß bereits ein Eid über eine ſtreitige
Frage geſchworen ſey (cc).
Beide hier zuſammengeſtellte Fälle entſprechen ungefähr
dem Gegenſatz der formula in jus und in factum concepta,
doch nicht genau und vollſtändig, weil die Faſſung der
Klagformeln allgemein beſtimmt war, die der Eidesformeln
von der Willkühr der Partei abhing, die den Eid zu-
ſchob (dd).
IV. Ueber die Form des zugeſchobenen Eides iſt ſchon
(w) L. 13 § 2. L. 28 § 5 eod.
L. 11 § 1 rer. amot. (25. 2).
(x) L. 13 § 3 de jurej.
(12. 2).
(y) L. 13 § 4 eod.
(z) L. 13 § 5 eod.
(aa) L. 3 § 3 eod.
(bb) L. 26 § 1 eod.
(cc) L. 29 eod.
(dd) Puchta Inſtitutionen
B. 2 § 173. f
|0084 : 62|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
bemerkt worden, daß das Römiſche Recht die verſchiedenſten
und willkürlichſten Betheuerungsformeln zuließ (§ 309. a).
Weſentlich war nur die wörtliche Uebereinſtimmung des
abgeleiſteten Eides mit der in der Zuſchiebung ausgedrückten
Formel. Außerdem war der Eid wirkungslos, und mußte
in richtiger Form wiederholt werden (ee).
Ueber den Ort der Eidesleiſtung wird nur erwähnt,
daß der vor dem Prätor zugeſchobene Eid in der Regel
vor dem Tribunal geſchworen werden mußte; nur bei
Kranken und bei ſehr vornehmen Perſonen wurde die Aus-
nahme geſtattet, daß ſie den Eid in ihrer Wohnung vor
einem Abgeordneten leiſten durften (ff).
V. Der Erlaß des Eides (remissio) von Seiten des
Zuſchiebenden hat dieſelbe Wirkung, wie die wirkliche
Leiſtung (gg). Der Sinn derſelben iſt der, daß der Zu-
ſchiebende in der bloßen Bereitſchaft des Gegners eben ſo,
wie in dem wirklichen Eid, einen genügenden Ausdruck
gewiſſenhafter Ueberzeugung anerkennen will. Daher wird
vorausgeſetzt, daß der Gegner auch wirklich den Eid ſogleich
angenommen habe; hat er Dieſes Anfangs nicht gethan,
ſondern erſt ſpäter ſich dazu entſchloſſen, der Zuſchiebende
will aber nun nicht die Zuſchiebung wiederholen, ſo ſoll
dieſe Weigerung nicht als Erlaß angeſehen werden (hh).
(ee) L. 3 § 4 L. 4 L. 5 pr.
L. 33 eod. — Wenn die Abfaſſung
der Eidesformel zweifelhaft oder
ſtreitig war, ſo hatte die Richter-
behörde darüber zu entſcheiden.
L. 34 § 5. 8 eod.
(ff) L. 15 eod. Vgl. L. 12
§ 5 C. eod.
(gg) L. 6 L. 9 § 1 eod.
(hh) L. 6 L. 9 § 1 eod.
|0085 : 63|
§. 311. Surrogate. II. Eid. Gemeinſame Wirkungen.
Der Erlaß kann in Gegenwart oder Abweſenheit des
Gegners mündlich oder ſchriftlich erklärt werden, und iſt
immer gleich wirkſam, ſelbſt wenn der Gegner noch Nichts
davon erfahren hat (ii).
Der Erlaß hat, eben ſo, wie die Zuſchiebung, eine der
Veräußerung ähnliche Natur, und iſt daher an dieſelben
Bedingungen der Handlungsfähigkeit gebunden, wie die
Zuſchiebung ſelbſt (kk).
§. 311.
Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Gemeinſame
Wirkungen.
VI. Die Wirkungen des zugeſchobenen und wirklich
abgeleiſteten (a) oder erlaſſenen Eides ſind ſehr mannich-
faltiger Art, laſſen ſich aber auf die gemeinſame Grund-
lage zurückführen, daß der Eid förmliche Wahrheit,
d. h. Fiction der Wahrheit, bildet, in welcher Hinſicht
er ganz auf gleicher Linie ſteht mit dem gerichtlichen Ge-
ſtändniß (§ 303) und dem Urtheil (§ 280). Dieſe förmliche
Wahrheit iſt gleichmäßig anzuerkennen, es mag der Eid ge-
ſchworen ſeyn über ein Rechtsverhältniß oder über eine
Thatſache (§ 310). Die alten Juriſten drücken dieſelbe ſo
aus, daß ſie ſagen, nach geſchwornem Eid dürfe nichts
(ii) L. 41 eod.
(kk) L. 32 eod.
(a) Die Römer bezeichnen den
geleiſteten Eid durch die Ausdrücke:
praestitum oder datum jusju-
randum. L. 9 pr. § 1 de jurej.
(12. 2).
|0086 : 64|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Anderes mehr geprüft werden, als allein die Thatſache des
Eides ſelbſt, auf die vorhergehende Lage der Sache ſey
nicht mehr zurück zu gehen (b). Natürliche Folgen dieſes
Satzes ſind die, daß eine aus dem Eid etwa hervorgehende
neue Klage in factum actio genannt wird (c), daß über
die Thatſache des Eides ſelbſt, wenn ſie bezweifelt wird,
ein neuer Eid zugeſchoben werden kann (d), ſo wie, daß
unter mehreren einander widerſprechenden Eiden der letzte
allein Gültigkeit hat (e), weil durch ihn die ganze Ver-
gangenheit, alſo auch die Kraft des früheren Eides, ab-
ſorbirt iſt. — Der Eid hat daher eine die Rechtsverhält-
niſſe ſelbſt umbildende Kraft, und wird in dieſer Hinſicht
gleichgeſtellt bald mit der Zahlung, bald mit der Acceptila-
tion, der Novation und Delegation, dem Conſtitutum (f).
Die Wirkung aber beſchränkt ſich auf die Parteien,
unter welchen die Zuſchiebung und Ableiſtung vorgegangen
iſt, ſo daß fremde Perſonen dadurch weder Rechte erlangen,
noch verpflichtet werden (g). Mit den Parteien ſelbſt aber
(b) L. 5 § 2 eod. „non aliud
quaeritur quam an juratum
sit“. Eben ſo L. 9 § 1. L. 28
§ 10. L. 29. L. 30 pr. eod., §. 11
J. de act. (4. 6). Gerade hierin
ſtehen gleich: das Urtheil, das Ge-
ſtändniß, der Eid. L. 56 de re jud.
(42. 1).
(c) L. 11 § 1 de jur. (12. 2),
L. 8 C. eod. (4. 1).
(d) L. 29 eod.
(e) L. 28 § 10 eod.
(f) L. 21. L. 27. L. 28 § 1.
L. 35 § 1. eod. — L. 40 eod. —
L. 26 § 2 eod. — L. 25 § 1 de
pec. const. (13. 5).
(g) L. 3 § 3. L. 9 § 7. L. 10
L. 11 § 3. L. 12 de jur. (12. 2),
L. 7 § 7 de publ. (6. 2).
|0087 : 65|
§. 311. Surrogate. II. Eid. Gemeinſame Wirkungen.
ſtehen in dieſer Hinſicht ganz gleich die Rechtsnachfolger
derſelben: Erben, Singularſucceſſoren, Bürgen (h).
Zur genaueren Einſicht in dieſe Wirkung iſt es nöthig
zu erwägen, daß der Eid eine zuſammengeſetzte juriſtiſche
Natur hat, indem er zugleich als Vertrag anzuſehen iſt,
und als eine bindende Prozeßhandlung (i).
Der Eid beruht alſo erſtlich auf einem wahren Vertrag
und zwar auf einem Vergleich, indem beide Theile darüber
einig geworden ſind, daß ihr Streit auf dieſem Wege ent-
ſchieden werde (k). An dieſem Einverſtändniß iſt ſelbſt in
den Fällen nicht zu zweifeln, worin der Eid als ein noth-
wendiger bezeichnet wird. Denn wenn auch die Zuſchiebung
dem Gegner nicht erwünſcht war, und deshalb ein indirecter
Zwang gegen ihn angewendet wird, ſo hat er ſich doch
durch die wirkliche Ableiſtung darin gefügt, und dieſe iſt
unzweifelhaft als eine freie Handlung anzuſehen.
Zweitens aber hat der Eid zugleich die Natur einer
bindenden Prozeßhandlung (l), und zwar ſowohl einer
Litisconteſtation, als eines rechtskräftigen Urtheils.
(h) L. 7. 8. 9 § 7, 28 § 1—3,
42 pr. § 1—3 de jur. (12. 2). —
Der Eid in einer popularis actio
wirkt, gerade wie das Urtheil,
auf dritte Perſonen, inſofern nicht
eine Colluſion erwieſen werden
kann. L. 30 § 3 eod. — Wird in
Folge eines Eides eine Verurthei-
lung in einer entehrenden Klage
ausgeſprochen, ſo wird der Ver-
urtheilte ehrlos, auch allen fremden
Perſonen gegenüber. L. 9 §. 2
eod. Das iſt aber nicht die Folge
des Eides, ſondern des Urtheils.
(i) L. 26 § 2 eod. „… pro-
ficiscitur ex conventione, quam-
vis habeat et instar judicii“.
(k) L. 2. L. 26 § 2. L. 35
§ 1 eod. L. 21 de dolo (4. 3).
(l) L. 26 § 2 eod. (Note i).
L. 35 § 1. 2. L. 42 § 3 eod., L. 8
C. eod.
VII. 5
|0088 : 66|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Er hat die Natur einer Litisconteſtation (m), in einem
doppelten Sinn: er unterbricht die Klagverjährung gleich
der Litisconteſtation (n), und macht dieſelbe zuweilen ent-
behrlich, iſt alſo Surrogat derſelben, welches noch näher
erklärt werden wird.
Er wirkt aber auch in ähnlicher Weiſe wie ein rechts-
kräftiges Urtheil (o); ja es wird ſogar geſagt, daß er
größere Kraft habe, als dieſes (p). Das hat die Bedeutung,
daß die Rechtskraft ein rein poſitives, dem jus gentium
fremdes Inſtitut iſt, anſtatt daß der Eid, vermöge ſeiner
Vertragsnatur (Note k), dem jus gentium vollſtändig an-
gehört (q). Hieran knüpft ſich die Wirkung, daß durch
den gegen eine Obligation abgeleiſteten Eid auch ſelbſt der
naturale Beſtandtheil dieſer Obligation (nicht blos die Klag-
barkeit) zerſtört wird, ſo daß Pfänder frei werden, und
eine ſpätere Zahlung als Indebitum zurückgefordert werden
kann (r).
(m) „… hoc jusjurandum
in locum litis contestatae suc-
cedit“.
(n) L. 9 § 3 de jur. (12. 2),
nämlich nach dem älteren Recht,
in welchem die L. C. als regel-
mäßige Unterbrechung erfordert
wurde. S. o. B. 5. S. 316.
(o) L. 1 quarum rer. actio
(44. 5) „… vicem rei judica-
tae obtinet.“ Dieſes zeigt ſich
in der für beide gemeinſanten
förmlichen Wahrheit, und in der in
factum actio, ſ. o. Noten b. c.
Vgl. auch L. 11 § 3. L. 12 de
jur. (12. 2).
(p) L. 2 eod. „majoremque
habet auctoritatem, quam res
judicata.“
(q) § 4 J. de except. (4. 13)
„… quia iniquum est, de
perjurio quaeri, defenditur per
exceptionem jurisjurandi“. Der-
ſelbe Ausdruck ſteht in den vor-
hergehenden drei §§, fehlt aber in
dem folgenden (§ 5 eod.), der von
der exc. rei jud. handelt.
(r) L. 40. 42 pr. de jur.
(12. 2), L. 43 de cond. ind.
|0089 : 67|
§. 311. Surrogate. II. Eid. Gemeinſame Wirkungen.
Eine praktiſch noch wichtigere Folge die ſich daran
knüpft, beſteht darin, daß die Wirkung des Eides ſelbſt
durch die Behauptung des Meineides nicht ſoll entkräftet
werden können (s), und daß insbeſondere auf dieſe Be-
hauptung keine doli actio, exceptio, replicatio gegründet
werden darf (t). — Das neueſte Römiſche Recht geſtattet
von dieſer Regel nur die einzige Ausnahme, wenn der
Anſpruch auf ein Legat oder Fideicommiß durch den Eid
des Legatars begründet, nachher aber der Meineid nachge-
wieſen wird (u). Ein deutſches Reichsgeſetz dagegen ver-
ordnet, daß der vor dem Strafrichter erwieſene Eid ſtets
auch die Verpflichtung zum Schadenserſatz mit ſich führen
ſoll (v). — Die etwas auffallende Vorſchrift des Römiſchen
Rechts hat offenbar die Bedeutung, daß der Zuſchiebende
die Entſcheidung der Sache von des Gegners Eid, und
ſelbſt auf die Gefahr des Meineides hin (die ihm ja nicht
verborgen ſeyn konnte), abhängig machen wollte.
Zum Schutz der hier aufgeſtellten Wirkungen des Eides
werden alle Arten von Rechtsmitteln gegeben, die nach den
Umſtänden erforderlich ſeyn können.
(12. 6), L. 95 § 4 de solut.
(46. 3).
(s) L. 31 in f. de jur. (12. 2),
L. 1 C. eod., vgl. oben Note q.
(t) L. 21. 22 de dolo (4. 3),
L. 5 de except. (44. 1).
(u) L. 13 C. de jur. (4. 1).
Auf ſolche geſetzliche Ausnahmen
deutet in allgemeinen Worten L. 1
C. eod., welches jedoch eine Juſti-
nianiſche Interpolation zu ſeyn
ſcheint, da keine andere Ausnahme
dieſer Art vorkommt.
(v) Const. crim. Carol.
art. 107.
5*
|0090 : 68|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Iſt alſo eine Klage nöthig, ſo wird eine ſolche gege-
ben (w); Dieſes gilt namentlich auch von dem außergericht-
lichen Eide (x). Eben ſo wenn eine Exception erforderlich
iſt, nämlich wenn der Kläger die Thatſache eines vom Be-
klagten geleiſteten Eides beſtreitet, weil außerdem die Klage
ſogleich, und ohne Exception, abgeſchlagen wird (y).
Jede Wirkung des Eides aber, und jedes zum Schutz
derſelben anzuwendende Rechtsmittel, muß ſich genau an-
ſchließen an den beſonderen Inhalt des geſchworenen Eides,
und darf über dieſen Inhalt nicht hinausgehen. — Schwört
alſo Jemand, daß eine Sache oder eine Erbſchaft ihm
gehöre, ſo kann er darauf ſowohl eine Klage, als eine
Einrede gründen (z). — Schwört er, daß eine Sache
(w) L. 9 § 1. 6 de jur. (12.2),
und zwar eine actio in factum,
ſ. o. Note c.
(x) L. 28 § 10 eod.
(y) L. 3 pr. L. 7, L. 9 pr.
§ 1 eod.
(z) L. 9 § 7. L. 11 § 1. 3. eod.
Höchſt beſtritten iſt die Auslegung
der L. 13 § 1 eod. „Julianus ait,
eum, qui juravit fundum suum
esse, post l. t. praescriptionem
etiam, utilem actionem habe-
re“. Viele wollen damit beweiſen,
daß zur Zeit der alten Juriſten die
l. t. praescr. zugleich ein Klag-
recht gegeben habe. Sie nehmen
alſo an, der Schwörende und der
Beſitzer, der die l. t. praescriptio
erworben habe, ſeyen in dieſer
Stelle als eine und dieſelbe Perſon
gedacht, und dieſer Perſon werde
nun ein Klagrecht zugeſchrieben
für den Fall, daß ſie ſpäter den
Beſitz wieder verliere. Dieſe Er-
klärung aber iſt gewiß zu ver-
werfen. Denn wenn die l. t. praescr.
die Kraft hatte, ein Klagrecht zu
begründen (welches eben durch
dieſe Stelle bewieſen werden ſoll),
wozu bedurfte es dann noch da-
neben der Erwähnung des Eides?
Umgekehrt aber iſt es von dem
Eide für ſich allein unzweifelhaft,
daß er ein Klagrecht erzeugte
(Note w); wozu bedurfte es da-
neben noch der Erwähnung der
l. t. praescr.? — Die richtige
Erklärung der Stelle beruht viel-
mehr auf folgender Vorausſetzung.
Die Eigenthumsklage wird gegen
einen Beſitzer angeſtellt, der das
Eigenthum des Klägers verneint,
|0091 : 69|
§. 311. Surrogate. II. Eid. Gemeinſame Wirkungen.
dem Gegner nicht gehöre, ſo gewinnt er dadurch nur eine
Einrede (aa). Im Einzelnen treten dann dieſelben praktiſchen
Folgen ein, wie ſie den Klagen aus Eigenthum, Erbrecht,
Schuldforderungen u. ſ. w. angemeſſen ſind, wenn dieſe
Klagen, unabhängig von einem Eide, angeſtellt und be-
gründet werden (bb).
Die durch den Eid herbeigeführte Entſcheidung eines
Rechtsſtreites kann auch noch von Wichtigkeit ſeyn, wenn
nicht mehr von dieſem Rechtsſtreite ſelbſt, ſondern von
einem künftigen, mit jenem identiſchen oder verwandten, die
Rede iſt. Es iſt derſelbe Einfluß, von welchem ſchon oben
bei dem rechtskräftigen Urtheil ausführlich die Rede geweſen
iſt, und es gelten für den Eid hierin dieſelben Regeln,
welche dort entwickelt worden ſind (cc). — Auch bei dem
Eide kommt Alles darauf an, daß in beiden Sachen eadem
quaestio zum Grunde liege, wenn der in der früheren Sache
geleiſtete Eid auf die Entſcheidung der ſpäteren Einfluß
daneben aber Anſpruch auf eine
l. t. praescr. hat. Anſtatt dieſe
vorzuſchützen, und vor Allem den
Beweis des Eigenthums zu er-
warten, wählt er den anderen
Weg, daß er dem Kläger den Eid
zuſchiebt. Wenn nun der Kläger
den zugeſchobenen Eid ſchwört, ſo
ſoll er dadurch eine Klage mit
ſicherem Erfolg (utilem actionem)
haben, ungeachtet der Beklagte
eine l. t. praescr. hätte vorſchützen
können (post l. t. praescr. etiam).
Denn in der Eideszuſchiebung über
das Eigenthum (ohne Zuſatz und
Vorbehalt) liegt dann ein Verzicht
auf die l. t. pr., weil der Beklagte
durch dieſe Eideszuſchiebung die
vollſtändige Entſcheidung über die
ganze Streitſache in die Hand des
Klägers gelegt hat.
(aa) L. 11 pr. eod. L. 7 § 7
de publ. (6. 2).
(bb) L. 11 § 1. 2. 3. L. 30
§ 1. 2. 5 L. 36. L. 42 pr. § 1 de
jur. (12. 2).
(cc) S. o. B. 6 S. 414. 415
und § 297. d §. 299. e.
|0092 : 70|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
haben ſoll (dd). — Auch bei dem Eide, wie bei dem
Urtheil, ſind folgende Umſtände für den Einfluß auf den
ſpäteren Rechtsſtreit gleichgültig:
1. die Verſchiedenheit des äußeren Gegenſtandes (ee).
2. Die Verſchiedenheit der Klage (ff). Wer alſo, bei einer
angeſtellten furti actio, ſchwört, daß er nicht geſtohlen
habe, iſt dadurch auch gegen eine künftige condictio
furtiva geſichert, und umgekehrt.
3. Die Verſchiedenheit der Parteirollen, ſo daß der ge-
leiſtete Eid künftig eben ſowohl für den Schwörenden
bindend iſt, als für ſeinen Gegner (gg).
§. 312.
Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Beſondere
Wirkungen je nach der verſchiedenen Lage des Streites.
VIII. Beſondere Wirkungen.
Es iſt ſchon oben bemerkt worden, daß die Zuſchiebung
des Eides während drei verſchiedener Zuſtände des Streites
vorkommen kann: außergerichtlich, in jure, in judicio
(§ 309). Es iſt nun noch feſtzuſtellen, welche eigenthüm-
liche Wirkungen der Zuſchiebung in jedem dieſer drei Fälle
anzunehmen ſind. Voraus muß bemerkt werden, daß die,
im vorhergehenden Paragraphen angegebenen, gemeinſamen
Wirkungen von dieſer Verſchiedenheit unabhängig ſind.
(dd) L. 28 § 4. 7 eod.
(ee) L. 11 §. 3. 7 eod.
(ff) L. 28 § 4. 6—9. L. 13
§ 2. L. 30 § 4 eod.
(gg) L. 13 § 3. 5 eod.
|0093 : 71|
§. 312. Surrogate. II. Eid. Beſondere Wirkungen.
Jene Wirkungen beziehen ſich insgeſammt auf den Fall der
wirklichen Ableiſtung des zugeſchobenen Eides; darauf be-
ruht die förmliche Wahrheit; ferner die dem Eide zukom-
mende doppelte Eigenſchaft, als eines Vertrages, und als
einer entſcheidenden Prozeßhandlung, endlich der Schutz der
förmlichen Wahrheit durch jedes erforderliche Rechtsmittel,
Klage oder Einrede. Die nunmehr zu unterſuchenden Ver-
ſchiedenheiten beziehen ſich demnach beſonders auf die,
zwiſchen der Zuſchiebung und Ableiſtung in der Mitte lie-
genden Folgen.
1. Außergerichtliche Zuſchiebung.
Das Eigenthümliche dieſes Falles beſteht darin, daß
Alles in der freieſten Willkür des Gegners ſteht; will er
den Eid annehmen, will er ihn ausdrücklich verweigern,
oder mit Stillſchweigen übergehen, ſo ſteht Dieſes in ſeiner
Macht, und er hat weder unmittelbaren, noch indirecten
Zwang zu beſorgen (a). Auch fehlt es zu einem ſolchen
Zwang, wenigſtens für den Kläger, an jedem Bedürfniß,
da er in jedem Augenblick die Klage vor Gericht bringen
und dann durch den nothwendigen Eid unterſtützen kann.
Wird alſo der in dieſer Lage zugeſchobene Eid nicht
angenommen, ſo iſt es ſo gut, als wäre er gar nicht zu-
geſchoben worden (b). Von einem Zurückſchieben dieſes
(a) Von der einzigen Stelle,
die auf einen indirekten Zwang
bezogen werden könnte (L. 38 de
jur. 12. 2) wird unten gezeigt
werden, daß ſie nicht von der
außergerichtlichen Zuſchiebung zu
verſtehen iſt (§ 313. f).
(b) L. 5 § 4 eod.
|0094 : 72|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Eides kann gar nicht die Rede ſeyn (c); darin würde nur
der Verſuch einer umgekehrten Zuſchiebung liegen, welche
wiederum dem Gegner volle Freiheit laſſen würde, dieſen
zuletzt zugeſchobenen Eid anzunehmen oder zu verweigern.
2. Zuſchiebung vor dem Prätor (in jure).
Wenn in dieſer Lage des Streites der Kläger oder der
Beklagte den Eid zuſchiebt, ſo ſteht es nicht in der Will-
kür des Gegners, ob er ſich darauf einlaſſen will, viel-
mehr wird er dazu gezwungen (d). Dieſer Zwang aber
beſteht nicht etwa in einer Strafandrohung, ſondern in der
Wahl zwiſchen folgenden Entſchließungen. Er muß:
entweder nachgeben, alſo thun, was der Gegner ver-
langt,
oder ſchwören,
oder den Eid dem Gegner zurück ſchieben (referre).
Zu den beiden letzten Maßregeln giebt es keinen eigent-
lichen Zwang, wohl aber zu der erſten; darauf alſo wird
dann der wahre Zwang gerichtet (e), in verſchiedenen
Arten, die noch näher beſtimmt werden ſollen. Wenn alſo
(c) L. 17 pr. eod. „Jusju-
randum, quod ex conventione
extra judicium defertur, referri
non potest“. Die Zurückſchiebung
hat nur eine eigenthümliche Be-
deutung als ein Mittel, dem außer-
dem eintretenden Zwang eine an-
dere Wendung zu geben (Note g).
(d) L. 28 § 2 de jud. (5. 1)
„ … nec jurare cogendus est“,
als Ausnahme bei einem Legaten,
worin alſo der Gegenſatz liegt,
daß jeder Andere in der That ge-
zwungen wird.
(e) L. 34 §. 6 de jur. (12.
2) „Ait Praetor: eum, a quo
jusjurandum petetur, solvere
aut jurare cogam. Alterum ita-
que eligat reus, aut solvat aut
juret; si non jurat, solvere co-
gendus erit a Praetore.“
|0095 : 73|
§. 312. Surrogate. II. Eid. Beſondere Wirkungen.
der Gegner jede dieſer Maßregeln ausdrücklich verweigert,
oder (was daſſelbe iſt) blos ſchweigt, alſo jede Erklärung
unterläßt, ſo gilt Dieſes eben ſo, als wenn gegen ihn durch
den Eid des Zuſchiebenden die förmliche Wahrheit feſtgeſtellt
wäre, und er wird zum factiſchen Nachgeben unmittelbar
gezwungen (f).
Unter jenen drei Gegenſtänden freier Wahl iſt das Zu-
rückſchieben des Eides genannt worden. Dieſes hat ganz
dieſelbe Natur, wie die urſprüngliche Zuſchiebung, und es
tritt nun ganz das bisher beſchriebene Verfahren ein, nur
mit Umkehrung der Perſonen (g). Das Zurückſchieben
wird als die beſcheidenſte und anſtändigſte Maßregel be-
trachtet, als Aeußerung des Vertrauens in die Gewiſſen-
haftigkeit des Gegners (h). Es iſt nicht immer nöthig oder
angemeſſen, daß dieſer zweite Eid mit dem erſten wörtlich
übereinſtimme; darüber hat nach Umſtänden die Richter-
behörde zu entſcheiden (i).
Es ſind jedoch folgende Einſchränkungen des ſo eben
erörterten Zwanges zu bemerken. — Aus perſönlicher Ehr-
furcht braucht die Zuſchiebung in der Regel nicht unterlaſſen
zu werden, ſo daß ſie ſelbſt zuläſſig iſt gegen den Vater
und den Patron des Zuſchiebenden (k); in der Zuſchiebung
(f) L. 34 § 7. 9 eod. Von dem
letzten dieſer zwei §§ wird noch
weiter die Rede ſeyn (§ 313. d).
(g) L. 34 § 7 eod.
(h) L. 25 § 1 de pec. const,
(13. 5).
(i) L. 34 § 8 de jur. (12. 2).
(k) L. 14 eod. Mit der ein-
zigen Ausnahme, wenn in einer
actio rerum amotarum dem
Patron (als Kläger) der Eid zu-
geſchoben wurde. L 16 eod.
|0096 : 74|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
liegt ein Ausdruck des Vertrauens, alſo der Achtung. Nur
die Veſtalinnen und der Flamen Dialis ſollten nach altem
Recht von jedem Zwang dieſer Art frei ſeyn (l). — Un-
mündige in eigener Sache, Procuratoren und Defenſoren
in der Sache, die ſie vertreten, ſind nicht dem Zwange
unterworfen (§. 310. i). — Der, welchem der Eid zuge-
ſchoben wird, kann verlangen, daß zuvor der Gegner ſeine
redliche Abſicht (de calumnia) beſchwöre; weigert ſich dieſer,
ſo gilt die Weigerung gleich einem Erlaß des Eides, das
heißt, gleich dem abgeleiſteten Eide ſelbſt (m). Die Frage,
ob dieſer Eid vor Gefährde, als Bedingung des Zwanges,
auch im heutigen Recht als geltend anzuerkennen ſey, wird
von den neueren Schriftſtellern meiſt mit Stillſchweigen
übergangen. Ich glaube, ſie verneinen zu müſſen, theils
nach dem thatſächlichen Gerichtsgebrauch, theils nach dem
veränderten Standpunkt dieſes Rechtsinſtituts, indem es
weniger Gegenſtand der Privatwillkür iſt, mehr unter
richterlicher Aufſicht ſteht (n).
Eine wichtige Einſchränkung beſteht noch darin, daß
Niemand gezwungen werden kann, über Dasjenige zu ſchwö-
ren, wovon er vielleicht Nichts weiß, insbeſondere über
fremde Handlungen bei denen er nicht gegenwärtig war.
(l) Gellius X. 15. Vergl.
Zimmern § 127 Note 12.
(m) L. 34 § 4. L. 37 de jur.
(12. 2) Nur wer zurückſchiebt, kann
den Eid de calumnia nicht fordern,
da der Gegner durch die Zuſchie-
bung ſeine auf Wahrheit gerichtete
Abſicht hinlänglich bewieſen hat.
L. 34 § 7 eod.
(n) Vgl. Martin Prozeß
§. 226 Noten g. h.
|0097 : 75|
§. 312. Surrogate. II. Eid. Beſondere Wirkungen.
So z. B. braucht Keiner zu ſchwören, daß der Gegner ge-
ſtohlen habe (o); daß er nicht ſchuldig ſey, einen beſtimmten
Sklaven zu übergeben, wenn es ungewiß iſt, ob dieſer noch
lebt (p); daß ſein Erblaſſer einen Vertrag nicht geſchloſſen
habe (q). — Kann in ſolchen Fällen durch Zurückſchieben
billige Hülfe geleiſtet werden, ſo iſt Dieſes anzuwenden;
in anderen Fällen wird eine Friſt zur Erforſchung der
Wahrheit helfen können (r). Wo aber alle dieſe Mittel
nicht ausreichen, ſoll ohne Zweifel nach Römiſchem Recht
der Eid nicht angewendet werden, welches vielleicht nur
deswegen nicht erwähnt wird, weil bei den Römern der
Eid meiſt über Rechtsverhältniſſe zugeſchoben wurde, wobei
jene Schwierigkeit oft verhüllt bleibt. — Die Praris der
neueren Zeit hilft oft aus durch einen Eid über bloßes
Glauben (de credulitate), oder über Nichtwiſſen (de igno-
rantia). Der erſte iſt gewiß völlig verwerflich, da er nicht
irgend eine Ueberzeugung des Richters bewirken, wohl aber
die Partei zu einer leichtſinnigen Behandlung des Eides
verleiten kann. Der zweite iſt unbedenklich, wenn ſich der
Zuſchiebende damit begnügen will, daß durch das bloße
Nichtwiſſen des Gegners die Sache entſchieden werde, wenn
er alſo entweder die Zuſchiebung auf eine ſolche Eidesform
(o) L. 11 § 2. 3. L. 12. L. 13.
pr. rer. amot. (25. 2).
(p) L. 34 pr. de jur. (12. 2).
(q) Paulus II. 1. § 4.
(r) L. 34 pr. de jur. (12. 2).
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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
richtet, oder die richterliche Verwandlung des zugeſchobenen
Eides in dieſe Form genehmigt (s).
Es iſt zuletzt noch anzugeben, durch welche Mittel
der Prätor den Zwang zur Ausführung bringt, deſſen Be-
dingungen bisher feſtgeſtellt worden ſind.
Der Eid kann geſchworen werden vom Kläger, oder vom
Beklagten, nachdem ihm der Eid vom Gegner zugeſchoben
oder zurückgeſchoben worden iſt. Es iſt aber dabei in Er-
innerung zu bringen, daß mit dieſer wirklichen Ableiſtung
gleiche Wirkung hat der Erlaß des Eides; ferner die Wei-
gerung des Gegners, ſich auf den zugeſchobenen oder zurück-
geſchobenen Eid einzulaſſen. Alle dieſe Fälle ſtehen völlig
auf gleicher Linie, und ſind ſtets mit darunter zu begreifen,
wenn jetzt die Folgen des geleiſteten Eides angegeben
werden ſollen.
Hat nun der Kläger den Eid geleiſtet, ſo wird der
Beklagte gezwungen, den Kläger klaglos zu ſtellen, d. h.,
deſſen Anſpruch zu befriedigen. Dieſes geſchieht jedoch, nach
Verſchiedenheit der Fälle, auf zweierlei Weiſe, ſo wie es
ſchon oben bei dem gerichtlichen Geſtändniß angegeben
worden iſt (§ 303).
Iſt die Klage eine certi condictio, alſo auf eine be-
ſtimmte Geldſumme gerichtet, ſo iſt mit dem Eide Alles zu
Ende, und der Prätor verfügt unmittelbar die Execution (t).
(s) Vgl. Bayer Vorleſungen
S. 391. Heffter Prozeß §. 229
N. 64. 65. Linde Prozeß §. 301.
N. 4, § 302 N. 16—18.
(t) L. 34. § 6 de jur. (12. 2)
„solvere cogendus erit a Prae-
tore.“ Die eigenthümliche Natur
des Eides im Fall der certi con-
|0099 : 77|
§. 312. Surrogate. II. Eid. Beſondere Wirkungen.
In dieſem Fall iſt der Eid ein wahres Surrogat des Ur-
theils, ein Judex und eine Litisconteſtation iſt unnöthig.
Bei allen anderen Klagen aber erfolgt nun ein ordent-
licher Prozeß vor dem Judex. Nur iſt es unrichtig, wenn
Manche ſagen, daß jetzt eine actio in factum de jurejurando
angeſtellt werde (u); es iſt vielmehr die bloße Fortſetzung
der bereits angeſtellten Klage, und auch dieſe tritt weniger
vollſtändig ein, als es ohne den Eid geſchehen wäre. Eine
eigentliche Litisconteſtation kommt nun nicht mehr vor, und
der Judex hat nicht mehr die Wahrheit des Anſpruchs, ſon-
dern nur noch den Geldwerth deſſelben feſtzuſtellen (§ 311 b).
Die formula mag jetzt etwa ſo gelautet haben:
Quod A. Agerius juravit, N. Negidium fundum Cor-
nelianum ipsi dare oportere, quanti is fundus est,
eum condemna
ſo daß die Intentio: si paret dare oportere weggelaſſen
wurde, weil dieſes Stück durch den Eid dem Prätor ſchon
bekannt und gewiß war, alſo nicht erſt durch den Judex
feſtgeſtellt zu werden brauchte. — Insbeſondere bei der
Erbrechtsklage, und ohne Zweifel auch bei allen anderen
arbiträren Klagen, hatte der Eid des Klägers die volle
Kraft einer pronuntiatio (v).
dictio zeigt ſich ſehr deutlich in
der Ueberſchrift des Titels im
Codex (IV. 1) „de rebus creditis
et jurejurando.“ Ganz dieſelbe
Ueberſchrift findet ſich auch bei
Paulus II. 1.
(u) Bayer Vorleſungen S.
401. 402.
(v) L. 11 § 3 de jur. (12. 2).
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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Wenn dagegen der Beklagte den Eid geleiſtet hat, ſo
iſt damit Alles, ohne Unterſchied der Klagen, zu Ende.
Der Prätor weiſt durch ein Decret die Klage zurück, ohne
daß es dazu einer Exception und eines Judex bedarf (w).
Dieſes Decret wirkt völlig wie die rechtskräftige Freiſprechung
durch einen Judex (x).
§ 313.
Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Beſondere Wir-
kungen je nach der verſchiedenen Lage des Streites.
(Fortſetzung.)
3. Zuſchiebung vor dem Judex (in judicio).
Ich will damit anfangen, den Zuſtand der Sache dar-
zuſtellen, wie er im Juſtinianiſchen Recht, und ſchon ſeit
dem Untergang des ordo judiciorum, beſchaffen ſeyn mußte.
Da hier kein Unterſchied mehr war zwiſchen jus und ju-
dicium, praetor und judex, ſo mußten alle für die Ver-
handlung vor dem Prätor oben aufgeſtellten Regeln nun-
mehr auf die ganze Prozeßführung angewendet werden, ſo
daß der urtheilende Richter (der jetzt von der richterlichen
Obrigkeit nicht mehr verſchieden war) die Rechte auszuüben
hatte, die früher dem Prätor zugeſchrieben wurden. Die
vom Prätor früher ausgeſprochene Alternative: solvere aut
jurare cogam (§ 312. e), wurde alſo in Ausſprüchen dieſer
ſpäteren Zeit wörtlich auf den judex (den urtheilenden
(w) L. 7. L. 9 pr. L. 34 § 7
eod.
(x) S. o. B. 6 § 284. Noten
c. d.
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§. 313. Surrogate. II. Eid. Beſondere Wirkungen. (Fortſ.)
Richter) angewendet (a). Daß es ſo ſeyn mußte, wird
auch von unſeren Schriftſtellern nicht bezweifelt, und über
den Zuſtand der Sache im Juſtinianiſchen Recht, ſo wie
über den Sinn, in welchem wir die Juſtinianiſchen Rechts-
quellen jetzt aufzufaſſen haben, iſt daher kein Streit. Es
fragt ſich nur, wie es ſich verhielt zur Zeit des beſtehenden
ordo judiciorum. Hierüber iſt die herrſchende Meinung
der Neueren, der alte Judex habe bei einem vor ihm zu-
geſchobenen Eide gar keinen ähnlichen zwingenden Einfluß,
wie der Prätor, gehabt, und alle älteren Stellen, die ihn
hierin dem Prätor gleich ſtellen, ſeyen im Sinn der oben
dargeſtellten Veränderung interpolirt (b). Ich glaube, daß
ſie hierin zu weit gehen, und daß, wenn auch einige Inter-
polationen vorgenommen ſeyn mögen (welches ich dahin
geſtellt laſſe), dennoch in der Sache ſelbſt von jeher kein
weſentlicher Unterſchied zu finden war. Ich will mit der
Prüfung der einzelnen Stellen aus der älteren Zeit an-
fangen.
Die wichtigſte dieſer Stellen rührt her von Ulpian (c).
Nachdem hier zuerſt eine Stelle des Edicts wörtlich an-
geführt und erklärt war (in den §§ 6. 7), wird das Ver-
fahren in dem Fortgang der Stelle weiter ausgeführt und
(a) L 9 C. de R. C. et jur.
(4. 1) „ … per judicem sol-
vere vel jurare … necesse
habet“.
(b) Keller Litisconteſtation
S. 50. 51. Zimmern §. 135.
Puchta §. 174. p.
(c) L. 34 § 6. 7. 8. 9 de jur.
(12. 2).
|0102 : 80|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
unmittelbar auf den Judex bezogen (d). Dieſer letzte Theil
der Stelle ſoll nun auf bloßer Interpolation beruhen, indem
auch hier Ulpian nur vom Prätor geſprochen haben
werde. — Ich will dieſe Interpolation nicht gerade für
unmöglich erklären, aber als nothwendig kann ich ſie nicht
einräumen; denn wenn, wie ſogleich aus inneren Gründen
gezeigt werden ſoll, die Thätigkeit des Prätors hierin von
jeher weſentlich keine andere war, als die des Judex, ſo
war es ganz natürlich und gar nicht zu tadeln, daß Ul-
pian abwechſelnd bald den Einen, bald den Anderen, und
zwar Beide in gleicher Wirkſamkeit, erwähnte.
Wichtig iſt aber auch eine Stelle des Paulus, welche von
dem Beweisverfahren vor dem Judex ſpricht, und den vor
dem Judex geleiſteten Eid in derſelben Weiſe erwähnt, wie wir
ihn im neuſten Recht nur immer auffaſſen können (e); und
in dieſer Stelle iſt noch weniger, als in der des Ulpian,
Schein und Raum für eine Interpolation wahrzunehmen.
Ich will aber nun auf die Sache ſelbſt näher eingehen,
unabhängig von dem Zeugniß einzelner Stellen der alten
Juriſten.
(d) l. c. § 8 „ … officio
judicis“. Beſonders aber der
ganze, in ſeinem Inhalt ſo wich-
tige, § 9 „Quum res in jusju-
randum demissa sit, judex
jurantem absolvit … nolentem
jurare reum .. non solventem
condemnat“, ganz wie oben § 6
vom Prätor.
(e) L. 25 § 3 de prob. (22. 3)
„ .. licentia concedenda est
ei, cui onus probationis in-
cumbit, advessario suo …
jusjurandum inferre … ut
judex juramenti fidem secutus
ita suam sententiam possit
formare“.
|0103 : 81|
§. 313. Surrogate. II. Eid. Beſondere Wirkungen. (Fortſ.)
Wenn vor dem Judex ein Eid zugeſchoben und von dem
Gegner freiwillig angenommen und geleiſtet wurde, ſo kann
über deſſen Wirkſamkeit kein Zweifel ſeyn, da ſelbſt der
außergerichtliche Eid förmliche Wahrheit zu begründen ge-
eignet war (§ 312). Der Streit kann alſo nur den Fall
einer Weigerung, und dabei die Frage betreffen, ob dem
Judex ein ähnliches Recht des Zwanges, wie dem Prätor,
zugeſchrieben werden dürfe. Hätte nun von Seiten des
Prätors der Zwang etwa in Geldſtrafen beſtanden, ſo würde
ich jene Frage unbedenklich verneinen. Er beſtand aber in
der That nur in der angenommenen Feſtſtellung des Gegen-
theils der Behauptung, welche zu beſchwören in die Macht
des Weigernden geſtellt war (§. 312. f), und dieſes Zwangs-
mittel dem Judex, ſo gut als dem Prätor, zuzuſchreiben,
kann nicht das geringſte Bedenken haben. Der eigentliche,
gewiß richtige Geſichtspunkt für jene Feſtſtellung zum Nach-
theil Deſſen, der den zugeſchobenen Eid verweigert, iſt in
folgender Stelle des Paulus ausgedrückt (f): „Mani-
festae turpitudinis et confessionis est, nolle nec jurare,
nec jusjurandum referre“. Dieſe Stelle iſt ganz wie ge-
ſchrieben zur Rechtfertigung des Judex, der die Weigerung
völlig wie ein gerichtliches Geſtändniß behandelt und hier-
nach ſein Urtheil einrichtet, und ſie wird alſo am natür-
lichſten bezogen auf die Eideszuſchiebung vor dem Judex.
Auf die außergerichtliche kann ſie nicht bezogen werden, weil
(f) L. 38 de jur. (12. 2).
VII. 6
|0104 : 82|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
dabei keine Art des Zwanges vorkam, insbeſondere aber
auch kein referre (§ 312 Noten a. c.); eben ſo wenig aber
auf die Eideszuſchiebung vor dem Prätor (g), deſſen zwin-
gende Gewalt hierin an ſich keiner Rechtfertigung bedurfte,
und auch ſchon wörtlich in dem Edict begründet war.
Eine Beſtätigung der hier aufgeſtellten Behauptung liegt
noch in dem Fall des Albutius, in welchem das Centum-
viralgericht die Verweigerung eines zugeſchobenen Eides
gleichfalls wie ein Geſtändniß behandelte und dem Urtheil
zum Grunde legte (h); die Centumvirn aber hatten die
Stellung des Judex, nicht des Prätors, ſie waren Urtheiler,
nicht prozeßleitende Obrigkeit.
Völlig verſchieden von dem bisher dargeſtellten zuge-
ſchobenen Eide iſt eine andere Art, den Eid auf die Ent-
ſcheidung eines Rechtsſtreites anzuwenden; eine Art der
Anwendung, die nach der älteren Römiſchen Gerichtsver-
faſſung nur allein vor dem Judex vorkommen konnte. Wenn
nämlich, nach geführten Beweiſen, der Richter über die That-
ſachen noch nicht völlig aufgeklärt iſt, ſo kann er nach ſeinem
Ermeſſen die eine oder andere Partei zum Eide auffordern,
und je nach dem Ausfall deſſelben ſein Urtheil einrichten (i).
Dieſer Fall unterſcheidet ſich von dem des zugeſchobenen Eides
(g) Hierauf wird die Stelle
bezogen von Puchta § 173. e.
(h) Seneca controv. lib. 3.
praef.
(i) L. 1. 31 de jur. (12. 2).
L. 3. L. 12. pr. C. eod.
|0105 : 83|
§. 313. Surrogate. II. Eid. Beſondere Wirkungen. (Fortſ.)
weſentlich dadurch, daß keine Einwilligung der Parteien,
alſo kein Vertrag zum Grunde liegt. Dieſes iſt reines
Beweismittel, und es iſt dabei eine Anfechtung wegen ſpäter
aufgefundener Urkunden nicht unmöglich (k). — Dieſe Art
des Eides iſt in dem heutigen Prozeßrecht als Erfüllungseid
und Reinigungseid genauer ausgebildet worden.
Es bedarf kaum noch der Bemerkung, daß vor dem
Judex der Eid jeder Art niemals Surrogat eines Urtheils
ſeyn, folglich das Urtheil ſelbſt entbehrlich machen konnte.
Die eigentliche Entſcheidung konnte hier lediglich von dem
Urtheil ausgehen (l), deſſen Inhalt aber an den Inhalt
des Eides nothwendig gebunden war.
Die Ueberſchrift des Digeſtentitels (XII. 2) lautet ſo:
De jurejurando, sive voluntario, sive necessario, sive
judiciali. Darin ſind augenſcheinlich Römiſche Kunſtaus-
drücke enthalten, über deren Bedeutung in neuerer Zeit
verſchiedene Meinungen aufgeſtellt worden ſind (m). Nach
der bis hierher geführten Unterſuchung ſcheint folgende Be-
deutung dieſer Ausdrücke angenommen werden zu müſſen.
(k) In dieſer Hinſicht unter-
ſcheiden ſich überhaupt Urtheile
und Vergleiche (zu welchen letzten
der Eid gehört). L. 35 de re jud.
(42. 1), L. 19. 29 C. de transact.
(2. 4). Vgl. Burchardi Wieder-
einſetzung in den vorigen Stand
S. 138.
(l) L. 34 § 9. L. 31 de jur.
(12. 2).
(m) Donellus Lib. 24. C. 24.
Puchta Inſtitutionen § 173
Note e.
6*
|0106 : 84|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Voluntarium iſt der außergerichtliche Eid, weil deſſen An-
nahme und Leiſtung ganz in der Willkür der Partei lag,
welcher er zugeſchoben wurde. Necessarium iſt der in jure
oder in judicio zugeſchobene Eid, weil in beiden Fällen die
Partei genöthigt war, ſich in irgend einer Weiſe auf den-
ſelben einzulaſſen. Judiciale endlich iſt der vom Judex, ohne
Zuſchiebung von Seiten einer Partei, auferlegte Eid. —
Anders iſt freilich der Sprachgebrauch der neueren Schrift-
ſteller über den Prozeß. Hier heißt voluntarium der zu-
geſchobene, alſo von dem Willen einer Partei ausgehende
Eid, necessarium der von dem Willen des Richters aus-
gehende, alſo von jedem Parteiwillen völlig unabhängige
Eid. Der Ausdruck der Freiwilligkeit oder Unfreiwilligkeit
wird alſo von den Neueren in einer anderen Beziehung
gebraucht, als von den Römern.
§. 314.
Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Heutiges Recht.
Es bleibt jetzt nur noch übrig, die ſpäteren Aenderungen
des bisher dargeſtellten Rechts des Eides hinzu zu fügen.
Die in Juſtinian’s Geſetzgebung eingetretene Aenderung
iſt bereits dargeſtellt worden (§ 313); es iſt alſo nur noch
von dem heutigen Rechte zu reden.
Als vorherrſchender Geſichtspunkt iſt hier anerkannt
worden die Heiligkeit des Eides als einer religiöſen Hand-
lung. Alle Neuerungen zwecken darauf ab, theils dem
Meineide vorzubeugen, theils den Mißbrauch zu verhüten,
|0107 : 85|
§. 314. Surrogate. II. Eid. Heutiges Recht.
der in der Leiſtung eines unpaſſenden oder unnützen Eides
liegen würde. Hierauf gründen ſich folgende einzelne, vom
Römiſchen Recht abweichende Sätze.
Vor Allem hat der Richter freiere Macht in der Auf-
ſicht auf den zugeſchobenen Eid, der alſo nicht mehr ſo, wie
im Römiſchen Recht, durch die freie Uebereinkunft der Par-
teien beſtimmt werden kann. — Der Richter verſagt ihn,
wenn nach den Umſtänden ein Meineid zu befürchten iſt. —
Die Faſſung der Eidesformel wird von dem Zuſchiebenden
nur vorgeſchlagen, der Gegner hat ſich darüber zu erklären,
der Richter aber hat ſie feſtzuſtellen. Für dieſe Beſtimmung
findet ſich ein Anhalt ſchon im Römiſchen Recht (§. 310. ee).
— Ein Unmündiger, den das Römiſche Recht zur Ableiſtung
eines zugeſchobenen Eides zuläßt, weil er dabei nur ge-
winnen, nicht verlieren kann (§ 310. h), wird jetzt nicht
mehr zugelaſſen. — Der Eid vor Gefährde fällt jetzt weg
(§ 312. n).
Der außergerichtliche Eid, der ganz ohne richterliche
Aufſicht ſeyn würde, iſt jetzt gar nicht mehr zuläſſig und
hat, wenn er durch die Willkür der Parteien dennoch an-
gewendet wird, nicht mehr die Wirkungen, die ihm das
Römiſche Recht beilegt (a). In manchen Partikulargeſetzen
iſt er geradezu verboten (b).
(a) S. o. § 311. 312. Mit Un-
recht wird Dieſes bezweifelt von
Linde Prozeß § 301 N. 6. Nach
dem heutigen Recht alſo würde
aus einem ſolchen Privateide weder
eine Klage, noch eine Einrede
gegen den Zuſchiebenden abgeleitet
werden können, obgleich dieſer ſelbſt
den Anſtoß dazu gegeben hat. —
(b) So z. B. in Preußen.
Allg. L. R. II. 20 § 1425. 1426.
1429. Allg. G. O. I. 10 §. 248.
|0108 : 86|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Der Eid iſt jetzt bloßes Beweismittel, und kann nur
über reine Thatſachen, nicht über Rechtsverhältniſſe (welches
im Römiſchen Recht ſeine Hauptanwendung war) zuge-
ſchoben werden. Wird Dieſes dennoch verſucht, ſo hat der
Richter einen ſolchen Eid zu verbeſſern. Dieſe wichtige
Neuerung iſt im heutigen Recht faſt allgemein anerkannt, wenn-
gleich im Einzelnen von unkundigen Richtern dagegen nicht
ſelten, und vielleicht ſelbſt bewußtlos, verſtoßen werden mag,
indem ſie ſich den Gegenſatz nicht völlig klar machen (c). —
Es darf daher der Eid nicht zugeſchoben werden über das
Daſeyn eines Eigenthums oder einer Schuld, ſondern nur
über diejenigen Thatſachen, woraus das Eigenthum oder
die Schuld angeblich entſtanden ſeyn ſoll. Der Grund
dieſes wichtigen Satzes liegt darin, daß jedes Urtheil über
das Daſeyn eines Rechtsverhältniſſes ſtets ein Stück Rechts-
theorie mit in ſich ſchließt, die doch unmöglich als paſſender
Gegenſtand eines Eides angeſehen werden kann. Die Un-
klarheit, die aus dieſer Vermiſchung von Rechtsſätzen und
Thatſachen hervorgeht, kann dahin führen, daß in manchen
Fällen ein Eid geleiſtet wird, den bei genauer Zergliederung
(c) Der aufgeſtellte Satz wird
von folgenden Schriftſtellern aner-
kannt: Böhmer electa T. 2 Ex. 14
§ 12, Glück B. 8 § 585, Martin
§ 224 (11te Ausg.), Linde § 302
N. 15. — Anderer Meinung iſt
Bayer Vorleſungen S. 390, je-
doch nur nach Stellen des Röm.
Rechts, und indem er die All-
gemeinheit der entgegengeſetzten
Meinung anerkennt. Er meint
aber, wenn ſich der Gegner auf
den Eid über ein Rechtsverhältniß
einlaſſe, ſo müſſe Das als Vergleich
gelten. Allein gerade darin weicht
das heutige Recht vom Röm. R.
ab, daß es die reine Privatwill-
kür im Eide beſchränkt.
|0109 : 87|
§. 314. Surrogate. II. Eid. Heutiges Recht.
der Beſtandtheile eine gewiſſenhafte Partei nicht leiſten
würde. Gerade darin aber beſteht eben ein gefährlicher
Mißbrauch des Eides. Um ſich Dieſes noch anſchaulicher
zu machen, möge man verſuchen, das Daſeyn eines Eigen-
thums zum Gegenſtand von Zeugenausſagen und Zeugen-
eiden zu machen. Zwei Zeugen werden vielleicht das ſtrei-
tige Eigenthum bejahen, und dabei doch von ganz verſchie-
denen Rechtsregeln und Thatſachen ausgehen. Dann aber
iſt ihre Uebereinſtimmung nur ſcheinbar, da doch die wirk-
liche Uebereinſtimmung der wahre Grund iſt, worauf die
Kraft des Zeugenbeweiſes beruht.
Endlich kann auch jede Partei den ihr zugeſchobenen
Eid dadurch beſeitigen, daß ſie über die Wahrheit ihrer
Behauptung einen vollſtändigen Beweis durch andere Be-
weismittel führt. Denn durch dieſen Beweis wird der Eid
überflüſſig, und in der Anwendung eines überflüſſigen Eides
liegt ſchon an ſich ein Mißbrauch des Eides. Beſonders
bezeichnend aber iſt der übliche Kunſtausdruck für dieſen
Fall: Vertretung des Gewiſſens durch Beweis. Eine
Partei von beſonders ſtrenger, ängſtlicher Gewiſſenhaftigkeit
kann nämlich, ſich ſelbſt mißtrauend, lieber dem Richter die
Beurtheilung des von ihr geführten Beweiſes überlaſſen,
als ſelbſt ſchwören, und dadurch Alles auf das eigene Ge-
wiſſen übernehmen. Eine ſolche Geſinnung verdient viel-
mehr Unterſtützung, als Tadel, und dem Gegner wird da-
durch kein Unrecht zugefügt. — Die Zuläſſigkeit einer ſolchen
Gewiſſensvertretung iſt allgemein anerkannt, und es muß
|0110 : 88|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
dabei auch Gegenbeweis zugelaſſen werden (d). Der Eid
bleibt einſtweilen aufgeſchoben, muß aber, wenn der ver-
ſuchte Beweis mißlingt, wieder aufgenommen werden.
Im Römiſchen Recht wird dieſe Gewiſſensvertretung
nicht erwähnt, ja ſie paßt dahin nicht, weil der Eid nicht
als reines Beweismittel, ſondern als vergleichsmäßige Ent-
ſcheidung des Rechtsverhältniſſes angeſehen wird (e). Im
kanoniſchen Recht wird jenes Recht beſtimmt anerkannt,
und zwar in Anwendung auf einen Fall, worin dem Kläger,
der den Grund ſeiner Klage bereits bewieſen hatte, nun
dennoch der Eid zugeſchoben wurde (f).
Hierauf beſchränken ſich die wahren Abweichungen des
heutigen Rechts, und einige andere, die gleichfalls behauptet
werden, ſind nicht als richtig anzuerkennen.
Dahin gehört die Behauptung, der zugeſchobene Eid
könne nur als Ergänzung eines anderen Beweiſes gebraucht
werden, ſetze alſo ſtets einen auf andere Weiſe, wenngleich
unvollſtändig, geführten Beweis (eine Beſcheinigung) voraus.
Dieſe Meinung iſt nach Römiſchem Recht gewiß zu ver-
werfen (g), ja ſie war hier, wenigſtens bei dem außer-
gerichtlichen Eid, völlig unanwendbar. Auch nach dem
heutigen gemeinen Recht iſt ſie zu verwerfen (h), und
(d) Malblanc § 58. Bayer
S. 397. Gönner B. 2 Abhdl. 48.
Martin § 228. Linde § 308.
(e) Die Stelle bei Quincti-
lian. instit. V. 6 enthält nur ein
allgemeines Räſonnement, kein
geſchichtliches Zeugniß.
(f) C. 2 X. de prob. (2. 19)
(g) L. 35 pr. de jur. (12. 2),
L. 22 § 10 C. de jure delib.
(6. 30).
(h) Danz Prozeß § 241
Note b. Linde Lehrbuch § 303
Note 6. 7.
|0111 : 89|
§. 314. Surrogate. II. Eid. Heutiges Recht.
nur in manchen Partikularrechten hat ſie Eingang ge-
funden (i).
Eben ſo darf nicht behauptet werden, daß die Zuſchie-
bung des Eides nur als ein Nothbehelf angeſehen werden
könne, und daß ſie verſagt werden müſſe, wenn dem Zu-
ſchiebenden andere Beweismittel zu Gebote ſtehen. Ob er
ſolche hat, denen er vertraut, das muß lediglich ſeiner
eigenen Beurtheilung überlaſſen bleiben. Es wäre unge-
recht, ihn darauf zu verweiſen und ihm deshalb die Eides-
zuſchiebung zu verſagen. Hierin läge eine ganz irrige
Umkehrung der eben erklärten Regel von der Gewiſſens-
vertretung, wobei eine Partei freiwillig ſich entſchließt, den
ihr zugeſchobenen Eid durch einen von ihr zu führenden
Beweis anderer Art entbehrlich zu machen. Die einzige
Stelle des kanoniſchen Rechts, die man dafür anführen
könnte, ſpricht auch in der That nur von der Gewiſſens-
vertretung, und nur die Ausdrücke, womit ſie die Gewiſſens-
vertretung begründet und rechtfertigt, ſind ſo ſchwankend
und zweideutig, daß ſie allerdings auch auf jenen irrigen
Satz gedeutet werden könnten (k).
Wenn man die ſo eben dargeſtellten Abweichungen des
heutigen Rechts in der Lehre vom zugeſchobenen Eide er-
(i) So z. B. in der Praxis
des Tribunals zu Wismar (jetzt
Greifswald), veranlaßt durch die
falſche Lehre des Mevius. Vgl.
Pufendorf T. 2 Obs. 151.
(k) C. 2 X. de prob. (2. 19),
„quum tunc demum ad hujus-
modi sit suffragium recurren-
dum, quum aliae legitimae pro-
bationes deesse noscuntur.“
|0112 : 90|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
wägt, ſo möchte man glauben, das Römiſche Recht ſey
dadurch von Grund aus verändert, ja es ſey davon nicht
viel mehr als Nichts, übrig geblieben. So iſt es aber in
der That nicht; die eingetretenen Veränderungen betreffen
mehr die Form, als das Weſen der Sache, und zwar ſo,
daß wir ſie ſogar als wahre Verbeſſerungen jenes wichtigen
und für die Rechtspflege faſt unentbehrlichen Rechtsinſtituts
anſehen können. Selbſt die wahre Vertragsnatur jenes
Eides mit ihren wichtigen Folgen iſt unverändert geblieben,
und es iſt dabei nur der ſehr heilſame Unterſchied einge-
treten, daß ein ſolcher Vertrag nicht mehr durch den un-
abhängigen Willen der Parteien, ſondern nur unter der
Aufſicht und Mitwirkung eines Richters zu Stande kommen
kann. Daher iſt auch der Eid in keinem Fall mehr Sur-
rogat eines Urtheils, ſondern nur der Grund, worauf ein
Urtheil, übereinſtimmend mit dem Inhalt des Eides, be-
ruhen muß (l).
§. 315.
Reſtitution. — Einleitung.
Quellen:
Paulus Lib. 1. T. 7. 8. 9.
Cod. Greg. Lib. 2. T. 1 — 4.
(l) Daß nach dem Gebrauch
mancher Gerichte ſchon vor ge-
leiſtetem Eide ein bedingtes Ur-
theil geſprochen, und nachher durch
die Leiſtung des Eides purificirt
wird, iſt nur eine die äußerliche
Form betreffende Abweichung. Zu
empfehlen iſt dieſe Form übrigens
nicht.
|0113 : 91|
§. 315. Reſtitution. Einleitung.
Cod. Theod. Lib. 2. T. 15 — 17.
Dig. Lib. 4. T. 1 — 7.
Cod. Iust. Lib. 2. T. 20 — 55.
Schriftſteller:
Burchardi, die Lehre von der Wiedereinſetzung in den
vorigen Stand. Göttingen. 1831. 8.
v. Schröter, Weſen und Umfang der in int. restitut io
(Zeitſchrift v. Linde, Bd. 6. N. III. S. 91 — 175.)
Puchta, Pandekten, Auflage 4. § 100 — 107.
Vorleſungen § 100 — 107.
Curſus der Inſtitutionen Aufl. 2. Bd. 2. § 177. 209.
Der Begriff dieſes ſehr eigenthümlichen Rechtsinſtituts,
und mit ihm der Standpunkt der ganzen Unterſuchung, iſt
nicht leicht feſtzuſtellen. In den Quellen des Römiſchen
Rechts führt daſſelbe regelmäßig den Namen. In integrum
restitutio (a), deſſen Deutſche Ueberſetzung: Wiederein-
ſetzung in den vorigen Stand, für den gewöhnlichen,
ſtets wiederkehrenden Gebrauch allzu weitläuftig erſcheint.
Dieſer Name bezeichnet die Herſtellung eines beſchädigten
oder verminderten Zuſtandes in ſeine frühere unverſehrte
Geſtalt, und paßt alſo an ſich auch auf blos thatſächliche
(a) Mit Unrecht iſt behauptet
worden, daß dieſe allerdings vor-
herrſchende Wortfolge ohne Aus-
nahme ſey. In L. 86 pr. de
adqu. her. (29. 2) ſteht restitutio
in integrum einmal ſicher, nach
Haloander’s abweichender Leſe-
art ſogar zweimal. Vgl. Bur-
chardi S. 3. Göſchen Vor-
leſungen I. S. 529. Eben ſo in
L. 39. § 6 de proc. (3. 3) „propter
hanc restitutionem in inte-
grum“.
|0114 : 92|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Ereigniſſe, wie z. B. die Herſtellung eines abgebrannten
oder eingeſtürzten Hauſes, wovon hier, bei einem Rechts-
inſtitut, natürlich nicht die Rede ſeyn kann. Vor Allem
alſo iſt die in dem Namen nicht ausgedrückte Beſchrän-
kung des Begriffs auf eine Herſtellung innerhalb des
Rechtsgebietes nothwendig (b). Allein auch dieſe Be-
ſchränkung iſt noch keinesweges ausreichend.
Im Rechtsgebiet nämlich findet ſich in ſehr ausgedehnter
Weiſe die Möglichkeit und das Bedürfniß einer Herſtellung
in den zahlreichen und wichtigen Fällen, in welchen die
Rechtsordnung geſtört, alſo ein Recht verletzt wird. Die
gemeinſame Natur dieſer Fälle läßt ſich ſo bezeichnen, daß
ein Recht von ſeiner thatſächlichen Ausübung getrennt wird,
ſo daß die Herſtellung beſteht in der Wiedervereinigung des
Rechts mit der Thatſache der Ausübung. Dieſe Herſtellung
kann bewirkt werden ſowohl durch die freiwillige Handlung
einer anderen Perſon, als durch Zwang in Folge einer
Rechtsanſtalt; auf dieſen letzten Fall beziehen ſich mehrere
wichtige Theile des Rechtsgebietes, unter andern in dem
Syſtem des Privatrechts das geſammte Actionenrecht (§ 204).
Für die Herſtellung durch eine dem Berechtigten gegenüber
(b) Es iſt zu bemerken, daß
der Ausdruck: in integrum re-
stitutio, auch in ſeiner techniſchen
Beſchränkung auf den Rechtszuſtand,
in einer zwiefachen Conſtruction
vorkommt; am häufigſten iſt die
Rede von einer Reſtitution der
verletzten Perſon in ihren frü-
heren beſſeren Zuſtand (z. B. minor
restituitur); dann aber auch von
einer Reſtitution des verlorenen
Rechts (an die Perſon), z. B.
L. 1 § 1 ex. qu. c. huj. (4. 6)
„.. actionem … in integrum
restituam“ (§ 325 Note m).
|0115 : 93|
§. 315. Reſtitution. Einleitung.
ſtehende Perſon iſt restituere die regelmäßige Bezeichnung,
ohne Unterſchied, ob die Handlung dieſer Perſon aus freiem
Willen hervorgeht, oder von einem Richter auferlegt und
erzwungen wird. Immer alſo bezeichnet dieſes restituere
die Thätigkeit einer Privatperſon (c). — Jede Herſtellung
aber der eben bezeichneten Art hat mit dem gegenwärtig
darzuſtellenden Rechtsinſtitut nicht den geringſten Zuſam-
menhang, obgleich der Name deſſelben auch darauf bezogen
werden könnte, an ſich alſo wiederum nicht dazu geeignet
iſt, dieſe Beſchränkung auszudrücken.
Um nun dem wahren Begriff dieſes Rechtsinſtituts näher
zu treten, iſt ein Rückblick nöthig auf die innere Entwick-
lung und Ergänzung eines jeden poſitiven Rechts. Unter
die reichlichſten Quellen dieſer Entwicklung gehört die noth-
wendige Ausgleichung des überall hervortretenden Gegen-
ſatzes zwiſchen dem ſtrengen Recht und der Billigkeit, jus
(jus strictum) und aequitas (d), Dieſe Ausgleichung hat
zur Bildung ganz neuer und ſelbſtſtändiger Rechtsinſtitute
(c) Ein ſolches Reſtituiren
kann geſchehen ſowohl natürlich
und unmittelbar, als in künſtlicher
oder mittelbarer Weiſe; das Crſte,
wenn z. B. dem Eigenthümer der
ihm fehlende Beſitz ſeiner Sache
wieder gegeben wird; das Zweite,
wenn derſelbe für eine verzehrte
Sache in Geld entſchädigt wird.
Dieſe Bemerkung iſt auch anwend-
bar auf die nachfolgenden Fälle
der Herſtellung eines früheren Zu-
ſtandes. — Ueber den Begriff und
Umfang des restituere vgl. L. 22.
35. 75. L. 246 § 1 de V. S. (50. 16).
Vgl. auch oben B. 5 S. 129.
(d) S. o. B. 1 § 15. 22. —
Die aequitas muß hier als die
von einem höheren und freieren
Standpunkt anerkannte Gerechtig-
keit gedacht werden. Die Natur
dieſes Gegenſatzes, als der Grund-
lage der geſammten Reſtitution,
iſt ſcharf und treffend dargeſtellt
von Pnchta, Inſtitutionen § 177,
und Vorleſungen § 100.
|0116 : 94|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
geführt (e); eben ſo aber auch zu vielen Anſtalten, die blos auf
die Herſtellung nachtheilig veränderter Rechtszuſtände ab-
zwecken. Dabei wird alſo vorausgeſetzt, daß ein Rechts-
zuſtand zum Nachtheil des Berechtigten wahrhaft verändert
worden iſt, ſo daß dieſe Veränderung nach ſtrengem Recht
als vollgültig anerkannt werden muß, daß aber die Billig-
keit dieſer Veränderung widerſpricht, und die Herſtellung
des früheren Zuſtandes fordert. Dieſe Herſtellung wird
dann durch mannichfaltige Rechtsmittel bewirkt, und zwar
ſowohl durch Klagen, als durch Einreden; beide, theils dem
Civilrecht, theils dem prätoriſchen Recht angehörend.
Unter die civilen Klagen zu ſolchen Zwecken gehören
folgende: Die Condictionen auf Rückgabe ohne Vertrag,
wie indebiti, sine causa, ob causam datorum (f); ferner
die redhibitoria actio, die Anfechtung eines Verkaufs wegen
Verletzung über die Hälfte. — Von den prätoriſchen Klagen
gehören dahin die actio doli und quod metus causa. —
Alle dieſe Klagrechte können nach Umſtänden auch in der
Geſtalt von Einreden geltend gemacht werden, wohin be-
ſonders die doli und metus exceptio gehören. — In ſämmt-
lichen Fällen dieſer Art wird der Zweck der aus Billigkeit
abgeleiteten Herſtellung erreicht durch beſonders gebildete
(e) S. o. B. 5 § 219 und Bei-
lage XIII. Num. XIII. XX, Beil.
XIV. Num. XLVII. Es gehören da-
hin die bonae fidei actiones, welche
darauf beruhen, daß der unter
rechtlichen Menſchen geltenden, in
der Regel freiwillig beobachteten,
Sitte ein eigenthümlicher Rechts-
ſchutz gegen Diejenigen gewährt
wird, die ſich etwa der freien Be-
obachtung der Sitte entziehen
möchten.
(f) S. o. B. 5 Beil. XIV.
Num. VII. VIII.
|0117 : 95|
§. 316 Begriff der Reſtitution.
Obligationen, alſo durch perſönliche Klagen oder Einreden.
Die Anerkennung jener Billigkeit hatte daher zur Ausbildung
beſtimmter Rechtsregeln geführt, die eben ſo, wie die Klagen
aus Verträgen und Delicten, durch das gewöhnliche Richter-
amt zur Anwendung gebracht wurden, ſobald die thatſäch-
lichen Bedingungen derſelben vorhanden waren; eine eigen-
thümliche Art von Rechtsinſtituten war dazu nicht erfor-
derlich, und das gegenwärtig darzuſtellende Inſtitut erhält
dadurch noch keine Begründung.
§. 316.
Reſtitution. — Begriff derſelben.
Unter den Fällen der Herſtellung aus Billigkeit (§ 315)
fanden ſich mehrere, die den Prätoren zunächſt nicht dazu
geeignet ſchienen, in der Form gewöhnlicher Klagen und
Einreden der richterlichen Anwendung unmittelbar überlaſſen
zu werden, worin vielmehr ſie ſelbſt (die Prätoren) durch
Erwägung aller im Einzelnen obwaltenden Umſtände helfend
einzugreifen ſich vorbehielten. Es war alſo auch darin eine
neue Rechtsregel anerkannt, aber nicht ſo, wie in den vorigen
Fällen, eine fertige Rechtsregel, auf gleicher Linie mit allen
übrigen ſtehend, ſondern gleichſam eine unreife, noch in der
Bildung begriffene Rechtsregel, die in dieſem unfertigen
Zuſtand erſt durch das Eingreifen der prätoriſchen Macht-
vollkommenheit in das wirkliche Leben für einzelne Fälle
ſollte eingeführt werden können. Dieſe Fälle bilden die
prätoriſche in integrum restitutio. Hiernach läßt ſich der
|0118 : 96|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Begriff dieſer Reſtitution ſo beſtimmen: Sie iſt die Her-
ſtellung eines früheren Rechtszuſtandes, ge-
gründet auf den Gegenſatz der Billigkeit zum
ſtrengen Recht, und bewirkt durch die, ein wirk-
lich vorhandenes Recht mit Bewußtſein abän-
dernde, prätoriſche Macht. — Nur iſt, mit Rückſicht
auf die überall durchgeführte Ausdrucksweiſe des Römiſchen
Rechts, noch hinzu zu fügen, daß dieſe Herſtellung des
früheren Zuſtandes, da ſie nur auf einer Anwendung der
obrigkeitlichen Macht beruht, nicht als eine eigentliche,
wahre Herſtellung (ipso jure) bezeichnet wird, ſondern nur
als die Fiction einer ſolchen. Wer alſo ein aufgegebenes
Erbrecht durch Reſtitution erlangt, wird nicht heres, ſondern
bekommt nur die Rechte eines ſolchen, gleich als ob er es
wäre (utiles actiones). Es iſt alſo völlig dieſelbe Behandlung
und Bezeichnung, wie wir ſie auch in dem prätoriſchen
Erbrecht, der bonorum possessio, wahrnehmen.
Um dieſem ſehr eigenthümlichen Rechtsinſtitut ſeine
wahre Stellung anzuweiſen, iſt es nöthig, den Zuſammen-
hang deſſelben mit anderen Inſtituten, alſo die nach ver-
ſchiedenen Seiten vorhandenen Verwandtſchaften, aufzu-
ſuchen.
Als die nächſte Verwandtſchaft muß erkannt werden die
mit dem rechtskräftigen Urtheil, und dadurch iſt die Stel-
lung derſelben im gegenwärtigen Syſtem beſtimmt worden.
Beide Inſtitute haben Das miteinander gemein, daß durch
richterliche Thätigkeit ein ſelbſtſtändiges neues Recht entſteht.
|0119 : 97|
§. 316. Begriff der Reſtitution.
Der Unterſchied aber liegt darin, daß das aus dem Urtheil
hervorgehende neue Recht nicht nur auf der Fiction der
Wahrheit beruht, ſondern auch auf der Vorausſetzung, daß
dieſe Wahrheit wirklich vorhanden ſey, alſo auf der an-
genommenen Uebereinſtimmung mit dem vorher beſtehenden
Rechtszuſtand, ſo daß eine Verſchiedenheit beider Zuſtände
nicht abſichtlich geſucht wird, ſondern nur zufällig und nur
als unvermeidliches Uebel entſtehen kann (§ 280). Dagegen
wird durch die Reſtitution eine Abänderung des beſtehenden
Rechtszuſtandes mit Abſicht und Bewußtſein vorgenommen.
Inſofern kann man die Reſtitution ein Urtheil von höherer
Potenz nennen (a).
Eine zweite Verwandtſchaft findet ſich zwiſchen der Re-
ſtitution und einigen anderen Fällen richterlicher Thätigkeit,
wodurch gleichfalls mit Abſicht und Bewußtſein ein vor-
handenes Recht abgeändert wird. Dahin gehört die re-
scissio inofficiosi testamenti durch das Centumviralgericht
(ſpäter durch andere Richter), und die adjudicatio, in welcher
der Theilungsrichter die verlangte Auflöſung einer Gemein-
ſchaft durch abſichtliches Geben und Nehmen von Eigen-
thum, ſowie durch Errichtung von Servituten (alſo durch
abſichtliche Beſchränkung eines vorhandenen Eigenthums)
bewirken kann. Beide Inſtitute beziehen ſich auf das
eigenthümliche Bedürfniß einzelner Rechtsverhältniſſe, und
(a) S. o. B. 6 S. 265. —
Es findet ſich alſo in beiden
Rechtsinſtituten der Begriff der
Fiction angewendet, aber in ver-
ſchiedener Bedeutung (§ 280. 316).
VII. 7
|0120 : 98|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
unterſcheiden ſich von der Reſtitution dadurch, daß in ihnen
von der Herſtellung eines früheren Zuſtandes, die das
Grundweſen der Reſtitution ausmacht, niemals die Rede
iſt. — Näher verwandt mit der Reſtitution iſt in dieſer
Hinſicht die Begnadigung eines verurtheilten Verbrechers
durch die höchſte Regierungsgewalt im Staate. Bei dieſer
wird allerdings, eben ſo wie bei der Reſtitution, der gegen-
wärtige Rechtszuſtand abſichtlich verändert durch Herſtellung
eines früheren Zuſtandes; es geſchieht Dieſes auch hier nicht
in Anwendung einer aufgeſtellten Rechtsregel, und durch
das gewöhnliche Richteramt, ſondern mit Rückſicht auf den
Gegenſatz der Billigkeit zum ſtrengen Recht, und durch die
eingreifende Machthandlung einer hochſtehenden Obrigkeit.
Soweit ſteht alſo die Begnadigung mit der hier darzuſtel-
lenden Reſtitution völlig auf gleicher Linie. Der durch-
greifende Unterſchied aber beſteht in den Gegenſtänden der
Herſtellung, alſo in der Natur der Rechtsverhältniſſe, worauf
ſich hier und dort die Herſtellung bezieht, indem die Re-
ſtitution privatrechtliche Zuſtände herſtellt, alſo dem Privat-
rechte angehört, anſtatt daß die Begnadigung dem öffent-
lichen Rechte anheim fällt, alſo ganz außer den Gränzen
des gegenwärtigen Rechtsſyſtems liegt.
Eine dritte Verwandtſchaft endlich findet ſich zwiſchen
der Reſtitution und den oben (§ 315) dargeſtellten Fällen,
worin durch Klagen und Einreden ein früherer Rechtszuſtand
hergeſtellt wird. Dieſe Fälle haben mit der Reſtitution
gemein ſowohl den Zweck, welcher in der Herſtellung eines
|0121 : 99|
§. 316. Begriff der Reſtitution.
früheren privatrechtlichen Zuſtandes beſteht, als den Grund
dieſer Herſtellung, der in dem Verhältniß der Billigkeit zum
ſtrengen Recht zu ſuchen iſt. Nicht nur dieſe Gemeinſchaft
des Zweckes und Grundes muß anerkannt und feſtgehalten
werden, ſondern auch die zuſammenhängende hiſtoriſche Ent-
wicklung dieſer Rechtsinſtitute, welche ſehr deutlich in der
Anordnung des Edicts und der Digeſten hervortritt (b).
Dagegen iſt die zur Erreichung jenes Zweckes führende
Rechtsform durchaus verſchieden. In den oben dargeſtellten
Fällen dienten dazu Klagen und Einreden, die eben ſo, wie
alle andern, von den gewöhnlichen Richtern geprüft und ent-
ſchieden werden durch die Anwendung der dafür aufgeſtellten
Rechtsregeln, alſo durch die Anerkennung eines kraft dieſer
Regeln beſtehenden Rechtes. Bei der Reſtitution iſt eine
ſolche zur Anwendung fertige Regel nicht vorhanden; viel-
mehr iſt es der Prätor, welcher eine ſolche Regel nach dem
Bedürfniß jedes einzelnen Falles gleichſam neu erfindet, und
ſo den beſtehenden Rechtszuſtand durch ſeine Macht ver-
ändert, um einen früheren herzuſtellen.
In die ganze Lehre von der Reſtitution iſt nun von
jeher die größte Verwirrung dadurch gebracht worden, daß
man die Reſtitution mit den oben erwähnten Klagen zu-
ſammen geworfen hat, anſtatt in der Darſtellung beiderlei
Rechtsinſtitute ſtreng auseinander zu halten. Um den durch-
(b) Der zweite und dritte
Titel des vierten Buchs der Di-
geſten handeln nur wenig und bei-
läufig von der Reſtitution, und
ſtehen dennoch mitten in der Re-
ſtitutionslehre.
7*
|0122 : 100|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
greifenden Unterſchied beider Behandlungsarten vollſtändig
zur Anſchauung zu bringen, bedarf es blos des folgenden
Rückblicks auf den ſo eben dargeſtellten Zuſammenhang der
Reſtitution mit anderen Rechtsinſtituten. Das eigenthümliche
Weſen der Reſtitution läßt ſich von zwei Seiten auffaſſen.
Ihr Zweck beſteht in der Herſtellung eines früheren Rechts-
zuſtandes durch Aenderung des jetzt beſtehenden. Ihre Form,
oder das Mittel zur Erreichung jenes Zweckes, beſteht in
dem Eingreifen richterlicher Macht in beſtehende Rechts-
verhältniſſe. Es kommt nun darauf an, ob man den einen,
oder den anderen dieſer Geſichtspunkte als den vorherr-
ſchenden behandeln will, dem die ganze Lehre von der Re-
ſtitution untergeordnet werden ſoll. Wählt man den erſten,
ſo muß die Reſtitution als ein einzelnes Glied in der Kette
der durch Billigkeit bewirkten Herſtellungen früherer Zuſtände
angeſehen, alſo mit der actio doli und quod metus causa,
conſequenterweiſe auch mit den meiſten Condictionen zu-
ſammen geſtellt werden (§ 315). Wählt man den zweiten,
ſo ſind alle dieſe Klagen in den beſonderen Theil des
Obligationenrechts einzureihen (c), die Reſtitution aber iſt,
wie es im Anfang des gegenwärtigen §. ausgeſprochen iſt,
dem richterlichen Urtheil an die Seite zu ſtellen. Dieſe
zweite Behandlungsart ſchließt ſich völlig an die Auffaſſung
der Römiſchen Juriſten an, und iſt die einzige, wodurch
(c) Vgl. Göſchen Vorleſungen I. S. 531.
|0123 : 101|
§. 316. Begriff der Reſtitution.
eine ſichere Einſicht in die Quellen des Römiſchen Rechts
gewonnen werden kann (d).
Die eben gerügte Vermiſchung weſentlich verſchiedener
Rechtslehren iſt theils veranlaßt, theils befördert oder be-
ſchönigt worden durch mehrere Stellen Römiſcher Juriſten,
die ſich von einem ungenauen Sprachgebrauch nicht ganz
frei gehalten, ſondern den Namen der in integrum restitutio
auf Fälle angewendet haben, die dieſem eigenthümlichen
Rechtsinſtitut in der That nicht angehören. Indem dieſer
ungenaue Sprachgebrauch der Quellen ſelbſt hier anerkannt
und nachgewieſen werden ſoll, muß jedoch die Bemerkung
vorausgeſchickt werden, daß man denſelben weit übertrieben,
und oft auch da wahrzunehmen geglaubt hat, wo derſelbe
in der That nicht zu finden iſt.
So kann vor Allem ein ungenauer Sprachgebrauch
durchaus nicht behauptet werden von den ſehr zahlreichen
Stellen, worin restituere die das Unrecht aufhebende, und
die gehemmte Ausübung des Rechts herſtellende, Handlung
einer dem Berechtigten gegenüber ſtehenden Privatperſon
bezeichnet (§ 315); es mag nun dieſe Handlung aus ganz
freiem Willen hervorgehen, oder durch eine Aufforderung des
(d) Burchardi § 1 ſtellt
einen ganz willkürlichen Begriff
von Wiedereinſetzung in den
vorigen Stand auf, unter welchen
er dann, außer der wahren Re-
ſtitution, auch die Condictionen,
die actio doli und quod metus
causa, ſo wie noch vieles Andere,
zuſammenſtellt. So nimmt er
nachher auch die zwei zuletzt ge-
nannten Klagen in ſein Syſtem
der Reſtitution mit auf. Eine
ausführliche und überzeugende
Widerlegung dieſes Verfahrens
findet ſich bei Schröter S. 157
bis 169.
|0124 : 102|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Richters veranlaßt ſeyn (e), oder durch die Verurtheilung
des Richters zwangsweiſe auferlegt werden (f).
Dieſes iſt der regelmäßige, unentbehrliche, durch keinen
anderen Ausdruck zu erſetzende Sprachgebrauch. Auch liegt
in demſelben durchaus keine Gefahr der Verwechſelung mit
unſerer prätoriſchen in integrum restitutio, da ja Niemand
darauf fallen kann, dieſe Handlung des Prätors mit jener
Thätigkeit einer Privatperſon zu verwechſeln, wenngleich
zur Bezeichnung beider durchaus verſchiedener Thätigkeiten
daſſelbe Wort restituere verwendet wird.
Eben ſo kann ein ungenauer Sprachgebrauch nicht ein-
geräumt werden für diejenigen Stellen, worin die Begna-
digung eines verurtheilten Verbrechers durch die höchſte Re-
gierungsgewalt (den Kaiſer oder den Senat) als eine in
integrum restitutio bezeichnet wird (g). Denn es iſt ſchon
oben bemerkt worden, daß die Begnadigung eines Ver-
(e) Dieſes gilt von den arbi-
trären Klagen, in Folge der in
die Formel eingerückten Be-
ſchränkung der Verurtheilung:
nisi restituas. S. o. B. 5 § 221.
(f) § 2 J. de off. jud. (4. 17):
„sive contra possessorem, ju-
bere ei debet, ut rem ipsam
restituat cum fructibus.“
(g) L. 1 §. 9. 10 de postul.
(3. 1) „Deinde adjicit Praetor:
Qui ex his omnibus … in inte-
grum restitutus non erit … et
putat, de ea restitutione sensum,
quam Princeps vel Senatus in-
dulsit.“ (Beſonders entſcheidend
über die innere Gleichartigkeit iſt
die auf dieſe Worto folgende Ver-
gleichung mit der prätoriſchen Re-
ſtitution,). — L. 1 C. de sent. passis
(9. 51): „… tunc Antoninus
Aug. dixit: Restituo te in inte-
grum provinciae tuae, et ad-
jecit: Ut autem scias, quid sit
in integrum restituere, hono-
ribus, et ordini tuo, et om-
nibus ceteris te restituo.“ —
L. 1 § 2 ad L. J. de amb.
(48. 14) „Qua lege damnatus
si alium convicerit, in integrum
restituitur: non tamen pecu-
niam recipit.“
|0125 : 103|
§. 316. Begriff der Reſtitution.
urtheilten ihrem Weſen nach eine wahre in integrum re-
stitutio und mit der prätoriſchen völlig gleichartig iſt, nur
mit dem Unterſchied, daß ſie nicht dem Privatrecht, ſondern
dem öffentlichen Recht angehört, weshalb auch nur der
Beſitz der höchſten Regierungsgewalt zum Ausſpruch der-
ſelben fähig macht. Wenn aber der Kaiſer begnadigt,
ſo thut er dieſes eben ſo in Kraft ſeines Imperium, wie
wenn der Prätor im Privatrecht eine Reſtitution ertheilt.
In den hier angeführten Stellen nun (Note g), die aus
dem Edikt und aus einem feierlichen Ausſpruch des Kaiſers
herrühren, iſt an einen nachläſſigen, ungenauen Sprach-
gebrauch gar nicht zu denken.
In folgenden Stellen dagegen findet ſich in der That
ein ſolcher ungenauer Sprachgebrauch, worin der Name der
in integrum restitutio auf Fälle angewendet wird, die nicht
zur wahren Reſtitution gehören.
1. Wenn der Beſitzer einer Sache wegen derſelben eine
Klage von mir erwartet, und dieſe Sache an einen Dritten
veräußert, in der unredlichen Abſicht, mich durch die Ver-
änderung des Beklagten in Nachtheil zu bringen, ſo habe
ich gegen den Veräußernden eine Klage auf Entſchädigung
wegen dieſer Veränderung (h), und gerade dieſe Klage, die
(h) L. 1 pr. L. 4 § 5 de
al jud. mut. (4. 7). Die Dige-
ſtenſtellen über dieſen Rechtsſatz
find theils aus Commentaren über
das Provinzialedict entnommen
(L. 1 eod.), theils aus Commen-
taren über das prätoriſche Edict
(L. 8 eod.) Ohne Zweifel aber
waren beide Edicte hierin weſent-
lich übereinſtimmend.
|0126 : 104|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
offenbar keine Reſtitution iſt, wird als eine ſolche von
Gajus bezeichnet (i), welches wir daher als einen unge-
nauen Ausdruck anſehen müſſen. In dieſem Fall ließe ſich
nun allerdings eine wahre Reſtitution denken, indem die
urſprüngliche in rem actio gegen den Veräußernden durch
Reſtitution gegen die Veräußerung zugelaſſen würde. Eine
ſolche Reſtitution iſt auch wahrſcheinlich durch das Edict
dargeboten worden, ſo daß der Verletzte zwiſchen ihr und
der perſönlichen Entſchädigungsklage die Wahl haben
ſollte (k); daraus erklärt ſich ſowohl die Stellung jener
Klage im vierten Buch der Digeſten, als auch der eben
gerügte ungenaue (vielleicht interpolirte) Ausdruck des
Gajus. Daß aber dieſe Reſtitution ſelbſt in den Digeſten
nicht mehr erwähnt wird, erklärt ſich daraus, daß ſie durch
einen ſpäteren Rechtsſatz völlig entbehrlich wurde; wer nämlich
(i) L. 3 § 4 eod. „Ex quibus
apparet, quod Proconsul in
integrum restituturum se polli-
cetur: ut hac actione officio
tantum judicis consequatur
actor, quanti ejus intersit
alium adversarium non ha-
buisse.“ Offenbar wird hier die
Geldentſchädigung als Frucht einer
Reſtitution bezeichnet, obgleich ſie
mit dieſer nur den allgemeinen
Zweck gemein hat, das Vermögen
des Berechtigten gegen Schaden
zu verwahren. — Es muß aber
dahin geſtellt bleiben, wie viel
etwa interpolirt ſeyn mag.
(k) Darauf deutet ein Reſcript
von Diocletian in L. 1 C. eod.
(2. 55), worin geſagt wird, der
Verletzte habe die Wahl, ob er
mit der gewöhnlichen Klage in rem
gegen den neuen Erwerber klagen
wolle, oder aber gegen den Ver-
äußernden. Das letzte wird ſo
ausgedrückt: „cum … in inte-
grum restitutio edicto perpetuo
permittatur.“ Es mag dahin
geſtellt bleiben, ob der Verfaſſer
dieſes Reſcripts unter der Reſtitu-
tion die Entſchädigungsklage ver-
ſtand (ſo wie Gajus), oder aber
den neueren Rechtsſatz von der
in rem actio gegen den, qui dolo
desiit possidere (Note l).
|0127 : 105|
§. 316. Begriff der Reſtitution.
den Beſitz einer Sache unredlicherweiſe aufgiebt, ſoll nun-
mehr als Beſitzer behandelt und mit der Klage in rem
(auch ohne Reſtitution) belangt werden können (l). Auch
jetzt alſo hat der Verletzte Anſpruch ſowohl auf dieſes
Recht, als auf die perſönliche Entſchädigungsklage. Wenn
aber der Beklagte das erſte Recht freiwillig anerkennt, und
ſich als Beſitzer der Klage in rem unterwirft, ſo fällt die
Entſchädigungsklage weg, weil dann kein aus der Ver-
äußerung hervorgehender Schade mehr vorhanden iſt (m).
2. Ulpian erwähnt ein Reſcript von Caracalla aus
Veranlaſſung einer von den Campanern mit Gewalt er-
preßten Urkunde; das Reſcript ſagte: posse eum a Praetore
in integrum restitutionem postulare. Dieſer Ausſpruch
wurde nun ſowohl von dem Prätor, als von Ulpian ſelbſt
ſo ausgelegt, der Gezwungene könne nach Bedürfniß jede
denkbare Art des Schutzes in Anſpruch nehmen; zunächſt
alſo ſowohl eine Klage, als eine Einrede, wie er es ver-
langen möge (n). Hier wird der Ausdruck restitutio ſogar
auf gewöhnliche Rechtsmittel bezogen, welche mit der wahren
Reſtitution nur den äußeren Zweck und Erfolg gemein
haben; in den unmittelbar folgenden Worten aber (§ 4)
(l) L. 27 § 3. L. 36 pr, de
R. V. (6. 1), L. 131. L. 157 § 1
de R. J. (50. 17). Von dem hiſto-
riſchen Verhältniß des Edicts über
die alienatio judicii mutandi
causa zu der ficta possessio
deſſen, qui dolo desiit possidere,
handelt ausführlich Voorda In-
terpr. II. 10. Er ſcheint aber
die Sache etwas zu ſubtil zu
nehmen, und mehr als nöthig für
verwickelt anzuſehen.
(m) L. 3 § 5 de al jud. mut.
(4. 7).
(n) L. 9 § 3 quod metus
(4. 2) Vgl. unten § 330 Note d. e.
|0128 : 106|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
wird hinzugefügt, daß der Gezwungene, wenn er es be-
gehre, auch eine wahre, eigentliche Reſtitution zu erwarten
habe. Alle dieſe Rechte alſo, ſo wie die Auswahl unter
denſelben, werden gefolgert aus den Worten des Kaiſers,
daß der Gezwungene könne in integrum restitutionem
postulare.
3. Eben ſo verhält es ſich mit einem Ausſpruch des
Julian, nach welchem die redhibitoria actio für beide
Theile gewiſſermaßen die Folge einer in integrum restitutio
nach ſich ziehen ſoll (o).
4. Wer durch Betrug bewirkt, daß ihm eine Sache
verkauft werde, kann mit der actio venditi zur Entſchädigung
gezwungen werden (p). Dieſen Rechtsſatz drückt ein
Reſcript ſo aus, als läge darin eine in integrum restitu-
tio (q), woran wiederum nur Das wahr iſt, daß das Ver-
mögen des Verkäufers ſo gut, wie durch eine Reſtitution,
gegen Schaden geſchützt wird.
Neuere Schriftſteller haben vorgeſchlagen, die oben
(§ 315) erwähnten Klagen, welche nicht Reſtitutionen ſind,
als Reſtitutionsklagen zu bezeichnen, um damit auszu-
drücken, daß dieſelben eben ſo, wie eine wahre Reſtitution,
auf die Herſtellung eines früheren Zuſtandes abzwecken (r).
(o) L. 23 § 7 de aed. ed.
(21. 1): Julianus ait, judicium
redhibitoriae actionis utrum-
que, i. e. venditorem et em-
torem, quodammodo in inte-
grum restituere debere.“
(p) L. 13 § 5 de act. emti
(19. 1), L. 14 § 1 de in diem
addict. (18. 2).
(q) L. 10 C. de resc. vend.
(4. 44): „… contra illum, cum
quo contraxerat, in integrum
restitutio competit.“
(r) Burchardi S. 8.
|0129 : 107|
§. 317. Natur und Entwicklung der Reſtitution.
Ich kann dieſe Bezeichnung aus zwei Gründen nicht räthlich
finden. Erſtens befördert auch ſie die ſo eben ausführlich
gerügte Verwirrung weſentlich verſchiedener Rechtslehren.
Zweitens aber ſpielt ſie auf bedenkliche Weiſe hinein in
wirklich quellenmäßige Kunſtausdrücke, die in der That
völlig verſchiedene Rechtsbegriffe bezeichnen (s).
§. 317.
Reſtitution. — Eigenthümliche Natur und innere Ent-
wicklung derſelben.
Die Reſtitution hat eine ganz eigenthümliche, von an-
deren Rechtsinſtituten verſchiedene, juriſtiſche Natur, deren
genaue Feſtſtellung als Grundlage für die folgende Dar-
ſtellung der einzelnen darauf bezüglichen Rechtsregeln dienen
muß. Dieſe Eigenthümlichkeit derſelben muß aber nicht als
feſtſtehend, ſondern als in ſteter Bewegung begriffen, auf-
gefaßt werden. Daher iſt zugleich von der inneren Ent-
wicklung dieſes Rechtsinſtituts genaue Rechenſchaft zu geben,
welche allein dazu geeignet iſt, uns auf den heutigen Stand-
punkt für die Betrachtung deſſelben zu führen.
Der oben aufgeſtellte Begriff der Reſtitution (§ 316)
(s) Restitutoria actio (judi-
cium) heißt eine Klage, die in der
That verloren war, dann aber durch
irgend einen Rechtsgrund wieder-
hergeſtellt wird, mag nun dieſer
in einer wahren Reſtitution be-
ſtehen (L. 3 § 1 de eo per quem
2. 10), oder nicht (L. 8 § 9. 12
ad Sc. Vell. 16. 1). — Restitu-
torium interdictum heißt ein auf
Rückgabe einer Sache gerichtetes
Interdict, im Gegenſatz des pro-
hibitorium und exhibitorium.
§ 1 J. de interd. (4. 15).
|0130 : 108|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
umfaßt zwei hervorſtechende Seiten derſelben. Die erſte
beſteht in einer ſo freien, perſönlichen Macht des richter-
lichen Amtes, wie ſie ſich bei anderen Rechtsinſtituten nicht
findet. Zwar iſt häuſig auch bei gewöhnlichen Klagen von
einem freien Ermeſſen (arbitrium) die Rede, welches dabei
als zuläſſig, ja als unentbehrlich erſcheint; allein dieſes
Ermeſſen wird ſtets von feſten Rechtsregeln beherrſcht, und
die demſelben zugeſchriebene Freiheit unterſcheidet ſich weſent-
lich von der nicht unter ſolcher Herrſchaft ſtehenden Freiheit,
welche in der Anwendung der Reſtitution wahrzunehmen
iſt. Daher kommen auch bei dem Verfahren über die Er-
theilung oder Verſagung der Reſtitution die ſonſt üblichen
Namen und Formen von actio, exceptio u. ſ. w. nicht vor.
Dieſe eigenthümliche Freiheit des Richteramtes bei der Re-
ſtitution hängt damit zuſammen, daß der Reſtitution zwar
auch Rechtsregeln zum Grunde liegen, aber in der Bildung
begriffene, noch nicht zur Vollendung gekommene Regeln
(§ 316).
Die zweite hervorſtechende Seite der Reſtitution beſteht
in der zu ihrer Anwendung ausſchließend berufenen Behörde.
Nicht die zum Ausſpruch gewöhnlicher Urtheile berufenen
Privatrichter ſollten dazu fähig ſeyn; auch nicht die mit
einer wahren, aber untergeordneten, Gerichtsbarkeit ver-
ſehenen Municipalobrigkeiten: ſondern in Rom und ganz
Italien nur allein der Prätor, alſo der Inhaber der höchſten
richterlichen Gewalt. In jeder Provinz freilich wurde dieſer,
wie jeder andere Theil der prätoriſchen Gewalt, von dem
|0131 : 109|
§. 317. Natur und Entwicklung der Reſtitution.
Römiſchen Statthalter ausgeübt, der hier eine eben ſo
unabhängige obrigkeitliche Gewalt hatte, wie in Rom der
Prätor.
Die zwei hier dargeſtellten Eigenthümlichkeiten der Re-
ſtitution ſind aber keinesweges ſo zu denken, als ob ſie
blos zufällig neben einander geſtanden hätten; vielmehr be-
dingten ſie einander wechſelſeitig, und konnten nur in dieſer
ihrer Verbindung erklärt und gerechtfertigt werden.
Die in der Reſtitution enthaltene, ungewöhnlich freie
Macht des richterlichen Amtes war nämlich nicht ohne die
Gefahr der Willkür und Ungerechtigkeit, welches auch die
Römer nicht verkannten, indem ſie die Reſtitution als eine
außerordentliche Nothhülfe nur da zuließen, wo nicht ſchon
gewöhnliche Rechtsmittel ausreichten. Gerade gegen dieſe
Gefahr nun wurde eine Schutzwehr gefunden in der
Stellung der zur Reſtitution ausſchließend berechtigten Be-
hörde. Schon Das war wichtig, daß die Reſtitution nicht
in die Hand derſelben Perſonen gelegt wurde, welche die
gewöhnlichen Urtheile zu ſprechen hatten, der Privatrichter;
denn gerade die Vereinigung dieſer beiden Thätigkeiten
konnte leicht von der unbefangenen Anwendung der reinen
Rechtsregeln abführen, und dem Mißbrauch blos ſubjectiver
Anſichten und Gefühle Raum geben. Ein noch ſtärkerer
Schutz aber lag in der eigenthümlichen Stellung der Prä-
toren. Einem ungerechten Mißbrauch ihres einflußreichen
Amtes wurde ſchon durch die kurze (einjährige) Dauer
dieſes Amtes entgegengewirkt, nach deſſen Beendigung alle
|0132 : 110|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Ausſicht auf Macht und Einfluß verloren war, wenn ſie
ſich nicht durch parteiloſe Amtsführung das Vertrauen ihrer
Mitbürger bewahrt hatten. Nicht zu gedenken, daß auch
während ihrer Amtsführung eine große Zahl von gleich
oder höher ſtehenden Obrigkeiten, ſo wie von Volkstribunen,
neben den Prätoren vorhanden war, deren jeder einzeln
durch ſeinen Einſpruch den Verſuch ungerechter Willkür
verhindern konnte (a).
Dieſes war das urſprüngliche Verhältniß der Reſtitution,
und es iſt darin ein befriedigender Zuſammenhang der ver-
ſchiedenen Seiten dieſes Rechtsinſtituts unverkennbar. Es
ſind aber nun die großen Veränderungen hinzu zu fügen,
die ſich mit demſelben im Laufe der Zeit zugetragen haben.
Dieſe Veränderungen betrafen zunächſt die Beſchaffenheit
der zur Reſtitution berechtigten Behörde. Seit der Kaiſer-
regierung nahmen die Prätoren eine weit untergeordnetere
Stellung ein, als zur Zeit der freien Republik. Die Be-
fugniß zur Reſtitution wurde ſpäter auch manchen anderen
Klaſſen von Richtern mitgetheilt. Als der alte ordo judi-
ciorum aufgegeben wurde, hörte die perſönliche Trennung
der Reſtitution vom Urtheilſprechen auf, und beide Geſchäfte
kamen in eine und dieſelbe Hand. Endlich in neueren
(a) S. o. B. 6 Beilage XV.
Die hier geſchilderte Schutzwehr
gegen den Mißbrauch, den die
Prätoren von der Reſtitution
machen konnten, war dieſelbe, die
es auch ohne Gefahr zuließ, ihnen
den höchſt wichtigen Einfluß auf
das Recht durch ihre Edicte zu ge-
ſtatten, die zwar nicht, wie man
früher anzunehmen pflegte, wahre
Geſetze waren, aber doch auf
ähnliche Weiſe, wie Geſetze, auf
das Recht einwirkten. S. o. B. 1
S. 116—119.
|0133 : 111|
§. 317. Natur und Entwicklung der Reſtitution.
Zeiten iſt die Ertheilung der Reſtitution allen Richtern
ohne Unterſchied überlaſſen worden (§ 334). Durch dieſe
allmälig eingetretenen Veränderungen nun ſind alle oben
geſchilderten Schutzwehren nach und nach weggefallen, und
es ſcheint, daß die Reſtitution nunmehr ein für die Rechts-
ſicherheit höchſt gefährliches Inſtitut geworden ſeyn müßte.
Allein es ſind ſeitdem auch von der anderen Seite Ver-
änderungen eingetreten, wodurch dieſe Gefahr größtentheils
beſeitigt worden iſt.
Dahin gehört zuerſt der Umſtand, daß ſeit der Kaiſer-
regierung die Appellation allgemein eingeführt worden iſt
(Beilage XV). Dieſer wurde nun auch die Reſtitution
unterworfen, die in dieſer Hinſicht mit gewöhnlichen Ur-
theilen auf gleiche Linie trat, und ſeitdem nicht mehr mit
der Gefahr verbunden war, eine unabänderliche Ungerechtig-
keit herbei zu führen.
Noch wichtiger aber waren in dieſer Hinſicht die Ver-
änderungen, die allmälig und unvermerkt in der, mit der
Reſtitution urſprünglich verbundenen, faſt unbeſchränkt freien
Macht eintraten, und wodurch die Gefahr der Willkür
zuletzt faſt ganz verſchwinden mußte.
Schon die Prätoren ſelbſt hatten zwar in einem Fall
der Reſtitution ein völlig freies Ermeſſen bei der Ge-
währung oder Verſagung ſich vorbehalten (b), in anderen
Fällen dagegen ſehr genaue Bedingungen derſelben ausge-
(b) L. 1 § 1 de minor. (4. 4).
|0134 : 112|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
ſprochen (c), und dadurch dieſe Fälle der Reſtitution den
gewöhnlichen Rechtsmitteln näher gebracht.
Noch wichtiger aber war es, daß die Prätoren in
manchen wichtigen Fällen die früher dargebotene Reſtitution
in gewöhnliche Klagen und Einreden umwandelten, alſo
die bis dahin unfertige Regel in eine fertige auflöſten, ſo
daß in dieſen Fällen von der früheren Reſtitution, außer
unbedeutenden Ueberreſten der Anwendung, nur noch ein
Andenken übrig bleibt in der Stellung, welche jenen Klagen
im Edict und in den Digeſten zu Theil geworden iſt (d).
Endlich bearbeiteten auch die alten Juriſten die Reſtitu-
tionslehre, beſonders in ihren Commentaren über das Edict,
worin ſie die langjährigen Erfahrungen über die Anwen-
dung dieſes Rechtsinſtituts niederlegten. Indem ſie nun
hier ſehr ausführliche caſuiſtiſche Regeln über die Ge-
währung und Verſagung der Reſtitution aufſtellten, nahm
dieſelbe unter ihren Händen immer mehr die Natur eines
gewöhnlichen Rechtsmittels an, und verlor ſo ihren urſprüng-
lichen Charakter, nach welchem ſie der freien Macht der
Behörde überlaſſen geweſen war. Dieſes iſt namentlich die
Geſtalt, worin wir die Reſtitution in den Juſtinianiſchen
Rechtsbüchern vor uns ſehen. Man hätte hier die Re-
ſtitution in ihrer alten Form und Bezeichnung ganz auf-
(c) L. 1 § 1 ex quib. caus.
(4. 6).
(d) Dahin gehören die actio-
nes quod metus causa, doli,
und de alienatione judicii mu-
tandi causa. S. o. § 316 Note
h bis l.
|0135 : 113|
§. 317. Natur und Entwicklung der Reſtitution.
geben und durch gewöhnliche Klagen (ſo wie es theilweiſe
früher durch die actio doli und quod metus causa geſchah)
erſetzen können; durch ein ſolches Verfahren hätten wir nur
einige geſchichtliche Kenntniß verloren, von dem praktiſchen
Rechtsinſtitut ſelbſt aber, wie es im Juſtinianiſchen Recht
gemeint war, ein richtigeres Bild erhalten.
So iſt von verſchiedenen Seiten her die Reſtitution im
Lauf der Zeiten mehr und mehr den gewöhnlichen Rechts-
mitteln angenähert worden, und in dieſer ſehr veränderten
Geſtalt iſt ſie als Beſtandtheil des gemeinen Rechts zu uns
herüber gekommen. Dennoch hat ſie auch noch in dieſer
Geſtalt in der Hand gewöhnlicher, oft untergeordneter
Richter nicht ſelten mehr als andere Inſtitute, die Gefahr
von Mißbrauch und Willkür herbeigeführt, beſonders weil
ſowohl dieſe Richter, als die Schriftſteller, denen dieſelben
folgten, das Römiſche Recht häufig mißverſtanden und irrig
anwendeten. Bei unbefangener Betrachtung muß eingeräumt
werden, daß dieſes Inſtitut des Römiſchen Rechts weniger,
als die meiſten anderen, einen inneren Grund des Fortbe-
ſtehens und der Eiwirkung auf den heutigen Rechtszuſtand
mit ſich führt. Auch hat daſſelbe in neueren Geſetzgebungen
vorzugsweiſe wenig Berückſichtigung und Aufnahme ge-
funden (e). Das hier ausgeſprochene zuſammenfaſſende
(e) Im Preußiſchen A. L. R.
I. 9 § 531 fg. §. 594 kommt die
Reſtitution bei der Verjährung vor.
Hier hilft das Franzöſiſche Recht
einfacher (gleich dem neueren R.
R.), indem es die Verjährung
in ſolchen Fällen ipso jure hemmt
(Code civil art. 2252).
VII. 8
|0136 : 114|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Urtheil über den inneren Werth dieſes Inſtituts im Ver-
hältniß zu unſerm heutigen Rechtszuſtand erhält eine beſon-
dere Beſtätigung durch die Betrachtung der einzelnen Re-
ſtitutionsgründe. Bei der Reſtitution der Minderjährigen
wird ihre ſehr bedenkliche praktiſche Seite noch näher nach-
gewieſen werden (§ 322). Die Reſtitution der Abweſenden
hat zwar keine ähnliche allgemeine Gründe gegen ſich; allein
das Bedürfniß und die Wichtigkeit derſelben hat ſich ſeit
ihrer erſten Einführung ungemein vermindert. Sie war
beſonders wichtig als Abhülfe gegen die Gefahren, die aus
der kurzen Uſucapion (ein Jahr und zwei Jahre), ſo wie
aus vielen kurzen Klagverjährungen entſtanden. Seitdem
damit viele und große Veränderungen vorgegangen ſind, iſt
auch ſie leichter zu entbehren. Die übrigen Reſtitutionen
aber waren ſchon im neueren Römiſchen Recht meiſt durch
ordentliche Rechtsmittel erſetzt, und daher als Reſtitutionen
nicht mehr wichtig.
Ich faſſe die hier gegebene Rechenſchaft über die innere
Entwicklung der Reſtitution in einem kurzen Ueberblick zu-
ſammen. Wir ſehen dieſes Rechtsinſtitut in einem allmä-
ligen, aber fortwährenden Streben zur Selbſtvernichtung,
und die neueſte Geſtalt deſſelben zeigt uns wenig Aehnlich-
keit mehr mit dem urſprünglichen Weſen deſſelben. Dieſer
auffallende Entwicklungsgang aber hat ſeinen Grund nicht
etwa darin, daß man den urſprünglichen Gedanken ſpäter-
hin als irrig und verfehlt anerkannt und darum aufgegeben
hätte. Vielmehr iſt darin der natürliche Weg organiſcher
|0137 : 115|
§. 317. Natur und Entwicklung der Reſtitution.
Rechtsbildung wahrzunehmen, indem die Anfangs unfertige,
erſt durch die freie perſönliche Handhabung zu ergänzende,
Rechtsregel allmälig in eine fertige und vollendete hinüber
geführt, und ſo das extraordinarium auxilium in ein
commune auxilium aufgelöſt wurde (f).
Ganz im Widerſpruch mit der hier aufgeſtellten Anſicht
behauptet ein neuerer Schriftſteller, die Reſtitution ſey von
den Römern im Laufe der Zeit manchen ordentlichen Klagen
vorgezogen, und häufiger, als früher, zur Anwendung ge-
bracht worden (g). Sie ſoll ſich beſonders beliebt gemacht
haben theils durch das ſchnellere und kürzere Verfahren,
theils durch manche praktiſche Vortheile für den Kläger,
wohin vorzüglich der gerechnet wird, daß bei den arbiträren
Klagen der Beklagte die Wahl hatte, entweder die Sache
ſelbſt herauszugeben, oder ſich zur Entſchädigung verur-
theilen zu laſſen, anſtatt daß die Reſtitution ſtets die ver-
lorene Sache ſelbſt wieder verſchaffte (h). — Der Beweis
(f) Es finden ſich dieſe Aus-
drücke in L. 16 pr. de minor. (4. 4).
(g) Burchardi § 19. 20, be-
ſonders S. 361—363. 376. 382.
Dieſe Behauptung hat jedoch bei
ihm eine blos hiſtoriſche Bedeutung;
für das praktiſche Bedürfniß des
heutigen Rechts ſieht auch er die
Reſtitution als bedenklich an, und
hält eine größere Beſchränkung
ihres Gebrauchs für wünſchens-
werth S. 546.
(h) Dieſer Vortheil des Be-
klagten, wenn man es ſo nennen
will, wurde ja aber weit über-
wogen durch die mit der Verur-
theilung für ihn verbundenen Nach-
theile S. o. B. 5 S. 123. 124. —
Ein anderer praktiſcher Vortheil,
bei der aus Furcht vorgenommenen
Antretung oder Ausſchlagung einer
Erbſchaft, (Burchardi S. 363)
iſt an ſich richtig, gehört aber
nicht zu den ſpäteren Ausdehnungen
der Reſtitution, ſondern gerade
umgekehrt zu ihren ſehr mäßigen
Ueberreſten, nachdem durch die
Klage und Einrede wegen Gewalt
für die allermeiſten Fälle in anderer
Art hinreichend geſorgt war.
8*
|0138 : 116|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
dieſer Behauptung wird verſucht theils durch ſolche ſchon
oben angegebene Stellen, worin in der That der Ausdruck
in integrum restitutio auf ungenaue Weiſe gebraucht
wird (§ 316), theils durch eine weit größere Zahl von
Stellen, deren unbeſtimmte Ausdrücke an ſich ſowohl auf
die Reſtitution als auf ordentliche Rechtsmittel bezogen
werden können, und die nun willkürlich auf die Reſtitution
gedeutet werden. Ein ſolches Verfahren kann nicht als das
einer unbefangenen und vorſichtigen Kritik anerkannt
werden.
Es iſt ein lebhafter Streit darüber geführt worden, ob
die prätoriſche Reſtitution in das Gebiet der Gnade oder
des Rechts gehöre. Ein neuerer Schriftſteller nennt ſie
einen Gnadenact, eine Gnadenerweiſung, eine beſondere
Vergünſtigung, auf welche Niemand ein wahres Recht, ein
Recht im juriſtiſchen Sinne des Worts habe (i). Andere
haben dieſer Anſicht entſchieden widerſprochen, und die Re-
ſtitution durchaus dem Rechtsgebiet zugewieſen (k).
Wenn man genau zuſieht, was hier unter Gnade ver-
ſtanden werden ſoll, ſo wird man ſich überzeugen, daß
dieſer Streit mehr den Ausdruck, als das Weſen der Sache,
betrifft, alſo eigentlich überflüſſig war. Man kann bei
jenem Ausdruck denken an ein Handeln aus bloßer Laune
und Willkür, aus heiterer Stimmung, perſönlicher Gunſt,
(i) Buchardi § 1. 3, beſon-
ders S. 7. 20. 40. 41.
(k) Puchta Pandekten § 100
Note c. Ausführlicher Schröter
S. 169—174.
|0139 : 117|
§. 317. Natur und Entwicklung der Reſtitution.
oder anderen rein ſubjectiven Antrieben. Daß die Reſtitu-
tion in dieſem Sinn jemals als ein Gnadenact gedacht
worden ſey, wird wohl Niemand behaupten. — Man
kann aber jenen Ausdruck auch in einem ernſteren Sinn
auffaſſen, ſo wie er gedacht wird, wenn von der Begna-
digung eines Verbrechers die Rede iſt, wobei ja Niemand
an dem Gebrauch jenes Ausdrucks Anſtoß nimmt. Auch
dabei nun würde ein Handeln aus den eben geſchilderten
Beweggründen höchſt verwerflich ſeyn. Die rechte Be-
gnadigung wird vielmehr nur da eintreten, wo von einem
höheren Standpunkt aus die ſtrenge Anwendung des Ge-
ſetzes als Unrecht erſcheinen würde, mit Rückſicht auf die
beſonderen Umſtände des einzelnen Falles. Dieſes iſt aber
derſelbe Standpunkt, von welchem aus die Ausgleichung
zwiſchen jus und aequitas durch die Reſtitution bewirkt
werden ſoll (§ 315 Note d), ſo daß in dieſem Sinn die
Reſtitution füglich ein Gnadenact genannt werden könnte.
In der That hat ſie auch der angeführte Schriftſteller nur
in dieſem Sinne ſo bezeichnen wollen, indem er dadurch
das beſonders freie Ermeſſen in der Reſtitution am beſten
hervorzuheben glaubte. Daß er nur Dieſes meinte, geht
unwiderſprechlich daraus hervor, daß er zugleich anerkennt,
wenn die Bedingungen der Reſtitution vorhanden waren,
ſey die Ertheilung derſelben eine Amtspflicht des Prätors
geweſen, deren Gewährung ſelbſt durch Appellation habe
|0140 : 118|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
erzwungen werden können (l). — Da indeſſen der Ausdruck
Gnadenact dem eben dargeſtellten Mißverſtändniß
Raum giebt, und in der That zu einem unnöthigen und
unfruchtbaren Streit geführt hat, und da auch durch die
Anwendung jenes Ausdrucks nicht das Geringſte gewonnen
wird, ſo iſt es allerdings beſſer, denſelben in der Lehre
von der Reſtitution ganz zu vermeiden. Es kommt hinzu,
daß auch ſelbſt bei der criminalrechtlichen Reſtitution der
Ausdruck Gnade ohne Zweifel nur dadurch allgemeine und
unbedenkliche Anerkennung gefunden hat, daß dieſes Recht
mit der hohen Stellung des Souverains verbunden iſt,
eine Stellung, mit welcher doch die des Prätors in keiner
Zeit verglichen werden konnte.
§. 318.
Reſtitution. — Bedingungen. — I. Verletzung.
In der Lehre von der Reſtitution ſelbſt, wozu durch die
bisherige Unterſuchung der Grund gelegt werden ſollte,
ſind nunmehr zuerſt die Bedingungen aufzuſtellen, unter
welchen ein Anſpruch auf dieſe außerordentliche Rechtshülfe
(l) Burchardi S. 40. 41.
Allerdings paßt zu dieſen letzten
Zugeſtändniſſen nicht ſonderlich die
daneben ſtehende ſchroffe Ver-
neinung eines auf die Reſtitution
zuſtehenden wahren Rechts. Viel-
leicht hat ſich der Verfaſſer durch
den Umſtand täuſchen laſſen, daß
einem Verbrecher kein Recht auf
Begnadigung zuzuſchreiben iſt.
Dieſes aber liegt darin, daß die
Begnadigung nur dem Souverain
zuſteht, der in der Ausübung ſeiner
Hoheitsrechte keiner Aufſicht und
Verantwortung unterworfen iſt.
|0141 : 119|
§. 318. Bedingungen der Reſtitution. I. Verletzung.
entſteht; durch dieſe Bedingungen werden zugleich die ein-
zelnen Arten und Fälle der Reſtitution beſtimmt. Sodann
ſind die Regeln anzugeben, nach welchen die Reſtitution
zur Ausführung zu bringen iſt: die dabei thätigen Behörden;
die Parteien, zwiſchen welchen dieſelbe zur Anwendung
kommt; das Verfahren, welches dabei beobachtet wird, wo-
hin auch die ihr eigenthümliche Verjährung gehört; endlich
die mit dieſem Rechtsmittel verbundene Wirkung. — Jenes
erſte Stück der ganzen Unterſuchung läßt ſich als der mate-
rielle, dieſes zweite als der formelle Theil der Lehre von
der Reſtitution bezeichnen.
Die Bedingungen der Reſtitution ſind zunächſt in fol-
gender kurzen Ueberſicht zuſammen zu ſtellen.
Die erſte Bedingung iſt eine Verletzung, die durch
dieſes Rechtsmittel aufgehoben werden ſoll.
Die zweite iſt ein Reſtitutionsgrund, woraus der
Anſpruch auf dieſe außerordentliche Hülfe, als Ausnahme
von den gewöhnlichen Rechtsregeln, abzuleiten iſt. Die
einzelnen Reſtitutionsgründe bilden zugleich die einzelnen
Arten der Reſtitution ſelbſt.
Die dritte Bedingung endlich beſteht in der Abweſenheit
derjenigen poſitiven Ausnahmen, wodurch die Reſtitu-
tion, auch unter Vorausſetzung jener erſten Bedingungen,
gänzlich ausgeſchloſſen wird.
|0142 : 120|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Die erſte Bedingung alſo iſt eine erlittene Verletzung
(Läſion). Man könnte geneigt ſeyn, darunter eine Rechts-
verletzung zu verſtehen, alſo dieſe für die Vorausſetzung
zuläſſiger Reſtitution zu halten. Dieſes iſt aber ſo wenig
anzunehmen, daß vielmehr im Fall einer wahren Rechts-
verletzung (z. B. Raub oder Diebſtahl) die gewöhnlichen
Klagen völlig ausreichen werden, wodurch die Reſtitution
überflüſſig, alſo unzuläſſig wird.
Unter der Verletzung, als Grundbedingung der Reſtitu-
tion, iſt eine wahre Veränderung des Rechtszuſtandes zu
verſtehen, und zwar eine ſolche, die einen Nachtheil mit
ſich führt für Den, welcher die Reſtitution ſucht (§ 315).
Eine wahre Veränderung des Rechtszuſtandes aber kann
nur als eine an ſich rechtmäßige, vom Recht anerkannte,
gedacht werden, ſonſt würde höchſtens von einer thatſäch-
lichen Aenderung, einer gehemmten Ausübung des Rechts,
die Rede ſeyn können.
Eine ſolche Veränderung kann herbeigeführt ſeyn ent-
weder durch Thun oder durch Unterlaſſen. Das Thun
heißt in dieſem Fall ein gestum, eine juriſtiſch wirkſame
Thätigkeit (a). Die dadurch in Nachtheil gebrachten Per-
ſonen heißen lapsi, capti, circumventi, circumscripti (b);
(a) L. 1 § 1. L. 7 pr. de
minor. (4. 4). „Quod cum mi-
nore … gestum esse dicetur. —
Gestum accipimus, qualiter
qualiter: sive contractus sit,
sive quid aliud contigit.“
(b) L. 1 de in int. rest. (4. 1),
L. 24 § 1. L. 44 de minor.
(4. 4), L. 9 § 4 de jurej. (12. 2).
|0143 : 121|
§. 318. Bedingungen der Reſtitution. I. Verletzung.
es würde aber irrig ſeyn, dieſe Ausdrücke hier von einer
Unredlichkeit des Gegners (einem Betrug) zu verſtehen, die
dabei ganz gleichgültig iſt, indem der Nachtheil auch blos
durch Leichtſinn oder Unerfahrenheit des Betheiligten ſelbſt
entſtanden ſeyn kann (c).
Als Verletzung iſt ferner nicht blos eine ſchon vollendete
Verminderung des Rechtszuſtandes anzuſehen, ſondern auch
ſchon die Verwandlung eines ſicheren Rechts in ein zwei-
felhaftes oder beſtrittenes, da die Verfolgung dieſes letzten
wenigſtens Mühe, Koſten, ſo wie die Gefahr des nach-
theiligen Ausganges eines Rechtsſtreites nach ſich zieht (d).
Es iſt eine ſehr beſtrittene Frage, ob zur Reſtitution
nur allein die Verminderung des ſchon erworbenen Ver-
mögens geeignet ſey, oder auch die verſäumte Vermehrung
deſſelben (lucrum). Die Anwendung auf dieſen letzten Fall,
alſo die günſtigere und freiere Behandlung, iſt für die Re-
ſtitution der Minderjährigen nach mehreren Stellen unzwei-
felhaft (e). Da nun für andere Fälle der Reſtitution das
(c) L. 11. § 4. L. 44. de minor.
(4. 4). — So heißt es auch: „na-
turaliter licere contrahentibus
se circumvenire (circumscri-
bere).“ L. 16 § 4. de minor.
(4. 4), L. 22 § 3 loc. (19. 2), mit
welchem Ausdruck ein Uebervor-
theilen ohne Betrug bezeichnet wird,
da der Betrug in keinem Fall als
erlaubt gedacht werden kann. —
Anderwärts werden dieſe Aus-
drücke allerdings auch gebraucht,
um einen Betrug zu bezeichnen.
(d) L. 6 de minor. (4. 4)
„… cum intersit eorum, li-
tibus et sumtibus non vexari.“
Eine erläuternde Anwendung dieſer
Regel findet ſich in L. 40 pr. eod.
(e) L. 7 § 6 de min. (4. 4),
„Hodie certo jure utimur, ut
et in lucro minoribus subve-
niatur.“ L. 44 eod., L. 17 § 3
de usuris. (22. 1).
|0144 : 122|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap IV. Verletzung.
Gegentheil geſagt zu ſeyn ſcheint (f), ſo iſt daraus von
Manchen die Regel gebildet worden, die Minderjährigen ſeyen
gegen Verluſt und gegen entbehrten Gewinn zu reſtituiren,
Andere nur gegen Verluſt (g). — In der That aber iſt
der Gegenſatz auf einem anderen Punkte zu ſuchen, und
die Minderjährigen ſtehen hierin mit allen übrigen zur Re-
ſtitution Berechtigten ganz auf gleicher Linie. Es muß
nämlich unterſchieden werden zwiſchen einem ſolchen Ge-
winn, wodurch ein Anderer an ſeinem ſchon erworbenen
Vermögen verkürzt wird, und dem Gewinn, wobei dieſer
Fall nicht eintritt. Der erſte ſoll niemals Grund einer
Reſtitution werden können, weder für einen Minderjährigen,
noch für irgend einen Andern. Daher gilt keine Reſtitution
für die Verſäumniß einer Strafklage, durch welche der
Beklagte um eben ſo viel ärmer, als der Kläger reicher,
wird (h). Eben ſo auch gilt keine Reſtitution, wenn ein
(f) L. 18 ex quib. caus. (4. 6)
„Sciendum est, quod in his
casibus restitutionis auxilium
majoribus damus, in quibus
rei duntaxat persequendae gra-
tia queruntur, non cum et
lucri faciendi ex alterius poena
vel damno auxilium sibi im-
pertiri desiderant.“
(g) Puchta, Pandekten § 101
Note d.
(h) L. 37 pr. de min. (4. 4)
(von Minderjährigen). — L. 18
ex quib. caus., ſ. o. Note f; in
dieſer Stelle liegt der Accent nicht
auf lucri faciendi, ſondern auf
ex alterius poena vel damno.
Es iſt alſo die Rede von den
zweiſeitigen Strafklagen, ſ. o. B. 5
§ 210. — Dieſelbe Natur haben
die Fideicommißzinſen, wenn der
belaſtete Erbe die Auszahlung des
Fideicommiſſes ohne ſeine Schuld
unterlaſſen hat. Auch für dieſe
ſoll ſelbſt der Minderjährige keine
Reſtitution erhalten. L. 17. § 3
de usur. (22. 1).
|0145 : 123|
§. 318. Bedingungen der Reſtitution. I. Verletzung.
Erwerb durch Uſucapion verſäumt wird, weil auch dieſe
Erweiterung des Vermögens nur durch einen gleich großen
Verluſt in dem Vermögen des bisherigen Eigenthümers
bewirkt werden kann (i). — Gegen die Verſäumniß des-
jenigen Gewinns aber, wodurch nicht zugleich einem
Anderen ſchon erworbenes Vermögen entzogen wird, ſoll
allerdings Reſtitution ertheilt werden, wenn ein Reſtitutions-
grund vorhanden iſt. Dahin gehört der Fall, wenn der
Erwerb einer Erbſchaft oder eines Legates verſäumt worden
iſt durch Minderjährigkeit (k), oder wenn der ernannte
Erbe oder Legatar das ihm zugedachte Recht wegen Ab-
weſenheit im Kriegsdienſt eingebüßt hat (l); denn wenn
dieſe durch Reſtitution in die frühere Lage zurück verſetzt
werden, ſo erlangen ſie Etwas, das damals noch zu keines
anderen Menſchen Vermögen gehört hat. Man kann alſo
mit Recht von der Reſtitution der Abweſenden, eben ſo,
wie von der der Minderjährigen, ſagen, daß ſie auch auf
verſäumten Gewinn angewendet werden könne (m), und
(i) L. 20 ex quib. caus.
(4. 6).
(k) L. 1. 2 C. si ut omissam
(2. 40).
(l) L. 17 pr. § 1. L. 41 ex
quib. caus.
(m) L. 27 ex quib. caus. (4. 6)
„Et sive quid amiserit, vel
lucratus non sit, restitutio fa-
cienda est, etiamsi non ex
bonis quid amissum sit.“ Es
iſt wohl zu bemerken, daß dieſe
Stelle aus demſelben Buche her-
rührt, wie die oben in der Note f
abgedruckte L. 18 eod. (Paul.
lib. XII ad Ed.), ſo daß an einen
Widerſtreit der alten Juriſten unter
ſich nicht zu denken iſt.
|0146 : 124|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
zwiſchen beiden Fällen der Reſtitution iſt hierin in der
That kein Unterſchied (n).
Die Thatſache der Verletzung, alſo des erlittenen Nach-
theils durch Veränderung des Rechtszuſtandes, muß ſo, wie
jede andere Thatſache, wenn ſie bezweifelt wird, von Dem,
welcher die Reſtitution ſucht, erwieſen werden, und es iſt
ganz ohne Grund von Manchen behauptet worden, ein
ſolcher Beweis ſey nicht erforderlich, es komme vielmehr
blos auf die Behauptung des Nachtheils an (o)
§ 319.
Reſtitution. — Bedingungen. — I. Verletzung.
(Fortſetzung.)
Die Natur der Verletzung, welche für jede Reſtitution
vorausgeſetzt wird, iſt nun noch zur Anſchauung zu bringen
durch eine Ueberſicht der Arten der Rechtsverhältniſſe, in
welchen dieſelbe vorkommen, und zu dem Bedürfniß einer
Reſtitution hinführen kann (a).
(n) Die hier gemachte Unter-
ſcheidung iſt ſchon aufgeſtellt von
Cujacius in Paul. lib. XII ad
Ed., opp. T. 5 p. 167. — Auch
Burchardi S. 60—69 behauptet
ein gleiches Recht der Minderjäh-
rigen und der Volljährigen. Ohne
Grund aber behandelt er S. 132
die bei den Strafklagen unzuläſ-
fige Reſtitution als eine ganz ver-
einzelte Ausnahme, welche viel-
mehr weſentlich in dieſen Zu-
ſammenhang gehört.
(o) L. 7 § 3. L. 35. 44 de min.
(4. 4), L. 9 § 4 de jurej. (12. 2),
L. 5 pr. C. de in int. rest. min.
(2. 22), L. 1 C. si adv. vend. pign.
(2 29). — Burchardi S. 57 —
59. S. 448.
(a) Burchardi § 9, wo über
die meiſten dieſer Anwendungen
Beweisſtellen in großer Zahl zu-
ſammen geſtellt ſind.
|0147 : 125|
§. 319. Bedingungen d. Reſtitution. I. Verletzung. (Fortſ.)
Im Sachenrecht erſcheint die Erſitzung als der häu-
figſte Fall einer ſolchen, die Reſtitution veranlaſſenden Ver-
letzung. Wenn nämlich ein Eigenthümer das Eigenthum
ſeiner Sache dadurch verliert, daß ein Anderer dieſelbe uſu-
capirt, welches zu verhindern er ſelbſt unterlaſſen hat, ſo
kann die Reſtitution gegen dieſe Unterlaſſung zur Herſtel-
lung des Rechtszuſtandes führen, welcher vor vollendeter
Erſitzung vorhanden war (b). — Dieſelbe oder eine ähn-
liche Natur hat der Verluſt einer Servitut durch Nicht-
gebrauch. — Ferner der Verluſt eines prätoriſchen Erb-
rechts durch die verſäumte Agnitionsfriſt. — Endlich würde
auch der Verluſt eines Klagerechts durch Verjährung ganz
dieſelbe Natur haben, wenn nicht dafür folgende abwei-
chende Vorſchriften gegeben wären. Gegen die dreißig-
jährige Klagverjährung nämlich ſoll gar keine Reſtitution
gelten, ſelbſt für Minderjährige nicht; die kürzeren Klag-
verjährungen ſollen während der Minderjährigkeit des Klag-
berechtigten gar nicht laufen, ohne daß es einer Reſtitution
bedarf; die übrigen Reſtitutionsgründe ſind bei ihnen eben
ſo anzuwenden, wie bei dem Verluſt durch Erſitzung oder
bei anderen Verletzungen (c).
Im Obligationenrecht findet ſich die ausgedehnteſte
(b) So bei Minderjährigen
L. 45 pr. de min. (4. 4). — Eben
ſo, wenn die Erſitzung gegen einen
Abweſenden, oder umgekehrt von
Seiten eines Abweſenden, vorge-
nommen wird. L 1 § 1 ex quib.
caus. (4. 6).
(c) S. o. B. 3 Beilage VIII.
Num. XXVII.
|0148 : 126|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Anwendung der Reſtitution. — Sie kommt vor bei allen
Arten von Verträgen, wodurch zum Nachtheil einer Perſon
Obligationen gegründet werden können. Insbeſondere alſo
bei Kauf und Verkauf, bei Miethverträgen, Societäten.
Ferner bei einem aufgenommenen Darlehen, wenn der Em-
pfänger das geliehene Geld ganz oder zum Theil verſchwen-
det (d). Bei einer Interceſſion für die Schuld eines An-
deren (e). Bei dem Compromiß auf einen Schiedsrichter (f).
— Eben ſo iſt aber auch die Reſtitution anwendbar auf
viele Handlungen, wodurch Obligationen aufgelöſt werden.
Dahin gehört von Seiten des Gläubigers die Novation,
wenn er durch dieſelbe eine weniger ſichere Art der Schuld,
oder einen weniger zahlungsfähigen Schuldner empfängt (g).
Ferner die Befreiung des Schuldners durch Acceptilation (h).
Der Empfang einer Zahlung, wenn das empfangene Geld
verſchwendet wird (i). Von Seiten des Schuldners gehört
dahin die Zahlung einer Schuld, die er vermeiden könnte,
weil ſie nicht klagbar iſt (k). Ferner das Hingeben einer
(d) L. 24 § 4. L. 27 § 1 de
min. (4. 4).
(e) L. 50 de min. (4. 4).
(f) L. 34 § 1 de min. (4. 4).
(g) L. 27 § 3. L. 40 pr. de
min. (4. 4).
(h) L. 27. § 2 de min. (4. 4).
(i) L. 24 § 4. L. 27 § 1. L. 47
§ 1 de min. (4. 4). L. 32 § 4 de
admin. (26. 7). Der Grund iſt
derſelbe, wie bei dem empfangenen
und verſchwendeten Darlehen, nur
ſoll es mit der Reſtitution gegen
das Darlehen leichter genommen
werden, weil das Geben eines
Darlehens willkürlich ſey, die
Zahlung der Schuld eine noth-
wendige Handlung.
(k) L. 25 pr. de min. (4. 4).
|0149 : 127|
§. 319. Bedingungen d. Reſtitution. I. Verletzung. (Fortſ.)
Sache an Zahlungsſtatt, wenn dieſe mehr werth iſt als die
Schuld (l).
Im Erbrecht iſt die Reſtitution anwendbar, wenn eine
nachtheilige Erbſchaft angetreten wird, und der Erbe davon
befreit zu werden verlangt (m). Eben ſo, wenn eine vor-
theilhafte Erbſchaft ausgeſchlagen iſt, die man nun wieder
erwerben möchte, oder wenn die Agnitionsfriſt für ein prä-
toriſches Erbrecht verſäumt iſt (n). Endlich auch wenn die
Erfüllung einer Bedingung verſäumt wird, unter welcher
Jemand zum Erben eingeſetzt iſt (o).
Im Familienrecht kommt die Reſtitution vor, wenn
eine Arrogation zum Nachtheil des Arrogirten vorgenommen
wird, und dieſer hinterher in ſeine frühere Unabhängigkeit
hergeſtellt zu werden verlangt (p).
Im Prozeßrecht endlich findet ſich eine beſonders
häufige und wichtige Anwendung der Reſtitution (q). —
(l) L. 40 § 1 de min. (4. 4).
(m) L. 6 de in int. rest.
(4. 1), L. 21 § 5 quod metus
(4. 2), L. 7 § 5. 10, L. 22, L. 29
§ 2, L. 31 de min. (4. 4), L. 85
de adqu. her. (29. 2). — Nach
L. 6 § 7 eod. könnte man glauben,
der erzwungene Antritt einer Erb-
ſchaft ſey ipso jure nichtig, alſo
ohne Reſtitution; es iſt aber da
wohl von einem ſimulirten, alſo
blos ſcheinbaren Antritt, (fallens
adierit) die Rede. Burchardi
S. 366.
(n) L. 21 § 6 qu. met. (4. 2),
L. 7 § 10, L. 22, L. 24 § 2,
L. 30 de min. (4. 4). L. 2 C. si
ut omissam. (2. 40).
(o) L. 3 § 8 de min. (4. 4).
(p) L. 3 § 6 de min. (4. 4).
Es darf alſo nicht behauptet werden,
daß jede capitis deminutio der
Reſtitution entzogen ſey, wie es
nach L. 9 § 4 eod. ſcheinen könnte.
Burchardi S. 129 — 132.
(q) L. 7 § 4 de min. (4. 4).
„Sed et in judiciis subvenitur,
sive dum agit sive dum con-
venitur, captus sit.“
|0150 : 128|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Dazu gab beſondere Veranlaſſung der alte Römiſche Prozeß,
deſſen theilweiſe ſtrenge und harte Formen häufig zu dem
Bedürfniß einer billigen Ausgleichung bloßer Verſehen durch
Reſtitution führten. — Aber auch in den Quellen des Ju-
ſtinianiſchen Rechts finden ſich viele Anwendungen der
Reſtitution auf den Prozeß. Dahin gehört die Reſtitution
wegen einer verſäumten Anführung im Rechtsſtreit, wegen
einer verſäumten Appellationsfriſt, wegen der unvorſichtigen
Zuſchiebung eines Eides, wegen der aus dem Ungehorſam
gegen richterliche Verfügungen hervorgehenden Nachtheile (r).
— Die wichtigſte Reſtitution dieſer Klaſſe aber iſt die gegen
ein rechtskräftiges Urtheil, ſelbſt wenn dieſes von derſelben
richterlichen Obrigkeit herrührt, die jetzt die Reſtitution er-
theilen ſoll (s). Dieſe Reſtitution hat eine ähnliche Wir-
kung, wie die Appellation, nämlich wiederholte Prüfung
und mögliche Abänderung eines geſprochenen Urtheils (t).
Dabei liegt der Gedanke zum Grunde, daß der unterliegende
Theil, der die Reſtitution ſucht, durch geſchicktere Führung
(r) L. 36 de min. (4. 4),
L. 7 § 11. 12, L. 8 de min. (4. 4),
L. 9 § 4 de jurej. (12. 2).
(s) L. 16 § 5, L. 17, L. 18,
L. 29 § 1, L. 42 de min. (4. 4),
L. 8 de in inst. rest. (4. 1),
tit. Cod. si adv. rem jud. (2. 27).
— Blos eine einzelne Anwendung
davon iſt die Reſtitution gegen das
possidere jubere. L. 15 § 2
ex. qu. c. majorem (4. 6), L. 15
§ 33 de de damno inf. (39. 2).
(t) L. 42 de min. (4. 4),
L. 18 de interrog. (11. 1). Der
Unterſchied liegt darin, daß die
Appellation den ungerechten In-
halt des Urtheils geltend macht,
die Reſtitution das eigene Verſehen
des Betheiligten oder den aus dem
Benehmen des Gegners entſprun-
genen Nachtheil. L. 17 de min.
(4. 4).
|0151 : 129|
§. 319. Bedingungen d. Reſtitution. I. Verletzung. (Fortſ.)
des Rechtsſtreits ein anderes Urtheil herbeigeführt haben
würde. — In Anwendung dieſer Regel kann auch gegen
eine ertheilte Reſtitution wiederum Reſtitution geſucht, und
ſo die Wirkung der erſten Reſtitution entkräftet werden (u).
Bezog ſich die erſte Reſtitution auf das einfache Rechts-
verhältniß zwiſchen zwei beſtimmten Perſonen, wie z. B.
die Aufhebung eines Kaufvertrags, ſo bedarf es nicht immer
der zweiten Reſtitution; vielmehr kann der Gegner, der die
Herſtellung des urſprünglichen Zuſtandes durch Klage ver-
langt, mit einer bloßen Einrede zurückgewieſen werden,
indem es in der freien Willkür des Reſtituirten ſteht, die
ihm ertheilte Wohlthat unbenutzt zu laſſen (v). — Man
möchte glauben, auf gleiche Weiſe könne gegen die Ver-
ſagung einer Reſtitution wiederum Reſtitution verlangt
werden. Dieſes iſt aber in der Regel unzuläſſig, und es
gilt gegen die Verſagung blos die Appellation (w), weil
ſonſt eine endloſe Wiederholung der Reſtitutionsgeſuche ge-
(u) L. 7 § 9 de min. (4. 4).
Eine einzelne Ausnahme bei den
Peculien enthält L. 8 § 6 C. de
bon. quae lib. (6. 61). Bur-
chardi S. 99. 248.
(v) L. 41 de min. (4. 4),
quia cuique licet contemmere
haec, quae pro se introducta
sunt.“ Anders verhält es ſich
mit der Reſtitution gegen den An-
tritt oder die Ausſchlagung einer
Erbſchaft (L. 7 § 9 de min.) wegen
des unbeſtimmten Verhältniſſes zu
vielen verſchiedenen Perſonen.
(w) L 1 C. si saepius (2. 44).
Mit Unrecht behauptet Burchardi
S. 95, die L. 38 pr. de min.
(4. 4) ſtehe damit im Widerſpruch
und ſey daher als Machtſpruch des
Kaiſers anzuſehen. Die Sache
muß vielmehr ſo gedacht werden,
daß ſie durch Appellation an den
Kaiſer gelangt war, welcher da-
durch zur letzten Entſcheidung com-
petent wurde.
VII. 9
|0152 : 130|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
ſtattet ſeyn würde. Nur ausnahmsweiſe darf auch gegen
die Verſagung Reſtitution geſucht werden, wenn dieſes
Geſuch durch neue Gründe unterſtützt werden kann (x).
§. 320.
Reſtitution. — Bedingungen. — II. Reſtitutionsgrund.
Die zweite Bedingung jeder Reſtitution iſt ein Reſti-
tutionsgrund (justa causa), das heißt, ein beſonderer
(abnormer) Zuſtand des Verletzten, woraus der Anſpruch
auf dieſe außerordentliche Hülfe, als Ausnahme von den
gewöhnlichen Rechtsregeln, abzuleiten iſt (§ 318). Auf
dieſen Reſtitutionsgrund vorzüglich bezieht ſich die ſehr freie
Prüfung der richterlichen Obrigkeit, worin das eigenthüm-
liche Weſen der Reſtitution beſteht. Und nicht blos die that-
ſächliche Wahrheit des Reſtitutionsgrundes iſt (ſo wie bei
jeder gewöhnlichen Klage) Gegenſtand der freien Prüfung,
ſondern auch die Frage, ob nach den beſonderen Umſtänden
des vorliegenden Falles die Reſtitution als nöthig und
räthlich erſcheint (a).
(x) L. 2. 3 C. si saepius (2.44).
(a) L. 3 de in int. rest. (4.1):
„Omnes in integrum restitu-
tiones causa cognita a Praetore
promittuntur: scilicet ut justi-
tiam earum causarum examinet,
an verae sint, quarum nomine
singulis subvenit.“ Schon Jo-
hannes in der Gloſſe bemerkt
richtig, daß hier verae zugleich
den Begriff von justae in ſich
ſchließe, alſo nicht auf die blos
factiſche Wahrheit zu beſchränken
ſey. Daher iſt die von Mehreren
vorgeſchlagene Emendation: exa-
minet, et an verae sint, nicht
gerechtfertigt. Vgl. auch L. 11
§ 3. L. 24 § 5. L. 44 de min.
(4. 4).
|0153 : 131|
§. 320. Bedingungen d. Reſtitution. II. Reſtitutionsgrund.
Für dieſe richterliche Prüfung aber ſind zwei Geſichts-
punkte von vorzüglicher Wichtigkeit. Der erſte Geſichts-
punkt geht dahin, daß der beſondere Zuſtand des Verletzten,
der den Reſtitutionsgrund ausmacht, in einem Cauſal-
verhältniß mit der erlittenen Verletzung ſtehen muß. So
z. B. iſt ein Minderjähriger zu reſtituiren, wenn er eine
ſchlechte Sache gekauft hat, aber nicht, wenn eine gekaufte
gute Sache hinterher durch Zufall untergegangen iſt (b);
denn dieſer Verluſt konnte bei einem Volljährigen eben ſo
eintreten, und war alſo nicht die Folge der aus der Jugend
hervorgehenden Unerfahrenheit. Iſt nun dieſer Umſtand
ſelbſt zweifelhaft, ſo ſoll auf die ſonſt bekannte Perſönlichkeit
des Minderjährigen geſehen werden, ſo daß Der, welcher
ſich in anderen Dingen beſonnen und vorſichtig gezeigt hat,
nicht ſo leicht reſtituirt werden ſoll (c). — Eben ſo iſt die
Reſtitution wegen Abweſenheit zu verſagen, wenn der ein-
getretene Nachtheil nicht die nothwendige Folge der Ab-
weſenheit war, ſondern durch Beſonnenheit hätte abgewendet
werden können (d).
Ein zweiter Geſichtspunkt für die richterliche Prüfung
ſoll dahin gerichtet ſeyn, daß nicht blos der einzelne Vor-
theil oder Nachtheil des Verletzten berückſichtigt werde, ſon-
(b) L. 11 § 4 de min. (4. 4);
eben ſo iſt es bei einer angetre-
tenen Erbſchaft, die an ſich nach-
theilig ſeyn, oder erſt durch ſpätere
Zufälle nachtheilig werden kann.
L. 11 § 5 eod.
(c) L. 11 § 4 de min. (4. 4),
L. 1 C. qui et adv. quos (2. 42).
(d) L. 15. § 3, L. 16, L. 44
ex quib. caus. (4. 6).
9*
|0154 : 132|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
dern zugleich die Geſammtheit der Verhältniſſe. Daher ſoll
einem Minderjährigen die Reſtitution nicht ertheilt werden,
wenn dieſelbe zwar einen mäßigen einzelnen Nachtheil von
ihm abwenden, aber zugleich im Ganzen ſeinen Credit ge-
fährden würde (e).
Es ſind nunmehr die einzelnen im Edict angegebenen
Reſtitutionsgründe anzugeben, welche zugleich die Grund-
lage der, in den folgenden Paragraphen abzuhandelnden,
beſonderen Arten der Reſtitution bilden. Ich will damit
anfangen, die quellenmäßigen Zeugniſſe für das Daſeyn
derſelben zuſammen zu ſtellen.
L. 1 de in int. rest. (4. 1) aus Ulpian lib. XII ad Ed.
„… sub hoc Titulo plurifariam Praetor hominibus
vel lapsis vel circumscriptis subvenit(f): sive metu,
sive calliditate, sive aetate, sive absentia inciderunt
in captionem.“
L. 2 eod. aus Paulus lib I. Sent.
„Sive per status mutationem, aut justum errorem.“
(e) L. 7 § 8 L. 24 § 1 de min.
(4. 4). — Aus demſelben Grunde
ſoll die Reſtitution verſagt werden,
wenn die Abwendung eines gering-
fügigen Nachtheils nur mit dem
ungleich größeren Nachtheil eines
Anderen bewirkt werden kann. L. 4
de in int. rest. (4. 1). Dagegen
iſt es unrichtig, die Reſtitution
blos wegen des geringen Betrags
der Verletzung zu verſagen. Bur-
chardi § 8 und S. 126.
(f) Ulpian ſagt hier nicht
blos, daß in dieſen Fällen der
Prätor Reſtitution zu ertheilen
pflege (subvenit), ſondern zugleich,
daß er dieſe Reſtitution im Edict
ankündige (sub hoc titulo sub-
venit).
|0155 : 133|
§. 320. Bedingungen d. Reſtitution. II. Reſtitutionsgrund.
Paulus Sent. I. 7 § 2 (g).
„Integri restitutionem Praetor tribuit(h)ex his cau-
sis, quae per metum, dolum, et status permutationem,
et justum errorem, et absentiam necessariam, et in-
firmitatem aetatis gestae esse dicuntur.“
Hierzu kommen folgende Titel des vierten Buchs der
Digeſten, deren Ordnung zugleich zu bemerken iſt.
Tit. 2. quod metus causa. (Codex II. 20).
‒ 3. de dolo malo. (Codex II. 21).
‒ 4. de minoribus XXV. annis. (Codex II. 22).
‒ 5. de capite minutis.
‒ 6. ex quibus causis majores. (Codex II. 51).
‒ 7. de alienatione judicii mutandi causa facta.
(Codex II. 55).
Vier unter dieſen Reſtitutionsgründen kommen überall
gleichmäßig vor, und bedürfen daher keiner Rechtfertigung:
Zwang, Betrug, Minderjährigkeit, Abweſenheit. — Bei
Ulpian aber fehlt zuerſt die capitis deminutio. Es wird
jedoch unten gezeigt werden, daß dieſelbe von jeher nur den
Namen und die äußere Form einer Reſtitution an ſich trug,
(g) Dieſes Zeugniß kann nicht
als ein von dem vorhergehenden
verſchiedenes und unabhängiges
angeſehen werden; vielmehr wurden
in die Digeſten blos einige Worte
aus den sententiae des Paulus
aufgenommen, um die vorherge-
hende Stelle des Ulpian zu er-
gänzen.
(h) tribuit iſt an ſich zwei-
deutig, es kann die wirkliche Er-
theilung der Reſtitution bezeichnen
oder zugleich die Ankündigung
derſelben im Edict. Da aber die
meiſten Fälle unzweifelhaft im
Edict ausgeſprochen waren, ſo iſt
die zweite Deutung wahrſcheinlicher
(Vgl. Note f).
|0156 : 134|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
während ihr die charakteriſtiſchen Eigenſchaften einer wahren
Reſtitution, das freie Ermeſſen und die kurze Verjährung,
gänzlich fehlten. Daraus erklärt ſich befriedigend die Aus-
laſſung derſelben bei Ulpian. — Es fehlt bei demſelben
ferner unter den Reſtitutionsgründen der Irrthum. Viel-
leicht iſt der Grund dieſer Auslaſſung darin zu ſuchen, daß
im Edict der Irrthum als Reſtitutionsgrund nur in einem
ganz vereinzelten Fall ausdrücklich erwähnt wurde; das
Daſeyn deſſelben hat übrigens keinen Zweifel, und wird
gerade von Ulpian ſelbſt in anderen Stellen am beſtimm-
teſten bezeugt (i). — Endlich fehlt bei Ulpian und bei
Paulus die alienatio judicii mutandi causa, die doch in
den Digeſten in der Reihe der Reſtitutionstitel mit aufgeführt
wird. Allein dieſe war zur Zeit der beiden angeführten
Juriſten als Reſtitution gänzlich verſchwunden, indem ihr
Zweck auf einem anderen Wege erreicht wurde (§ 316).
Ueber die Zeitfolge, in welcher dieſe Reſtitutionsgründe
in das Edict aufgenommen worden ſind, fehlt es an be-
ſtimmten Zeugniſſen. Ich halte es für wahrſcheinlich, daß
die Ordnung, in welcher ſie im Edict ſtanden, zugleich die
Zeit ihrer Einführung bezeichnet, da ein innerer und prak-
tiſcher Grund dieſer Anordnung gewiß nicht behauptet
werden kann. Die Ordnung der Reſtitutionsgründe im
(i) L. 1 § 1. 6 quod falso
(27. 6). — Auch Gajus handelt
davon in demſelben lib. IV. ad Ed.
prov., worin er die übrigen Reſtitu-
tionsgründe darſtellt. L. 10 eod.,
verglichen mit L. 6. 19 quod me-
tus, L. 6. 8. 23. 26. 28 de dolo,
L. 12. 15. 25. 27 de min., L. 1.
8 de cap. min., L. 25 ex qu. c.,
L. 1. 3. 7 de al. jud. mut.
|0157 : 135|
§. 320. Bedingungen d. Reſtitution. II. Reſtitutionsgrund.
Edict aber ſtimmte gewiß mit der ſo eben angegebenen
Reihefolge der Digeſtentitel überein, welche zugleich in den
Titeln des Codex ſich wieder findet. Eine Beſtätigung liegt
auch noch darin, daß die Hauptſtellen des Ulpian in der
Reſtitutionslehre aus dem lib. XI. und XII. ad Edictum
genommen ſind (k); ganz eben ſo die Hauptſtellen des
Paulus, und zwar beide gerade in der hier für das Edict
vorausgeſetzten Ordnung der einzelnen Reſtitutionsgründe.
Hiernach nehme ich an, daß die einzelnen Reſtitutions-
gründe in nachſtehender Zeitfolge in das Edict aufgenommen
worden ſind, und daß hieraus zugleich die Reihefolge her-
vorging, in welcher ſie im Edict ſtanden.
1. Zwang.
2. Betrug. Dieſe zwei Reſtitutionsgründe ſtehen nicht
nur in den Digeſten und im Codex, ſondern auch in den
oben abgedruckten Stellen des Ulpian und des Paulus,
allen übrigen voran; ein anderer, als dieſer geſchichtliche
Grund, läßt ſich dafür ſchwerlich angeben. Beide Reſti-
tutionsgründe ſind aber ſchon frühe durch gewöhnliche
Klagen größtentheils entbehrlich gemacht und verdrängt
worden, ſo daß ſie jetzt nur noch in kleinen Ueberreſten als
Reſtitutionen erſcheinen (§ 316. 317).
(k) Zweifelhaft ſind nur L. 2.
4. 6 de al jud. mut. (4. 7), die
in der Flor. die Inſchrift haben:
lib. XIII., (bei Haloander:
lib. XII.), während L. 10 eod.
auch in der Flor. überſchrieben iſt:
lib. XII.
|0158 : 136|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
3. Minderjährigkeit. Steht auch bei Ulpian als
dritter Grund.
4. Capitis deminutio.
5. Abweſenheit. Steht bei Ulpian als vierter Grund,
weil er die capitis deminutio in ſeiner Ueberſicht übergeht.
6. Alienatio judicii mutandi causa. Als Reſtitutions-
grund ſpäter verſchwunden.
7. Irrthum. War im Edict nur in einem ganz ein-
zelnen Falle erwähnt, wurde aber in den Digeſten aus dem
urſprünglichen unzweifelhaften Zuſammenhang, worin dieſer
Grund im Edict vorkam, heraus genommen, und in das
Vormundſchaftsrecht verpflanzt (Lib. 27 Tit. 6), augen-
ſcheinlich aus Gründen des inneren Zuſammenhangs.
Eine ganz abweichende Anſicht von der hier aufgeſtellten
Behauptung über die Zeitfolge der einzelnen Reſtitutions-
gründe findet ſich bei dem ausführlichſten neueren Schrift-
ſteller über die Reſtitution (l). Er nimmt als das älteſte
Edict das über die Abweſenheit an, aber in einer uns un-
bekannten, ſpäter verſchwundenen Geſtalt. Darauf folgte
das über die Minderjährigen, welches aber nicht vor der
Mitte des erſten Jahrhunderts entſtanden ſeyn ſoll. Darauf
das gegenwärtige Edict über die Abweſenheit. Die Reſti-
tutionen wegen Zwang und Betrug ſollen überhaupt nicht
im Edict geſtanden haben, ſondern erſt ſehr ſpät durch die
Römiſche Praxis eingeführt worden ſeyn, anſtatt daß die
(l) Burchardi S. 148—150. S. 213—217.
|0159 : 137|
§. 320. Bedingungen d. Reſtitution. II. Reſtitutionsgrund.
perſönlichen Klagen aus Zwang und Betrug ſehr alt ge-
weſen ſeyn ſollen (m). — Die Begründung dieſer abwei-
chenden Meinung hängt großentheils mit der ſchon oben
bekämpften Anſicht deſſelben Schriftſtellers von der hiſtori-
ſchen Entwicklung der Reſtitution überhaupt zuſammen
(§ 317 Note g); theilweiſe aber wird ſie auf Vermuthun-
gen geſtützt, denen eine überzeugende Kraft nicht zugeſtanden
werden kann.
Die hier aufgeſtellte Anordnung des Edicts über die
einzelnen Reſtitutionsgründe kann jedoch für unſer wiſſen-
ſchaftliches Bedürfniß nicht maßgebend ſeyn; vielmehr kommt
es hier darauf an, die wichtigſten und reichhaltigſten Re-
ſtitutionsgründe voran zu ſtellen. Ich werde daher die be-
ſonderen Arten der Reſtitution nach folgender Ordnung
darſtellen:
1. Minderjährigkeit.
2. Abweſenheit.
3. Zwang.
(m) Von der Reſtitution wegen
Betrugs haben wir allerdings keine
Edictſtelle übrig, da die L. 1 §. 1
de dolo (4. 3) augenſcheinlich nur
von der actio doli ſpricht. An-
ders verhält es ſich mit dem Zwang.
Denn die Worte des Edicts: Quod
metus causa gestum erit, ratum
non habebo (L. 1 quod metus
4. 2), ſind ſo allgemein gehalten,
daß ſie allerdings wohl von einer
Klage oder Einrede gemeint ſeyn
konnten, aber eben ſo gut auch
von einer Reſtitution, gerade ſo,
wie das Edict über die Minder-
jährigen: uti quaeque res erit,
animadvertam (L. 1 §. 1 de
min. 4. 4), welches doch ohne
Zweifel von einer Reſtitution, und
nur von dieſer, ſprechen wollte.
|0160 : 138|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
4. Irrthum.
5. Betrug (n).
6. Antiquirte Reſtitutionsgründe.
§. 321.
Reſtitution. — Bedingungen. — III. Abweſenheit
poſitiver Ausnahmen.
Manche Schriftſteller ſtellen eine große Zahl ausgenom-
mener Fälle auf, in welchen die Reſtitution außer Anwen-
dung bleiben ſoll, auch wenn die beiden erſten Bedingungen
(Verletzung und Reſtitutionsgrund) vorhanden ſeyen (a).
Mehrere dieſer Ausnahmen ſind nur ſcheinbar, indem in
den angeblichen Fällen derſelben eine Verletzung gar nicht
vorhanden iſt (b); andere haben einen ſo vereinzelten Zu-
ſammenhang mit beſonderen Rechtslehren, daß ſie zweck-
mäßiger bei dieſen, als bei der Reſtitutionslehre, abgehan-
delt werden (c). Ich beſchränke mich hier auf diejenigen
ausgenommenen Fälle, die eine allgemeinere Beſchaffenheit
haben, und eben dadurch zugleich eine vollſtändigere Ein-
ſicht in die Natur der Reſtitution ſelbſt gewähren.
(n) Ich ſtelle den Betrug hinter
den Irrthum, weil er in der That
nur ein qualificirter Irrthum iſt,
und weil auf dieſe Weiſe die Re-
ſtitution wegen Betrugs beſſer zur
Anſchauung gebracht werden kann.
(a) So z. B. Burchardi
§ 10.
(b) Dahin gehören z. B. die
Fälle der L. 1 C. si adv. don.
(2. 39), und der L. 11 C. de
transact. (2. 4).
(c) Dahin gehört z. B. die
wichtige Regel, daß gegen die
dreißigjährige Klagverjährung keine
Art der Reſtitution zugelaſſen
werden ſoll, ſ. o. B. 3 Beil. VIII.
Num. XXVII.
|0161 : 139|
§. 321. Bedingungen der Reſtitution. III. Ausnahmen.
1. Es ſoll keine Reſtitution gegeben werden gegen die
nachtheiligen Folgen von Delicten, es mögen nun öffent-
liche Verbrechen oder Privatdelicte ſeyn (d). — Im All-
gemeinen folgt Dieſes ſchon daraus, daß die Reſtitution
vorzugsweiſe zum Schutz gegen Nachtheile durch ein Rechts-
geſchäft (gestum) eingeführt iſt (§ 318 Note a), unter
welchen Begriff die Delicte nicht gehören. Bei öffentlichen
Verbrechen folgt es auch daraus, daß deren Beſtrafung
nicht zum Geſchäftskreiſe der die Civilgerichtsbarkeit lei-
tenden Prätoren gehörte, die allein Reſtitution ertheilten.
Nur bei blos culpoſen Delicten ſcheint die Reſtitution
allerdings zuläſſig zu ſeyn. Ganz ausdrücklich wird dieſer
Unterſchied anerkannt bei der Umgehung der Zölle (com-
missum); deren Beſtrafung ſoll im Fall der bloßen Culpa
durch Reſtitution abgewendet werden können (e). Daſſelbe
Princip aber ſcheint eine, freilich dunkle, Stelle des Codex
allgemein auszuſprechen (f). Dann müßte die, in einer
anderen Stelle ſcheinbar allgemein ausgedrückte, Verſagung
(d) L. 9 § 2 de min. (4 4),
über die Worte damnum deci-
dere vgl. L. 17 § 1 de pact.
und oben B. 5 S. 570. — L. 9
§ 3 eod., L. 37 § 1 eod.;
in den Worten: nisi quatenus
etc. liegt keine Hinweiſung auf
Reſtitution, ſondern nur auf eine
mitleidige Rückſicht bei arbiträren
Strafen. — L. 1. 2 C. si adv.
del. (2. 35).
(e) L. 9 § 5 de min. (4. 4).
L. 16 § 9 de public. (39. 4).
(f) L. 1 C. si adv. del. (2.35)
„.. si tamen delictum non ex
animo, sed extra venit. .. in
integrum restitutionis auxilium
competit.“ Die Worte sed extra
müßten dann von der Culpa er-
klärt werden. Haloander’s
Leſeart sed ex contractu macht
die Stelle gewiß nicht deutlicher.
|0162 : 140|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
der Reſtitution gegen die actio legis Aquiliae auch auf die
Fälle böswilliger Verletzung beſchränkt werden (g).
2. Eine ganz gleichartige Ausnahme iſt vorgeſchrieben
für diejenigen Verbindlichkeiten aus Verträgen, bei welchen
dem Schuldner eine Unredlichkeit zur Laſt fällt (h). Als
Beiſpiel dieſer Ausnahme wird der Fall angeführt, wenn
ein freier Minderjähriger ſich unredlicherweiſe als Sklave
verkaufen ließ, um an dem Gewinn aus dem Kaufpreiſe
Theil zu nehmen (i).
3. Eine Reſtitution kann ferner nicht ertheilt werden,
wenn das zum Nachtheil veränderte Rechtsverhältniß, ſeiner
eigenthümlichen Beſchaffenheit nach, einer Herſtellung nicht
unterworfen werden kann. In Anwendung dieſer Regel
ſollte niemals eine ertheilte Freilaſſung durch Reſtitution
entkräftet werden können (k). — Als Erweiterungen oder
(g) L. 9 § 2 de min. (4. 4).
Der innere Zuſammenhang der
ganzen Stelle iſt dieſer beſchrän-
kenden Erklärung günſtig. — Man
könnte noch einwenden, daß auch
das culpa divertere keine Reſti-
tution zulaſſe. (L. 9 § 3 de min.)
Allein dieſes erklärt ſich aus der
Verbindung mit dem adulteriam
L. 37 § 1 eod.); auch beſteht das
culpa divertere meiſt in vorſätz-
lichen Handlungen, ſo daß hier
der Ausdruck culpa durchaus nicht
den Gegenſatz gegen dolus be-
zeichnen ſoll. — Bei dem Inceß
gilt die Entſchuldigung durch Irr-
thum verbunden mit Jugend. L. 38
§ 7 ad L. J. de adult. (48. 5),
L. 4 C. de incest. (5. 5).
(h) L. 9 § 2 de min. (4. 4).
Hier wird der dolus in contrac-
tibus als ganz gleichartig mit den
Delicten behandelt.
(i) L. 9 § 4 de min. (4. 4).
(k) L. 9 § 6 de min. (4. 4).
L. 7 pr. de dolo (4. 3) (am Ende
der Stelle). L. 1. 2. 3 C. si adv.
lib. (2. 31). Nicht als Beſchränkung
dieſer Regel kann es gelten, wenn
in L. 10 de min. geſagt wird:
„nisi ex magna causa hoc a
principe fuerit consecutus“;
|0163 : 141|
§. 321. Bedingungen der Reſtitution. III. Ausnahmen.
Entwicklungen dieſer Regel müſſen noch folgende Beſtim-
mungen angeſehen werden. Auch der Verkauf eines Sklaven
war der Reſtitution nicht unterworfen, wenn der Käufer
den erkauften Sklaven freigelaſſen hatte (l). Auch ein
rechtskräftiges Urtheil, welches die Freiheit eines angeb-
lichen Sklaven ausſprach, ſollte nicht durch Reſtitution
umgeſtoßen werden können (m).
Dagegen war allerdings zuläſſig die Reſtitution gegen
ein Rechtsgeſchäft, wodurch erſt eine künftige Freilaſſung
herbeigeführt werden ſollte (n). Eben ſo konnte der Ver-
letzte durch mancherlei Entſchädigungsklagen geſchützt werden,
auch gegen den Freigelaſſenen ſelbſt, wenn derſelbe bei
dieſer Gelegenheit noch nach der Freilaſſung unrechtmäßige
Handlungen verübt hatte (o). Nur aus der Zeit des
Sklavenſtandes war nach allgemeineren Grundſätzen eine
Klage gegen den Freigelaſſenen nicht zuläſſig (p).
dieſes iſt blos eine hiſtoriſche Notiz
über die zuweilen vorkommende
ungewöhnlich freie Anwendung der
kaiſerlichen Macht in Rechtsſachen.
(l) L. 48 § 1 de min. (4. 4).
(m) L. 9 de appell. (49. 1).
L. 4 C. si adv. lib. (2. 31).
(n) L. 11 § 1. L. 33 de min.
(4. 4).
(o) L. 11 pr. L. 48 § 1 de
min. (4. 4).
(p) Aus den Handlungen der
Sklaven entſtand nach ihrer Frei-
laſſung, wenn es Verträge waren,
nur eine naturalis obligatio ohne
Klage, wenn es Delicte waren,
gegen Fremde eine klagbare, gegen
den Herrn ſelbſt gar keine Obli-
gation, ſ. o. B. 2 S. 424. 428.
— Man könnte einen Zweifel
ziehen aus dem etwas undeutlichen
letzten Satz der L. 3 C. si adv.
lib. (2. 31), indem man nämlich
die Worte: ratio vestra laesa
sit auf eine vor der Freilafſung
nachläſſig oder unredlich geführte
Rechnung bezöge. Allein ſie können
eben ſo gut auf die Rechnungs-
führung nach der Freilaſſung ge-
deutet werden; ja dieſe Deutung
|0164 : 142|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Die hier dargeſtellte Ausnahme von der Zuläſſigkeit der
Reſtitution iſt von Manchen ſo ausgedehnt worden, als ob
ſie auf alle Verhältniſſe des Familienrechts bezogen werden
müßte. Die Unrichtigkeit dieſer Auffaſſung ergiebt ſich
daraus, daß gegen die Arrogation unzweifelhaft allerdings
die Reſtitution zuzulaſſen iſt (§ 319).
Dagegen muß allerdings die Zuläſſigkeit der Reſtitution
gegen die Schließung einer Ehe verneint werden (q). Im
Römiſchen Recht findet ſich davon keine Spur, und obgleich
wegen der Leichtigkeit der Scheidung der Vortheil der Re-
ſtitution weniger groß war, als er in unſerm heutigen
Recht ſeyn würde, ſo wäre doch auch für die Römer die
Wirkung einer durch Scheidung und einer durch Reſtitution
aufgehobenen Ehe in manchen Beziehungen verſchieden ge-
weſen. — In den Zuſammenhang unſres heutigen Ehe-
rechts aber paßt die Reſtitution durchaus nicht, die hier
zwiſchen der Nichtigerklärung und der Scheidung gewiſſer-
maßen in der Mitte ſtehen würde. Beſonders einleuchtend
wird Dieſes, wenn man die einzelnen Reſtitutionsgründe
erwägt. In den Fällen des Zwanges und des Betrugs
nehmen wir die Nichtigkeit der Ehe an. Für die Reſtitution
iſt ſogar nothwendig, weil jene
Worte blos die buchſtäbliche Wie-
derholung eines weit älteren Re-
ſcripts ſind (L. 10 C. de admin.
5. 37), worin ſie gar keinen anderen
Sinn haben können. Durch dieſe
Wiederholung des älteren Reſcripts
ſollte blos auf ſehr überflüſſige
Weiſe die geſuchte Belehrung nach
allen Seiten hin vervollſtändigt
werden.
(q) Burchardi S. 142, und
die daſelbſt angeführten Schrift-
ſteller. Puchta Pandekten § 107
Num. 2.
|0165 : 143|
§. 321. Bedingungen der Reſtitution. III. Ausnahmen.
alſo würde eigentlich nur der Fall der Minderjährigkeit
übrig bleiben, welcher unter Vorausſetzung einer unvor-
theilhaften, leichtſinnigen Ehe die Reſtitution herbeiführen,
und den minderjährigen Gatten in die Lage zurück verſetzen
würde, in welcher er ſich befände, wenn er gar keine Ehe
geſchloſſen hätte. Dieſe Wirkung wäre ſtärker, als die einer
Scheidung, und es wäre gewiß höchſt inconſequent, dieſe
ſtärkere Wirkung aus weit geringfügigeren Gründen zu ge-
ſtatten, als diejenigen ſind, an welche das gemeine Recht
der Proteſtanten die Eheſcheidung knüpft. Vollends aber
würde mit den Grundſätzen des katholiſchen Eherechts die
Zulaſſung einer ſolchen Reſtitution völlig unvereinbar ſeyn.
4. Endlich ſoll auch die Reſtitution nicht gegeben
werden, wenn ſchon die allgemeinen Rechtsregeln aus-
reichen, um jede Verletzung abzuwenden (r); denn nun
fehlt das Bedürfniß der in der Reſtitution liegenden außer-
ordentlichen Hülfe, und es kann das Daſein einer Ver-
letzung als Grundbedingung der Reſtitution (§ 318) gar
nicht behauptet werden.
In Anwendung dieſer Regel iſt die Reſtitution als
überflüſſig zu verſagen bei allen nichtigen Verträgen,
z. B. wenn ein Unmündiger ohne Genehmigung des Vor-
mundes einen Vertrag ſchließt (s). Ferner wenn ein Min-
(r) L. 16 pr. de min. (4. 4).
„Nam si communi auxilio et
mero jure munitus sit, non
debet ei tribui extraordinarium
auxilium“. Tit. Cod. in quib.
caus. (2. 41).
(s) L. 16 pr. § 1. 3 de min.
(4. 4).
|0166 : 144|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
derjähriger die Klagverjährung ſeines Schuldners, die we-
niger als dreißig Jahre dauert, ablaufen läßt; denn da
dieſe kürzeren Verjährungen gegen minderjährige Klag-
berechtigte ipso jure nicht laufen, ſo bedarf es dagegen
keiner Reſtitution.
Dagegen iſt dieſe Regel nicht anzuwenden auf ſolche
Fälle, worin neben der Reſtitution auch eine gewöhnliche
Klage dem Verletzten zuſteht, die ihm aber einen minder
vollſtändigen oder minder ſicheren Schutz gewährt, da die
Reſtitution nicht blos gegen die unmittelbare Verminderung
unſres Rechtszuſtandes Schutz gewähren ſoll, ſondern auch
gegen die Verwandlung eines ſicheren Rechts in ein zwei-
felhaftes und ſtreitiges, deſſen endliches Schickſal alſo un-
gewiß iſt (t).
Unmündige und Minderjährige ſind ſehr gewöhnlich in
der Lage, Verletzungen ſowohl durch Reſtitution, als durch
die actio tutelae gegen den Vormund abwenden zu können.
Man könnte daher glauben, in ſolchen Fällen wäre die
Reſtitution durch das ordentliche Rechtsmittel der Klage
ausgeſchloſſen. Es iſt aber ausdrücklich vorgeſchrieben, daß
ſie nicht nur zwiſchen beiden Schutzmitteln unbedingt die
Wahl haben, ſondern ſelbſt die einmal getroffene Wahl
hinterher willkürlich umändern können (u). Dieſes iſt auch
(t) Burchardi S. 107. —
Dahin gehört die L. 16 §. 2 de
min. (4. 4), deren Erklärung ſehr
beſtritten iſt. Vgl. o. B. 3 S. 463,
und Burchardi S. 102. S. oben
§. 318 Note g.
(u) L. 45 § 1 de min. (4. 4),
L. 3. 5 C. si tutor (2. 25). —
Nicht ſteht mit dieſen Stellen im
Widerſpruch L. 39 §. 1 de min.
(4. 4), welche am Schluß die
Zahlungsfähigkeit der Curatoren
|0167 : 145|
§. 321. Bedingungen der Reſtitution. II. Ausnahmen.
keinesweges eine Abweichung von den eben dargeſtellten
Vorſchriften (v), ſondern vielmehr eine reine, einfache An-
wendung derſelben. Denn die actio tutelae iſt bedingt
durch den Beweis einer eigenthümlichen Verſchuldung des
Vormundes (w), deſſen Führung ſtets unſicher iſt, und
wodurch alſo der Erfolg dieſer Klage weit unſicherer wird,
als der Erfolg der Reſtitution.
§. 322.
Reſtitution. — Einzelne Gründe. — I. Minderjährigkeit.
Nachdem die allgemeinen Bedingungen der Reſtitution
angegeben worden ſind, ſollen nunmehr die beſonderen
Arten derſelben dargeſtellt werden, deren Zuſammenhang
mit den einzelnen Reſtitutionsgründen ſchon oben (§ 320)
bemerkt worden iſt.
An die Spitze dieſer einzelnen Reſtitutionsgründe ſtelle
ich die Minderjährigkeit, weil in ihr das ganze Inſtitut
gar nicht als Grund und Be-
dingung der vorhergehenden Ent-
ſcheidung angiebt. Auch geht
dieſe Entſcheidung ſelbſt gar nicht
auf Verſagung der Reſtitution,
ſondern auf Zulaſſung derſelben,
nur unter Vorausſetzung der Er-
ſtattung der Auslagen an den
Gegner. Ohne dieſe Erſtattung
aber erhielte ja der Minderjährige
eine Bereicherung auf fremde Koſten,
wozu die Reſtitution niemals führen
ſoll, ſ. o. §. 318 Note h.
(v) Manche behaupten mit Un-
recht nicht nur eine ſolche Ab-
weichung, ſondern ſie gehen noch
weiter, indem ſie annehmen, die
Minderjährigen könnten nach dem
neueſten Recht Reſtitution ſuchen
ohne alle Rückſicht auf das Daſeyn
irgend eines ordentlichen Rechts-
ſchutzes. Göſchen Vorleſungen I.
S. 537. 538. 557.
(w) L. 1 pr. de tutelae (27.3),
„praestando dolum, culpam,
et quantam in rebus suis dili-
gentiam.“
VII. 10
|0168 : 146|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
der Reſtitution in größter Vollſtändigkeit und Ausbildung
erſcheint. Auch haben die Römiſchen Juriſten Vieles, das
von ihnen als allgemeines Recht der Reſtitution überhaupt
gedacht war, blos bei Gelegenheit dieſes beſonderen Falles
der Anwendung, als des häufigſten und wichtigſten, vor-
getragen. Es erſcheint dieſe Reſtitution in den verſchie-
denſten Geſtalten, angewendet auf nachtheiliges Thun und
Laſſen jeder Art.
Veranlaſſung zu derſelben gab die ſehr eigenthümliche
Lage der Römiſchen Jugend, indem nach alten Rechts-
grundſätzen Jeder, der nicht unter der väterlichen Gewalt
ſtand, nur bis zur Zeit der Geſchlechtsreife einem Vormund
untergeben war, von dieſer Zeit an aber ſich ſelbſt über-
laſſen, alſo allen Gefahren der Unerfahrenheit und des
jugendlichen Leichtſinns ausgeſetzt blieb. Gegen dieſe Ge-
fahren wurden nun im Laufe der Zeit mancherlei Schutz-
mittel durch Rechtsinſtitute verſucht (a). Zuerſt drohte
die Lex Plätoria Strafen gegen Die, welche den Mündigen,
der noch nicht fünf und zwanzig Jahre zurück gelegt hatte,
unredlich übervortheilen würden, und führte dadurch den
Begriff einer geſetzlich begränzten Zwiſchenzeit zwiſchen der
Pubertät (14 und 12 Jahre) und 25 Jahren ein (b).
(a) Vergl. oben B. 3 § 111,
und Savigny von dem Schutz
der Minderjährigen, Zeitſchrift für
geſchichtl. Rechtswiſſenſchaft B. 10
S. 232 — 297, beſonders S. 258
bis 261.
(b) legitima aetas, minores
(XXV annis) und majores;
Minderjährige, im Gegenſatz der
Unmündigen (die allerdings auch
Minderjährige ſind) und der Voll-
jährigen.
|0169 : 147|
§. 322. Einzelne Reſtitutionsgründe. I. Minderjährigkeit.
Hieran anknüpfend verſprach ſpäter der Prätor den Minder-
jährigen den viel durchgreifenderen Schutz durch Reſtitution
gegen jede Verletzung, die ihnen durch ihr Alter zugezogen
werden könnte; und dieſes Schutzmittel iſt es, welches nun-
mehr genauer dargeſtellt werden ſoll (c). Noch ſpäter
wurde für die Minderjährigen eine allgemeine Curatel zur
Verwaltung ihres Vermögens eingeführt, ähnlich der Tutel
der Unmündigen, dennoch in wichtigen Stücken davon ver-
ſchieden.
Der Grundgedanke dieſer Reſtitution ging alſo dahin,
die Mündigen unter 25 Jahren, die nach altem Rechts-
grundſatz völlig freie Macht über ihr Vermögen hatten,
gegen ſich ſelbſt in Schutz zu nehmen, indem die nachthei-
ligen Folgen ihrer eigenen Handlungen und Unterlaſſungen
durch Reſtitution beſeitigt werden ſollten (d).
Allmälig aber ging man über jenen Grundgedanken weit
hinaus, und geſtattete die Reſtitution der Minderjährigen
auch in Fällen, worin das oben dargeſtellte Bedürfniß durch-
aus nicht vorhanden war.
So wurde dieſe Reſtitution auch den Unmündigen ge-
währt. Zwar für ihre eigenen nachtheiligen Handlungen be-
(c) Die Zeit der Einführung
dieſer Reſtitution iſt ungewiß; ſie
kann aber ſehr alt ſeyn. S. oben
§ 320.
(d) L. 1 pr. de min. (4. 4).
„.. quum inter omnes constet,
fragile esse et infirmum hujus-
modi aetatum consilium, et
multis captionibus suppositum,
multorum insidiis expositum,
auxilium iis Praetor hoc edicto
pollicitus est et adversus cap-
tiones opitulationem.“
10*
|0170 : 148|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
durften Dieſelben niemals einer Reſtitution, indem ſolche
Handlungen ſchon an ſich ſelbſt unwirkſam waren. Allein
gegen die Nachtheile, die ſie durch die Handlungen oder
Unterlaſſungen ihrer Vormünder erlitten, ſollten ſie Re-
ſtitution erhalten (e), obgleich auf dieſen Fall der Grund,
welcher die Reſtitution der Minderjährigen veranlaßt hatte,
ganz und gar nicht paßte. — Auf gleiche Weiſe wurde
auch den mündigen Minderjährigen, deren Vermögen unter
die Verwaltung von Curatoren geſtellt war, Reſtitution
gegen die Handlungen dieſer Curatoren ertheilt (f).
In allen dieſen Fällen alſo war das urſprüngliche Be-
dürfniß einer ſolchen Reſtitution weit überſchritten worden (g);
ja ſeit der allgemeinen Einführung einer Curatel für Min-
derjährige war ein ſolches Bedürfniß überhaupt nur noch
in ſehr beſchränktem Maße übrig geblieben.
Dieſes Letzte aber muß noch in höherem Grade behauptet
werden von dem Standpunkte des heutigen gemeinen Rechts
aus. Zuerſt deswegen, weil jetzt eine und dieſelbe Vor-
mundſchaft vom früheſten Lebensalter an bis zum vollen-
deten fünfundzwanzigſten Jahre fortdauert, mit gleichen
(e) L. 29 pr. § 1, L. 38 pr.,
L. 47 pr. de min. (4. 4). —
L. 2. 3. 5 C. si tutor (2. 25). —
L. 4. 5 C. si adv. rem jud.
(2. 29). — Dieſe Reſtitution be-
zieht ſich nun ſowohl auf die
eigene Verwaltung des Vormundes,
als auf die von demſelben ertheilte
auctoritas.
(f) Beides natürlich nur dann,
wenn der Tutor oder Curator etwas
verſehen hatte, nicht, wenn deſſen
zweckmäßige Handlung zufälligen
Nachtheil herbeiführte (§ 320
Note b). Vergl. Puchta Vor-
leſungen S. 213.
(g) Burchardi S. 260.
|0171 : 149|
§. 322. Einzelne Reſtitutionsgründe. I. Minderjährigkeit.
Befugniſſen, und ohne Unterſcheidung von Tutel und
Curatel (h). Zweitens auch aus dem Grunde, weil nach
dem heutigen Recht der weit ausgedehntere obrigkeitliche
Einfluß auf die Vormundſchaft der Minderjährigen einen
Schutz anderer Art gewährt (i), wodurch der außerordent-
liche Schutz der Reſtitution entbehrlich wird.
Bei unbefangener Erwägung dieſer Umſtände muß man
ſich überzeugen, daß ein innerer Grund des Fortbeſtehens
der Reſtitution der Minderjährigen nicht mehr vorhanden
iſt. Für die Sicherheit derſelben muß vielmehr durch die
Verbeſſerung des Vormundſchaftsrechts geſorgt werden,
worin freilich noch viel zu leiſten übrig bleibt. Höchſtens
könnte daran gedacht werden, die Fälle noch etwas zu er-
weitern, in welchen ſchon das Römiſche Recht die Minder-
jährigen ipso jure von ſolchen Nachtheilen frei erklärte, welche
außerdem bei manchen Verſäumniſſen eintreten (§ 324); eine
eigentliche Reſtitution aber iſt hier gewiß nicht mehr an
ihrer Stelle.
§. 323.
Reſtitution. — Einzelne Gründe. — I. Minderjährigkeit.
(Fortſetzung.)
Für die Anwendung dieſer Reſtitution auf einzelne
Rechtsverhältniſſe muß die allgemeine Bemerkung voraus
(h) Savigny Zeitſchrift B. 10
S. 296. 297.
(i) Dieſer Einfluß ſzeigt ſich
ſowohl in den Beſtellung der Vor-
münder, als in der fortgehenden
Aufſicht auf die Verwaltung, vor-
züglich nach dem beſonderen Recht
einzelner Länder.
|0172 : 150|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
geſchickt werden, daß hier ein noch freieres richterliches Er-
meſſen, als bei den meiſten übrigen Reſtitutionsgründen,
unentbehrlich iſt. Denn bei dieſen (wie bei Zwang, Betrug,
Irrthum) geht ſchon aus ihrem Begriff die Mangelhaftig-
keit des einzelnen Rechtsgeſchäfts hervor, gegen welches
Reſtitution geſucht wird. Nicht ſo bei der Minderjährigkeit,
die nur die allgemeine Möglichkeit mangelhafter Eigen-
ſchaften eines Rechtsgeſchäfts begründet, während das
wirkliche Daſeyn derſelben erſt aus der Prüfung jedes ein-
zelnen Herganges erkannt werden kann (§ 320 Note c).
Allerdings muß, wenn eine Reſtitution wegen Zwang oder
wegen Minderjährigkeit geſucht wird, die Thatſache des
Zwanges eben ſowohl bewieſen werden, als die Thatſache
der Minderjährigkeit. Aus dem erwieſenen Zwang aber
folgt dann die Mangelhaftigkeit des erzwungenen Geſchäfts
von ſelbſt, anſtatt daß aus der erwieſenen Minderjährigkeit
noch gar nicht folgt, daß das Geſchäft ein leichtſinniges,
unüberlegtes, und deshalb mangelhaftes war, wenngleich es
ſich hinterher als nachtheilig in ſeinen Folgen darge-
ſtellt hat.
Die einzelnen Anwendungen aber auf Verhältniſſe des
Sachenrechts, des Obligationenrechts u. ſ. w. ſchließen ſich
ganz an die, ſchon oben (§ 319) zuſammen geſtellten, allge-
meinen Regeln an, welche gerade bei der Minderjährigkeit
vollſtändiger, als bei anderen Reſtitutionsgründen, vorkommen.
Hier ſind alſo nur noch diejenigen Fälle und Verhältniſſe
|0173 : 151|
§. 323. Einz. Reſtitutionsgründe I. Minderjährigkeit. (Fortſ.)
hervorzuheben, in welchen bei der Minderjährigkeit beſon-
dere Beſtimmungen nöthig gefunden worden ſind.
1. Veranlaſſung zur Reſtitution kann unter Anderm der
Empfang einer Zahlung werden, wenn der Empfänger das
empfangene Geld verſchwendet oder verliert, z. B. durch
Diebſtahl (§ 310 Note i). Gegen dieſe Gefahr wurden bei
minderjährigen Gläubigern neben der Reſtitution mancher-
lei Schutzmittel angewendet, namentlich Zahlung an einen
Curator, worauf der Schuldner beſtehen konnte, oder auch
Niederlegung des gezahlten Geldes in einem Tempel. Da-
durch wurde die Gefahr des Verluſtes vermindert, alſo die
Reſtitution meiſt factiſch ausgeſchloſſen; eine unbedingte
Ausſchließung der Reſtitution lag darin nicht (a). Juſtinian
fügte als neues Schutzmittel die Vorſchrift hinzu, daß
Kapitalzahlungen nur in Folge eines, dieſelben geſtattenden,
richterlichen Erkenntniſſes geleiſtet werden ſollten; unter
dieſer Vorausſetzung ſollten ſie recht ſicher vorgenommen
werden können (b). Man hat dieſe Vorſchrift gewöhnlich
als Aenderung des früheren Rechts, und als unbedingte
Ausſchließung der Reſtitution aufgefaßt (c); es iſt aber
dazu kein Grund vorhanden. Vielmehr ſollte durch dieſe
neue Form nur noch mehr Schutz gegen die Gefahr des
Verluſtes verſchafft werden, wodurch dann das Bedürfniß
der Reſtitution von ſelbſt wegfällt (d).
(a) L. 7 § 2 de min. (4. 4),
L. 1 C. si adv. solut. (2. 33).
(b) L. 25 C. de admin. (5. 37),
§ 2 J. quibus alienare (2. 8).
(c) Burchardi S. 248.
(d) Göſchen Vorleſungen I.
S. 557. Eigentlich ſtimmt mit dieſer
Anſicht auch Puchta überein,
|0174 : 152|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
2. Beſonders erwähnt wird der Fall, wenn der Gläu-
biger eines Minderjährigen Pfänder verkauft, die nicht der
Minderjährige ſelbſt, ſondern deſſen Erblaſſer beſtellt hatte.
Gegen dieſen Verkauf ſoll der Minderjährige höchſtens
Klagen gegen den Verkäufer oder gegen die Vormünder
haben können, wenn dazu die Umſtände geeignet ſind; eine
Reſtitution gegen den Käufer ſoll er nicht erhalten, und er
ſoll gegen dieſen überhaupt nur klagen können, wenn derſelbe an
einem unredlichen Verkauf wiſſentlich Theil genommen hat (e).
Man hat dieſe Regel mit Unrecht ſo aufgefaßt, als ob darin
eine poſitive Ausnahme von der Reſtitution der Minderjährigen
enthalten wäre, und zugleich eine Aenderung des früheren
Rechts (f). Eine poſitive Ausnahme iſt es nicht, denn die Reſti-
tution bezieht ſich nur auf Geſchäfte der Minderjährigen oder
ihrer Vertreter; der erwähnte Verkauf aber iſt nicht ein Ge-
ſchäft des Minderjährigen, ſondern des aus eigenem Rechte
handelnden Gläubigers. Auch läßt ſich nicht behaupten, daß
hierin früher ein anderes Recht gegolten haben ſollte (g).
Pandekten § 103 Note i und Vor-
leſungen S. 213. Daß er in Ju-
ſtinian’s Geſetz eine Modification
des älteren Rechts annimmt, ſteht
damit nicht im Widerſpruch, denn
die in dieſem Geſetz vorgeſchriebene
Form war allerdings eine neue
und poſitive Maßregel zur Sicher-
heit.
(e) L. 2 C. si adv. vend.
pign. (2. 37), L. 2 C. de praed.
fisc. (5. 71).
(f) Burchardi S. 229. 249.
250.
(g) Man hat dafür folgende
Stelle des Paulus I. 9 § 8 geltend
machen wollen: „Minor adversus
distractiones eorum pignorum et
fiduciarum, quas pater obliga-
verat, si non ita, ut oportuit, a
creditore distractae sunt, re-
stitui in integrum potest.“
Allein es iſt durchaus nicht nöthig,
dieſe Worte von einem materiell
|0175 : 153|
§. 323. Einz. Reſtitutionsgründe. I. Minderjährigkeit. (Fortſ.)
3. Eine beſondere Rückſicht verdient der Fall, wenn
das minderjährige Alter zuſammentrifft mit einer perſönlichen
Abhängigkeit des Minderjährigen von fremder Gewalt, wenn
alſo die Frage entſteht von der Reſtitution gegen die
Handlung eines minderjährigen Kindes in väterlicher Ge-
walt, oder eines minderjährigen Sklaven.
Für den Fall der väterlichen Gewalt gilt die einfache
und durchgreifende Regel, daß der Minderjährige ſelbſt
gegen alle ihn treffende Nachtheile Reſtitution erhält, der
Vater aber keinen Vortheil davon haben ſoll (h). — Wenn
alſo der Minderjährige Etwas zu erwerben verſäumt oder
ausſchlägt, das nach allgemeinen Grundſätzen durch ihn in
des Vaters Vermögen gekommen wäre, ſo iſt dagegen keine
Reſtitution zuläſſig (i). Anders, wenn derſelbe ein Legat
oder eine Erbeinſetzung ausſchlägt, die ihm nach des Vaters
Tod zufallen ſollten, oder ein rein perſönliches, nicht zum
gewöhnlichen Vermögen gehörendes Recht, wie das Legat
eines jus militiae (k). Eben ſo, wenn er einen Erwerb
unterläßt, der zum castrense peculium gehört haben würde,
oder aus einem ſolchen Etwas veräußert. Wenn Dieſes
nach dem Tode des Minderjährigen an den Vater zurück-
nachtheiligen, zu wohlfeilen Verkauf
zu verſtehen. Das non ita, ut opor-
tuit deutet vielmehr auf die ver-
nachläſſigte Form des Pfandver-
kaufs, und dabei hat das Recht
der Anfechtung keinen Zweifel.
(h) L. 3 § 4, L. 23 de min.
(4. 4).
(i) L. 38 § 1 de min. (4. 4),
(k) L. 3 § 7. 8 de min. (4. 4).
Das jus militiae gehörte zu den
anomaliſchen Rechten auf unmittel-
bare Lebensverſorgung (S. o. B. 2
§ 72).
|0176 : 154|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
fällt, ſo kann auch der Vater die Reſtitution erhalten, wozu
der Sohn berechtigt geweſen wäre, gerade ſo, wie ein eigent-
licher Erbe (welches hier der Vater allerdings nicht iſt)
die Reſtitution ſeines minderjährigen Erblaſſers geltend
machen kann (l).
Wenn eine minderjährige Ehefrau in väterlicher Gewalt
ſteht, ſo hat ſie die Ausſicht, daß bei der Trennung der
Ehe die Dos an ſie zurückfällt; entweder indem alsdann
die väterliche Gewalt ſchon aufgehört hat, oder indem ſie
ihre Mitwirkung zur Dotalklage ſo lange verweigert, bis
der Vater ſtirbt. Wenn ſie aber während der Ehe in eine
Stipulation des Vaters auf Rückgabe der Dos an ihn
einwilligt, ſo verwandelt ſich dadurch das Recht auf die
Dos in eine gewöhnliche Vertragsforderung, wodurch jene
Ausſicht der Frau zerſtört iſt. Daher liegt in der eben
erwähnten Einwilligung eine eventuelle Veräußerung eigener
Vermögensanſprüche, gegen welche Veräußerung die minder-
jährige Frau reſtituirt werden kann (m).
Wenn der in väterlicher Gewalt ſtehende Minderjährige
eine Schuld contrahirt, ſo iſt dadurch ſtets er ſelbſt klagbar
(l) L. 3 § 9. 10 de min. (4. 4)
Dieſe Stelle wird dadurch etwas
undeutlich, daß zuerſt die beſon-
dere Anwendung (aus Pompo-
nius) vorgetragen wird, dann
der allgemeine Grundſatz, wodurch
jene Anwendung erſt Licht erhält.
Cujacius in L. 6 de in int. rest.,
Opp. T. 1 p. 589. — Durch die
Verkennung dieſes ganz ſicheren
logiſchen Zuſammenhangs läßt ſich
Burchardi S. 240 verleiten, dem
Vater an dem gewöhnlichen Pe-
culium ein quaſi-erbſchaftliches
Recht zuzuſchreiben, welches der
Natur deſſelben völlig widerſpricht.
(m) L. 3 § 5 de min. (4. 4).
|0177 : 155|
§. 323. Einz. Reſtitutionsgründe. I. Minderjährigkeit. (Fortſ.)
verpflichtet, ſowohl während der väterlichen Gewalt, als
nach der Auflöſung derſelben (n). Daneben aber kann auch
der Vater verklagt werden; insbeſondere, wenn er Auftrag
zur Uebernahme der Schuld gab, mit der actio quod jussu,
wenn der Sohn ein Peculium hat, mit der actio de
peculio (o). Nach dem oben aufgeſtellten Grundſatz nun
kann der Minderjährige, wenn er aus jener Schuld ver-
klagt wird, Reſtitution verlangen, der Vater kann gegen
die actio quod jussu oder de peculio keine Reſtitution ver-
langen (p).
Im Allgemeinen nun werden dieſe Sätze als richtig anerkannt,
nur wird davon gewöhnlich folgende Ausnahme behauptet.
Wenn der minderjährige Sohn mit Bewilligung des Vaters
ein Darlehn aufnimmt, ſo ſoll gegen die Klage auf dieſe
Schuld auch ſelbſt der Sohn keinen Anſpruch auf Re-
ſtitution haben. Allein dieſe Ausnahme kann nicht als
richtig eingeräumt werden (q).
Weit einfacher ſtellte ſich die zuletzt abgehandelte Frage
bei einem minderjährigen Sklaven. Dieſer war aus ſeinen
(n) S. o. B. 2 S. 54.
(o) L. 1 quod cum eo (14. 5).
(p) L. 3 § 4 de min. (4. 4). —
Nach der älteren Meinung des
Gajus ſollte auch der Vater die
Reſtitution haben, wegen ſeines
Intereſſe an dem Peculium. L. 22
pr. eod. Vgl. Göſchen Vorle-
ſungen I. S. 552. — Auch deutet
Ulpian in der zuerſt angeführten
Stelle darauf hin, daß früher ab-
weichende Meinungen über dieſe
Frage beſtanden.
(q) Die Stellen, woraus man
ſie herleitet, ſind L. 3 § 4 de min.
(4. 4) und L. 2 C. de fil. fam.
min. (2. 23). Die Unterſuchung
dieſer Streitfrage findet ſich in der
Beilage XVIII. am Ende dieſes
Bandes.
|0178 : 156|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Verträgen weder während des Sklavenſtandes, noch nach
der Freilaſſung verpflichtet, hatte alſo dabei gar kein eigenes
Intereſſe und kein Bedürfniß der Reſtitution. War aber
der Herr aus ſolchen Verträgen verpflichtet, ſo hatte er
eben ſo wenig Anſpruch auf Reſtitution, als der Vater
gegen die Verträge des minderjährigen Sohnes (r).
Nur in Einem Fall konnte von der Reſtitution eines
minderjährigen Sklaven die Rede ſeyn, und hier wurde ſie
auch wirklich gegeben. Wenn demſelben die Freiheit als
Fideicommiß angewieſen war, und er ſich wegen dieſes
Fideicommiſſes in ein nachtheiliges Geſchäft einließ, ſo er-
hielt er dagegen Reſtitution (s).
§. 324.
Reſtitution. — Einzelne Gründe. — I. Minderjährigkeit.
(Fortſetzung.)
In mehreren Fällen haben Minderjährige keinen An-
ſpruch auf Reſtitution; dieſe Fälle aber ſind von verſchie-
dener, ja entgegengeſetzter Natur.
Einige derſelben ſind ſo zu denken, daß die Minder-
jährigen die Reſtitution wegen einer durchgreifenderen Rechts-
hülfe nicht bedürfen, indem der Nachtheil, der bei einem
Volljährigen allerdings eintreten würde, den Minderjährigen
ipso jure gar nicht treffen ſoll. — Dahin gehören folgende
Fälle:
(r) L. 3 § 11. L. 4 de min.
(4. 4).
(s) L. 5. de min. (4. 4).
|0179 : 157|
§. 324. Einz. Reſtitutionsgründe. I. Minderjährigkeit. (Fortſ.)
1. Die Verjährung einer dem Minderjährigen zuſtehen-
den Klage, wenn dieſelbe eine kürzere Friſt, als dreißig Jahre,
hat (a).
2. In der Regel entſteht die Mora nur durch Mahnung
des Schuldners. Wenn alſo ein minderjähriger Gläubiger
dieſe Mahnung unterläßt, ſo würde er gegen dieſe Verſäumniß
reſtituirt werden können, er wird es aber nicht, weil ſein
Schuldner ipso jure in Mora iſt (b).
3. Die Veräußerung gewiſſer Arten von Grundſtücken,
wenn ſie ohne obrigkeitliches Decret geſchieht, da dieſelbe
nun an ſich nichtig iſt (c).
Andere Fälle dagegen ſind ſo zu behandeln, daß dem
Minderjährigen gegen eine erlittene Verletzung gar keine
Rechtshülfe, alſo auch nicht die Reſtitution, gewährt werden
ſoll, ſo daß er nun den Schaden unabwendlich zu tragen
hat.
A. Minderjährige können mit zwanzig oder achtzehn
Jahren, je nach der Verſchiedenheit des Geſchlechts, vom
Souverän für volljährig erklärt werden (d). Dieſes hat
zunächſt und hauptſächlich die Folge, daß ſie frei von Vor-
mundſchaft werden, und die eigene Verwaltung ihres Ver-
(a) L. 5 C. in quib. caus.
(2. 41). Gegen die dreißigjährige
Klagverjährung iſt jede Art von
Reſtitution unzuläſſig. S. o. B. 3
S. 421. 425.
(b) L. 3 C. in quib. caus.
(2. 41).
(c) L. 11 C. de praed. (5. 71),
L. 2 C. de fid. min. (2. 24). —
Die Veräußerung mit einem
ſolchen Decret unterliegt nach den-
ſelben Stellen der gewöhnlichen
Reſtitution.
(d) L. 2 C. de his qui. ven.
(2. 45)
|0180 : 158|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
mögens erlangen; deswegen gehört die genauere Darſtellung
dieſes Rechtsinſtituts in die Lehre von der Vormundſchaft.
Hier aber muß die beſondere Folge erwähnt werden, daß
der Minderjährige für ſeine ſpäteren Handlungen keine Re-
ſtitution erhalten ſoll (e). Dieſe Beſtimmung verſteht ſich
nicht von ſelbſt, hat vielmehr eine poſitive Natur, indem
ein ſolcher Minderjähriger auch wohl ſo behandelt werden
könnte, wie wenn er vor der venia aetatis gemeinſchaftlich
mit dem Curator gehandelt hätte, in welchem Fall er ja
auch Reſtitution erhielt. — Gegen die Ertheilung der venia
aetatis aber kann Reſtitution verlangt werden, da das Geſuch
derſelben allerdings noch in die Zeit der reinen, unmodifi-
cirten Minderjährigkeit fällt (f).
B. Wenn ein Rechtsgeſchäft durch Eid beſtärkt, der
Eid aber ſeiner Form nach gültig iſt, ſo ſoll der Minder-
jährige keine Reſtitution dagegen erhalten (g).
C. Der Minderjährige, der ſich unredlicherweiſe für
volljährig ausgiebt, hat keinen Anſpruch auf Reſtitution
gegen das auf dieſe Weiſe eingegangene Rechtsgeſchäft (h).
Dieſe Vorſchrift iſt eine Folge der oben aufgeſtellten allgemei-
neren Regel, nach welcher die Minderjährigen überhaupt
keine Reſtitution erhalten ſollen gegen irgend einen in
Rechtsgeſchäften verübten Betrug (§ 321 Note h).
(e) L. 1 C. eod. Das Verbot
der Veräußerung ohne Decret
(Note c) hört durch die venia
aetatis nicht auf. L. 3 C. eod.
(f) L. 1 C. eod.
(g) S o. § 309 Note g. —
Zur gültigen Form des Eides
gehört die Mündigkeit des ſchwö-
renden Minderjährigen, ſo wie die
Abweſenheit des Zwanges.
(h) L. 2. 3 C. si minor.
(2. 43).
|0181 : 159|
§. 324. Einz. Reſtitutionsgründe. I. Minderjährigkeit. (Fortſ.)
Der bloße Irrthum des Gegners über das Alter des
Minderjährigen, ſelbſt wenn deſſen eigener Irrthum hinzu-
tritt, iſt kein Hinderniß der Reſtitution (i). Hat aber der
Minderjährige ſeine Volljährigkeit aus Irrthum eidlich be-
ſtätigt, ſo iſt die Reſtitution unzuläſſig (k).
D. Gegen die Klagverjährung von dreißig oder mehr
Jahren wird auch dem Minderjährigen keine Reſtitution
gegeben (Note a).
Ganz unrichtig wäre die Annahme, daß die Reſtitution
der Minderjährigen ausgeſchloſſen werde durch die obrigkeit-
liche Beſtätigung eines Rechtsgeſchäfts. Allerdings wird
dadurch in den meiſten Fällen factiſch die Reſtitution aus-
geſchloſſen ſeyn, weil es an einer, aus den Mängeln des
jugendlichen Alters entſtandenen Verletzung fehlen wird (l).
Allein grundſätzlich iſt die obrigkeitliche Beſtätigung kein
Hinderniß der Reſtitution. Dafür beweiſt die zuläſſige Re-
ſtitution gegen den Verkauf eines Grundſtücks mit obrig-
keitlicher Genehmigung (Note c), eben ſo gegen die venia
aetatis (Note f), und gegen den Empfang einer Zahlung
in Folge eines richterlichen Erkenntniſſes (§ 323 Note d).
(i) L. 1. 3. 4 C. si minor.
(2. 43).
(k) Dieſes iſt jetzt eine Folge
der unter B. angegebenen allge-
meinen Ausnahme. Früher wurde
ſo unterſchieden: der mündliche Eid
über die Volljährigkeit ſollte die
Reſtitution gänzlich ausſchließen,
der ſchriftliche nur mit Vorbehalt
eines durch Urkunden (nicht durch
Zeugen) zu führenden Beweiſes
der Minderjährigkeit. L. 3 C. si
minor. (2. 43).
(l) So iſt zu verſtehen L. 7
§ 2 de min. (4. 4).
|0182 : 160|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung
Die Reſtitution der Minderjährigen iſt ſpäterhin auf
folgende andere Fälle geſetzlich ausgedehnt worden.
Zuerſt haben die respublicae dieſes wichtige Recht er-
halten (m), d. h. alle politiſche Corporationen, Stadtge-
meinden jeder Art, und nach unſerer Verfaſſung gewiß auch
alle Dorfgemeinden (n).
Dann iſt daſſelbe Recht auch den kirchlichen Corpora-
tionen gegeben worden, den Kirchen und Klöſtern (o).
Viele Schriftſteller behaupten nun aber noch viele andere,
eben ſo wichtige als bedenkliche Ausdehnungen. Die Re-
ſtitution der Minderjährigen ſoll nämlich auch geſtattet
werden allen Corporationen überhaupt, namentlich der
wichtigſten unter allen, dem Fiscus. Ferner den Wahn-
ſinnigen, Verſchwendern und anderen bevormundeten Per-
ſonen. Dieſe Meinung hat auch in der Praxis häufig
Eingang gefunden (p). Dabei liegt die abſtracte Be-
hauptung zum Grunde, daß die Reſtitution der Minder-
jährigen allen Denen gebühre, deren Angelegenheiten von
(m) L. 4 C. quib. ex caus.
(2. 54). „Respublica minorum
jure uti solet: ideoque auxi-
lium restitutionis implorare
potest. Vgl. L. 9 de appell.
(49 1), L. 3 C de j. reip. (11. 29),
L. 1 C. de off. ejus (1, 50). —
Burchardi S. 257.
(n) Burchardi S. 261.
(o) Kirchen. C. 1. 3 X. de in
int. rest. (1. 41). — Klöſter. C. 6
eod., C. 11 X. de reb. eccl. (3. 13).
(p) Glück B. 6 § 465, die
daſelbſt und bei Burchardi S.
259. 263 angeführten Schriftſteller.
Göſchen § 188 und Puchta
§ 103 u. erzählen blos die häufige
Praxis, ohne ſich ſelbſt über die
Sache auszuſprechen. Burchardi
a. a. O. erklärt ſich entſchieden
dagegen.
|0183 : 161|
§. 324. Einz. Reſtitutionsgründe. I. Minderjährigkeit. (Fortſ.)
fremden Händen verwaltet werden. Erwägt man aber,
daß die Reſtitution der Minderjährigen eingeführt war für
deren eigene Handlungen, und daß ſchon die Ausdehnung
auf die Handlungen ihrer Stellvertreter weder beſonders
begründet, noch in ihren Folgen heilſam war (§. 322), ſo
wird man um ſo mehr geneigt ſeyn müſſen, jede weitere
Ausdehnung zu verwerfen. Die Ausdehnung auf die poli-
tiſchen und kirchlichen Corporationen war eine beſondere
Begünſtigung, ein Privilegium, deſſen Anwendung auf
andere Fälle im Wege bloßer Abſtraction völlig unzuläſſig
iſt. Die auf ſo irriger Theorie beruhende häufige Praxis
iſt denn auch nicht dazu geeignet, den erwähnten Rechtsſatz
zu begründen.
Die erwähnten Zuſtände der Corporationen, der Wahn-
ſinnigen, der Verſchwender, haben mehr wahre Analogie
mit dem Zuſtand der Abweſenden, als der Minderjährigen.
Bei der Reſtitution der Abweſenden werden wir darauf
zurück kommen (q), und da dieſe überhaupt in weit engere
Grenzen der Anwendung eingeſchloſſen iſt, ſo iſt auch die
Ausdehnung derſelben weniger bedenklich.
§. 325.
Reſtitution. — Einzelne Gründe. — II. Abweſenheit.
Die Hauptregeln, worauf dieſer, ſehr verſchiedenartige
Fälle umfaſſende, Reſtitutionsgrund beruht, ſind folgende:
(q) S. unten am Ende des § 328.
VII. 11
|0184 : 162|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
I. Wer während ſeiner Abweſenheit Etwas unterläßt,
und dadurch einen Verluſt an Rechten erleidet, ſoll dagegen
Reſtitution erhalten.
II. Wer wegen der Abweſenheit eines Andern Etwas
unterläßt, und dadurch ſelbſt einen Verluſt an Rechten er-
leidet, ſoll dagegen Reſtitution erhalten (a).
Die hier genannten Fälle ſind aber erweitert worden
durch die gleichartige Behandlung vieler anderen ähnlichen
Zuſtände. Einige dieſer Zuſtände wurden ſchon vom Prätor
im Edict unmittelbar namhaft gemacht. Andere wurden
durch die Juriſten oder die Praxis der Gerichte hinzugefügt,
fanden jedoch ihre Begründung ſchon in einer allgemeinen,
auf ſolche Erweiterungen hindeutenden Clauſel deſſelben
Edicts. — Ich habe den Ausdruck: Abweſenheit als
gemeinſame Bezeichnung aller dieſer Fälle gewählt, weil
gerade der Fall der Abweſenheit im Edict vorangeſtellt iſt,
und auch in der That den Grundbegriff bildet, an welchen
ſich die übrigen Fälle nach dem Geſetz der Analogie an-
ſchließen. Ganz eben ſo bezeichnen auch Ulpian und
Paulus dieſen Fall der Reſtitution allgemein als absen-
tia (b). Andere Stellen der Römiſchen Juriſten erwähnen
dieſe ganze Art der Reſtitution nicht ſelten als restitutio
(a) Dieſelbe Zuſammenſtellung
beider Hauptklaſſen von Fällen
findet ſich in zwei Stellen des
Ulpian: L. 1 pr. L. 21 pr. ex
qu. c. (4. 6).
(b) L. 1 de in int. rest.
(4. 1), Paulus I. 7 § 2.
|0185 : 163|
§. 325. Einzelne Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit.
majorum, und auch der Digeſtentitel, der davon handelt,
führt die allgemeine Ueberſchrift: ex quibus causis majores
XXV annis in integrum restituuntur. Hiernach möchte
man glauben, es habe überhaupt außer der Reſtitution der
Minderjährigen nur noch dieſe einzige Art der Reſtitution
gegeben, da doch auch die Reſtitutionen wegen Zwang, Betrug
und Irrthum ohne Rückſicht auf das Alter ertheilt wurden,
und daher eben ſo, wie die der Abweſenden, als restitutiones
majorum bezeichnet werden konnten. Es erklärt ſich dieſe
Ausdrucksweiſe aus dem Umſtand, daß zur Zeit der alten
Juriſten, aus deren Schriften die Digeſten größtentheils
entſtanden ſind, die drei anderen eben genannten Fälle in
der Lehre von der Reſtitution ſo ſehr im Hintergrund
ſtanden (§ 320), daß man bei einer Ueberſicht dieſes In-
ſtituts im Großen füglich die Minderjährigkeit und die Ab-
weſenheit als die einzigen erheblichen Fälle der Anwendung
in’s Auge faſſen durfte (c).
Dieſe Art der Reſtitution iſt, ihrer Natur nach, ſehr
viel beſchränkter, als die der Minderjährigkeit, indem dieſe
letzte auf ſchädliches Thun und Laſſen zugleich, und zwar
vorzugsweiſe auf nachtheilige Rechtsgeſchäfte, gerichtet iſt,
anſtatt daß jene allein auf ſchädliche Unterlaſſungen An-
wendung findet.
(c) Burchardi S. 148 erklärt
dieſe Ausdrucksweiſe alter Juriſten
gerade umgekehrt daraus, daß An-
fangs und lange Zeit hindurch
Abweſenheit und Minderjährigkeit
die einzigen Reſtitutionsgründe ge-
weſen ſeyn ſollen.
11*
|0186 : 164|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Das Edict über dieſe Reſtitution iſt uns ausführlich
in den Digeſten aufbewahrt (d). Das Verſtändniß deſſelben
wird erſchwert durch manche fehlerhafte Leſeart, noch mehr
aber durch die verſchlungene Conſtruction eines einzigen ſehr
langen Satzes, welcher ſich in drei einzelne Sätze auflöſen
läßt, die jedoch durch gemeinſame Schlußworte zuſammen
gehalten werden. Der erſte dieſer drei Sätze enthält den
Schutz der Abweſenden, der zweite den Schutz gegen die
Abweſenden, der dritte die auf beide Fälle gemeinſchaftlich
zu beziehende generalis clausula. Hinter den beiden erſten
Sätzen ſtehen die für beide gemeinſchaftlich geltenden Worte:
earum rerum actionem intra annum, quo primum de ea
re experiundi potestas erit. Hinter dem dritten Satze
endlich ſtehen die für alle geltenden Worte: in integrum
restituam, wodurch zuerſt ein abgeſchloſſener Sinn der
ganzen Stelle entſteht. Auf dieſe Worte endlich folgt noch
eine Einſchränkung, die blos auf die generalis clausula zu
beziehen iſt.
Nach dieſer Ueberſicht über die Anordnung der ganzen
Stelle will ich die drei einzelnen Sätze derſelben angeben:
(d) L. 1 § 1 ex quib. caus.
(4. 6). Mehrere einzelne Stücke
daraus werden nachher wiederholt
und beſonders erklärt. — Mit
Unrecht behauptet Burchardi
(ſ. o. § 320 Note l), wir hätten
hier eine neuere, von der urſprüng-
lichen völlig verſchiedene, Abfaſſung
vor uns. Das Edict kann, ſo wie
wir es jetzt leſen, ſehr alt ſeyn,
ja aus der Zeit der Republik her-
rühren, wenngleich vielleicht die
in der letzten Zeile erwähnten
decreta principum ſpäter einge-
ſchaltet ſeyn mögen.
|0187 : 165|
§. 325. Einzelne Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit.
1. Si cujus quid de bonis deminutum erit (e), cum is
metu, aut sine dolo malo reipublicae causa abesset;
inve vinculis, servitute (f), hostiumque potestate
esset; sive cujus actionis eorum cui dies exisse
dicetur (g).
2. Item si quis quid usu suum fecisse (h), aut, quod
non utendo sit amissum (i) consecutus esse, actio-
neve qua solutus ob id, quod dies ejus exierit, cum
absens non defenderetur, inve vinculis esset, secumve
agendi potestatem non faceret; aut cum eum invitum
in jus vocare non liceret neque defenderetur, cumve
(e) Die Worte deminutum erit
fehlen in der Florentina, ſtehen
aber in alten Ausgaben und Hſſ.
(diminutum, diminutum est,
oder erit) und ſind für den Sinn
des Satzes ganz unentbehrlich.
Sie bezeichnen den einen Fall des
möglichen Verluſtes durch Ent-
ziehung des Eigenthums, z. B.
durch Uſucapion, im Gegenſatz
des anderen Falles, der in den
Schlußworten ſteht, nämlich des
Verluſtes eines Klagerechts durch
Verjährung.
(f) Dieſe beiden Fälle (vin-
cula und servitus) gehen nicht
auf Abweſenheit, wohl aber auf
Zuſtände, die eben ſo, wie Ab-
weſenheit, unfähig machen, den
Schaden abzuwenden.
(g) Hier müſſen nun die ſpä-
teren, gemeinſamen Worte hinzu
gedacht werden: earum rerum
actionem etc. .. in integrum
restituam.
(h) Die Florentina lieſt hier
fecisset; Halvander’s Leſeart
fecisse empfiehlt ſich durch die
Einfachheit der Conſtruction, in-
dem dazu das unmittelbar vorher-
gehende dicetur hinzu zu denken
iſt, ſo wie zu dem nachfolgenden
consecutus esse, und solutus
(esse), ſo daß ein neuer Satz
erſt anfängt mit den Worten: aut
cum eum invitum, welcher ſchließt
mit dem nachfolgenden esse dice-
tur.
(i) Das Florentiniſche amisit
iſt ganz unhaltbar, weil dadurch
der Gewinnende und der Ver-
lierende vermengt werden. Die
Leſeart sit amissum (Hal. amis-
sum sit) wird beſtätigt durch
L. 21 pr. eod.
|0188 : 166|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
magistratus de ea re appellatus esset, sive cui per
magistratus (k) sine dolo ipsius actio exemta esse
dicetur (l); earum rerum actionem intra annum, quo
primum de ea re experiundi potestas erit;
3. Item si qua alia mihi justa causa esse videbitur, in
integrum restituam (m); quod ejus per leges, plebis
scita, Senatusconsulta, Edicta, Decreta principum
licebit (n).
Bei der Erklärung des Einzelnen werde ich zuerſt die
ſehr verſchiedenen Fälle des Reſtitutionsgrundes angeben,
dann die Arten der Verletzung, die hier abgewendet werden
ſollen. Unter den Fällen des Reſtitutionsgrundes aber iſt
es nöthig, die Ordnung umzukehren, und zuerſt von der
generalis clausula, dann von den zwei voranſtehenden, be-
ſonders angegebenen Fällen zu reden.
Die generalis clausula (o) hat in den oben angegebenen
(k) Das Florentiniſche pro
magistratu iſt ohne Sinn. Halo-
ander’s per magistratus wird
beſtätigt durch L. 26 § 4 eod.
(l) Dieſe Worte regieren den
vorhergehenden Theil der Stelle
von den Worten aut cum eum
an (Note h).
(m) Die Worte: in integrum
restituam umfaſſen die ganze vor-
hergehende Stelle in ihren drei
Theilen. Dieſer wörtliche Zu-
ſammenhang wird verkannt von
Schröter S. 100. 109, deſſen
Erklärung nur möglich wäre, wenn
hinter den vorhergehenden Worten
experiundi potestas erit ein
dabo ſtände, das aber nicht
daſteht.
(n) Dieſe Einſchränkung geht
wohl blos auf die unbeſtimmte,
und daher ſehr umfaſſende clau-
sula, mit welcher ſie wörtlich
allein in Verbindung ſteht. Der
Inhalt verſteht ſich von ſelbſt, und
iſt auch wahr für die vorhergehen-
den Sätze.
(o) Der Name generalis clau-
sula, oder auch blos clausula,
ſteht in L. 26 § 1. 9. L. 33 pr.
ex qu. c. (4. 6).
|0189 : 167|
§. 325. Einzelne Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit.
Worten des Edicts einen ſo allgemeinen Ausdruck erhalten,
daß dadurch viele neuere Schriftſteller verleitet worden ſind,
in dieſelbe den allgemeinen, völlig ſchrankenloſen Vorbehalt
zu legen, der Prätor wolle überall reſtituiren, wo es ihm
überhaupt gut dünke. Dieſe Auslegung hat in der neueren
Praxis zu einer ſehr verderblichen Willkür geführt. Sie
muß aber durchaus verworfen werden, indem jene Worte
nach ihrer wörtlichen Verbindung keinen anderen Sinn zu-
laſſen, als daß der Prätor, außer in den ausdrücklich ge-
nannten Fällen der Abweſenheit u. ſ. w., auch in anderen
Fällen reſtituiren wolle, wenn er dieſelben verwandt, gleich-
artig fände. Es war alſo blos der Vorbehalt einer Er-
weiterung der vorſtehenden Caſuiſtik nach dem Geſetz einer
wahren, ächten Analogie. Gerade ſo haben auch ſchon die
alten Juriſten in ihren Commentaren zum Edict jene Stelle
aufgefaßt (p).
Verſuchen wir nun, aus den ſehr zahlreichen einzelnen
Anwendungen, in welchen uns dieſer Reſtitutionsgrund vor-
geführt wird, welchen wir blos der Kürze wegen mit dem
Ausdruck Abweſenheit bezeichnen, auf dem Wege beſon-
nener Abſtraction einen allgemeinen Begriff deſſelben zu
bilden. Wir werden dieſen Begriff dahin zu beſtimmen
haben, daß dieſe Reſtitution überall ertheilt werde, wo ſich
der Verluſt eines Rechts dadurch ereignet, daß der Berech-
tigte durch ein äußeres Hinderniß abgehalten wird, die
(p) Vgl. die in der vorhergehenden Note angeführten Stellen.
|0190 : 168|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Handlungen vorzunehmen, wodurch er den Verluſt verhütet
haben würde (q). Die Abweſenheit des Berechtigten ſelbſt,
ſo wie die Abweſenheit des Gegners, an welchen der Be-
rechtigte das Recht verliert, ſind Hauptfälle, worin ein
ſolches äußeres Hinderniß enthalten ſeyn kann; ganz auf
gleicher Linie ſtehen viele andere Fälle, die mit der Ab-
weſenheit mehr oder weniger Aehnlichkeit haben.
Nachdem hierdurch der allgemeine Begriff dieſes ganzen
Reſtitutionsgrundes feſtgeſtellt worden iſt, ſind zunächſt die
einzelnen Fälle der Anwendung beſonders zu betrachten.
Dieſe laſſen ſich, nach der eben beendigten Erörterung über
die generalis clausula, auf zwei Klaſſen zurück führen:
Schutz der Abweſenden gegen andere
Perſonen.
Schutz anderer Perſonen gegen die Ab-
weſenden.
Jeder dieſer Klaſſen werden zugleich diejenigen Fälle
der generalis clausula zuzutheilen ſeyn, die bei den Römiſchen
Juriſten überhaupt zur Sprache gebracht worden ſind.
(q) So iſt der Begriff bereits
richtig beſtimmt worden von fol-
genden Schriftſtellern. Burchardi
S. 152. 183. 191, Franke Bei-
träge S. 73, Göſchen Vor-
leſungen I. § 193.
|0191 : 169|
§. 326. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)
§. 326.
Reſtitution. — Einzelne Gründe. — II. Abweſenheit.
(Fortſetzung.)
Schutz der Abweſenden gegen andere
Perſonen.
Zuerſt ſind die im Edict genannten einzelnen Fälle zu-
ſammen zu ſtellen; dieſen werden die aus der generalis
clausula entnommenen Fälle anzureihen ſeyn.
I. Metu absentes(a).
Damit ſind Diejenigen gemeint, die ſich von ihrem
Wohnorte entfernt haben aus Furcht vor einem ernſten,
wichtigen Uebel, und zwar aus einer wohlbegründeten Furcht.
Die näheren Beſtimmungen dieſes Falles ſind ohne Be-
denken zu entnehmen aus den, für die actio quod metus
causa genauer entwickelten Regeln.
II. Reipublicae causa sine dolo malo absentes(b).
Dieſes wird als der Hauptfall der ganzen Klaſſe gedacht,
und mag wohl den erſten Anlaß zur Aufſtellung dieſes
ganzen Edicts gegeben haben.
Unter respublica wird in den meiſten anderen Rechts-
regeln eine Stadtgemeinde verſtanden, oft gerade im Gegen-
ſatz des Römiſchen Staats. Hier heißt es aber ganz be-
ſtimmt der Römiſche Staat, und zwar der Staat in ſeinem
alten, reinen Begriff, ſo daß einestheils die Stadt-
(a) L. 1 § 1. L. 2 § 1. L. 3
ex q. c. (4. 6).
(b) L. 1 § 1 cit.
|0192 : 170|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
gemeinden (c), anderntheils die der neuen kaiſerlichen Ge-
walt eigenthümlichen Stücke öffentlicher Thätigkeit (d),
eigentlich nicht unter jenem Ausdruck begriffen waren, wohl
aber allerdings als natürliche und billige Erweiterungen,
in Folge der generalis clausula, in dieſe Reſtitution mit
aufgenommen wurden.
Hauptſächlich waren hier gemeint die im Dienſt befind-
lichen Soldaten (e); eben ſo aber auch Civilbeamten aller
Art (f), vorausgeſetzt, daß dieſe nicht gerade in Rom ſelbſt
ihr Amt zu führen hatten, welches ihnen nicht als Ab-
weſenheit angerechnet werden ſollte (g).
Der Prätor hatte ausdrücklich ausgeſchloſſen Diejenigen,
die dolo malo im Staatsdienſt abweſend wären, d. h. die
dieſen Grund blos als Vorwand brauchten, während ſie in
der That dadurch nicht abgehalten waren, ihre eigenen
Rechte wahrzunehmen (h). — Die alten Juriſten aber
ſuchten außerdem genau zu beſtimmen, mit welchen Zeit-
punkten die Abweſenheit anfinge und aufhörte, die den
(c) L. 26 §. 9 eod.
(d) So der fisci patronus.
L. 33 pr. eod. — Eben ſo die
verſchiedenen Arten der procura-
tores Caesaris. L. 35 §. 2 eod.
(e) L. 45 eod.
(f) Nähere Beſtimmungen der
dahin zu rechnenden Perſonen finden
ſich in folgenden Stellen: L. 33.
§ 1. 2, L. 34 §. 1, L. 35 pr.
§ 3 — 6, L. 38 pr. eod.
(g) L. 5 §. 1. L. 6 eod. —
Die zur Garniſon der Stadt Rom
gehörenden Soldaten ſollten da-
gegen den Vortheil der Abweſen-
den allerdings genießen. L. 7 eod.
(h) L. 1 § 1, L. 4, L. 5 pr.
L. 36. eod.
|0193 : 171|
§. 326. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)
Beamten und Soldaten Anſpruch auf Reſtitution zu geben
geeignet wäre (i).
III. Qui in vinculis sunt(k).
Es ſind damit alle ihrer Freiheit Beraubte gemeint,
ohne Unterſchied, ob ſie gefeſſelt oder blos eingeſperrt ſind,
ob ſie vom Staat, von einer Stadtbehörde, von mächtigen
Privatperſonen, oder von Räubern gefangen gehalten
werden. Dieſe Alle bedurften einer beſonderen Erwähnung,
weil ſie gerade an ihrem Wohnorte gefangen ſeyn können,
in welchem ſie, ohne abweſend zu ſeyn, gerade ſo, wie Ab-
weſende, außer Stand ſeyn können, für die Wahrnehmung
ihrer Rechte ſelbſt zu ſorgen.
IV. Qui in servitute sunt(l).
Dahin gehören diejenigen freien Menſchen, die that-
ſächlich im Zuſtand von Sklaven leben, ſey es, daß dieſer
Zuſtand auf bloßer ungerechter Willkür, oder auf einem
Irrthum über ihre Freiheit beruht. Auch Dieſe bedurften
aus demſelben Grund, wie die vorher erwähnten, einer
beſondern Erwähnung.
V. Qui in hostium potestate sunt(m).
Dabei iſt nicht gerade an kriegsgefangene Soldaten zu
denken, weil dieſe vor der Gefangenſchaft im Heere dienten,
alſo ſchon vorher als reipublicae causa absentes unmittelbar
unter dem Ausdruck des Edicts enthalten waren. Vielmehr
(i) L. 32, L. 34 pr., L. 35
§ 7. 8. 9, L. 37, L. 38 § 1 eod.
(k) L. 1 § 1, L. 9. 10 eod.
(l) L. 1 § 1, L. 11. 12. 13
eod.
(m) L. 14, L. 15 pr. § 1 eod.
|0194 : 172|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
bezieht ſich das hauptſächliche Bedürfniß dieſer beſondern
Erwähnung auf Civilperſonen, die bei einem feindlichen
Einfall in das Römiſche Gebiet von den Feinden in Ge-
fangenſchaft abgeführt wurden.
Neben dieſen, im Edict genannten Fällen werden nun
noch folgende Fälle von den Römiſchen Juriſten, in An-
wendung der generalis clausula (einige mit namentlicher
Erwähnung derſelben), anerkannt.
1. Die Ehefrauen der Soldaten, die mit ihren Männern
die Abweſenheit theilen (n). Man muß Dieſes eben ſo
ausdehnen auf die übrigen Familienglieder, ſo wie auf die
Familien der dem Civilſtand angehörenden Staatsdiener.
2. Die von Stadtgemeinden an den Kaiſer oder zur
Beſorgung von Stadtgeſchäften abgeordneten Perſonen
(legati civitatum) (o).
3. Die Procuratoren des Kaiſers und die fiscaliſchen
Anwälte (Note d).
4. Die, welche ihren Wohnort zum Zweck wiſſenſchaft-
licher Ausbildung (studiorum causa) verlaſſen (p).
5. Wer durch Vertrag verſprochen, und durch Bürgen
verſichert hat, einen beſtimmten Ort außerhalb ſeines Wohn-
ſitzes nicht zu verlaſſen (q).
(n) L. 1. 2 C. de ux. mil.
(2. 52).
(o) L. 8, L. 26 § 9, L. 35 § 1
L. 42 ex qu. c. (4. 6), L. 1 C.
eod. (2. 54).
(p) L. 28 pr. eod.
(q) L. 28 § 1 eod.
|0195 : 173|
§. 326. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)
6. Wer zur Strafe an einen fremden Ort verbannt
iſt (r).
7. Ungeborne Kinder (s), welche allerdings in der Lage
einer beſonderen Schutzbedürftigkeit ſeyn können, indem
ihnen eine Erbſchaft bereits angefallen ſeyn kann, während
ſie noch keinen Tutor haben.
8. Der Inhaber einer Servitut, der ſie durch Nicht-
gebrauch verliert, weil eine Quelle zeitweiſe ausgetrocknet,
oder ein Weg durch Ueberſchwemmung zeitweiſe unbrauch-
bar geworden iſt; eben ſo, wenn dadurch der poſſeſſoriſche
Schutz einer ſolchen Servitut verloren geht (t).
9. Wenn der Teſtamentserbe ein erbſchaftliches Recht
dadurch verliert, daß er aus Gehorſam gegen das Sc. Sila-
nianum das Teſtament eine Zeit lang uneröffnet läßt (u).
§ 327.
Reſtitution. — Einzelne Gründe. — II. Abweſenheit.
(Fortſetzung.)
Bei der hier abgehandelten Klaſſe von Reſtitutions-
fällen kommen zwei Streitfragen vor, die eine beſondere
Erörterung nöthig machen.
(r) Dieſes konnten relegati
ſeyn (die ihr Vermögen behalten),
oder deportati (die es in der
Regel verlieren). L. 26 § 1, L. 40
§ 1 eod. Von den erſten wird
geſagt, daß ſie nur ex causa die
Reſtitution erhalten; von den
zweiten, daß ſie dieſelbe nur er-
halten, wenn ihnen ausnahms-
weiſe ihr Vermögen nicht entzogen
iſt, und nur nach erhaltener Be-
gnadigung.
(s) L. 45 pr. eod.
(t) L. 34 § 1, L. 35 de serv.
pr. rust. (8. 3), L. 14 pr. quem-
adm, serv. (8. 6), L. 1 § 9 de
itin. (43. 19).
(u) L. 3 § 30. 31 de Sc. Silan.
(29. 5).
|0196 : 174|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Die erſte dieſer Streitfragen betrifft lediglich die Fälle
der eigentlichen Abweſenheit. — Wenn man auf die Urſache
derſelben zurückgeht, ſo finden ſich dabei zwei Gegenſätze.
Die Abweſenheit kann nothwendig oder willkürlich, ſie kann
löblich oder unlöblich ſeyn, wobei allerdings auch noch
das Gleichgültige, als in der Mitte liegend, in Betracht
kommt.
Bei dem Hauptfall nun, der dem ganzen Inſtitut zum
Grunde liegt, der Abweſenheit im Staatsdienſt, ſind wir
über die Anwendung jener Gegenſätze nicht zweifelhaft;
hier findet ſich Nothwendigkeit und Löblichkeit vereinigt.
Dieſes könnte leicht auf den Gedanken führen, daß nur
unter dieſer Vorausſetzung auch andere Fälle auf Reſtitution
Anſpruch haben könnten. Eine ſcheinbare Unterſtützung
findet ſich in manchen Aeußerungen der alten Juriſten, die
bald auf die Nothwendigkeit (a), bald auf die Löblichkeit (b),
einen beſondern Werth legen. Nun ſoll aber doch eine
Reſtitution gelten für die zur Strafe Verbannten (§ 326
Note r), deren Abweſenheit durch ein Verbrechen, alſo
durch eine höchſt unlöbliche Urſache, veranlaßt iſt.
Dieſer letzte Umſtand könnte dann etwa zu der Aus-
kunft führen, daß für die nothwendige Abweſenheit unbe-
dingt, für die willkürliche nur, wenn ſie zugleich löblich
(a) L. 26 § 9 ex q. c. (4. 6).
„Et generaliter, quotiescunque
quis ex necessitate, non ex
voluntate abfuit, dici oportet,
ei subveniendum.“
(b) L. 28 pr. eod. „Nec non
et si quis de causa probabili
abfuerit … puta studiorum
causa … ne decipiatur per
justissimam absentiae causam.“
|0197 : 175|
§. 327. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)
wäre, Reſtitution zu geben ſeyn möchte. Allein auch in
dieſem Verſuch iſt keine wahre Befriedigung zu finden.
Denn wo iſt die Gränze des Löblichen? Der beſondere
Glanz, der auf der Reiſe zur wiſſenſchaftlichen Ausbildung
liegt (Note b), verſchwindet ſchon bei gewerblichen Reiſen,
denen doch auch der Anſpruch auf Reſtitution nicht verſagt
wird (c), und ſelbſt bei einer bloßen Luſtreiſe können zu-
gleich Bildungszwecke verfolgt werden. Dann müßte man
alſo neben den löblichen Urſachen mindeſtens auch die gleich-
gültigen zulaſſen, und dann wäre durch die ganze Unter-
ſcheidung Nichts gewonnen, als die Ausſchließung der will-
kürlichen Abweſenheit aus entſchieden unlöblichen Urſachen,
z. B. wenn Jemand große Reiſen unternähme, um zu ſtehlen,
zu betrügen, oder als gewerbmäßiger Spieler. Die Fälle
nun, worin ſolche Beweggründe bewieſen werden können,
ſind allerdings denkbar, werden aber ſo ſelten vorkommen,
daß die ganze Unterſcheidung in dieſer Begränzung völlig
ohne praktiſchen Werth ſeyn würde.
Wenn wir dieſe Umſtände unbefangen erwägen, ſo
werden wir geneigt ſeyn, die Rückſicht auf jene Gegenſätze
in den denkbaren Urſachen der Abweſenheit völlig aufzu-
geben. Die angeführten Stellen der alten Juriſten (Note a. b)
ſtehen dann in Verbindung mit der willkürlichen Natur
dieſes ganzen Rechtsinſtituts. Sie wollen alſo nur ſagen,
der Prätor werde den Abweſenden aus der generalis clau-
(c) L. 57 mandati (17. 1).
|0198 : 176|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
sula die Reſtitution um ſo leichter zu ertheilen geneigt ſeyn,
je nothwendiger oder je löblicher ihm die Abweſenheit im
einzelnen Fall gerade erſcheine.
Die zweite Streitfrage geht noch über die Fälle der
eigentlichen Abweſenheit hinaus. Dieſe ganze Art der Re-
ſtitution ſoll ſolche Perſonen ſchützen, die außer Stand
waren, ihre Rechte durch eigene Handlungen zu erhalten.
Dabei entſteht aber ſogleich die Frage, ob ſie denn nicht
dieſe Erhaltung durch fremde Handlungen, durch Stell-
vertreter, bewirken konnten, in welchem Fall ein künſtlicher
Schutz durch Reſtitution gar nicht nöthig geweſen wäre.
Ueber dieſe Frage ſind die Meinungen neuerer Schriftſteller
ſehr getheilt, und ſie verdienen derhalb keinen Vorwurf,
weil auch die Aeußerungen unſrer Rechtsquellen hierüber
in hohem Grade ſchwankend erſcheinen.
Ich will zuerſt die Streitfrage in etwas engere Gränzen
einzuſchließen ſuchen. Unſere Rechtsquellen unterſcheiden
den defensus (oder qui habet procuratorem) von dem in-
defensus (qui procuratorem non habet). Unter dem de-
fensus nun iſt gewiß nicht blos Der zu verſtehen, welchen
der beſtellte Procurator wirklich, und zwar gut und zweck-
mäßig, vertheidigt, ſondern Jeder, der durch denſelben ver-
treten werden kann (d); was der Procurator vernachläſſigt,
(d) L. 39 ex qu. c. (4. 6). „… si procuratorem reliquerit,
per quem defendi potuit.“
|0199 : 177|
§. 327. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)
iſt mit dieſem abzumachen, gewöhnlich durch die mandati
actio. Ferner muß, in der Beurtheilung, mit dem defensus
auf gleiche Linie geſtellt werden Der, welcher einen Pro-
curator beſtellen konnte, und Dieſes aus Nachläſſigkeit ver-
ſäumt hat (e); denn bei dieſem liegt die Urſache des Ver-
luſtes nicht mehr in der Abweſenheit als ſolcher, ſondern
in der erwähnten Nachläſſigkeit, dann aber fehlt eine Haupt-
bedingung jeder Reſtitution (§ 320 Note d).
Nach dieſen näheren Beſtimmungen hätten wir alſo
zwei Klaſſen von verletzten Perſonen zu unterſcheiden: In-
defensi, die ohne ihre Schuld keinen Procurator haben (f),
und Defensi, die einen Procurator haben, oder durch eigene
Schuld entbehren. Bei den Perſonen der erſten Klaſſe iſt
es unzweifelhaft, daß ſie vollen Anſpruch auf Reſtitution
haben. Aller Zweifel betrifft alſo die zweite Klaſſe, die
Defensi.
Für die Defensi nun wird einmal die allgemeine Regel
aufgeſtellt, daß ſie keine Reſtitution erhalten ſollen (g). —
(e) L. 26 § 1 eod. „quia
potuit procuratorem consti-
tuere.“ L. 20 pr. de min. (4. 4)
„non deberi prorogari tempus
.. quia abfuit, quum potuit
adire Praetorem per procura-
torem.“
(f) So z. B. wenn der von
ihnen beſtellte Procurator während
ihrer Abweſenheit verſtorben iſt.
L. 28 pr. ex. qu. c. (4. 6)
„.. forte procuratore suo de-
functo.“ L. 57 mandati (17. 1).
(g) L. 39 ex. qu. c. (4. 6),
und zwar gerade von reip. causa
absentes. Manche haben dieſe
Stelle gezwungenerweiſe ſo aus-
gelegt, als ob ſie nicht von dem
Schutz der Abweſenden, ſondern von
dem gegen die Abweſenden, redete.
Mit Recht verwirft dieſe Erklärung
Burchardi S. 170.
VII. 12
|0200 : 178|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Dagegen wird einmal von dem Abgeordneten einer Stadtge-
meinde ausdrücklich geſagt, nach vielen Kaiſerconſtitutionen
müßte derſelbe reſtituirt werden, ohne Unterſchied, ob er einen
Procurator beſtellt hatte oder nicht (h). Ganz irrig hat
man Das für ein beſonderes Privilegium ſolcher Abgeord-
neten ausgeben wollen (i). Ein beſſeres Recht als Staats-
diener konnten ſie gewiß nicht in Anſpruch nehmen, auch
werden ſie anderwärts mit den Staatsdienern ausdrücklich
auf gleiche Linie geſtellt (k). Außerdem wird aber eine
ähnliche mildere Regel angewendet auch auf die Kriegs-
gefangenen, ſelbſt wenn deren Vermögen wirklich durch be-
ſtellte Curatoren geſchützt wird (l); ferner auf Verbannte,
die zwar eigentlich Procuratoren beſtellen ſollen, aber auch,
wenn ſie Dieſes unterlaſſen haben, ex causa Reſtitution
erhalten (m).
Faſſen wir dieſe einzelnen Aeußerungen zuſammen, ſo
finden wir darin ein ähnliches Schwanken, wie bei der
erſten Streitfrage, jedoch zugleich ein entſchiedenes Hin-
neigen zu einer fortſchreitend milderen Behandlung.
Nur für Einen Fall möglicher Verletzung, der allerdings
eine eigenthümliche Natur hat, iſt eine etwas beſtimmtere
Regel wahrzunehmen. Wenn nämlich die Verletzung nicht
in einem reinen Verluſt durch Verſäumniß beſteht, wie bei
(h) L. 26 § 9 eod.
(i) Cujacius obs. XIX. 14.
(k) L. 1 C. quib. ex causis
(2. 54).
(l) L. 15 pr. ex qu. c. (4. 6).
(m) L. 26 § 1 eod. Vgl. oben
§. 326 Note r.
|0201 : 179|
§. 327. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)
der verſäumten Unterbrechung einer Uſucapion oder Klag-
verjährung, ſondern in einem nachtheiligen rechtskräftigen
Urtheil, ſo ſind folgende Vorſchriften zu beobachten. Der
Indefensus bekommt auch in dieſem Fall unbedingt Reſti-
tution (n), und Dieſes hat um ſo weniger Bedenken, als
ein ſolches Urtheil ja immer die Natur eines bloßen Con-
tumacialurtheils hat. Der Defensus dagegen wird für
dieſen Fall ausdrücklich unterſchieden von dem Minderjäh-
rigen, welcher gerade in dieſem Fall ſtets reſtituirt wird,
er mag vertreten geweſen ſeyn oder nicht (§ 319 Note s).
Der abweſende Defensus dagegen ſoll gegen den Inhalt
des Urtheils nicht reſtituirt werden; nur wenn zugleich die
Einlegung der Appellation verſäumt worden iſt, wird gegen
dieſe Verſäumniß reſtituirt (o). Die Eigenthümlichkeit dieſes
Falles nun liegt eben darin, daß die Reſtitution gegen den
Inhalt eines Urtheils nicht auf einer reinen Verſäumniß
beruht, ſondern auf der bloßen Möglichkeit einer mangel-
haften Prozeßführung; anders bei der verſäumten Appel-
lationsfriſt, die daher auch ganz anders behandelt wer-
den ſoll.
(n) L. 1 C. quib. ex caus.
(2. 54), L. 4 C. de proc. (2. 13).
(o) L. 8 de in int. rest. (4. 1).
Wäre es geſtattet, die in der Note g
angeführte Stelle des Paulus
auf den Fall eines rechtskräftigen
Urtheils zu beſchränken (wovon
jedoch die Stelle ſelbſt keine Spur
enthält), ſo würde der oben dar-
geſtellte Widerſpruch der Stellen
verſchwinden; und dieſe ganze
Streitfrage erhielte eine einfachere
Geſtalt. — In der L. 8 cit. muß
übrigens anſtatt rempublicam
geleſen werden: rem judicatam.
Burchardi S. 446.
12*
|0202 : 180|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Die neueren Schriftſteller haben die für die zweite Streit-
frage dargeſtellten Schwierigkeiten in der Erklärung der
Rechtsquellen durch mancherlei Unterſcheidungen zu heben
verſucht, welche ich nicht als befriedigend anerkennen kann.
Dahin gehört die Unterſcheidung zwiſchen löblicher und
unlöblicher Abweſenheit, deren Unhaltbarkeit ſchon oben
nachgewieſen worden iſt; ferner zwiſchen der Zahlungsfähig-
keit und Unfähigkeit des Procurators, wovon aber in den
Quellen ſelbſt keine Spur zu finden iſt; endlich zwiſchen
dem ſtrengen älteren und dem milden neueren Recht, welche
Unterſcheidung der Wahrheit vielleicht am nächſten kommen
möchte (p).
Auch die Behandlung der zweiten Streitfrage ſteht, ſo
wie die der erſten, in Verbindung mit der ſchon oben be-
merkten Willkürlichkeit des ganzen Rechtsinſtituts.
§. 328.
Reſtitution. — Einzelne Gründe. — II. Abweſenheit.
(Fortſetzung.)
Schutz anderer Perſonen gegen die Abweſenden.
Das Edict ſelbſt (§ 325) erwähnt, als zu dieſer Klaſſe
gehörend, folgende Fälle.
I. Qui absens non defenditur(a). Da in der erſten
Klaſſe verſchiedene Fälle und Gründe der Abweſenheit auf-
(p) Glück B. 6 S. 33. 34.
Schulting notae ad Digesta
T. 1 p. 578. Burchardi S. 166
bis 175.
(a) L. 1 § 1 ex quib. caus.
(4. 6).
|0203 : 181|
§. 328. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)
gezählt werden (metu, reipublicae causa absentes), ſo kann
es auffallen, daß Dieſes hier nicht geſchieht, ſondern viel-
mehr alle Abweſende überhaupt durch die Allgemeinheit des
Ausdrucks bezeichnet werden. Dieſe Faſſung des Edicts
war aber abſichtlich, indem jede Art der Abweſenheit für
andere, anweſende, Perſonen gleich gefährlich werden kann,
und daher gleichen Schutz durch Reſtitution nöthig macht (b).
II. Qui in vinculis est neque defenditur(c).
III. Qui secum agendi potestatem non facit neque
defenditur. Darunter ſind Die zu verſtehen, welche ſich
in der Heimath verſteckt halten, um der Klage zu entgehen,
ferner, welche die Klage verzögern durch böswillige Hinder-
niſſe, die ſie dem Anfang des Rechtsſtreits entgegenſtellen,
oder auch ohne böſen Willen, weil ſie durch viele andere
Geſchäfte abgehalten werden, ſich darauf einzulaſſen (d).
IV. Qui, cum eum invitum in jus vocare non licet,
non defenditur. Darunter ſind gemeint die höheren Obrig-
keiten, die wider ihren Willen gar nicht vor Gericht gezogen
werden durften. Nicht ſind gemeint die Eltern und Patrone
des Berechtigten, welche allerdings verklagt werden konnten,
(b) L. 21 § 1 eod. — Es
waren darunter alſo allerdings
auch Soldaten begriffeu, aber
nicht minder unmittelbar, und ohne
künſtliche Ausdehnung, auch deren
Erben, wenn dieſe die von dem
Erblaſſer angefangene Uſucapion
vollendeten, und ſelbſt gleichfalls
abweſend waren. L. 30 pr. eod.
(c) L. 1 § 1. L. 23 pr. eod.
(d) L. 1 § 1. L. 23 § 4. L. 24.
25 eod. — Es wird dabei be-
merkt, daß es gegen die latitantes
auch noch andere Zwangsmittel
gebe, namentlich die missio in
bona.
|0204 : 182|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
jedoch nur nach eingeholter Erlaubniß des Prätors; hierin
lag nur eine die Ehrfurcht wahrende Förmlichkeit, kein
Hinderniß der Klage (e).
V. Cum de ea re magistratus appellatus sit(f).
Wenn der Beklagte die Klage dadurch verhinderte, daß er
eine gleiche oder höhere Obrigkeit, oder auch einen Volks-
tribunen, bewog, durch ſeinen Einſpruch den Fortgang des
Rechtsſtreits zu hindern, ſo konnte durch dieſe Verzögerung
die Uſucapion oder die Klagverjährung vollendet werden,
und dem Berechtigten ſein Recht entziehen (g). Dagegen
ſollte dieſe Reſtitution Schutz gewähren.
VI. Cum per magistratus actio exemta sit. Dahin
gehören die Fälle, in welchen durch den böſen Willen oder
die Nachläſſigkeit der Obrigkeit oder des von derſelben be-
ſtellten Juder, oder durch Gerichtsferien u. ſ. w. eine Klage
ſo verzögert wird, daß ſie verloren geht. Es wird aber
dabei ausdrücklich bemerkt, daß nicht der Kläger ſelbſt zu
der Verzögerung mitgewirkt haben dürfe, etwa in der Ab-
ſicht, mit die Sache von dem Nachfolger der gegenwärtigen
Obrigkeit entſchieden werden möge (h).
Bei den vier erſten unter den hier aufgezählten Fällen
wird ausdrücklich bemerkt, die Reſtitution gelte nur unter
der Vorausſetzung, daß der Abweſende u. ſ. w. indefensus
(e) L. 1 § 1, L. 26 § 2 eod.
(f) L. 1 § 1 eod.
(g) S. o. B. 6 S. 489.
(h) L. 1 § 1, L. 26 pr. § 4
bis 7 eod.
|0205 : 183|
§. 328. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)
geweſen ſey (i). Dieſes erinnert an eine ähnliche Beſtim-
mung bei der erſten Klaſſe (§ 327 Note d. e. f) und könnte
die Beſorgniß erregen, daß ſich hier an dieſe Vorausſetzung
ähnliche Zweifel und Schwierigkeiten anknüpfen möchten,
wie ſie oben erörtert worden ſind. Doch iſt dieſes nicht
der Fall, da die Sache hier eine andere Bedeutung hat.
Die Reſtitution, von welcher gegenwärtig die Rede iſt, ſetzt
voraus einen Berechtigten, welcher ſein Recht durch Klagen
erhalten könnte, daran aber durch die augenblickliche Un-
zugänglichkeit eines Gegners verhindert wird. Die Gründe
dieſer Unzugänglichkeit ſind dabei ganz gleichgültig; je
ſchlechter, je willkürlicher dieſelbe durch die Natur der
Gründe erſcheint, deſto mehr Anſpruch hat der Berechtigte
auf den außerordentlichen Schutz der Reſtitution. Nur
wenn der Abweſende in der That defensus iſt, fehlt das
Bedürfniß der Reſtitution, weil dadurch die Klage möglich,
alſo die vorausgeſetzte Gefahr des Verluſtes völlig aus-
geſchloſſen wird. Es fragt ſich alſo nur, wer hier als
defensus anzuſehen iſt.
Defensus heißt Der, welcher einen Procurator beſtellt
hat, um für ihn als Beklagten den Rechtsſtreit zu führen;
aber auch Der, für welchen ein ſolcher Vertreter freiwillig,
ohne eine ſolche Beſtellung, auftritt. Ja nicht blos durch
(i) Ulpian bemerkt in L. 26
§ 3 eod. mit beſonderer Sorgfalt,
in dem Edict bezögen ſich die Worte:
non defenderetur auf den erſten
Fall, dagegen die ſpäteren Worte:
neque defenderetur auf die
drei nachfolgenden Fälle gemein-
ſchaftlich.
|0206 : 184|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
das Auftreten eines ſolchen Vertreters wird der Anſpruch
auf Reſtitution ausgeſchloſſen, ſondern der Berechtigte ſoll
von ſeiner Seite einen ſolchen aufſuchen, und namentlich
die Freunde des Gegners befragen, ob ſie etwa die Ver-
tretung übernehmen wollen (k). Jedoch iſt die bloße Be-
reitwilligkeit eines Vertreters nicht hinreichend; vielmehr
muß derſelbe Bürgſchaft leiſten, ſelbſt wenn er ein beſtellter
Procurator iſt, ſonſt gilt der Gegner nicht als defensus (l).
Juſtinian hat für alle Fälle der hier beſchriebenen
Art ein ganz neues Schutzmittel aufgeſtellt. Der Berech-
tigte, welcher eine Klage anſtellen möchte, aber einen Gegner
vermißt, ſoll ſich mit ſeiner Klage an den Statthalter der
Provinz, oder den Biſchoff, oder den ſtädtiſchen Defenſor
wenden, in Ermangelung aller dieſer Perſonen aber die
Klage öffentlich anſchlagen können. Dieſe Maßregel ſoll
hinreichen zur Unterbrechung jeder Klagverjährung und Uſu-
capion (m). — Manche haben Dieſes ſo verſtanden, als
wäre dadurch die oben dargeſtellte Reſtitution nicht nur ent-
behrlich gemacht, ſondern auch aufgehoben. Zu einer ſolchen
Annahme iſt jedoch kein Grund vorhanden; vielmehr muß
dem Berechtigten zwiſchen beiden Schutzmitteln die Wahl
zugeſtanden werden (n).
Neben den oben aufgeſtellten, im Edict ſelbſt erwähnten,
Fällen dieſer Reſtitution haben die alten Juriſten, in An-
(k) L. 21 § 2. 3, L. 22 pr. eod.
(l) L. 21 § 3 eod., § 1. 4. 5 J.
de satisd. (4. 11).
(m) L. 2 C. de annali except.
(7. 40).
(n) Burchardi S. 180—182.
|0207 : 185|
§. 328. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)
wendung der generalis clausula, noch folgende hervor-
gehoben.
1. Wenn eine Klagverjährung abläuft, während der
Beklagte ſich in Kriegsgefangenſchaft befindet (o).
2. Wenn der Sohn eines Kriegsgefangenen eine Sache
zum Peculium erwirbt, und dann uſucapirt (p).
3. Wenn der Gegner ein Wahnſinniger, ein Kind,
oder eine Stadtgemeinde iſt, und aus zufälligen Umſtänden
keinen Vertreter hat (q). — Eben ſo kann ohne Zweifel
auch umgekehrt der unvertretene Wahnſinnige u. ſ. w. Re-
ſtitution erhalten, wenn ſeine Rechte durch Uſucapion oder
Klagverjährung verloren gehen, und es iſt ganz zufällig,
daß Dieſes unter den Reſtitutionsfällen der erſten Klaſſe
nicht erwähnt wird. Dieſe Fälle haben entſchieden mehr
Analogie mit der Reſtitution der Abweſenden, als mit der
der Minderjährigen (r).
§. 329.
Reſtitution. — Einzelne Gründe. — II. Abweſenheit.
(Fortſetzung.)
Nachdem jetzt die einzelnen Fälle dargeſtellt ſind, in
welchen die Reſtitution wegen Abweſenheit Anwendung
(o) L. 23 § 3 ex qu. c. (4. 6).
(p) L. 23 § 3 cit. Der Ge-
fangene ſelbſt nämlich kann nicht
uſucapiren, da er ſich im Stande
der Unfreiheit befindet. L. 23 § 1
eod. Hiernach muß der § 5 J. de
act. (4. 6) erklärt und beſchränkt
werden.
(q) L. 22 § 2 ex qu. c. (4. 6).
Der vorhergehende Theil der Stelle
zeigt ganz klar, daß von dem Wahn-
ſinnigen u. ſ. w. als Beklagten,
nicht als Berechtigten, die Rede
iſt. Auf dieſe Reſtitution bezieht
ſich L. 124 § 1 de R. J. (50. 17)
„Furiosus absentis loco est.“
(r) S. o. am Ende des §. 324.
|0208 : 186|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
findet, ſind noch die Arten der Verletzung näher zu betrach-
ten, zu deren Abwendung dieſelbe gebraucht werden kann.
Wenn wir uns auch in dieſer Betrachtung an die Worte
des Edicts anſchließen, ſo müſſen wir zwei Hauptarten der
Verletzung annehmen.
I. Si quid de bonis deminutum erit, alſo unmit-
telbare Verminderung des vorhandenen Vermögens. Dahin
gehören folgende einzelne Fälle des Verluſtes, die großen-
theils ſowohl bei dem Schutz der Abweſenden, als bei dem
Schutz gegen die Abweſenden, vorkommen können.
1. Verluſt des Eigenthums durch eine von dem Gegner
vollendete Uſucapion (a).
2. Verluſt einer Servitut durch Nichtgebrauch (b).
3. Verluſt eines Beſitzes oder eines Quaſibeſitzes (c).
4. Verluſt des Eigenthums wegen damnum infectum (d).
5. Verluſt einer Forderung, welche durch Vertrag an die
Bedingung des Aufenthalts an beſtimmten Orten ge-
knüpft iſt (e).
6. Verluſt durch ein nachtheiliges rechtskräftiges Ur-
theil (f).
II. Si actionis dies exiit. Verluſt eines Klagerechts
durch Klagverjährung oder Prozeßverjährung (g). Eine
(a) L. 1 § 1, L. 15 § 3 ex
qu. c. (4. 6).
(b) L. 1 § 1 eod.
(c) L. 23 § 2 eod.
(d) L. 15 § 2 eod., nämlich
durch jubere possidere.
(e) L. 43 eod.
(f) S. o. §. 327 Note n. o.
(g) L. 1 § 1 eod.
|0209 : 187|
§. 329. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)
ähnliche Natur hat auch der durch Zeitablauf bewirkte Ver-
luſt des Rechts auf Anklage eines Verbrechers (h).
In Anwendung der generalis clausula kann dieſe Re-
ſtitution auch gebraucht werden, wenn nicht ſowohl das
vorhandene Vermögen vermindert, als der Erwerb einer
Erbſchaft oder eines Legats in Folge einer Abweſenheit
verhindert worden iſt (§ 319 Note l).
Bei der Anwendung dieſer Reſtitution muß ferner er-
innert werden an den allgemeinen Grundſatz, welcher die
Reſtitution nur geſtattet, in ſoweit ein Cauſalverhältniß
zwiſchen dem Reſtitutionsgrund und dem eingetretenen Ver-
luſt behauptet werden kann. Wenn daher die Abweſenheit
nur einen Theil des für die Uſucapion oder Klagverjährung
vorgeſchriebenen Zeitraums umfaßt, ſo wird dieſe Reſtitution
zuweilen ganz verſagt werden, zuweilen nur für einen Theil
des Zeitraums zu geſtatten ſeyn (i).
Bei dem Verluſt des Eigenthums durch Uſucapion wird
die Reſtitution auf verſchiedene Weiſe bewirkt, ſo wie die
zufälligen Umſtände das Bedürfniß herbeiführen: bald durch
Klage, bald durch Einrede.
Die Klage, wodurch der Verluſt des Eigenthums durch
Uſucapion abgewendet wird, führt nach einer ſehr verbrei-
teten Meinung den Namen publiciana actio; man hat die-
ſelbe mit der anderen, bekannten publiciana actio in Ver-
bindung geſetzt, und auf dieſe Verbindung zugleich die
(h) L. 40 pr. eod.
(i) L. 15 § 3, L. 16, L. 26
§ 7. 8 eod., ſ. o. § 320 Note d.
|0210 : 188|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Geſchichte der Reſtitution aufzubauen geſucht (k). Ich
halte dieſe Meinung für unbegründet.
Allerdings wird in mehreren Stellen, welche von dieſer
Reſtitution reden, die publiciana actio genannt (l), aber
nicht, als ob dieſelbe eine eigenthümlich für dieſen Fall ein-
geführte Klage wäre, ſondern in folgender ganz anderer
Bedeutung. Wer ſein Eigenthum in Folge einer Abweſen-
heit durch Uſucapion verliert, wird meiſt auch in der Lage
ſeyn, die Bedingungen der bonae fidei possessio für ſich
geltend machen zu können; er wird nämlich meiſtens die
Sache durch Tradition erworben haben, in Folge eines
Kaufs, einer Schenkung u. ſ. w. Dann hat er in der
That die gewöhnliche publiciana actio, deren Daſeyn durch
des Gegners Uſucapion an ſich gar nicht ausgeſchloſſen
wird. Wenn er nun die publiciana actio anſtellt, ſo wird
allerdings der Gegner vielleicht die exceptio justi dominii
entgegen ſtellen (m), und zwar mit Recht, da er in der
That Eigenthümer iſt in Folge der Uſucapion. Dieſe Ein-
rede aber wird nun entkräftet durch die Reſtitution wegen
Abweſenheit, ſey es mit oder ohne replicatio, je nachdem
die Thatſachen zweifelhaft ſind oder nicht. Will man alſo
genau reden, ſo muß man ſagen, daß in einem ſolchen Fall
die Reſtitution dazu dient, nicht ſowohl um eine verlorene
(k) Burchardi S. 153 fg.
(l) L. 35 pr. de obl. et act.
(44. 7), L. 57 mandati (17. 1),
Stelle aus einem alten Gloſſarium
bei Brissonius v. publiciana.
(m) L. 1 pr. L. 16. 17 de publ.
(6. 2).
|0211 : 189|
§. 329. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)
Klage herzuſtellen, als um eine ſtets gültig gebliebene Klage
von der ihr entgegen ſtehenden Einrede zu befreien. Für
die Richtigkeit dieſer Auffaſſung ſpricht ſelbſt der Wortlaut
der angeführten Stellen (Note l). Denn in einer derſelben
wird ausdrücklich geſagt, daß in einem ſolchen Fall der
Publiciana zwar die exceptio dominii entgegen ſtehe, daß
aber dieſe überhaupt nicht ohne causae cognitio gegeben
werde, und in dem vorliegenden Fall, in Folge unſrer Re-
ſtitution wegen Abweſenheit, verſagt werden müſſe, weshalb
die Publiciana vollen Erfolg haben werde (n). — In der
anderen Stelle aber wird gar nicht etwa eine zwiefache
Publiciana erwähnt für zwei an ſich verſchiedene Fälle,
ſondern vielmehr eine einzige Klage dieſes Namens, nur
mit dem Zuſatz, daß dieſelbe zuweilen rescissa usucapione
gegeben werde (o). Wie dieſer Zuſatz zu verſtehen iſt, habe
ich ſo eben bei Gelegenheit der erſten Stelle erklärt.
Ich behaupte aber gar nicht, daß dieſer Weg einer
Hülfe, vermittelſt der Publiciana die durch Reſtitution
gegen die exceptio dominii geſchützt wird, der einzige ſey.
Der vorige Eigenthümer kann vielmehr auch unmittelbar
zu ſeinem Ziele kommen durch Anſtellung der rei vindicatio
(d. h. nach altem Recht der petitoria formula mit der
(n) L. 57 mandati (17. 1).
S. u. d. Beil. XIX zu dieſem Bande.
(o) L. 35 pr. de obl. et act.
(44. 7). „… Illae autem rei
persecutionem continent, qui-
bus persequimur, quod ex pa-
trimonio nobis abest, ut …
Publiciana, quae ad exemplum
vindicationis datur. Sed quum
rescissa usucapione redditur,
anno finitur, quia contra jus
civile datur.“
|0212 : 190|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
intentio: rem suam esse). Hierin behauptet er nun zunächſt
etwas Unwahres, da er in der That nicht mehr Eigen-
thümer iſt. Es muß erſt wahr gemacht werden durch die
Reſtitution, die alſo hier nicht, ſo wie bei dem vorher an-
gegebenen Wege, dazu dient, die ohnehin begründete Klage
gegen eine Einrede zu ſchützen, ſondern vielmehr die Klage
erſt möglich zu machen, die ohne die Reſtitution gar nicht
begründet ſeyn würde. So wird die Anwendung unſrer
Reſtitution auf die Uſucapion in den Inſtitutionen aus-
drücklich erklärt (p), und dieſe Erklärung iſt nicht minder
wahr und richtig, als die, welche ſo eben aus einer Di-
geſtenſtelle abgeleitet worden iſt. Beide Erklärungen ſtehen
durchaus nicht im Widerſpruch mit einander, ſie bezeichnen
vielmehr zwei verſchiedene Wege, die der Kläger einſchlagen
kann, und von welchen bald der eine, bald der andere den
Umſtänden angemeſſener ſeyn wird.
Aus dieſer Prüfung der hier einſchlagenden Stellen er-
giebt es ſich, daß wir durchaus keinen Grund haben, eine
eigenthümliche publiciana actio anzunehmen, als diejenige
Klage, wodurch die Reſtitution wegen Abweſenheit zur
(p) § 5 J. de act. (4. 6).
„… permittitur domino, si
possessor reip. causa abesse
desierit, tunc intra annum re-
scissa usucapione eam petere,
i. e. ita petere, ut dicat pos-
sessorem usu non cepisse, et ob
id suam rem esse.“ — Es iſt zu
bemerken, daß in dieſer Stelle
blos von dem Schutz gegen den
Abweſenden die Rede iſt, welcher
uſucapirt hat. Daſſelbe gilt aber
ganz eben ſo von dem Abweſen-
den der ſein Eigenthum durch die
Uſucapion eines Anderen verloren
hat, und durch Reſtitution wieder
erlangen will.
|0213 : 191|
§. 329. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)
Ausführung gebracht werden ſoll gegen eine Uſucapion.
Dieſe Behauptung aber erhält noch eine beſondere Unter-
ſtützung durch den Umſtand, daß die eben angeführte In-
ſtitutionenſtelle, die unſern Fall erwähnt, den Namen pu-
bliciana actio nicht gebraucht, der doch in dem vorher-
gehenden Paragraphen vorkommt, und daß umgekehrt in
dem Titel der Digeſten de publiciana in rem actione unſer
Fall durchaus nicht vorkommt; eben ſo wenig in der Er-
klärung, die Gajus von der publiciana actio giebt (q).
Der Schutz durch Klage iſt jedoch nicht das einzige
Mittel, wodurch die Reſtitution gegen die Uſucapion zur
Ausführung gebracht werden kann. Wenn nämlich der
vorige Eigenthümer durch Zufall wieder in den Beſitz der
Sache kommt, ſo hat er zu einer Klage weder das Be-
dürfniß, noch die Berechtigung. Wenn aber der Gegner,
der die Sache uſucapirt hat, gegen ihn die Eigenthumsklage
anſtellt, ſo bedarf er gegen dieſe Klage eine Exception, und
dieſe wird ihm durch unſre Reſtitution ertheilt (r).
§. 330.
Reſtitution. — Einzelne Gründe . — III. Zwang.
Der geſchichtliche Zuſammenhang dieſes Reſtitutions-
grundes iſt ſchon oben in folgender Weiſe angegeben wor-
den (§ 320). Wenn ein Rechtsgeſchäft durch Zwang,
(q) Gajus IV § 36.
(r) L. 28 § 5 ex quib. caus. (4. 6).
|0214 : 192|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
d. h. vermittelſt einer durch Drohung abſichtlich erregten
Furcht, bewirkt wird, ſo half der Prätor dem Gezwun-
genen urſprünglich durch Reſtitution, und dieſer Reſtitu-
tionsgrund gehört unter die älteſten überhaupt. Schon
frühe aber wurden zu demſelben Zweck auch ordentliche
Rechtsmittel eingeführt, eine actio quod metus causa und
eine exceptio metus, und zwar in ſolcher Ausdehnung, daß
ſie für die meiſten Fälle völlig ausreichten, indem ſie nicht
blos gegen den Zwingenden, als perſönliche Rechtsmittel,
gebraucht werden können, ſondern auch gegen jeden Dritten,
der ſich in der Lage befindet, die nachtheiligen Folgen des
Zwanges von dem Gezwungenen abzuwenden (a). Wo
nun dieſe ordentlichen Rechtsmittel ausreichen, muß ſchon
nach dem allgemeinen Grundſatz die Reſtitution wegfallen
(§ 321 Note r). Außerdem aber gewähren die ordentlichen
Rechtsmittel auch bedeutende Vortheile in Vergleichung mit
der Reſtitution, ſo daß es nicht einmal räthlich ſeyn würde,
dieſe letzte vorzuziehen, ſelbſt wenn es geſtattet wäre. Die
actio quod metus causa hat einen geſicherten und beſchleu-
nigten Erfolg durch die Drohung des vierfachen Erſatzes,
wenn der Beklagte nicht ſogleich freiwillig nachgiebt; will
ſich aber der Gezwungene mit dem einfachen Erſatz begnügen,
ſo iſt er nicht an die kurze Verjährung gebunden, wodurch
die Reſtitution ſo ſehr beſchränkt iſt (b).
(a) L. 9 § 8 quod metus
(4. 2), L. 4 § 33 de doli m. et
met. ex c. (44. 4). — Dieſe Klage
iſt eine actio in rem scripta, nicht
zu verwechſeln mit in rem actio,
ſ. o. B. 5 S. 25.
(b) L. 14 § 1 quod metus
(4. 2).
|0215 : 193|
§. 330. Einzelne Reſtitutionsgründe. III. Zwang.
Dennoch giebt es einzelne, ſeltnere Fälle, worin jene
ordentliche Rechtsmittel nicht ausreichen, und um ſolcher
Fälle willen ſteht dem Gezwungenen noch jetzt überhaupt
die Wahl zu zwiſchen jenen Rechtsmitteln und der Reſti-
tution, deren eigenthümlichſte (doch nicht einzige) Folge ſich
in dem Anſpruch auf eine wahre in rem actio zeigt. Die
Edictſtelle, die wir in den Digeſten übrig haben, iſt ſo
allgemein gefaßt, daß ſie in der That auf beiderlei Schutz-
mittel paßt (c), und auch von den alten Juriſten dahin
ausgelegt wird; ſie kann in derſelben Geſtalt ſchon in dem
urſprünglichen Edict über die Reſtitution wörtlich eben ſo
gelautet haben, und ſie bedurfte keiner Abänderung, um
auch die ſpäter eingeführten ordentlichen Rechtsmittel mit
zu umfaſſen.
Die Richtigkeit der hier aufgeſtellten Behauptung ergiebt
ſich aus einer Stelle des Ulpian (d), deren Zuſammen-
hang nicht ſelten verkannt worden iſt. In dem § 3 wird
geſagt, das erzwungene Geſchäft könne bald ein unvollen-
detes ſeyn (z. B. ein Geldverſprechen ohne geleiſtete Zah-
lung), bald ein vollendetes (z. B. Geldverſprechen mit
Zahlung, oder auch eine Acceptilation). Dann wird die
Meinung des Pomponius angeführt, daß bei unvollendeten
Geſchäften nur eine Exception zuläſſig ſey, keine Klage, bei
vollendeten auch eine Klage. Dieſe Meinung wird ver-
(c) L. 1 eod. „Ait Praetor:
Quod metus causa gestum erit,
ratum non habebo“.
(d) L. 9 § 3. 4. 6 eod. Vgl.
oben § 316 Note n.
VII. 13
|0216 : 194|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
worfen, und es wird für alle Fälle die Wahl zwiſchen
Klage und Exception frei geſtellt, ſo daß bei einem bloßen
Geldverſprechen auch eine Klage zuläſſig ſey, nämlich zum
Zweck einer Acceptilation. Dieſer Ausſpruch wird beſtätigt
durch ein kaiſerliches Reſcript, welches ſelbſt im Fall eines
unvollendeten Geſchäfts die in integrum restitutio in Aus-
ſicht ſtellt. In Folge dieſes Reſcripts erklärte der Prätor,
der Gezwungene habe die Wahl zwiſchen Klage und Ex-
ception. Gleich nachher aber fügt Ulpian hinzu, daß der
Gezwungene nach Bedürfniß auch eine in rem actio erhalten
könne; desgleichen, wenn eine Forderung durch erzwungene
Acceptilation getilgt ſey, die Herſtellung der verlorenen frü-
heren Forderung rescissa acceptilatione vel alia liberatione (e).
Beides aber iſt nur durch eine wahre Reſtitution möglich.
Zwiſchen dieſer und der perſönlichen actio quod metus causa
(die ohne Reſtitution gegeben wird) habe er nun dergeſtalt
die Wahl, daß, wenn er den einen Weg eingeſchlagen habe,
der andere dadurch verſchloſſen ſey (f).
Es kommt alſo nur noch darauf an, Fälle anzugeben,
in welchen das Bedürfniß, und daher auch die Zuläſſigkeit,
einer Reſtitution wegen Zwangs, neben der actio quod
metus causa, behauptet werden kann (g).
(e) L. 9 § 4 eod. — Die in
rem actio wird unmittelbar be-
ſtätigt durch L. 3 C. de his quae
vi (2. 20).
(f) L. 9 § 6 eod.
(g) Puchta Pandekten § 102
Note c. d. und Vorleſungen S. 215
faßt die Sache ſo auf. Schon im
neueren Römiſchen Recht ſey die
Reſtitution wegen Zwangs nur
noch Bedürfniß geweſen bei den
negotiis stricti juris; da wir
dieſe nicht mehr kennen, ſo ſey ſie
für uns überhaupt verſchwunden.
|0217 : 195|
§. 330. Einzelne Reſtitutionsgründe. III. Zwang.
Ein ſolcher Fall, der nur zufällig nicht in unſren Rechts-
quellen erwähnt wird, kann eintreten wegen der Zahlungs-
unfähigkeit des Gegners. Hier kann die perſönliche Klage
wegen der bevorzugten Natur anderer Gläubiger ganz ohne
Erfolg bleiben. Die durch Reſtitution gewährte Klage in
rem wird den Kläger zum Ziele führen.
Ein anderer Fall, der nur zu ſelten vorkommen wird,
um praktiſch wichtig zu ſeyn, wird in unſren Rechtsquellen
ausdrücklich anerkannt. Wenn Jemand durch Zwang be-
wogen wird, eine angefallene Erbſchaft entweder anzutreten,
oder auszuſchlagen, ſo kann er gegen eine ſolche Handlung,
wenn ſie ihm nachtheilig iſt, Reſtitution erhalten (h). Hier iſt
es einleuchtend, daß die perſönliche Klage oft nicht aus-
reicht, wegen der unbeſtimmten, vielleicht unüberſehbaren
Rechtsverhältniſſe mit fremden Perſonen, die mit der Erb-
ſchaft verbunden ſeyn können.
Die Anwendung dieſer Reſtitution hängt ab von dem
Daſeyn eines wahren, rechtlich anzuerkennenden, Zwanges.
Hierüber gelten dieſelben Regeln, wie ſie für die Anwen-
dung der weit wichtigeren actio quod metus causa anzu-
wenden ſind. Es kann alſo wegen dieſes Punktes vorläufig
auf das Obligationenrecht verwieſen werden.
Eben ſo die Reſtitution wegen Be-
trugs. — Ich kann nicht einräumen,
daß im Römiſchen Recht die Re-
ſtitution gerade mit jenem Gegen-
ſatz zuſammenhing, und ich muß
die Anwendbarkeit der Reſtitution
in den hier im Text angegebenen
Fällen auch für das heutige Recht
behaupten.
(h) L. 21 § 5. 6 quod metus
(4. 2).
13*
|0218 : 196|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
§ 331.
Reſtitution. — Einzelne Gründe. — IV. Irrthum.
Daß es in der That eine Reſtitution wegen Irrthums
gab, hat nach den übereinſtimmenden Zeugniſſen des Ul-
pian und des Paulus keinen Zweifel (§ 320). Man
ſcheint jedoch dieſem Reſtitutionsgrund nicht dieſelbe Wich-
tigkeit, wie dem Zwang und Betrug, beigelegt zu haben,
woraus zu erklären iſt, daß derſelbe in dem Edict keine,
dieſen Fall im Ganzen umfaſſende Stelle, und in den, an
die Ordnung des Edicts ſich anſchließenden Digeſten keinen
eigenen Titel erhalten hat.
Es kommt nun darauf an, die Fälle der Anwendung
für dieſe Reſtitution zu beſtimmen und zu begränzen. Man
hat ihr nicht ſelten die wichtige Bedeutung beigelegt, daß
der Klagberechtigte von dem Nachtheil der Klagverjährung
frei werden könnte, wenn er über das Daſeyn der Ver-
letzung im Irrthum wäre, und deshalb Reſtitution gegen
die Verjährung ſuchte. Dieſe Anwendung, wodurch der
große Vortheil dieſes Rechtsinſtituts ſehr entkräftet werden
würde, iſt entſchieden zu verwerfen (a). — Eben ſo ver-
werflich, und noch weit wichtiger, iſt die häufig verſuchte
Anwendung, nach welcher jedes Rechtsgeſchäft, insbeſondere
jeder Vertrag, durch Reſtitution ſollte angefochten werden
können, ſobald der eine Theil durch irrige Beweggründe
zur Eingehung des Geſchäfts veranlaßt worden wäre (b).
(a) S. o. B. 3 S. 416. 418 fg.
(b) S. o. B. 3 S. 354 fg.
|0219 : 197|
§. 331. Einzelne Reſtitutionsgründe. IV. Irrthum.
Dadurch würde die ſichere Rechnung der Parteien auf die
Wirkſamkeit der eingegangenen Geſchäfte großentheils ent-
kräftet, und mit ihr der geſammte Verkehr gelähmt werden.
Dagegen findet ſich eine ſichere und nicht unwichtige
Anwendung dieſer Reſtitution bei den ſtrengen Formen des
alten Römiſchen Prozeſſes. Durch dieſe konnte oft eine
Partei in großen Nachtheil kommen, während ihr nicht
böſer Wille, vielleicht nur ein mäßiges, oder auch gar kein
Verſehen, zur Laſt gelegt werden konnte. Das war der
Zweck jener Formen nicht, und eine Reſtitution gegen einen
ſolchen Nachtheil, unter ernſter Aufſicht des Prätors, war
daher eben ſo unbedenklich, als die Reſtitution gegen einen
aus irrigen Beweggründen geſchloſſenen Vertrag gefährlich
geweſen wäre (c).
Dieſe Reſtitution gegen irrige Verſäumniß der Prozeß-
formen kam denn in der That (und beſonders in der älteren
Zeit) häufig vor, und dieſes iſt als das eigentliche Gebiet
der Reſtitution wegen Irrthums anzuſehen. Eine Reihe
von Fällen ſolcher Art iſt ſchon oben zuſammen geſtellt
worden (d).
Ein Fall dieſer Art hat Veranlaſſung zu der einzigen
Edictſtelle gegeben, welche in unſren Rechtsquellen über die
(c) Die leichtere Ertheilung
der Reſtitution gegen Prozeßver-
ſäumniſſe iſt richtig anerkannt von
Noodt Comm. in Pand. IV. 3
vers. Non minus.
(d) S. o. B. 3 S. 384 fg., B. 6
§ 300. q., und bei dem gerichtlichen
Geſtändniß oben § 306. — Die all-
gemeinſte Andeutung dieſes Falles
der Reſtitution findet ſich in L. 7
pr. de in int. rest. (4. 1).
|0220 : 198|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Reſtitution wegen Irrthums aufbewahrt iſt. Wenn Jemand
gegen einen Unmündigen klagte, und dabei irrigerweiſe von
einem falſchen Tutor die auctoritas für den Unmündigen
annahm, ſo war ſein Klagrecht völlig verloren, ohne Aus-
ſicht auf einen möglichen Erfolg. Dagegen verſprach der
Prätor die Reſtitution (e).
Ein anderer Fall dieſer Reſtitution bezieht ſich allerdings
nicht auf den Prozeß. Wenn ein Schuldner ſtirbt, und der
Gläubiger das eigene Vermögen des Erben für zweifelhaft
hält, ſo kann er eine Separation des erbſchaftlichen Ver-
mögens fordern, und daraus Befriedigung verlangen. Hat
er aber in jener Annahme geirrt, und dadurch Schaden
gelitten, ſo hat er Anſpruch auf Reſtitution, wenn er den
Irrthum rechtfertigen kann (f).
§ 332.
Reſtitution. — Einzelne Gründe. — V. Betrug.
Die Reſtitution wegen Betrugs iſt von beſonderen
Schwierigkeiten umgeben, und ſelbſt das Daſeyn derſelben
wird von bewährten Schriftſtellern verneint. Dieſes Da-
ſeyn jedoch wird durch die übereinſtimmenden Zeugniſſe
(e) L. 1 § 1. 6 quod falso
(27. 6). „.. Quod eo auctore,
qui tutor non fuerit (gestum
erit), si id actor ignoravit,
dabo in integrum restitutio-
nem.“ Vgl. o. B. 3 S. 385. —
Die Bedeutung der Reſtitution liegt
nun darin, daß die eingetretene
Litisconteſtation reſeindirt, alſo die
durch die Litisconteſtation bewirkte
Conſumtion der früheren Klage
beſeitigt wird.
(f) L. 1 § 14 de separat.
(42. 6).
|0221 : 199|
§. 332. Einzelne Reſtitutionsgründe. V. Betrug.
des Ulpian und des Paulus außer Zweifel geſetzt
(§ 320).
Die Reſtitution wegen Betrugs wird in den Quellen abge-
handelt unmittelbar hinter der Reſtitution wegen Zwangs,
neben welcher ſie in ſehr früher Zeit eingeführt zu ſeyn ſcheint.
So wie dieſe, iſt ſie größtentheils überflüſſig gemacht worden
durch ordentliche Rechtsmittel, die actio und exceptio doli,
und aus dieſer hiſtoriſchen Entwicklung iſt großentheils ihre
gegenwärtige etwas räthſelhafte Natur zu erklären. Ver-
gleichen wir dieſe ordentlichen Rechtsmittel mit denen, die
für den Fall des Zwanges eingeführt waren, ſo müſſen wir
zwei Unterſchiede anerkennen. Die Klage und Einrede aus
dem Zwang gilt auch gegen dritte Beſitzer (§ 330 Note a),
die aus dem Betrug wirkt blos perſönlich gegen den Be-
trüger, und läßt daher öfter als jene, das Bedürfniß einer
Reſtitution wahrnehmen. Ferner iſt die actio doli für den
Verurtheilten entehrend, und ſoll daher nicht gebraucht
werden, wo ſie durch andere, völlig gleich wirkſame, Schutz-
mittel erſetzt werden kann (a). Dieſe beſchränkende Rückſicht
gilt jedoch nur für die actio, nicht für die exceptio doli;
für das heutige Recht aber iſt ſie völlig verſchwunden, weil
es hier allgemein anerkannt iſt, daß keine Klage aus
Privatdelicten die Ehrloſigkeit mit ſich führt (b).
Um nun die für die Reſtitution wegen Betrugs noch
übrig bleibenden Fälle zu ermitteln, will ich vorläufig und
(a) L. 1 § 4 de dolo (4. 3).
(b) S. o. B. 2 S. 227.
|0222 : 200|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
verſuchsweiſe einige Sätze aufſtellen, deren Wahrheit erſt
im Laufe der folgenden Unterſuchung dargethan werden kann.
Meiſt wird der Betrüger dieſelbe Perſon ſeyn, welche aus
dem Schaden des Betrogenen Vortheil zieht (welche Perſon
ich den Gegner nennen will), zuweilen werden beide Per-
ſonen verſchieden ſeyn (c); in dieſem letzten Fall iſt es
natürlich, daß der Betrogene mit ſeiner Entſchädigung an
den Betrüger gewieſen werde, nicht an den unſchuldigen
Gegner, ſo daß dann die beſchränkende Rückſicht auf die
entehrende Natur der actio doli in den Hintergrund tritt.
Jedoch darf es niemals dahin kommen, daß der Betrogene
ganz ohne Hülfe bleibe; wenn alſo in dem zuletzt erwähnten
Falle der Betrüger zahlungsunfähig iſt, kann auch von dem
unſchuldigen Gegner Abhülfe verlangt werden.
Die Fälle ſelbſt, in welchen die Reſtitution wegen Be-
trugs anzuwenden iſt, ſind aus der zwiefachen Verwandt-
ſchaft abzuleiten, welche für dieſe Reſtitution unzweifelhaft
angenommen werden muß: auf der einen Seite mit dem
Zwang, auf der andern Seite mit dem Irrthum.
Zuerſt alſo wird die Reſtitution wegen Betrugs in den-
ſelben beiden Fällen angewendet werden müſſen, in welchen
die Reſtitution wegen Zwangs zur Anwendung kommt, damit
in keinem Fall der Betrogene ganz ohne Hülfe bleibe.
Der erſte Fall gründet ſich auf die Zahlungsunfähigkeit
(c) Es iſt dieſer Fall ſo zu
denken, daß der Gegner Nichts
von dem Betrug weiß, ſonſt iſt er
ſelbſt gleichfalls Betrüger; es kann
alſo hier nur von einem unſchul-
digen Gegner die Rede ſeyn.
|0223 : 201|
§. 332. Einzelne Reſtitutionsgründe. V. Betrug.
des Betrügers. Wenn Jemand durch Betrug verleitet wird,
ſein Grundſtück um geringen Preis zu verkaufen und zu
übergeben, ſo kann er durch die actio venditi den Verkauf
anfechten und das Grundſtück zurück verlangen (d). Wird
Jemand durch Betrug bewogen, ſein Grundſtück dem Be-
trüger zu ſchenken, und dieſes Geſchäft durch Uebergabe
(nach altem Recht durch Mancipation) zu vollziehen, ſo
kann er durch die actio doli die Rückgabe des Grundſtücks
verlangen. Wenn aber in einem dieſer beiden Fälle der
Betrüger zahlungsunfähig iſt, ſo kann der Betrogene, um
nicht mit ſeiner perſönlichen Klage im Concurſe auszufallen,
Reſtitution wegen Betrugs, und durch dieſe eine in rem
actio verlangen, wie Dieſes für den Fall des Zwangs ſchon
oben bemerkt worden iſt (e).
Der zweite Fall bezieht ſich auf die ſchädliche Antretung
oder Ausſchlagung einer Erbſchaft, wozu Jemand durch
Betrug verleitet wird. Im Fall des Zwangs hatte hier
der Gezwungene die Wahl zwiſchen der actio quod metus
causa gegen den Zwingenden und der Reſtitution, wodurch
die Antretung oder Ausſchlagung an ſich unwirkſam wird (f);
das letzte, durchgreifendere Schutzmittel wird oft nöthig ſeyn
wegen der unbeſtimmten Wirkung jener Handlungen in Be-
ziehung auf viele fremde, unbekannte Perſonen. — Für den
(d) L. 6. § 1 de contr. emt.
(18. 1) L. 4 pr. de L. commiss.
(18. 3). Vgl. L. 11 § 5. 6 de
act. emti (19. 1).
(e) L. 9 § 4. 6 quod metus
(4. 2), ſ. o. § 330.
(f) L. 21 § 5. 6 quod metus
(4. 2), ſ. o. § 330.
|0224 : 202|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Fall des Betrugs nun wird ausdrücklich geſagt, daß der
Betrogene gegen den Betrüger die actio und exceptio doli
habe (g), gerade ſo, wie bei dem Zwang auch die actio
quod metus causa galt. Damit iſt aber nicht verneint,
daß er auch die Reſtitution wegen Betrugs fordern könne,
welches vielmehr nach der verwandtſchaftlichen Natur beider
Reſtitutionsgründe behauptet werden muß.
Die zweite Verwandtſchaft des Betrugs iſt die mit dem
Irrthum. Jeder Betrug enthält nämlich in der That einen
wahren Irrthum, und man kann ihn als qualificirten Irr-
thum bezeichnen. Daher wird die Reſtitution, die gegeben
wird gegen Prozeßverſäumniſſe aus Irrthum (§ 331), ſtets
auch unmittelbar begründet ſeyn gegen die durch den Betrug
eines Andern veranlaßten Prozeßverſäumniſſe. Wenn ſie
hier zuweilen nicht zur Anwendung kommt, ſo liegt der
Grund darin, daß alsdann der Betrüger ein Anderer iſt,
als der Prozeßgegner, in welchem Fall die Abhülfe von dem
Betrüger und nicht von dem Gegner zu leiſten iſt.
Nach dieſen vorbereitenden Bemerkungen gehe ich über
zur Betrachtung der Stellen, deren richtige Erklärung allein
dahin führen kann, die in dieſer Lehre herrſchenden Zweifel
und Mißverſtändniſſe zu beſeitigen.
Vor allen ſind zwei Stellen zu beachten, die zu ſagen
ſcheinen, daß in jeder Colliſion irgend einer Reſtitution mit
(g) L. 9 § 1, L. 40 de dolo (4. 3).
|0225 : 203|
§. 332. Einzelne Reſtitutionsgründe. V. Betrug.
der actio doli, die Reſtitution vorgezogen werden müſſe,
weil ſie nicht entehre.
L. 1 § 6 de dolo (4. 3) (Ulpianus) (h) „Idem Pom-
ponius refert, Labeonem existimare, etiam si quis in
integrum restitui possit, non debere ei hanc actio-
nem competere“ …
L. 7 § 1 de in int. rest. (4. 1) (Marcellus) (i)
„Nec intra has solum species consistet hujus generis
auxilium; etenim deceptis sine culpa sua, maxime
si fraus ab adversario intervenerit, succurri opor-
tebit, quum etiam de dolo malo actio competere so-
leat. Et boni Praetoris est potius restituere litem,
ut et ratio et aequitas postulabit, quam actionem
famosam constituere, ad quam tunc demum descen-
dendum est, quum remedio locus esse non potest.“
Beide Stellen ſind von Manchen ſo aufgefaßt worden.
Jeder Betrug begründet eine Reſtitution; da nun aber
im Colliſionsfall ſtets die Reſtitution, die nicht entehrt, der
entehrenden actio doli vorgezogen werden muß, ſo kann im
Fall des Betrugs nur allein die Reſtitution angewendet
(h) Der vorhergehende Para-
graph hatte die Stelle des Edicts
erläutert, nach welcher die actio
doli nur in Ermanglung einer
anderen actio gebraucht werden
dürfe.
(i) Vorher wird geſagt, bei
aller nöthigen Aufrechthaltung der
solennia (damit ſind hier die
Prozeßformen gemeint) müſſe doch
der Prätor’ eine billige Reſtitution
nicht verſagen; ſo z. B. wenn eine
Partei auf eine interrogatio nicht
antworte, und deswegen zu einem
Nachtheil verurtheilt werde (§ 305),
dann aber ſogleich die verſäumte
Antwort nachhole.
|0226 : 204|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
werden. Dieſe Erklärung, wodurch die Sache auf die
äußerſte Spitze getrieben wird, kann unmöglich richtig ſeyn.
Denn durch ſie würde die Anwendung der actio doli völlig
ausgeſchloſſen ſeyn, da doch für viele Fälle von den alten
Juriſten dieſe Klage für das einzig anwendbare Rechts-
mittel erklärt wird, während gerade umgekehrt von der
Reſtitution wegen Betrugs nur ſelten und beiläufig die
Rede iſt.
Die richtige Auffaſſung dieſer Stellen, und zugleich der
ganzen Frage von der Reſtitution wegen Betrugs, wird
ſich in folgender Reihe von Sätzen aufſtellen laſſen, die
ſich an einzelne Stellen der alten Juriſten anſchließen.
A. Fälle, in welchen der Betrüger dieſelbe Perſon iſt,
welche als Gegner den Vortheil aus dem Betrug ziehen
würde.
1. Wenn dieſes Verhältniß eintritt zwiſchen den Par-
teien in einem Prozeß, z. B. indem der Kläger durch des
Beklagten Betrug verleitet wird, die Prozeßverjährung ab-
laufen zu laſſen, ſo wäre eigentlich die actio doli begründet.
Da aber in dieſem Fall die Reſtitution wegen Betrugs
genau denſelben Vortheil gewährt (indem ſie den Verluſt
der Klage aufhebt), und doch zugleich die Ehre des Gegners
ſchont, ſo wird ein wohldenkender Prätor die Ertheilung
der Reſtitution vorziehen.
Genau Dieſes iſt der Sinn der oben abgedruckten Stelle
des Marcellus. Dieſe ſpricht von einem Betrug im
Prozeß, verübt vom Prozeßgegner, welches theils aus dem
|0227 : 205|
§. 332. Einzelne Reſtitutionsgründe. V. Betrug.
vorhergehenden Theil der Stelle erhellt, theils aus der Er-
wähnung des adversarius, theils aus den Worten resti-
tuere litem.
2. Ein Schuldner bewegt durch einen erdichteten Brief
ſeinen Gläubiger, ihm die Schuld durch Acceptilation zu
erlaſſen. Der Gläubiger, der Dieſes entdeckt, kann, wenn
er volljährig iſt, die actio doli gegen den Schuldner (auf
Entſchädigung) anſtellen, wenn er minderjährig iſt, durch
Reſtitution die Wiederherſtellung der getilgten Schuld be-
wirken (k).
Dieſe Stelle hat mit der vorhergehenden (L. 7 § 1
de in int. rest.) die Aehnlichkeit, daß in beiden von einem
auf zwei Perſonen beſchränkten Rechtsverhältniß die Rede
iſt. Dabei muß es aber auffallen, daß hier dem voll-
jährigen Gläubiger die actio doli gegeben wird, da doch
die in der vorhergehenden Stelle vorgezogene Reſtitution
wegen Betrugs denſelben Erfolg gehabt hätte, mit Scho-
nung der Ehre des Gegners. Ich wage nicht, einen be-
ſtimmten Grund dieſer ſcheinbar verſchiedenen Entſcheidung
anzugeben. Vielleicht war dieſer Punkt ſtreitig; ohnehin
behauptet Marcellus den Vorzug jener Reſtitution nicht
als eine feſtſtehende Rechtsregel, ſondern als das räthliche
Verfahren eines wohlgeſinnten Prätors. Es iſt aber auch
möglich, daß die Römiſchen Juriſten dieſen Vorzug der
(k) L. 38 de dolo (4. 3)
„… postea epistola falsa vel
inani reperta, creditor major
quidem annis XXV. de dolo
habebit actionem, minor autem
in integrum restituetur“.
|0228 : 206|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Reſtitution vor der actio doli ſo allgemein nur annahmen
bei Nachtheilen im Prozeß (wovon L. 7 § 1 cit. handelt)
nach der Analogie des Irrthums, nicht bei Nachtheilen aus
Verträgen (wovon L. 38 de dolo redet).
3. Eine reine Anwendung der hier aufgeſtellten Regeln
findet ſich in einer der wichtigſten hierher gehörenden Stel-
len, die man gewöhnlich mit Unrecht als eine vereinzelte,
ganz poſitive Beſtimmung anſieht (l). Wenn ein Prozeß
rechtskräftig entſchieden wird, der verlierende Theil aber
hinterher entdeckt, daß das Urtheil auf die Ausſage von
Zeugen geſprochen worden iſt, die der Gegner beſtochen
hatte, ſo würde gegen denſelben unzweifelhaft die actio doli
begründet ſeyn. — Dieſe ſoll aber hier nicht gelten, ſondern
es ſoll vielmehr durch Reſtitution (wegen Betrugs) das
Urtheil entkräftet werden, damit ein neues Urtheil geſprochen
werden könne.
B. Fälle, in welchen der Betrüger eine vom Gegner
des Verletzten verſchiedene (dritte) Perſon iſt.
4. Wenn bei einer angeſtellten oder vorbereiteten Klage
ein Dritter in böswilliger Abſicht die Erſcheinung des Be-
klagten vor Gericht verhindert, ſo kann dadurch der Kläger
auf mancherlei Weiſe in Nachtheil kommen; eine angefan-
gene Uſucapion oder Klagverjährung kann vollendet werden,
wodurch dem Kläger ſein Eigenthum oder ſein Klagrecht
entzogen wird. Gegen dieſen Dritten gab der Prätor dem
(l) L. 33 de re jud. (42. 1).
|0229 : 207|
§. 332. Einzelne Reſtitutionsgründe. V. Betrug.
Kläger eine beſondere Entſchädigungsklage, eine actio in
factum, ſo daß er der entehrenden actio doli gar nicht
bedurfte (m). Wenn aber dieſer Dritte zahlungsunfähig
war, ſo ſollte der verletzte Kläger gegen den unſchuldigen
Beklagten ſelbſt eine Reſtitution erhalten, damit ſich dieſer
nicht mit dem nun unheilbaren Schaden eines Anderen
bereichere (n). — Dieſes iſt offenbar eine Reſtitution wegen
des (von einem Dritten verübten) Betrugs, die aber nur
im Nothfall eintreten ſoll, nämlich nur, wenn dem Ver-
letzten nicht durch die ordentliche Klage gegen den Betrüger
Hülfe verſchafft werden kann.
5. Wenn Jemand zur Hälfte ein Erbrecht erwirbt,
dann als Erbe verklagt wird, und auf die gerichtliche Frage,
zu welchem Theil er Erbe ſey, wider beſſeres Wiſſen erklärt,
er ſey der einzige Erbe, ſo trifft ihn zur Strafe der Nach-
theil, daß er im Fall der Verurtheilung für die ganze
Schuld haften muß (o). Dazu bedarf es keiner beſonderen
Klage, insbeſondere nicht der actio doli. Iſt er aber zah-
lungsunfähig, ſo würde nun den unſchuldigen Kläger ohne
Grund der Nachtheil treffen, daß er den zahlungsfähigen
Miterben nicht mehr verklagen könnte, und dieſer würde
ſich auf des Klägers Koſten bereichern. Dagegen erhält
(m) L. 3 pr. de eo, per quem
factum (2. 10).
(n) L. 3 § 1 eod. „Plane si
is, qui dolo fecerit, quo minus
in judicio sistatur, solvendo non
fuerit, aequum erit, adversus
ipsum reum restitutoriam ac-
tionem competere, ne propter
dolum alienum reus lucrum
faciat, et actor damno adficia-
tur.“
(o) L. 11 § 4. 5 de interrog.
in j. (11. 1).
|0230 : 208|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
der Kläger Reſtitution (wegen Betrugs eines Dritten), ſo
daß er gegen den Miterben zur Hälfte der Schuld klagen
kann (p).
6. Wenn ein Waarenkauf nach dem von einem Dritten
hergeliehenen Gewicht geſchloſſen wird, der Dritte aber
wiſſentlich falſches Gewicht giebt, ſo geht gegen ihn die
actio doli (q); das Geſchäft ſelbſt alſo bleibt unter
den Parteien gültig. Nach den bei den vorigen Fällen
(Num. 4. 5) angewendeten Regeln darf man aber wohl un-
bedenklich annehmen, daß die Reſtitution gegen das Geſchäft
ſelbſt gegeben werden muß, wenn die actio doli wegen
Zahlungsunfähigkeit des Beklagten ohne Erfolg bleibt (r).
Faſſen wir das Ergebniß dieſer Entſcheidungen einzelner
Rechtsfälle zuſammen, ſo erhalten dadurch die zwei oben
(S. 203) abgedruckten Stellen folgende ſichere Deutung. Wenn
dieſe Stellen ſagen, im Colliſionsfall ſey die Reſtitution der
entehrenden actio doli vorzuziehen, ſo hat das erſtlich den
Sinn, daß die aus einem anderen Reſtitutionsgrund, z. B.
Minderjährigkeit, abzuleitende Reſtitution ſtets vorgehen ſoll
(Num. 2); ferner auch den Sinn, daß die Reſtitution wegen
Betrugs vorgehen ſoll, wenn der Gegner des Verletzten
(p) L. 18 eod.
(q) L. 18 § 3 de dolo (4. 3).
(r) Auch noch in einem anderen
Fall zeigt ſich die Rückſicht auf
Zahlungsunfähigkeit, ohne daß da-
bei von Reſtitution die Rede iſt.
Wenn ein Unmündiger unter Ge-
nehmigung des Vormundes mit
einem Dritten einen Vertrag ſchließt,
und dabei von dieſen beiden Per-
ſonen betrogen wird, ſo ſoll er
nur die actio tutelae gegen den
Vormund haben, nicht die actio
doli gegen den Dritten, außer wenn
der Vormund inſolvent iſt. L. 5. 6
de dolo (4. 3).
|0231 : 209|
§. 332. Einzelne Reſtitutionsgründe. V. Betrug.
zugleich der Betrüger iſt (s). Iſt dagegen der Betrüger
verſchieden von dem Gegner des Verletzten, ſo muß ſich
dieſer an den Betrüger halten, ſelbſt wenn dazu die actio
doli nöthig ſeyn ſollte, und die Reſtitution gegen den
ſchuldloſen Gegner ſoll nicht eintreten, außer wenn der
Betrüger zahlungsunfähig iſt (Num. 4. 5. 6).
Die Meinungen der Neueren über die Reſtitution wegen
Betrugs gehen ungemein aus einander.
Von Burchardi’s Meinung, nach welcher beſonders
die Reſtitution wegen Betrugs ſeit Diocletian die größte
Ausdehnung erhalten haben ſoll, iſt ſchon oben die Rede
geweſen (§ 317 Note g). — Schröter ſchließt ſich dieſer
Anſicht gleichfalls an, hat aber daneben richtige Anſichten
aufgeſtellt, und nur die Anwendung dieſer Reſtitution zu
caſuiſtiſch behandelt, anſtatt ſie auf allgemeinere Grundſätze
zurück zu führen (t). — Göſchen verneint gänzlich das
Daſeyn einer Reſtitution wegen Betrugs, indem er ſich
durch die Wahrnehmung täuſchen läßt, daß gerade in dem
Digeſtentitel de dolo malo eine ſolche Reſtitution nicht
erwähnt wird (u). — Puchta nimmt ſo, wie bei der
Reſtitution wegen Zwangs, mit Unrecht an, daß dieſe
Reſtitution im heutigen Recht völlig verſchwunden ſey
(§ 330 Note g). Anderwärts aber nimmt er an, die
(s) Wenigſtens für Prozeßver-
hältniſſe iſt Dieſes gewiß nach
Num. 1. 3, für Verträge mag es
nach Num. 2 dahin geſtellt bleiben.
(t) Schröter S. 126 — 129.
(u) Göſchen Vorleſungen I.
S. 569.
VII. 14
|0232 : 210|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
actio doli ſelbſt ſey eine Reſtitution, weil in der Stelle
des Edicts die Worte vorkommen: si justa causa esse vi-
debitur, alſo eine causae cognitio vorbehalten ſey (v).
Sowohl dieſe Behauptung, als die von ihm verſuchte Er-
klärung der oben abgedruckten beiden Digeſtenſtellen (w), iſt
ſo ſubtil, daß durch ihre conſequente Durchführung die
ganze Lehre von der Reſtitution alle Haltung verlieren
müßte.
§. 333.
Reſtitution. — Einzelne Gründe. — VI. Antiquirte
Gründe.
Die bisher abgehandelten Reſtitutionsgründe können
insgeſammt auch im heutigen Recht vorkommen. Zwei
andere jedoch ſind nur noch geſchichtlich zu erwähnen, und
nur um in dem ganzen Zuſammenhang dieſer Lehre keine
Lücke zu laſſen. Dieſe ſind:
Die Capitis deminutio.
Die Alienatio judicii mutandi causa facta.
Beide haben in den Digeſten eigene Titel, im Zuſammen-
hang mit den übrigen Reſtitutionsgründen erhalten. Beide
aber können nicht nur für das heutige Recht, ſondern ſelbſt
für das Juſtinianiſche, als anwendbare Reſtitutionen nicht
mehr anerkannt werden.
(v) Puchta Inſtitutionen B. 2 S. 221 — 223.
(w) A. a. O., S. 223. 419.
|0233 : 211|
§. 333. VI. Antiquirte Reſtitutionsgründe.
Die capitis deminutio hatte als Reſtitutionsgrund von
jeher nur folgende, höchſt beſchränkte Bedeutung. Wenn
ein Schuldner eine minima capitis deminutio erlitt, durch
Arrogation, Adoption, Emancipation u. ſ. w. (a), ſo gingen
nach altem Recht alle ſeine Schulden unter (b). Da nun
Dieſes eine augenſcheinliche Ungerechtigkeit gegen die nicht
einwilligenden Gläubiger war, ſo gab dagegen der Prätor
eine Reſtitution, wodurch er die verlorenen Forderungen
wiederherſtellte (c).
Dieſe Reſtitution führte aber nur den leeren Namen
einer ſolchen, indem die eigenthümliche Natur einer Re-
ſtitution bei ihr gar nicht zur Anwendung kam. Sie ſollte
nämlich nicht vom freien Ermeſſen des Prätors abhangen,
ſondern unbedingt, ohne alle Vorunterſuchung der beſon-
deren Umſtände, gegeben werden; und ſie ſollte ferner nicht
an die Verjährungsfriſt der Reſtitution gebunden ſeyn (d).
Es war alſo in der That eine praktiſche Aufhebung des
alten Rechtsſatzes, nur verſteckt unter der Form einer Re-
ſtitution, gewiſſermaßen aus Reſpect gegen das alte Civil-
recht.
So ſtand es alſo ſchon im alten Recht. Im Juſtinia-
(a) S. o. B. 2. §. 68.
(b) Gajus Lib. 4 § 38, Lib. 3
§ 84. Nur wenige Arten von
Schulden waren von dieſem Unter-
gang ausgenommen. — Die
maxima und media capitis de-
minutio hatten andere Folgen,
und kommen hier nicht in Betracht.
(c) L. 2 § 1, L. 7 § 2. 3 de
cap. min. (4. 5), L. 2 de in int.
rest. (4. 1), Gajus l. c., Paulus I.
7. § 2.
(d) L. 2 § 1. 5 de cap. min.
(4. 5).
14*
|0234 : 212|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung
niſchen Recht aber iſt der alte Grundſatz ſelbſt, worauf ſich
dieſe mildernde Maaßregel bezog, mit allem Recht wegge-
laſſen worden, ſo daß für uns das Bedürfniß dieſer Re-
ſtitution räthſelhaft blieb bis zur Entdeckung des Gajus.
Man möchte glauben, es wäre nun beſſer geweſen, auch
dieſe Reſtitution ſelbſt unerwähnt zu laſſen. Dieſes iſt
nicht geſchehen, theils weil überall in den Juſtinianiſchen
Sammlungen das Beſtreben ſichtbar iſt, ſo wenig als
möglich von den alten Rechtsinſtituten dem Namen nach
untergehen zu laſſen, theils weil hier die einzige ſchickliche
Stelle zu ſeyn ſchien, um überhaupt die Lehre von der
capitis deminutio in den Digeſten anzubringen (e).
Die alienatio judicii mutandi causa facta war in der
That vom Prätor als Reſtitutionsgrund aufgeſtellt. Wenn
der Beſitzer einer fremden Sache, der eine Eigenthumsklage
erwartete, den Beſitz abſichtlich weggab, indem er dadurch
den Kläger in eine nachtheiligere Lage verſetzte, ſo ſollte
durch jene Reſtitution die Klage gegen ihn eben ſo möglich
gemacht werden, wie wenn er den Beſitz behalten hätte.
Dieſe Reſtitution wurde aber völlig überflüſſig gemacht
durch die ſpäterhin, zuerſt bei der Erbſchaftsklage, dann bei
der Eigenthumsklage, eingeführte Lehre von dem qui dolo
desiit possidere. Dieſer ſoll jetzt, gerade ſo wie ein gegen-
wärtiger Beſitzer, mit jenen Klagen in rem belangt werden
können, und zwar im Gang des gewöhnlichen Prozeſſes,
(e) Vergl. über dieſe Reſtitution B. 2 § 70 S. 82 — 87.
|0235 : 213|
§. 333. VI. Antiquirte Reſtitutionsgründe.
ohne daß es dazu fernerhin einer Reſtitution bedarf, alſo in
viel vortheilhafterer Weiſe für den gefährdeten Klagberech-
tigten (f).
Außer den autiquirten Reſtitutionsgründen ſind hier,
der Vollſtändigkeit wegen, noch einige zu erwähnen, die
blos auf irrigen Meinungen beruhen.
Dahin gehören zunächſt die ſogenannten civilen Re-
ſtitutionen. Deren Annahme und reichhaltige Ausſtattung
iſt aus zweierlei Mißverſtändniſſen hervorgegangen. Zuerſt
aus der ſchon oben gerügten Verwechſelung vieler ordent-
lichen Rechtsmittel mit der Reſtitution, die doch mit der-
ſelben in der That nur den äußeren Erfolg gemein haben
(§ 316). Dann aber aus dem irrigen Verfahren, die zum
Theil aus Kaiſerconſtitutionen hervorgegangene Ausbildung
der oben vorgetragenen wahren Reſtitutionsgründe zu unab-
hängigen, neuen Reſtitutionen umzubilden (g).
Ferner gehören dahin die verſchiedenartigſten Fälle von
Reſtitutionen die man auf den irrig aufgefaßten Begriff
einer generalis clausula zurück zu führen verſucht hat.
Davon iſt jedoch ſchon oben (§ 325) geredet worden.
(f) Vergl. oben § 316 Noten h
bis l.
(g) Vergl. Schröter S. 151.
bis 157. Göſchen Vorleſungen
I. § 183.
|0236 : 214|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
§. 334.
Reſtitution. — Gerichtsbehörden.
Es iſt jetzt noch der formelle Theil der Reſtitutionslehre
darzuſtellen übrig, welcher die dabei thätigen Gerichts-
behörden, die Parteien, das Verfahren, und endlich die
Wirkungen der Reſtitution zum Gegenſtand hat (§ 318).
Das Recht der Behörden zur Ertheilung von Reſtitu-
tionen (Competenz) iſt nach zwei Geſichtspunkten zu be-
ſtimmen: zuerſt nach ihrem Beruf zu dieſem Geſchäft im
Allgemeinen (Gerichtsbarkeit); dann nach ihrer Berechtigung
für vorkommende einzelne Fälle (Gerichtsſtand).
Gerichtsbarkeit in Reſtitutionsſachen hatte urſprünglich
in Rom und in Italien nur allein der Prätor; in jeder
Provinz der Statthalter. Die ſtädtiſchen Obrigkeiten waren
zu Reſtitutionen niemals befugt (a). Eben ſo erſtreckte ſich
die Befugniß eines vom Prätor ernannten Judex nicht auf
die in dieſe Sache etwa einſchlagende Bitte um Reſtitution;
dieſe mußte vielmehr ſtets an den Prätor ſelbſt zurück-
gehen (b).
Nach demſelben Grundſatz blieb unter den Kaiſern die
Reſtitution ein Vorbehalt der höheren Obrigkeiten; ſie wurde
ertheilt von den Prätoren, dem Stadtpräfecten, dem Prä-
fectus Prätorio, den Statthaltern der Provinzen, vom
Kaiſer ſelbſt. Juſtinian aber beſtimmte, welches vor ihm
(a) L. 26 § 1 ad munic. (50. 1). Vergl. oben § 317.
(b) Burchardi S. 433.
|0237 : 215|
§. 334. Reſtitution. Gerichtsbehörden.
bezweifelt wurde, daß alle dieſe Behörden auch durch
commiſſariſche Richter die Reſtitution prüfen und ertheilen
laſſen könnten; imgleichen, daß die von ihnen für eine
andere ganze Sache ernannten Commiſſare auch eine darin
gelegentlich vorkommende Reſtitution ertheilen ſollten (c).
Für den wichtigſten Fall, die Reſtitution gegen ein
rechtskräftiges Urtheil, ſind noch folgende beſondere Regeln
zu bemerken. Kein Beamter ſollte gegen das Urtheil eines
im Rang höher ſtehenden Beamten reſtituiren, wohl aber
gegen das eines gleichſtehenden; alſo auch gegen ſein eigenes
Urtheil, ſo wie gegen das ſeines Vorgängers. Gegen ein
Urtheil des Kaiſers, oder eines vom Kaiſer unmittelbar
aufgeſtellten Vertreters, konnte daher auch nur der Kaiſer
ſelbſt reſtituiren (d).
Im heutigen Recht iſt unzweifelhaft jeder ordentliche
Richter zur Ertheilung einer Reſtitution befugt, und dadurch
wird dieſes ohnehin ſchon bedenkliche Inſtitut für unſren
Rechtszuſtand noch weit bedenklicher, als es jemals für die
Römer geweſen iſt (e).
Für den Gerichtsſtand, alſo für die Competenz der Ge-
richtsbehörden in einzelnen Reſtitutionsſachen, ſind dieſelben
(c) L. 16 § 5, L. 17 de min.
(4. 4), L. 3 C. ubi et ap. quem
(2. 47). Dieſe Stelle des Codex
iſt wiederholt in dem C. 9 X. de
in int. rest. (1. 41), jedoch mit
dem, wahrſcheinlich blos mißver-
ſtändlichen, Zuſatz, daß auch
Schiedsrichter reſtituiren könnten. —
Burchardi S. 432 bis 439. S.537
bis 548.
(d) L. 18. 42 de min. (4. 4),
L. 3 C. si adv. rem jud. (2.27).
— Burchardi S. 550 bis 552.
(e) S. oben § 317. Vergl.
Burchardi S. 545. 546.
|0238 : 216|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Regeln zu beobachten, wie wenn das Reſtitutionsgeſuch
eine ordentliche Klage wäre. Insbeſondere fällt die bei
Gelegenheit einer anhängigen anderen Rechtsſache vorkom-
mende Bitte um Reſtitution der Prüfung und Entſcheidung
des Richters anheim, bei welchem die Hauptſache anhängig
iſt (f).
§. 335.
Reſtitution. — Parteiperſonen.
Der nächſte Gegenſtand der Unterſuchung betrifft die
Perſonen, unter welchen das Geſuch einer Reſtitution ver-
handelt und entſchieden werden kann. Auf der einen Seite
ſteht der Verletzte, dem durch die Reſtitution geholfen werden
ſoll, auf der andern Seite irgend Einer, welcher der Re-
ſtitution zu widerſprechen ein Intereſſe hat, indem er durch
die Herſtellung des früheren Zuſtandes Etwas verliert.
Ich will, der Kürze wegen, dieſe beide Perſonen den Be-
rechtigten und den Verpflichteten nennen.
I. Als Berechtigter iſt zunächſt und unmittelbar der
Verletzte ſelbſt zu betrachten, um deſſentwillen die gerade
jetzt in Frage kommende Reſtitution eigentlich eingeführt
iſt, alſo der Minderjährige, der Gezwungene, der Be-
trogene u. ſ. w.
Außer und neben ihm aber können auch manche andere
Perſonen als Berechtigte angeſehen werden, welche ihr
(f) Burchardi S. 548 bis 550.
|0239 : 217|
§. 335. Reſtitution. Parteiperſonen.
Recht von dem ſeinigen in Folge eines beſonderen Rechts-
verhältniſſes ableiten.
Dahin gehören allgemein und unzweifelhaft alle Univer-
ſalſucceſſoren des urſprünglich Berechtigten (a). Jeder Re-
ſtitutionsanſpruch kann alſo nach dem Tode des urſprünglich
Berechtigten auch geltend gemacht werden von deſſen Erben,
ſo wie von denen, welche in gleichem Verhältniß, wie
eigentliche Erben, zu dem Verſtorbenen ſtehen; dahin gehören
die Nachfolger aus einem Fideicommiß der Erbſchaft, ferner
die, welchen ein castrense peculium zufällt. Eben ſo aber
auch, wenn der Berechtigte nicht ſtirbt, ſondern in Unfrei-
heit fällt, der Herr deſſelben, weil dieſer in das Vermögen
ſeines Sklaven wie ein Erbe eintritt (b).
Unter die Fälle eines ſolchen abgeleiteten Rechts auf
eine Reſtitution gehört ferner der Fall einer Ceſſion, welche
überall angewendet werden kann, um die Stelle der Sin-
gularſucceſſion in eine Reſtitution zu vertreten (c), ſo wie
ſie bei den Obligationen dieſe Stelle vertritt.
Alle dieſe Regeln haben kein Bedenken. Dagegen iſt in
hohem Grade ſtreitig und verwickelt die Frage, ob auch der
Bürge des urſprünglich Berechtigten an der Reſtitution
deſſelben Theil nehmen kann (d).
(a) S. o. B. 3 § 105.
(b) L. 6 de in int. rest. (4. 1),
L. 18 § 5 de minor. (4. 4).
(c) L. 24 pr. de min. (4. 4),
L. 25 de admin. (26. 7), L. 20
§ 1 de tutelae (27. 3). — S. u.
Note q.
(d) Vergl. über dieſe Frage
Burchardi S. 407 — 416. S.
570 — 581, der die älteren Schrift-
ſteller anführt. Ferner Göſchen
Vorleſungen I. S. 538. 553. 554.
Puchta Pandekten §. 105 i. und
§. 405 g. Vorleſungen S. 216.
|0240 : 218|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Um dieſe Streitfrage auf das ihr allein zukommende
engere Gebiet zurück zu führen, muß die Bemerkung vor-
aus geſchickt werden, daß ſie nur vorkommen kann bei der
Reſtitution der Minderjährigen. Abweſende nämlich werden
überhaupt nur reſtituirt gegen Verſäumniſſe, nicht gegen
Rechtsgeſchäfte (§ 325), während Bürgen nur bei Rechts-
geſchäften eintreten. In den Fällen des Zwanges und
Betrugs aber wird ſich der Bürge ſtets durch die exceptio
metus oder doli ſchützen können, die ihm eben ſo gut, als
dem Gezwungenen oder Betrogenen ſelbſt, zuſteht (e); dazu
bedarf es keiner Reſtitution.
Der Minderjährige nun, für deſſen Schuld ein Bürge
eingetreten iſt, ſteht in zwei verſchiedenen Rechtsverhält-
niſſen: gegen den urſprünglichen Gläubiger, und gegen den
Bürgen, der, wenn er aus der Bürgſchaft verurtheilt iſt,
oder freiwillig gezahlt hat, in der Regel den Regreß an
den Hauptſchuldner nehmen kann (f). Der minderjährige
Schuldner iſt gegen jede dieſer beiden Forderungen, wenn
er will, gleichmäßig durch Reſtitution geſchützt, ſo daß alſo
die praktiſche Frage eigentlich nur darauf geht, wer zuletzt
den Verluſt tragen ſoll, der Gläubiger oder der Bürge (g).
(e) L. 7. § 1 de except. (44.1).
(f) Mit der actio mandati
oder negotiorum gestorum, je-
nachdem der Schuldner um die
Bürgſchaft wußte oder nicht. L. 6
§ 2 L. 18 mand. (17. 1), L. 43
de neg. gestis. (3. 5).
(g) L. 13 pr. de min. (4. 4)
„… In summa perpendendum
erit Praetori, cui potius sub-
veniat, utrum creditori an
fidejussori; nam minor captus
neutri tenebitur“. — L. 1 C.
de fid min. (2. 24). Allerdings
|0241 : 219|
§. 335. Reſtitution. Parteiperſonen.
Wird nun zuerſt der Bürge verklagt, ſo hat Dieſer
gewiß keinen Anſpruch auf Reſtitution (h). Die Streitfrage
beſchränkt ſich alſo auf den anderen Fall, wenn zuerſt der
Minderjährige verklagt, und auf ſein Begehren reſtituirt
worden iſt; ob dieſe, nicht mehr blos mögliche, ſondern
wirklich ertheilte Reſtitution des Hauptſchuldners auch von
dem nachher verklagten Bürgen für ſich geltend gemacht
werden kann, das iſt die allein noch übrige Frage.
Mehrere Stellen ſprechen hierüber ſo, daß man glauben
könnte, der Bürge könne den Schutz der Reſtitution
verlangen (i); andere ſo, als könne er dieſen Schutz nicht
in Anſpruch nehmen (k); in der That aber muß die Unbe-
ſtimmtheit der einen und der anderen Ausſprüche nicht in
aber kann es geſchehen, daß die
eine dieſer Reſtitutionen geltend
gemacht wird, während die andere
verloren geht, z. B. durch Ver-
jährung. Darauf geht in dieſer
letzten Stelle der hypothetiſche
Ausdruck: modo fi… non juvaris.
(h) Nach dem neueſten Recht
freilich kann der Bürge die Klage
durch die exceptio excussionis
von ſich ablehnen, und dadurch
ſogleich die Anwendung des fol-
genden Falles herbei führen (Nov. 4
C. 1).
(i) L. 3 § 4 de min. (4. 4),
„.. hoc auxilium .. solet in-
terdum fidejussori ejus pro-
desse“, L. 51 pr. de proc. (3. 3),
L. 8 de adqu. her. (29. 2).
(k) L. 1. 2 C. de fid. min.
(2. 24), L. 7 § 1 de except. (44. 1).
Dieſe ſchwierige Stelle ſpricht zuerſt
von der exceptio L. Plaetoriae,
die ſie unbedingt den Bürgen zu-
ſpricht, dann von der Reſtitution:
„quod si deceptus sit in re
(i. e. sine dolo), tunc nec ipse
ante habet auxilium, quam
restitutus fuerit, nec fidejus-
sori danda est exceptio.“ Die
letzten Worte ſind zweideutig, in-
dem man ſo auslegen kann: der
Bürge ſoll niem als den Schutz
haben; oder auch: er ſoll gleich-
falls den Schutz nicht anders haben,
als nachdem der Minderjährige
reſtituirt iſt. Die letzte Deutung
iſt den Worten angemeſſener. Vgl.
Burchardi S. 205. 410. 579.
Savigny Zeitſchrift f. geſchichtl.
Rechtsw. X. 249.
|0242 : 220|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
dem Sinn einer allgemeinen und unbedingten Wahrheit
aufgefaßt werden, ſondern einer blos möglichen, für manche
Fälle, unter gewiſſen Umſtänden geltenden, Wahrheit.
Dahin deuten ſchon die Ausdrücke einiger dieſer Stellen
ſelbſt (Note h. i). Ganz beſtimmt aber entſcheidet für die
Richtigkeit dieſer Auffaſſung eine Stelle des Ulpian (l),
die überhaupt den Weg zeigt zur wahren Vereinigung der
über dieſe ganze Frage ſcheinbar widerſprechenden Stellen.
Ulpian ſagt, der Prätor müſſe nach den Umſtänden
jedes einzelnen Falles prüfen, ob der Gläubiger den Verluſt
tragen ſolle oder vielmehr der Bürge (Note g). Als Haupt-
regel aber für die Entſcheidung dieſer Frage ſtellt er den
offenbar richtigen Satz auf, der Bürge müſſe den Schaden
tragen, wenn er gerade mit Rückſicht auf die aus der
Minderjährigkeit für den Gläubiger hervorgehende Gefahr
Bürgſchaft leiſtete (m). Mit dieſer Anweiſung ſtimmt auch
völlig überein eine Stelle des Paulus (n). — Der ent-
(l) L. 13 pr. de min. (4. 4).
(m) L. 13 pr. cit. „Itaque
si, cum scirem minorem, et
ei fidem non haberem, tu fide-
jusseris pro eo, non est ae-
quum, fidejussori in necem
meam subveniri, sed potius ipsi
deneganda erit mandati actio.“
(n) Paulus I. 9. § 6. „Qui
sciens prudensque se pro
minore obligavit, si id consulto
consilio fecit, licet minori suc-
curratur, ipsi tamen non suc-
curretur.“ Consulto consilio
kann nicht die Abſichtlichkeit über-
haupt bezeichnen, denn dieſe findet
ſich bei jeder Bürgſchaft, ja bei
jedem Vertrag, ſondern nur die
beſondere, auf die Sicherheit gegen
eine künftige Reſtitution gerichtete
Abſicht. — Burchardi faßt die
Sache im Allgemeinen richtig auf,
ſtellt aber S. 572. 577 Präſum-
tionen auf, die ich für grundlos
und unnöthig halte. Beſonders
aber ſcheint mir der von ihm über
Ulpian ausgeſprochene Tadel
(S. 576) völlig ungerecht.
|0243 : 221|
§. 335. Reſtitution. Parteiperſonen.
gegengeſetzte Fall wird demnach ſo zu denken ſeyn, daß der
Bürge nicht aus jener beſonderen Rückſicht die Bürgſchaft
leiſtete, ſondern etwa, weil der Gläubiger die Zahlungs-
fähigkeit des Minderjährigen in Zweifel zog, während der
Bürge deſſen ausreichendes Vermögen genau kannte, ſo daß
alſo dabei das minderjährige Alter des Hauptſchuldners
gar nicht zur Sprache kam (o); am entſchiedenſten würde
dieſer zweite Fall anzunehmen ſeyn, wenn die Minderjährig-
keit dem Bürgen ganz unbekannt geblieben wäre, vielleicht
auch ſelbſt dem Gläubiger. In dieſem zweiten Fall nun
würde der aus der Reſtitution hervorgehende Schutz dem
Bürgen zu gute kommen, und der Gläubiger hätte den
Verluſt zu tragen.
Man kann nun noch die Frage aufwerfen, welche
Mittel anzuwenden ſeyen, um zu dem hier aufgeſtellten
Ziele zu gelangen. Darüber ſagt Ulpian, der ſicherſte
Weg beſtehe darin, daß ſofort der Minderjährige gegen den
Hauptſchuldner und den Bürgen zugleich die Reſtitution
nachſuche. Dann höre der Prätor alle Betheiligte gegen
einander, und könne ſo am beſten entſcheiden, wer im vor-
liegenden Falle den Verluſt tragen ſolle (p).
(o) Dieſes drückt Papinian
in L. 95 § 3 de sol. (46. 3) ſo
aus: „cui fidejussoris (obligatio)
accessit sine contemplatione
juris praetorii.“ Burchardi
S. 575 faßt dieſe Worte anders
auf.
(p) L. 13 pr. de min. (4. 4).
„Unde tractari potest, minor in
integrum restitutionem utrum
adversus creditorem, an et
adversus fidejussorem implo-
rare debeat? Et puto tutius
adversus utrumque; causa enim
cognita et praesentibus adver-
sariis, vel si per contumaciam
desint, in integrum restituti-
ones perpendendae sunt.
|0244 : 222|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Nun iſt es aber auch möglich, daß der Minderjährige
dieſen Rath nicht befolgt, vielmehr mit der Reſtitution gegen
den Hauptſchuldner ſich begnügt, oder auch dieſe einſtweilen
auf ſich beruhen läßt, da dann in beiden Fällen dem Bürgen
die Gelegenheit entzogen wird, ſeinen Anſpruch auf die
Theilnahme an der Reſtitution zu rechter Zeit geltend zu
machen. Für ſolche Fälle muß dem Bürgen geſtattet
werden, ſeine Regreßklage gegen den Minderjährigen gleich
jetzt geltend zu machen (Note f); nicht um einen Gelderſatz
zu erlangen, indem er ſelbſt noch Nichts gezahlt hat, auch
von dieſem Erſatz durch des Minderjährigen Reſtitution in
jedem Fall ausgeſchloſſen ſeyn würde (Note g): wohl aber
um den Minderjährigen zu einer Ceſſion ſeiner Reſtitution
zu zwingen, die er dann gegen den Gläubiger geltend
machen kann. Dieſe billige, dem Minderjährigen unſchäd-
liche, Befugniß wird von Paulus anerkannt, zwar nicht
für den Fall der Bürgſchaft, wohl aber für folgenden ganz
ähnlichen, nach gleichen Grundſätzen zu beurtheilenden Fall.
Wenn ein Minderjähriger für einen Anderen eine nego-
tiorum gestio unternimmt, und darin Etwas verſieht, ſo
kann er ſich reſtituiren laſſen, und dadurch von dem Anderen
(dem Herrn des Geſchäfts) allen Schaden abwenden. Ver-
weigert er dieſe Reſtitution, ſo kann der Andere durch die
actio negotiorum gestorum verlangen, daß ihm der Minder-
jährige die Reſtitution cedire, die dann er ſelbſt geltend
machen kann (q).
(q) L. 24 pr. de min. (4. 4). S. o. Note c.
|0245 : 223|
§. 336. Reſtitution. Parteiperſonen. (Fortſ.)
§. 336.
Reſtitution. — Parteiperſonen. (Fortſetzung.)
II. Die Perſon des Verpflichteten in der Reſti-
tution (§ 335) iſt nicht ſo einfach und leicht zu beſtimmen,
wie die des Berechtigten, wegen der großen Verſchiedenheit
der Rechtsverhältniſſe, worauf ſich die Wiederherſtellung
eines früheren Zuſtandes beziehen kann. Bei einem nach-
theiligen Vertrag wird es oft nur darauf ankommen, die
obligatoriſche Wirkung deſſelben zu entkräften; dann iſt der
andere Contrahent allein der zur Erduldung der Reſtitution
verpflichtete Gegner, ganz als ob von einer perſönlichen
Klage die Rede wäre. Iſt dagegen das durch Erſitzung
einem Abweſenden entzogene Eigenthum zu reſtituiren, ſo
iſt der Beſitzer der Sache, der meiſt auch der Eigenthümer
ſeyn wird, der Verpflichtete, da gegen dieſen die herzuſtel-
lende Eigenthumsklage gerichtet wird. Geht die Reſtitution
gegen eine angetretene oder ausgeſchlagene Erbſchaft, ſo
ſind die ſehr mannichfaltigen Perſonen als Verpflichtete zu
betrachten, mit welchen ein Erbe als ſolcher in Rechts-
verhältniſſe eintritt. — Man pflegt wohl dieſe Verſchieden-
heit ſo auszudrücken, daß die Reſtitution bald in personam,
bald in rem gehe. Von dieſem Gegenſatz wird jedoch zweck-
mäßiger weiter unten, bei den Wirkungen der Reſtitution,
gehandelt werden (§ 343).
Gewiſſe Perſonen ſind wegen ihres perſönlichen Ver-
hältniſſes zum Berechtigten von der Verpflichtung aus-
|0246 : 224|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
genommen, eine Reſtitution gegen ſich ergehen zu laſſen.
Dieſe Ausnahmen haben Aehnlichkeit mit den für die actio
doli vorgeſchriebenen Ausnahmen von der Verpflichtung,
als Beklagte in dieſer Klage aufzutreten, dürfen jedoch nicht
damit gleich geſtellt werden.
Bei der Reſtitution ſind ausgenommen die Eltern und
der Patron des Berechtigten. Dieſe Ausnahme war früher
beſtritten in ihren Bedingungen und Gränzen, iſt aber von
Juſtinian in größter Ausdehnung anerkannt worden (a).
— Bei der actio doli ſind gleichfalls ausgenommen die
Eltern und der Patron; außer dieſen aber auch noch viele
andere Perſonen, welchen der Berechtigte nach ſeiner Stel-
lung Ehrfurcht ſchuldig iſt. Dagegen hat dieſe Ausnahme
bei der actio doli die blos formelle Bedeutung, daß der
Ausdruck dolus und die davon abhängende Entehrung ver-
mieden werden ſoll; jede andere Wirkung der Klage ſoll
durch eine actio in factum aufrecht erhalten werden (b).
Bei der Reſtitution hat die Ausnahme eine ernſthaftere
Bedeutung; weder die Reſtitution ſelbſt, noch ein Surrogat
derſelben, ſoll gegen Eltern und Patrone in Anſpruch ge-
nommen werden, weil dieſen gar nicht zugetraut werden
dürfe, daß ſie gegen ihre Kinder oder Freigelaſſene ein
(a) L 2 C. qui et adv. quos
(2. 42). Vergl. Burchardi
S. 117 — 124. Göſchen Vor-
leſungen I. S. 540. Puchta
Pandekten § 107 d.
(b) L. 11 § 1, L. 12 de dolo
(4. 3), L. 27 § 4 de min. (4. 4).
|0247 : 225|
§. 336. Reſtitution. Parteiperſonen. (Fortſ.)
Recht geltend machen könnten, welches zu einer Reſtitution
Anlaß geben möchte (c).
Von dieſer Begünſtigung der Eltern und Patrone haben
neuere Schriftſteller wiederum folgende Reihe von Aus-
nahmen aufgeſtellt, die aber insgeſammt als ſolche nicht
anerkannt werden können.
1. Gegen eine nachtheilige Arrogation kann ein minder-
jähriger Sohn allerdings Reſtitution fordern (d). Nur iſt
es ein Zirkel, Dieſes als Ausnahme von der oben ange-
gebenen Begünſtigung anzuſehen. Denn wenn die Reſti-
tution als begründet erkannt wird, ſo iſt ja gerade das
elterliche Verhältniß verneint, worauf allein die Begünſti-
gung ſich bezieht.
2. Wenn ein Vater ſeinen minderjährigen Sohn eman-
cipirt, dann aber durch Klage die Emancipation als nicht
geſchehen angreift, und ein rechtskräftiges Urtheil für ſich
erlangt, ſo kann der Sohn allerdings Reſtitution gegen
dieſes Urtheil erhalten (e). Allein wegen dieſer angeblichen
Ausnahme gilt dieſelbe Bemerkung, wie wegen der vorher-
gehenden. Denn wenn in Folge der Reſtitution ein ent-
gegengeſetztes Urtheil bewirkt wird, welches die Emanci-
pation für gültig erklärt, ſo iſt dadurch wiederum das
Verhältniß zwiſchen Vater und Sohn beſeitigt.
3. Wenn der Vater eine Sache zuerſt ſeinem minder-
(c) L. 2 C. cit.
(d) L. 3. § 6 de min. (4. 4).
Vgl. oben § 319 Note p.
(e) L. 2 C. si adv. rem jud.
(2. 27).
VII. 15
|0248 : 226|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
jährigen Sohn, dann aber einem Dritten, und zwar mit
Einwilligung des Sohnes, ſchenkt, ſo kann der Sohn
gegen dieſe ſeine Einwilligung Reſtitution verlangen (f).
Hier geht aber die Reſtitution nicht gegen den Vater,
ſondern gegen den Dritten, der die ſpätere Schenkung
empfing.
4. Wenn einem in väterlicher Gewalt lebenden minder-
jährigen Sohne die Erbſchaft zufällt, über den Werth dieſer
Erbſchaft Vater und Sohn verſchiedene Meinung haben,
und deshalb der Sohn, im Widerſpruch mit der Anſicht
des Vaters, die Erbſchaft ausſchlägt oder antritt, ſo kann
er hinterher gegen dieſe ſeine Handlung Reſtitution erlan-
gen (g). Auch hier, wie in dem vorhergehenden Falle,
geht die Reſtitution nicht gegen den Vater, ſondern gegen
die mancherlei fremde, dabei betheiligte Perſonen.
5. Wenn eine Mutter als Vormünderin die Rechte
ihres Kindes beeinträchtigt, ſo kann dieſes dagegen Rechts-
mittel jeder Art, unter andern auch die Reſtitution, ge-
brauchen (h). Dieſes iſt eine wahre Ausnahme jener
Begünſtigung, allein da die Novelle Juſtinian’s, worin
ſich dieſe neueſte Beſtimmung findet, ungloſſirt iſt, ſo hat
ſie für das heutige Recht keine Anwendbarkeit (i).
(f) L. 2 C. si adv. don. (2. 30).
(g) L. 8 § 1 C. de bon. quae
lib. (6. 61).
(h) Nov. 155 C. 1.
(i) S. o. B. 1 § 17. Göſchen
a. a. O. will die Novelle gelten
laſſen als blos declaratoriſch, wofür
ich ſie nicht halten kann, da ſie in
der That das frühere Geſetz poſitiv
einſchränkt. Puchta a. a. O. faßt
die Sache ſo auf, daß die Re-
ſtitution nur wegfalle gegen die
|0249 : 227|
§. 336. Reſtitution. Parteiperſonen. (Fortſ.)
Zuletzt iſt noch der Fall zu erörtern, wenn der Ver-
pflichtete bei der Reſtitution gleichfalls eine beſonders be-
günſtigte Perſon iſt. In einem ſolchen Fall fragt es ſich,
ob auch dieſer Perſon gegenüber die Reſtitution verlangt
werden könne.
Dieſe Frage tritt zuerſt ein, wenn ein Minderjähriger
gegen einen Minderjährigen reſtituirt ſeyn will. Hier wird
meiſtens nur ein einſeitiger Nachtheil vorhanden ſeyn; z. B.
wenn eine Sache zu wohlfeil verkauft wird, hat nur der
Verkäufer Nachtheil, und dieſer wird reſtituirt, wobei der
Käufer keinen Nachtheil erleidet in Vergleichung des ur-
ſprünglichen Zuſtandes. Sind aber beide im Nachtheil ge-
kommen, z. B. wenn ein Minderjähriger dem andern Geld
leiht, und dieſer es verſchwendet, ſo ſoll der Empfänger des
Darlehens den Vorzug haben, d. h. es ſoll an dem gegen-
wärtigen Zuſtand Nichts verändert werden (k).
Wenn ein Abweſender die Sache eines anderen Ab-
weſenden uſucapirt, ſo iſt nur ein einſeitiger Nachtheil vor-
handen, und die Reſtitution gegen die Uſucapion hat kein
Bedenken (l).
Giebt ein Minderjähriger ein Darlehen an einen Sohn
in väterlicher Gewalt, ſo wird er gegen die exceptio Sc.
Eltern als ſolche (L. 2 C. qui
et adv. quos), nicht gegen die in
anderer Eigenſchaft, z. B. als Vor-
münder, auftretende Eltern (Nov.
155). Allein auch jede andere Re-
ſtitution geht nicht gegen die
Eltern als ſolche, ſondern in ihrer
Eigenſchaft als Contrahenten, Uſu-
capienten u. ſ. w.
(k) L. 11 § 6, L. 34 pr. de
min. (4. 4).
(l) L. 46 ex quib. caus
(4. 6).
15*
|0250 : 228|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Macedoniani reſtituirt, d. h. der Schutz des minderjährigen
Alters ſoll in der Colliſion den Vorzug haben vor dem
Verbot des Senatusconſults (m).
Wenn ein Minderjähriger ſeine Forderung gegen die
Expromiſſion einer Frau aufgiebt, ſo wird ihm (ſo wie
jedem Anderen) ſeine frühere Klage wiedergegeben, und
wenn der alte Schuldner zahlungsfähig iſt, ſo entſteht für
den Minderjährigen keine Läſion. Iſt aber der Schuldner
inſolvent, ſo wird der Minderjährige reſtituirt, d. h. der
Schutz des minderjährigen Alters hat im Colliſionsfall den
Vorzug vor dem Verbot des Vellejaniſchen Senatus-
conſults (n).
§. 337.
Reſtitution. — Verfahren.
Es gehörte zur Eigenthümlichkeit der Reſtitution ſchon
von ihrem Urſprung an, daß die Prüfung und Gewährung
derſelben nicht dem gewöhnlichen Gang des Verfahrens
(dem ordo judiciorum) überlaſſen ward, ſondern dem höch-
ſten Richteramt vorbehalten blieb, alſo extra ordinem voll-
zogen wurde (§ 316. 317).
Daher verfolgte Der, welcher eine Aenderung des be-
ſtehenden Zuſtandes durch Reſtitution bewirken wollte, ſeinen
Zweck nicht durch eine actio, da dieſe vor einem Judex
(m) L. 11 § 7, L. 34 § 1 de min. (4. 4), L. 3 § 2 de Sc. Mac.
(14. 6), L. 9 pr. de j. et facti ignor. (22. 6).
(n) L. 12 de min. (4. 4).
|0251 : 229|
§. 337. Reſtitution. Verfahren.
hätte verhandelt werden müſſen (a), ſondern er bat viel-
mehr um eine cognitio, d. h. um eine Verhandlung un-
mittelbar vor dem Prätor ſelbſt (b). Damit hängt es
zuſammen, wenn oft geſagt wird, die Reſtitution werde
bewirkt durch cognitio, welches nur ein abgekürzter, nicht
völlig genauer Ausdruck iſt, da es eigentlich das in Folge
der cognitio erlaſſene Decret des Prätors war, welches die
Reſtitution ertheilte (c). — Daß aber an die ertheilte Re-
ſtitution eine Klage angeknüpft werden konnte, wird ſogleich
weiter ausgeführt werden.
Eben ſo ſuchte der Beklagte eine Reſtitution nicht auf
dem Wege einer exceptio, ſondern unmittelbar durch Ver-
weigerung der Klage (d), obgleich auch hier eine exceptio,
angeknüpft an die Reſtitution, wohl möglich war. —
Daſſelbe Verhältniß trat wiederum bei dem Kläger
ein, der die Verweigerung der exceptio unmittelbar
durch Reſtitution bewirken konnte, nach den Umſtänden des
(a) L. 24 § 5. de min. (4. 4).
„Ex hoc edicto nulla propria
actio vel cautio proficiscitur,
totum enim hoc pendet ex
Praetoris cognitione.“ Die
Worte vel cautio gehen auf die
Fälle einer vom Prätor erzwun-
genen Stipulation, aus welcher
dann wieder, in natürlicher Folge,
eine actio (nämlich eine condic-
tio) entſtand. L. 1 § 2 de stip.
praet. (46. 5), L. 37 pr. de o. et
a. (44. 7). Die abgedruckte Stelle
geht übrigens zunächſt nur auf
die Reſtitution der Minderjährigen,
iſt aber darum nicht weniger wahr
auch für alle übrige Reſtitutionen.
(b) Cognitionem postulare,
impetrare. L. 39 § 6 de proc.
(3. 3), L. 3 § 9 de min. (4. 4),
L. 39 pr. de evict. (21. 2).
(c) L. 29 § 2. L. 47 § 1 de
min. (4. 4). L. 1 C. de off. praet.
(1. 39), L. 2 C. si ut omissam
(2. 40).
(d) L. 27 § 1 de min. (4. 4).
|0252 : 230|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
einzelnen Falles aber auch eine replicatio an die Reſtitution
knüpfte (e).
Dieſe Eigenthümlichkeiten ſind ſchon ſeit dem Untergang
des alten ordo judiciorum verſchwunden, und können alſo
auch in unſrem heutigen Prozeß um ſo weniger wahr-
genommen werden. Hier erſcheint daher die Bitte um Re-
ſtitution in Form einer gewöhnlichen Klage oder Einrede;
bald ſelbſtſtändig, bald bei Gelegenheit eines anderen Rechts-
ſtreits, und in Verbindung mit demſelben. Da aber unſre
Juriſten einen Römiſch ausſehenden Klagnamen für unent-
behrrlich hielten, ſo pflegten ſie dem Reſtitutionsgeſuch
den Namen imploratio officii judicis beizulegen, ohne ſich
daran zu ſtoßen, daß dieſer Name weder in unſren Rechts-
quellen vorkommt, noch zu der urſprünglichen Form des
Römiſchen Reſtitutionsverfahrens paßt.
Die meiſten Prozeßregeln, die über das Reſtitutions-
verfahren aufgeſtellt werden, ſind einfacher Natur und geben
zu Zweifeln keinen Anlaß. — Wer zur Reſtitution berechtigt
iſt, kann nicht nur in eigener Perſon darum bitten, ſondern
auch durch einen Procurator (f); jedoch nicht durch einen
Generalbevollmächtigten, ſondern nur vermittelſt eines auf
dieſes Geſchäft gerichteten beſonderen Auftrags (g). — Mit
einer gewöhnlichen Klage iſt das Reſtitutionsverfahren darin
(e) L. 9 § 4 de jurej. (12. 2).
(f) L. un. C. etiam per pro c.
(2. 49).
(g) L. 25 § 1, L. 26 de min.
(4. 4). Ueber das Vertretungs-
recht des Vaters, nach L. 27 pr.
de min. (4. 4), ſ. o. § 323 Note p.
|0253 : 231|
§. 337. Reſtitution. Verfahren.
gleichartig, daß es nur Gültigkeit hat, wenn die Gegner
des Berechtigten dazu gehörig vorgeladen ſind, und entweder
erſcheinen, oder durch Ungehorſam ausbleiben (h). Der
ausbleibende Gegner kann auch durch einen Vertreter ver-
theidigt werden, der aber, eben ſo wie in einem gewöhn-
lichen Rechtsſtreit, Bürgen ſtellen muß (i). Nur Reſtitu-
tionen gegen Verſäumniſſe im Prozeß werden nicht ſelten
auch ohne Anhörung des Gegners (brevi manu) ertheilt (k).
Die ſchwierigſte und beſtrittenſte Frage in dem Ver-
fahren bei der Reſtitution iſt die über das ſogenannte ju-
dicium rescindens und rescissorium, womit es folgende
Bewandtniß hat (l).
Der Zweck der Reſtitution, die Herſtellung des Ver-
letzten in ſeinen früheren Zuſtand, kann nach Verſchiedenheit
der Umſtände auf zweierlei Weiſe erreicht werden.
Es kann geſchehen durch ein einfaches Decret des
Prätors, welches in Folge einer bloßen cognitio die Sache
völlig erledigt, ſo daß Nichts mehr zu thun übrig bleibt.
Dieſer Fall tritt ſtets ein bei der Reſtitution gegen Ver-
ſäumniſſe oder Verſehen im Prozeß, indem das Decret die
reſtituirte Partei in dieſelbe Lage verſetzt, wie wenn die
(h) L. 13 pr. de min. (4. 4),
L. 1 C. si adv. dotem (2. 34). —
Bei der Reſtitution gegen den Er-
werb einer Erbſchaft ſind ſämmt-
liche Gläubiger des Verſtorbenen
als Gegner vorzuladen. L. 29 § 2
de min. (4. 4), Nov. 119 C. 6.
(i) L. 26 § 1 de min. (4. 4).
(k) Puchta Vorleſungen
S. 216.
(l) Ausführlich handelt davon
Burchardi § 24. 25. 26, wo auch
viele andere Schriftſteller angeführt
und beurtheilt werden.
|0254 : 232|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Verſäumniß oder das Verſehen nicht Statt gefunden hätte. —
Derſelbe Fall findet ſich oft, ja meiſtens, bei der Reſtitution
eines Minderjährigen. Hat Dieſer eine Sache zu theuer
gekauft oder zu wohlfeil verkauft, ſo wird der Gegner
gezwungen, im erſten Fall das Geld, im zweiten die ver-
kaufte Sache zurück zu geben, und mit dieſem Decret iſt
jeder Verletzung des Minderjährigen vollſtändig abgehol-
fen (m). — Allein auch dieſe cognitio des Prätors kann
wieder auf verſchiedene Fragen gerichtet ſeyn, alſo in ver-
ſchiedene Stufen der Unterſuchung zerfallen, deren jede viel-
leicht durch ein beſonderes Decret entſchieden wird, indem
z. B. das Alter ſelbſt, ferner das Daſeyn einer Verletzung,
endlich der Zuſammenhang der Verletzung mit der Minder-
jährigkeit, beſtritten werden kann (n).
Es kann aber auch geſchehen durch das reſtituirende
Decret des Prätors, verbunden mit einem darauf folgenden
ganz anderen Rechtsſtreit, durch welchen erſt die völlige
Befriedigung des Verletzten herbeigeführt wird. In vielen
Fällen nämlich ſoll die Reſtitution nur dazu dienen, ein
Hinderniß wegzuräumen, welches dem Gebrauch irgend eines
anderen ſelbſtſtändigen Rechtsmittels (Klage oder Einrede)
im Wege ſteht. Dann erwartet der Verletzte von der Re-
ſtitution nicht ſowohl die Herſtellung des erwünſchten frü-
heren Zuſtandes ſelbſt, als die Herſtellung eines verlorenen
(m) L. 24 § 4 de min. (4. 4), L. 39 § 6 de proc. (3. 3), L. 39
pr. de evict. (21. 2) „fundus praetoria cognitione ablatus.“
(n) L. 39 pr. de min. (4. 4).
|0255 : 233|
§. 337. Reſtitution. Verfahren.
Klagerechts, deſſen Anwendung ihm dann, wie er hofft,
zum Genuß jenes Zuſtandes verhelfen ſoll. Hieraus ent-
ſtehen alſo zwei an ſich getrennte Prozeſſe, und man kann
die Reſtitution inſofern eine bedingte Hülfe nennen, als ſie
dem Verletzten nur unter der Bedingung einen wirklichen
Vortheil verſchafft, als er den zweiten Prozeß gewinnt.
Auf zuſammengeſetzte Verhältniſſe der hier beſchriebenen
Art beziehen ſich die oben erwähnten Kunſtausdrücke. Ju-
dicium rescindens nennen unſre Schriftſteller den Streit
über die Reſtitution, der mit dem Ausſpruch derſelben endigt
(alſo die praetoria cognitio); judicium rescissorium den
darauf folgenden Rechtsſtreit, der durch die Reſtitution erſt
möglich geworden iſt. Der erſte dieſer Ausdrücke iſt von
den Neueren willkürlich gebildet; der zweite iſt ein ächter
Kunſtausdruck, von den Römern abwechſelnd gebraucht mit
restitutorium judicium oder actio (o). Nur iſt der Ausdruck
rescissoria actio nicht beſchränkt auf die Herſtellung einer
verlorenen Klage durch die prätoriſche in integrum resti-
tutio; derſelbe wird vielmehr auch gebraucht, wenn eine ſolche
Herſtellung unmittelbar nach einer Regel des Civilrechts,
unabhängig von dem freien Ermeſſen des Prätors ein-
tritt (p).
(o) Rescissoria actio. L. 28
§ 5. 6 ex quib. caus. (4. 6), L. 24
C. de R. V. (3. 32), L. 18 C. de
j. postlim. (8. 51). — Restituto-
ria actio oder judicium. L. 3 § 1
de eo per quem (2. 10), L. 46
§ 3 de proc. (3. 3), L. 7 § 3
quod falso (27. 6).
(p) Wenn z. B. eine Frau
expromittirt, ſo wird ſie nicht ver-
pflichtet, aber die eigentlich unter-
gegangene Klage des vorigen
|0256 : 234|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Das hier beſchriebene zuſammengeſetzte Verfahren iſt
beſonders anwendbar auf die Reſtitution der Abweſenden,
bei welcher ſchon die Worte des Edicts auf die Wieder-
herſtellung einer verlorenen Klage gerichtet waren (§ 325).
Es iſt aber keinesweges auf dieſen Reſtitutionsgrund ein-
geſchränkt, ſondern nicht ſelten auch bei Minderjährigen
anwendbar, und es iſt auf der anderen Seite bei Ab-
weſenden nicht allgemein und nothwendig.
Die Anwendbarkeit jenes Verfahrens auf Minderjährige
wird anerkannt von Ulpian in einer Stelle, die vor allen
anderen dazu geeignet iſt, den Gegenſatz beider Verfahrungs-
arten zur Anſchauung zu bringen (q). Ulpian ſagt, die
Reſtitution werde einem Minderjährigen zuweilen in rem
gegeben, z. B. wenn die von ihm mit Nachtheil verkaufte
Sache durch neue Veräußerung in die Hand eines Dritten
gekommen ſey, gegen welchen er nun in manchen Fällen
Reſtitution begehren könne; dabei fügt er folgende Worte
hinzu:
et hoc vel cognitione Praetoria, vel rescissa aliena-
tione, dato in rem judicio.
Dieſe Worte enthalten die Andeutung des oben beſchrie-
benen zweifachen Verfahrens: des einfachen (cognitione
Schuldners kann wieder gebraucht
werden als rescissoria actio, wo-
zu es keiner Reſtitution durch den
Prätor bedarf. L. 16 C. ad Sc.
Vell. (4. 29). Auch dieſe heißt
anderwärts restitutoria. L. 8 § 9.
12. 13 ad. Sc. Vell. (16. 1).
(q) L. 13 § 1 de min. (4. 4).
Ueber dieſe Stelle iſt zu vergleichen
Burchardi S. 443. 444.
|0257 : 235|
§. 337. Reſtitution. Verfahren.
Praetoria (r)), und des zuſammengeſetzten, beſtehend aus
der Reſtitution gegen die Veräußerung, und einer darauf
folgenden Eigenthumsklage vor dem Judex. Beide Arten
des Verfahrens werden hier ſo zuſammengeſtellt, daß in
einem und demſelben Rechtsfall, je nach den Umſtänden,
ſowohl die eine als die andere anwendbar ſeyn ſoll (s).
Auf der anderen Seite aber war auch bei den Abwe-
ſenden das zuſammengeſetzte Verfahren nicht allgemein und
nothwendig, vielmehr konnte auch hier zuweilen die einfache
cognitio genügen, ja für manche Fälle wurde ſpäterhin dieſe
kürzere Behandlung ſogar vorzugsweiſe angewendet. Dieſes
iſt anerkannt in folgender, oft mißverſtandenen Stelle des
Calliſtratus (t):
Hoc edictum, quod ad eos pertinet qui eo conti-
nentur, minus in usu frequentatur; hujusmodi enim
personis extra ordinem jus dicitur ex senatusconsultis
et principalibus constitutionibus.
Da hier das neuere extra ordinem als Gegenſatz gegen
das urſprüngliche Verfahren nach dem Edict bezeichnet wird,
ſo könnte man leicht zu der irrigen Anſicht verleitet werden,
als ob der alte Juriſt das urſprüngliche, rein nach dem
(r) Man muß hinzudenken:
sola cognitione, denn auch die
in dem zweiten Fall erwähnte
rescissio alienationis geſchah
ſtets in Folge einer prätoriſchen
cognitio.
(s) Eine ähnliche Zuſammen-
ſtellung beider Verfahrungsarten
für einen und denſelben Rechtsfall
findet ſich in L. 9 § 4 de jurej.
(12. 2) (Note e); nur nicht in
Beziehung auf eine Klage, ſondern
auf eine Replication.
(t) L. 2 pr. ex quib. caus.
(4. 6). Vgl. Burchardi S. 466
bis 468.
|0258 : 236|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Edict eingerichtete Reſtitutionsverfahren für eine Art von
ordinarium judicium ausgeben wolle. Er will vielmehr
ſagen, es werde in ſolchen Fällen jetzt Alles abgethan durch
bloße cognitio, alſo extra ordinem, ohne noch eine beſon-
dere actio nachfolgen zu laſſen (u). — Ferner darf den
Worten des Calliſtratus nicht ein ſo allgemeiner Sinn
beigelegt werden, als ob die Neuerung alle Fälle des Edicts
über die Abweſenden umfaßt hätte. Ohne Zweifel iſt hier
die Rede von einem der zahlreichen juriſtiſchen Privilegien
der Soldaten; dieſen ſollte auf die kürzeſte und leichteſte
Weiſe zu ihrem verlorenen Rechte verholfen werden, welches
allerdings geſchah, wenn der Prätor extra ordinem die
Sache abmachte. Andere Abweſende, z. B. Verbannte,
oder auch der Freiheit Beraubte, auf ähnliche Weiſe zu
begünſtigen, war weder ein juriſtiſcher, noch ein politiſcher
Grund vorhanden. Und eben ſo war für den umgekehrten
Fall (die Reſtitution gegen die Abweſenden) gewiß das
alte Verfahren unverändert beibehalten worden (v).
Aus der hier geführten Unterſuchung ergiebt es ſich,
daß in vielen Fällen das einfache Verfahren allein möglich
war, in anderen Fällen das zuſammengeſetzte allerdings
möglich, aber nicht durchaus nothwendig. Dann hatte ohne
(u) Das extra ordinem jus
dicitur hat alſo hier denſelben
Sinn, wie in der vorhergehenden
Stelle das (sola) cognitione
Praetoria (Note r).
(v) Darauf deuten ſelbſt die
Worte der Stelle, hujusmodi enim
personis extra ordinem jus
dicitur; alſo nicht, wenn etwa
Anweſende gegen ſolche die Re-
ſtitution begehren.
|0259 : 237|
§. 337. Reſtitution. Verfahren.
Zweifel der Prätor freie Macht, zu entſcheiden, welches
Verfahren in jedem einzelnen Fall als das zweckmäßigere
vorzuziehen ſey (w); gewiß aber konnte auch die Partei
auf das eine oder das andere antragen (x). Wir können
aber als wahrſcheinlich annehmen, daß, ſo lange der alte
ordo judiciorum beſtand, dieſem nicht ohne Noth Etwas
entzogen wurde, das zuſammengeſetzte Verfahren alſo in
Anwendung kam, da wo es überhaupt möglich und nicht
durch dringende Gründe widerrathen war.
Im heutigen Prozeß ſteht inſofern die Sache ganz
anders, als ſtets ein und derſelbe Richter über die Re-
ſtitution und über die dadurch etwa herzuſtellende Klage zu
erkennen hat. Es hat keinen Zweifel, daß das Verfahren
über beide Rechtsfragen von Anfang an verbunden (cumu-
lirt) werden kann, und daß die Partei ſchon ihre Anträge
hierauf richten darf. Aber es iſt eben ſo wenig zweifelhaft,
daß es dem Bedürfniß einzelner Sachen angemeſſener ſeyn
kann, beide Verhandlungen gänzlich zu trennen, und zuerſt
das judicium rescindens abgeſondert zu einer rechtskräftigen
Entſcheidung zu bringen, ehe das rescissorium eingeleitet
wird (y).
(w) Burchardi S. 464—470.
Ein paſſendes Beiſpiel, wie in
einzelnen Fällen der Vorzug be-
ſtimmt werden konnte, findet ſich
ebendaſ. S. 443.
(x) In dieſem Sinn iſt es zu
verſtehen, wenn von Manchen be-
hauptet wird, beide Theile des Re-
ſtitutionsverfahrens hätten ſchon
nach R. R. cumulirt werden können.
Burchardi S. 461—464.
(y) Burchardi § 26. —
Göſchen Vorleſungen S 541.
|0260 : 238|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Puchta giebt dem an ſich richtig aufgefaßten Gegenſatz
des judicium rescindens und rescissorium noch folgenden
Zuſatz. Er ſagt, der Prätor habe auch noch das judicium
rescindens gleichſam ſpalten können, indem er z. B. die
Reſtitution wegen Zwanges in zwei Fragen zerlegte: eine
rechtliche, über die Verletzung und deren Zuſammenhang
mit dem (angeblichen) Zwang, worüber er ſelbſt (hypothe-
tiſch) entſchied; eine factiſche, über das Daſeyn des Zwan-
ges, worüber er von einem Judex entſcheiden ließ. Dieſes
ſey die äußerſte Gränze der Reſtitution geweſen, und ſo
ſey insbeſondere die actio quod metus causa behandelt
worden (z). — Dieſe allzu ſubtile Annahme kann ich nur
als einen nicht glücklichen. Vermittlungsverſuch anſehen
zwiſcheu der ſtrengen Scheidung der wahren Reſtitution
von den ſogenannten Reſtitutionsklagen auf der einen
Seite, und der (ungehörigen) Vermengung dieſer beiden
Arten von Schutzmitteln auf der andern Seite Wenn der
Prätor ſich entſchloß, eine Sache als Gegenſtand der Re-
ſtitution zu behandeln, ſo entſchied er allein über die Reſti-
tution als ſolche vollſtändig, und gab höchſtens nachher eine
actio. Wir haben durchaus keinen Grund zu der Annahme,
daß jemals im älteren Recht ein Theil der Reſtitutionsfrage
an einen Judex gewieſen worden wäre.
(z) Puchta Pandekten § 105. Inſtitutionen §. 177.
|0261 : 239|
§. 338. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)
§. 338.
Reſtitution. — Verfahren. (Fortſetzung.)
Wie das eigentliche Klagerecht auf eigenthümliche Weiſe
aufgehoben werden konnte (a), ſo müſſen auch für das
Recht zur Reſtitution, welches mit dem Klagerecht zwar
nicht gleichbedeutend, dennoch verwandt iſt, zwei beſondere
Aufhebungsgründe anerkannt werden. Dieſe ſind: der
Verzicht und die Verjährung.
I. Verzicht.
Zwar hat dieſer Aufhebungsgrund eine allgemeinere,
über das Gebiet der Reſtitution weit hinaus reichende
Natur (§ 302); dennoch muß die Anwendung deſſelben
auf die Reſtitution hier beſonders feſtgeſtellt werden.
Der Berechtigte kann ſeinen Anſpruch auf Reſtitution,
nachdem er ihn zuerſt geltend machte, aufgeben durch eine
ausdrückliche Willenserklärung. Dieſe wird desistere ge-
nannt; es wird aber beſonders bemerkt, dazu genüge es
nicht, wenn der Berechtigte blos den Prozeß liegen laſſe,
ſondern er müſſe ſeinem Recht ſelbſt gänzlich entſagen (b).
Dieſelbe Wirkung aber, wie die ausdrückliche Entſagung,
hat die ſpätere Genehmigung oder Beſtätigung derjenigen
Handlung, gegen welche die Reſtitution hätte geſucht werden
können; alſo die comprobatio oder ratihabitio (c). Des-
(a) S. o. B. 5 §. 230—255.
(b) L. 20 § 1 de min. (4. 4),
L. 21 eod. „Destitisse autem
is videtur, non qui distulit,
sed qui liti renuntiavit in
totum.“
(c) L. 3 § 1 de min. (4. 4),
L. 1. 2 C. si major factus (2. 46).
|0262 : 240|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
gleichen kann dieſe Wirkung hervorgebracht werden auch
durch ſolche Handlungen, welche mit dem Zweck und Erfolg
der erlangten Reſtitution im Widerſpruch ſtehen würden.
Hat alſo z. B. ein Minderjähriger die Friſt einer B. P.
contra tabulas verſäumt und gegen dieſe Verſäumniß Re-
ſtitution geſucht, dann aber aus demſelben Teſtament ein
Legat eingefordert, ſo iſt dadurch die Reſtitution unmöglich
geworden, weil durch die Forderung des Legats die Gül-
tigkeit des Teſtaments anerkannt worden iſt (d).
Dieſe Handlungen ſind nur dann dazu geeignet, das
Recht zur Reſtitution aufzuheben, wenn ſie zu einer Zeit
vorgenommen werden, worin der beſondere Zuſtand, der
den Reſtitutionsgrund bildet, bereits aufgehört hat. Der
Verzicht auf die Reſtitution eines Minderjährigen iſt alſo
nur wirkſam, wenn er nach eingetretener Volljährigkeit
erklärt wird; denn ein früherer Verzicht würde wieder der-
ſelben Reſtitution unterliegen, wie das urſprüngliche Rechts-
geſchäft, welches durch Reſtitution entkräftet werden ſoll.
Eben ſo verhält es ſich mit der Reſtitution wegen Zwanges,
wenn der Verzicht erklärt wird unter dem fortdauernden
Einfluß deſſelben Zwanges, der die Reſtitution begründete;
Der Verzicht iſt alſo nur gültig, wenn er im Zuſtand
hergeſtellter völliger Freiheit erfolgt.
Die Anwendung dieſer letzten Regel kann in ſolchen
Fällen ſchwierig und zweifelhaft werden, worin ein Rechts-
(d) L. 30 de min. (4. 4).
|0263 : 241|
§. 338. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)
geſchäft eine längere Zeit hindurch fortgeführt wird, und
in mehreren einzelnen Handlungen ſichtbar hervortritt. Hier-
über ſind die Aeußerungen Ulpian’s etwas ſchwankend.
Wenn ein Minderjähriger einen auf längere Dauer berech-
neten Vertrag ſchließt, und nach erlangter Volljährigkeit
einzelne Handlungen in Beziehung auf dieſen Vertrag vor-
nimmt, ſo liegt darin eine Genehmigung, wodurch die Re-
ſtitution gegen den Vertrag ausgeſchloſſen wird (e). —
Fängt ein Minderjähriger einen Rechtsſtreit an, der wäh-
rend der Volljährigkeit zu ſeinem Nachtheil entſchieden wird,
ſo ſoll er gegen dieſes Urtheil in der Regel nicht reſtituirt
werden, ſondern nur ausnahmsweiſe, wenn der Gegner
unredlicherweiſe den Rechtsſtreit ſo hingehalten hat, daß
das Urtheil erſt zu dieſer Zeit erfolgte (f). — Hat ein
Minderjähriger eine nachtheilige Erbſchaft angetreten, und
nach erlangter Volljährigkeit Erbſchaftsſchulden eingeklagt,
ſo ſoll er dennoch Reſtitution gegen den Erwerb der Erb-
ſchaft erhalten, weil man auf den Anfang dieſer Reihe von
Handlungen ſehen ſoll (g).
(e) L. 3 § 1 de min. (4. 4).
(f) L. 3 § 1 cit. Um dieſe
Entſcheidung richtig zu finden, muß
man hinzu denken, wie es auch
wohl Ulpian meinte, daß das
Urtheil unmittelbar nach erreichter
Volljährigkeit erfolgte, alſo ehe
der nun volljährig Gewordene Zeit
hatte, die bisherige nachtheilige
Führung ſeines Rechtsſtreits zu
entdecken und zu verbeſſern.
(g) L. 3 § 2 eod. „.. puta-
vimus tamen restituendum in
integrum, initio inspecto.“ Dieſe
Entſcheidung vermag ich nicht mit
allgemeinen Grundſätzen, und ins-
beſondere mit der Entſcheidung
über die B. P. (Note d) in Ein-
klang zu bringen.
VII. 16
|0264 : 242|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
II. Verjährung(h).
Der Gedanke liegt ſehr nahe, die Verjährung der Re-
ſtitution als eine einfache Anwendung der Klagverjährung
anzuſehen, und daher die für dieſe letzte geltenden Regeln
auf die Reſtitution unmittelbar anzuwenden. Dem Römi-
ſchen Recht aber iſt dieſer Gedanke völlig fremd, und in
ihm hat die verjährte Reſtitution mehr Verwandtſchaft mit
einer verſäumten Prozeßfriſt, als mit einem verjährten
Klagerecht (i). Allerdings hat nun in unſrem heutigen
Recht die Reſtitution, was das Verfahren betrifft, weit mehr
die Natur einer gewöhnlichen Klage angenommen (§ 337).
Dennoch würde es auch hier ungehörig, oft unmöglich ſeyn,
die Regeln der Klagverjährung auf die Reſtitution einfach
zu übertragen; theils aus Gründen, die in der eigenthüm-
lichen Natur des Gegenſtandes liegen, theils weil die Aus-
ſprüche des Römiſchen Rechts über die Verjährung der
Reſtitution auf der Vorausſetzung einer völligen Verſchie-
denheit beider Rechtsinſtitute beruhen.
Eine durchgreifende Verſchiedenheit zeigt ſich unter andern
darin, daß die Verjährung nicht blos anwendbar iſt, wenn
die Reſtitution angriffsweiſe, alſo einer Klage ähnlich wir-
kend, gebraucht werden ſoll, ſondern auch, wenn ſie ver-
theidigungsweiſe geſucht wird, das heißt um eine verlorene
(h) Davon handelt ausführlich
Burchardi § 27. Vgl. Unter-
holzner Verjährungslehre § 151.
bis 155.
(i) S. o. B. 4 S. 300. 307,
B. 5 S. 415.
|0265 : 243|
§. 338. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)
Exception wieder zu erlangen, oder anſtatt einer Exception
(die dadurch entbehrlich wird) der Klage eines Andern ent-
gegen zu wirken. Zur Begründung dieſer Exception iſt es
alſo nöthig, daß der, welcher Anſpruch auf die Reſtitution
hat, dieſe binnen der vierjährigen Friſt erbitte, auch wenn
der Gegner nicht innerhalb dieſer Friſt die Klage anſtellt,
und dadurch das unmittelbare Bedürfniß einer Exception
herbeiführt. Die Nothwendigkeit, dieſe Reſtitutionsfriſt zu
wahren, iſt alſo nicht zu verwechſeln mit einer Verjährung
der Exception als ſolcher, von welcher allerdings nicht die
Rede ſeyn kann (k).
Ein wichtiger Fall der Anwendung einer ſolchen Ex-
ception iſt ſchon oben vorgekommen. Wenn die Sache eines
Abweſenden von einem Anderen uſucapirt wird, nach der
Rückkehr des vorigen Eigenthümers aber durch Zufall wieder
in deſſen Beſitz kommt, ſo bedarf Dieſer zu ſeinem Schutz
keiner Klage, ſondern nur einer Exception (§ 330. r).
Um aber dieſe Exception in irgend einer künftigen Zeit mit
Erfolg gebrauchen zu können, muß er den Anſpruch auf
dieſelbe durch Reſtitution binnen vier Jahren begründen.
Geſetzt nun, dieſer vorige Eigenthümer verliert abermals
den wieder erlangten Beſitz, bevor es zu einem Rechtsſtreit
gekommen iſt, ſo befindet er ſich wieder in der früheren
(k) S. o. B. 5 S. 414. 415.
Für den Fall der Minderjährigkeit
wird die hier aufgeſtellte Noth-
wendigkeit, die Reſtitutionsfriſt zu
beobachten, ausdrücklich anerkannt
von Ulpian in L. 9 § 4 de jurej.
(12. 2).
16*
|0266 : 244|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Lage, und bedarf der Reſtitution, um ſeine Klage gegen
Den, der uſucapirt hat, zu begründen oder zu ſichern, ſo
wie es oben ausgeführt worden iſt. Damit ſcheint im
Widerſpruch zu ſtehen eine Stelle des Paulus, nach
welcher dieſe neue Klage nicht mehr an die Reſtitutionsfriſt
gebunden ſeyn ſoll (l). Dieſe Behauptung läßt ſich mit
allgemeinen Grundſätzen nur durch die Annahme in Ein-
klang bringen, daß hier Paulus von der Klage gegen
einen dritten Beſitzer rede, nicht gegen Den, welcher uſu-
capirt hat. Denn wenn gegen dieſen Dritten mit der Pu-
bliciana geklagt wird, ſo hat derſelbe allerdings nicht die
exceptio dominii (da nicht er uſucapirt hatte), und es
bedarf mithin auch nicht zu deren Ueberwindung einer Re-
ſtitution, alſo auch nicht der Beobachtung einer Reſti-
tutionsfriſt.
§. 339.
Reſtitution. — Verfahren. (Fortſetzung.)
Es ſind nunmehr die Bedingungen dieſer Verjährung
aufzuſtellen; die Anordnung dieſer Bedingungen ſoll, der
leichteren Vergleichung wegen, ſo viel als möglich den Be-
(l) L. 31 ex quib. caus. (4. 6)
„Si is, cujus rem usucepit reip.
causa absens, possessionem
suae rei ab illo usucaptae
nactus sit, etsi postea amiserit,
non temporalem, sed perpe-
tuam habet actionem.“ — Die
Gloſſe ſetzt zur Löſung der Schwie-
rigkeit voraus, der vorige Eigen-
thümer habe wirklich Reſtitution
geſucht und erhalten, nachher aber
den Beſitz wieder erlangt. Dann
aber verſtand ſich doch die Sache
zu ſehr von ſelbſt, um noch einer
Erwähnung werth zu ſeyn.
|0267 : 245|
§. 339. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)
dingungen der Klagverjährung angenähert werden (a). Sie
beziehen ſich auf den Anfang, die Unterbrechung, den
Ablauf der Verjährung.
1.
Der Anfang dieſer Verjährung iſt abzuleiten aus
der Natur des Reſtitutionsgrundes. Dieſer wurde im All-
gemeinen gedacht als ein beſonderer (abnormer) Zuſtand
des Verletzten, dazu geeignet, eine ſolche außerordentliche
Rechtshülfe zu rechtfertigen (§ 320). Die Verjährung
fängt daher an in dem Zeitpunkt, worin jener abnorme
Zuſtand aufhört; nicht früher, nicht ſpäter. Für die meiſten
und wichtigſten Fälle hat dieſe Regel keinen Zweifel; es
wird darauf ankommen, die einzelnen Reſtitutionsgründe
unter dieſem Geſichtspunkt durchzugehen.
Die Reſtitution wegen Minderjährigkeit verjährt
vom vollendeten fünf und zwanzigſten Lebensjahre an (b);
wird der Minderjährige früher für volljährig erklärt, von
dieſem Zeitpunkt an (c). Dieſe Regel aber hat nicht zu-
gleich die Bedeutung, als ob es dem Minderjährigen ver-
ſagt wäre, ſchon früher die Reſtitution zu erbitten; er kann
Dieſes zu jeder Zeit thun (d), und eben hieraus erklärt es
ſich, daß auch gegen eine ſolche, auf übereilte Bitte ertheilte,
Reſtitution wiederum eine neue Reſtitution geſucht werden
kann (§ 319 Note u).
(a) S. o. B. 5 §. 239 — 247.
(b) L. 7 pr. C. de temp.
(2. 53).
(c) L. 5 pr. C. de temp.
(2. 53).
(d) L. 5 § 1 C. de in int. rest.
min. (2. 22).
|0268 : 246|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Die Reſtitution wegen Abweſenheit verjährt von dem
Zeitpunkt an, mit welchem das Hinderniß der Rechtsver-
folgung aufhört (e); alſo in der Regel, ſobald der Ab-
weſende nach ſeinem Wohnort zurückkehrt.
Die Reſtitution wegen Zwang muß nach demſelben
Grundſatz verjähren von der Zeit an, in welcher der ab-
norme Zuſtand des Zwanges, d. h. der abſichtlich erregten
Furcht, aufhört, der Verletzte alſo ſeine volle Freiheit zu
handeln wieder erlangt. Die Zweifel gegen dieſe Annahme
können erſt bei dem Ablauf der Verjährung deutlich gemacht
werden. — Schon hier aber iſt zu bemerken, daß dieſe
Beſtimmung von ſehr geringer praktiſcher Erheblichkeit iſt.
Denn es kann zwar leicht geſchehen, daß eine einzelne,
vorübergehende Handlung durch Zwang erpreßt werde, und
darauf eben bezieht ſich dieſe ganze Reſtitution. Dagegen
iſt es nicht leicht denkbar, daß ein ſolcher Zuſtand ſo lange
fortdauere, wie es zum Ablauf der Verjährungszeit, oder
auch nur eines merklichen Theils derſelben, nöthig wäre;
denn in einem ſolchen Zeitraum wird es faſt immer dem
Bedrohten möglich ſeyn, richterlichen oder polizeilichen Schutz
für ſeine Freiheit zu finden.
Die Reſtitution wegen Betrugs wird auf gleiche Weiſe
verjähren müſſen mit dem Aufhören des abnormen Zu-
ſtandes, d. h. der Täuſchung, in welche der Verletzte durch
(e) L. 1 § 1 ex quib. caus.
(4. 6), „intra annum quo primum
de ea re experiundi potestas
erit“. L. 7 § 1 C. de temp.
(2. 53).
|0269 : 247|
§. 339. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)
den unredlichen Willen des Gegners verſetzt worden iſt.
Die Zweifel gegen dieſe Behauptung werden auch hier erſt
bei dem Ablauf der Verjährung erwähnt werden. — Die
praktiſche Unerheblichkeit dieſer Beſtimmung, die ſo eben
bei dem Zwang bemerkt worden iſt, läßt ſich bei dem Be-
trug nicht geltend machen. Denn der Zuſtand einer ab-
ſichtlich erregten Täuſchung kann allerdings lange Zeit hin-
durch fortdauern, alſo nicht blos auf einzelne, vorüber-
gehende Handlungen einwirken.
Eben ſo verhält es ſich mit der Reſtitution wegen
Irrthums, die alſo auch verjähren müßte von der Zeit
an, in welcher der Verletzte von dem Irrthum befreit wird.
Hier aber iſt die Frage weniger erheblich, weil dieſe ganze
Reſtitution nicht nur an ſich unwichtig iſt, ſondern auch
faſt nur bei Prozeßverſäumniſſen vorkommt, wobei von
einer Verjährung der Reſtitution nur ſelten die Rede
ſeyn wird.
Der bisher aufgeſtellte Grundſatz aber für den Anfang
der Verjährung iſt völlig unanwendbar auf diejenigen Re-
ſtitutionsgründe, welche nicht ſo, wie die bisher erwähnten,
ein zufälliges und vorübergehendes, ſondern ein immer-
währendes Daſeyn haben. So verhält es ſich mit der
Reſtitution der Stadtgemeinden, der Kirchen und
Klöſter, die niemals aufhören, in dem Zuſtand zu ſeyn,
der ihnen überhaupt Anſpruch auf Reſtitution giebt. Hier
bleibt Nichts übrig, als die Verjährung anfangen zu laſſen
von der Zeit der Verletzung ſelbſt, gegen welche die Reſti-
|0270 : 248|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
tution Hülfe gewähren ſoll. Bei den Kirchen iſt dieſer an
ſich unzweifelhafte Grundſatz auch geſetzlich anerkannt (f).
Der Anfang der Verjährung iſt hier in der Regel feſt-
geſtellt worden auf die Zeit, in welcher der den Reſtitu-
tionsgrund bildende abnorme Zuſtand aufhört; ausnahms-
weiſe auf die Zeit der Verletzung. Nach einer ſehr ver-
breiteten Meinung aber ſoll ſelbſt in dieſen Zeitpunkten die
Verjährung nicht anfangen können, wenn nicht noch eine
andere Bedingung hinzutrete: das Bewußtſeyn des Ver-
letzten von der erlittenen Verletzung (g).
Einige ſtellen dieſe Behauptung ganz allgemein auf,
alſo ſchon für das Römiſche Recht. In dieſer Geſtalt iſt
ſie am entſchiedenſten zu verwerfen, da ſie mit Irrthümern
theils über eine ähnliche Bedingung der Klagverjährung,
theils über den Römiſchen Kunſtausdruck der experiundi
potestas zuſammenhängt.
Andere wollen dieſelbe Behauptung nur aus dem cano-
niſchen Recht ableiten, welches in Beziehung auf die Kirchen
das Bewußtſeyn der Verletzung für den Anfang der Ver-
jährung fordern ſoll; theils indem ſie nun den Satz ſelbſt
(f) C. 1 de rest. in VI. (1. 21)
„si quadriennii spatium post sit
lapsum“ (nämlich post senten-
tiam vel contractum). C. 2 eod.
„infra quadriennium ab ipsius
confessionis tempore computan-
dum“. Clem. un. de rest. (1. 11)
„infra quadriennium continuum
a tempore laesionis“.
(g) Vgl. oben B. 3 S. 415,
B. 5 S. 282. — Glück B. 6
§ 465 Note 3. Burchardi S.
517 — 524. Puchta Pandekten
§ 105. e.
|0271 : 249|
§. 339. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)
auf die Kirchen beſchränken, theils indem ſie demſelben eine
allgemeinere Bedeutung beilegen, und die Erwähnung bei
den Kirchen nur für einen zufälligen Umſtand halten, indem
das canoniſche Recht ihn als allgemein wahr voraus-
ſetze (h).
In der That aber enthält das canoniſche Recht jenen
Satz gar nicht, weder allgemein, noch für die Kirchen.
Man hat denſelben finden wollen in den Ausdrücken:
„Ecclesia quae . . beneficium restitutionis in integrum . .
negligenter omiserit“ (i); eine Nachläſſigkeit nämlich ſey
nur vorhanden, wenn die Kirche von der Verletzung unter-
richtet ſey, und dennoch die Bitte unterlaſſe. — Dabei liegt
ein gänzliches Verkennen des Weſens dieſer Verjährung
zum Grunde. Das Römiſche Recht geht aus von der
Anſicht, daß jeder Minderjährige, der volljährig werde,
jeder Abweſende, der zurückkehre, ſogleich ſeinen ganzen
Rechtszuſtand durchforſchen ſolle, um etwa vorgefallene Ver-
letzungen zu entdecken und zur Abhülfe zu bringen. Dazu
hält man Vier Jahre (früher Ein Jahr) für hinreichend,
und wer in dieſer Zeit eine Verletzung nicht entdeckt, der
gilt als nachläſſig, und verfällt der Verjährung; nicht erſt,
wenn er ſie entdeckt und nur zu träge iſt, um ſie vor Ge-
richt geltend zu machen (k). Darauf bezieht ſich nun der
(h) Ueber dieſen letzten Gegen-
ſatz erklärt ſich ſchwankend Bur-
chardi S. 523 („zum wenigſten
was die Reſtitution der Kirchen . .
betrifft“).
(i) C. 1 de rest. in VI. (1. 21)
Faſt mit denſelben Worten in
C. 2 eod.
(k) Eben ſo verhält es ſich
auch mit dem Anfang der Klag-
|0272 : 250|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Ausdruck des canoniſchen Rechts: negligenter omiserit, da
wir durchaus keinen Grund haben zu der Annahme, daß
das Römiſche Recht hierin von den Päbſten entweder miß-
verſtanden ſey, oder habe abgeändert werden ſollen.
Nach der hier aufgeſtellten Anſicht iſt alſo für den An-
fang der Verjährung das Bewußtſeyn des Verletzten ganz
gleichgültig. Nur bei zwei Reſtitutionsgründen verhält es
ſich in ſofern anders, als bei ihnen der abnorme Zuſtand,
deſſen Aufhören oben erfordert wurde, damit die Verjährung
anfangen können, gerade in dem mangelhaften Bewußtſeyn
des Verletzten beſteht. Dieſes iſt der Betrug und der
Irrthum. Der Verletzte muß alſo aufgehört haben, unter
der Herrſchaft jenes mangelhaften Bewußtſeyns zu ſtehen,
damit die Verjährung anfangen könne; die Täuſchung iſt
in dieſen Fällen Daſſelbe, welches in anderen Fällen die
Minderjährigkeit oder die Abweſenheit iſt, ein in beſonderen
Schutz genommenes Hinderniß, Schaden abzuwenden. Die
hier aufgeſtellte Behauptung alſo geht nicht etwa auf eine
Ausnahme von den oben angegebenen Grundſätzen, ſondern
vielmehr auf eine reine Anwendung derſelben (l).
Eine unmittelbare Beſtätigung dieſer Behauptung liegt
in einer Stelle des canoniſchen Rechts. Wenn eine Kirche
verjährung, nur mit dem Unter-
ſchied, daß dabei kein abnormer
Zuſtand aufgehört haben muß,
folglich die Verjährung ſtets mit
der Verletzung ſelbſt anfängt.
(l) Auf die Reſtitution wegen
Zwanges kann Dieſes natürlich nicht
angewendet werden, da es kaum
denkbar iſt, daß Jemand zu einer
Handlung gezwungen werden ſollte,
|0273 : 251|
§. 339. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)
durch ihr gerichtliches Geſtändniß in Nachtheil kommt, ſo
kann ſie als Kirche Reſtitution verlangen binnen Vier
Jahren, von dem Geſtändniß an. Wenn ſie aber einen
Irrthum in dem Geſtändniß nachweiſt, und deswegen (ſo
wie jeder Andere) Reſtitution begehrt (§ 331), ſo iſt ſie
an die Vier Jahre nicht gebunden (m). Das will ſagen,
die Reſtitutionsfriſt werde ihr dann gerechnet, nicht von
dem Geſtändniß (der Läſion) an, ſondern von der Zeit des
entdeckten Irrthums an. Darin liegt zugleich die vollſtän-
dige Widerlegung der ſo eben erwähnten Behauptung, nach
welcher die Kirchen wegen des Anfangspunktes der ihnen
als Kirchen zuſtehenden Reſtitution beſonders privilegirt
ſeyn ſollen.
§. 340.
Reſtitution. — Verfahren. (Fortſetzung.)
2. Ununterbrochene Fortdauer der Verjährung.
Die zweite Bedingung der Verjährung beſteht (bei der
Reſtitution, wie bei den Klagen) in der ununterbrochenen
Fortdauer bis zum Schluß. Es fragt ſich alſo, worin eine
Unterbrechung derſelben beſtehen könne.
Dieſe kann erſtlich darin liegen, daß der abnorme Zu-
ſtand, in deſſen Aufhören der Anfang der Verjährung geſetzt
wurde, vor dem Ablauf von Neuem eintritt. Bei der
Minderjährigkeit iſt Dieſes von ſelbſt unmöglich, bei der
ohne zugleich zu wiſſen, daß Dieſes
zu ſeinem Schaden geſchehe.
(m) C. 2 de restit. in VI.
(1. 21).
|0274 : 252|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Abweſenheit kann es allerdings vorkommen. Wenn alſo
der Abweſende zurückkehrt, vor Ablauf der Verjährung
ſeinen Wohnort abermals verläßt, und dieſen abwechſelnden
Zuſtand vielleicht öfter wiederholt, ſo ſind zwei verſchiedene
Behandlungen dieſes Falles denkbar. Man könnte erſtens
alle einzelne Zeiten der Gegenwart zuſammen rechnen, und
die Verjährung als vollendet annehmen, wenn die Summe
der geſetzlichen Verjährungszeit gleich käme. Man könnte
aber auch zweitens die Verjährung nur dann für vollendet
halten, wenn irgend eine einzelne Zeit der Gegenwart ſo
lange gedauert hätte, als das Geſetz für die Verjährung
fordert. Von dieſen beiden Berechnungsarten iſt die zweite,
dem Verletzten günſtigere, als die richtige anzuſehen (a).
Dabei liegt alſo der Gedanke zum Grunde, dem Verletzten
müſſe irgend einmal die volle, ununterbrochene Verjährungs-
zeit geſtattet worden ſeyn, um an ſeinem Wohnort prüfen
(a) L. 28 § 3 ex quib. caus.
(4. 6). Daß die Stelle wirklich
dieſen Sinn hat, zeigt folgender
Anfang derſelben: „Si quis sae-
pius reip. causa abfuit, ex
novissimo reditu tempus resti-
tutionis esse ei computandum,
Labeo putat“; wobei natürlich
vorausgeſetzt wird, daß er nicht
ſchon nach der früheren Abweſen-
heit, in welcher er durch Uſucapion
einen Verluſt erlitten hatte, ein
volles Jahr zu Hauſe geblieben
war. Die nachfolgenden Worte
könnten ſo verſtanden werden, als
wenn von einem Zuſammenrechnen
der Zeiten der Abweſenheit
die Rede ſeyn möchte, die doch
ganz gleichgültig ſind. In den
Worten: si omnes quidem ab-
sentiae annum colligant liegt
daher ein ungenauer Ausdruck für
die auf jede Abweſenheit folgende
Zeit der Gegenwart, während
welcher ja allein die Verjährung
laufen kann. Cujacius obs. XIX.
15 ſagt ganz richtig, absentiae
ſtehe hier für intervalla absen-
tiarum.
|0275 : 253|
§. 340. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)
zu können, welchen Einfluß die Vergangenheit, in welcher
er abweſend war, auf ſeine Rechtsverhältniſſe etwa aus-
geübt haben möge.
Zweitens kann die Unterbrechung aber auch darin liegen,
daß der Verletzte ſein Recht zur Reſtitution wirklich geltend
macht; dürften wir hier die Regeln von der Klagverjährung
anwenden, ſo würde die Unterbrechung ſchon in der In-
ſinuation des Reſtitutionsgeſuchs zu finden ſeyn (b). Allein
Juſtinian ſagt ausdrücklich, innerhalb der Verjährungs-
friſt müſſe der Reſtitutionsprozeß nicht nur angefangen, ſondern
auch vollendet werden, ſonſt ſey die Reſtitution ver-
loren (c).
Es würde unrichtig ſeyn, dieſe Vorſchrift, ſo fremdartig
ſie uns erſcheinen mag, als eine von Juſtinian aus-
gegangene willkürliche Neuerung anzuſehen. Schon frühere
Kaiſergeſetze ſtimmen damit völlig überein (d); ja auch
ſchon die alten Juriſten ſetzen denſelben Grundſatz voraus,
indem ſie den Ablauf der Friſt vor beendigtem Reſtitutions-
prozeß nur dann für unſchädlich halten, wenn die Ver-
zögerung des Rechtsſtreits dem Gegner zur Laſt fällt (e).
Auch ſchließt ſich dieſe Vorſchrift ganz einfach an die Pro-
zeßverjährung des alten Rechts an, und ſie war bei der
(b) S. o. B. 5 § 242.
(c) L. 7 pr. C. de temp.
(2. 53) „continuatio temporis
observetur ad interponendam
contestationem finiendamque
litem“. Wiederholt und beſtätigt
in Clem. un. de rest. (1. 11).
(d) Burchardi S. 503 —
506.
(e) L. 39 pr. de min. (4. 4).
|0276 : 254|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Reſtitution um ſo natürlicher, als dieſe ſtets durch bloße
cognitio vor dem Prätor abgemacht wurde, die wir gewiß
als ein ſehr ſchleuniges Verfahren denken dürfen.
Für unſren heutigen Prozeß aber würde die Beobach-
tung dieſer Vorſchrift ganz unpaſſend ſeyn, und ſo iſt denn
auch die Praxis von jeher darüber einverſtanden geweſen,
dieſelbe unbeachtet zu laſſen (f). Die Unterbrechung der
Verjährung erfolgt demnach durch die Inſinuation des Re-
ſtitutionsgeſuchs, und die Verjährung der Reſtitution iſt in
in dieſem Punkte mit der Klagverjährung ganz auf gleiche
Linie getreten.
3. Ablauf der Verjährung.
Dieſer war urſprünglich auf Ein Jahr beſtimmt, und
zwar auf einen annus utilis, ſowohl für die Minderjährigen,
als für die Volljährigen (g). Bei den Minderjährigen heißt
dieſe Zeit legitimum tempus (h), ohne Zweifel, weil ſie aus
der Lex Plätoria auf die Reſtitution übertragen war (i).
Conſtantin gab für dieſe Verjährungszeit mannich-
faltige und verwickelte Vorſchriften (k). Juſtinian aber
führte wieder Alles auf eine einfache, leicht anwendbare
Regel zurück, indem er anſtatt des alten annus utilis Vier
(f) Burchardi S. 507.
Göſchen Vorleſungen S. 543.
(g) L. 19 de min. (4. 4), L. 7
pr. C. de temp. (2. 53) (für Minder-
jährtge). — L. 1 § 1, L. 28 § 3.
4 ex quib. caus. (4. 6) (für
Volljährige).
(h) L. 19 de min. (4. 4), L. 6
pr. C. de temp. (2. 53.).
(i) Zeitſchrift für geſchichtliche
Rechtswiſſenſchaft B. 10 S. 253. —
Unrichtig bezieht Burchardi
S. 499 dieſen Ausdruck auf das
prätoriſche Edict.
(k) Burchardi S. 500. 501.
|0277 : 255|
§. 340. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)
gewöhnliche Kalenderjahre (quadriennium continuum), als
allgemeine Verjährungsfriſt der Reſtitution vorſchrieb (l).
Nur bei den für volljährig erklärten Minderjährigen gilt
das beſondere Recht, daß ihre Reſtitution für frühere Ver-
letzungen niemals vor dem vollendeten fünf und zwanzigſten
Jahre verjähren ſoll, ſo daß alſo in dieſem Fall die Ver-
jährung zuweilen länger als Vier Jahre dauern kann (m).
Irrigerweiſe wird die von Juſtinian neu eingeführte
Zeit der Vier Jahre von Manchen auch auf die ſogenannten
Reſtitutionsklagen angewendet (n); dieſe falſche Meinung
iſt eine Folge der ſchon oben ausführlich widerlegten Ver-
mengung dieſer Klagen mit der Reſtitution (§ 316). —
Eben ſo irrig iſt es, wenn Andere die Verjährung der
Vier Jahre nicht nur auf das ſogenannte judicium re-
scindens, ſondern auch auf das rescissorium beziehen, ſo
daß jedes dieſer Rechtsmittel ſeine beſondere vierjährige
Verjährung haben ſoll (o). Dieſe Meinung beruht auf
einem gänzlichen Verkennen der Natur dieſer beiden Rechts-
mittel. Das ſogenannte rescindens iſt der einzige, aber
auch vollſtändige Reſtitutionsprozeß, und darauf beziehen
ſich die Vier Jahre. Das rescissorium iſt eine gewöhnliche
Klage, die von der verſchiedenſten Art ſeyn kann, und bald
dieſer, bald jener Klagverjährung unterworfen iſt (p);
(l) L. 7 pr. C. de temp. (2. 53).
(m) L. 5 pr. C. de temp. (2. 53).
(n) Burchardi S. 513. 514.
(o) Burchardi S. 507. 508.
(p) Dieſe Klagverjährung kann
in jedem Fall erſt anfangen von
der Zeit der rechtskräftig ertheilten
Reſtitution, weil die Klage ver-
loren war und erſt jetzt wieder ent-
ſtanden (actio nata) iſt. Es wird
|0278 : 256|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
dafür war gar kein Bedürfniß vorhanden, jetzt etwas Neues
vorzuſchreiben.
Dagegen muß allerdings behauptet werden, daß die
vierjährige Verjährung für alle Reſtitutionen gilt (q). Von
den wichtigſten Reſtitutionen, wegen Minderjährigkeit und
Abweſenheit, iſt Dieſes ſchon oben dargethan worden
(Noten g. l). Es bedarf nur noch einer näheren Prüfung
dieſer Frage in Beziehung auf Zwang und Betrug, wobei
auch die ſchon oben erwähnte, aber ausgeſetzte Frage wegen
des Anfangs der Verjährung in dieſen beiden Fällen (§ 339)
ihre Erledigung finden muß.
Die actio quod metus causa verjährt in Einem annus
utilis von der Zeit des Zwanges an, und es ſcheint in-
conſequent, daß daneben eine vierjährige Reſtitution wegen
deſſelben Zwanges gelten ſollte. Allein jene kurze Verjäh-
rung tilgt die Klage nur, inſofern ſie zur Strafe des vier-
fachen Erſatzes führen kann; wird ſie auf den einfachen
Erſatz gerichtet, ſo iſt ſie ganz ohne Verjährung (r). Da
nun die Reſtitution ſtets nur zum einfachen Erſatz führt,
ſo iſt es gewiß nicht inconſequent, neben der immerwäh-
renden Klage eine auf Vier Jahre beſchränkte Reſtitution
zur Wahl zu ſtellen.
aber von ihr faſt nie die Rede
ſeyn, weil die Reſtitution meiſt
geſucht wird von Dem, welcher die
reſtituirte Klage unmittelbar dar-
auf anſtellen will.
(q) Burchardi S. 509—514.
Nur freilich nicht, wie dieſer Schrift-
ſteller behauptet, für die Reſtitution
wegen capitis deminutio, die im
alten Recht gar keine Verjährung
hatte, und im neuen Recht nicht
mehr vorhanden iſt (§ 333).
(r) L. 14 § 1. 2 quod metus
(4. 2).
|0279 : 257|
§. 340. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)
Die actio doli verjährt nach Conſtantin’s Geſetz in
Zwei Jahren, welche vom Betrug ſelbſt anfangen, ohne
Rückſicht auf das Bewußtſeyn des Betrogenen (s). Dabei
ſcheint es wieder inconſequent, eine vierjährige Reſtitution
daneben zu ſtellen, und dieſe erſt anfangen zu laſſen, wenn
der Betrogene die Täuſchung erfährt (§ 339). Allein die
zweijährige Verjährung (früher einjährig) geht nur auf die
eigentliche actio doli, welche entehrt; daneben ſteht eine
immerwährende actio in factum auf bloße Entſchädigung
mit Schonung der Ehre (t), und neben dieſe Klage auch
noch eine auf gleichen Zweck gerichtete vierjährige Reſtitution
zu ſtellen, iſt gewiß nicht inconſequent; auch kann es nicht
ſtörend gefunden werden, daß die actio in factum auf die
Bereicherung des Beklagten beſchränkt wird, welche Be-
ſchränkung bei der Reſtitution nicht vorkommt.
§. 341.
Reſtitution. — Verfahren. (Fortſetzung.)
Bei der Verjährung der Reſtitution ſind zuletzt noch
einige Fragen von beſonders verwickelter Natur zu erörtern,
die ſich auf das Zuſammentreffen mehrerer Reſtitutions-
gründe beziehen. In ſolchen Fällen werden faſt immer ver-
ſchiedene Zeitpunkte des Ablaufs der Verjährung eintreten,
und es iſt dann zu beſtimmen, in welcher Verbindung dieſe
verſchiedene Reſtitutionen aufzufaſſen ſind, um das Schickſal
der Reſtitution überhaupt feſtzuſtellen.
(s) L. 8 C. de dolo (2. 21).
(t) L. 28 de dolo (4. 3).
VII. 17
|0280 : 258|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Ein ſolches Zuſammentreffen mehrerer Reſtitutionen kann
vorkommen ſowohl in einer und derſelben Perſon, als in
mehreren Perſonen, wenn nämlich die eine Reſtitution durch
Succeſſion auf eine andere Perſon übergegangen iſt (§ 335).
I. Bei dem Zuſammentreffen mehrerer Reſtitutionsgründe
in einer und derſelben Perſon iſt vor Allem die Frage zu
beantworten, ob es zuläſſig iſt, gerade gegen die Verjährung
einer Reſtitution wiederum eine neue Reſtitution zu ſuchen.
Dieſe Frage wird von unſern Schriftſtellern ſchlechthin ver-
neint, und zwar aus zwei Gründen: erſtlich aus dem all-
gemeinen Grunde, weil ſonſt kein Ende des Reſtituirens
zu finden wäre, zweitens wegen einer ausdrücklichen Stelle
des Ulpian, L. 20 pr. de minor. (a). Beide Gründe
ſind aber unhaltbar, und ich muß jene Frage entſchieden
bejahen. Daß es mit der angeblichen Endloſigkeit der Re-
ſtitution keine Gefahr hat, wird ſich aus der Betrachtung
der einzelnen möglichen Fälle ſolcher Art ergeben, die über-
haupt nur äußerſt ſelten vorkommen können; die Stelle des
Ulpian aber hat einen ganz anderen Sinn, wie ſogleich
gezeigt werden wird.
Erſtlich machen gar keine Schwierigkeit die Fälle, in
welchen die Minderjährigkeit als Reſtitutionsgrund zuletzt
vorhanden iſt. Geſetzt, es wird eine Sache von einem
Abweſenden uſucapirt, welcher in die Heimath zurückkehrt,
als der vorige Eigenthümer Zwanzig Jahre alt iſt, ſo ver-
(a) Burchardi S. 134. Puchta Pandekten §. 107. h. Vor-
leſungen S. 216.
|0281 : 259|
§. 341. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)
jährt die Reſtitution wegen Abweſenheit binnen Vier Jahren,
und man könnte nun fragen, ob der Verletzte gegen dieſe
Verjährung als Minderjähriger Reſtitution erhalten könne.
Dieſe Frage iſt aber ganz müßig, denn da die Reſtitution
der Minderjährigen die umfaſſendſte unter allen iſt, ſo kann
der Verletzte bis zum Alter von Neun und zwanzig Jahren
gegen jene Uſucapion ſchon als Minderjähriger unmittelbar
Reſtitution erlangen, wobei dann die Abweſenheit, ſo wie
die bereits eingetretene Verjährung, und die Reſtitution
gegen dieſe Verjährung, als ganz gleichgültig erſcheint.
Betrachten wir aber nun den umgekehrten Fall, da die
Minderjährigkeit als Reſtitutionsgrund nicht zuletzt vor-
handen iſt. Geſetzt, ein Minderjähriger iſt abweſend,
während ſeiner Abweſenheit wird er volljährig, nachdem
er (vor oder in der Abweſenheit) einen nachtheiligen Ver-
trag geſchloſſen hat. Als er Dreißig Jahre alt iſt, kehrt
er zurück. Eigentlich iſt ſeine Reſtitution ſchon ſeit einem
Jahre verjährt, es fragt ſich aber, ob er gegen dieſe Ver-
jährung Reſtitution ſuchen könne. Dieſes verneint Ulpian,
übereinſtimmend mit Papinian (b), indem er ſagt, die
Abweſenheit ſey hier nicht zu berückſichtigen, und das iſt
eben die Stelle, woraus bewieſen werden ſoll, daß gegen
die Verjährung einer Reſtitution überhaupt keine Reſtitution
möglich ſey (Note a). Allein Ulpian giebt gar nicht
dieſen Grund ſeiner Entſcheidung an, ſondern vielmehr den
(b) L. 20 pr. de min. (4. 4).
17*
|0282 : 260|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
ganz anderen, daß hier die Abweſenheit gar kein Hinderniß
für die Bitte um Reſtitution geweſen ſey, daß alſo die
Grundbedingung aller Reſtitution fehle (§ 320 Note d);
denn auch während der Abweſenheit habe die Reſtitution
gegen den Vertrag geſucht werden können, und zwar ſo-
wohl durch einen Procurator bei dem Prätor in Rom, als
in eigener Perſon bei dem Statthalter der Provinz, worin
der volljährig Gewordene lebte (welches Letzte Papinian
nicht einmal erwähnt hatte). Hierin zeigt ſich nun wieder
die Verſchiedenheit der Klagen von der Reſtitution. Wenn
ein abweſender Minderjähriger ein ihm zuſtehendes einjäh-
riges Interdict verjähren läßt, dann volljährig wird, und
ſpäter zurückkehrt, ſo kann er nun noch das Interdict an-
ſtellen binnen der Reſtitutionsfriſt, und dieſe Friſt läuft ihm
nicht von der Volljährigkeit, ſondern von der Rückkehr
an (c). — In dem Fall, welchen Ulpian anführt, war
der Abweſende ein zur Strafe Verbannter geweſen, und
dieſen Umſtand machte Papinian als einen unterſtützenden
Grund jener Entſcheidung geltend. Deshalb tadelt ihn
Ulpian, indem hier das Verbrechen keinen Einfluß habe,
(c) L 15 §. 6 quod vi (43 24).
Die Reſtitution wegen Minder-
jährigkeit kommt nun gar nicht in
Betracht, weil die wegen Abweſen-
heit Alles entſcheidet. — Der
Grund des Unterſchieds liegt zu-
nächſt und formell darin, daß das
Edict über die Abweſenden von
einer verlorenen actio ſprach, unter
welche Bezeichnung die Reſtitution
nicht gehörte. Der tiefer liegende
innere Grund aber war wohl der,
daß es weit leichter war, auch aus
der Ferne ein Reſtitutionsgeſuch zur
prätoriſchen cognitio zu bringen,
als einen ordentlichen Prozeß vor
den Juder.
|0283 : 261|
§. 341. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)
ſondern lediglich das Alter an ſich (und die Abweſenheit an
ſich) zu berückſichtigen ſen (d). — Nach der Anſicht
Ulpian’s alſo ſollte auf die Gründe der Abweſenheit gar
nicht geſehen werden. Hierin aber machte das ſpätere Recht
eine Ausnahme zum Beſten der Soldaten, die nicht auffallen
kann, da ſie zu den zahlreichen, auch ſonſt ſchon bekannten,
Privilegien dieſes Standes gehört. Wenn nämlich ein
Minderjähriger während des Soldatenſtandes volljährig
wird, ſo ſoll die Verjährungszeit nicht von der Volljährig-
keit, ſondern von dem Austritt aus dem Soldatenſtand an-
fangen (e). Wenn ferner gegen einen Minderjährigen eine
Uſucapion vollendet wird, derſelbe aber ſpäter in den Sol-
datenſtand eintritt, ſo ſoll er noch immer Hülfe gegen jene
Uſucapion erhalten können (f). Beide Ausſprüche gehen
unzweifelhaft von der Anſicht aus, daß, vermöge eines
beſonderen Vorrechts, der Soldat als Abweſender Reſtitu-
tion erhalten müſſe gegen den Ablauf der Verjährungsfriſt
einer Reſtitution, die ihm ſeines minderjährigen Alters
wegen zugeſtanden hätte.
Ich will aber nun noch den wichtigſten und am wenigſten
verwickelten Fall anführen, in welchem die oben erwähnte
Streitfrage vorkommen kann. Wenn Jemand aus irgend
einem Grunde, wegen Minderjährigkeit, Abweſenheit u. ſ. w.,
(d) L. 20 pr. cit. „Quid enim
commune habet delictum cum
venia aetatis?“ venia aetatis
iſt hier nicht in dem ſonſt gewöhn-
lichen Sinn zu nehmen, ſondern
für beneficium aetatis, Reſtitu-
tionsanſpruch des Minderjährigen.
Vgl. auch oben § 326 Note r.
(e) L 1 C. de temp. (2. 53).
(f) L. 3 C. eod.
|0284 : 262|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Anſpruch auf Reſtitution hat, und dieſe Reſtitution, ge-
täuſcht durch Betrügereien ſeines Gegners, verjähren läßt,
ſo fragt es ſich, ob er gegen dieſe Verjährung die Re-
ſtitution wegen Betrugs verlangen kann. Nach der oben
angeführten Meinung (Note a) muß dieſe Frage verneint
werden, ich halte die Bejahung für ganz unzweifelhaft.
Daß durch dieſen Fall keine endloſe Ausdehnung und Wie-
derholung der Reſtitution herbeigeführt werden könne, wird
wohl Jeder zugeben. Es iſt aber ferner kein Grund denk-
bar, weshalb dem Verletzten die actio doli gegen den Be-
trüger verſagt werden könnte. Wird nun dieſe zugegeben,
ſo muß er vielmehr die nicht entehrende Reſtitution erhalten,
da dieſe im vorliegenden Fall völlig zu demſelben Erfolg
führt, wie die Klage, und alſo der Klage nach allgemeinen
Grundſätzen vorgezogen werden muß (§ 332 Note s). Dieſe
Reſtitution führt alſo dahin, daß die verjährte frühere Re-
ſtitution als nicht verjährt behandelt, und dem Verletzten
gewährt werden muß.
Die hier aufgeſtellte Behauptung über die Reſtitution
wegen Betrugs gegen die Verjährung irgend einer anderen
Reſtitution findet eine unmittelbare Beſtätigung im cano-
niſchen Recht. Hier wird geſagt, die vierjährige Ver-
jährung der den Kirchen zuſtehenden Reſtitution könne ent-
kräftet werden, wenn der Gegner durch Betrug dieſe Ver-
jährung bewirkt habe (g). Es iſt durchaus kein Grund
(g) C. 1 de restit. in VI.
(1. 21). „Ecclesia … si qua-
driennii spatium post sit lap-
sum, et negligenter omiserit,
|0285 : 263|
§. 341. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)
vorhanden, dieſen Ausſpruch als ein beſonderes Privilegium
der Kirchen anzuſehen, indem auch die Faſſung des Aus-
drucks nicht hierauf, ſondern auf die Anerkennung einer
allgemein bekannten Rechtsregel hindeutet. Eben ſo iſt
kein Zweifel herzuleiten aus einem Zuſatz der angeführten
Decretale (h), der ſo allgemein gefaßt iſt, daß man dadurch
verleitet werden könnte, die ganze Beſtimmung für eine
Aeußerung willkürlicher Billigkeit, nicht für die Aner-
kennung einer Rechtsregel zu halten. Auch dieſer Zuſatz
läßt ſich ſtreng rechtfertigen. Die Kirche nämlich kann aus
individuellen Gründen, oder auch aus allgemeinen, wie
Krieg, Aufruhr u. ſ. w., längere Zeit ohne Schutz und
Vertretung ſeyn. Darin würde, in Anwendung der gene-
ralis clausula, ein hinreichender Grund der Reſtitution
gegen alle in dieſe Zeit fallende Verſäumniſſe liegen, alſo
unter anderen auch gegen die Verſäumniß der Friſt einer
Reſtitution, die ſie in ihrer Eigenſchaft als Kirche binnen
Vier Jahren hätte begehren können.
II. Es bleibt nun noch übrig, von dem Zuſammen-
treffen mehrerer Reſtitutionen in Folge eines Succeſſions-
falles zu ſprechen. Darüber enthält das Römiſche Recht
folgende Regeln.
non est ad beneficium hujus-
modi admittenda, nisi praeva-
ricationis vel fraudis manifeste
probetur super hoc intervenisse
commentum …“
(h) l. c. „aut alia rationa-
bilis causa subsit, quae supe-
riorem movere debeat ad idem
beneficium concedendum.“
|0286 : 264|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
Wenn ein Minderjähriger auf Reſtitution gegen ein
Rechtsgeſchäft Anſpruch hat, dann ſtirbt, und von einem
Minderjährigen beerbt wird, ſo iſt der Tod erfolgt entweder
vor oder nach der Volljährigkeit des Erblaſſers. Im erſten
Fall hat der Erbe Vier Jahre Zeit zur Reſtitution, welche
von ſeiner eigenen Volljährigkeit an zu berechnen ſind (i).
Im zweiten Fall hat der Erbe, gleichfalls von ſeiner
eigenen Volljährigkeit an, ſo viel Zeit zur Reſtitution, als
der Erblaſſer zur Zeit des Todes von ſeiner eigenen Re-
ſtitutionsfriſt noch übrig hatte (k).
Auch hier findet ſich wieder ein Privilegium der Sol-
daten, ähnlich dem ſchon im erſten Hauptfall erwähnten
Privilegium (Note e. f.). Wenn nämlich entweder der
Erblaſſer, oder der Erbe, im Heere diente, ſo ſoll da, wo
ſonſt von der Volljährigkeit an zu rechnen wäre, ſtets erſt
der Abſchied aus dem Heere als beſtimmender Zeitpunkt
angeſehen werden (l).
§. 342.
Reſtitution. — Wirkungen.
Die aus dem Grundbegriff der Reſtitution folgende
Wirkung derſelben iſt die Herſtellung des früheren Rechts-
zuſtandes. Hat nun die eingetretene Aenderung dieſes Zu-
ſtandes, die durch die Herſtellung beſeitigt werden ſoll, eine
(i) L. 19 de min. (4. 4), L. 5
§. 1 C. de temp. (2. 53), Paulus
I. 9 § 4.
(k) L. 19 de min. (4. 4),
L. 5 § 2 C. de temp. (2. 53).
(l) L. 1. 3 C. de temp. (2. 53).
|0287 : 265|
§. 342. Reſtitution. Wirkungen.
ganz einfache Natur, wie z. B. die Schenkung, wozu ein
Minderjähriger beredet worden iſt, ſo kann jene Regel als
ausreichend gelten, indem eben nur die einzelne Handlung
in ihren Folgen rückgängig zu machen iſt. Allein viele, ja
die meiſten Aenderungen des Rechtszuſtandes haben eine ſo
einfache Natur nicht, indem ſie vielmehr aus gegenſeitigen
Leiſtungen, alſo aus Vortheilen und Nachtheilen auf beiden
Seiten, zuſammengeſetzt ſind.
Für alle dieſe Fälle nun gilt die allgemeine und natür-
liche Regel, daß der urſprüngliche Zuſtand nach allen Seiten
hin wiederhergeſtellt werden muß (a). Eine Anwendung
auf die wichtigſten einzelnen Fälle wird dieſe Regel in das
rechte Licht ſetzen.
Durch ein empfangenes Darlehen kann ein Minder-
jähriger in Nachtheil verſetzt ſeyn, indem er das empfangene
Geld verloren oder verſchwendet hat; dann führt die Re-
ſtitution dahin, daß er Nichts zurückbezahlt (§ 319 Note d).
Hat er das Geld nicht gerade verſchwendet, ſondern an
einen unvermögenden Schuldner geliehen, ſo wird er da-
durch geſchützt, daß er ſich durch Ceſſion der Klage gegen
dieſen Schuldner mit ſeinem Gläubiger abfindet. Hat er
(a) L. 24 §. 4 de min. (4. 4),
„ut unusquisque in integrum jus
suum recipiat“ — L. 29 ex qu.
caus. (4. 6) „videlicet ne cui
officium publicum vel damno,
vel compendio sit“. — L. 1 pr.
C. de reputat. (2. 48.). „Qui
restituitur, sicut in damno mo-
rari non debet, ita nec in
lucro.“ — Gleichbedeutend iſt die
Vorſchrift, daß bei einem zwei-
ſeitigen Vertrag der Verletzte nur
die Wahl hat, ob das Geſchäft
ganz gelten oder ganz nicht gelten
ſoll. L. 13 §. 27. 28 de act. emti
(19. 1).
|0288 : 266|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
mit dem geliehenen Gelde einen nachtheiligen Einkauf vor-
genommen, ſo wird er gegen ſeinen Verkäufer reſtituirt,
und bedarf dann einer Reſtitution gegen den Darleiher
nicht (b).
Gegen einen nachtheiligen Verkauf geht die Reſtitution
des Minderjährigen zunächſt dahin, daß demſelben die ver-
kaufte Sache mit den Früchten der Zwiſchenzeit zurückgege-
ben werden muß (c). — Dagegen muß der Verletzte von
ſeiner Seite das empfangene Kaufgeld zurückzahlen, und
zwar mit Zinſen, die gegen die Früchte aufzurechnen
ſind (d). — Dieſe Rückzahlung kann dadurch ausge-
ſchloſſen werden, daß der Minderjährige das empfangene
Kaufgeld verſchwendet hat, welches der Käufer vorher-
ſehen konnte (§ 319 Note i). In dieſem Hergang liegt
dann eine doppelte Reſtitution: gegen den Verkauf, und
gegen den Empfang der Zahlung. — Hat der Käufer
wahre Verbeſſerungen an der Sache vorgenommen, ſo
müſſen ihm die Koſten derſelben erſetzt werden (e).
Dieſelbe Natur mit dem Verkauf hat, wie überhaupt,
ſo auch in dieſer Beziehung, die Uebergabe einer Sache an
Zahlungsſtatt. Auch dabei iſt die gegebene Sache mit
ihren Früchten zurück zu geben, und die Zinſen des Geldes
ſind dagegen aufzurechnen (f).
(b) L. 27 § 1 de min. (4. 4).
(c) L. 24 § 4, L. 27 § 1 de
min. (4. 4).
(d) L. 27 § 1, L. 47 § 1. de
min. (4. 4). Paulus I. 9 §. 7.
(e) L. 39 § 1 de min. (4. 4).
(f) L. 40 § 1 de min. (4. 4),
L. 98 § 2 de solut. (46. 3).
|0289 : 267|
§. 342. Reſtitution. Wirkungen.
Der nachtheilige Einkauf einer Sache wird nach
gleichen Grundſätzen behandelt; auch hier iſt die Sache
mit ihren Früchten, das Kaufgeld mit Zinſen, zurück zu
geben (g).
Gegen eine nachtheilige Acceptilation beſteht die Re-
ſtitution darin, daß dem unvorſichtigen Gläubiger ſeine An-
ſprüche zurück gegeben werden, und zwar nicht blos gegen
den Schuldner ſelbſt, ſondern auch gegen deſſen Mitſchuldner
und Bürgen, ſo wie gegen die Pfänder (h).
Hat ein Minderjähriger durch Novation anſtatt ſeines
Schuldners einen ſchlechteren Schuldner angenommen, ſo
wird ihm die Klage gegen den früheren Schuldner
reſtituirt (i).
Hat er durch Expromiſſion die Schuld eines Anderen
übernommen, ſo wird durch die Reſtitution er ſelbſt be-
freit, dem Gläubiger aber ſeine verlorene Klage gegen den
Schuldner wiederhergeſtellt; dieſe natürlich mit den darauf
früher haftenden Beſchränkungen, z. B. wenn ſie einer
kurzen Verjährung unterworfen, und dieſe zur Zeit der
Expromiſſion bereits bis auf wenige Tage abgelaufen
war (k).
Die Reſtitution gegen einen Vergleich hat die Folge,
(g) L. 27 § 1 de min. (4. 4),
(h) L. 27. § 2 de min. (4. 4).
(i) L. 27 § 3 de min. (4. 4).
(k) L. 50 de minor. (4. 4),
L. 19 de nov. (46. 2), L. 1 § 1
C. de reputat. (2. 48).
|0290 : 268|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
daß die gegenſeitig aufgegebenen Anſprüche von beiden
Seiten wieder aufleben (l).
Die Reſtitution gegen eine Uſucapion hat die Folge,
daß dem Verletzten die verlorene Sache mit allen Früchten
der Zwiſchenzeit herausgegeben werden muß (m).
Iſt eine vortheilhafte Erbſchaft ausgeſchlagen,
oder durch unerfüllte Bedingung verloren worden, ſo be-
ſteht die Reſtitution nicht darin, daß Der, welcher ſie erhält,
nun wirklich Erbe wird, welches unmöglich iſt; er be-
kommt aber alle Klagen, die er als wahrer Erbe von ſelbſt
erhalten haben würde, nunmehr als utiles actiones, das
heißt alſo, es wird ihm ein fingirtes Erbrecht verſchafft (n).
— Er muß jedoch Alles als gültig anerkennen, was in der
Zwiſchenzeit von den bis dahin berechtigten Perſonen
(Erben, Curatoren u. ſ. w.) an den Beſtandtheilen der
Erbſchaft verändert worden iſt (o). — Ferner leben nun-
mehr auch alle Laſten und Verpflichtungen wieder auf, die
dem Reſtituirten in der Eigenſchaft eines Erben auferlegt
waren, und von welchen er bis zur Reſtitution frei
war (p).
(l) L. 1. 2 C. si adv. trans-
act. (2. 32). Anders verhält es
ſich bei der Reſtitution gegen ein
Urtheil, wenn dieſelbe nur Ein
Stück ſtreitiger Verhältniſſe betrifft,
und daneben andere, ganz unab-
hängige Stücke vorliegen; dieſe
bleiben unberührt durch die Re-
ſtitution. L. 28, L. 29 § 1 de
min. (4. 4).
(m) L. 28 § 6, L. 29 ex quib.
caus. (4. 6).
(n) L. 7 § 10 de min. (4. 4),
am Ende der Stelle. L. 21 § 6
quod metus (4. 2).
(o) L. 22 de min. (4. 4). Dieſe
Vorſchrift kann ſogar unter Um-
ſtänden zur Verſagung der Re-
ſtitution führen. L. 24 § 2 eod.
(p) L. 41 ex quib. caus. (4. 6).
|0291 : 269|
§. 342. Reſtitution. Wirkungen.
Die Reſtitution gegen den Antritt einer Erbſchaft
iſt nach denſelben Grundſätzen zu beurtheilen. Der Reſti-
tuirte iſt und bleibt Erbe, und wird nur durch Fiction
behandelt, als ob er nicht Erbe wäre (abstinendi potestas
ei tribuitur) (q). Er muß nun Dem, an welchen nunmehr
die Erbſchaft fällt, diejenigen Erbſchaftsſtücke herausgeben,
die an ihn bleibend gekommen, oder durch böſen Willen
nicht gekommen, oder untergegangen ſind (r). — Wenn er
vor der Reſtitution Legate oder Schulden der Erbſchaft
ausgezahlt hat, ſo giebt er dafür keinen Erſatz; eben ſo
erſetzt er nicht den Werth der durch ſeinen Antritt frei ge-
wordenen Sklaven, oder der Sklaven, die er fidei-
commiſſariſch ſelbſt freigelaſſen hat (s).
Die Reſtitution gegen den Erwerb eines Legates
macht den Reſtituirten frei von den Laſten, die ihm in der
Eigenſchaft eines Legatars als Fideicommiß auferlegt
waren (t).
§. 343.
Reſtitution. — Wirkungen. (Fortſetzung.)
Die Schriftſteller über die Reſtitution haben ſich von
jeher viel mit der Frage beſchäftigt, ob die Reſtitution in
personam wirke oder in rem, das heißt, nur gegen eine
(q) L. 21 § 5 quod metus
(4. 2), L. 7 § 5, L. 31 de min.
(4. 4).
(r) L. 7 § 5 de min. (4. 4)
am Ende. L. 1 § 2 C. de reputat.
(2. 48),
(s) L. 22. 31 de min. (4. 4).
(t) L. 33 de min. (4. 4).
|0292 : 270|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
einzelne beſtimmte Perſon, oder in das Unbeſtimmte hin,
gegen Perſonen, die ſich vielleicht zur Zeit der erlittenen
Verletzung noch gar nicht überſehen laſſen. Daß überhaupt
beide Wirkungsarten vorkommen können, ſagt in einem all-
gemeinen Ausſpruch eine Stelle des Paulus (a), die durch
andere Stellen beſtätigt wird (b).
Nach einer unter unſren Schriftſtellern ſehr gangbaren
Formel ſoll die Reſtitution in personam die Regel bilden,
die in rem die Ausnahme (c); in der That aber bedarf die
Sache einer etwas tieferen Begründung (d). Es hängt
dieſe Frage unmittelbar zuſammen mit der ſchon oben erör-
terten Beſtimmung der verpflichteten Perſon in der Re-
ſtitution, oder des Gegners des Verletzten (§ 336), und
dieſe Beſtimmung muß nothwendig ſehr verſchieden aus-
fallen, je nach der verſchiedenen Natur der Rechtsverhält-
niſſe, worauf ſich die Reſtitution beziehen kann.
Die Reſtitution kann gerichtet ſeyn gegen eine Uſucapion,
alſo gegen eine nicht auf der Handlung des Eigenthümers
beruhende Veränderung im Eigenthum, welcher Fall vor-
kommen kann ſowohl wegen Minderjährigkeit als wegen
Abweſenheit. Hier verſteht es ſich von ſelbſt, daß ſie in
rem wirkt, alſo gegen jeden Beſitzer (e), wie ſie denn auch
(a) Paulus I. 7 § 4 „Integri
restitutio aut in rem competit,
aut in personam.“ Dieſe Stelle
iſt aber ſicher ſtark verſtümmelt.
(b) L. 13 § 1 de min. (4. 4)
„Interdum autem restitutio et
„in rem datur minori“.
(c) Burchardi S. 416 fg.
(d) Puchta Pandekten § 106
Note f. Vorleſungen S. 217. 218.
(e) L. 30 § 1 ex qu. caus.
(4. 6).
|0293 : 271|
§. 343. Reſtitution. Wirkungen. (Fortſ.)
zunächſt und hauptſächlich durch die Wiederherſtellung der
verlorenen Eigenthumsklage zur Ausführung gebracht wird
(§ 329).
Ebenſo ſo iſt kein Zweifel, daß die Reſtitution gegen die
Ausſchlagung oder den Antritt einer Erbſchaft ſtets in rem
wirkt, da ſie auf ganz verſchiedene und unbeſtimmte Per-
ſonen ſich beziehen ſoll (§ 342). Auch wird ausdrücklich
geſagt, daß die aus der Reſtitution hervorgehende Klagen
auf Erbſchaftsſachen gegen jeden Beſitzer derſelben angeſtellt
werden können, auch wenn der urſprüngliche Beſitzer der
Erbſchaft ſie veräußert hat (f).
Anders verhält es ſich mit der Reſtitution gegen einen
geſchloſſenen Vertrag. Dieſe geht in der Regel gegen die
Perſon, mit welcher der Verletzte den Vertrag geſchloſſen
hat, und nur ausnahmsweiſe gegen dritte Perſonen; für
dieſe Klaſſe von Fällen alſo iſt die oben erwähnte Formel
als richtig anzuerkennen (Note c).
Wird alſo ein Minderjähriger gegen einen nachtheiligen
Verkauf reſtituirt, ſo hat er in der Regel die Rückgabe des
verlorenen Eigenthums nur von dem Käufer zu fordern
(§ 342 Note c), nicht von dem dritten Beſitzer, an welchen
der Käufer weiter veräußert hat. Ausnahmsweiſe aber (g)
wirkt die Reſtitution auch gegen den dritten Beſitzer, wenn
dieſer um den Verkauf des Minderjährigen wußte, oder
(f) L. 17 pr. ex. quib. caus.
(4. 6).
(g) Interdum, ſ. o. Note b.
|0294 : 272|
Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.
wenn der erſte Käufer zahlungsunfähig iſt (h). In einem
ſolchen Fall hat dann der dritte Beſitzer, der die Sache
herausgeben muß, dieſelben Regreßanſprüche gegen ſeinen
Vorgänger, wie wenn er den Beſitz durch eine Eigenthums-
klage verloren hätte (i).
Dieſelbe Behandlung findet ſich, wenn einem Minder-
jährigen, der zur Zahlung einer Schuld verurtheilt war,
Sachen abgepfändet und verkauft worden ſind; denn dieſe
Handlung iſt als ein im Namen des Minderjährigen, alſo
von ihm ſelbſt, geſchloſſener Verkauf anzuſehen. Wird
nachher die Verurtheilung durch Reſtitution aufgehoben, ſo
kann der Minderjährige in der Regel nur die Summe der
Schuld vom Gläubiger wieder fordern (k); ausnahmsweiſe
aber (l) kann er auch die verkauften Sachen von dem Be-
ſitzer zurück fordern, wenn er durch das Entbehren in
beſonders großen Schaden verſetzt werden würde (m).
Schon oben iſt dargethan worden, daß bei einer er-
zwungenen Veräußerung der Verletzte die Wahl hat, ent-
(h) L. 13 § 1, L. 14 de min.
(4. 4).
(i) L. 15 de min. (4. 4), L. 39
pr. de evict. (21. 2).
(k) L. 9 pr. de min. (4. 4)
„nam illud certum est, pecu-
niam ex causa judicati solutam
ei restituendam“.
(l) L. 9 pr. cit. „et puto,
interdum permittendum“ …
(m) L. 9 pr. cit. „si grande
damnum sit minoris“. L. 1 C.
si adv. vend. pign. (2. 29) „magno
detrimento … enorme dam-
num“ … L. 49 de min. (4. 4)
„grande damnum“; dieſe Stelle
muß offenbar, ſo wie die vorigen,
von einem Verkauf im Wege der
Execution verſtanden werden, ob-
gleich ſie das nicht ausdrücklich
ſagt. — Nicht zu verwechſeln aber
iſt dieſer Fall der pignora capta
et distracta mit dem Fall, da der
Pfandgläubiger verkauft; dagegen
gilt gar keine Reſtitution, ſ. oben
§ 323 Note e. f. g.
|0295 : 273|
§. 343. Reſtitution. Wirkungen. (Fortſ.)
weder gegen den Verletzer auf Entſchädigung zu klagen,
oder durch Reſtitution die Herſtellung ſeiner verlorenen in
rem actio zu verlangen, die er dann auch gegen jeden
dritten Beſitzer geltend machen kann (§ 330 Note e).
Sehr häufig iſt das Verfahren bei einer Reſtitution ſo
einfach, daß Alles abgethan iſt mit dem einfachen Befehl
an den Verpflichten, Geld zu zahlen oder eine empfangene
Sache heraus zu geben (§ 337 Note m). Dann hat die
Reſtitution eine ähnliche Natur mit einer gewöhnlichen
Schuldklage. Iſt nun der zunächſt Verpflichtete in fremder
Gewalt als Sohn oder Sklave, ſo trifft die Verpflichtung,
wie bei einer Schuld, auch den Vater oder Herrn, in ſofern
entweder dieſer durch das Geſchäft Etwas in ſein Vermögen
bekommen hat, oder ein Peculium vorhanden iſt, wodurch
er nach den Grundſätzen der actio de peculio verbunden
wird (n).
(n) L. 24 §. 3 de min. (4. 4).
VII. 18
|0296 : [274]|
|0297 : [275]|
Beilagen.
XVIII. XIX.
18*
|0298 : [276]|
|0299 : [277]|
Beilage XVIII.
Reſtitution der Minderjährigen, welche in väterlicher
Gewalt ſtehen.
L. 3 § 4 de minor. (4. 4).
L. 2 C. de filiofam. minore (2. 23).
(Zu § 323 Note q).
Ueber die Reſtitution der in väterlicher Gewalt ſtehenden
Minderjährigen werden von den Schriftſtellern folgende
Sätze als ſichere Regeln anerkannt:
Der Minderjährige erhält gegen ſeine Handlungen
dieſelbe Reſtitution, wie wenn er nicht in väterlicher
Gewalt ſtände, vorausgeſetzt (ſo wie bei jeder Re-
ſtitution), daß er ein Intereſſe dabei hat;
Der Vater ſoll von dieſer Reſtitution keinen Vortheil
ziehen, kann ſie alſo nicht für ſich geltend machen.
Auch ſind dieſe Sätze in der Hauptſtelle, die von dieſer
Frage handelt, als Regeln ſo klar und entſchieden aus-
geſprochen, daß darüber kaum ein Zweifel ſeyn konnte (a).
Nur wird faſt eben ſo allgemein für den erſten dieſer beiden
Sätze eine Ausnahme behauptet, und dieſe Ausnahme iſt
(a) L. 3 § 4 de min. (4. 4).
|0300 : 278|
Beilage XVIII.
es, welche in der gegenwärtigen Unterſuchung geprüft
werden ſoll.
Der Minderjährige ſoll nach dieſer Behauptung aus-
nahmsweiſe keine Reſtitution erhalten, wenn das nachthei-
lige Geſchäft in der Aufnahme eines Gelddarlehens be-
ſteht, und wenn dazu der Vater den Befehl gegeben hat (b).
Betrachten wir zuerſt dieſe Ausnahme in ihrem allge-
meinen und natürlichen Zuſammenhang mit der Reſtitution
überhaupt, alſo grundſätzlich, und noch ohne Rückſicht auf
das Zeugniß einzelner Stellen.
Man könnte dieſelbe daraus ableiten wollen, daß es
dem väterlichen Anſehen widerſprechen würde, den gegebenen
Befehl durch Ertheilung der Reſtitution für ſchädlich zu
erklären. Dieſe, an ſich denkbare, Anſicht wird von Ulpian
entſchieden verworfen, da er bei anderen Rechtsgeſchäften
dem Sohn die Reſtitution geſtattet, auch wenn der Vater
Befehl zu dem Geſchäft gegeben hatte (c).
Man könnte der Sache ferner die Wendung geben
wollen, daß nur der allein handelnde Sohn ein leichtſinniges
Gelddarlehen aufnehmen und dadurch in Schaden kommen
werde; im Fall eines väterlichen Befehls werde keine Ge-
(b) Burchardi S. 239—248.
Andere Schriftſteller werden ſo-
gleich angeführt werden.
(c) L. 3 § 4 cit. „Proinde
si jussu patris obligatus sit …
filius … auxilium impetrare
debebit, si ipse conveniatur.“
— Eben ſo wenn der Vater ſeinen
unmündigen Sohn emancipirt, und
als Vormund die auctoritas zu
einem Geſchäft gegeben hatte.
L. 29 pr. de min. (4. 4).
|0301 : 279|
Zur Reſtitution der Minderjährigen.
fahr und kein Nachtheil vorhanden ſeyn (d). Man kann
Dieſes für die meiſten Fälle unbedenklich zugeben, und wenn
in der That kein Nachtheil, oder doch kein Nachtheil aus
Unbeſonnenheit entſtanden iſt, ſo verſteht es ſich von ſelbſt,
daß die Reſtitution wegfällt, weil ihre Grundbedingung
fehlt (§ 320 Note b). Aber es kann doch auch anders
kommen; der Vater kann eben ſo leichtſinnig ſeyn, wie der
Sohn, er kann durch den Sohn getäuſcht werden, er kann
ſelbſt in böſer, eigennütziger Abſicht den nachtheiligen Befehl
zum Darlehen geben. Auf keine Weiſe erklärt dieſer Grund,
warum gerade nur bei dem Gelddarlehen der väterliche
Befehl dieſe Wirkung haben ſoll, da ja bei allen anderen
Rechtsgeſchäften genau dieſelben Rückſichten und Möglich-
keiten eintreten, um die Reſtitution für zuläſſig oder unzu-
läſſig zu halten.
In dieſer Verlegenheit nun haben ältere Schriftſteller
die ſeltſamſten Gründe geltend gemacht, um die erwähnte
Ausnahme bei dem Darlehen zu rechtfertigen (e). Das für
das Gelddarlehen erlaſſene Sc. Macedonianum, ſagen ſie,
ſey für viele einzelne Fälle ſehr hart, und für dieſe Härte
ſollten die Gläubiger durch die erwähnte Ausnahme wenig-
ſtens eine kleine Entſchädigung erhalten. Ferner ſeyen die
(d) Das iſt die Wendung, die
Puchta § 103 Note i der Sache
giebt. Denn in den Vorleſungen
S. 213 ſagt er, es ſey keine eigent-
liche Ausnahme, ſondern es werde
nur angenommen, daß in einem
ſolchen Fall kein Nachtheil aus
Unbeſonnenheit entſtanden ſey.
(e) Azo in L. 2 C. de fil.
fam. min., Glossa in L. 3 § 4
D. de minor., Cujacius in L. 3
§ 4 D. de min., Opp. T. 1 p. 989
|0302 : 280|
Beilage XVIII.
meiſten Gläubiger der Minderjährigen ungemein ſchlechte
Leute. Wenn ſich nun einmal einer von ſo redlicher Ge-
ſinnung fände, daß er nur mit der Genehmigung des
Vaters das Darlehen geben wolle, ſo verdiene dieſer ſeltene
Redliche unter den vielen Unredlichen durch eine beſondere
Ausnahme von den allgemeinen Rechtsregeln ausgezeichnet
und belohnt zu werden. Zur Unterſtützung dieſer letzten
Anſicht wird auch noch eine Stelle der heiligen Schrift
angeführt (f).
Dieſe Gründe ſind ſo unhaltbar, ja ſo wunderlich, daß
ſie ſich nur aus der völligen Verzweiflung erklären laſſen,
über den klaren Ausſpruch unſrer Rechtsquellen nicht anders
hinweg kommen zu können. Nach allgemeinen Gründen
muß daher die für das Gelddarlehen behauptete Aus-
nahme ſchlechthin verworfen werden, und es kommt nun-
mehr Alles auf die Erklärung einzelner Stellen an, zu
welcher ich mich jetzt wende.
Die wichtigſte Stelle iſt folgende aus Ulpianus lib. XI.
ad Ed., die ich in ihrem ganzen Zuſammenhang hierher
ſetze.
L. 3 § 4 de minor. (4. 4).
Sed utrum solis patribus familiarum, an etiam filiis-
familiarum succurri debeat, videndum. Movet dubita-
tionem, quod, si quis dixerit etiam filiisfamiliarum
in re peculiari subveniendum, efficiet, ut per eos etiam
(f) Ev. S. Lucä Kap. 15
V. 7 „Ich ſage Euch: Alſo wird
auch Freude im Himmel ſeyn über
Einen Sünder, der Buße thut, vor
neun und neunzig Gerechten, die
der Buße nicht bedürfen.
|0303 : 281|
Zur Reſtitution der Minderjährigen.
majoribus subveniatur, id est patribus eorum. Quod
nequaquam fuit Praetori propositum; Praetor enim
minoribus auxilium promisit, non majoribus. Ego autem
verissimam arbitror sententiam existimantium, filium-
familias minorem annis in integrum restitui posse ex
his solis causis, quae ipsius intersint, puta si sit
obligatus. Proinde si jussu patris obligatus sit,
pater utique poterit in solidum conveniri, filius autem,
cum et ipse possit vel in potestate manens conveniri,
vel etiam emancipatus vel exheredatus, in id quod
facere potest, et quidem in potestate manens etiam
invito patre ex condemnatione conveniri, auxilium
impetrare debebit, si ipse conveniatur. Sed an hoc
auxilium patri quoque prosit, ut solet interdum
fidejussori ejus prodesse, videamus; et non puto
profuturum. Si igitur filius conveniatur, postulet
auxilium; si patrem conveniat creditor, auxilium
cessat, excepta mutui datione; in hac (g) enim, si
filius jussu (h) patris mutuam pecuniam accepit,
non adjuvatur. Proinde et (i) si sine jussu patris
contraxit et captus est, siquidem pater de peculio
conveniatur, filius non erit restituendus; si filius
conveniatur, poterit restitui.
(g) Alle alte Ausgaben leſen
hac, welches eine beſſere Con-
ſtruction giebt, als die Florenti-
niſche Leſeart: hanc.
(h) Dieſe Leſeart der Vulgata
iſt offenbar beſſer, als die der Flo-
rentina, welche das Wort filius
wegläßt.
(i) Aus der folgenden Er-
klärung wird ſich ergeben, daß der
Sinn einfacher hervortritt, wenn hier
das et weggelaſſen wird (Note n).
|0304 : 282|
Beilage XVIII.
Alles kommt auf die Erklärung der hier curſiv gedruckten
Worte an. Dieſe enthalten die Ausnahme von einer Regel,
und es fragt ſich, worin beſteht dieſe Ausnahme? welches
iſt die Regel, worauf ſie ſich bezieht?
Die Ausnahme ſcheint ausgedrückt in den Worten: non
adjuvatur, die Regel alſo ſcheint nur in einem adjuvatur,
(oder was etwa gleichen Sinn giebt) beſtehen zu können.
Da nun in dem unmittelbar vorhergehenden Satz geſagt
wird: auxilium cessat, welches eben ſo viel ſagt als non
adjuvatur, ſo ſcheint die Ausnahme darauf nicht zu paſſen.
Sie würde aber paſſen auf den entfernteren Satz von dem
verklagten Sohne; denn da es bei dieſem heißt: postulet
auxilium, ſo bildet dagegen das non adjuvatur allerdings
einen Gegenſatz, welcher als Ausnahme der Regel: postulet
auxilium wohl gedacht werden könnte.
Durch dieſe Betrachtung ſind ohne Zweifel alle bisherige
Erklärer unſrer Stelle bewogen worden, ſich zu zwei ſehr
bedenklichen Maaßregeln zu entſchließen. Erſtlich haben ſie
ſich hinweg geſetzt über die oben entwickelten allgemeinen
Rechtsgrundſätze, womit das Ergebniß dieſer Erklärung
geradezu in Widerſpruch tritt, und ſie haben ſich über
dieſen Widerſpruch durch die bereits angeführten, etwas
abentheuerlichen Erwägungen beruhigt. Zweitens aber
haben ſie die Ausnahme nicht an die unmittelbar vorher-
gehenden Worte angeſchloſſen, ſondern, mit Ueberſpringung
dieſer Worte, an den früheren, vom Sohne handelnden
Satz; dieſes letzte Verfahren iſt ſehr gezwungen, faſt ge-
|0305 : 283|
Zur Reſtitution der Minderjährigen.
waltſam zu nennen. — Wenn es nun gelingen wollte, eine
andere Erklärung zu finden, durch welche dieſe beiden
großen Uebelſtände vermieden werden könnten, ſo dürfte
dieſe Erklärung gewiß vorzuziehen ſeyn. Eine ſolche aber
will ich jetzt verſuchen.
Ich gehe dabei von dem feſten Punkte aus, daß Ul-
pian ganz beſtimmt ſagt, das Gelddarlehen ſey hier allein
ausgenommen, werde alſo von allen anderen Rechtsge-
ſchäften, die etwa der Sohn geſchloſſen haben könnte, ver-
ſchieden behandelt. Wenn man nun nach einem Grunde
fragt, der dieſe ganz eigenthümliche Behandlung des Geld-
darlehens rechtfertigen möchte, ſo iſt kaum ein anderer
denkbar, als die exceptio Sc. Macedoniani, welche bekannt-
lich ſowohl von dem Vater, als von dem Sohne ſelbſt,
gegen jede aus dem Gelddarlehen anzuſtellende Klage
gebraucht werden kann (k), und welche gerade allein auf
das Gelddarlehen, im Gegenſatz aller anderen Rechtsge-
ſchäfte (ſelbſt des Darlehens an anderen Sachen als Geld)
Anwendung findet. Nimmt man aber Dieſes an, ſo muß
der Sinn der Ausnahme nothwendig ein bejahender (ein
adjuvatur), nicht ein verneinender (ein non adjuvatur) ſeyn.
Sehen wir zu, wie dieſes, nunmehr als nothwendig
anzuerkennende, Ziel der Erklärung erreicht werden kann.
Es geſchieht am einfachſten durch eine Emendation, die
(k) L. 7 § 10, L. 9 § 3 de Sc. Mac. (14. 6), L. 6 pr. C. eod.
(4. 28).
|0306 : 284|
Beilage XVIII.
jedoch nur in der Verſetzung des non an eine andere Stelle
zu beſtehen braucht, alſo gewiß beſcheiden iſt. Der ganze
Satz würde nun ſo lauten:
si patrem conveniat creditor, auxilium cessat, excepta
mutui datione; in hac enim, si filius non jussu patris
mutuam pecuniam accepit, adjuvatur(l).
Für Diejenigen aber, welche etwa ſelbſt vor einer ſo mäßigen
Emendation, als zu gewaltthätig, zurück ſchrecken möchten,
läßt ſich daſſelbe Ziel auch auf dem Wege bloßer Erklärung
erreichen. Man muß nämlich dann zu den Worten: si filius
jussu patris .. accepit ein nur oder nur dann (ein non
nisi) hinzu denken, ſo daß der Satz folgenden Sinn giebt:
denn bei dieſem (dem Gelddarlehen) wird dem Vater
nur dann die ſchützende Einrede (aus dem Senatus-
conſult) verſagt (non adjuvatur), wenn das Darlehen
auf ſeinen Befehl aufgenommen war (m); außer dieſem
Fall des Befehls alſo hat er die Einrede, worin denn
eben die Ausnahme von der Regel: auxilium cessat beſteht.
Beide Wege (die Emendation und die zuletzt verſuchte
Erklärung) führen zu demſelben Ziel, nämlich zu folgenden
(l) nämlich pater adjuvatur,
da ja pater das noch fortwirken-
de Subject des Hauptſatzes iſt,
welcher mit den Worten si patrem
conveniat anfängt. Natürlich
muß man nun die Regel und die
Ausnahme nicht von der Reſtitu-
tion allein verſtehen, ſondern von
jeder den Beklagten ſchützenden
Rechtshülfe überhaupt. In der
Regel alſo wird dem Vater gar
nicht geholfen, im Fall des Geld-
darlehens wird ihm geholfen;
freilich nicht durch Reſtitution,
ſondern durch die exc. Sc. Mace-
doniani.
(m) Eine ähnliche Erklärung
durch ein hinzugedachtes nur iſt
nöthig bei der L. 57 mand.
(17. 1) ſ. o. § 329 Note n.
|0307 : 285|
Zur Reſtitution der Minderjährigen.
einfachen Sätzen: dem Vater, der aus dem Geſchäft des
Sohnes verklagt wird, iſt überhaupt nicht zu helfen, außer
wenn von einem Gelddarlehen des Sohnes die Rede iſt;
denn gegen die Klage aus dieſem hat der Vater die Ein-
rede aus dem Senatusconſult, vorausgeſetzt, daß das Dar-
lehen nicht auf ſeinen Befehl aufgenommen worden iſt.
Man kann dieſe Sätze, nur mit einer etwas anderen
Wendung, auch ſo ausdrücken: Im Fall eines Geld-
darlehens hat der Vater gegen die actio de peculio die
exc. Sc. Macedoniani, gegen die actio quod jussu hat er
dieſe Einrede nicht. Eine Reſtitution kann er in keinem
Fall verlangen.
Daß nun Ulpian in der That gerade Das ſagen wollte,
welches ihm durch dieſe Erklärung in den Mund gelegt wird,
ergiebt ſich aus den nachher folgenden Worten, worin er den
eben aufgeſtellten Fall noch von einer anderen Seite in
weiterer Betrachtung verfolgt. Der Fall war der eines
vom Vater nicht befohlenen Gelddarlehens; gegen die
Klage aus dieſem ſollte der Vater die exc. Sc. Macedo-
niani haben; Das ſagt der bisher erklärte Theil der Stelle.
Was geſchieht aber in dieſem Falle mit dem Sohne? davon
ſprechen die hier folgende Worte:
Proinde si(n)sine jussu patris(o)contraxit et
(n) Ich laſſe das et vor si
weg (Note i), weil nicht eine fort-
gehende Anwendung des vorher
ausgeſprochenen Satzes folgt, ſon-
dern etwas Neues.
(o) Dieſe Worte find die ſicht-
bare Wiederholung der vorherge-
henden Worte: si non jussu pa-
tris mutuam pecuniam accepit
nach der von mir vorgeſchlagenen
Emendation, und ſprechen daher
ſehr für dieſe Emendation.
|0308 : 286|
Beilage XVIII.
captus est, siquidem pater de peculio conveniatur,
filius non erit restituendus; si filius conveniatur,
poterit restitui.
Beide hier aufgeſtellte Sätze ſind nicht ganz ohne Be-
denken. Der Sohn ſoll, wenn der Vater verklagt wird,
nicht reſtituirt werden können. Das erklärt ſich zunächſt
daraus, daß der Sohn nicht in Anſpruch genommen iſt.
Aber wie, wenn der Vater die Exception nicht gebrauchen
will, oder wenn er ſie nach den beſonderen Umſtänden des
Falles nicht gebrauchen kann (p)? Nun wird der Vater
zahlen, das Geld aus dem Peculium nehmen, und ſo ver-
liert der Sohn dennoch dieſes Geld. Auf dieſen Einwurf
antwortet Ulpian, das Intereſſe des Sohnes an dem
Peculium als ſolchem ſey ein blos factiſches, kein juriſtiſches,
der Vater habe daran das Eigenthum und könne es alſo
auch ganz willkürlich wegnehmen (q).
Auch der zweite Satz hat ſein Bedenken. Der aus
dem Darlehen verklagte Sohn ſoll Reſtitution erhalten;
aber auch er hat ja die Einrede aus dem Senatusconſult,
und da dieſe ſchon mero jure gilt, ſo ſcheint die Reſtitution
überflüſſig und unzuläſſig (§. 321 Note r). Darauf iſt zu
antworten, daß jene Einrede vielleicht ausgeſchloſſen iſt
durch den Irrthum des Gläubigers über das Daſeyn der
(p) Wenn etwa der Gläubiger
nicht wußte, daß der Schuldner
in väterlicher Gewalt ſtand. L. 3
pr. L. 19 de Sc. Maced. (14. 6).
(q) „Nec eo movemur, quasi
intersit filii peculium habere;
magis enim patris, quam filii
interest.“
|0309 : 287|
Zur Reſtitution der Minderjährigen.
väterlichen Gewalt (Note p), oder daß dieſer Umſtand
wenigſtens vom Gegner behauptet werden und den Ausgang
des Rechtsſtreits ungewiß machen kann (§. 318 Note d).
Aus ſolchen Gründen kann wohl die Reſtitution Vortheil
gewähren, ja vielleicht ganz unentbehrlich ſeyn, wenn dem
Sohne geholfen werden ſoll. Denn die Minderjährigkeit giebt
ſtets einen Schutz, der ſolchen Einwendungen nicht ausgeſetzt
iſt, und gerade die ſichere Verhütung einer ſolchen Gefahr
eignet ſich entſchieden zur Ertheilung einer Reſtitution (S. 121).
Die zweite Stelle, woraus bewieſen werden ſoll, daß
der Minderjährige keine Reſtitution erhalte gegen ein Geld-
darlehen, wenn ſein Vater dazu Befehl gegeben habe, iſt
ein Reſcript von Gordian.
L. 1 (al. 2) C. de fil. fam. minore (2. 23).
„Si frater tuus, cum mutuam pecuniam acciperet, in
patris fuit potestate, nec jussu ejus, nec contra
Senatusconsultum contractum est, propter lubricum
aetatis adversus eam cautionem in integrum restitu-
tionem potuit postulare“.
Die Belehrung des Kaiſers geht dahin, daß der minder-
jährige Schuldner gegen das Gelddarlehen unter zwei
Vorausſetzungen Reſtitution erhalten könne:
1. Wenn das Darlehen nicht auf Befehl des Vaters auf-
genommen ſey,
2. wenn daſſelbe nicht unter das Verbot des Senatus-
conſults falle.
|0310 : 288|
Beilage XVIII.
Ich betrachte die zweite Vorausſetzung zuerſt, die mit
der ſo eben angeſtellten Unterſuchung zuſammentrifft. Iſt
nach der übereinſtimmenden Erklärung der Parteien ſchon
das Senatusconſult anwendbar, ſo bedarf es der Reſtitution
nicht, und ſie wird daher nicht gegeben. Iſt es entſchieden
nicht anwendbar (weil der Gläubiger die väterliche Gewalt
ſicher nicht kannte), oder iſt dieſer Umſtand wenigſtens
zweifelhaft und beſtritten, dann kann die Reſtitution ein-
treten.
Die erſte Vorausſetzung ſcheint folgenden Sinn zu
haben. Wenn der Vater keinen Befehl zum Darlehen ge-
geben hat, ſo bekommt der Sohn Reſtitution (das ſagt
die Stelle ausdrücklich); wenn er Befehl gegeben hat, ſo
bekommt der Sohn keine Reſtitution (das ſcheint indirect
angedeutet).
Dieſe indirecte Andeutung ſcheint alſo eine Beſtätigung
der Ausnahme zu enthalten, worauf ſich die gegenwärtige
Unterſuchung bezieht, alſo eine Beſtätigung der oben erklärten
Stelle des Ulpian nach der gewöhnlichen Auffaſſung der-
ſelben. Unſtreitig war es die ſcheinbare Uebereinſtimmung
dieſer beiden von einander unabhängigen Stellen, welche
der gewöhnlichen Behauptung einer Ausnahme für den Fall
eines vom Vater befohlenen Gelddarlehens ſolche Kraft
verlieh, daß dagegen auch nicht einmal ein Zweifel verſucht
wurde.
Die eben erklärte, in jener erſten Vorausſetzung liegende
indirecte Andeutung iſt nun das gewöhnlich ſogenannte
|0311 : 289|
Zur Reſtitution der Minderjährigen.
argumentum a contrario. Daſſelbe beſteht darin, daß aus
einer bedingungsweiſe aufgeſtellten Regel geſchloſſen werden
ſoll, das Gegentheil dieſer Regel müſſe gelten, ſobald der
logiſche Gegenſatz (die reine Verneinung) der aufgeſtellten
Bedingung vorhanden ſey. Dieſe Auslegungsweiſe, die am
rechten Orte angewendet ihre relative Wahrheit hat, iſt
nirgend bedenklicher, als bei den Reſcripten im Codex. Denn
hier hat die bedingte Faſſung eines Ausſpruchs ſehr oft gar
nicht den Sinn, daß der Ausſpruch eben nur unter der
beigefügten Bedingung wahr ſeyn ſoll, ſondern vielmehr nur
den Sinn einer kurzen Wiederholung der in der Anfrage
an den Kaiſer enthaltenen Thatſachen (s). In der hier
vorliegenden Stelle alſo ſind die zwei ſcheinbaren Be-
dingungen der für zuläſſig erklärten Reſtitution etwa ſo zu
verſtehen:
Wenn es wahr iſt, wie Du anführſt, daß der Vater
zu dem aufgenommenen Gelddarlehen keinen Befehl
gegeben hat, und daß auch nicht eine Verletzung des
Senatusconſults jede Reſtitution überflüſſig macht, ſo
iſt die Reſtitution wohlbegründet.
Die Erwähnung des nicht vorhandenen väterlichen Be-
fehls in der Anfrage, ſo wie in der Wiederholung durch das
Reſcript, hat nun nicht den Sinn, daß die Reſtitution
ſchlechthin ausgeſchloſſen wäre im Fall eines väterlichen
Befehls (wie man die Stelle gewöhnlich auslegt), ſondern
(s) Vgl. oben B. 1 § 41 am Ende des §.
VII. 19
|0312 : 290|
Beilage XVIII.
vielmehr, daß, wenn ein ſolcher Befehl nicht vorhanden iſt,
die Reſtitution um ſo ſicherer zuläſſig ſeyn wird, weil das
Daſeyn eines ſolchen Befehls gewiß in den meiſten Fällen
ein Kennzeichen ſeyn wird, daß eine Läſion nicht vor-
handen, alſo auch eine Reſtitution nicht begründet iſt.
Was hier über die Auslegung der Reſcripte im Codex
geſagt iſt, hängt alſo damit zuſammen, daß ſolche Reſcripte
nicht dazu beſtimmt waren, allgemeine, ſcharf begränzte
Grundſätze aufzuſtellen (wie es bei den theoretiſchen Schriften
der alten Juriſten, ſo wie bei den eigentlichen Geſetzen im
Codex, der Fall iſt), ſondern vielmehr Belehrung zu geben
über die concrete Natur einzelner zur Beurtheilung vorge-
legter Rechtsfälle.
So iſt alſo auch dieſes Reſcript des Gordian nicht
dazu geeignet, die angebliche Ausnahme für den Fall des
Gelddarlehens zu rechtfertigen.
Ich faſſe die vorſtehende Ausführung in folgender kurzen
Ueberſicht zuſammen. Minderjährige erhalten Reſtitution
gegen ihre Rechtsgeſchäfte auch wenn ſie in väterlicher Ge-
walt ſtehen, und ſelbſt wenn der Vater in das Geſchäft
eingewilligt oder dazu Befehl gegeben hat. Dieſe Regel
wird auch von keiner Seite bezweifelt.
Es wird aber ſehr allgemein eine Ausnahme von dieſer
Regel für den Fall behauptet, wenn das Geſchäft in der
Aufnahme eines Geld-Darlehens beſteht. Für dieſen Fall
|0313 : 291|
Zur Reſtitution der Minderjährigen.
ſoll durch den väterlichen Befehl die Reſtitution des
Sohnes gänzlich ausgeſchloſſen ſeyn.
Dieſe Ausnahme läßt ſich jedoch nach allgemeinen
Rechtsgrundſätzen durchaus nicht rechtfertigen.
Sie ſoll begründet werden durch eine Stelle des Ulpian,
und durch ein Reſcript des K. Gordian. Die richtige
Auslegung beider Stellen beſtätigt aber dieſe Behauptung
nicht.
Demnach iſt die Behauptung jener Ausnahme durchaus
zu verwerfen.
19*
|0314 : [292]|
Beilage XIX.
L. 57 Mandati (17. 1).
(Zu §. 329 Note n).
In der Stelle, die hier erklärt werden ſoll, iſt faſt Alles
Gegenſtand von Zweifeln und Streitigkeiten geworden: der
Text, die Bildung des Rechtsfalles der entſchieden werden
ſoll, die Perſonen von welchen die Rede iſt, die Ent-
ſcheidung ſelbſt.
Der Fall ſtellt ſich dem erſten, unbefangenen Blick in
folgender Weiſe dar. Ein Sklavenhändler (venaliciarius)
reiſt in eine Provinz, ohne Zweifel, um neue Sklaven einzu-
kaufen. Die in Rom vorräthigen Sklaven zu verkaufen, giebt
er Auftrag an einen Mann, der ihm als zuverläſſig perſönlich
bekannt iſt (certi hominis fidem elegit). Bald nach ſeiner
Abreiſe ſtirbt dieſer Mann, und deſſen Erben, unbekannt
mit den Regeln des Mandats, bilden ſich ein, der Auftrag
ſey auf ſie übergegangen; ſie verkaufen die Sklaven, und
zwar (wie der Erfolg zeigt) unter nachtheiligen Bedin-
gungen. Die Käufer beſitzen die Sklaven über ein Jahr.
Der Sklavenhändler, von der Reiſe zurückkehrend, und
unzufrieden mit dem Verkauf, will gegen die Käufer mit
|0315 : 293|
Beilage XIX. L. 57 mandati (17. 1).
der Publiciana klagen, fürchtet aber die exceptio dominii
wegen der Uſucapion der Käufer, und es wird bei Papi-
nian angefragt, wer wohl Ausſicht auf Erfolg habe, der
Kläger oder die Beklagten? Das Reſponſum auf dieſe Frage
nahm der Juriſt in ſeine Sammlung auf, und daraus iſt
daſſelbe in die Digeſten übergegangen.
Aber gerade in der Antwort auf die vorgelegte Frage
iſt der Sitz der Schwierigkeit, denn eben hier finden ſich
zwei Leſearten von ganz entgegengeſetztem Sinn. Die
erſte lautet ſo:
Sed venaliciarium ex provincia reversum Publiciana
actione non utiliter acturum.
Dieſes iſt die Leſeart der Florentina und der Vulgata.
Haloander lieſt: inutiliter, welches ganz denſelben Sinn
giebt, und wobei es dahin geſtellt bleiben mag, ob er es
in einer Handſchrift vorfand, oder nur des beſſeren Klanges
wegen aufnahm. Nach dieſer erſten Leſeart ſollen die Be-
klagten Recht behalten. Die zweite Leſeart iſt folgende:
Sed venaliciarium .... Publiciana actione non
inutiliter acturum.
Dieſe findet ſich in der Ausgabe des Vintimillius:
Paris. 1548. 8, aus einer Handſchrift des Ranconnetus.
Ferner in der Ausgabe des Charondas, Antverp. 1575
fol., aus einer Handſchrift des Herausgebers. Ferner ſagt
Auguſtinus (a): „et sunt qui scribant, non inutiliter
(a) Augustini emend. Lib. 1 C. 3.
|0316 : 294|
Beilage XIX.
acturum.“ Woher er Dieſes hat, ſagt er nicht; das angeführte
Buch iſt zuerſt 1543 gedruckt, alſo älter, als die angeführten
Ausgaben, worin handſchriftliche Texte angegeben werden.
Auch die Baſiliken beſtätigen dieſe Leſeart (b). Cujacius
ſchlägt als Conjectur vor: utiliter, welches dem Sinn nach
nicht verſchieden iſt von non inutiliter, dem Ausdruck nach
ſchlechter, wie ſich weiter unten zeigen wird. Nach dieſer
zweiten Leſeart ſoll der Kläger Recht behalten.
Alſo an handſchriftlicher Beglaubigung fehlt es für
beide Leſearten nicht, und wir haben zunächſt nach dem
inneren Zuſammenhang der Stelle zu prüfen, welche den
Vorzug verdiene.
Sieht man die Stelle obenhin an, ſo ſpricht ein ober-
flächlicher Schein für die erſte Leſeart. Denn es heißt in
den unmittelbar folgenden Worten: cum exceptio justi
dominii .. detur. Alſo: datur exceptio, die Exception
wird vom Prätor gegeben, ſie iſt alſo wirklich begründet,
alſo muß der Kläger abgewieſen werden.
Allein bei genauerer Betrachtung ergeben ſich ſogleich
folgende ganz entſcheidende Gründe gegen dieſe Erklärung.
Zuerſt die adverſative Partikel Sed im Anfang des
Satzes. Dann wenn die Beklagten durch die Exception
gewinnen, ſo iſt Dieſes eine unmittelbare Folge der vorher
erwähnten Uſucapion, kann alſo unmöglich als Gegenſatz
ansgedrückt werden, wie es doch in dem Sed augenſcheinlich
(b) Basil. ed. Fabrot. T. 2 p. 161 “καλῶς.“
|0317 : 295|
L. 57 mandati (17. 1).
geſchieht. Allerdings lieſt nun Haloander Et anſtatt Sed,
und dadurch verſchwindet dieſer Einwurf. Allein ſeine
Leſeart ſteht ſo vereinzelt, daß wir wohl unbedenklich an-
nehmen können, ſie ſey nicht aus einer Handſchrift ge-
nommen, ſondern eben nur erfunden, um dieſem Einwurf
zu begegnen.
Ferner ſpricht dagegen der in dem letzten Satz (neque
oporteat etc.) enthaltene, von der bloßen Billigkeit herge-
nommene Grund. Wenn die Beklagten gewinnen ſollen
durch die Berufung auf das ſtrenge Recht, das justum
dominium, ſo wäre es ja ſehr unlogiſch, deſſen Schutz durch
die an ſich ſchwächere Stütze der Billigkeit befeſtigen zu
wollen.
Dann ſpricht dagegen das causa cognita, welches nun
vollkommen müßig daſteht, wie es ſich am deutlichſten aus
der richtigen Erklärung dieſer ſehr bedeutſamen Worte er-
geben wird.
Endlich aber, und welches die Hauptſache iſt, muß man
bei dieſer Erklärung völlig vergeſſen, daß von ſehr alter
Zeit her der Prätor eine Reſtitution angekündigt hatte zum
Beſten der Abweſenden, und zwar gerade, um ihnen zu
helfen, wenn ſie in Folge ihrer Abweſenheit Eigenthum
durch Uſucapion verlieren ſollten. An dieſe Reſtitution
müßte Papinian gar nicht gedacht haben, ſonſt hätte er
auf entgegengeſetzte Weiſe entſchieden, oder doch mindeſtens
nöthig gefunden zu erklären, warum ſie im vorliegenden
Fall nicht angewendet werden ſollte.
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Beilage XIX.
Das Gewicht dieſer Gründe iſt denn auch ſchon vor
vielen Jahrhunderten anerkannt worden. Um dieſen Ein-
wendungen zu entgehen, und dennoch die Leſeart non
utiliter aufrecht zu halten, da man lange Zeit hindurch
keine andere kannte, iſt der Verſuch ſchon in der Gloſſe
gemacht, und von anderen Schriftſtellern in ganz ver-
ſchiedenen Zeiten aufgenommen und vertheidigt worden (c),
den Rechtsfall ſelbſt, auf welchen ſich Frage und Antwort
in der Stelle beziehen ſollen, in einer ganz anderen, und
zwar ſehr künſtlichen und verwickelten Weiſe auszubilden.
Ein Eigenthümer von Sklaven giebt Auftrag, dieſe zu
verkaufen, der Beauftragte ſtirbt, und die Erben deſſelben
verkaufen die Sklaven, nicht in unredlicher Abſicht, ſondern
weil ſie irrigerweiſe glauben, der Auftrag ſey auf ſie über-
gegangen. — Soweit iſt es faſt derſelbe Fall, wie der
oben dargeſtellte.
Nun aber ſollen ſich die Schickſale der Käufer getrennt
haben. Die meiſten derſelben haben (nach dieſer Erklärung) die
ihnen durch den Kauf zugefallenen Sklaven Ein Jahr lang be-
ſeſſen und dadurch uſucapirt. Dadurch bekommen ſie volles,
unanfechtbares Eigenthum, das ſie behaupten können, ſie mögen
nun im Beſitze bleiben oder nicht. Der vorige Eigenthümer
hat es ſich ſelbſt zuzuſchreiben, daß er nicht aufmerkſamer
war, und nicht gegen ſie geklagt hat vor Vollendung der
(c) Vgl. J. Gothofredus im Thesaurus des Otto T. 3 p. 293,
und Püttmann probabilia p. 1.
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L. 57 mandati (17. 1).
Uſucapion. Auf eine Reſtitution hat er keinen Anſpruch,
denn er war gar nicht abweſend geweſen. Von dieſen
meiſten Käufern iſt nun nicht weiter die Rede; ihre Sache
iſt abgethan mit den Worten: eos ab emtoribus (d. h. von
dem größten Theil der Käufer) usucaptos videri placuit.
Nur Einer dieſer Käufer, ein Sklavenhändler, hatte ein
beſonderes Schickſal, abweichend von dem ſeiner Mitkäufer.
Er war vor dem Ablauf ſeiner Uſucapionszeit nach einer
Provinz gereiſt, und in ſeiner Abweſenheit war der auf
ihn gefallene Theil der erkauften Sklaven wieder in den
Beſitz des alten Eigenthümers zurückgekehrt, der alſo dadurch
die Uſucapion unterbrochen hatte. Der Sklavenhändler
wollte nach der Rückkehr gegen den alten Eigenthümer mit
der Publiciana klagen, und darüber wurde Papinian be-
fragt. Er antwortete, der Kläger müſſe abgewieſen werden,
weil der Beklagte noch wahrer Eigenthümer ſey, alſo die
exceptio dominii für ſich geltend machen könne.
In dieſer Erklärung wird nun eine umſtändliche Ge-
ſchichte erdichtet, ohne daß die Stelle auch nur die ent-
fernteſte Hindeutung darauf enthielte. Alle Ausdrücke der
Stelle deuten vielmehr gerade auf das Gegentheil der hier
vorausgeſetzten Thatſachen. Denn unter den emtores wird
doch gewiß jeder unbefangene Leſer alle Käufer verſtehen,
nicht blos die meiſten; und unter dem den Käufern (durch
Sed) entgegengeſetzten venaliciarius eher alles Andere, als
einen Collegen eben dieſer Käufer. — Ferner bleiben die
wichtigſten Bedenken beſtehen, welche oben gegen eine
|0320 : 298|
Beilage XIX.
andere Erklärung erhoben worden ſind: daß die Worte causa
cognita völlig müßig ſind, und daß eine auf das ſtrenge
Recht (das justum dominium) gegründete Entſcheidung
unmöglich durch einen Grund der Billigkeit unterſtützt werden
konnte, der keinen Halt hatte, wenn der alte Eigenthümer
nicht auch verreiſt war, und der unter dieſer Vorausſetzung
gerade auf das Verhältniß der übrigen Käufer anwend-
bar geweſen wäre, und dabei eine ganz entgegengeſetzte
Entſcheidung hätte herbeiführen müſſen. — Endlich aber
ſind die Reſultate, die der Stelle nach dieſer Erklärung
zugeſchrieben werden müſſen, ſo trivial, ſie verſtehen ſich
ſo von ſelbſt, daß man kaum begreift, wie über einen ſo
beſchaffenen Rechtsfall ein Reſponſum von Papinian
hätte begehrt, ſpäter in deſſen Sammlung aufgenommen,
und zuletzt ſogar in die Digeſten geſetzt werden ſollen.
Die völlige Unhaltbarkeit der beiden bisher dargeſtellten
Erklärungen führt faſt nothwendig auf die Annahme der
zweiten Leſeart (non inutiliter), der es an handſchriftlicher
Beglaubigung nicht fehlt, und es kommt nur darauf an,
unter Vorausſetzung dieſes Textes eine mit dem inneren
Zuſammenhang der Stelle, ſo wie mit allgemeineren Rechts-
regeln, übereinſtimmende Erklärung zu verſuchen.
Das eigentliche Hinderniß einer richtigen Auffaſſung
liegt an einem Orte, wo man es auf den erſten Blick kaum
erwarten ſollte, in den Worten: cum exceptio justi domi-
nii … detur, welche einen Doppelſinn mit ſich führen,
indem ſie ſowohl auf concrete, als auf abſtracte Weiſe ge-
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L. 57 mandati (17. 1).
deutet werden können. Sie können nämlich erſtens ſagen,
in dem vorliegenden Fall werde die Exception gegeben, ſey
ſie begründet, der Kläger müſſe daher abgewieſen werden:
dann ſind dieſe Worte der Grund der Entſcheidung, und
ſetzen die Leſeart non utiliter nothwendig voraus. Sie
können aber auch zweitens (und das iſt das Richtige) eine
allgemeine Betrachtung enthalten über die Behandlung jener
Exception überhaupt: dann ſind ſie nicht Grund der Ent-
ſcheidung, ſondern Widerlegung eines Einwurfs, und ſetzen
die Leſeart non inutiliter voraus. Der Sinn dieſes Haupt-
theils der Stelle läßt ſich hiernach in folgender Umſchreibung
darſtellen:
Zwar haben die Käufer in der That die Sklaven
uſucapirt. Dennoch (Sed) wird der alte Eigenthümer
(der venaliciarius) die Sklaven nicht ohne Erfolg (non
inutiliter) mit der Publiciana einklagen. Man könnte
zwar glauben, daß ihm die exceptio justi dominii der
Käufer, eben wegen ihrer Uſucapion, im Wege ſtände;
allein man muß erwägen, daß dieſe Exception im Allge-
meinen nicht jedem Eigenthümer unbedingt, ſondern
nur causa cognita (d) ertheilt wird. Im vorliegenden
Fall aber führt die causae cognitio darauf, den Be-
(d) Es muß alſo zu den Worten
causa cognita ein nonnisi hin-
zugedacht werden, wodurch allein
ſie gegen den Vorwurf eines völlig
müſſigen Daſeyns geſchützt werden
können. Eine ähnliche Erklärung
iſt oben bei einer andern Stelle
verſucht worden, Beilage XVIII.
Note m.
|0322 : 300|
Beilage XIX.
klagten die Exception abzuſchlagen aus einer Rückſicht
der Billigkeit (neque oporteat etc.).
Die Gründe, die oben als Einwendungen gegen die
vorhergehenden Erklärungen aufgeſtellt wurden, verwandeln
ſich jetzt in Beſtätigungen der hier verſuchten. Der durch
sed ausgedrückte Gegenſatz iſt wirklich vorhanden, die
Worte causa cognita ſind nicht müßig, ſondern ganz unent-
behrlich, und der am Schluß aufgeſtellte Grund der Billig-
keit iſt in der That entſcheidend für die ganze Sache. Der
innere Zuſammenhang der Stelle iſt völlig befriedigend,
und Alles ſteht in Einklang mit ſonſt bekannten Rechts-
regeln. Endlich beſtätigt ſich die Wahl der Leſeart, worauf
dieſe Erklärung beruht, auch dadurch als richtig, daß ſich
aus ihr die Entſtehung der anderen, nun als irrig anzu-
ſehenden Leſeart, ungezwungen und befriedigend erklärt (e).
In irgend einer ſehr frühen Zeit ließ ſich nämlich ein Ab-
ſchreiber durch den in den Worten: cum exceptio .. detur
liegenden falſchen Schein täuſchen, und verwandelte das
vorgefundene richtige inutiliter in das irrige utiliter, welches
dann in die meiſten Handſchriften übergegangen iſt.
Es bleibt nun noch übrig, die einzelnen Sätze beſonders
zu erklären, wobei in Erinnerung gebracht werden muß,
daß uns in dieſer ganzen Stelle Papinian ein von ihm
früher ertheiltes Reſponſum, mit deſſen Gründen, in kurzem
Auszuge mittheilen will.
(e) Ueber dieſe Probe der Richtigkeit eines aus mehreren auszu-
wählenden Textes vgl. B. 1 S. 250. 251.
|0323 : 301|
L. 57 mandati (17. 1).
Mandatum distrahendorum servorum, defuncto qui
mandatum suscepit, intercidisse constitit.
„Das mußte vor Allem als keinem Zweifel unterworfen
anerkannt werden (constitit), daß der Auftrag mit dem
Tode des Bevollmächtigten erloſchen war, ſo daß die Erben
durch den Verkauf, den ſie irrigerweiſe vornahmen, den
Käufern keine Rechte unmittelbar übertragen konnten.“
Quoniam tamen heredes ejus errore lapsi, non animo
furandi, sed exequendi quod defunctus suae curae
fecerat, servos vendiderant, eos ab emtoribus usu-
captos videri placuit.
„Es kann daher nur noch die Frage ſeyn, ob etwa die
Käufer (die Ein Jahr lang beſaßen) durch Uſucapion
Eigenthum der Sklaven erworben haben. Auch dieſes hätte
verneint werden müſſen, wenn die Erben die Sklaven ver-
kauft hätten, um das Geld für ſich zu behalten; das wäre
ein Diebſtahl geweſen, und die Sklaven hätten als res
furtivae nicht uſucapirt werden können. Da aber die Erben
nicht dieſe unredliche Abſicht hatten, ſondern die ehrliche,
nur auf Rechtsunkunde beruhende Abſicht, den Auftrag zu
vollziehen, der ihrem Erblaſſer gegeben war (f), ſo mußte
das Gutachten dahin ertheilt werden (g), daß die Käufer
allerdings uſucapirt hatten.“
(f) Dieſer ganze Satz enthält
alſo nicht, wie man nach den An-
fangsworten (quoniam tamen)
glauben könnte, den poſitiven Grund
der Uſucapion (denn dieſer liegt
in der justa causa), ſondern die
Widerlegung eines nahe liegenden
Einwurfs.
(g) „placuit,“ abſichtlich ge-
wählt, weil zuvor die Beſeitigung
|0324 : 302|
Beilage XIX.
Sed venaliciarium ex provincia reversum(h)Publi-
ciana actione non inutiliter acturum, cum exceptio
justi dominii causa cognita detur,
(Dieſer Haupttheil der Stelle iſt ſchon oben umſchreibend
erklärt worden.)
neque oporteat eum, qui certi hominis fidem elegit,
ob errorem aut imperitiam heredum affiei damno.
„Im vorliegenden Fall aber führt die causae cognitio dahin,
daß der Kläger wegen ſeiner Abweſenheit Reſtitution gegen
die Uſucapion der Beklagten erhalten muß, wodurch die
Exception entkräftet wird, alſo abgeſchlagen werden muß.
Der einzige Grund gegen eine ſolche Reſtitution hätte etwa
darin geſetzt werden können, daß der Kläger durch Nach-
läſſigkeit ſeinen Verluſt ſelbſt verſchuldet hätte, folglich keine
Reſtitution verdiene (i); dieſer Grund aber fällt hier gewiß
eines Zweifels nöthig gefunden
war, im Gegenſatz des vorherge-
henden constitit bei einem Satze,
der zu gar keinem Zweifel Anlaß
gegeben hatte. In vielen anderen
Stellen wird placuit gebraucht,
um einen Satz zu bezeichnen, der
erſt allmälig Eingang und Aner-
kennung gefunden hatte, z. B. in
Folge von Controverſen. Von
dieſem rechtshiſtoriſchen Verhältniß
iſt hier nicht die Rede.
(h) Dieſer venaliciarius wird
uns hier ganz unerwartet als ein
alter Bekannter vorgeführt. Es
iſt offenbar das Natürlichſte, ihn
für den alten Eigenthümer (den
Mandanten) anzuſehen. Denn der
Mandatar iſt todt, und die Käufer
werden ſchon durch ihren Pluralis
von dem ſingulären venaliciarius
unterſchieden, alſo bleibt nur noch
der Mandant übrig, wenn man
nicht eine beſondere Geſchichte
hinzu dichten will, ſo wie es in
der vorhergehenden Erklärung ver-
ſucht worden iſt.
(i) Vgl. L. 26 § 1 ex quib.
caus. (4. 6), und oben § 327
Noten e. m. — Durch dieſen Theil
der Stelle iſt die Reſtitution wegen
Abweſenheit auf unverkennbare
Weiſe bezeichnet, wiewohl der Aus-
druck in integrum restitutio darin
nicht vorkommt. Es wäre aber irrig,
anzunehmen daß die causae cognitio
|0325 : 303|
L. 57 mandati (17. 1).
weg, da derſelbe weder den nahen Tod ſeines Bevoll-
mächtigten, noch die Rechtsunkunde der Erben deſſelben,
vorherſehen konnte.“
Ich bin weit entfernt, mir die Erfindung dieſer Aus-
legung unſrer Stelle, die ich für ganz unzweifelhaft halte,
zuzuſchreiben; das Weſentliche derſelben iſt ſchon von
Cujacius aufgeſtellt, und dann von mehreren Schrift-
ſtellern angenommen worden (k). Dennoch habe ich dieſe
neue Darſtellung derſelben nicht für überflüſſig gehalten.
Zunächſt und gerade an dieſem Orte, wegen des Zuſammen-
hangs dieſer wichtigen und lehrreichen Stelle mit der Lehre
von der Reſtitution; dann, weil auch noch von manchen
neueren Schriftſtellern die alten Irrthümer nicht völlig auf-
gegeben ſind (Note a); endlich aber, und hauptſächlich,
weil ſich auch ſelbſt bei den beſten unter den angeführten
Schriftſtellern, an die im Ganzen richtige Auffaſſung der
Stelle doch wieder Irrthümer und Zweifel angeſetzt haben,
deren Beſeitigung erheblich genug ſeyn dürfte, um die
überhaupt nur im Fall einer Re-
ſtitution dahin führen könne, die
exceptio dominii einem Beklagten
zu verſagen; auch ſchon die doli
replicatio konnte in anderen Fällen
zu dieſem Erfolg führen. Vgl.
L. 4 § 32 de doli exc. (44. 4),
L. 2 de exc. r. vend. (21. 3).
(k) Cujacius obs. X. 6, und:
in Papiniani respons. Lib. 10
(opp. T. 4). — Zoannettus bei
Otto thes. IV. p. 659. —
Reinold opusc. p. 243. —
Cocceji jus controv. XVII. 1
am Ende des Titels.
|0326 : 304|
Beilage XIX.
gegenwärtige Abhandlung zu rechtfertigen. Dieſe falſche
Anſichten ſtehen insgeſammt in Verbindung mit der Lehre
von der Publicianiſchen Klage.
Man muß zunächſt fragen, warum hier der vorige
Eigenthümer überhaupt die Publicianiſche Klage anſtellt
nach der Angabe des Papinian, warum nicht die wahre
Eigenthumsklage, die er ja durch Reſtitution wieder erlangen
kann?
Viele werden darauf antworten, weil gerade für den
Fall einer ſolchen Reſtitution eine beſondere Klage aufge-
ſtellt iſt, genannt publiciana actio, verſchieden von der
gleichnamigen Klage des b. f. possessor, aber auf ähn-
lichen Gründen der Billigkeit beruhend. — Dieſe irrige
Meinung iſt ſchon oben (§. 329) ausführlich widerlegt
worden; es giebt nur Eine publiciana actio, die des
b. f. possessor, von welcher der zweite Titel im ſechsten
Buch der Digeſten handelt, und von dieſer muß daher auch
in unſrer Stelle die Rede ſeyn.
Eine befriedigende Antwort würde aus der einfachen
und natürlichen Vorausſetzung hervorgehen, daß wohl der
Sklavenhändler, der hier als Kläger auftreten will, die
Sklaven in der Provinz, von Peregrinen, gekauft, und zu
der Zeit, in welcher er den Beſitz durch den Verkauf der
Erben verlor, noch nicht ein volles Jahr beſeſſen hatte.
Dann hatte er noch niemals wahres Eigenthum gehabt,
und es konnte ihm auch nicht durch Reſtitution eine Eigen-
thumsklage wieder verſchafft werden. Dann hatte er über-
|0327 : 305|
L. 57 mandati (17. 1).
haupt kein anderes Recht, als die b. f. possessio, keine
andere Klage, als die Publiciana. Dieſe Vorausſetzung
hat durchaus Nichts gegen ſich.
Aber nothwendig iſt dieſe Vorausſetzung nicht. Es iſt
möglich, daß der Beſitz des Klägers durch vollendete Uſu-
capion bereits in wahres Eigenthum übergegangen war;
dadurch war ihm ſein bisheriges Recht aus der b. f.
possessio nicht verloren, und er hatte nun die Wahl, die
Publiciana anzuſtellen oder die Eigenthumsklage, ſo wie er
die eine oder die andere für ſicherer hielt. Gerade dieſe
Wahl aber wird von manchen Seiten bezweifelt. Man
beruft ſich auf die Worte des Edicts, und ſucht aus den-
ſelben, nach der Erklärung des Ulpian, zu beweiſen, daß
von der vollendeten Uſucapion an die Publiciana nicht
mehr zuläſſig geweſen ſey (l). Man darf aber dieſe Worte
nicht zu beſchränkt auffaſſen. Der Prätor wollte nur nichts
völlig Ueberflüſſiges thun, nicht über das wirkliche Bedürf-
niß hinaus gehen. Wenn alſo beide Theile über das durch
vollendete Uſucapion erworbene wahre Eigenthum einver-
ſtanden waren, und nur etwa über Exceptionen ſtritten,
ſo war allerdings die Publiciana überflüſſig, und der
Kläger, der ſie dennoch ohne Grund gebrauchen wollte,
mag dann auf die Eigenthumsklage verwieſen worden ſeyn;
(l) L. 1 pr. § 1 de publ.
„Ait Praetor: Si quis id, quod
traditur … nondum usucap-
tum petet. — Merito Praetor
ait: nondum usucaptum; nam
si usucaptum est, habet civilem
actionem, nec desiderat hono-
rariam.“
VII. 20
|0328 : 306|
Beilage XIX.
das läßt ſich aus jenen Worten folgern. Aber ſehr häufig
wird gerade die Frage beſtritten ſeyn, ob die Uſucapion in
der That vollendet, oder irgend einmal durch verlornen
Beſitz unterbrochen worden iſt. War dieſe Frage nun be-
ſtritten, oder hielt es auch nur der Kläger für möglich,
daß ſie vor dem Judex beſtritten werden könnte, ſo war ja
kein Grund denkbar, weshalb ihm der Prätor die ſichere
Publiciana hätte verweigern, und die weniger ſichere Eigen-
thumsklage aufdringen ſollen. — Alſo iſt es in unſrem
Fall auch wohl möglich, daß der Kläger die Sklaven ſchon
längere Zeit beſeſſen hatte, und es dennoch der Sicherheit
wegen vorzog, vielmehr die Publiciana, als die Eigenthums-
klage anzuſtellen.
Hieran aber knüpft ſich noch ein Irrthum des Cujacius,
der weit bedenklicher iſt, indem er mehr in das Weſen der
Sache eingreift. Er glaubt nämlich, der Anſpruch auf Re-
ſtitution wegen Abweſenheit ſey nur zuzulaſſen in dem
Fall, wie ihn unſre Stelle wörtlich vorausſetze, wenn
nämlich ein b. f. possessor vor vollendeter Uſucapion den
Beſitz verliere, und der neue Beſitzer die Uſucapion
anfange und vollende. Denn nun ſey Alles abzuthun da-
durch, daß der Kläger, deſſen publiciana actio an ſich nicht
durch des Gegners Uſucapion vernichtet wurde, gegen die
exceptio dominii des Beklagten Reſtitution ſuche, die er
auch wirklich erhalte. Wenn dagegen der Erſte ſeine Uſu-
capion vor der Abweſenheit ſchon vollendet habe, ſo ſey
ihm gegen die ſpätere Uſucapion des Andern durchaus nicht
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L. 57 mandati (17. 1).
mehr zu helfen. Denn nun ſey jenem Erſten ſein Recht
ſelbſt durch die ſpätere Uſucapion zerſtört worden, alſo auch
alle Klage überhaupt, folglich ſey gar nicht mehr die Ge-
legenheit vorhanden, eine Reſtitution anzubringen. Dieſer
Irrthum würde faſt unglaublich ſeyn, ſelbſt wenn ausdrück-
liche Erklärungen über dieſe Frage in den Rechtsquellen
nicht vorhanden wären. Denn wenn überhaupt der Prätor
eine Reſtitution wegen Abweſenheit billig und nöthig fand,
ſo iſt ſchon voraus zu erwarten, daß er ſolche Unterſchiede
der bloßen Form des Rechts, wie ſie hier berückſichtigt
werden, nicht unüberwindlich gefunden haben möge. In
der That aber iſt das Edict über die Abweſenden ſo deutlich
als möglich (§ 325). Es ſtellt an die Spitze den Fall
einer Verminderung des vorhandenen Vermögens (Si cujus
quid de bonis deminutum erit), und dahin gehört doch
gewiß vorzugsweiſe der Verluſt des Eigenthums durch Uſu-
capion; für dieſen und andere Fälle ſagt es nun: earum
rerum actionem in integrum restituam. Es ſoll alſo Dem,
der ſein Eigenthum verloren hat, dadurch geholfen werden,
daß ihm die aus dieſem Recht entſpringende, jetzt wirklich
verlorene, Klage wiederhergeſtellt wird. Anſchließend
an dieſen völlig unzweifelhaften Ausſpruch des Edicts iſt
denn auch ſchon oben nachgewieſen worden, daß dem Ab-
weſenden, der durch Uſucapion einen Verluſt erlitten hat,
in zwei verſchiedenen Formen, wie er es gut finden mag,
geholfen werden kann: Erſtlich, wenn er die Publiciana
anſtellen will, durch Reſtitution gegen die exceptio dominii
|0330 : 308|
Beilage XIX.
des Beklagten; zweitens, wenn er die Eigenthumsklage
vorzieht, durch Reſtitution dieſer, an ſich verlorenen, Klage
ſelbſt (§ 329. p). Beiden Formen liegt zum Grunde ein
und daſſelbe Mittel: die Reſciſſion des Eigenthums, welches
ein Anderer durch Uſucapion wirklich erworben hat.
Endlich iſt noch folgender Zweifel zu erwähnen. Wenn
der Sklavenhändler gegen die Käufer mit der Publiciana
klagt, ſo ſtehen einander gegenüber zweierlei Perſonen, die
gleichmäßig Anſpruch auf die aus der b. f. possessio
entſpringende Rechte haben, denn dieſe Rechte haben ja die
Käufer durch die Vollendung ihrer Uſucapion gewiß nicht
verloren, und zwar ſind dieſes Perſonen, die ihre b. f. pos-
sessio nicht von einem und demſelben Rechtsvorgänger
ableiten. Gerade für dieſen Fall aber ſtellt Ulpian die
Regel auf, daß der Beſitzer vorgehen, der Kläger alſo
abgewieſen werden ſolle (m). Nach dieſer Regel alſo
müßten die Beklagten gewinnen, nicht der Kläger, wie es
doch in unſrer Stelle Papinian annimmt. — Allein die
eben erwähnte Regel des Ulpian ſoll offenbar nur gelten
als eine letzte Aushülfe, wo übrigens alle Verhältniſſe
beider Theile völlig gleich ſtehen, ſo daß der Richter ohne
(m) L. 9 § 4 de public. (6. 2).
Scheinbar widerſpricht dieſer Stelle
die L. 31 §. 2 de act. emti
(19. 1). Allein beide laſſen ſich
vereinigen, wenn man annimmt,
in dieſer letzten Stelle werde ein
Fall vorausgeſetzt, in welchem der
Beſitz bei keinem von beiden Theilen
ſich befindet, ſondern bei einem
Dritten, gegen welchen jene Beide
gleichzeitig als Kläger auftreten
wollen.
|0331 : 309|
L. 57 mandati (17. 1).
jene Regel um eine Enſcheidung verlegen ſeyn würde.
Davon aber kann gewiß nicht die Rede ſeyn in unſrem
Fall, in welchem der Abweſende einen eigenthümlichen An-
ſpruch der Billigkeit für ſich hat, ſtark genug, um ſelbſt
das ſtrenge Eigenthum des Gegners zu überwinden; alſo
gewiß um ſo mehr ausreichend, um die außerdem vorhan-
dene Gleichheit beider Theile durch ein auf die Seite des
Klägers gelegtes Uebergewicht aufzuheben.
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Gedruckt in der Deckerſchen Geheimen Ober-Hofbuchdruckerei.
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