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|0002|

|0003|

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|0006|

|0007 : [I]|

Syſtem

des

heutigen Römiſchen Rechts

von

Friedrich Carl von Savigny.

Siebenter Band.

Mit. K. Bairiſchen und K. Würtembergiſchen Privilegien.

 Berlin. Bei Veit und Comp.

1848.

 

|0008 : [II]|

|0009 : [III]|

Vorrede.

Viele mögen glauben, daß es einer beſonderen

Rechtfertigung bedürfe, wenn in der gegenwärtigen

Zeit ein Werk über das Römiſche Recht unter-

nommen, oder auch nur fortgeſetzt werde. Schon

lange vor dem Sturm, der über Europa einher gezogen

iſt, war in Deutſchland jenes Recht von manchen Seiten

her als ein fremdes, unvaterländiſches angefochten

worden, und es hatte ſich nicht ſelten dem ungün-

ſtigen Urtheil über den Gegenſtand auch eine Miß-

ſtimmung gegen die Anhänger und Bearbeiter

unvermerkt beigemiſcht, indem die Bekämpfung

deſſelben mit einer vorzugsweiſe vaterländiſchen Ge-

ſinnung, die Anhänglichkeit an daſſelbe mit einer

dem Vaterlande fremden oder gleichgültigen in

 

|0010 : IV|

Vorrede.

Verbindung gedacht wurde. Eine ſolche Auffaſſung

mußte neue Nahrung gewinnen durch die letzten

Weltbewegungen, von welchen ſelbſt wiſſenſchaftliche

Gegenſätze und Parteiungen, obgleich dem an ſich

ſtillen und friedlichen geiſtigen Gebiete angehörend,

nicht unberührt bleiben konnten.

Da nun in jenen Bewegungen unter den

treibenden Kräften die Nationalität eine der erſten

Stellen einnimmt, ſo liegt der Gedanke ſehr nahe,

von jetzt an für uns Deutſche das deutſche Recht

als allein zuläſſig, als einzigen, der wiſſenſchaftlichen

Thätigkeit würdigen Gegenſtand zu betrachten.

 

Indeſſen iſt die Frage von der Stellung des

Römiſchen Rechts zum Deutſchen Recht und zum

Deutſchen Vaterlande überhaupt, nicht von heute

und geſtern; ſie iſt älter, als der Sturm unſerer

Tage, und ſo habe auch ich ſeit länger, als einem

Menſchenalter, Gelegenheit gehabt, mich über dieſe

Frage öfter auszuſprechen (a). Ein Gleiches iſt

von Manchen meiner wiſſenſchaftlichen Freunde

 

(a) Ich verweiſe zunächſt auf

die Vorrede zum erſten Band

dieſes Werkes, aus deren ausführ-

licher Darſtellung die hier folgen-

den Gedanken einen zuſammen-

gedrängten Auszug enthalten, ſo

wie ihn das Bedürfniß des gegen-

wärtigen Augenblicks zu erfordern

ſchien.

|0011 : V|

Vorrede.

geſchehen, auch von ſolchen, die nicht mehr unter

uns ſind.

Die unbefangene Betrachtung des hier vorlie-

genden Gegenſatzes kann nicht mehr verdunkelt

werden, als durch eine ungehörige Einmiſchung der

vaterländiſchen Geſinnung in die Prüfung der ent-

gegenſtehenden Meinungen, indem man denſelben bald

Gunſt, bald Ungunſt zuzuwenden verſucht, je nachdem

die eine oder die andere Meinung als Kennzeichen

des Beſitzes oder des Mangels einer ſolchen Ge-

ſinnung dargeſtellt wird. Dieſes Verfahren alſo

muß vor Allem vermeiden, Wer in der Erforſchung

der Wahrheit durch keinen falſchen Schein ſich ſtören

zu laſſen entſchloſſen iſt. Ich will gerne in meiner

Wiſſenſchaft die tiefere Einſicht und die vielſeitigere

Auffaſſung Anderer anerkennen, durch welche ich

ſelbſt ja nur gehoben und bereichert werden kann.

Ich bin ferner bereit, es als möglich anzuerkennen,

daß die großen Schickſale unſerer Tage auch in den

Wiſſenſchaften neue Entwickelungen hervorrufen

werden, denen vielleicht die abnehmenden Kräfte

eines höheren Alters nicht mehr gewachſen ſeyn

dürften. Mögen ſich denn Forſcher von friſchen

Kräften zur Löſung dieſer Aufgabe hervorthun, und

 

|0012 : VI|

Vorrede.

mögen ſie ſowohl ſelbſt den Ernſt der Aufgabe

erkennen, als von außen, neben unbefangener Auf-

nahme, zugleich auch ſtrenge Prüfung ihrer Be-

rechtigung finden. — Aber in ernſter, aufrichtiger,

warmer Liebe zu meinem Vaterlande, in der Be-

reitſchaft, ihm jedes Opfer der Selbſtverleugnung

zu bringen, will ich Keinem nachſtehen, wer er

auch ſey.

Wenn von mir und Anderen das Römiſche Recht

auch in Deutſchland hoch geſtellt, wenn es fort-

während für einen würdigen, ja unentbehrlichen

Gegenſtand wiſſenſchaftlicher Thätigkeit erachtet

worden iſt, ſo iſt Dieſes geſchehen, nicht um das

Fremde zu erheben auf Koſten der vaterländiſchen

Ehre, nicht um die einheimiſchen Gedanken und

Sitten des Rechts zu verdrängen durch die fremden,

ſondern damit auch auf dieſem Felde Das, was

Gott anderen Zeiten und Völkern an geiſtiger Ent-

wicklung beſchieden hat, unſerm Volke nicht fremd

bleibe, daß es ihm vielmehr zur Erhöhung der

eigenen Kraft und zur Erweiterung ſeines geiſtigen

Beſitzes zubereitet und dargeboten werde.

 

Ganz beſonders aber iſt es geſchehen in der

Ueberzeugung, daß für uns Deutſche, wie für viele

 

|0013 : VII|

Vorrede.

andere Nationen, jenes urſprünglich fremde Element

ohnehin ſeit Jahrhunderten ein Beſtandtheil des

einheimiſchen Rechtslebens geworden iſt, und daß

es hier, großentheils unverſtanden oder halbver-

ſtanden, oft verderblich wirkt, anſtatt daß es, in

richtigem Verſtändniß, nur eine Bereicherung des

eigenen Rechtslebens ſchaffen kann. Wir haben

alſo gar nicht zu fragen, ob wir das Römiſche

Recht, etwa wie eine neu entdeckte Inſel, auf ſich

beruhen laſſen, oder uns aneignen wollen mit allen

Vortheilen und Schwierigkeiten, die es etwa mit ſich

führen mag. Wir haben es einmal, unſer ganzes

juriſtiſches Denken iſt ſeit Jahrhunderten damit ver-

wachſen, und die Frage iſt nur, ob durch daſſelbe

unſer Denken bewußtlos unterjocht, oder vielmehr

mit freiem Bewußtſeyn geſtärkt und bereichert

werden ſoll.

Man könnte etwa dieſe geſchichtliche Nothwendig-

keit als Thatſache anerkennen, aber als ein Uebel

beklagen, und dieſer Gedanke könnte zu dem Ent-

ſchluß führen, das Römiſche Recht durch eigene

Schöpfungen zu verdrängen und in Vergeſſenheit zu

bringen. Nicht zu gedenken aber, daß dieſes Be-

ſtreben nur zu einer, den Rechtszuſtand weſentlich

 

|0014 : VIII|

Vorrede.

verſchlimmernden Selbſttäuſchung führen würde, iſt

auch jener Gedanke ſelbſt von Grund aus irrig und

verwerflich. Die erwähnte geſchichtliche Verbindung

des Römiſchen Rechts mit dem Rechtsleben eines

großen Theils von Europa iſt ſo wenig ein Uebel

zu nennen, daß wir darin vielmehr die größte

Wohlthat erkennen müſſen. Die Beſchäftigung mit

dem Recht unterliegt, ihrer Natur nach, einer zwei-

fachen Gefahr: durch Theorie ſich zu verflüchtigen

in die hohlen Abſtractionen eines vermeintlichen

Naturrechts, durch die Praxis herabzuſinken zu

einem geiſtloſen, unbefriedigenden Handwerk. Gegen

beide Gefahren gewährt das Römiſche Recht, wenn

wir es recht gebrauchen, ein ſicheres Heilmittel.

Es hält uns feſt auf dem Boden eines lebens-

kräftigen Daſeyns; es knüpft unſer juriſtiſches

Denken einestheils an eine großartige Vergangenheit,

anderntheils an das Rechtsleben jetztlebender fremder

Nationen, mit welchen wir dadurch in einer, für beide

Theile gleich heilſamen, Verbindung erhalten werden.

Ein beſonders gefährlicher, kaum begreiflicher

Irrthum aber iſt es, welcher zu verſchiedenen

Zeiten zu der Annahme eines feindlichen Verhält-

niſſes zwiſchen dem Römiſchen und Deutſchen Recht

 

|0015 : IX|

Vorrede.

geführt hat. Nur nach einer ſehr beſchränkten Auf-

faſſung können die Bearbeiter des einen oder des

anderen dieſer Hauptzweige unſerer gemeinſamen

Rechtswiſſenſchaft glauben, das Gebiet ihrer eigenen

Thätigkeit zu fördern und zu erheben, indem ſie

das fremde bekämpfen und herabſetzen. Jeder

Fortſchritt auf dem einen Gebiet iſt vielmehr ein

ſicherer Gewinn auch für das andere, indem dadurch

ſtets der Geſichtskreis für das Ganze erweitert

wird.

Von dieſem Standpunkte aus hielten Alle, die

von jeher für das Römiſche Recht ſprachen, ihre

beſondere wiſſenſchaftliche Aufgabe zugleich für eine

ächt vaterländiſche, und von dieſer Ueberzeugung

kann ich auch jetzt nicht laſſen, auch nach den

großen Schickſalen der neueſten Zeit nicht.

 

Um es recht anſchaulich zu machen, wie in

ſolchen Dingen die Wahrheit und das Mißver-

ſtändniß zu einander ſich verhalten, will ich eine

Geſchichte erzählen, die ſich auf einem ganz anderen

Gebiete zugetragen hat. Als ich vor vierzig Jahren

eine Lehrſtelle an der Bairiſchen Univerſität Lands-

hut bekleidete, lebte daſelbſt ein Profeſſor der

Botanik, der wohlgemerkt kein eingeborner Baier

 

|0016 : X|

Vorrede.

war. Dieſer ſuchte ſeine ausſchließende Werth-

ſchätzung des beſonderen Bairiſchen Vaterlandes

dadurch zu bethätigen, daß er aus dem botaniſchen

Garten alle Pflanzen verbannen wollte, die nicht

in Baiern wild wachſen, um auf dieſe Weiſe einen

rein Vaterländiſchen Garten, befreit von fremden

Erzeugniſſen, herzuſtellen. Dieſes Verfahren wurde

damals von allen wirklichen Baiern in der Univer-

ſität verwerflich gefunden, denen es an der kräftigſten

Vaterlandsliebe gewiß nicht fehlte.

Der Verfaſſer hat hier die Gründe dargelegt,

aus welchen er entſchloſſen iſt, ſein Werk auch in

dieſer neuen Zeit, und ungeachtet derſelben, mit

Ernſt nnd Liebe fortzuſetzen; beide Geſinnungen ſollen

ja, nach dem Ausſpruch unſeres Dichters, gerade

dem Deutſchen beſonders wohl anſtehen. Die

Weltereigniſſe haben mir zu dieſer Arbeit jetzt

freie Muße gewährt. Wie lange dazu Leben und

Kraft ausreichen wird, ſteht in Gottes Hand.

 

|0017 : XI|

Vorrede.

Von dem allgemeinen Theil des gegenwärtigen

Rechtsſyſtems iſt jetzt nur noch das dritte Buch

übrig, welches die Anwendung der Rechtsregeln auf

die Rechtsverhältniſſe enthalten wird, insbeſondere

die Lehren von der örtlichen und räumlichen Colliſion

der Quellen des poſitiven Rechts, oder von dem

ſ. g. internationalen Recht, und von der rückwir-

kenden Kraft der Geſetze. Dieſe wichtige Lehren

werden wahrſcheinlich in dem achten Band dargeſtellt

werden können.

 

Geſchrieben im Auguſt 1848.

 

|0018 : [XII]|

|0019 : XIII|

Inhalt des ſiebenten Bandes.

Zweites Buch. Die Rechtsverhältniſſe.

Viertes Kapitel. Verletzung der Rechte.

 

Seite.

§. 302. Surrogate des Urtheils. Einleitung 1

§. 303. Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Ge-

ſtändniß. — Confessio in jure 6

§. 304. Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Ge-

ſtändniß. — Confessio in jure (Fortſetzung). 12

§. 305. Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Ge-

ſtändniß. — Interrogatio in jure 20

§. 306. Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Ge-

ſtändniß. — Widerruf 28

§. 307. Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Ge-

ſtändniß. — Widerruf (Fortſetzung) 34

§. 308. Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Ge-

ſtändniß. — Heutiges Recht 39

§. 309. Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Einleitung 47

§. 310. Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Zu-

ſchiebung, Ableiſtung, Inhalt, Form, Erlaß

des zugeſchobenen Eides 56

|0020 : XIV|

Inhalt des ſiebenten Bandes.

§. 311. Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Gemein-

ſame Wirkungen 63

§. 312. Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Beſondere

Wirkungen, je nach der verſchiedenen Lage des

Streites 70

§. 313. Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Beſondere

Wirkungen, je nach der verſchiedenen Lage des

Streites (Fortſetzung) 78

§. 314. Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Heutiges

Recht 84

§. 315. Reſtitution. — Einleitung 90

§. 316. Reſtitution. — Begriff derſelben 95

§. 317. Reſtitution. — Eigenthümliche Natur und Ent-

wicklung derſelben 107

§. 318. Reſtitution. — Bedingungen. — I. Verletzung 118

§. 319. Reſtitution. — Bedingungen. — I. Verletzung

(Fortſetzung) 124

§. 320. Reſtitution. — Bedingungen. — II. Reſtitutions-

grund 130

§. 321. Reſtitution. — Bedingungen. — III. Abweſenheit

poſitiver Ausnahmen 138

§. 322. Reſtitution. — Einzelne Gründe. — I. Minder-

jährigkeit 145

§. 323. Reſtitution. — Einzelne Gründe. — I. Minder-

jährigkeit (Fortſetzung) 149

§. 324. Reſtitution. — Einzelne Gründe. — I. Minder-

jährigkeit (Fortſetzung) 156

§. 325. Reſtitution. — Einzelne Gründe. — II. Abweſenheit 161

§. 326. Reſtitution. — Einzelne Gründe. — II. Abweſenheit

(Fortſetzung) 169

§. 327. Reſtitution. — Einzelne Gründe. — II. Abweſenheit

(Fortſetzung) 173

|0021 : XV|

Inhalt des ſiebenten Bandes.

§. 328. Reſtitution. — Einzelne Gründe. — II. Abweſenheit

(Fortſetzung) 180

§. 329. Reſtitution. — Einzelne Gründe. — II. Abweſenheit

(Fortſetzung) 185

§. 330. Reſtitution. — Einzelne Gründe. — III. Zwang 191

§. 331. Reſtitution. — Einzelne Gründe. — IV. Irrthum 196

§. 332. Reſtitution. — Einzelne Gründe. — V. Betrug 198

§. 333. Reſtitution. — Einzelne Gründe. — VI. Antiquirte

Gründe 210

§. 334. Reſtitution. — Gerichtsbehörden 214

§. 335. Reſtitution. — Parteiperſonen 216

§. 336. Reſtitution. — Parteiperſonen (Fortſetzung) 223

§. 337. Reſtitution. — Verfahren 228

§. 338. Reſtitution. — Verfahren (Fortſetzung) 239

§. 339. Reſtitution. — Verfahren (Fortſetzung) 244

§. 340. Reſtitution. — Verfahren (Fortſetzung) 251

§. 341. Reſtitution. — Verfahren (Fortſetzung) 257

§. 342. Reſtitution. — Wirkungen 264

§. 343. Reſtitution. — Wirkungen (Fortſetzung) 269

Beilage XVIII. Reſtitution der Minderjährigen, welche in

väterlicher Gewalt ſtehen 277

Beilage XIX. L. 57 mandati 292

|0022|

|0023 : [1]|

§. 302.

Surrogate des Urtheils. Einleitung.

Es iſt ſchon oben auf die Natur einiger Rechtsinſtitute

hingedeutet worden, welche die Stelle eines Urtheils ver-

treten können, alſo ein ſolches unnöthig machen (a). Der

Begriff eines ſolchen Surrogats iſt aber nur da vorhanden,

wo in der That die Entſcheidung eines Rechtsſtreits,

nur auf einem anderen Wege, als durch ein richterliches

Urtheil, herbeigeführt wird. Dahin gehören folgende In-

ſtitute, die nunmehr der Reihe nach abgehandelt werden

ſollen:

 

I. Das gerichtliche Geſtändniß (Confessio und Interro-

gatio in jure).

II. Der Eid.

Wohl davon zu unterſcheiden aber, und gar nicht hier-

her zu ziehen, ſind die häufigen und wichtigen Fälle, in

welchen zwar ein äußerlich ähnlicher Erfolg wahrzunehmen

iſt, nämlich die Beſeitigung eines Rechtsſtreits, jedoch

nicht durch Entſcheidung deſſelben, ſondern durch deſſen

Vernichtung, indem durch Verwandlung ein neues,

 

(a) S. o. B. 6 S. 265. des Zuſammenhangs wegen vgl. B. 5 § 204

B. 6 § 256.

VII. 1

|0024 : 2|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

nicht ſtreitiges, Rechtsverhältniß an die Stelle des bis-

herigen ſtreitigen geſetzt wird. Die meiſten derſelben laſſen

ſich auf einen Vertrag, alſo auf Einigung der Parteien,

zurückführen; alle aber gehören nicht hierher, in das

Actionenrecht, ſondern in den ſpeciellen Theil des Rechts-

ſyſtems, und zwar in das Obligationenrecht. An dieſer

Stelle mag eine kurze Ueberſicht der hier auszuſcheidenden

Fälle der Beſeitigung eines Rechtsſtreits genügen.

1. Vergleich.

 

Darunter iſt zu verſtehen die Beendigung eines Rechts-

ſtreits durch die freie Uebereinkunft beider Theile über irgend

einen, zwiſchen ihren urſprünglichen Anſprüchen in der

Mitte liegenden, Punkt. Hierin liegt augenſcheinlich eine

rein vertragsmäßige, alſo obligatoriſche, Umwandlung des

bisherigen Rechtsverhältniſſes.

 

2. Erlaß oder Verzicht, alſo völliges Nachgeben

von Seiten des Klägers. Dieſer Fall hat Aehnlichkeit mit

dem Fall des Vergleichs, unterſcheidet ſich aber dadurch,

daß zum Weſen des Vergleichs ein Nachgeben von beiden

Seiten gehört.

 

Außerdem iſt aber zu bemerken, daß dieſer Fall eine

ſehr vieldeutige Natur an ſich trägt (b). Es kann darin

liegen das Anerkenntniß des Klägers, daß er kein Recht

hat; oder auch umgekehrt die Abſicht, ſein (vielleicht ſelbſt

 

(b) Dieſe mögliche Vieldeutigkeit

der zum Grunde liegenden Abſicht

wird erwähnt in L. 29 § 1 de

don. (39. 5). Nach derſelben Stelle

aber ſoll der Verzicht gleichmäßig

bindend wirken, es mag die eine

oder die andere Abſicht zum

Grunde liegen.

|0025 : 3|

§. 302. Surrogate des Urtheils. Einleitung.

vom Gegner anerkanntes) Recht ſchenkungsweiſe aufzugeben;

oder endlich die unbeſtimmtere Abſicht, blos die Verfolgung

des Rechts, als ſchwierig oder zweifelhaft, für immer fallen

zu laſſen. Oft werden dieſe verſchiedenen möglichen Gedanken

in der vorliegenden Willenserklärung, ja ſelbſt in dem

eigenen Bewußtſeyn des Klägers, nicht mit Sicherheit zu

unterſcheiden ſeyn; die Wirkſamkeit der Handlung aber iſt

davon unabhängig.

Aber nicht blos in den zum Grunde liegenden Gedanken,

ſondern auch in der Form der Handlung, erſcheint der

Verzicht auf verſchiedene Weiſe. Er kommt vor in Geſtalt

eines Vertrags (c), und in dieſer Geſtalt iſt ſo eben die

Verwandtſchaft deſſelben mit dem Vergleiche bemerkt worden.

Er kommt aber auch vor in der Geſtalt einer vor dem

Richter abgegebenen einſeitigen Erklärung, den Rechtsſtreit

fallen laſſen zu wollen (desistere). Geſchieht dieſe Er-

klärung in jure, ſo hat ſie die Natur einer confessio in

jure, alſo eines wahren Surrogats (d).

 

Mit dem Verzicht wird, als Fiction deſſelben, nicht

ſelten der Fall zuſammengeſtellt, wenn der Kläger die Sache

liegen läßt, und dadurch ein abweiſendes Contumacial-

Urtheil veranlaßt. Man betrachtet hier das Benehmen des

Klägers als eine Erklärung, die Sache nicht weiter ver-

 

(c) Das pactum ne petatur,

welches den größten Theil des

Pandektentitels de pactis (II. 14.)

ausfüllt. Die Stellung dieſes Titels

unmittelbar vor dem de trans-

actionibus erklärt und rechtfertigt

ſich aus der eben bemerkten Ver-

wandtſchaft beider Inſtitute.

(d) L. 29 § 1 de don.

(39. 5), ſ. u. § 303 Note r.

1*

|0026 : 4|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

folgen zu wollen, wobei der Beweggrund dahin geſtellt

bleiben ſoll. Wenn es indeſſen wirklich zu einem abweiſen-

den Urtheil kommt, ſo ſind ſtets die Regeln, die für das

Urtheil gelten, nicht die vom Verzicht anzuwenden (e).

3. Der umgekehrte Fall von dem Erlaß oder Verzicht

würde in einem völligen Nachgeben von Seiten des Be-

klagten beſtehen. Allein dieſer Fall hat im Römiſchen Recht,

in der Geſtalt der in jure confessio, die Natur eines

wahren Surrogats des richterlichen Urtheils angenommen,

und wird daher unter den nunmehr darzuſtellenden Surro-

gaten ſeine eigenthümliche Stelle erhalten. Er kann

übrigens auch die reine Form des Vertrags annehmen, und

iſt dann allerdings ganz ſo, wie der vorhergehende Fall, zu

behandeln.

 

4. Das Compromiß hat an ſich eine augenſcheinliche

Verwandtſchaft mit den Surrogaten des Urtheils. Daß

wir es nicht dahin rechnen, liegt in der urſprünglichen Be-

handlung dieſes Inſtituts bei den Römern, welche auf der

reinen Natur eines Vertrages beruhte. Allerdings hat es

ſich in der ſpäteren Zeit mehr den Urtheilen angenähert;

dennoch müſſen wir es in die Reihe der Verträge ſetzen,

 

(e) Vgl. Thibaut civiliſti-

ſche Abhandlungen S. 160. 161.,

Hollweg Gerichtsverfaſſung und

Prozeß S. 287. 294 — 296.,

Bayer Vorträge S. 285 — 288.

— Blos in manchen ſpeciellen Be-

ziehungen ſoll das Ausbleiben als

Verzicht, zum Vortheil des Klägers,

behandelt werden, z. B. inſofern

er dadurch die Nachtheile vermeidet,

die ihn wegen der Anfechtung eines

Teſtaments treffen würden. L. 8

§. 14 de inoff. test. (5. 2), L. 8

C. de his quib. ab ind. (6. 35).

Vgl. auch L. 27 § 1 de lib.

causa (40. 12).

|0027 : 5|

§. 302. Surrogate des Urtheils. Einleitung.

weil nur in dieſem Zuſammenhang ſeine eigenthümliche Ent-

wicklung deutlich gemacht werden kann.

5. Die Selbſthülfe gehört in die Reihe der hier

zuſammengeſtellten Rechtsinſtitute, inſofern durch ſie das

vielleicht wirklich vorhandene Recht zur Strafe verloren,

dann alſo zugleich jeder mögliche Rechtsſtreit darüber auf

unfreiwillige Weiſe vernichtet werden kann. Sie gehört in

die Reihe der Obligationen welche aus Delicten entſtehen.

 

Wenngleich nun alle hier angegebene Fälle die Natur

wahrer Surrogate des Urtheils nicht an ſich tragen, ſo iſt

doch bei einigen derſelben eine wichtige Verwandtſchaft mit

dem Urtheil, die ſchon bei einer anderen Gelegenheit ange-

deutet wurde, hier wieder in Erinnerung zu bringen. Die

Fälle nämlich, welche die Natur wahrer Verträge haben

(Num 1. 2.), heben nicht blos den gegenwärtigen Rechts-

ſtreit auf, ſondern verhindern auch deſſen Erneuerung für

jede künftige Zeit. Dabei kann die Frage entſtehen, ob ein

ſpäterhin verſuchter Rechtsſtreit in der That eine ſolche

unzuläſſige Erneuerung des durch Vertrag beendigten in

ſich ſchließe, oder ob er als ein ganz neuer, von dem

früheren unabhängiger, zu betrachten ſey. Dieſelbe Frage

iſt ſchon oben, bei den Folgen des rechtskräftigen Urtheils,

ausführlich behandelt worden, und die dort aufgeſtellten

Regeln finden auch hier ihre Anwendung. Wenn alſo die

Frage nach der Identität eines verſuchten Rechtsſtreits mit

 

|0028 : 6|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

einem früher beendigten zu beantworten iſt, ſo gelten die-

ſelben Regeln, es mag die Beendigung durch ein rechts-

kräftiges Urtheil, oder aber durch einen Vertrag herbeige-

führt worden ſeyn. Es hat alſo in dieſer Beziehung

die pacti exceptio gleiche Natur mit der exceptio rei

judicatae (f).

§. 303.

Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Geſtändniß. —

Confessio in jure.

Quellen:

 

Dig. XLII. 2 (de confessis). XI. 1 (de interrogatio-

nibus in jure faciendis et de interrogatoriis actionibus).

Cod. VII. 59 (de confessis).

Paulus V. 5 A, II. 1 § 5.

Cod. Greg. X. 2.

Schriftſteller:

 

Donellus Lib. 28 C. 1.

Weber Verbindlichkeit zur Beweisführung, herausg. von

Heffter. Halle 1832. Vierte Abhandlung und Zuſ.

S. 290—296.

Bethmann-Hollweg Verſuche über Civilprozeß.

Berlin 1827. Vierte Abhandlung.

Puchta Curſus der Inſtitutionen, Auflage 2. B. 2

§. 173. 174.

(f) L. 27 § 6. 8 de pactis (2. 14). Vgl. oben B. 6 S. 414.

426. 446.

|0029 : 7|

§. 303. Surrogate. I. Geſtändniß. Confessio.

Das Römiſche Recht hat zwei hierher gehörende, ſehr

alte Rechtsinſtitute, die wegen ihrer inneren Verwandtſchaft

nur in Verbindung mit einander deutlich gemacht werden

können: die confessio in jure, und die interrogatio in jure.

 

Der Grundſatz, worauf die confessio in jure beruht,

läßt ſich ſo ausdrücken: Wenn ein Beklagter vor dem Prätor

die Behauptung des Klägers vollſtändig einräumt, ſo ſoll

dieſes Zugeſtändniß einer Verurtheilung gleich gelten.

 

Nur das vor dem Prätor (in jure) abgelegte Geſtänd-

niß ſollte dieſe eigenthümliche Wirkung haben, nicht das

vor dem Judex (a). Daher wird in den Quellen zuweilen

dem Ausdruck Confessio oder Confessus der Zuſatz beige-

geben: in jure (b). Gemeint iſt dieſer Zuſatz immer, und

darum wird er in den meiſten Stellen nicht einmal nöthig

gefunden.

 

In dem aufgeſtellten Grundſatz liegt eine zweifache

Wirkung: Der Beklagte iſt durch ſein Geſtändniß verpflichtet,

und dieſe Verpflichtung tritt unmittelbar ein, ohne daß es

dazu eines Urtheils bedarf. Durch dieſe zweite Wirkung

erhält eben das Geſtändniß ſeinen beſonderen Charakter als

Surrogat des Urtheils.

 

(a) Das Geſtändniß vor dem Ju-

dex hatte immer entſcheidenden Ein-

fluß auf das Urtheil, aber keine ſelbſt-

ſtändige Natur und keine formelle

Regeln. Seit der Aufhebung des

ordo judiciorum verſchwindet

dieſer Unterſchied.

(b) L. 29 § 1 de don. (39. 5)

L. 56 de re jud. (42. 1), L. un.

C. de confessis (7. 59), L. 4 C.

de repud. her. (6. 31).

|0030 : 8|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die Römer drücken den aufgeſtellten Grundſatz ſo aus:

Confessus pro judicato est oder habetur (c). Dieſer Aus-

druck aber iſt ganz ernſtlich gemeint; denn es ſoll aus dem

bloßen Geſtändniß, ohne Urtheil, ſogleich Execution gegen

den Beklagten erfolgen, durch Abpfändung und Verkauf

ſeiner Sachen (d). Daher wird denn auch das Geſtändniß

neben das Urtheil und den Eid geſtellt, alſo auf gleiche

Linie mit denſelben (e). Bei dem Urtheil aber gilt die

durchgreifende Regel: condemnatus ut pecuniam solvat (f).

 

Die Wahrheit jenes Grundſatzes alſo iſt außer Zweifel

geſetzt; dennoch hat er nur eine beſchränkte Wahrheit, indem

er zunächſt und unmittelbar nur für den einzigen Fall gilt,

wenn eine Schuldklage auf eine beſtimmte Geldſumme an-

geſtellt und von dem Beklagten zugeſtanden wird (g). Der

Grund dieſer Beſchränkung liegt darin, daß im alten Pro-

zeß auch das Urtheil nur auf eine beſtimmte Geldſumme

gehen konnte (h), und nur dabei eine unmittelbare Execution

durch abgepfändete und verkaufte Sachen möglich war.

 

(c) L. 1. 3. 6 § 2 de confessis

(42. 2), L. 56 de re jud. (42. 1),

L. un. C. de confessis (7. 59),

L. 4 C. de repud her. (6. 31),

Paulus u. Cod. Greg. in den

oben angeführten Stellen.

(d) L. 9 C. de execut. (7. 53),

Paulus II. 1 § 5.

(e) L. 56 L. 31 de re jud.

(42. 1).

(f) L. 4 § 3 de re jud.

(42. 1).

(g) L. 4 C. de repud. her.

(6. 31) „quod confessos in jure

pro judicatis haberi placuit …

ad certam quantitatem deberi

confitentem pertinet.“ L. 6 pr.

de confessis (42. 2) „Certum

confessus pro judicato erit,

incertum non erit.“ Certum

aber heißt hier und in vielen

andern Stellen, die von Klagen

handeln, ſo viel als certa pecunia

(B. 5 S. 623—625), wie auch die

gleich folgenden Worte zeigen.

(h) Gajus IV. § 48.

|0031 : 9|

§. 303. Surrogate. I. Geſtändniß. Confessio.

In allen übrigen Fällen, das heißt, bei dem Geſtändniß

eines beſtimmten Gegenſtandes außer baarem Geld, oder

eines unbeſtimmten Gegenſtandes, alſo in den meiſten

Fällen überhaupt, ſoll der Beklagte wo möglich dazu ge-

bracht werden, ſein Geſtändniß auf eine beſtimmte Geld-

ſumme zu richten, alſo in ein certum zu verwandeln (i).

Iſt aber Dieſes nicht möglich, ſo erfolgt nunmehr ein ge-

wöhnlicher Prozeß; es wird ein Juder beſtellt, eine Litis-

conteſtation vorgenommen, und ein Urtheil geſprochen (k).

 

Man könnte durch dieſe Unterſcheidung verleitet werden,

dem oben aufgeſtellten Grundſatz eine geringere praktiſche

Bedeutung zuzuſchreiben, als ihm in der That zukommt.

Er iſt aber wahr auch für alle übrigen Fälle, nur in einer

etwas anderen Weiſe.

 

In dem nunmehr entſtehenden Rechtsſtreit iſt nämlich

der Judex an den Inhalt des Geſtändniſſes ſtreng gebunden;

er darf davon nicht abweichen, hat deshalb Nichts zu

unterſuchen (l), und ſeine Thätigkeit beſchränkt ſich darauf,

den eingeräumten Gegenſtand in eine beſtimmte Geldſumme

zu verwandeln (m).

 

(i) L. 6 § 1 de confessis

(42. 2) „urgeri debet“. Darin

liegt aber weder ein directer, noch

ein indirecter Zwang, außer etwa

inſofern die grundloſe Weigerung

vielleicht den Judex zu einem

nachtheiligeren Urtheil ſtimmen

könnte. Bethmann-Hollweg

S. 265.

(k) L. 7. 5. 3. 8 de confessis

(42. 2).

(l) „nihil quaeritur“. L. 56

de re jud. (42. 1), welcher Satz

hier ausdrücklich abgeleitet wird

aus der Regel: confessi pro

judicatis habentur.

(m) „Judex non rei judican-

dae, sed aestimandae datur“.

|0032 : 10|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die Formel mag in ſolchen Fällen etwa auf folgende

Weiſe gefaßt worden ſeyn:

Quod N. Negidius in jure confessus est, fundum

Cornelianum A. Agerio se dare oportere, quanti is

fundus est, eum condemna,

 

ſo daß dabei die Intentio: si paret, N. Negidium fundum

dare oportere, ganz ausfiel (n).

 

Kam ein ſolches Geſtändniß bei einer arbiträren Klage,

insbeſondere bei einer Eigenthumsklage vor, ſo hatte es

ganz die Natur einer pronuntiatio, und machte dieſelbe ent-

behrlich, indem es ihre Stelle vertrat (o).

 

Bei der confessio wird noch die beſondere Regel er-

wähnt, daß hier dieſelbe geſetzliche Zahlungsfriſt eintrete,

wie bei dem Urtheil, und daß dieſe von dem Tage des

Geſtändniſſes an gerechnet werden müſſe (p).

 

Nach der bis hierher geführten Unterſuchung kann die

gemeinſame Wirkung des gerichtlichen Geſtändniſſes, an-

 

L. 25 § 2. L. 26 ad L. Aquil.

(9. 2), L. 40 § 1 de pactis

(2. 14).

(n) Dieſes war nun die actio

confessoria, von welcher in dem

folgenden § die Rede ſeyn wird

(§ 304 Note k).

(o) L. 6 § 2 de confessis

(42. 2). Ueber die pronuntiatio

ſ. o. B. 6 S. 318—320.

(p) L. 6 § 6 de confessis

(42. 2), L. 21 de jud. (5. 1),

L. 31 de re jud. (42. 1), Paulus

V. 5 A. § 2. — Natürlich konnte

dieſer Satz nur gelten von dem

auf baares Geld gerichteten Ge-

ſtändniß, wodurch ein nachfolgen-

des Urtheil ganz entbehrlich wurde

(Note g).

|0033 : 11|

§. 303. Surrogate. I. Geſtändniß. Confessio.

ſchließend an die Wirkung des rechtskräftigen Urtheils (q),

ſo ausgedrückt werden:

Confessio pro veritate accipitur,

 

und dieſer Ausdruck iſt gleich wahr und gleich wichtig für

jedes gerichtliche Geſtändniß, es mag auf eine Geldſchuld

oder auf einen anderen, beſtimmten oder unbeſtimmten Ge-

genſtand gerichtet ſeyn. In dieſem Sinn alſo kann man

ſagen, daß jedes gerichtliche Geſtändniß als Surrogat eines

Urtheils gelten kann, indem es, gleich dem Urtheil, die

Fiction der Wahrheit, das heißt, formelle Wahr-

heit, begründet, wenngleich es nicht in allen Fällen ein

nachfolgendes Urtheil entbehrlich macht.

Wenn man das gerichtliche Geſtändniß in dieſer ſeiner

allgemeinen Natur auffaßt, ſo iſt es der reine Gegenſatz

des von dem Kläger vor Gericht ausgeſprochenen Verzichts

(§ 302). Dieſe Vergleichung muß auch darin als wahr

anerkannt werden, daß dem Geſtändniß ſehr verſchiedene

Gedanken zum Grunde liegen können; am häufigſten die

wirkliche Anerkennung des Rechts des Klägers; ferner die

beſtimmte Abſicht, zu ſchenken; endlich eine unbeſtimmte, in

der Mitte liegende Abſicht, das Nachgeben bei einer zweifel-

haften Sache, um nur den Rechtsſtreit zu vermeiden. —

Ferner iſt die Vergleichung dahin auszudehnen, daß außer

dem gerichtlichen Geſtändniß auch ein auf gleichen Zweck

gerichteter Vertrag vorkommen kann. Dieſes iſt der Recog-

 

(q) S. o. B. 6 S. 274.

|0034 : 12|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

nitiv-Vertrag, der in das Obligationenrecht gehört, und

gewöhnlich nicht in ſeiner wahren Natur aufgefaßt wird.

Uebrigens kann eine ſolche confessio in jure auch von

Seiten des Klägers vorkommen, wenn nämlich dieſer vor

dem Prätor unbedingt erklärt, daß er keinen Anſpruch an

den Beklagten habe. Dadurch giebt er ſein Klagrecht völlig

auf, die Handlung gilt gleich einer rechtskräftigen Frei-

ſprechung, und hat alſo ganz die Natur eines Surrogats

des Urtheils. Ein ſolcher Fall aber wird in dieſer Form

nur ſehr ſelten vorkommen, und wenn er vorkommt, hat er

eine ſo einfache Natur, daß er näherer Beſtimmungen kaum

bedürfen wird. Aus beiden Gründen iſt es wohl zu erklären,

daß derſelbe, ſo viel ich weiß, nur in einer einzigen Stelle

des Römiſchen Rechts erwähnt wird (r), und daß er weder

durch die Geſetzgebung, noch durch die Arbeiten der alten

Juriſten beſonders ausgebildet worden iſt.

 

§. 304.

Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Geſtändniß. —

Confessio in jure. (Fortſetzung.)

Der oben aufgeſtellte wichtige Grundſatz über die Kraft

des gerichtlichen Geſtändniſſes des Beklagten hat folgende

Entſtehung und allmälige Entwicklung gehabt.

 

(r) L. 29 § 1 de don. (39. 5).

S. o. § 302 Note d. — Es heißt

in jener Stelle: „eum actionem

jure amisisse respondit“. Wenn

er nun dennoch die Klage anſtellen

wollte, ſo ſtand ihm ohne Zweifel

eine exceptio confessi oder con-

fessoria entgegen, mit gleicher

Wirkung, wie die exceptio rei

judicatae.

|0035 : 13|

§. 304. I. Geſtändniß. Confessio. (Fortſetzung.)

1. Für den Hauptfall, das Geſtändniß einer beſtimmten

Geldſchuld, iſt die erſte Quelle in der Vorſchrift der zwölf

Tafeln zu ſuchen: Aeris confessi rebusque jure judicatis

XXX. dies justi sunto etc. (a), in welchem das Geſtändniß

dem rechtskräftigen Urtheil mit gleicher Kraft an die Seite

geſetzt wurde. Beiden Thatſachen gleichmäßig wurde hier

die Wirkung der Schuldknechtſchaft, alſo der Perſonal-

execution, beigelegt, an welche ſich dann in ſpäterer Ent-

wicklung die der Realexecution angeſchloſſen hat, von

welcher allein jetzt noch die Rede iſt (b). — Damit war alſo

der Grund zu dieſem Rechtsinſtitut gelegt.

 

2. Eine Erweiterung deſſelben für einige beſondere Fälle

wurde durch das prätoriſche Edict eingeführt. Für vier

Klagen galt die Vorſchrift, daß der Beklagte, wenn er

wiſſentlich leugnete und überführt wurde, den eingeklagten

Werth zur Strafe doppelt bezahlen ſollte (c); das Einge-

ſtändniß ſchützte alſo vor dieſer Strafe, und es konnte im

Fall deſſelben nur die Frage entſtehen, ob denn der Be-

klagte durch ſein Geſtändniß auch wirklich für den einfachen

Werth verpflichtet werde. Dieſes mußte unbedingt ange-

nommen werden, weil das Geſtändniß hier die Natur eines

 

(a) Gellius XX. 10.

(b) Ob die Schuldknecht-

ſchaft auf die Geldſchulden aus

dem Darlehen beſchränkt war, iſt

ſtreitig; vgl. Savigny über das

altrömiſche Schuldrecht, Abhand-

lungen der Berliner Akademie 1833.

Daß die Realexecution, in

Folge des Geſtändniſſes wie des

Urtheils, auf Geldſchulden jeder

Art ging, iſt unzweifelhaft.

(c) Lis inficiando crescit in

duplum. Gajus IV. § 9. 171. Dieſe

vier Klagen ſind: judicati, de-

pensi, damni injuria dati, le-

gati per damnationem relicti.

|0036 : 14|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Vergleichs hatte; der Beklagte übernahm die Leiſtung des

einfachen Werthes, um dadurch der Gefahr der doppelten

Leiſtung zu entgehen. Dieſe in der Natur der Sache ge-

gründete Auffaſſung erhielt eine ausdrückliche Beſtätigung

durch das Edict, welches neben der Klage auf das Doppelte

gegen den Leugnenden auch die einfache Klage gegen den

Geſtändigen ausſprach, alſo die Verpflichtung wegen des

Geſtändniſſes geradezu anerkannte (d). — Indeſſen konnte

dieſe Beſtimmung nur für die wenigſten unter den angege-

benen Fällen als etwas Neues, folglich als eine wahre

Erweiterung, angeſehen werden. Die actio judicati und

depensi gingen ohnehin ſtets auf eine beſtimmte Geldſumme,

und ſtanden alſo ſchon unter der Vorſchrift der Zwölf Tafeln

(Num. 1.); eben ſo auch die Klage aus dem Legat, wenn

daſſelbe auf eine Geldſumme gerichtet war. So blieben

alſo als neu, als Gegenſtände einer Erweiterung für die

Kraft des Geſtändniſſes, nur folgende zwei Klagen übrig:

die Klage aus einem legatum damnationis, wenn daſſelbe

auf einen anderen beſtimmten Gegenſtand, als baares Geld,

z. B. auf ein Haus, ein Pferd u. ſ. w. gerichtet war, und

die actio legis Aquiliae wegen körperlicher Beſchädigung

fremder Sachen. Für den letzten Fall ſind uns die genaue-

ſten Nachrichten von dieſer neuen Beſtimmung über die

Kraft des Geſtändniſſes aufbewahrt, wovon ſogleich noch

mehr die Rede ſeyn wird.

(d) Bethmann-Hollweg S. 265—268.

|0037 : 15|

§. 304. I. Geſtändniß. Confessio. (Fortſetzung.)

In allen übrigen Fällen eines gerichtlichen Geſtändniſſes

fehlte es alſo ganz an ausdrücklichen Beſtimmungen über

deſſen formelle Kraft. Dennoch iſt nicht zu bezweifeln, daß

das Geſtändniß ſtets thatſächliche Anerkennung in den

Urtheilen der Richter gefunden haben wird, und zwar ohne

Unterſchied, ob es vor dem Prätor oder vor dem Judex

abgelegt war.

 

3. Die volle Ausdehnung endlich, in welcher der

Grundſatz oben aufgeſtellt worden iſt (§ 303), erhielt der-

ſelbe erſt durch einen Senatsſchluß unter der Regierung

des K. Marcus Aurelius (oratio D. Marci). Hierin

wurde beſtimmt ausgeſprochen, daß bei Klagen aller Art

das vor dem Prätor abgelegte Geſtändniß für den Beklagten

dieſelbe verpflichtende Kraft haben ſollte, wie ein rechtskräf-

tiges Urtheil (e). — Wenngleich aber die Ausdrücke der alten

Juriſten über den Umfang dieſes Senatsſchluſſes höchſt allge-

mein gefaßt ſind, ſo muß derſelbe doch auf diejenigen Klagen

beſchränkt werden, worüber jede Partei eine völlig freie

Verfügung hat, welches bei den Klagen über Vermögens-

rechte durchaus der Fall iſt. Dagegen iſt dem Geſtändniß

nicht dieſelbe Kraft beizulegen, wenn es darauf abzweckt,

die perſönliche Freiheit des Geſtändigen zu verneinen, oder

eine Ehe als ungültig darzuſtellen (f).

 

4. Seit dem Untergang des ordo judiciorum hatte jede

 

(e) L. 6 § 2 de confessis (42. 2), L. 56 de re jud. (42. 1).

(f) L. 24. 39 C. de lib. causa (7. 16), C. 5 X. de eo, qui

cognovit (4. 13). — Bethmann-Hollweg S. 274.

|0038 : 16|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

confessio in judicio die Kraft der alten confessio in jure.

Als eigentliches Surrogat aber konnte ſie nun nicht mehr

gelten, ſondern nur noch als Grundlage eines richterlichen

Urtheils, welches an den Inhalt derſelben gebunden war.

Das Weſen des Geſtändniſſes wurde oben darin geſetzt,

daß der Beklagte die Behauptung des Klägers einräume

(§ 303), alſo in ein Einverſtändniß beider Parteien über

dieſe Behauptung. Nun geht dieſe Behauptung ſtets und

nothwendig auf das Daſeyn eines Rechtsverhältniſſes, ein

ſolches aber beruht wieder auf Thatſachen; zur genaueren

Einſicht in das Weſen des Geſtändniſſes iſt es alſo nöthig,

zu beſtimmen, ob als der eigentliche Gegenſtand des Ein-

verſtändniſſes das Rechtsverhältniß, oder vielmehr die

Thatſache gedacht werden müſſe.

 

Der Ausdruck confessio, ſo wie der entſprechende

deutſche Ausdruck, kann leicht dahin führen, die Thatſache

als den unmittelbaren Gegenſtand des Einverſtändniſſes

anzuſehen, wodurch alſo das Geſtändniß als bloßes Be-

weismittel erſcheinen könnte; allein die oben angegebene

juriſtiſche Natur deſſelben, welche in der Gleichſtellung mit

dem richterlichen Urtheil beſteht, führt vielmehr auf das

Rechtsverhältniß. Denn auf ein ſolches geht nothwendig

jedes Urtheil, und ſoll alſo das Geſtändniß gleiche Kraft

mit dem Urtheil haben, in manchen Fällen ſogar jedes

 

|0039 : 17|

§. 304. I. Geſtändniß. Confessio. (Fortſetzung.)

Urtheil völlig entbehrlich machen (§ 303), ſo muß es gleichfalls

das Daſeyn eines Rechtsverhältniſſes unmittelbar feſtſtellen.

Dieſe Natur des Geſtändniſſes wird denn auch in

unſern Rechtsquellen geradezu anerkannt; der Beklagte ge-

ſteht nämlich: se debere, oder fundum actoris esse (g),

und es wird Niemand bezweifeln, daß Schuld und Eigen-

thum reine Rechtsverhältniſſe ſind, wozu ſich gewiſſe That-

ſachen nur als Entſtehungsgründe verhalten können.

 

Indeſſen darf dabei nicht verkannt werden, daß in der

Anerkennung des Rechtsverhältniſſes ſtets auch die Aner-

kennung der dazu nöthigen Thatſachen liegt, nur daß dabei

die Auswahl unter mehreren gleich möglichen Thatſachen

ungewiß bleiben kann. Eben ſo wird nicht ſelten die An-

erkennung einer reinen Thatſache, z. B. des Empfanges

eines Darlehens, zugleich die Anerkennung eines Rechts-

verhältniſſes (hier der Darlehensſchuld) in ſich ſchließen.

Dadurch aber wird das Weſen der Sache nicht verändert.

 

Auch kommt in der That ein Fall vor, in welchem die

Römiſchen Juriſten das Geſtändniß auf eine reine Thatſache

beziehen. Dieſes darf aber nicht etwa als ein ungenauer,

nachläſſiger Ausdruck betrachtet werden, oder als Zeichen

eines Schwankens jener Juriſten über die hier zur Frage

geſtellten Anſichten. Vielmehr hat dieſe Beziehung ihren

Grund in der eigenthümlichen Natur einer einzelnen Klage,

und es muß gleich hier darauf näher eingegangen werden,

weil damit wichtige andere Streitfragen zuſammenhangen.

 

(g) L. 3. 5. 7 de confessis (42. 2), L. 6 § 2 eod.

VII. 2

|0040 : 18|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Es iſt nämlich ſchon bemerkt worden, daß die actio

L. Aquiliae unter die wenigen Klagen gehörte, worin das

Geſtändniß ſchon vor der oratio D. Marci eine beſondere

Wirkung hatte: einestheils den Beklagten von der Gefahr

des doppelten Erſatzes zu befreien, anderntheils ihn zum

einfachen Erſatz unbedingt, wie durch ein geſprochenes

Urtheil, zu verpflichten (§ 303). In dieſem Fall nun

konnte ſchon deswegen ein Urtheil durch das bloße Geſtänd-

niß nicht entbehrlich werden, weil noch immer der Geld-

werth des zugefügten Schadens zu beſtimmen blieb (h).

Das Geſtändniß alſo, das hier eine beſondere Wirkung

haben ſollte, ging nicht auf die (noch unbeſtimmte) Forderung

des Klägers, ſondern auf die reine Thatſache; ja nicht

einmal auf die ganze, vollſtändige Thatſache, ſondern ledig-

lich auf die perſönliche Thätigkeit des Beklagten, die Thäter-

ſchaft: Das, was unſere Criminaliſten den ſubjectiven

Thatbeſtand nennen (i). Dieſe eigenthümliche Beſchränkung

darf auch gar nicht als eine zufällige, willkürliche be-

trachtet werden, ſondern ſie hatte ihren guten Grund in

folgendem Umſtand. Wenn wegen der Tödtung oder Ver-

wundung eines Sklaven geklagt wurde, ſo war die That-

 

(h) L. 25 § 2 L. 26 ad L.

Aqu. (9. 2).

(i) L. 23 § 11 L. 24 L. 25

pr. ad L. Aquil. (9. 2), L. 4

de confessis (42. 2). In der

erſten dieſer Stellen ſind beſonders

entſcheidend die Worte: „hoc

enim solum remittere actori

confessoriam actionem, ne ne-

cesse habeat docere, eum

occidisse, ceterum occisum

esse hominem a quocunque

oportet“.

|0041 : 19|

§. 304. I. Geſtändniß. Confessio. (Fortſetzung.)

ſache des Todes oder der Verwundung meiſt unbeſtritten,

konnte wenigſtens durch den Augenſchein leicht außer

Zweifel geſetzt werden. Dagegen war die Thatſache, daß

gerade dieſer Beklagte die That begangen habe, leicht abzu-

leugnen; dieſem Leugnen ſollte durch die Drohung des

doppelten Erſatzes vorgebeugt werden, und daher war das

Geſtändniß gerade dieſer Thatſache allein von Wichtigkeit.

Dieſes Geſtändniß wurde daher auch in die Klagformel,

als für den Richter bindend, aufgenommen, und die ſo

abgefaßte Klage hieß nun confessoria actio (k).

Nachdem nun die geſchichtliche und formelle Seite der

confessio in jure feſtgeſtellt worden iſt, bleibt noch die Er-

örterung der praktiſchen Seite übrig. Dahin gehört zunächſt

die wichtige Frage, die auch ſchon für das Römiſche Recht

zu beantworten iſt, ob das gerichtliche Geſtändniß eine

unbedingt verpflichtende Kraft mit ſich führt, oder ob daſ-

ſelbe widerrufen und angefochten werden kann auf den

Grund der Behauptung, daß es nicht mit der Wahrheit

übereinſtimme. — Dann aber iſt beſonders auch die

heutige Anwendbarkeit der Grundſätze des Römiſchen Rechts

über das gerichtliche Geſtändniß zu unterſuchen, um die

richtige Behandlung deſſelben im heutigen Recht feſtſtellen

zu können.

 

(k) L. 23 § 11 L. 25 § 1 ad

L. Aqu. (9. 2). Nur hier kommt

dieſer Name vor, welches jedoch

ganz zufällig ſeyn kann; an ſich

paßte er auf jede Klage, die in

Folge einer confessio in jure

angeſtellt wurde (§ 303 Note n).

2*

|0042 : 20|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die Beantwortung dieſer Fragen aber wird mit Erfolg

erſt unternommen werden können, wenn zuvor die Interro-

gatio in jure dargeſtellt ſeyn wird.

 

§. 305.

Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Geſtändniß. —

Interrogatio in jure.

Wenn ein Rechtsſtreit abhängig iſt von einer, die

Perſon des Beklagten betreffenden Präjudicialfrage, welches

neuere Schriftſteller die Paſſivlegitimation nennen, ſo ſoll

ſowohl der Kläger, als der Richter befugt ſeyn, eine ſolche

Frage dem Beklagten vorzulegen, welcher dann verbunden

iſt, zu antworten; dieſe Verbindlichkeit iſt hier eigenthümlich.

Durch den Inhalt der Antwort wird der Beklagte verpflichtet,

und darin liegt die Aehnlichkeit dieſes Inſtituts mit der

confessio in jure. Die Verſchiedenheit beider Prozeßhand-

lungen aber liegt darin, daß die confessio den eigentlichen

Gegenſtand des Rechtsſtreits, den Anſpruch des Klägers,

betrifft, und daher das Urtheil entbehrlich machen kann

(§ 303), anſtatt daß die interrogatio nur eine vorläufige

Frage, nicht den Streitgegenſtand ſelbſt betrifft, und daher

niemals für ein Surrogat des Urtheils gelten kann.

 

Außer dieſem beſonderen Fall konnte aber auch jede

andere Frage von einer Partei ihrem Gegner vor dem

Prätor vorgelegt werden, und wenn ſich der Gegner durch

eine beſtimmte Antwort darauf freiwillig einließ, ſo war

er durch eine ſolche in jure confessio nach den oben auf-

 

|0043 : 21|

§. 305. Surrogate. I. Geſtändniß. Interrogatio.

geſtellten Grundſätzen gebunden, wobei dann die vorher-

gehende interrogatio nur als die zufällige Veranlaſſung der

confessio zu betrachten war, und gar nicht ſelbſtſtändig

zur Form der Handlung gehörte (a). — Hierauf beruhte

unter andern auch die uralte Form der in jure cessio als

Uebertragung des Eigenthums durch freien Willen des

bisherigen Eigenthümers. Der neue Eigenthümer vindicirte

die Sache zum Schein; der Prätor fragte den Veräußernden,

ob er das Eigenthum des Klägers anerkenne, und wenn

der Befragte es anerkannte oder nur ſchwieg, ſo erfolgte

die Addiction des Prätors, die das Eigenthum übertrug (b).

An ſich ließ ſich dieſes Verfahren denken ſowohl vor

dem Prätor, als vor dem Judex. Urſprünglich kam es

nur vor dem Prätor vor, war alſo eine interrogatio in

jure (c), nicht in judicio, weil es dort allein auf die Ab-

faſſung der Klagformel Einfluß haben konnte, wozu es

urſprünglich beſtimmt war. Wir finden die Anwendung

deſſelben ausdrücklich erwähnt in folgenden Fällen, worin

dem Kläger eine Antwort des Beklagten auf die hier ange-

gebenen Fragen von Wichtigkeit ſeyn konnte:

 

(a) Ein ſolcher Fall von der

Frage eines Beklagten an den

Kläger kommt vor in L. 29 § 1

de don. (39. 5), ſ. o. § 303 r.

Die daſelbſt abwechſelnd gebrauchten

Ausdrücke: interrogatus, re-

spondit, confessus, confessio,

find daher gar nicht als ungenauer

Sprachgebrauch anzuſehen. Im

ganzen Titel de interrogationibus

iſt abwechſelnd von respondere

und confiteri die Rede.

(b) Gajus II § 24.

(c) Dieſer Name findet ſich

in der Ueberſchrift des Titels,

ferner in L. 1 pr. L. 4 § 1 de

interr. (11. 1).

|0044 : 22|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

1. Ob der Beklagte Erbe eines verſtorbenen Schuldners

des Klägers ſey (d);

2. Zu welchem Antheil er Erbe ſey (e);

3. Ob er, im Fall einer noxalis actio, Eigenthümer des

verletzenden Sklaven ſey: eben ſo, bei der actio si

quadrupes, Eigenthümer des ſchädlichen Thieres (f);

4. Ob, im Fall einer actio de peculio, ein peculium des

Sohnes oder Sklaven vorhanden ſey (g);

5. Ob, im Fall einer cautio damni infecti, der Beklagte

Eigenthümer des Gefahr drohenden Hauſes ſey (h);

6. Im Fall einer Eigenthumsklage, zu welchem Theil der

Sache der Beklagte den Beſitz habe (i);

7. Wie alt der Beklagte ſey (k); nämlich ob der Beklagte

unmündig, imgleichen ob er minderjährig ſey, weil er

im erſten Fall einen Tutor als Auctor, im zweiten

einen Curator als Beiſtand haben mußte, wenn der

Rechtsſtreit gültig geführt werden ſollte (l).

(d) L. 2. 3. 5. 9 § 7 de

interr. (11. 1)

(e) L. 1 pr. 4 pr. 5 eod.

(f) L. 5. 8. 7 eod.

(g) L. 9 § 8 eod.

(h) L. 10 L. 2 § 2 eod.

(i) L. 20 §. 1 eod. — Ueber

das Eigenthum des Beklagten ſollte

der Kläger nicht fragen, weil

Dieſes mit ſeinem eigenen Recht

zuſammenhing, das er kennen

mußte. L. 73 pr. de R. V. (6. 1).

(k) L. 11 pr. de interr. (11. 1).

(l) Nicht eigentlich zu dieſem

Rechtsinſtitut gehört die Frage,

die ein Ehemann ſeiner geſchie-

denen Frau vor dem Prätor vor-

legen durfte, ob ſie ſchwanger ſey;

die Frau wurde durch Pfändung

oder Geldſtrafe zur Antwort ge-

zwungen, aber es knüpfte ſich an

dieſe Frage keine Klage, wovon

allein bei unſerm Inſtitut die Rede

iſt. L. 1 § 2. 3 de insp. ventre

(25. 4).

|0045 : 23|

§. 305. Surrogate. I. Geſtändniß. Interrogatio.

Alle dieſe Fragen konnten bequem und zweckmäßig ge-

funden werden, um dem Kläger die Mühe und Koſten

eines unnützen Rechtsſtreites, oder die unrichtige Führung

deſſelben zu erſparen. In einem jener Fälle (Num. 2)

konnte die Frage ſogar nothwendig ſeyn, um den Verluſt

eines Rechts von ihm abzuwenden: Wenn nämlich der

Kläger eine certi condictio gegen einen der Erben ſeines

urſprünglichen Schuldners anſtellen wollte, und über die

Größe des Erbtheils ſeines Beklagten ungewiß war. Denn

wenn er einen größeren Theil der Schuld einklagte, als den

welcher dem Erbtheil entſprach, ſo verlor er nach den

Regeln des alten Prozeſſes den ganzen Anſpruch an dieſen

Erben (m).

 

Auf die ertheilte Antwort gründete ſich nun eine inter-

rogatoria actio (n), das heißt, es wurde in die ohnehin

beabſichtigte Klagformel der Inhalt der Antwort als unab-

änderlich feſtſtehend mit aufgenommen. Folgendes Beiſpiel

wird Dieſes anſchaulich machen. Wenn Jemand aus einer

Stipulation Hundert zu fordern hatte, der Schuldner ſtarb,

einer der Erben widerſprach der Schuld, antwortete aber

auf die vorgelegte Frage, er ſey Erbe zur Hälfte des Ver-

mögens, ſo mag wohl die Formel in folgender Weiſe

gefaßt worden ſeyn:

Quod N. Negidius interrogatus respondit, se esse

 

 

(m) L. 1 pr. de interr. (11. 1).

(n) Dieſer Name findet ſich in der Ueberſchrift des Titels, ferner

in L. 1 § 1 und L. 22 eod.

|0046 : 24|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Seji heredem ex semisse, si paret, Sejum Aulo Agerio

centum dare oportere, N. Negidium in quinquaginta

condemna.

Die verſchiedene Art, in welcher der Beklagte durch ſein

Benehmen verpflichtet werden konnte, wird ſogleich genauer

angegeben werden.

 

Zuvor aber muß die Veränderung erwähnt werden,

die in dieſem Verfahren ſchon zur Zeit der alten Juriſten

eingetreten iſt. Darüber ſagt Calliſtratus wörtlich Fol-

gendes (o): „Nach dem gegenwärtigen Gerichtsgebrauch

wird kein Beklagter mehr gezwungen, ſchon vor dem Prätor

in eine ſolche Vorverhandlung über vorgelegte Fragen ſich

einzulaſſen; vielmehr wird dieſer Theil des Verfahrens, ſo

wie jede andere Beweisführung über Thatſachen, dem Judex

überlaſſen. Daher ſind denn auch die interrogatoriae

actiones faſt ganz außer Gebrauch gekommen (p).“

 

(o) L. 1 § 1 eod.

(p) L. cit. „Interrogatoriis

autem actionibus hodie non

utimur … minus frequentan-

tur et in desuetudinem abierunt.“

Es iſt oben erwähnt worden, daß

das alte Verfahren meiſt nur zur

Bequemlichkeit diente, und dieſe

konnte auch vor dem Judex hin-

länglich verſorgt werden. In

Einem (vergleichungsweiſe gewiß

ſeltenen) Fall konnte daſſelbe noth-

wendig ſeyn zur Abwendung von

Gefahr (Note m), und in dieſem

einzigen Fall mögen ſie denn auch

noch angewendet worden ſeyn, ſo

lange der ordo judiciorum mit

ſeinen ſtrengen Formeln beſtand.

Auch ſagt ja der Juriſt nicht, daß

ſie durchaus verſchwunden ſeyen,

ſondern nur, daß ſie wenig mehr

vorkämen (minus frequentantur),

und dieſer unbeſtimmte Ausdruck

mag abſichtlich gebraucht ſeyn mit

Rückſicht auf jenen einzelnen Fall.

Es iſt wohl zu bemerken, daß die

Nothwendigkeit der int. act.

für dieſen Fall in derſelben Stelle,

und nur wenige Worte vorher,

bemerklich gemacht wird.

|0047 : 25|

§. 305. Surrogate. I. Geſtändniß. Interrogatio.

Neuere Schriftſteller haben dieſe geſchichtliche Angabe

ſo anſtößig gefunden, daß ſie die künſtlichſten Mittel verſucht

haben, um die vermeintlichen Widerſprüche zu beſeitigen (q).

Sie haben die Erzählung des Calliſtratus ſo aufgefaßt,

als ſey das ganze poſitive Rechtsinſtitut der Interrogationen

außer Gebrauch gekommen; damit ſchien ihnen der Umſtand

im Widerſpruch zu ſtehen, daß die genau beſtimmten Regeln

deſſelben (welche ſogleich angegeben werden ſollen) in den

Digeſten als geltendes Recht dargeſtellt werden. Dieſe

Schwierigkeit ſollte auf zweierlei Weiſe gelöſt werden.

 

Einige ſagten, die ganze Erzählung von dem verän-

derten Recht beruhe auf Interpolationen von Tribonian;

früher habe ſich gar Nichts geändert. — Allein eine ſolche

Interpolation wäre eben ſo unnütz, als zweckwidrig geweſen.

Unnütz, weil zur Zeit von Juſtinian durchaus keine Ge-

fahr war, daß Jemand zwiſchen Prätor und Judex fehl

greifen möchte. Zweckwidrig, weil aus dem ganzen Titel

der Digeſten deutlich erhellt, daß die alten praktiſchen Re-

geln über die Interrogationen fortbeſtehen ſollten.

 

Andere haben folgende Behauptung aufgeſtellt. In der

alten Zeit, ſagen ſie, waren außergerichtliche Interro-

gationen üblich, und mit dieſen wurden die größten Unge-

rechtigkeiten und Bedrückungen verübt. Dieſe ſind es,

welche nach der Erzählung des Calliſtratus außer Ge-

brauch geſetzt wurden. — Dieſe ganze Geſchichte von den

 

(q) Vgl. Glück B. 11 S. 247—249. 255. 293. Zimmern

Rechtsgeſch. B. 3 S. 379. Puchta Inſtitutionen B. 2. S. 192.

|0048 : 26|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

bedrückenden außergerichtlichen Interrogationen iſt völlig

leer, und nur dazu erſonnen, um die hier erwähnte (gar

nicht vorhandene) Schwierigkeit zu beſeitigen. Sie beruht

eigentlich nur auf dem augenſcheinlichen Mißverſtändniß

von zwei Worten des Calliſtratus (r).

Die ganze Schwierigkeit verſchwindet durch folgende

Auffaſſung der eingetretenen Veränderung. Die alten In-

terrogationen mit ihren ſehr poſitiv beſtimmten Wirkungen

wurden gar nicht verändert; ſie ſollten nur nicht mehr vor

dem Prätor vorkommen, ſondern vor dem Judex, alſo auch

keinen Einfluß mehr haben auf die Abfaſſung der formula.

Daher waren es die interrogatoriae actiones, die außer

Gebrauch kamen, nicht die Interrogationen mit ihren Folgen,

die unverändert blieben. So erzählt die Sache faſt wörtlich

Calliſtratus, und ſeine Erzählung wird völlig beſtätigt

durch eine Stelle des Ulpian (s).

 

Faßt man die Sache ſo auf, ſo muß man ſich über-

zeugen, daß Tribonian Nichts mehr zu ändern vorfand,

weil ſchon zur Zeit des ordo judiciorum Alles in die Lage

gebracht worden war, in welcher es auch nun bleiben

 

(r) L. 1 § 1 cit. „Interroga-

toriis autem actionibus hodie

non utimur, quia nemo cogitur

ante judicium de suo jure ali-

quid respondere.“ Die Worte

ante judicium erklärte man durch

außergerichtlich, da ſie doch

ſo viel heißen, als: in jure,

coram Praetore.

(s) L. 21 eod. „Ubicunque

judicem aequitas moverit, ae-

que oportere fieri interroga-

tionem, dubium non est.“

|0049 : 27|

§. 305. Surrogate. I. Geſtändniß. Interrogatio.

konnte. Wir haben daher keine Urſache, auch nur in den

Worten der alten Juriſten irgend eine erhebliche Interpola-

tion vorauszuſetzen (t).

Es bleibt nun noch übrig, die praktiſchen Regeln anzu-

geben, die urſprünglich für die interrogatio in jure ein-

treten ſollten, dann aber, und zwar ſchon zur Zeit der

alten Juriſten, auf die interrogatio in judicio übertragen

worden ſind.

 

Der Beklagte kann über jeden, ſeine perſönlichen Ver-

hältniſſe betreffenden Präjudicialpunkt ſowohl von der

Richterbehörde, als von dem Gegner, befragt werden, und

er iſt in beiden Fällen zur Antwort verpflichtet (u). Nun-

mehr können folgende Fälle eintreten.

 

A. Er antwortet. Dadurch wird der Gegner zunächſt

berechtigt, den Inhalt der Antwort als förmliche

Wahrheit (wie aus einem Urtheil) gegen ihn

geltend zu machen. Seine Antwort hat in dieſer

Hinſicht die Natur eines Quaſicontracts (v).

(t) Höchſtens iſt eine ſolche,

und zwar ſehr unſchuldige und

ungefährliche, anzunehmen in fol-

genden Worten des Ulpian (L. 4

pr. eod.) „Voluit Praetor ad-

stringere eum, qui convenitur,

ex sua in judicio respon-

sione“ .... Hier mag wohl

Ulpian geſchrieben haben: in

jure.

(u) L. 9 pr. § 1, L. 11 § 9

eod.

(v) L. 11 § 9 eod.

|0050 : 28|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

B. Er antwortet, und wird hinterher einer wiſſentlich

unwahren Anwort überführt.

C. Er verweigert die Antwort.

In beiden letzten Fällen iſt der Gegner befugt, gegen

ihn das Nachtheiligſte anzunehmen, das im vorliegenden

Falle denkbar iſt, und Dieſes gilt als Strafe ſeines unred-

lichen Benehmens (x). So z. B., wenn er des urſprüng-

lichen Schuldners Erbe zur Hälfte iſt, auf Befragen aber

nur ein Viertheil angiebt, ſo darf er als einziger Erbe be-

handelt, und für die ganze Schuld in Anſpruch genommen

werden.

 

Die Verpflichtung zur Antwort, alſo auch die Strafe

der Verweigerung, fällt jedoch weg, wenn der Beklagte

Gründe der Ungewißheit über den Gegenſtand der Frage

angeben kann, ſo z. B., wenn er befragt wird, ob er Erbe

ſey, und über dieſes Erbrecht in einem Rechtsſtreit befangen

iſt (y).

 

§. 306.

Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Geſtändniß. —

Widerruf.

Nachdem die Lehre von der confessio und von der

interrogatio, jede für ſich, dargeſtellt iſt, kann zur Beant-

wortung einer wichtigen praktiſchen Frage übergegangen

 

(x) L. 4 pr. L. 5 L. 11

§ 1. 2. 3. 4. 5. 9 L. 17 eod.,

L. 39 pr. de proc. (3. 3), L. 26

§ 5 de nox. act. (9. 4). —

Bethmann-Hollweg S. 281.

(y) L. 6 § 1 de interr.

(11. 1).

|0051 : 29|

§. 306. Surrogate. I. Geſtändniß. Widerruf.

werden, welche ſich auf beide Inſtitute, als verſchiedene

Zweige des gerichtlichen Geſtändniſſes, gemeinſchaftlich be-

zieht. Dies iſt die Frage, ob es dem Geſtändigen erlaubt

iſt, das Geſtändniß durch Widerruf zu entkräften, wenn

er es unternimmt, das Eingeſtandene als unwahr darzu-

thun, alſo einen darin enthaltenen Irrthum nachzuweiſen.

Dieſe Frage iſt bei unſern Schriftſtellern in hohem Grade

beſtritten, welches ſeinen Grund in den ſcheinbar ſehr wider-

ſprechenden Ausſprüchen der Römiſchen Juriſten hat.

Um in dieſer Unterſuchung einen feſten Boden zu ge-

winnen, iſt es nöthig, auf allgemeine, leitende Grundſätze

zurück zu gehen. Hier begegnen wir aber zwei äußerſten,

völlig entgegen geſetzten Anſichten. Nach der einen iſt das

gerichtliche Geſtändniß ein reines Beweismittel, ähnlich dem

außergerichtlichen (nur vielleicht dem Grade nach ſtärker),

ſo wie dem Zeugenbeweiſe. Nach dieſer Anſicht iſt es

folgerecht, einen einfachen Gegenbeweis als Entkräftung

zuzulaſſen. — Nach der zweiten Anſicht bildet jenes Ge-

ſtändniß förmliches Recht, ähnlich dem rechtskräftigen Ur-

theil. Von dieſem Standpunkt aus ſcheint jede Anfechtung,

jeder Widerruf verneint werden zu müſſen, auch wenn der

Geſtändige die Unwahrheit des Geſtändniſſes zu beweiſen

unternehmen wollte.

 

Zwiſchen dieſen äußerſten Anſichten liegt die Wahrheit

in der Mitte. Allerdings bildet das gerichtliche Geſtändniß

förmliches Recht, mit bindender Kraft für den Geſtändigen,

und iſt nicht ein bloßes Beweismittel, das heißt, ein Mittel

 

|0052 : 30|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

auf die Ueberzeugung des Richters einzuwirken. Dennoch

iſt eine Entkräftung deſſelben möglich, jedoch nur durch Re-

ſtitution von Seiten des Prätors, alſo durch dieſelbe Macht,

wodurch unter gewiſſen Bedingungen auch die Entkräftung

eines Urtheils möglich iſt. — Dieſe Sätze gelten ſowohl

für die confessio, als für die interrogatio. — Es giebt

aber ausgenommene Fälle, in welchen jede Anfechtung

gänzlich ausgeſchloſſen iſt. — Dieſe Sätze ſollen nun

einzeln entwickelt, und in den Quellen des Römiſchen

Rechts nachgewieſen werden.

1. Die confessio in jure (im Juſtinianiſchen Recht

in judicio) hat bindende Kraft für den Geſtändigen (§. 303.

304). Dieſelbe Kraft hat die interrogatio und responsio

in jure (ſchon zur Zeit der alten Juriſten in judicio);

dieſe wirkt in der Regel als Quaſicontract, ausnahmsweiſe

als Strafe. Die bindende Kraft überhaupt iſt alſo allen

Formen des gerichtlichen Geſtändniſſes gemeinſam.

 

Es kommt aber darauf an, die Natur dieſer bindenden

Kraft näher zu beſtimmen. Sie begründet eine feſte Be-

gränzung des Rechtsſtreits, und iſt daher als eine

das Urtheil vorbereitende und bedingende formelle Handlung

anzuſehen. Sie hat daher eine innere Verwandtſchaft mit

der Litisconteſtation, und bildet gleichſam eine durch den

ganzen Prozeß fortſchreitende, ergänzende Litisconteſtation.

Durch dieſes Geſtändniß wird alſo nicht ſowohl dieſe oder

jene Thatſache feſtgeſtellt, worüber der Richter ein freies

Urtheil zu bilden haben möchte, ſondern es wird durch

 

|0053 : 31|

§. 306. Surrogate. I. Geſtändniß. Widerruf.

daſſelbe dem Gebiet des Streitigen unter den Parteien,

worüber allein von dem Richter ein Urtheil erwartet wird,

Mehr oder Weniger entzogen, alſo jenes Gebiet enger

begränzt.

2. Beruht das Geſtändniß auf Irrthum, ſo kann der

Geſtändige von den Folgen deſſelben Befreiung erlangen.

Dieſe Befreiung wird ertheilt durch Reſtitution (alſo im

alten Prozeß nur durch den Prätor) (a).

 

Die Reſtitution wird hier aber nur unter folgenden Be-

dingungen ertheilt. — Der Irrthum muß ein factiſcher ſeyn,

kein Rechtsirrthum (b). — Er darf nicht auf grober Nach-

läſſigkeit beruhen (c). — Er muß als Irrthum bewieſen

werden, ſo daß der bloße Beweis des Gegentheils der ein-

geſtandenen Thatſachen nicht hinreicht (d). Dieſer wichtige,

in unſern Rechtsquellen ausdrücklich anerkannte Satz iſt die

nothwendige Folge davon, daß dem Geſtändniß ja auch ganz

andere Abſichten, als die Anerkennung der Wahrheit, zum

 

(a) L. 7 de confessis (42. 2)

L. 11 § 8 de interr. (11. 1).

Dieſe Reſtitution gehört unter die

zahlreichen Fälle, in welchen

überhaupt gegen Prozeßhand-

lungen Reſtitution wegen Irr-

thums ertheilt wird. S. o. B. 3.

S. 386. 387.

(b) L. 2 de confessis (42. 2),

C. 3 X. de confess. (2. 18), C. 2

de restit. in VI. (1. 21).

(c) L. 11 § 11 de interr.

(11. 1) „nisi culpa dolo proxi-

ma sit“.

(d) C. 3 X. de confessis

(2. 18) „si de hujusmodi po-

tuerit errore docere“. — Es

wird ſtets darauf ankommen, die

Entſtehung der irrigen Meinung

aus ſcheinbaren äußeren Thatſachen

nachzuweiſen. Beiſpiele eines ſolchen

Beweiſes finden ſich in L. 11 § 8

de interr. (11. 1).

|0054 : 32|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Grunde liegen können, unter andern die Abſicht, zu ſchenken

(§ 303). Ferner können nur durch dieſen Beweis die oben

aufgeſtellten Bedingungen feſtgeſtellt werden, daß nämlich

der Irrthum blos factiſch ſeyn und nicht auf grober Nach-

läſſigkeit beruhen muß.

Dieſe Grundſätze ſind gleichmäßig anzuwenden auf die

confessio und auf die interrogatio (Note a). Bei dieſer

letzten alſo wird durch die Reſtitution der Quaſicontract

(§ 305. v) entkräftet. Was aber die Strafverpflichtung

wegen wiſſentlicher Unwahrheit betrifft (§ 305. x), ſo iſt

ſelbſt der Begriff einer ſolchen Unwahrheit durch den Be-

weis des Irrthums ausgeſchloſſen (e).

 

Dabei iſt noch beſonders aufmerkſam zu machen auf die

innere Verwandtſchaft des Widerrufs eines irrigen Geſtänd-

niſſes mit der condictio indebiti. Hier, wie dort, muß der

Irrthum bewieſen werden, welcher ein factiſcher ſeyn und

nicht auf grober Nachläſſigkeit beruhen muß. Von dieſer

Verwandtſchaft wird ſogleich noch weiterer Gebrauch ge-

macht werden.

 

3. Die förmliche Reſtitution wird aber nicht in allen

Fällen erfordert.

 

Wenn der Geſtändige noch vor dem Prätor ſeine Er-

klärung zurück nehmen oder verbeſſern wollte, bevor dadurch

dem Gegner ein Schade entſtanden ſeyn konnte, ſo war

ihm Dieſes geſtattet, ohne daß es dazu eines Beweiſes und

einer Reſtitution bedurfte. Nach der Litisconteſtation, alſo

 

(e) L. 11 §. 3. 10. 11. de interr. (11. 1).

|0055 : 33|

§. 306. Surrogate. I. Geſtändniß. Widerruf.

vor dem Juder, war eine ſolche Veränderung nicht mehr

möglich, ohne auf den Prätor zurück zu gehen und Re-

ſtitution zu erlangen (f).

Wenn ferner das Eingeſtandene in Folge von Rechts-

regeln als unmöglich erkannt werden muß, ſo bedarf es

keiner Reſtitution, und auch ſchon der Römiſche Judex

mußte dieſem Geſtändniß jede Wirkung verfagen. Wenn

alſo eine Noxalklage angeſtellt wurde wegen der Handlung

eines Sklaven oder Sohnes gegen den vermeintlichen Herrn

oder Vater, welcher auf Befragen das Daſeyn der po-

testas einräumte, ſo war dieſes Geſtändniß allerdings hin-

reichend, um gerade ihn zum Schuldner zu machen, und

alſo die Schuld vom wahren Herrn oder Vater auf ihn

zu übertragen. Wenn aber hinterher bewieſen wurde,

daß der Thäter gar nicht Sklave oder Sohn, ſondern frei

und unabhängig war, oder daß der Geſtändige gar nicht

des Eigenthums (über einen Sklaven) fähig, oder ſeines

Alters wegen nicht der väterlichen Gewalt über den (viel-

leicht älteren) Thäter fähig war, ſo ſollte in allen dieſen

Fällen dem Geſtändniß alle Wirkung verſagt werden (g).

 

Dieſes iſt nun die einzige Beziehung, in welcher dem

Beweis der Unmöglichkeit, worauf Manche einen unver-

 

(f) L. 11 § 12 de interr.

(11. 1), „licere responsi poeni-

tere.“ L. 26 § 5 de nox. act.

(9. 4).

(g) L. 13. 14. 16 de interr.

(11. 1). In dieſem Sinn heißt

es in den angeführten Stellen:

„quia falsae confessiones natu-

ralibus convenire deberent“,

und: „si id, quod in confessio-

nem venit, et jus et naturam

recipere potest“.

VII. 3

|0056 : 34|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap IV. Verletzung.

hältnißmäßigen Werth legen, ein beſonderer Einfluß zuge-

ſtanden werden kann. Allerdings iſt jede unmögliche That-

ſache ſtets zugleich eine unwahre, und der Beweis der

Unwahrheit einer Thatſache iſt die Grundlage für den

Beweis des Irrthums über das früher abgegebene Ge-

ſtändniß der Wahrheit dieſer Thatſache. Aber der voll-

ſtändige Beweis dieſes Irrthums liegt darin nicht, weil

das Unmögliche, eben ſo gut, als das blos Unwahre, mit

Bewußtſeyn der Unwahrheit, folglich ohne Irrthum, einge-

ſtanden ſeyn kann. Daher iſt es unrichtig, wenn Manche

behaupten, der Beweis der Unmöglichkeit ſey ſtets hinreichend,

und mache den Beweis des Irrthums unnöthig. Wenn

alſo Jemand eine von ihm perſönlich begangene That ein-

geſteht, ſo iſt zum Widerruf nicht hinreichend, daß er das

Alibi beweiſt. Denn aus dem Alibi folgt allerdings, daß

er die That nicht begangen haben kann, alſo auch nicht

begangen hat; es folgt aber nicht, daß er im Irrthum war,

als er das Geſtändniß der That ablegte. Ja ſogar wird

gerade in dieſem Fall der Irrthum höchſt unwahrſcheinlich,

vielleicht nur unter den abentheuerlichſten Vorausſetzungen

möglich ſeyn.

§. 307.

Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Geſtändniß. —

Widerruf. (Fortſetzung.)

Die in dem vorhergehenden §. aufgeſtellten Grundſätze

leiden eine Ausnahme in den Fällen der Klagen, worin

 

|0057 : 35|

§. 307. Surrogate. I. Geſtändniß. Widerruf. (Fortſ.)

das böswillige Leugnen durch die Verurtheilung auf den

doppelten Werth beſtraft wird (ubi lis inficiando crescit in

duplum) (§ 304). In dieſen Fällen hat das Geſtändniß

die Natur eines Vergleichs, um der Gefahr der höheren

Verurtheilung zu entgehen. Daher gilt hier kein Widerruf

aus dem Grnnd des Irrthums, und keine Reſtitution, ſelbſt

wenn der Irrthum bewieſen werden könnte (a).

Hier zeigt ſich wieder die, ſchon oben erwähnte, Ver-

wandtſchaft zwiſchen dem Widerruf des Geſtändniſſes und

der condictio indebiti (§ 306). Denn auch die condictio

indebiti iſt in denſelben Fällen ausgeſchloſſen (b), indem

die Zahlung nicht als vermeintliche Erfüllung einer unzwei-

felhaften Forderung angeſehen werden ſoll, ſondern als eine

Vergleichsſumme zur Abwendung der Gefahr einer höheren

Verurtheilung.

 

Dieſe Ausnahme alſo mußte gelten bei der actio judi-

cati und depensi, ſo wie bei der Klage aus dem legatum

damnationis einer beſtimmten Geldſumme. Daß ſie dabei

von den alten Juriſten nicht erwähnt wird, erklärt ſich aus

der Natur dieſer Schulden als reiner Geldſchulden. Denn

bei dieſen wurde die ganze Sache vor dem Prätor zu Ende

gebracht ohne Juder (§ 304), ſo daß dabei kaum jemals

Zeit und Anlaß zu einem Widerruf des abgegebenen Ge-

 

(a) Dieſe Ausnahme hat keine Anwendung bei den Interrogationen,

ſondern nur bei der eigentlichen confessio in jure.

(b) § 7 J. de obl. quasi ex contr. (3. 27), L. 4 C. de cond

ind. (4. 5).

3*

|0058 : 36|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

ſtändniſſes geweſen ſeyn mag. Es bleiben alſo nur noch

zwei Klagen dieſer Art zu betrachten übrig, die actio

L. Aquiliae, und die Klage aus einem legatum damnationis

auf eine beſtimmte Sache außer baarem Gelde.

Wenn die actio L. Aquiliae wegen der Tödtung oder

Verwundung eines Sklaven angeſtellt wird, und der Be-

klagte die That als von ihm begangen eingeſteht, ſo wird

er dadurch unbedingt zum einfachen Schadenserſatz ver-

pflichtet, und hat keine Reſtitution zu hoffen, auch wenn

er ſich zum Beweiſe des Irrthums erbietet. Der entſchei-

dende Grund dieſer auffallenden Vorſchrift liegt in der ſo

eben bemerkten Vergleichsnatur eines ſolchen Geſtändniſſes,

indem er dadurch der Gefahr entgeht, außerdem vielleicht

zum doppelten Erſatz verurtheilt zu werden (§ 304. i).

Allein dieſe Gefahr und die damit verbundene unbedingte

Verpflichtung beſchränkt ſich auf die perſönliche Thäterſchaft

des Beklagten. Wenn alſo der Widerruf dahin gerichtet

iſt, daß der Sklave noch lebe, daß er ohne Wunden ſey,

ſo bezieht ſich darauf die Ausnahme nicht; vielmehr iſt hier,

wie bei anderen Klagen, die Reſtitution wegen eines Irr-

thums zuläſſig. — Allerdings kommt hier zu dem bereits

geltend gemachten, ſchon allein genügenden Grund noch ein

anderer hinzu, der ſelbſt ohne Beweis eines Irrthums hin-

reichen würde, die Klage völlig auszuſchließen. Denn wenn

der Sklave lebt und geſund iſt, ſo muß die Klage ohne

Erfolg bleiben, da es ganz an einem Schaden fehlt,

deſſen Abſchätzung allein der Verurtheilung einen Inhalt

 

|0059 : 37|

§. 307. Surrogate. I. Geſtändniß. Widerruf. (Fortſ.)

geben könnte (c). — Dagegen iſt hier die Unmöglichkeit

an und für ſich keinesweges das entſcheidende Moment.

Denn auch die Unmöglichkeit der Thäterſchaft könnte be-

hauptet werden im Fall des erwieſenen Alibi, und doch

würde hierin kein Grund liegen, die unbedingt verpflichtende

Kraft des Geſtändniſſes zu beſchränken.

Der zweite hierher gehörende Fall iſt der eines legatum

damnationis auf eine beſtimmte Sache außer baarem Geld.

Wenn der verklagte Erbe die Verpflichtung zu dieſem Legat

eingeſteht, ſo iſt er unbedingt verpflichtet, ſelbſt wenn er

beweiſen kann, daß die Sache nie exiſtirt hat, oder daß ſie

untergegangen iſt (d). In dieſen beiden Fällen iſt das

 

(c) L. 24 ad L. Aquil. (9. 2).

(d) L. 3 de confessis (42. 2)

„Julianus ait, confessum certum

se debere legatum, omnimodo

damnandum, etiamsi in rerum

natura non fuisset, etsi jam a

natura recessit, ita tamen, ut

in aestimationem ejus dam-

netur, quia confessus pro judi-

cato habetur“. — Dieſer Stelle

ſcheinen zwei andere nach ver-

ſchiedenen Richtungen hin zu wider-

ſprechen. L. 8 eod. „Non om-

nimodo confessus condemnari

debet rei nomine, quae an in

rerum natura esset incertum

sit“. Hier wird jedoch gar nicht

geſagt, daß von einem legatum

damnationis die Rede ſey; bei

jeder andern Klage aber iſt die

unbeſtimmte Verneinung ganz an

ihrem Platze. — L. 5 eod. „Qui

Stichum debere se confessus

est, sive mortuus jam Stichus

erat, sive post litis contesta-

tionem decesserit, condemnan-

dus est“. Nach der Ueberſchrift

der Stelle ſprach darin Ulpian

von einer Stipulationsſchuld. Aus

dieſem herausgeriſſenen Fragment

aber iſt gar Nichts zu entnehmen,

da gewiß noch irgend ein anderer

Grund der Obligation hinzuge-

dacht werden muß, beſonders in

dem Fall des Todes nach der L. C.,

in welchem Fall eine Verpflichtung

entſtanden ſeyn kann nur durch

Dolus, Culpa, oder Mora des Be-

klagten, ſ. o. B. 6 § 272. 273

Note l.

|0060 : 38|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Legat an ſich ungültig (e), folglich die eingeſtandene Ver-

pflichtung zum Legat unmöglich, woraus alſo folgt, daß

auch hierin die Unmöglichkeit des Eingeſtandenen (se debere

legatum) keinen Unterſchied macht. — In dieſem Fall nun

hat eben ſo, wie in dem vorhergehenden, das Geſtändniß

die Natur eines Vergleichs, indem der Geſtändige nur den

einfachen Werth des Legats leiſtet (f), alſo die Gefahr der

höheren Verurtheilung von ſich abwendet.

Die hier dargeſtellten Ausnahmen, in welchen das Ge-

ſtändniß unbedingt, ohne Reſtitution wegen Irrthums, ver-

pflichten ſoll, ſind für das heutige Recht ganz ohne An-

wendung. Denn es iſt unbezweifelt, daß das ganze Rechts-

inſtitut, welches mit dem Ausdruck: lis inficiando crescit

in duplum bezeichnet wird, als ein einzelnes, höchſt poſitives,

Stück der Römiſchen Ptrivatſtrafen, für unſer Recht ver-

ſchwunden iſt. Damit aber müſſen auch die erwähnten

Ausnahmen, als bloße Folgen jenes Inſtituts, nothwendig

wegfallen.

 

Ich habe es verſucht, die in dieſer Lehre ſcheinbar

widerſprechenden Stellen des Römiſchen Rechts zu ver-

einigen. Neuere Schriftſteller haben verſchiedene Wege ein-

geſchlagen, um zum Ziel einer ſolchen Vereinigung zu ge-

 

(e) L. 108 § 10. L. 36 § 3

de leg. 1 (30. un.), § 16 J. de

leg. (2. 20).

(f) L. 61 in f. ad L. Falc.

(35. 2), L. 71 § 3 de leg. 1

(30. un.).

|0061 : 39|

§. 308. Surrogate. I. Geſtändniß. Heutiges Recht.

langen. Iſt der hier verſuchte richtig, ſo bedarf es der

beſonderen Prüfung und Widerlegung jener fremden Ver-

ſuche nicht (g).

§. 308.

Surrogate des Urtheils. — I. Gerichtliches Geſtändniß. —

Heutiges Recht.

Zunächſt könnte man glauben, die ganze hier dargeſtellte

Lehre ſey ſchon deswegen unanwendbar, weil die confessio

in jure und die interrogatio in jure mit dem alten ordo

judiciorum verſchwunden ſeyn müßten. Allein der ordo

judiciorum war ſchon zu Juſtinian’s Zeit längſt ſpurlos

untergegangen, und doch wird in den Digeſten dieſe Lehre

noch als praktiſches Recht vorgetragen. Wir werden alſo

die Sache ganz im Sinn von Juſtinian vielmehr ſo auf-

zufaſſen haben, daß nach der Verſchmelzung von jus und

judicium die alten Rechtsinſtitute als confessio und interro-

gatio in judicio fortbeſtehen.

 

Damit hängt zuſammen die Frage, worüber namhafte

neuere Schriftſteller verſchiedener Meinung ſind, ob die ſo

 

(g) Am nächſten der Wahrheit

kommt wohl Bayer Vorträge

S. 305 — 310, nur daß er die Un-

möglichkeit dem Irrthum coordinirt,

alſo für einen Grund des Wider-

rufs gelten läßt auch ohne Beweis

des Irrthums. — Ebenſo legt

Bethmann-Hollweg S. 272.

273 einen zu großen Werth auf die

Unmöglichkeit an ſich, und ſtellt

dagegen den Irrthum in den Hin-

tergrund. — Weber S. 58 — 64

iſt ganz verworren. — Linde

§ 256 nimmt an, in der Regel ſey

kein Widerruf zuläſſig, beſchränkt

aber dieſe Regel durch eine große

Zahl unzuſammenhangender Aus-

nahmen.

|0062 : 40|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

eben dargeſtellten poſitiven Vorſchriften des Römiſchen Rechts

noch Geltung haben oder nicht (a). Ich nehme an, daß

die meiſten und wichtigſten Ausſprüche des Römiſchen Rechts

in dieſer Lehre gar nicht als poſitive Vorſchriften, ſondern

vielmehr als die natürliche Entwickelung dieſes Rechts-

inſtituts anzuſehen ſind, allerdings mit einigen, nicht erheb-

lichen, rein poſitiven Beimiſchungen, die für uns nicht

mehr anwendbar ſind.

Die richtige Behandlung dieſer Lehre iſt bis jetzt durch

Nichts ſo ſehr gehindert worden, als durch den Ausgangs-

punkt, den man dafür zu wählen pflegte. Als Gattungs-

begriff galt der eines Beweismittels, genannt Geſtändniß,

beſtehend in der eigenen Erklärung Deſſen, gegen welchen

damit ein Beweis geführt werden ſollte. Dieſer Gattungs-

begriff wurde zerlegt in zwei Arten, das gerichtliche und

das außergerichtliche Geſtändniß, je nachdem in oder

außer dem Gericht jene Erklärung abgegeben wird; dieſe

als untergeordnet angeſehene Verſchiedenheit konnte nicht

hindern, beide Begriffe ihrem Weſen nach als gleichartig

zu behandeln.

 

Ich gehe von einer völlig verſchiedenen Grundanſicht

aus, deren Hauptzüge ſchon oben (§ 306) angegeben

worden ſind. Beide Begriffe haben den Namen mit ein-

ander gemein, ſind aber in ihrem inneren Weſen verſchieden.

 

(a) Heffter S. 290. 291 bejaht dieſe Frage, Bethmann-

Hollweg S. 301 verneint dieſelbe.

|0063 : 41|

§. 308. Surrogate. I. Geſtänduiß. Heutiges Recht.

Die genauere Darſtellung dieſer Verſchiedenheit wird zu-

gleich den Weg bahnen zu der jetzt vorliegenden Frage, wie

ſich das heutige Recht zu den oben dargeſtellten Begriffen

und Regeln des Römiſchen Rechts verhält, und was von

dieſem letzten noch für uns brauchbar iſt.

Das gerichtliche Geſtändniß iſt die Erklärung,

welche eine ſtreitende Partei vor dem Richter des vorlie-

genden Rechtsſtreits über Gegenſtände dieſes Streites ab-

giebt. Das Weſen und die wichtige Wirkung deſſelben

beſteht in der Feſtſtellung der Gränzen zwiſchen dem ſtreitigen

und nicht ſtreitigen Theil der gegenſeitigen Behauptungen.

Da nun der Richter nur dazu berufen iſt, über den Streit

der Parteien zu entſcheiden, ſo wird durch jedes gerichtliche

Geſtändniß die Aufgabe des Richters ihrem Umfang nach

beſtimmt und begränzt. Dieſes Geſtändniß alſo iſt nicht (ſo

wie jedes wahre Beweismittel) ein Motiv für den Richter, ſo

oder anders zu ſprechen, ſondern eine Feſtſtellung von Ge-

genſtänden, worüber er ſich des eigenen Urtheils zu enthalten

hat, weil ſie nicht zu dem, unter den Parteien ſtreitigen

Gebiet von Behauptungen gehören. Das gerichtliche Ge-

ſtändniß begründet alſo formelle Wahrheit (§ 303).

 

Das gerichtliche Geſtändniß kann ohne Zweifel auf reine

Thatſachen gehen, weil die Feſtſtellung von Thatſachen

einen großen Theil (oft den größten) eines Rechtsſtreits

auszumachen pflegt. Genau zu reden, müßte man ſagen,

daß dadurch Thatſachen nicht ſowohl bewieſen, als dem

 

|0064 : 42|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Bedürfniß eines Beweiſes entzogen werden; einen prak-

tiſchen Werth hat dieſe Unterſcheidung nicht.

Das gerichtliche Geſtändniß kann aber auch auf Rechts-

verhältniſſe gehen, ja dieſes iſt das eigenthümlichſte Gebiet,

worin es wirkt.

 

Für jedes gerichtliche Geſtändniß iſt ein Widerruf

möglich, welcher zu einer richterlichen Reſtitution führen

kann. Dieſe muß aber begründet werden durch den Be-

weis eines Irrthums, welcher jedoch ein factiſcher Irr-

thum ſeyn muß, und nicht aus großer Nachläſſigkeit hervor-

gegangen ſeyn darf. Die Ueberzeugung des Richters von

dem Daſeyn eines Irrthums als Entſtehungsgrund des

Geſtändniſſes kann nur aus den Umſtänden hervorgehen,

welche die Entſtehung des Irrthums natürlich und wahr-

ſcheinlich erklären (§ 306 d.). Der bloße Beweis, daß das

Eingeſtandene unwahr, ſelbſt daß es unmöglich ſey, iſt

ohne Beweis eines Irrthums zur Reſtitution nicht hin-

reichend.

 

Dieſes ſind die Regeln des Römiſchen Rechts über das

gerichtliche Geſtändniß, welche oben ausführlich dargeſtellt

worden ſind. In ihnen liegt Nichts, das als rein poſitiv,

insbeſondere aus der eigenthümlichen Gerichtsverfaſſung der

Römer entſprungen, angeſehen werden könnte. Sie ent-

halten vielmehr eine reine Entwicklung dieſes Rechtsinſtituts,

hervorgegangen aus den wahren praktiſchen Bedürfniſſen

deſſelben. In den Grundſätzen unſers heutigen gemeinen

 

|0065 : 43|

§. 308. Surrogate. I. Geſtändniß. Heutiges Recht.

Prozeſſes liegt Richts, das einer vollſtändigen Anwendung

jener Regeln hinderlich ſeyn könnte

Dagegen ſind allerdings einige Stücke des Römiſchen

Rechts in dieſer Lehre, jedoch gerade die unbedeutendſten,

ſo beſchaffen, daß davon im heutigen Recht keine An-

wendung gemacht werden kann. Ueber dieſe Unanwendbar-

keit iſt auch unſere Praris niemals im Zweifel geweſen.

Ich will ſie hier in einzelnen Sätzen zuſammenſtellen.

 

1. Von einem Unterſchied zwiſchen confessio in jure

und interrogatio in jure kann nicht mehr die Rede ſeyn;

ſchon im Römiſchen Recht war kein praktiſcher Unterſchied,

und die Unterſcheidung in Formen und Ausdrücken hatte

eine blos geſchichtliche Bedeutung. Es iſt alſo ganz gleich-

gültig, ob ein gerichtliches Geſtändniß veranlaßt wird durch

eine Anfrage des Gegners (vielleicht auch durch ein prozeß-

leitendes Decret des Richters), oder nicht, ob es eine bloße

Präjudicialfrage betrifft, oder den Gegenſtand des Rechts-

ſtreites felbſt.

 

2. Die Strafen, welche das Römiſche Recht bei den In-

terrogationen auf die wiſſentliche Unwahrheit und auf die

verweigerte Antwort androht (§ 305), ſind unſerm heutigen

Prozeß gewiß fremd.

 

3. Eben ſo iſt demſelben völlig fremd die unbedingte,

jeder Reſtitution entzogene, Verpflichtung, die das gericht-

liche Geſtändniß ausnahmsweiſe mit ſich führen ſoll bei

der actio legis Aquiliae und bei der Klage aus einem

legatum damnationis (§ 307). Dieſe mußte verſchwinden

 

|0066 : 44|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

als bloße Folge der Verurtheilung in den doppelten Werth,

welche überhaupt nur ein Stück des ganzen Syſtems der

Privatſtrafen iſt, und mit dieſem Syſtem in unſer heutiges

Recht keinen Eingang gefunden hat. Insbeſondere bei dem

legatum damnationis iſt eine ſolche Ausnahme unanwendbar,

weil dieſe eigenthümliche Form der Legate nicht nur für uns

verſchwunden, ſondern ſelbſt ſchon von Juſtinian geſetz-

lich aufgehoben und mit allen übrigen Legaten verſchmolzen

worden iſt (b).

4. Das gerichtliche Geſtändniß iſt im heutigen Recht

niemals eigentliches Surrogat eines Urtheils, ſo daß das

Urtheil ſelbſt dadurch entbehrlich würde. Vielmehr muß

immer noch ein Urtheil geſprochen werden, deſſen Inhalt

jedoch mit dem Inhalt des Urtheils übereinſtimmen muß.

So war es von jeher ſchon im Römiſchen Recht in den

allermeiſten Fällen, nämlich nur mit Ausnahme des auf

eine beſtimmte Geldſchuld gerichteten Geſtändniſſes (§ 303);

ſeit der Aufhebung des ordo judiciorum allgemein (§ 304).

In dieſer Rückſicht alſo iſt kein Unterſchied zwiſchen dem

heutigen und dem Römiſchen Prozeß.

 

Außergerichtliches Geſtändniß heißt jede Er-

klärung einer ſtreitenden Partei, die über einen Gegenſtand

dieſes Rechtsſtreites nicht vor dem Richter deſſelben abge-

geben wird; wohin alſo nicht nur reine Privaterklärungen,

in Briefen und Geſprächen niedergelegt, gehören, ſondern

auch gerichtliche Erklärungen, die in einem anderen, als

 

(b) L. 1 C. communia de leg. (6. 43), § 2 J. de leg. (2. 20).

|0067 : 45|

§. 308. Surrogate. I. Geſtändniß. Heutiges Recht.

dem jetzt vorliegenden Rechtsſtreite vorkommen. Dieſes

Geſtändniß iſt ein reines Beweismittel, und kann einen

vollſtändigen Beweis bilden, weil Jeder gegen ſich ſelbſt

ein glaubwürdiges Zeugniß ablegen lann.

Als Beweismittel kann dieſes Geſtändniß eigentlich nur

auf reine Thatſachen gehen, nicht auf Rechtsverhältniſſe.

Da jedoch jedem Nechtsverhältniß Thatſachen zum Grunde

liegen, und da oft die Sache eine ſo einfache Natur hat,

daß nur die Thatſache ſtreitig ſeyn kann, ſo kann auch die

über ein Rechtsverhältniß abgegebene Erklärung nach Um-

ſtänden den vollen Beweis einer Thatſache bilden (§ 304).

So z. B. wenn Jemand in einem Briefe erklärt, daß er

einem Anderen Hundert aus einem Darlehen oder Hundert

aus einem Kaufvertrag ſchuldig ſey, ſo liegt darin die

unzweifelhafte Erklärung, daß er Hundert als Darlehen

empfangen, oder Hundert als Kaufgeld verſprochen

habe, welches reine Thatſachen ſind, die durch jenes

außergerichtliche Geſtändniß vollſtändig bewieſen werden.

 

Das außergerichtliche Geſtändniß kann widerrufen und

entkräftet werden dadurch, daß das Gegentheil der einge-

ſtandenen Thatſachen vollſtändig bewieſen wird. Einer

Reſtitution bedarf es dazu nicht, alſo kommt es auch nicht

auf den Beweis eines Irrthums, und auf die beſonderen

Eigenſchaften dieſes Irrthums an, eben weil jenes Ge-

ſtändniß keine verpflichtende Handlung iſt, ſondern ein

reines Beweismittel.

 

|0068 : 46|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Unſere Schriftſteller über den Prozeß haben dieſe

weſentlichen Unterſchiede beider Arten des Geſtändniſſes

großentheils verkannt, und daher die ganze Lehre vom Ge-

ſtändniß nicht auf befriedigende Weiſe behandelt (c).

 

Sehr merkwürdig iſt die Art, in welcher die Preußiſche

Prozeßgeſetzgebung dieſen Gegenſtand behandelt (d). Aller-

dings folgt ſie im Allgemeinen den herrſchenden Anſichten

der Schriftſteller des gemeinen Rechts, welche beide Arten

des Geſtändniſſes als reine Beweismittel und als Arten

deſſelben Gattungsbegriffs behandeln. Aber die Behandlung

im Einzelnen nähert ſich auf merkwürdige Weiſe der rich-

tigen Auffaſſung des Römiſchen Rechts.

 

Wenn der Beklagte den Anſpruch des Klägers voll-

ſtändig einräumt, ſo erfolgt kein Urtheil, ſondern ein bloßes

Agnitionsreſolut, welches jedoch wie ein Urtheil publicirt

wird, und zur Execution geeignet iſt. — Dieſes iſt im

Weſentlichen die ältere Römiſche Behandlung der confessio

in jure.

 

(c) Danz Prozeß § 292—299,

Martin § 128. Selbſt Beth-

mann-Hollweg, der die Lehre

im Ganzen ſehr richtig auffaßt,

ſcheint doch in dieſem Punkt nicht

ganz im Klaren zu ſeyn. S. 310

ſchreibt er zwar dem gerichtlichen

Geſtändniß förmliche Wahr-

heit zu, aber S. 311 geſtattet er

doch dagegen den Beweis des bloßen

Gegentheils der eingeſtandenen

Thatſache, ohne Anfechtung wegen

eines bewieſenen Irrthums.

(d) Allg. Gerichtsordnung I.

8 § 14 — 16, II. 10 § 27 bis

§ 82 und § 88 b.

|0069 : 47|

§. 308. Surrogate. I. Geſtändniß. Heutiges Recht.

Jedes Geſtändniß kann widerrufen werden, aber es iſt

nicht genug, das Gegentheil des Eingeſtandenen zu beweiſen,

ſondern es muß in allen Fällen der Irrthum nachgewieſen

werden, welches nur dadurch geſchehen kann, daß deſſen

Entſtehung aus wahrſcheinlichen Gründen dargethan wird.

Jedem Widerruf ſteht die Vermuthung der Wahrheit des

Eingeſtandenen entgegen, jedoch in verſchiedenen Graden,

das heißt, der Richter ſoll mit der Zulaſſung des Widerrufs

mehr oder weniger ſchwierig und ſtrenge ſeyn; am ſtrengſten

bei dem gerichtlichen Geſtändniß im gegenwärtigen Prozeß,

weniger bei dem, in einem anderen Prozeß abgegebenen

gerichtlichen Geſtändniß; am wenigſten bei dem außergericht-

lichen. — Durch dieſe Strenge, und die damit verbundene

Abſtufung, wird die grundſätzlich unrichtige Behandlung

der Sache großentheils wieder gut gemacht.

 

§. 309.

Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Einleitung.

Quellen:

 

Dig. XII. 2 (de jurejurando, sive voluntario, sive neces-

sario, sive judiciali).

Cod. IV. 1 (de rebus creditis et jurejurando).

Paulus II. 1.

Schriftſteller:

 

Malblanc doctrina de jurejurando Nor. 1781. 8 (enthält

viel praktiſches Material).

Zimmern Rechtsgeſchichte B. 3 § 127. 135. 150.

|0070 : 48|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Puchta Curſus der Inſtitutionen, Auflage 2. B. 2

§. 173. 174.

(Beide für die geſchichtliche Seite der Lehre.)

 

Der Eid beſteht in der Betheuerung der Wahrheit irgend

eines Ausſpruchs durch Beziehung auf einen Gegenſtand,

der von dem Schwörenden als ein hoher, heiliger angeſehen

wird (a). Dieſe Beziehung ſoll gegen Andere eine gewiſſe

Sicherheit geben für die Wahrheit des Ausſpruchs, das

heißt, für die Uebereinſtimmung deſſelben mit dem Bewußt-

ſeyn des Schwörenden, indem vorausgeſetzt wird, daß die

Ehrfurcht vor dem bezogenen Gegenſtand eine gleichzeitige

Abweichung von der Wahrheit hindern werde (b).

 

Das auf dieſe Weiſe verſicherte Bewußtſeyn kann

zweierlei Inhalt oder Richtung haben:

 

I. Richtung auf die Zukunft, wobei alſo der Eid

Sicherheit geben ſoll für den Willen und die künftige That.

Die Neueren nennen dieſen Eid, deſſen juriſtiſche Bedeutung

 

(a) Das R. R. läßt in der

Auswahl dieſer Gegenſtände die

größte Freiheit zu, z. B. per

salutem tuam, per caput tuum

vel filiorum, per genium prin-

cipis, auch ſelbſt propriae super-

stitionis, nur nicht improbatae

publice religionis; dieſer Eid iſt

verboten und hat gar nicht die

Wirkungen eines Eides. L. 5 pr.

§ 1. 3 de jur. (12. 2). — Für

Chriſten giebt es keinen anderen

Eid, als bei dem Namen Gottes,

obgleich dabei verſchiedene Aus-

drücke vorkommen können.

(b) Cicero de officiis III.

29. „Est enim jusjurandum

affirmatio religiosa. Quod

autem affirmate, quasi Deo

teste, promiseris, id tenendum

est“.

|0071 : 49|

§. 309. Surrogate. II. Eid. Einleitung.

nur eine obligatoriſche ſeyn kann, als Beſtärkung eines

Verſprechens, jusjurandum promissorium.

II. Richtung auf die Vergangenheit, wobei der Eid

Sicherheit geben ſoll für die Wahrheit des ausgeſprochenen

Denkens. Dieſer Eid wird von den Neueren assertorium

genannt. Seiner allgemeinen Natur nach geht derſelbe auf

reine Thatſachen, iſt alſo bloßes Beweismittel, und gehört

lediglich in die Prozeßlehre. So iſt es in der That mit

dem Zeugeneid, desgleichen mit dem Erfüllungseid und

Reinigungseid der Parteien.

 

Eine eigenthümliche Natur aber hat im Römiſchen Recht

der zugeſchobene Eid (jusjurandum delatum) ange-

nommen, welcher unter gewiſſen Umſtänden ſelbſtſtändiges

Mittel der Entſcheidung eines Rechtsſtreits, alſo Surrogat

eines Urtheils werden kann, und daher ganz eigentlich

hierher gehört.

 

Ueber die Anwendungen des promiſſoriſchen Eides ſoll hier,

damit es an einer vollſtändigen Anſchauung der ganzen

Lehre nicht fehle, eine kurze Ueberſicht gegeben werden. Die

Fälle dieſer Anwendung ſind ſo verſchiedenartig, daß das

Obligationenrecht keine Gelegenheit darbietet, ſie unter einem

gemeinſamen Geſichtspunkte zuſammen zu faſſen.

 

Es kommt dieſer Eid vor, ſowohl im öffentlichen Recht,

als im Privatrecht. Im öffentlichen Recht: der Eid der

Soldaten, der Beamten, des Vormundes.

 

VII. 4

|0072 : 50|

Buch II. Rechtsverhältnifſe. Kap. IV. Verletzung.

Im Privatrecht ſind die Anwendungen des Verſprechungs-

eides nicht von Erheblichkeit; folgende kommen im Römiſchen

Recht vor:

 

1. Die wichtigſte und eigenthümlichſte Anwendung

findet ſich bei den Dienſten freigelaſſener Sklaven, die der

Patron einklagen konnte, wenn ſie eidlich verſprochen

waren. Das Bedürfniß und der Nutzen dieſer Rechts-

form wäre klar, wenn der, noch im Sklavenſtand wegen

künftiger Dienſte geleiſtete Eid dieſe Kraft gehabt hätte,

weil der Sklave durch gewöhnliche Vertragsformen ſich

nicht klagbar verpflichten konnte. Aber gerade in dieſem

Fall ſollte auch ſelbſt der Eid keine Klage bewirken,

ſondern nur, wenn derſelbe nach der Freilaſſung geleiſtet

wurde; zu dieſer Zeit aber war auch die gewöhnliche Sti-

pulation zuläſſig und von gleicher Wirkung, ſo daß man

zwiſchen ihr und dem Eid die Wahl hatte. Der Gebrauch

dieſer beſonderen Form iſt wohl daraus zu erklären, daß

ein ſolcher Eid auch ſchon im Sklavenſtand üblich war,

und dann zwar keine Klage bewirkte, wohl aber die religiöſe

Verpflichtung mit ſich führte, denſelben Eid nach der Frei-

laſſung zu wiederholen, wodurch er dann klagbar wurde (c).

 

Daß das Recht aus dieſem Eid durch jede capitis

deminutio des Patrons unterging, iſt ſchon oben bemerkt

worden (d).

 

(c) L. 7 de op. libert. (38. 1),

L. 44 de lib. causa (40. 12).

(d) Gajus III. § 83, § 1. J.

de adqu. per adrog. (3. 10).

S. o. B. 2 S. 81.

|0073 : 51|

§. 309. Surrogate. II. Eid. Einleitung.

2. Die Beſtätigung eines Rechtsgeſchäfts durch den

Eid ſoll daſſelbe ſelbſt dann unanfechtbar machen, wenn es

außerdem hätte angefochten werden können.

 

Dieſer wichtige abſtracte Grundſatz iſt dem Römiſchen

Recht ſelbſt fremd. Nur die Reſtitution iſt überhaupt und

am meiſten in Beziehung auf die Minderjährigen, einem

ſehr freien Ermeſſen der richterlichen Obrigkeit unter-

worfen (e), und ſo findet ſich denn auch einmal ein kaiſer-

liches Reſcript, welches die von einem Minderjährigen bei

dem Kaiſer (wahrſcheinlich in der Appellationsinſtanz) nach-

geſuchte Reſtitution gegen eine Veräußerung unter andern

aus dem Grunde abſchlägt, weil der Vertrag durch Eid

beſtätigt ſey, die Anfechtung alſo einen Meineid in ſich

ſchließen würde (f). Allein dieſes Reſcript, welches offen-

bar mit Rückſicht auf alle Umſtände des einzelnen Falles

erlaſſen war, kann unmöglich als abſtracte Vorſchrift für

den Eid der Minderjährigen überhaupt angeſehen werden,

weder im Sinn ſeines Verfaſſers, noch im Sinn der Ju-

ſtinianiſchen Sammlung, in welche es aufgenommen wurde;

es ſollte hier blos zeigen, daß unter den Gründen der

Verweigerung einer Reſtitution auch ein geleiſteter Eid

vorkommen könne. Dennoch iſt jener Stelle im zwölften

Jahrhundert von einer Partei der Juriſten (im Widerſpruch

mit einer andern Partei) der erwähnte abſtracte Sinn bei-

gelegt worden, und der K. Friedrich I. hat dieſe falſche

 

(e) L. 3 de in int. rest. (4. 1),

L. 24 § 1. 5 de minor. (4. 4).

(f) L. 1 C. si adv. vend.

(2. 28).

4*

|0074 : 52|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Auslegung geſetzlich beſtätigt, welche ſeitdem als Beſtand-

theil des Römiſchen Rechts anerkannt worden iſt (g).

Päbſtliche Verordnungen haben dieſen Satz anerkannt und

näher ausgebildet (h).

3. Die Anfechtung eines beſchworenen Vergleichs oder

anderen Vertrags ſoll die Infamie zur Folge haben (i).

 

4. Wenn ein Zahlungsverſprechen per genium principis

eidlich beſtärkt, dann aber nicht erfüllt wird, ſo ſoll darauf

die Strafe körperlicher Züchtigung erfolgen (k).

 

5. Der Ausſpruch eines Schiedsrichters ſollte klagbar

wirken, wenn das Compromiß eidlich beſtärkt wäre (l).

Dieſe Beſtimmung iſt jedoch ſpäterhin wieder aufgehoben

worden (m).

 

6. Endlich kann die Leiſtung eines Eides einem Rechtsge-

ſchäft als Bedingung hinzugefügt werden, in welchem Fall

durch willkürliche Uebereinkunft der Eid, gleich jeder an-

deren Thatſache, zum Grund der Entſtehung oder auch der Auf-

hebung einer Verbindlichkeit gemacht werden kann (n). —

Nur bei Erbeinſetzungen und Legaten iſt eine ſolche Be-

dingung (die conditio jurisjurandi) beſonders unterſagt, und

da, wo ſie dennoch hinzugefügt wird, ſoll der letzte Wille

 

(g) Auth. Frid. Sacramenta

puberum C. si adv. vend. (2. 28).

Vgl. Savigny Rechtsgeſchichte

B. 4 S. 162.

(h) C. 28 X de jurej. (2. 24),

C. 2 de pactis in VI. (1. 18).

(i) L. 41 C. de transact.

(2. 4).

(k) L. 13 §. 6 de jurej.

(12. 2).

(l) L. 4. C. de recept. (2. 56).

(m) Nov. 82 C. 11, Auth.

Decernit. C. de recept. (2. 56).

(n) L. 19. § 6 de don. (39. 5),

L. 39 de jurej. (12. 2).

|0075 : 53|

§. 309. Surrogate. II. Eid. Einleitung.

als unbedingt behandelt, und die zu beſchwörende Handlung

in einen Modus verwandelt werden (o).

Der zugeſchobene Eid, von welchem allein nunmehr die

Rede ſeyn wird, beruht auf dem Grundſatz, daß Jeder,

der in einem zweifelhaften, ſtreitigen Rechtsverhältniſſe zu

einem Anderen ſteht, die Feſtſtellung deſſelben durch Eid

bewirken kann. Aus dem Eide entſteht dann ſtets formelle

Wahrheit, ſo wie aus dem gerichtlichen Geſtändniß (§ 303).

Unter gewiſſen Bedingungen kann daraus ſogar die ſelbſt-

ſtändige Entſcheidung eines Streites hervorgehen, in welchem

Fall ein richterliches Urtheil entbehrlich wird, und der Eid

ſelbſt als Surrogat des Urtheils erſcheint.

 

Wäre dieſer Grundſatz ſo gemeint, daß jede Partei

verlangen könnte, durch ihren eigenen Eid den Rechtsſtreit

zu entſcheiden, ſo wäre dieſes Inſtitut für die Rechtsſicher-

heit höchſt gefährlich; in vielen Fällen würde Alles von

dem Zufall abhangen, welcher von Beiden ſich zuerſt zum

Eide meldete. Es ſoll daher keine Partei befugt ſeyn, ſich

ſelbſt des Eides willkührlich zu bemächtigen (p). Jener

Grundſatz aber hat vielmehr die Bedeutung, daß Jeder

ſeinem Gegner den Eid zuſchieben kann, und daß der ſo

 

(o) S. o. B. 3 S. 185 — 190.

(p) L. 3 pr. de jurej. (12.2)

„.. nam si reus juravit, ne-

mine ei jusjurandum deferente,

Praetor id jusjurandum non

tuebitur, sibi enim juravit;

alioquin facillimus quisque ad

jusjurandum decurrens, nemine

sibi deferente jusjurandum,

oneribus actionum se liberabit“.

|0076 : 54|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

veranlaßte Eid die Kraft einer Entſcheidung des Streites

haben ſoll. Der Sinn dieſes Rechtsinſtituts beruht auf

der Vorausſetzung, daß eine Partei in die ſittlich-religiöſe

Geſinnung der Gegenpartei das Vertrauen ſetzt, dieſe werde

nicht ſchwören, wenn ſie nicht von ihrem Rechte, alſo von

der Wahrheit ihrer Behauptungen, überzeugt ſey. Der Eid

wird alſo meiſt zugeſchoben, nicht damit der Gegner ihn

leiſte, ſondern in der Erwartung und mit dem Wunſche,

daß er ihn nicht leiſten, vielmehr durch die Scheu vor dem

Meineide zum freiwilligen Nachgeben ſich bewegen laſſen

werde.

Dieſer Hergang nun läßt ſich denken innerhalb der

folgenden drei verſchiedenen Zuſtände.

 

1. Ehe noch ein Rechtsſtreit angefangen hat (außer-

gerichtlicher Eid).

2. In einem Rechtsſtreit, und zwar vor dem Prätor

(in jure).

3. In einem Rechtsſtreit, und zwar vor dem Juder

(in judicio).

In der Hauptſache, nämlich in der, aus dem Eide her-

vorgehenden, formellen Wahrheit, ſtehen dieſe drei Fälle nach

Römiſchem Recht einander gleich. Beide letzte Fälle aber

haben noch folgende Eigenthümlichkeiten.

 

Im zweiten und dritten Fall wird durch die bloße Zu-

ſchiebung für den Gegner eine gewiſſe Nothwendigkeit, ein

Zwang, herbeigeführt, wovon im erſten Fall nicht die

Rede iſt.

 

|0077 : 55|

§. 309. Surrogate. II. Eid. Einleitung.

Im zweiten Fall können zugleich noch beſondere und

ſtärkere Wirkungen eintreten.

 

Außer der wirklichen Ableiſtung des Eides aber kommen

noch folgende erhebliche Ereigniſſe in Betracht:

 

A. Der Erlaß des Eides (remissio), nachdem der Gegner

ihn angenommen hat, und zu ſchwören bereit ge-

weſen iſt.

B. Die Zurückſchiebung des Eides (relatio). Durch

dieſe wird daſſelbe Verhältniß, wie durch die ur-

ſprüngliche Zuſchiebung, mit allen ſeinen Folgen,

herbeigeführt, nur mit umgekehrter Stellung beider

Parteien.

Die hier überſichtlich aufgeſtellten Sätze ſollen nunmehr

einzeln entwickelt und aus unſeren Rechtsquellen nachge-

wieſen werden, wobei folgender Gang der Unterſuchung

engeſchlagen werden wird:

 

A. Römiſches Recht.

I. Zuſchiebung.

II. Ableiſtung.

III. Möglicher Inhalt des Eides.

IV. Form des Eides.

V. Erlaß.

VI. Gemeinſame Wirkungen.

VII. Beſondere Wirkungen, je nach der verſchiedenen

Lage des Streites.

B. Heutiges Recht.

|0078 : 56|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

§. 310.

Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Zuſchiebung,

Ableiſtung, Inhalt, Form, Erlaß des zugeſchobenen

Eides.

I. Zuſchiebung des Eides.

Nur durch dieſe völlig freie Handlung einer Partei

kann die Reihe von Wirkungen hervorgerufen werden, die

das Weſen dieſes Rechtsinſtituts ausmacht. Der einſeitige

Eid alſo, ohne vorhergehende Zuſchiebung, iſt völlig wir-

kungslos (§ 309. p).

 

Die Zuſchiebung iſt möglich in und außer einem Rechts-

ſtreit. Sie kann geſchehen ſowohl von dem Kläger (d. h. der

es ſchon iſt, oder künftig werden kann), als von dem Be-

klagten. Wenn Beide gleichzeitig damit auftreten, ſoll der

Kläger den Vorzug haben (a); dieſe Regel iſt aber ohne

praktiſche Wichtigkeit, weil ohnehin Jeder den zugeſchobenen

Eid zurückſchieben kann, welche Handlung mit der erſten

Zuſchiebung gleiche Wirkung hat (§ 312. c. g.).

 

Die in der Zuſchiebung liegende freie Handlung iſt

nicht ohne Gefahr, weil durch ſie die Entſcheidung der

Sache in die Macht des Gegners gelegt wird; ſie hat alſo

eine ähnliche Natur, wie eine Veräußerung (deteriorem

facit conditionem). Daher iſt dazu ein Unmündiger nicht

ohne ſeinen Vormund fähig (b); der Minderjährige iſt

 

(a) Paulus II. 1 §. 2.

(b) L. 17 § 1 de jurej. (12. 2).

|0079 : 57|

§. 310. Surrogate. II. Eid. Zuſchiebung. Ableiſtung ꝛc.

fähig, kann aber Reſtitution dagegen erhalten (c); der

erklärte Verſchwender iſt ganz unfähig (d). — Ein zahlungs-

unfähiger Schuldner kann dieſe Handlung nicht vornehmen

zum Nachtheil ſeiner Gläubiger (e). — Jeder Tutor oder

Curator der Partei iſt dazu fähig; ein Procurator nur,

wenn ſeine Vollmacht auf das ganze Vermögen, oder auf

dieſe Handlung beſonders, oder in rem suam gerichtet

iſt (f). — Der Sklave oder der Sohn der Partei iſt dazu

nur fähig, wenn der Streit auf ſein Peculium ſich bezieht,

und zugleich deſſen freie Verwaltung ihm anvertraut iſt (g).

II. Ableiſtung des Eides.

Dieſe freie Handlung kann keinen Nachtheil bringen,

nur Vortheil, und iſt daher einem Erwerbe zu vergleichen

(meliorem facit conditionem).

 

Daher iſt dazu Jeder fähig, ohne Rückſicht auf ſein

Alter, auch der Unmündige; denn der Gegner hat in die

mit dem unmündigen Alter verbundene Gefahr einge-

willigt (h).

 

(c) L. 9 § 4 eod. — L. 4

C. eod. (4. 1), die aus der ange-

führten Stelle der Digeſten erklärt

werden muß; pupillus ſoll alſo

hier ſo viel heißen als: quondam

pupillus.

(d) L. 35 §. 1 eod.

(e) L. 9 § 5 eod.

(f) L. 17 § 2. 3, L. 18. 19. 34

§ 1. L. 35 pr. eod., L. 7 C. eod.

(4. 1).

(g) L. 20. 21. 22 eod.

(h) L. 26 pr. L. 42 pr. eod. —

Scheinbar widerſpricht L. 34 § 2

eod. „pupillo non defertur

jusjurandum.“ Das heißt aber

nur ſo viel, daß der Unmündige

nicht ſo, wie jeder Andere, gezwun-

gen iſt, ſich auf den zugeſchobenen

Eid einzulaſſen.

|0080 : 58|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Der Procurator der Partei, ſo wie der Defenſor ohne

Auftrag, können den ihnen zugeſchobenen Eid ableiſten,

ſind aber nicht zur Einlaſſung genöthigt (i).

 

Wegen eines Rechtsſtreits, der das Peculium betrifft,

kann der Sklave oder Sohn ſchwören, auch wenn er keine

freie Verwaltung hat (k). Eben ſo kann deshalb der Vater

ſchwören, daß der Sohn Nichts ſchuldig ſey (l).

 

Wollen aber dieſe Perſonen nicht ſelbſt ſchwören, ſondern

den Eid zurück ſchieben, ſo treten dabei wieder dieſelben

Beſchränkungen ein, wie bei der erſten Zuſchiebung (m).

 

Die bloße Annahme des Eides übrigens, ohne wirkliche

Ableiſtung, giebt kein unwiderrufliches Recht auf die Ab-

leiſtung; vielmehr kann die Zuſchiebung willkürlich zurück-

genommen werden bis zum Urtheil (n).

 

Sehr beſtritten iſt die Frage, wer den Eid abzuleiſten

hat, wenn derſelbe einer juriſtiſchen Perſon zugeſchoben

wird, da dieſe nur ein fingirtes Daſeyn, und nicht die bei

dem Eide vorausgeſetzten geiſtigen Eigenſchaften eines den-

kenden und wollenden Menſchen hat. Keinen Zweifel kann

es haben, daß der Procurator einer juriſtiſchen Perſon,

wenn er ſich dazu entſchließt, den Eid gültig ableiſten kann

(Note i). Dieſes ſetzt aber voraus, daß der Gegner gerade

dieſem Procurator den Eid zuſchiebt, ihm alſo das Ver-

 

(i) L. 9 § 6. L. 42 § 2. L. 34

§ 3 eod.

(k) L. 23. 24. 25 eod.

(l) L. 26 § 1 eod.

(m) L. 24 eod.

(n) L. 11. 12 pr. C. eod.

(4. 1).

|0081 : 59|

§. 210. Surrogate. II. Eid. Zuſchiebung. Ableiſtung ꝛc.

trauen beweiſt, welches das Weſen des Eides ausmacht;

dazu wird jedoch häufig keine Veranlaſſung ſeyn, weil der

Procurator von den thatſächlichen Verhältniſſen oft keine

Kenntniß haben wird. Nach dem Römiſchen Recht ſind

eigentlich die Vorſteher der juriſtiſchen Perſon, als

Verwalter ihrer Rechte zu dem Eide berufen und befugt,

ſo daß es der Gegner zu erwägen hat, ob er dieſen

Perſonen ſo viel Zutrauen ſchenken will, um ihnen den

Eid zuzuſchieben. Nach der überwiegenden heutigen

Praxis iſt der Eid von einigen einzelnen Mitgliedern

der juriſtiſchen Perſon zu leiſten, und zwar nimmt man

am conſequenteſten an, daß dieſe Mitglieder durch die

freie Auswahl von Seiten des Gegners beſtimmt werden (o).

III. Der mögliche Inhalt des zugeſchobenen Eides

verdient eine beſonders genaue Betrachtung. Zuerſt iſt zu

bemerken, daß der Eid ſtets gerichtet wird auf das Gegen-

theil der von dem Zuſchiebenden aufgeſtellten Behauptung.

Wenn alſo bei einer Schuldklage der Kläger den Eid zu-

ſchiebt, ſo geht der Eid auf das Nichtdaſeyn der Schuld;

wenn der Beklagte zuſchiebt, auf das Daſeyn derſelben.

Dieſe Faſſung iſt die Folge davon, daß der Eid zugeſchoben

wird in der Erwartung und mit dem Wunſche, daß er

nicht abgeleiſtet werde (§ 309). Auf gleiche Weiſe wurden

im alten Prozeß die Exceptionen vom Beklagten ſo gefaßt,

daß ſie das Gegentheil ſeiner Behauptung ausdrückten (p).

 

Uebrigens konnte nach Römiſchem Recht der Eid ſowohl

 

(o) S. o. B. 2 S. 297.

(p) Gajus IV § 119.

|0082 : 60|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

auf ein Rechtsverhältniß, als auf eine Thatſache gerichtet

ſeyn.

a. Die Richtung auf ein Rechtsverhältniß wird

im Römiſchen Recht als der regelmäßige und gewöhnliche

Fall behandelt. Dabei liegt zum Grunde der Gedanke einer

vertragsmäßigen Anerkennung des Daſeyns oder Nicht-

daſeyns dieſes Verhältniſſes. Da demſelben aber jederzeit

Thatſachen zum Grunde liegen, ſo werden ſtets auch dieſe

durch den Eid mittelbar feſtgeſtellt; ja oft hat der Streit

eine ſo einfache Natur, daß beide Richtungen des Eides

völlig zuſammen fallen und nur in Worten verſchieden ſind.

 

Uebrigens kann der Eid vorkommen bei allen Arten von

Rechtsverhältniſſen und Klagen (q). Folgende Fälle werden

in unſeren Rechtsquellen namentlich angeführt:

 

Ueber das Daſeyn oder Nichtdaſeyn eines Eigenthums

oder Erbrechts (r).

Ueber das Daſeyn oder Nichtdaſeyn einer Schuld-

forderung (s).

Ueber die väterliche oder die Herren-Gewalt (t).

Ueber das Patronatsrecht (u).

Ueber Abſtammung und Ingenuität eines Menſchen (v).

b. Die Richtung auf eine bloße Thatſache wird bei

dem zugeſchobenen Eide ſeltener erwähnt, und kann nicht

 

(q) L. 3 § 1. L. 34 pr. de

jurej. (12. 2).

(r) L. 9 § 7. L. 11 pr. § 1.

eod.

(s) L. 3 pr. 7 pr. 9 pr. eod.

(t) L. 3 § 2 eod.

(u) L. 13 pr. L. 30 § 4 eod.

(v) L. 6 C. eod. (4. 1).

|0083 : 61|

§. 310. Surrogate. II. Eid. Zuſchiebung. Ableiſtung ꝛc.

als der eigentliche Zweck des Inſtituts nach Römiſchem

Recht angeſehen werden. Sie kommt in folgenden Fällen

vor, in welchen die Thatſache augenſcheinlich entſcheidend

iſt über das Daſeyn eines Rechtsverhältniſſes:

Der Beklagte habe einen Diebſtahl oder Raub nicht

begangen (w).

Verkauf einer Sache um beſtimmten Preis (x).

Abſchluß einer Societät (y).

Uebergabe einer Sache als Pfand oder als Braut-

gabe (z).

Schwangerſchaft oder Nichtſchwangerſchaft einer

Frau (aa).

Gehaltloſigkeit eines Peculium (bb).

Die Thatſache, daß bereits ein Eid über eine ſtreitige

Frage geſchworen ſey (cc).

Beide hier zuſammengeſtellte Fälle entſprechen ungefähr

dem Gegenſatz der formula in jus und in factum concepta,

doch nicht genau und vollſtändig, weil die Faſſung der

Klagformeln allgemein beſtimmt war, die der Eidesformeln

von der Willkühr der Partei abhing, die den Eid zu-

ſchob (dd).

 

IV. Ueber die Form des zugeſchobenen Eides iſt ſchon

 

(w) L. 13 § 2. L. 28 § 5 eod.

L. 11 § 1 rer. amot. (25. 2).

(x) L. 13 § 3 de jurej.

(12. 2).

(y) L. 13 § 4 eod.

(z) L. 13 § 5 eod.

(aa) L. 3 § 3 eod.

(bb) L. 26 § 1 eod.

(cc) L. 29 eod.

(dd) Puchta Inſtitutionen

B. 2 § 173. f

|0084 : 62|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

bemerkt worden, daß das Römiſche Recht die verſchiedenſten

und willkürlichſten Betheuerungsformeln zuließ (§ 309. a).

Weſentlich war nur die wörtliche Uebereinſtimmung des

abgeleiſteten Eides mit der in der Zuſchiebung ausgedrückten

Formel. Außerdem war der Eid wirkungslos, und mußte

in richtiger Form wiederholt werden (ee).

Ueber den Ort der Eidesleiſtung wird nur erwähnt,

daß der vor dem Prätor zugeſchobene Eid in der Regel

vor dem Tribunal geſchworen werden mußte; nur bei

Kranken und bei ſehr vornehmen Perſonen wurde die Aus-

nahme geſtattet, daß ſie den Eid in ihrer Wohnung vor

einem Abgeordneten leiſten durften (ff).

 

V. Der Erlaß des Eides (remissio) von Seiten des

Zuſchiebenden hat dieſelbe Wirkung, wie die wirkliche

Leiſtung (gg). Der Sinn derſelben iſt der, daß der Zu-

ſchiebende in der bloßen Bereitſchaft des Gegners eben ſo,

wie in dem wirklichen Eid, einen genügenden Ausdruck

gewiſſenhafter Ueberzeugung anerkennen will. Daher wird

vorausgeſetzt, daß der Gegner auch wirklich den Eid ſogleich

angenommen habe; hat er Dieſes Anfangs nicht gethan,

ſondern erſt ſpäter ſich dazu entſchloſſen, der Zuſchiebende

will aber nun nicht die Zuſchiebung wiederholen, ſo ſoll

dieſe Weigerung nicht als Erlaß angeſehen werden (hh).

 

(ee) L. 3 § 4 L. 4 L. 5 pr.

L. 33 eod. — Wenn die Abfaſſung

der Eidesformel zweifelhaft oder

ſtreitig war, ſo hatte die Richter-

behörde darüber zu entſcheiden.

L. 34 § 5. 8 eod.

(ff) L. 15 eod. Vgl. L. 12

§ 5 C. eod.

(gg) L. 6 L. 9 § 1 eod.

(hh) L. 6 L. 9 § 1 eod.

|0085 : 63|

§. 311. Surrogate. II. Eid. Gemeinſame Wirkungen.

Der Erlaß kann in Gegenwart oder Abweſenheit des

Gegners mündlich oder ſchriftlich erklärt werden, und iſt

immer gleich wirkſam, ſelbſt wenn der Gegner noch Nichts

davon erfahren hat (ii).

 

Der Erlaß hat, eben ſo, wie die Zuſchiebung, eine der

Veräußerung ähnliche Natur, und iſt daher an dieſelben

Bedingungen der Handlungsfähigkeit gebunden, wie die

Zuſchiebung ſelbſt (kk).

 

§. 311.

Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Gemeinſame

Wirkungen.

VI. Die Wirkungen des zugeſchobenen und wirklich

abgeleiſteten (a) oder erlaſſenen Eides ſind ſehr mannich-

faltiger Art, laſſen ſich aber auf die gemeinſame Grund-

lage zurückführen, daß der Eid förmliche Wahrheit,

d. h. Fiction der Wahrheit, bildet, in welcher Hinſicht

er ganz auf gleicher Linie ſteht mit dem gerichtlichen Ge-

ſtändniß (§ 303) und dem Urtheil (§ 280). Dieſe förmliche

Wahrheit iſt gleichmäßig anzuerkennen, es mag der Eid ge-

ſchworen ſeyn über ein Rechtsverhältniß oder über eine

Thatſache (§ 310). Die alten Juriſten drücken dieſelbe ſo

aus, daß ſie ſagen, nach geſchwornem Eid dürfe nichts

 

(ii) L. 41 eod.

(kk) L. 32 eod.

(a) Die Römer bezeichnen den

geleiſteten Eid durch die Ausdrücke:

praestitum oder datum jusju-

randum. L. 9 pr. § 1 de jurej.

(12. 2).

|0086 : 64|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Anderes mehr geprüft werden, als allein die Thatſache des

Eides ſelbſt, auf die vorhergehende Lage der Sache ſey

nicht mehr zurück zu gehen (b). Natürliche Folgen dieſes

Satzes ſind die, daß eine aus dem Eid etwa hervorgehende

neue Klage in factum actio genannt wird (c), daß über

die Thatſache des Eides ſelbſt, wenn ſie bezweifelt wird,

ein neuer Eid zugeſchoben werden kann (d), ſo wie, daß

unter mehreren einander widerſprechenden Eiden der letzte

allein Gültigkeit hat (e), weil durch ihn die ganze Ver-

gangenheit, alſo auch die Kraft des früheren Eides, ab-

ſorbirt iſt. — Der Eid hat daher eine die Rechtsverhält-

niſſe ſelbſt umbildende Kraft, und wird in dieſer Hinſicht

gleichgeſtellt bald mit der Zahlung, bald mit der Acceptila-

tion, der Novation und Delegation, dem Conſtitutum (f).

Die Wirkung aber beſchränkt ſich auf die Parteien,

unter welchen die Zuſchiebung und Ableiſtung vorgegangen

iſt, ſo daß fremde Perſonen dadurch weder Rechte erlangen,

noch verpflichtet werden (g). Mit den Parteien ſelbſt aber

 

(b) L. 5 § 2 eod. „non aliud

quaeritur quam an juratum

sit“. Eben ſo L. 9 § 1. L. 28

§ 10. L. 29. L. 30 pr. eod., §. 11

J. de act. (4. 6). Gerade hierin

ſtehen gleich: das Urtheil, das Ge-

ſtändniß, der Eid. L. 56 de re jud.

(42. 1).

(c) L. 11 § 1 de jur. (12. 2),

L. 8 C. eod. (4. 1).

(d) L. 29 eod.

(e) L. 28 § 10 eod.

(f) L. 21. L. 27. L. 28 § 1.

L. 35 § 1. eod. — L. 40 eod. —

L. 26 § 2 eod. — L. 25 § 1 de

pec. const. (13. 5).

(g) L. 3 § 3. L. 9 § 7. L. 10

L. 11 § 3. L. 12 de jur. (12. 2),

L. 7 § 7 de publ. (6. 2).

|0087 : 65|

§. 311. Surrogate. II. Eid. Gemeinſame Wirkungen.

ſtehen in dieſer Hinſicht ganz gleich die Rechtsnachfolger

derſelben: Erben, Singularſucceſſoren, Bürgen (h).

Zur genaueren Einſicht in dieſe Wirkung iſt es nöthig

zu erwägen, daß der Eid eine zuſammengeſetzte juriſtiſche

Natur hat, indem er zugleich als Vertrag anzuſehen iſt,

und als eine bindende Prozeßhandlung (i).

 

Der Eid beruht alſo erſtlich auf einem wahren Vertrag

und zwar auf einem Vergleich, indem beide Theile darüber

einig geworden ſind, daß ihr Streit auf dieſem Wege ent-

ſchieden werde (k). An dieſem Einverſtändniß iſt ſelbſt in

den Fällen nicht zu zweifeln, worin der Eid als ein noth-

wendiger bezeichnet wird. Denn wenn auch die Zuſchiebung

dem Gegner nicht erwünſcht war, und deshalb ein indirecter

Zwang gegen ihn angewendet wird, ſo hat er ſich doch

durch die wirkliche Ableiſtung darin gefügt, und dieſe iſt

unzweifelhaft als eine freie Handlung anzuſehen.

 

Zweitens aber hat der Eid zugleich die Natur einer

bindenden Prozeßhandlung (l), und zwar ſowohl einer

Litisconteſtation, als eines rechtskräftigen Urtheils.

 

(h) L. 7. 8. 9 § 7, 28 § 1—3,

42 pr. § 1—3 de jur. (12. 2). —

Der Eid in einer popularis actio

wirkt, gerade wie das Urtheil,

auf dritte Perſonen, inſofern nicht

eine Colluſion erwieſen werden

kann. L. 30 § 3 eod. — Wird in

Folge eines Eides eine Verurthei-

lung in einer entehrenden Klage

ausgeſprochen, ſo wird der Ver-

urtheilte ehrlos, auch allen fremden

Perſonen gegenüber. L. 9 §. 2

eod. Das iſt aber nicht die Folge

des Eides, ſondern des Urtheils.

(i) L. 26 § 2 eod. „… pro-

ficiscitur ex conventione, quam-

vis habeat et instar judicii“.

(k) L. 2. L. 26 § 2. L. 35

§ 1 eod. L. 21 de dolo (4. 3).

(l) L. 26 § 2 eod. (Note i).

L. 35 § 1. 2. L. 42 § 3 eod., L. 8

C. eod.

VII. 5

|0088 : 66|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Er hat die Natur einer Litisconteſtation (m), in einem

doppelten Sinn: er unterbricht die Klagverjährung gleich

der Litisconteſtation (n), und macht dieſelbe zuweilen ent-

behrlich, iſt alſo Surrogat derſelben, welches noch näher

erklärt werden wird.

 

Er wirkt aber auch in ähnlicher Weiſe wie ein rechts-

kräftiges Urtheil (o); ja es wird ſogar geſagt, daß er

größere Kraft habe, als dieſes (p). Das hat die Bedeutung,

daß die Rechtskraft ein rein poſitives, dem jus gentium

fremdes Inſtitut iſt, anſtatt daß der Eid, vermöge ſeiner

Vertragsnatur (Note k), dem jus gentium vollſtändig an-

gehört (q). Hieran knüpft ſich die Wirkung, daß durch

den gegen eine Obligation abgeleiſteten Eid auch ſelbſt der

naturale Beſtandtheil dieſer Obligation (nicht blos die Klag-

barkeit) zerſtört wird, ſo daß Pfänder frei werden, und

eine ſpätere Zahlung als Indebitum zurückgefordert werden

kann (r).

 

(m) „… hoc jusjurandum

in locum litis contestatae suc-

cedit“.

(n) L. 9 § 3 de jur. (12. 2),

nämlich nach dem älteren Recht,

in welchem die L. C. als regel-

mäßige Unterbrechung erfordert

wurde. S. o. B. 5. S. 316.

(o) L. 1 quarum rer. actio

(44. 5) „… vicem rei judica-

tae obtinet.“ Dieſes zeigt ſich

in der für beide gemeinſanten

förmlichen Wahrheit, und in der in

factum actio, ſ. o. Noten b. c.

Vgl. auch L. 11 § 3. L. 12 de

jur. (12. 2).

(p) L. 2 eod. „majoremque

habet auctoritatem, quam res

judicata.“

(q) § 4 J. de except. (4. 13)

„… quia iniquum est, de

perjurio quaeri, defenditur per

exceptionem jurisjurandi“. Der-

ſelbe Ausdruck ſteht in den vor-

hergehenden drei §§, fehlt aber in

dem folgenden (§ 5 eod.), der von

der exc. rei jud. handelt.

(r) L. 40. 42 pr. de jur.

(12. 2), L. 43 de cond. ind.

|0089 : 67|

§. 311. Surrogate. II. Eid. Gemeinſame Wirkungen.

Eine praktiſch noch wichtigere Folge die ſich daran

knüpft, beſteht darin, daß die Wirkung des Eides ſelbſt

durch die Behauptung des Meineides nicht ſoll entkräftet

werden können (s), und daß insbeſondere auf dieſe Be-

hauptung keine doli actio, exceptio, replicatio gegründet

werden darf (t). — Das neueſte Römiſche Recht geſtattet

von dieſer Regel nur die einzige Ausnahme, wenn der

Anſpruch auf ein Legat oder Fideicommiß durch den Eid

des Legatars begründet, nachher aber der Meineid nachge-

wieſen wird (u). Ein deutſches Reichsgeſetz dagegen ver-

ordnet, daß der vor dem Strafrichter erwieſene Eid ſtets

auch die Verpflichtung zum Schadenserſatz mit ſich führen

ſoll (v). — Die etwas auffallende Vorſchrift des Römiſchen

Rechts hat offenbar die Bedeutung, daß der Zuſchiebende

die Entſcheidung der Sache von des Gegners Eid, und

ſelbſt auf die Gefahr des Meineides hin (die ihm ja nicht

verborgen ſeyn konnte), abhängig machen wollte.

 

Zum Schutz der hier aufgeſtellten Wirkungen des Eides

werden alle Arten von Rechtsmitteln gegeben, die nach den

Umſtänden erforderlich ſeyn können.

 

(12. 6), L. 95 § 4 de solut.

(46. 3).

(s) L. 31 in f. de jur. (12. 2),

L. 1 C. eod., vgl. oben Note q.

(t) L. 21. 22 de dolo (4. 3),

L. 5 de except. (44. 1).

(u) L. 13 C. de jur. (4. 1).

Auf ſolche geſetzliche Ausnahmen

deutet in allgemeinen Worten L. 1

C. eod., welches jedoch eine Juſti-

nianiſche Interpolation zu ſeyn

ſcheint, da keine andere Ausnahme

dieſer Art vorkommt.

(v) Const. crim. Carol.

art. 107.

5*

|0090 : 68|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Iſt alſo eine Klage nöthig, ſo wird eine ſolche gege-

ben (w); Dieſes gilt namentlich auch von dem außergericht-

lichen Eide (x). Eben ſo wenn eine Exception erforderlich

iſt, nämlich wenn der Kläger die Thatſache eines vom Be-

klagten geleiſteten Eides beſtreitet, weil außerdem die Klage

ſogleich, und ohne Exception, abgeſchlagen wird (y).

 

Jede Wirkung des Eides aber, und jedes zum Schutz

derſelben anzuwendende Rechtsmittel, muß ſich genau an-

ſchließen an den beſonderen Inhalt des geſchworenen Eides,

und darf über dieſen Inhalt nicht hinausgehen. — Schwört

alſo Jemand, daß eine Sache oder eine Erbſchaft ihm

gehöre, ſo kann er darauf ſowohl eine Klage, als eine

Einrede gründen (z). — Schwört er, daß eine Sache

 

(w) L. 9 § 1. 6 de jur. (12.2),

und zwar eine actio in factum,

ſ. o. Note c.

(x) L. 28 § 10 eod.

(y) L. 3 pr. L. 7, L. 9 pr.

§ 1 eod.

(z) L. 9 § 7. L. 11 § 1. 3. eod.

Höchſt beſtritten iſt die Auslegung

der L. 13 § 1 eod. „Julianus ait,

eum, qui juravit fundum suum

esse, post l. t. praescriptionem

etiam, utilem actionem habe-

re“. Viele wollen damit beweiſen,

daß zur Zeit der alten Juriſten die

l. t. praescr. zugleich ein Klag-

recht gegeben habe. Sie nehmen

alſo an, der Schwörende und der

Beſitzer, der die l. t. praescriptio

erworben habe, ſeyen in dieſer

Stelle als eine und dieſelbe Perſon

gedacht, und dieſer Perſon werde

nun ein Klagrecht zugeſchrieben

für den Fall, daß ſie ſpäter den

Beſitz wieder verliere. Dieſe Er-

klärung aber iſt gewiß zu ver-

werfen. Denn wenn die l. t. praescr.

die Kraft hatte, ein Klagrecht zu

begründen (welches eben durch

dieſe Stelle bewieſen werden ſoll),

wozu bedurfte es dann noch da-

neben der Erwähnung des Eides?

Umgekehrt aber iſt es von dem

Eide für ſich allein unzweifelhaft,

daß er ein Klagrecht erzeugte

(Note w); wozu bedurfte es da-

neben noch der Erwähnung der

l. t. praescr.? — Die richtige

Erklärung der Stelle beruht viel-

mehr auf folgender Vorausſetzung.

Die Eigenthumsklage wird gegen

einen Beſitzer angeſtellt, der das

Eigenthum des Klägers verneint,

|0091 : 69|

§. 311. Surrogate. II. Eid. Gemeinſame Wirkungen.

dem Gegner nicht gehöre, ſo gewinnt er dadurch nur eine

Einrede (aa). Im Einzelnen treten dann dieſelben praktiſchen

Folgen ein, wie ſie den Klagen aus Eigenthum, Erbrecht,

Schuldforderungen u. ſ. w. angemeſſen ſind, wenn dieſe

Klagen, unabhängig von einem Eide, angeſtellt und be-

gründet werden (bb).

Die durch den Eid herbeigeführte Entſcheidung eines

Rechtsſtreites kann auch noch von Wichtigkeit ſeyn, wenn

nicht mehr von dieſem Rechtsſtreite ſelbſt, ſondern von

einem künftigen, mit jenem identiſchen oder verwandten, die

Rede iſt. Es iſt derſelbe Einfluß, von welchem ſchon oben

bei dem rechtskräftigen Urtheil ausführlich die Rede geweſen

iſt, und es gelten für den Eid hierin dieſelben Regeln,

welche dort entwickelt worden ſind (cc). — Auch bei dem

Eide kommt Alles darauf an, daß in beiden Sachen eadem

quaestio zum Grunde liege, wenn der in der früheren Sache

geleiſtete Eid auf die Entſcheidung der ſpäteren Einfluß

 

daneben aber Anſpruch auf eine

l. t. praescr. hat. Anſtatt dieſe

vorzuſchützen, und vor Allem den

Beweis des Eigenthums zu er-

warten, wählt er den anderen

Weg, daß er dem Kläger den Eid

zuſchiebt. Wenn nun der Kläger

den zugeſchobenen Eid ſchwört, ſo

ſoll er dadurch eine Klage mit

ſicherem Erfolg (utilem actionem)

haben, ungeachtet der Beklagte

eine l. t. praescr. hätte vorſchützen

können (post l. t. praescr. etiam).

Denn in der Eideszuſchiebung über

das Eigenthum (ohne Zuſatz und

Vorbehalt) liegt dann ein Verzicht

auf die l. t. pr., weil der Beklagte

durch dieſe Eideszuſchiebung die

vollſtändige Entſcheidung über die

ganze Streitſache in die Hand des

Klägers gelegt hat.

(aa) L. 11 pr. eod. L. 7 § 7

de publ. (6. 2).

(bb) L. 11 § 1. 2. 3. L. 30

§ 1. 2. 5 L. 36. L. 42 pr. § 1 de

jur. (12. 2).

(cc) S. o. B. 6 S. 414. 415

und § 297. d §. 299. e.

|0092 : 70|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

haben ſoll (dd). — Auch bei dem Eide, wie bei dem

Urtheil, ſind folgende Umſtände für den Einfluß auf den

ſpäteren Rechtsſtreit gleichgültig:

1. die Verſchiedenheit des äußeren Gegenſtandes (ee).

2. Die Verſchiedenheit der Klage (ff). Wer alſo, bei einer

angeſtellten furti actio, ſchwört, daß er nicht geſtohlen

habe, iſt dadurch auch gegen eine künftige condictio

furtiva geſichert, und umgekehrt.

3. Die Verſchiedenheit der Parteirollen, ſo daß der ge-

leiſtete Eid künftig eben ſowohl für den Schwörenden

bindend iſt, als für ſeinen Gegner (gg).

§. 312.

Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Beſondere

Wirkungen je nach der verſchiedenen Lage des Streites.

VIII. Beſondere Wirkungen.

Es iſt ſchon oben bemerkt worden, daß die Zuſchiebung

des Eides während drei verſchiedener Zuſtände des Streites

vorkommen kann: außergerichtlich, in jure, in judicio

(§ 309). Es iſt nun noch feſtzuſtellen, welche eigenthüm-

liche Wirkungen der Zuſchiebung in jedem dieſer drei Fälle

anzunehmen ſind. Voraus muß bemerkt werden, daß die,

im vorhergehenden Paragraphen angegebenen, gemeinſamen

Wirkungen von dieſer Verſchiedenheit unabhängig ſind.

 

(dd) L. 28 § 4. 7 eod.

(ee) L. 11 §. 3. 7 eod.

(ff) L. 28 § 4. 6—9. L. 13

§ 2. L. 30 § 4 eod.

(gg) L. 13 § 3. 5 eod.

|0093 : 71|

§. 312. Surrogate. II. Eid. Beſondere Wirkungen.

Jene Wirkungen beziehen ſich insgeſammt auf den Fall der

wirklichen Ableiſtung des zugeſchobenen Eides; darauf be-

ruht die förmliche Wahrheit; ferner die dem Eide zukom-

mende doppelte Eigenſchaft, als eines Vertrages, und als

einer entſcheidenden Prozeßhandlung, endlich der Schutz der

förmlichen Wahrheit durch jedes erforderliche Rechtsmittel,

Klage oder Einrede. Die nunmehr zu unterſuchenden Ver-

ſchiedenheiten beziehen ſich demnach beſonders auf die,

zwiſchen der Zuſchiebung und Ableiſtung in der Mitte lie-

genden Folgen.

1. Außergerichtliche Zuſchiebung.

 

Das Eigenthümliche dieſes Falles beſteht darin, daß

Alles in der freieſten Willkür des Gegners ſteht; will er

den Eid annehmen, will er ihn ausdrücklich verweigern,

oder mit Stillſchweigen übergehen, ſo ſteht Dieſes in ſeiner

Macht, und er hat weder unmittelbaren, noch indirecten

Zwang zu beſorgen (a). Auch fehlt es zu einem ſolchen

Zwang, wenigſtens für den Kläger, an jedem Bedürfniß,

da er in jedem Augenblick die Klage vor Gericht bringen

und dann durch den nothwendigen Eid unterſtützen kann.

 

Wird alſo der in dieſer Lage zugeſchobene Eid nicht

angenommen, ſo iſt es ſo gut, als wäre er gar nicht zu-

geſchoben worden (b). Von einem Zurückſchieben dieſes

 

(a) Von der einzigen Stelle,

die auf einen indirekten Zwang

bezogen werden könnte (L. 38 de

jur. 12. 2) wird unten gezeigt

werden, daß ſie nicht von der

außergerichtlichen Zuſchiebung zu

verſtehen iſt (§ 313. f).

(b) L. 5 § 4 eod.

|0094 : 72|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Eides kann gar nicht die Rede ſeyn (c); darin würde nur

der Verſuch einer umgekehrten Zuſchiebung liegen, welche

wiederum dem Gegner volle Freiheit laſſen würde, dieſen

zuletzt zugeſchobenen Eid anzunehmen oder zu verweigern.

2. Zuſchiebung vor dem Prätor (in jure).

 

Wenn in dieſer Lage des Streites der Kläger oder der

Beklagte den Eid zuſchiebt, ſo ſteht es nicht in der Will-

kür des Gegners, ob er ſich darauf einlaſſen will, viel-

mehr wird er dazu gezwungen (d). Dieſer Zwang aber

beſteht nicht etwa in einer Strafandrohung, ſondern in der

Wahl zwiſchen folgenden Entſchließungen. Er muß:

entweder nachgeben, alſo thun, was der Gegner ver-

langt,

oder ſchwören,

oder den Eid dem Gegner zurück ſchieben (referre).

 

Zu den beiden letzten Maßregeln giebt es keinen eigent-

lichen Zwang, wohl aber zu der erſten; darauf alſo wird

dann der wahre Zwang gerichtet (e), in verſchiedenen

Arten, die noch näher beſtimmt werden ſollen. Wenn alſo

 

(c) L. 17 pr. eod. „Jusju-

randum, quod ex conventione

extra judicium defertur, referri

non potest“. Die Zurückſchiebung

hat nur eine eigenthümliche Be-

deutung als ein Mittel, dem außer-

dem eintretenden Zwang eine an-

dere Wendung zu geben (Note g).

(d) L. 28 § 2 de jud. (5. 1)

„ … nec jurare cogendus est“,

als Ausnahme bei einem Legaten,

worin alſo der Gegenſatz liegt,

daß jeder Andere in der That ge-

zwungen wird.

(e) L. 34 §. 6 de jur. (12.

2) „Ait Praetor: eum, a quo

jusjurandum petetur, solvere

aut jurare cogam. Alterum ita-

que eligat reus, aut solvat aut

juret; si non jurat, solvere co-

gendus erit a Praetore.“

|0095 : 73|

§. 312. Surrogate. II. Eid. Beſondere Wirkungen.

der Gegner jede dieſer Maßregeln ausdrücklich verweigert,

oder (was daſſelbe iſt) blos ſchweigt, alſo jede Erklärung

unterläßt, ſo gilt Dieſes eben ſo, als wenn gegen ihn durch

den Eid des Zuſchiebenden die förmliche Wahrheit feſtgeſtellt

wäre, und er wird zum factiſchen Nachgeben unmittelbar

gezwungen (f).

Unter jenen drei Gegenſtänden freier Wahl iſt das Zu-

rückſchieben des Eides genannt worden. Dieſes hat ganz

dieſelbe Natur, wie die urſprüngliche Zuſchiebung, und es

tritt nun ganz das bisher beſchriebene Verfahren ein, nur

mit Umkehrung der Perſonen (g). Das Zurückſchieben

wird als die beſcheidenſte und anſtändigſte Maßregel be-

trachtet, als Aeußerung des Vertrauens in die Gewiſſen-

haftigkeit des Gegners (h). Es iſt nicht immer nöthig oder

angemeſſen, daß dieſer zweite Eid mit dem erſten wörtlich

übereinſtimme; darüber hat nach Umſtänden die Richter-

behörde zu entſcheiden (i).

 

Es ſind jedoch folgende Einſchränkungen des ſo eben

erörterten Zwanges zu bemerken. — Aus perſönlicher Ehr-

furcht braucht die Zuſchiebung in der Regel nicht unterlaſſen

zu werden, ſo daß ſie ſelbſt zuläſſig iſt gegen den Vater

und den Patron des Zuſchiebenden (k); in der Zuſchiebung

 

(f) L. 34 § 7. 9 eod. Von dem

letzten dieſer zwei §§ wird noch

weiter die Rede ſeyn (§ 313. d).

(g) L. 34 § 7 eod.

(h) L. 25 § 1 de pec. const,

(13. 5).

(i) L. 34 § 8 de jur. (12. 2).

(k) L. 14 eod. Mit der ein-

zigen Ausnahme, wenn in einer

actio rerum amotarum dem

Patron (als Kläger) der Eid zu-

geſchoben wurde. L 16 eod.

|0096 : 74|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

liegt ein Ausdruck des Vertrauens, alſo der Achtung. Nur

die Veſtalinnen und der Flamen Dialis ſollten nach altem

Recht von jedem Zwang dieſer Art frei ſeyn (l). — Un-

mündige in eigener Sache, Procuratoren und Defenſoren

in der Sache, die ſie vertreten, ſind nicht dem Zwange

unterworfen (§. 310. i). — Der, welchem der Eid zuge-

ſchoben wird, kann verlangen, daß zuvor der Gegner ſeine

redliche Abſicht (de calumnia) beſchwöre; weigert ſich dieſer,

ſo gilt die Weigerung gleich einem Erlaß des Eides, das

heißt, gleich dem abgeleiſteten Eide ſelbſt (m). Die Frage,

ob dieſer Eid vor Gefährde, als Bedingung des Zwanges,

auch im heutigen Recht als geltend anzuerkennen ſey, wird

von den neueren Schriftſtellern meiſt mit Stillſchweigen

übergangen. Ich glaube, ſie verneinen zu müſſen, theils

nach dem thatſächlichen Gerichtsgebrauch, theils nach dem

veränderten Standpunkt dieſes Rechtsinſtituts, indem es

weniger Gegenſtand der Privatwillkür iſt, mehr unter

richterlicher Aufſicht ſteht (n).

Eine wichtige Einſchränkung beſteht noch darin, daß

Niemand gezwungen werden kann, über Dasjenige zu ſchwö-

ren, wovon er vielleicht Nichts weiß, insbeſondere über

fremde Handlungen bei denen er nicht gegenwärtig war.

 

(l) Gellius X. 15. Vergl.

Zimmern § 127 Note 12.

(m) L. 34 § 4. L. 37 de jur.

(12. 2) Nur wer zurückſchiebt, kann

den Eid de calumnia nicht fordern,

da der Gegner durch die Zuſchie-

bung ſeine auf Wahrheit gerichtete

Abſicht hinlänglich bewieſen hat.

L. 34 § 7 eod.

(n) Vgl. Martin Prozeß

§. 226 Noten g. h.

|0097 : 75|

§. 312. Surrogate. II. Eid. Beſondere Wirkungen.

So z. B. braucht Keiner zu ſchwören, daß der Gegner ge-

ſtohlen habe (o); daß er nicht ſchuldig ſey, einen beſtimmten

Sklaven zu übergeben, wenn es ungewiß iſt, ob dieſer noch

lebt (p); daß ſein Erblaſſer einen Vertrag nicht geſchloſſen

habe (q). — Kann in ſolchen Fällen durch Zurückſchieben

billige Hülfe geleiſtet werden, ſo iſt Dieſes anzuwenden;

in anderen Fällen wird eine Friſt zur Erforſchung der

Wahrheit helfen können (r). Wo aber alle dieſe Mittel

nicht ausreichen, ſoll ohne Zweifel nach Römiſchem Recht

der Eid nicht angewendet werden, welches vielleicht nur

deswegen nicht erwähnt wird, weil bei den Römern der

Eid meiſt über Rechtsverhältniſſe zugeſchoben wurde, wobei

jene Schwierigkeit oft verhüllt bleibt. — Die Praris der

neueren Zeit hilft oft aus durch einen Eid über bloßes

Glauben (de credulitate), oder über Nichtwiſſen (de igno-

rantia). Der erſte iſt gewiß völlig verwerflich, da er nicht

irgend eine Ueberzeugung des Richters bewirken, wohl aber

die Partei zu einer leichtſinnigen Behandlung des Eides

verleiten kann. Der zweite iſt unbedenklich, wenn ſich der

Zuſchiebende damit begnügen will, daß durch das bloße

Nichtwiſſen des Gegners die Sache entſchieden werde, wenn

er alſo entweder die Zuſchiebung auf eine ſolche Eidesform

(o) L. 11 § 2. 3. L. 12. L. 13.

pr. rer. amot. (25. 2).

(p) L. 34 pr. de jur. (12. 2).

(q) Paulus II. 1. § 4.

(r) L. 34 pr. de jur. (12. 2).

|0098 : 76|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

richtet, oder die richterliche Verwandlung des zugeſchobenen

Eides in dieſe Form genehmigt (s).

Es iſt zuletzt noch anzugeben, durch welche Mittel

der Prätor den Zwang zur Ausführung bringt, deſſen Be-

dingungen bisher feſtgeſtellt worden ſind.

 

Der Eid kann geſchworen werden vom Kläger, oder vom

Beklagten, nachdem ihm der Eid vom Gegner zugeſchoben

oder zurückgeſchoben worden iſt. Es iſt aber dabei in Er-

innerung zu bringen, daß mit dieſer wirklichen Ableiſtung

gleiche Wirkung hat der Erlaß des Eides; ferner die Wei-

gerung des Gegners, ſich auf den zugeſchobenen oder zurück-

geſchobenen Eid einzulaſſen. Alle dieſe Fälle ſtehen völlig

auf gleicher Linie, und ſind ſtets mit darunter zu begreifen,

wenn jetzt die Folgen des geleiſteten Eides angegeben

werden ſollen.

 

Hat nun der Kläger den Eid geleiſtet, ſo wird der

Beklagte gezwungen, den Kläger klaglos zu ſtellen, d. h.,

deſſen Anſpruch zu befriedigen. Dieſes geſchieht jedoch, nach

Verſchiedenheit der Fälle, auf zweierlei Weiſe, ſo wie es

ſchon oben bei dem gerichtlichen Geſtändniß angegeben

worden iſt (§ 303).

 

Iſt die Klage eine certi condictio, alſo auf eine be-

ſtimmte Geldſumme gerichtet, ſo iſt mit dem Eide Alles zu

Ende, und der Prätor verfügt unmittelbar die Execution (t).

 

(s) Vgl. Bayer Vorleſungen

S. 391. Heffter Prozeß §. 229

N. 64. 65. Linde Prozeß §. 301.

N. 4, § 302 N. 16—18.

(t) L. 34. § 6 de jur. (12. 2)

„solvere cogendus erit a Prae-

tore.“ Die eigenthümliche Natur

des Eides im Fall der certi con-

|0099 : 77|

§. 312. Surrogate. II. Eid. Beſondere Wirkungen.

In dieſem Fall iſt der Eid ein wahres Surrogat des Ur-

theils, ein Judex und eine Litisconteſtation iſt unnöthig.

Bei allen anderen Klagen aber erfolgt nun ein ordent-

licher Prozeß vor dem Judex. Nur iſt es unrichtig, wenn

Manche ſagen, daß jetzt eine actio in factum de jurejurando

angeſtellt werde (u); es iſt vielmehr die bloße Fortſetzung

der bereits angeſtellten Klage, und auch dieſe tritt weniger

vollſtändig ein, als es ohne den Eid geſchehen wäre. Eine

eigentliche Litisconteſtation kommt nun nicht mehr vor, und

der Judex hat nicht mehr die Wahrheit des Anſpruchs, ſon-

dern nur noch den Geldwerth deſſelben feſtzuſtellen (§ 311 b).

Die formula mag jetzt etwa ſo gelautet haben:

Quod A. Agerius juravit, N. Negidium fundum Cor-

nelianum ipsi dare oportere, quanti is fundus est,

eum condemna

 

ſo daß die Intentio: si paret dare oportere weggelaſſen

wurde, weil dieſes Stück durch den Eid dem Prätor ſchon

bekannt und gewiß war, alſo nicht erſt durch den Judex

feſtgeſtellt zu werden brauchte. — Insbeſondere bei der

Erbrechtsklage, und ohne Zweifel auch bei allen anderen

arbiträren Klagen, hatte der Eid des Klägers die volle

Kraft einer pronuntiatio (v).

 

dictio zeigt ſich ſehr deutlich in

der Ueberſchrift des Titels im

Codex (IV. 1) „de rebus creditis

et jurejurando.“ Ganz dieſelbe

Ueberſchrift findet ſich auch bei

Paulus II. 1.

(u) Bayer Vorleſungen S.

401. 402.

(v) L. 11 § 3 de jur. (12. 2).

|0100 : 78|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Wenn dagegen der Beklagte den Eid geleiſtet hat, ſo

iſt damit Alles, ohne Unterſchied der Klagen, zu Ende.

Der Prätor weiſt durch ein Decret die Klage zurück, ohne

daß es dazu einer Exception und eines Judex bedarf (w).

Dieſes Decret wirkt völlig wie die rechtskräftige Freiſprechung

durch einen Judex (x).

 

§ 313.

Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Beſondere Wir-

kungen je nach der verſchiedenen Lage des Streites.

(Fortſetzung.)

3. Zuſchiebung vor dem Judex (in judicio).

 

Ich will damit anfangen, den Zuſtand der Sache dar-

zuſtellen, wie er im Juſtinianiſchen Recht, und ſchon ſeit

dem Untergang des ordo judiciorum, beſchaffen ſeyn mußte.

Da hier kein Unterſchied mehr war zwiſchen jus und ju-

dicium, praetor und judex, ſo mußten alle für die Ver-

handlung vor dem Prätor oben aufgeſtellten Regeln nun-

mehr auf die ganze Prozeßführung angewendet werden, ſo

daß der urtheilende Richter (der jetzt von der richterlichen

Obrigkeit nicht mehr verſchieden war) die Rechte auszuüben

hatte, die früher dem Prätor zugeſchrieben wurden. Die

vom Prätor früher ausgeſprochene Alternative: solvere aut

jurare cogam (§ 312. e), wurde alſo in Ausſprüchen dieſer

ſpäteren Zeit wörtlich auf den judex (den urtheilenden

 

(w) L. 7. L. 9 pr. L. 34 § 7

eod.

(x) S. o. B. 6 § 284. Noten

c. d.

|0101 : 79|

§. 313. Surrogate. II. Eid. Beſondere Wirkungen. (Fortſ.)

Richter) angewendet (a). Daß es ſo ſeyn mußte, wird

auch von unſeren Schriftſtellern nicht bezweifelt, und über

den Zuſtand der Sache im Juſtinianiſchen Recht, ſo wie

über den Sinn, in welchem wir die Juſtinianiſchen Rechts-

quellen jetzt aufzufaſſen haben, iſt daher kein Streit. Es

fragt ſich nur, wie es ſich verhielt zur Zeit des beſtehenden

ordo judiciorum. Hierüber iſt die herrſchende Meinung

der Neueren, der alte Judex habe bei einem vor ihm zu-

geſchobenen Eide gar keinen ähnlichen zwingenden Einfluß,

wie der Prätor, gehabt, und alle älteren Stellen, die ihn

hierin dem Prätor gleich ſtellen, ſeyen im Sinn der oben

dargeſtellten Veränderung interpolirt (b). Ich glaube, daß

ſie hierin zu weit gehen, und daß, wenn auch einige Inter-

polationen vorgenommen ſeyn mögen (welches ich dahin

geſtellt laſſe), dennoch in der Sache ſelbſt von jeher kein

weſentlicher Unterſchied zu finden war. Ich will mit der

Prüfung der einzelnen Stellen aus der älteren Zeit an-

fangen.

Die wichtigſte dieſer Stellen rührt her von Ulpian (c).

Nachdem hier zuerſt eine Stelle des Edicts wörtlich an-

geführt und erklärt war (in den §§ 6. 7), wird das Ver-

fahren in dem Fortgang der Stelle weiter ausgeführt und

 

(a) L 9 C. de R. C. et jur.

(4. 1) „ … per judicem sol-

vere vel jurare … necesse

habet“.

(b) Keller Litisconteſtation

S. 50. 51. Zimmern §. 135.

Puchta §. 174. p.

(c) L. 34 § 6. 7. 8. 9 de jur.

(12. 2).

|0102 : 80|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

unmittelbar auf den Judex bezogen (d). Dieſer letzte Theil

der Stelle ſoll nun auf bloßer Interpolation beruhen, indem

auch hier Ulpian nur vom Prätor geſprochen haben

werde. — Ich will dieſe Interpolation nicht gerade für

unmöglich erklären, aber als nothwendig kann ich ſie nicht

einräumen; denn wenn, wie ſogleich aus inneren Gründen

gezeigt werden ſoll, die Thätigkeit des Prätors hierin von

jeher weſentlich keine andere war, als die des Judex, ſo

war es ganz natürlich und gar nicht zu tadeln, daß Ul-

pian abwechſelnd bald den Einen, bald den Anderen, und

zwar Beide in gleicher Wirkſamkeit, erwähnte.

Wichtig iſt aber auch eine Stelle des Paulus, welche von

dem Beweisverfahren vor dem Judex ſpricht, und den vor

dem Judex geleiſteten Eid in derſelben Weiſe erwähnt, wie wir

ihn im neuſten Recht nur immer auffaſſen können (e); und

in dieſer Stelle iſt noch weniger, als in der des Ulpian,

Schein und Raum für eine Interpolation wahrzunehmen.

 

Ich will aber nun auf die Sache ſelbſt näher eingehen,

unabhängig von dem Zeugniß einzelner Stellen der alten

Juriſten.

 

(d) l. c. § 8 „ … officio

judicis“. Beſonders aber der

ganze, in ſeinem Inhalt ſo wich-

tige, § 9 „Quum res in jusju-

randum demissa sit, judex

jurantem absolvit … nolentem

jurare reum .. non solventem

condemnat“, ganz wie oben § 6

vom Prätor.

(e) L. 25 § 3 de prob. (22. 3)

„ .. licentia concedenda est

ei, cui onus probationis in-

cumbit, advessario suo …

jusjurandum inferre … ut

judex juramenti fidem secutus

ita suam sententiam possit

formare“.

|0103 : 81|

§. 313. Surrogate. II. Eid. Beſondere Wirkungen. (Fortſ.)

Wenn vor dem Judex ein Eid zugeſchoben und von dem

Gegner freiwillig angenommen und geleiſtet wurde, ſo kann

über deſſen Wirkſamkeit kein Zweifel ſeyn, da ſelbſt der

außergerichtliche Eid förmliche Wahrheit zu begründen ge-

eignet war (§ 312). Der Streit kann alſo nur den Fall

einer Weigerung, und dabei die Frage betreffen, ob dem

Judex ein ähnliches Recht des Zwanges, wie dem Prätor,

zugeſchrieben werden dürfe. Hätte nun von Seiten des

Prätors der Zwang etwa in Geldſtrafen beſtanden, ſo würde

ich jene Frage unbedenklich verneinen. Er beſtand aber in

der That nur in der angenommenen Feſtſtellung des Gegen-

theils der Behauptung, welche zu beſchwören in die Macht

des Weigernden geſtellt war (§. 312. f), und dieſes Zwangs-

mittel dem Judex, ſo gut als dem Prätor, zuzuſchreiben,

kann nicht das geringſte Bedenken haben. Der eigentliche,

gewiß richtige Geſichtspunkt für jene Feſtſtellung zum Nach-

theil Deſſen, der den zugeſchobenen Eid verweigert, iſt in

folgender Stelle des Paulus ausgedrückt (f): „Mani-

festae turpitudinis et confessionis est, nolle nec jurare,

nec jusjurandum referre“. Dieſe Stelle iſt ganz wie ge-

ſchrieben zur Rechtfertigung des Judex, der die Weigerung

völlig wie ein gerichtliches Geſtändniß behandelt und hier-

nach ſein Urtheil einrichtet, und ſie wird alſo am natür-

lichſten bezogen auf die Eideszuſchiebung vor dem Judex.

Auf die außergerichtliche kann ſie nicht bezogen werden, weil

 

(f) L. 38 de jur. (12. 2).

VII. 6

|0104 : 82|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

dabei keine Art des Zwanges vorkam, insbeſondere aber

auch kein referre (§ 312 Noten a. c.); eben ſo wenig aber

auf die Eideszuſchiebung vor dem Prätor (g), deſſen zwin-

gende Gewalt hierin an ſich keiner Rechtfertigung bedurfte,

und auch ſchon wörtlich in dem Edict begründet war.

Eine Beſtätigung der hier aufgeſtellten Behauptung liegt

noch in dem Fall des Albutius, in welchem das Centum-

viralgericht die Verweigerung eines zugeſchobenen Eides

gleichfalls wie ein Geſtändniß behandelte und dem Urtheil

zum Grunde legte (h); die Centumvirn aber hatten die

Stellung des Judex, nicht des Prätors, ſie waren Urtheiler,

nicht prozeßleitende Obrigkeit.

 

Völlig verſchieden von dem bisher dargeſtellten zuge-

ſchobenen Eide iſt eine andere Art, den Eid auf die Ent-

ſcheidung eines Rechtsſtreites anzuwenden; eine Art der

Anwendung, die nach der älteren Römiſchen Gerichtsver-

faſſung nur allein vor dem Judex vorkommen konnte. Wenn

nämlich, nach geführten Beweiſen, der Richter über die That-

ſachen noch nicht völlig aufgeklärt iſt, ſo kann er nach ſeinem

Ermeſſen die eine oder andere Partei zum Eide auffordern,

und je nach dem Ausfall deſſelben ſein Urtheil einrichten (i).

Dieſer Fall unterſcheidet ſich von dem des zugeſchobenen Eides

 

(g) Hierauf wird die Stelle

bezogen von Puchta § 173. e.

(h) Seneca controv. lib. 3.

praef.

(i) L. 1. 31 de jur. (12. 2).

L. 3. L. 12. pr. C. eod.

|0105 : 83|

§. 313. Surrogate. II. Eid. Beſondere Wirkungen. (Fortſ.)

weſentlich dadurch, daß keine Einwilligung der Parteien,

alſo kein Vertrag zum Grunde liegt. Dieſes iſt reines

Beweismittel, und es iſt dabei eine Anfechtung wegen ſpäter

aufgefundener Urkunden nicht unmöglich (k). — Dieſe Art

des Eides iſt in dem heutigen Prozeßrecht als Erfüllungseid

und Reinigungseid genauer ausgebildet worden.

Es bedarf kaum noch der Bemerkung, daß vor dem

Judex der Eid jeder Art niemals Surrogat eines Urtheils

ſeyn, folglich das Urtheil ſelbſt entbehrlich machen konnte.

Die eigentliche Entſcheidung konnte hier lediglich von dem

Urtheil ausgehen (l), deſſen Inhalt aber an den Inhalt

des Eides nothwendig gebunden war.

 

Die Ueberſchrift des Digeſtentitels (XII. 2) lautet ſo:

De jurejurando, sive voluntario, sive necessario, sive

judiciali. Darin ſind augenſcheinlich Römiſche Kunſtaus-

drücke enthalten, über deren Bedeutung in neuerer Zeit

verſchiedene Meinungen aufgeſtellt worden ſind (m). Nach

der bis hierher geführten Unterſuchung ſcheint folgende Be-

deutung dieſer Ausdrücke angenommen werden zu müſſen.

 

(k) In dieſer Hinſicht unter-

ſcheiden ſich überhaupt Urtheile

und Vergleiche (zu welchen letzten

der Eid gehört). L. 35 de re jud.

(42. 1), L. 19. 29 C. de transact.

(2. 4). Vgl. Burchardi Wieder-

einſetzung in den vorigen Stand

S. 138.

(l) L. 34 § 9. L. 31 de jur.

(12. 2).

(m) Donellus Lib. 24. C. 24.

Puchta Inſtitutionen § 173

Note e.

6*

|0106 : 84|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Voluntarium iſt der außergerichtliche Eid, weil deſſen An-

nahme und Leiſtung ganz in der Willkür der Partei lag,

welcher er zugeſchoben wurde. Necessarium iſt der in jure

oder in judicio zugeſchobene Eid, weil in beiden Fällen die

Partei genöthigt war, ſich in irgend einer Weiſe auf den-

ſelben einzulaſſen. Judiciale endlich iſt der vom Judex, ohne

Zuſchiebung von Seiten einer Partei, auferlegte Eid. —

Anders iſt freilich der Sprachgebrauch der neueren Schrift-

ſteller über den Prozeß. Hier heißt voluntarium der zu-

geſchobene, alſo von dem Willen einer Partei ausgehende

Eid, necessarium der von dem Willen des Richters aus-

gehende, alſo von jedem Parteiwillen völlig unabhängige

Eid. Der Ausdruck der Freiwilligkeit oder Unfreiwilligkeit

wird alſo von den Neueren in einer anderen Beziehung

gebraucht, als von den Römern.

§. 314.

Surrogate des Urtheils. — II. Eid. — Heutiges Recht.

Es bleibt jetzt nur noch übrig, die ſpäteren Aenderungen

des bisher dargeſtellten Rechts des Eides hinzu zu fügen.

Die in Juſtinian’s Geſetzgebung eingetretene Aenderung

iſt bereits dargeſtellt worden (§ 313); es iſt alſo nur noch

von dem heutigen Rechte zu reden.

 

Als vorherrſchender Geſichtspunkt iſt hier anerkannt

worden die Heiligkeit des Eides als einer religiöſen Hand-

lung. Alle Neuerungen zwecken darauf ab, theils dem

Meineide vorzubeugen, theils den Mißbrauch zu verhüten,

 

|0107 : 85|

§. 314. Surrogate. II. Eid. Heutiges Recht.

der in der Leiſtung eines unpaſſenden oder unnützen Eides

liegen würde. Hierauf gründen ſich folgende einzelne, vom

Römiſchen Recht abweichende Sätze.

Vor Allem hat der Richter freiere Macht in der Auf-

ſicht auf den zugeſchobenen Eid, der alſo nicht mehr ſo, wie

im Römiſchen Recht, durch die freie Uebereinkunft der Par-

teien beſtimmt werden kann. — Der Richter verſagt ihn,

wenn nach den Umſtänden ein Meineid zu befürchten iſt. —

Die Faſſung der Eidesformel wird von dem Zuſchiebenden

nur vorgeſchlagen, der Gegner hat ſich darüber zu erklären,

der Richter aber hat ſie feſtzuſtellen. Für dieſe Beſtimmung

findet ſich ein Anhalt ſchon im Römiſchen Recht (§. 310. ee).

— Ein Unmündiger, den das Römiſche Recht zur Ableiſtung

eines zugeſchobenen Eides zuläßt, weil er dabei nur ge-

winnen, nicht verlieren kann (§ 310. h), wird jetzt nicht

mehr zugelaſſen. — Der Eid vor Gefährde fällt jetzt weg

(§ 312. n).

 

Der außergerichtliche Eid, der ganz ohne richterliche

Aufſicht ſeyn würde, iſt jetzt gar nicht mehr zuläſſig und

hat, wenn er durch die Willkür der Parteien dennoch an-

gewendet wird, nicht mehr die Wirkungen, die ihm das

Römiſche Recht beilegt (a). In manchen Partikulargeſetzen

iſt er geradezu verboten (b).

 

(a) S. o. § 311. 312. Mit Un-

recht wird Dieſes bezweifelt von

Linde Prozeß § 301 N. 6. Nach

dem heutigen Recht alſo würde

aus einem ſolchen Privateide weder

eine Klage, noch eine Einrede

gegen den Zuſchiebenden abgeleitet

werden können, obgleich dieſer ſelbſt

den Anſtoß dazu gegeben hat. —

(b) So z. B. in Preußen.

Allg. L. R. II. 20 § 1425. 1426.

1429. Allg. G. O. I. 10 §. 248.

|0108 : 86|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Der Eid iſt jetzt bloßes Beweismittel, und kann nur

über reine Thatſachen, nicht über Rechtsverhältniſſe (welches

im Römiſchen Recht ſeine Hauptanwendung war) zuge-

ſchoben werden. Wird Dieſes dennoch verſucht, ſo hat der

Richter einen ſolchen Eid zu verbeſſern. Dieſe wichtige

Neuerung iſt im heutigen Recht faſt allgemein anerkannt, wenn-

gleich im Einzelnen von unkundigen Richtern dagegen nicht

ſelten, und vielleicht ſelbſt bewußtlos, verſtoßen werden mag,

indem ſie ſich den Gegenſatz nicht völlig klar machen (c). —

Es darf daher der Eid nicht zugeſchoben werden über das

Daſeyn eines Eigenthums oder einer Schuld, ſondern nur

über diejenigen Thatſachen, woraus das Eigenthum oder

die Schuld angeblich entſtanden ſeyn ſoll. Der Grund

dieſes wichtigen Satzes liegt darin, daß jedes Urtheil über

das Daſeyn eines Rechtsverhältniſſes ſtets ein Stück Rechts-

theorie mit in ſich ſchließt, die doch unmöglich als paſſender

Gegenſtand eines Eides angeſehen werden kann. Die Un-

klarheit, die aus dieſer Vermiſchung von Rechtsſätzen und

Thatſachen hervorgeht, kann dahin führen, daß in manchen

Fällen ein Eid geleiſtet wird, den bei genauer Zergliederung

 

(c) Der aufgeſtellte Satz wird

von folgenden Schriftſtellern aner-

kannt: Böhmer electa T. 2 Ex. 14

§ 12, Glück B. 8 § 585, Martin

§ 224 (11te Ausg.), Linde § 302

N. 15. — Anderer Meinung iſt

Bayer Vorleſungen S. 390, je-

doch nur nach Stellen des Röm.

Rechts, und indem er die All-

gemeinheit der entgegengeſetzten

Meinung anerkennt. Er meint

aber, wenn ſich der Gegner auf

den Eid über ein Rechtsverhältniß

einlaſſe, ſo müſſe Das als Vergleich

gelten. Allein gerade darin weicht

das heutige Recht vom Röm. R.

ab, daß es die reine Privatwill-

kür im Eide beſchränkt.

|0109 : 87|

§. 314. Surrogate. II. Eid. Heutiges Recht.

der Beſtandtheile eine gewiſſenhafte Partei nicht leiſten

würde. Gerade darin aber beſteht eben ein gefährlicher

Mißbrauch des Eides. Um ſich Dieſes noch anſchaulicher

zu machen, möge man verſuchen, das Daſeyn eines Eigen-

thums zum Gegenſtand von Zeugenausſagen und Zeugen-

eiden zu machen. Zwei Zeugen werden vielleicht das ſtrei-

tige Eigenthum bejahen, und dabei doch von ganz verſchie-

denen Rechtsregeln und Thatſachen ausgehen. Dann aber

iſt ihre Uebereinſtimmung nur ſcheinbar, da doch die wirk-

liche Uebereinſtimmung der wahre Grund iſt, worauf die

Kraft des Zeugenbeweiſes beruht.

Endlich kann auch jede Partei den ihr zugeſchobenen

Eid dadurch beſeitigen, daß ſie über die Wahrheit ihrer

Behauptung einen vollſtändigen Beweis durch andere Be-

weismittel führt. Denn durch dieſen Beweis wird der Eid

überflüſſig, und in der Anwendung eines überflüſſigen Eides

liegt ſchon an ſich ein Mißbrauch des Eides. Beſonders

bezeichnend aber iſt der übliche Kunſtausdruck für dieſen

Fall: Vertretung des Gewiſſens durch Beweis. Eine

Partei von beſonders ſtrenger, ängſtlicher Gewiſſenhaftigkeit

kann nämlich, ſich ſelbſt mißtrauend, lieber dem Richter die

Beurtheilung des von ihr geführten Beweiſes überlaſſen,

als ſelbſt ſchwören, und dadurch Alles auf das eigene Ge-

wiſſen übernehmen. Eine ſolche Geſinnung verdient viel-

mehr Unterſtützung, als Tadel, und dem Gegner wird da-

durch kein Unrecht zugefügt. — Die Zuläſſigkeit einer ſolchen

Gewiſſensvertretung iſt allgemein anerkannt, und es muß

 

|0110 : 88|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

dabei auch Gegenbeweis zugelaſſen werden (d). Der Eid

bleibt einſtweilen aufgeſchoben, muß aber, wenn der ver-

ſuchte Beweis mißlingt, wieder aufgenommen werden.

Im Römiſchen Recht wird dieſe Gewiſſensvertretung

nicht erwähnt, ja ſie paßt dahin nicht, weil der Eid nicht

als reines Beweismittel, ſondern als vergleichsmäßige Ent-

ſcheidung des Rechtsverhältniſſes angeſehen wird (e). Im

kanoniſchen Recht wird jenes Recht beſtimmt anerkannt,

und zwar in Anwendung auf einen Fall, worin dem Kläger,

der den Grund ſeiner Klage bereits bewieſen hatte, nun

dennoch der Eid zugeſchoben wurde (f).

 

Hierauf beſchränken ſich die wahren Abweichungen des

heutigen Rechts, und einige andere, die gleichfalls behauptet

werden, ſind nicht als richtig anzuerkennen.

 

Dahin gehört die Behauptung, der zugeſchobene Eid

könne nur als Ergänzung eines anderen Beweiſes gebraucht

werden, ſetze alſo ſtets einen auf andere Weiſe, wenngleich

unvollſtändig, geführten Beweis (eine Beſcheinigung) voraus.

Dieſe Meinung iſt nach Römiſchem Recht gewiß zu ver-

werfen (g), ja ſie war hier, wenigſtens bei dem außer-

gerichtlichen Eid, völlig unanwendbar. Auch nach dem

heutigen gemeinen Recht iſt ſie zu verwerfen (h), und

 

(d) Malblanc § 58. Bayer

S. 397. Gönner B. 2 Abhdl. 48.

Martin § 228. Linde § 308.

(e) Die Stelle bei Quincti-

lian. instit. V. 6 enthält nur ein

allgemeines Räſonnement, kein

geſchichtliches Zeugniß.

(f) C. 2 X. de prob. (2. 19)

(g) L. 35 pr. de jur. (12. 2),

L. 22 § 10 C. de jure delib.

(6. 30).

(h) Danz Prozeß § 241

Note b. Linde Lehrbuch § 303

Note 6. 7.

|0111 : 89|

§. 314. Surrogate. II. Eid. Heutiges Recht.

nur in manchen Partikularrechten hat ſie Eingang ge-

funden (i).

Eben ſo darf nicht behauptet werden, daß die Zuſchie-

bung des Eides nur als ein Nothbehelf angeſehen werden

könne, und daß ſie verſagt werden müſſe, wenn dem Zu-

ſchiebenden andere Beweismittel zu Gebote ſtehen. Ob er

ſolche hat, denen er vertraut, das muß lediglich ſeiner

eigenen Beurtheilung überlaſſen bleiben. Es wäre unge-

recht, ihn darauf zu verweiſen und ihm deshalb die Eides-

zuſchiebung zu verſagen. Hierin läge eine ganz irrige

Umkehrung der eben erklärten Regel von der Gewiſſens-

vertretung, wobei eine Partei freiwillig ſich entſchließt, den

ihr zugeſchobenen Eid durch einen von ihr zu führenden

Beweis anderer Art entbehrlich zu machen. Die einzige

Stelle des kanoniſchen Rechts, die man dafür anführen

könnte, ſpricht auch in der That nur von der Gewiſſens-

vertretung, und nur die Ausdrücke, womit ſie die Gewiſſens-

vertretung begründet und rechtfertigt, ſind ſo ſchwankend

und zweideutig, daß ſie allerdings auch auf jenen irrigen

Satz gedeutet werden könnten (k).

 

Wenn man die ſo eben dargeſtellten Abweichungen des

heutigen Rechts in der Lehre vom zugeſchobenen Eide er-

 

(i) So z. B. in der Praxis

des Tribunals zu Wismar (jetzt

Greifswald), veranlaßt durch die

falſche Lehre des Mevius. Vgl.

Pufendorf T. 2 Obs. 151.

(k) C. 2 X. de prob. (2. 19),

„quum tunc demum ad hujus-

modi sit suffragium recurren-

dum, quum aliae legitimae pro-

bationes deesse noscuntur.“

|0112 : 90|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

wägt, ſo möchte man glauben, das Römiſche Recht ſey

dadurch von Grund aus verändert, ja es ſey davon nicht

viel mehr als Nichts, übrig geblieben. So iſt es aber in

der That nicht; die eingetretenen Veränderungen betreffen

mehr die Form, als das Weſen der Sache, und zwar ſo,

daß wir ſie ſogar als wahre Verbeſſerungen jenes wichtigen

und für die Rechtspflege faſt unentbehrlichen Rechtsinſtituts

anſehen können. Selbſt die wahre Vertragsnatur jenes

Eides mit ihren wichtigen Folgen iſt unverändert geblieben,

und es iſt dabei nur der ſehr heilſame Unterſchied einge-

treten, daß ein ſolcher Vertrag nicht mehr durch den un-

abhängigen Willen der Parteien, ſondern nur unter der

Aufſicht und Mitwirkung eines Richters zu Stande kommen

kann. Daher iſt auch der Eid in keinem Fall mehr Sur-

rogat eines Urtheils, ſondern nur der Grund, worauf ein

Urtheil, übereinſtimmend mit dem Inhalt des Eides, be-

ruhen muß (l).

§. 315.

Reſtitution. — Einleitung.

Quellen:

 

Paulus Lib. 1. T. 7. 8. 9.

Cod. Greg. Lib. 2. T. 1 — 4.

(l) Daß nach dem Gebrauch

mancher Gerichte ſchon vor ge-

leiſtetem Eide ein bedingtes Ur-

theil geſprochen, und nachher durch

die Leiſtung des Eides purificirt

wird, iſt nur eine die äußerliche

Form betreffende Abweichung. Zu

empfehlen iſt dieſe Form übrigens

nicht.

|0113 : 91|

§. 315. Reſtitution. Einleitung.

Cod. Theod. Lib. 2. T. 15 — 17.

Dig. Lib. 4. T. 1 — 7.

Cod. Iust. Lib. 2. T. 20 — 55.

Schriftſteller:

 

Burchardi, die Lehre von der Wiedereinſetzung in den

vorigen Stand. Göttingen. 1831. 8.

v. Schröter, Weſen und Umfang der in int. restitut io

(Zeitſchrift v. Linde, Bd. 6. N. III. S. 91 — 175.)

Puchta, Pandekten, Auflage 4. § 100 — 107.

Vorleſungen § 100 — 107.

Curſus der Inſtitutionen Aufl. 2. Bd. 2. § 177. 209.

Der Begriff dieſes ſehr eigenthümlichen Rechtsinſtituts,

und mit ihm der Standpunkt der ganzen Unterſuchung, iſt

nicht leicht feſtzuſtellen. In den Quellen des Römiſchen

Rechts führt daſſelbe regelmäßig den Namen. In integrum

restitutio (a), deſſen Deutſche Ueberſetzung: Wiederein-

ſetzung in den vorigen Stand, für den gewöhnlichen,

ſtets wiederkehrenden Gebrauch allzu weitläuftig erſcheint.

Dieſer Name bezeichnet die Herſtellung eines beſchädigten

oder verminderten Zuſtandes in ſeine frühere unverſehrte

Geſtalt, und paßt alſo an ſich auch auf blos thatſächliche

 

(a) Mit Unrecht iſt behauptet

worden, daß dieſe allerdings vor-

herrſchende Wortfolge ohne Aus-

nahme ſey. In L. 86 pr. de

adqu. her. (29. 2) ſteht restitutio

in integrum einmal ſicher, nach

Haloander’s abweichender Leſe-

art ſogar zweimal. Vgl. Bur-

chardi S. 3. Göſchen Vor-

leſungen I. S. 529. Eben ſo in

L. 39. § 6 de proc. (3. 3) „propter

hanc restitutionem in inte-

grum“.

|0114 : 92|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Ereigniſſe, wie z. B. die Herſtellung eines abgebrannten

oder eingeſtürzten Hauſes, wovon hier, bei einem Rechts-

inſtitut, natürlich nicht die Rede ſeyn kann. Vor Allem

alſo iſt die in dem Namen nicht ausgedrückte Beſchrän-

kung des Begriffs auf eine Herſtellung innerhalb des

Rechtsgebietes nothwendig (b). Allein auch dieſe Be-

ſchränkung iſt noch keinesweges ausreichend.

Im Rechtsgebiet nämlich findet ſich in ſehr ausgedehnter

Weiſe die Möglichkeit und das Bedürfniß einer Herſtellung

in den zahlreichen und wichtigen Fällen, in welchen die

Rechtsordnung geſtört, alſo ein Recht verletzt wird. Die

gemeinſame Natur dieſer Fälle läßt ſich ſo bezeichnen, daß

ein Recht von ſeiner thatſächlichen Ausübung getrennt wird,

ſo daß die Herſtellung beſteht in der Wiedervereinigung des

Rechts mit der Thatſache der Ausübung. Dieſe Herſtellung

kann bewirkt werden ſowohl durch die freiwillige Handlung

einer anderen Perſon, als durch Zwang in Folge einer

Rechtsanſtalt; auf dieſen letzten Fall beziehen ſich mehrere

wichtige Theile des Rechtsgebietes, unter andern in dem

Syſtem des Privatrechts das geſammte Actionenrecht (§ 204).

Für die Herſtellung durch eine dem Berechtigten gegenüber

 

(b) Es iſt zu bemerken, daß

der Ausdruck: in integrum re-

stitutio, auch in ſeiner techniſchen

Beſchränkung auf den Rechtszuſtand,

in einer zwiefachen Conſtruction

vorkommt; am häufigſten iſt die

Rede von einer Reſtitution der

verletzten Perſon in ihren frü-

heren beſſeren Zuſtand (z. B. minor

restituitur); dann aber auch von

einer Reſtitution des verlorenen

Rechts (an die Perſon), z. B.

L. 1 § 1 ex. qu. c. huj. (4. 6)

„.. actionem … in integrum

restituam“ (§ 325 Note m).

|0115 : 93|

§. 315. Reſtitution. Einleitung.

ſtehende Perſon iſt restituere die regelmäßige Bezeichnung,

ohne Unterſchied, ob die Handlung dieſer Perſon aus freiem

Willen hervorgeht, oder von einem Richter auferlegt und

erzwungen wird. Immer alſo bezeichnet dieſes restituere

die Thätigkeit einer Privatperſon (c). — Jede Herſtellung

aber der eben bezeichneten Art hat mit dem gegenwärtig

darzuſtellenden Rechtsinſtitut nicht den geringſten Zuſam-

menhang, obgleich der Name deſſelben auch darauf bezogen

werden könnte, an ſich alſo wiederum nicht dazu geeignet

iſt, dieſe Beſchränkung auszudrücken.

Um nun dem wahren Begriff dieſes Rechtsinſtituts näher

zu treten, iſt ein Rückblick nöthig auf die innere Entwick-

lung und Ergänzung eines jeden poſitiven Rechts. Unter

die reichlichſten Quellen dieſer Entwicklung gehört die noth-

wendige Ausgleichung des überall hervortretenden Gegen-

ſatzes zwiſchen dem ſtrengen Recht und der Billigkeit, jus

(jus strictum) und aequitas (d), Dieſe Ausgleichung hat

zur Bildung ganz neuer und ſelbſtſtändiger Rechtsinſtitute

 

(c) Ein ſolches Reſtituiren

kann geſchehen ſowohl natürlich

und unmittelbar, als in künſtlicher

oder mittelbarer Weiſe; das Crſte,

wenn z. B. dem Eigenthümer der

ihm fehlende Beſitz ſeiner Sache

wieder gegeben wird; das Zweite,

wenn derſelbe für eine verzehrte

Sache in Geld entſchädigt wird.

Dieſe Bemerkung iſt auch anwend-

bar auf die nachfolgenden Fälle

der Herſtellung eines früheren Zu-

ſtandes. — Ueber den Begriff und

Umfang des restituere vgl. L. 22.

35. 75. L. 246 § 1 de V. S. (50. 16).

Vgl. auch oben B. 5 S. 129.

(d) S. o. B. 1 § 15. 22. —

Die aequitas muß hier als die

von einem höheren und freieren

Standpunkt anerkannte Gerechtig-

keit gedacht werden. Die Natur

dieſes Gegenſatzes, als der Grund-

lage der geſammten Reſtitution,

iſt ſcharf und treffend dargeſtellt

von Pnchta, Inſtitutionen § 177,

und Vorleſungen § 100.

|0116 : 94|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

geführt (e); eben ſo aber auch zu vielen Anſtalten, die blos auf

die Herſtellung nachtheilig veränderter Rechtszuſtände ab-

zwecken. Dabei wird alſo vorausgeſetzt, daß ein Rechts-

zuſtand zum Nachtheil des Berechtigten wahrhaft verändert

worden iſt, ſo daß dieſe Veränderung nach ſtrengem Recht

als vollgültig anerkannt werden muß, daß aber die Billig-

keit dieſer Veränderung widerſpricht, und die Herſtellung

des früheren Zuſtandes fordert. Dieſe Herſtellung wird

dann durch mannichfaltige Rechtsmittel bewirkt, und zwar

ſowohl durch Klagen, als durch Einreden; beide, theils dem

Civilrecht, theils dem prätoriſchen Recht angehörend.

Unter die civilen Klagen zu ſolchen Zwecken gehören

folgende: Die Condictionen auf Rückgabe ohne Vertrag,

wie indebiti, sine causa, ob causam datorum (f); ferner

die redhibitoria actio, die Anfechtung eines Verkaufs wegen

Verletzung über die Hälfte. — Von den prätoriſchen Klagen

gehören dahin die actio doli und quod metus causa. —

Alle dieſe Klagrechte können nach Umſtänden auch in der

Geſtalt von Einreden geltend gemacht werden, wohin be-

ſonders die doli und metus exceptio gehören. — In ſämmt-

lichen Fällen dieſer Art wird der Zweck der aus Billigkeit

abgeleiteten Herſtellung erreicht durch beſonders gebildete

 

(e) S. o. B. 5 § 219 und Bei-

lage XIII. Num. XIII. XX, Beil.

XIV. Num. XLVII. Es gehören da-

hin die bonae fidei actiones, welche

darauf beruhen, daß der unter

rechtlichen Menſchen geltenden, in

der Regel freiwillig beobachteten,

Sitte ein eigenthümlicher Rechts-

ſchutz gegen Diejenigen gewährt

wird, die ſich etwa der freien Be-

obachtung der Sitte entziehen

möchten.

(f) S. o. B. 5 Beil. XIV.

Num. VII. VIII.

|0117 : 95|

§. 316 Begriff der Reſtitution.

Obligationen, alſo durch perſönliche Klagen oder Einreden.

Die Anerkennung jener Billigkeit hatte daher zur Ausbildung

beſtimmter Rechtsregeln geführt, die eben ſo, wie die Klagen

aus Verträgen und Delicten, durch das gewöhnliche Richter-

amt zur Anwendung gebracht wurden, ſobald die thatſäch-

lichen Bedingungen derſelben vorhanden waren; eine eigen-

thümliche Art von Rechtsinſtituten war dazu nicht erfor-

derlich, und das gegenwärtig darzuſtellende Inſtitut erhält

dadurch noch keine Begründung.

§. 316.

Reſtitution. — Begriff derſelben.

Unter den Fällen der Herſtellung aus Billigkeit (§ 315)

fanden ſich mehrere, die den Prätoren zunächſt nicht dazu

geeignet ſchienen, in der Form gewöhnlicher Klagen und

Einreden der richterlichen Anwendung unmittelbar überlaſſen

zu werden, worin vielmehr ſie ſelbſt (die Prätoren) durch

Erwägung aller im Einzelnen obwaltenden Umſtände helfend

einzugreifen ſich vorbehielten. Es war alſo auch darin eine

neue Rechtsregel anerkannt, aber nicht ſo, wie in den vorigen

Fällen, eine fertige Rechtsregel, auf gleicher Linie mit allen

übrigen ſtehend, ſondern gleichſam eine unreife, noch in der

Bildung begriffene Rechtsregel, die in dieſem unfertigen

Zuſtand erſt durch das Eingreifen der prätoriſchen Macht-

vollkommenheit in das wirkliche Leben für einzelne Fälle

ſollte eingeführt werden können. Dieſe Fälle bilden die

prätoriſche in integrum restitutio. Hiernach läßt ſich der

 

|0118 : 96|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Begriff dieſer Reſtitution ſo beſtimmen: Sie iſt die Her-

ſtellung eines früheren Rechtszuſtandes, ge-

gründet auf den Gegenſatz der Billigkeit zum

ſtrengen Recht, und bewirkt durch die, ein wirk-

lich vorhandenes Recht mit Bewußtſein abän-

dernde, prätoriſche Macht. — Nur iſt, mit Rückſicht

auf die überall durchgeführte Ausdrucksweiſe des Römiſchen

Rechts, noch hinzu zu fügen, daß dieſe Herſtellung des

früheren Zuſtandes, da ſie nur auf einer Anwendung der

obrigkeitlichen Macht beruht, nicht als eine eigentliche,

wahre Herſtellung (ipso jure) bezeichnet wird, ſondern nur

als die Fiction einer ſolchen. Wer alſo ein aufgegebenes

Erbrecht durch Reſtitution erlangt, wird nicht heres, ſondern

bekommt nur die Rechte eines ſolchen, gleich als ob er es

wäre (utiles actiones). Es iſt alſo völlig dieſelbe Behandlung

und Bezeichnung, wie wir ſie auch in dem prätoriſchen

Erbrecht, der bonorum possessio, wahrnehmen.

Um dieſem ſehr eigenthümlichen Rechtsinſtitut ſeine

wahre Stellung anzuweiſen, iſt es nöthig, den Zuſammen-

hang deſſelben mit anderen Inſtituten, alſo die nach ver-

ſchiedenen Seiten vorhandenen Verwandtſchaften, aufzu-

ſuchen.

 

Als die nächſte Verwandtſchaft muß erkannt werden die

mit dem rechtskräftigen Urtheil, und dadurch iſt die Stel-

lung derſelben im gegenwärtigen Syſtem beſtimmt worden.

Beide Inſtitute haben Das miteinander gemein, daß durch

richterliche Thätigkeit ein ſelbſtſtändiges neues Recht entſteht.

 

|0119 : 97|

§. 316. Begriff der Reſtitution.

Der Unterſchied aber liegt darin, daß das aus dem Urtheil

hervorgehende neue Recht nicht nur auf der Fiction der

Wahrheit beruht, ſondern auch auf der Vorausſetzung, daß

dieſe Wahrheit wirklich vorhanden ſey, alſo auf der an-

genommenen Uebereinſtimmung mit dem vorher beſtehenden

Rechtszuſtand, ſo daß eine Verſchiedenheit beider Zuſtände

nicht abſichtlich geſucht wird, ſondern nur zufällig und nur

als unvermeidliches Uebel entſtehen kann (§ 280). Dagegen

wird durch die Reſtitution eine Abänderung des beſtehenden

Rechtszuſtandes mit Abſicht und Bewußtſein vorgenommen.

Inſofern kann man die Reſtitution ein Urtheil von höherer

Potenz nennen (a).

Eine zweite Verwandtſchaft findet ſich zwiſchen der Re-

ſtitution und einigen anderen Fällen richterlicher Thätigkeit,

wodurch gleichfalls mit Abſicht und Bewußtſein ein vor-

handenes Recht abgeändert wird. Dahin gehört die re-

scissio inofficiosi testamenti durch das Centumviralgericht

(ſpäter durch andere Richter), und die adjudicatio, in welcher

der Theilungsrichter die verlangte Auflöſung einer Gemein-

ſchaft durch abſichtliches Geben und Nehmen von Eigen-

thum, ſowie durch Errichtung von Servituten (alſo durch

abſichtliche Beſchränkung eines vorhandenen Eigenthums)

bewirken kann. Beide Inſtitute beziehen ſich auf das

eigenthümliche Bedürfniß einzelner Rechtsverhältniſſe, und

 

(a) S. o. B. 6 S. 265. —

Es findet ſich alſo in beiden

Rechtsinſtituten der Begriff der

Fiction angewendet, aber in ver-

ſchiedener Bedeutung (§ 280. 316).

VII. 7

|0120 : 98|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

unterſcheiden ſich von der Reſtitution dadurch, daß in ihnen

von der Herſtellung eines früheren Zuſtandes, die das

Grundweſen der Reſtitution ausmacht, niemals die Rede

iſt. — Näher verwandt mit der Reſtitution iſt in dieſer

Hinſicht die Begnadigung eines verurtheilten Verbrechers

durch die höchſte Regierungsgewalt im Staate. Bei dieſer

wird allerdings, eben ſo wie bei der Reſtitution, der gegen-

wärtige Rechtszuſtand abſichtlich verändert durch Herſtellung

eines früheren Zuſtandes; es geſchieht Dieſes auch hier nicht

in Anwendung einer aufgeſtellten Rechtsregel, und durch

das gewöhnliche Richteramt, ſondern mit Rückſicht auf den

Gegenſatz der Billigkeit zum ſtrengen Recht, und durch die

eingreifende Machthandlung einer hochſtehenden Obrigkeit.

Soweit ſteht alſo die Begnadigung mit der hier darzuſtel-

lenden Reſtitution völlig auf gleicher Linie. Der durch-

greifende Unterſchied aber beſteht in den Gegenſtänden der

Herſtellung, alſo in der Natur der Rechtsverhältniſſe, worauf

ſich hier und dort die Herſtellung bezieht, indem die Re-

ſtitution privatrechtliche Zuſtände herſtellt, alſo dem Privat-

rechte angehört, anſtatt daß die Begnadigung dem öffent-

lichen Rechte anheim fällt, alſo ganz außer den Gränzen

des gegenwärtigen Rechtsſyſtems liegt.

Eine dritte Verwandtſchaft endlich findet ſich zwiſchen

der Reſtitution und den oben (§ 315) dargeſtellten Fällen,

worin durch Klagen und Einreden ein früherer Rechtszuſtand

hergeſtellt wird. Dieſe Fälle haben mit der Reſtitution

gemein ſowohl den Zweck, welcher in der Herſtellung eines

 

|0121 : 99|

§. 316. Begriff der Reſtitution.

früheren privatrechtlichen Zuſtandes beſteht, als den Grund

dieſer Herſtellung, der in dem Verhältniß der Billigkeit zum

ſtrengen Recht zu ſuchen iſt. Nicht nur dieſe Gemeinſchaft

des Zweckes und Grundes muß anerkannt und feſtgehalten

werden, ſondern auch die zuſammenhängende hiſtoriſche Ent-

wicklung dieſer Rechtsinſtitute, welche ſehr deutlich in der

Anordnung des Edicts und der Digeſten hervortritt (b).

Dagegen iſt die zur Erreichung jenes Zweckes führende

Rechtsform durchaus verſchieden. In den oben dargeſtellten

Fällen dienten dazu Klagen und Einreden, die eben ſo, wie

alle andern, von den gewöhnlichen Richtern geprüft und ent-

ſchieden werden durch die Anwendung der dafür aufgeſtellten

Rechtsregeln, alſo durch die Anerkennung eines kraft dieſer

Regeln beſtehenden Rechtes. Bei der Reſtitution iſt eine

ſolche zur Anwendung fertige Regel nicht vorhanden; viel-

mehr iſt es der Prätor, welcher eine ſolche Regel nach dem

Bedürfniß jedes einzelnen Falles gleichſam neu erfindet, und

ſo den beſtehenden Rechtszuſtand durch ſeine Macht ver-

ändert, um einen früheren herzuſtellen.

In die ganze Lehre von der Reſtitution iſt nun von

jeher die größte Verwirrung dadurch gebracht worden, daß

man die Reſtitution mit den oben erwähnten Klagen zu-

ſammen geworfen hat, anſtatt in der Darſtellung beiderlei

Rechtsinſtitute ſtreng auseinander zu halten. Um den durch-

 

(b) Der zweite und dritte

Titel des vierten Buchs der Di-

geſten handeln nur wenig und bei-

läufig von der Reſtitution, und

ſtehen dennoch mitten in der Re-

ſtitutionslehre.

7*

|0122 : 100|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

greifenden Unterſchied beider Behandlungsarten vollſtändig

zur Anſchauung zu bringen, bedarf es blos des folgenden

Rückblicks auf den ſo eben dargeſtellten Zuſammenhang der

Reſtitution mit anderen Rechtsinſtituten. Das eigenthümliche

Weſen der Reſtitution läßt ſich von zwei Seiten auffaſſen.

Ihr Zweck beſteht in der Herſtellung eines früheren Rechts-

zuſtandes durch Aenderung des jetzt beſtehenden. Ihre Form,

oder das Mittel zur Erreichung jenes Zweckes, beſteht in

dem Eingreifen richterlicher Macht in beſtehende Rechts-

verhältniſſe. Es kommt nun darauf an, ob man den einen,

oder den anderen dieſer Geſichtspunkte als den vorherr-

ſchenden behandeln will, dem die ganze Lehre von der Re-

ſtitution untergeordnet werden ſoll. Wählt man den erſten,

ſo muß die Reſtitution als ein einzelnes Glied in der Kette

der durch Billigkeit bewirkten Herſtellungen früherer Zuſtände

angeſehen, alſo mit der actio doli und quod metus causa,

conſequenterweiſe auch mit den meiſten Condictionen zu-

ſammen geſtellt werden (§ 315). Wählt man den zweiten,

ſo ſind alle dieſe Klagen in den beſonderen Theil des

Obligationenrechts einzureihen (c), die Reſtitution aber iſt,

wie es im Anfang des gegenwärtigen §. ausgeſprochen iſt,

dem richterlichen Urtheil an die Seite zu ſtellen. Dieſe

zweite Behandlungsart ſchließt ſich völlig an die Auffaſſung

der Römiſchen Juriſten an, und iſt die einzige, wodurch

(c) Vgl. Göſchen Vorleſungen I. S. 531.

|0123 : 101|

§. 316. Begriff der Reſtitution.

eine ſichere Einſicht in die Quellen des Römiſchen Rechts

gewonnen werden kann (d).

Die eben gerügte Vermiſchung weſentlich verſchiedener

Rechtslehren iſt theils veranlaßt, theils befördert oder be-

ſchönigt worden durch mehrere Stellen Römiſcher Juriſten,

die ſich von einem ungenauen Sprachgebrauch nicht ganz

frei gehalten, ſondern den Namen der in integrum restitutio

auf Fälle angewendet haben, die dieſem eigenthümlichen

Rechtsinſtitut in der That nicht angehören. Indem dieſer

ungenaue Sprachgebrauch der Quellen ſelbſt hier anerkannt

und nachgewieſen werden ſoll, muß jedoch die Bemerkung

vorausgeſchickt werden, daß man denſelben weit übertrieben,

und oft auch da wahrzunehmen geglaubt hat, wo derſelbe

in der That nicht zu finden iſt.

 

So kann vor Allem ein ungenauer Sprachgebrauch

durchaus nicht behauptet werden von den ſehr zahlreichen

Stellen, worin restituere die das Unrecht aufhebende, und

die gehemmte Ausübung des Rechts herſtellende, Handlung

einer dem Berechtigten gegenüber ſtehenden Privatperſon

bezeichnet (§ 315); es mag nun dieſe Handlung aus ganz

freiem Willen hervorgehen, oder durch eine Aufforderung des

 

(d) Burchardi § 1 ſtellt

einen ganz willkürlichen Begriff

von Wiedereinſetzung in den

vorigen Stand auf, unter welchen

er dann, außer der wahren Re-

ſtitution, auch die Condictionen,

die actio doli und quod metus

causa, ſo wie noch vieles Andere,

zuſammenſtellt. So nimmt er

nachher auch die zwei zuletzt ge-

nannten Klagen in ſein Syſtem

der Reſtitution mit auf. Eine

ausführliche und überzeugende

Widerlegung dieſes Verfahrens

findet ſich bei Schröter S. 157

bis 169.

|0124 : 102|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Richters veranlaßt ſeyn (e), oder durch die Verurtheilung

des Richters zwangsweiſe auferlegt werden (f).

Dieſes iſt der regelmäßige, unentbehrliche, durch keinen

anderen Ausdruck zu erſetzende Sprachgebrauch. Auch liegt

in demſelben durchaus keine Gefahr der Verwechſelung mit

unſerer prätoriſchen in integrum restitutio, da ja Niemand

darauf fallen kann, dieſe Handlung des Prätors mit jener

Thätigkeit einer Privatperſon zu verwechſeln, wenngleich

zur Bezeichnung beider durchaus verſchiedener Thätigkeiten

daſſelbe Wort restituere verwendet wird.

 

Eben ſo kann ein ungenauer Sprachgebrauch nicht ein-

geräumt werden für diejenigen Stellen, worin die Begna-

digung eines verurtheilten Verbrechers durch die höchſte Re-

gierungsgewalt (den Kaiſer oder den Senat) als eine in

integrum restitutio bezeichnet wird (g). Denn es iſt ſchon

oben bemerkt worden, daß die Begnadigung eines Ver-

 

(e) Dieſes gilt von den arbi-

trären Klagen, in Folge der in

die Formel eingerückten Be-

ſchränkung der Verurtheilung:

nisi restituas. S. o. B. 5 § 221.

(f) § 2 J. de off. jud. (4. 17):

„sive contra possessorem, ju-

bere ei debet, ut rem ipsam

restituat cum fructibus.“

(g) L. 1 §. 9. 10 de postul.

(3. 1) „Deinde adjicit Praetor:

Qui ex his omnibus … in inte-

grum restitutus non erit … et

putat, de ea restitutione sensum,

quam Princeps vel Senatus in-

dulsit.“ (Beſonders entſcheidend

über die innere Gleichartigkeit iſt

die auf dieſe Worto folgende Ver-

gleichung mit der prätoriſchen Re-

ſtitution,). — L. 1 C. de sent. passis

(9. 51): „… tunc Antoninus

Aug. dixit: Restituo te in inte-

grum provinciae tuae, et ad-

jecit: Ut autem scias, quid sit

in integrum restituere, hono-

ribus, et ordini tuo, et om-

nibus ceteris te restituo.“ —

L. 1 § 2 ad L. J. de amb.

(48. 14) „Qua lege damnatus

si alium convicerit, in integrum

restituitur: non tamen pecu-

niam recipit.“

|0125 : 103|

§. 316. Begriff der Reſtitution.

urtheilten ihrem Weſen nach eine wahre in integrum re-

stitutio und mit der prätoriſchen völlig gleichartig iſt, nur

mit dem Unterſchied, daß ſie nicht dem Privatrecht, ſondern

dem öffentlichen Recht angehört, weshalb auch nur der

Beſitz der höchſten Regierungsgewalt zum Ausſpruch der-

ſelben fähig macht. Wenn aber der Kaiſer begnadigt,

ſo thut er dieſes eben ſo in Kraft ſeines Imperium, wie

wenn der Prätor im Privatrecht eine Reſtitution ertheilt.

In den hier angeführten Stellen nun (Note g), die aus

dem Edikt und aus einem feierlichen Ausſpruch des Kaiſers

herrühren, iſt an einen nachläſſigen, ungenauen Sprach-

gebrauch gar nicht zu denken.

In folgenden Stellen dagegen findet ſich in der That

ein ſolcher ungenauer Sprachgebrauch, worin der Name der

in integrum restitutio auf Fälle angewendet wird, die nicht

zur wahren Reſtitution gehören.

 

1. Wenn der Beſitzer einer Sache wegen derſelben eine

Klage von mir erwartet, und dieſe Sache an einen Dritten

veräußert, in der unredlichen Abſicht, mich durch die Ver-

änderung des Beklagten in Nachtheil zu bringen, ſo habe

ich gegen den Veräußernden eine Klage auf Entſchädigung

wegen dieſer Veränderung (h), und gerade dieſe Klage, die

 

(h) L. 1 pr. L. 4 § 5 de

al jud. mut. (4. 7). Die Dige-

ſtenſtellen über dieſen Rechtsſatz

find theils aus Commentaren über

das Provinzialedict entnommen

(L. 1 eod.), theils aus Commen-

taren über das prätoriſche Edict

(L. 8 eod.) Ohne Zweifel aber

waren beide Edicte hierin weſent-

lich übereinſtimmend.

|0126 : 104|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

offenbar keine Reſtitution iſt, wird als eine ſolche von

Gajus bezeichnet (i), welches wir daher als einen unge-

nauen Ausdruck anſehen müſſen. In dieſem Fall ließe ſich

nun allerdings eine wahre Reſtitution denken, indem die

urſprüngliche in rem actio gegen den Veräußernden durch

Reſtitution gegen die Veräußerung zugelaſſen würde. Eine

ſolche Reſtitution iſt auch wahrſcheinlich durch das Edict

dargeboten worden, ſo daß der Verletzte zwiſchen ihr und

der perſönlichen Entſchädigungsklage die Wahl haben

ſollte (k); daraus erklärt ſich ſowohl die Stellung jener

Klage im vierten Buch der Digeſten, als auch der eben

gerügte ungenaue (vielleicht interpolirte) Ausdruck des

Gajus. Daß aber dieſe Reſtitution ſelbſt in den Digeſten

nicht mehr erwähnt wird, erklärt ſich daraus, daß ſie durch

einen ſpäteren Rechtsſatz völlig entbehrlich wurde; wer nämlich

(i) L. 3 § 4 eod. „Ex quibus

apparet, quod Proconsul in

integrum restituturum se polli-

cetur: ut hac actione officio

tantum judicis consequatur

actor, quanti ejus intersit

alium adversarium non ha-

buisse.“ Offenbar wird hier die

Geldentſchädigung als Frucht einer

Reſtitution bezeichnet, obgleich ſie

mit dieſer nur den allgemeinen

Zweck gemein hat, das Vermögen

des Berechtigten gegen Schaden

zu verwahren. — Es muß aber

dahin geſtellt bleiben, wie viel

etwa interpolirt ſeyn mag.

(k) Darauf deutet ein Reſcript

von Diocletian in L. 1 C. eod.

(2. 55), worin geſagt wird, der

Verletzte habe die Wahl, ob er

mit der gewöhnlichen Klage in rem

gegen den neuen Erwerber klagen

wolle, oder aber gegen den Ver-

äußernden. Das letzte wird ſo

ausgedrückt: „cum … in inte-

grum restitutio edicto perpetuo

permittatur.“ Es mag dahin

geſtellt bleiben, ob der Verfaſſer

dieſes Reſcripts unter der Reſtitu-

tion die Entſchädigungsklage ver-

ſtand (ſo wie Gajus), oder aber

den neueren Rechtsſatz von der

in rem actio gegen den, qui dolo

desiit possidere (Note l).

|0127 : 105|

§. 316. Begriff der Reſtitution.

den Beſitz einer Sache unredlicherweiſe aufgiebt, ſoll nun-

mehr als Beſitzer behandelt und mit der Klage in rem

(auch ohne Reſtitution) belangt werden können (l). Auch

jetzt alſo hat der Verletzte Anſpruch ſowohl auf dieſes

Recht, als auf die perſönliche Entſchädigungsklage. Wenn

aber der Beklagte das erſte Recht freiwillig anerkennt, und

ſich als Beſitzer der Klage in rem unterwirft, ſo fällt die

Entſchädigungsklage weg, weil dann kein aus der Ver-

äußerung hervorgehender Schade mehr vorhanden iſt (m).

2. Ulpian erwähnt ein Reſcript von Caracalla aus

Veranlaſſung einer von den Campanern mit Gewalt er-

preßten Urkunde; das Reſcript ſagte: posse eum a Praetore

in integrum restitutionem postulare. Dieſer Ausſpruch

wurde nun ſowohl von dem Prätor, als von Ulpian ſelbſt

ſo ausgelegt, der Gezwungene könne nach Bedürfniß jede

denkbare Art des Schutzes in Anſpruch nehmen; zunächſt

alſo ſowohl eine Klage, als eine Einrede, wie er es ver-

langen möge (n). Hier wird der Ausdruck restitutio ſogar

auf gewöhnliche Rechtsmittel bezogen, welche mit der wahren

Reſtitution nur den äußeren Zweck und Erfolg gemein

haben; in den unmittelbar folgenden Worten aber (§ 4)

 

(l) L. 27 § 3. L. 36 pr, de

R. V. (6. 1), L. 131. L. 157 § 1

de R. J. (50. 17). Von dem hiſto-

riſchen Verhältniß des Edicts über

die alienatio judicii mutandi

causa zu der ficta possessio

deſſen, qui dolo desiit possidere,

handelt ausführlich Voorda In-

terpr. II. 10. Er ſcheint aber

die Sache etwas zu ſubtil zu

nehmen, und mehr als nöthig für

verwickelt anzuſehen.

(m) L. 3 § 5 de al jud. mut.

(4. 7).

(n) L. 9 § 3 quod metus

(4. 2) Vgl. unten § 330 Note d. e.

|0128 : 106|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

wird hinzugefügt, daß der Gezwungene, wenn er es be-

gehre, auch eine wahre, eigentliche Reſtitution zu erwarten

habe. Alle dieſe Rechte alſo, ſo wie die Auswahl unter

denſelben, werden gefolgert aus den Worten des Kaiſers,

daß der Gezwungene könne in integrum restitutionem

postulare.

3. Eben ſo verhält es ſich mit einem Ausſpruch des

Julian, nach welchem die redhibitoria actio für beide

Theile gewiſſermaßen die Folge einer in integrum restitutio

nach ſich ziehen ſoll (o).

 

4. Wer durch Betrug bewirkt, daß ihm eine Sache

verkauft werde, kann mit der actio venditi zur Entſchädigung

gezwungen werden (p). Dieſen Rechtsſatz drückt ein

Reſcript ſo aus, als läge darin eine in integrum restitu-

tio (q), woran wiederum nur Das wahr iſt, daß das Ver-

mögen des Verkäufers ſo gut, wie durch eine Reſtitution,

gegen Schaden geſchützt wird.

 

Neuere Schriftſteller haben vorgeſchlagen, die oben

(§ 315) erwähnten Klagen, welche nicht Reſtitutionen ſind,

als Reſtitutionsklagen zu bezeichnen, um damit auszu-

drücken, daß dieſelben eben ſo, wie eine wahre Reſtitution,

auf die Herſtellung eines früheren Zuſtandes abzwecken (r).

 

(o) L. 23 § 7 de aed. ed.

(21. 1): Julianus ait, judicium

redhibitoriae actionis utrum-

que, i. e. venditorem et em-

torem, quodammodo in inte-

grum restituere debere.“

(p) L. 13 § 5 de act. emti

(19. 1), L. 14 § 1 de in diem

addict. (18. 2).

(q) L. 10 C. de resc. vend.

(4. 44): „… contra illum, cum

quo contraxerat, in integrum

restitutio competit.“

(r) Burchardi S. 8.

|0129 : 107|

§. 317. Natur und Entwicklung der Reſtitution.

Ich kann dieſe Bezeichnung aus zwei Gründen nicht räthlich

finden. Erſtens befördert auch ſie die ſo eben ausführlich

gerügte Verwirrung weſentlich verſchiedener Rechtslehren.

Zweitens aber ſpielt ſie auf bedenkliche Weiſe hinein in

wirklich quellenmäßige Kunſtausdrücke, die in der That

völlig verſchiedene Rechtsbegriffe bezeichnen (s).

§. 317.

Reſtitution. — Eigenthümliche Natur und innere Ent-

wicklung derſelben.

Die Reſtitution hat eine ganz eigenthümliche, von an-

deren Rechtsinſtituten verſchiedene, juriſtiſche Natur, deren

genaue Feſtſtellung als Grundlage für die folgende Dar-

ſtellung der einzelnen darauf bezüglichen Rechtsregeln dienen

muß. Dieſe Eigenthümlichkeit derſelben muß aber nicht als

feſtſtehend, ſondern als in ſteter Bewegung begriffen, auf-

gefaßt werden. Daher iſt zugleich von der inneren Ent-

wicklung dieſes Rechtsinſtituts genaue Rechenſchaft zu geben,

welche allein dazu geeignet iſt, uns auf den heutigen Stand-

punkt für die Betrachtung deſſelben zu führen.

 

Der oben aufgeſtellte Begriff der Reſtitution (§ 316)

 

(s) Restitutoria actio (judi-

cium) heißt eine Klage, die in der

That verloren war, dann aber durch

irgend einen Rechtsgrund wieder-

hergeſtellt wird, mag nun dieſer

in einer wahren Reſtitution be-

ſtehen (L. 3 § 1 de eo per quem

2. 10), oder nicht (L. 8 § 9. 12

ad Sc. Vell. 16. 1). — Restitu-

torium interdictum heißt ein auf

Rückgabe einer Sache gerichtetes

Interdict, im Gegenſatz des pro-

hibitorium und exhibitorium.

§ 1 J. de interd. (4. 15).

|0130 : 108|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

umfaßt zwei hervorſtechende Seiten derſelben. Die erſte

beſteht in einer ſo freien, perſönlichen Macht des richter-

lichen Amtes, wie ſie ſich bei anderen Rechtsinſtituten nicht

findet. Zwar iſt häuſig auch bei gewöhnlichen Klagen von

einem freien Ermeſſen (arbitrium) die Rede, welches dabei

als zuläſſig, ja als unentbehrlich erſcheint; allein dieſes

Ermeſſen wird ſtets von feſten Rechtsregeln beherrſcht, und

die demſelben zugeſchriebene Freiheit unterſcheidet ſich weſent-

lich von der nicht unter ſolcher Herrſchaft ſtehenden Freiheit,

welche in der Anwendung der Reſtitution wahrzunehmen

iſt. Daher kommen auch bei dem Verfahren über die Er-

theilung oder Verſagung der Reſtitution die ſonſt üblichen

Namen und Formen von actio, exceptio u. ſ. w. nicht vor.

Dieſe eigenthümliche Freiheit des Richteramtes bei der Re-

ſtitution hängt damit zuſammen, daß der Reſtitution zwar

auch Rechtsregeln zum Grunde liegen, aber in der Bildung

begriffene, noch nicht zur Vollendung gekommene Regeln

(§ 316).

Die zweite hervorſtechende Seite der Reſtitution beſteht

in der zu ihrer Anwendung ausſchließend berufenen Behörde.

Nicht die zum Ausſpruch gewöhnlicher Urtheile berufenen

Privatrichter ſollten dazu fähig ſeyn; auch nicht die mit

einer wahren, aber untergeordneten, Gerichtsbarkeit ver-

ſehenen Municipalobrigkeiten: ſondern in Rom und ganz

Italien nur allein der Prätor, alſo der Inhaber der höchſten

richterlichen Gewalt. In jeder Provinz freilich wurde dieſer,

wie jeder andere Theil der prätoriſchen Gewalt, von dem

 

|0131 : 109|

§. 317. Natur und Entwicklung der Reſtitution.

Römiſchen Statthalter ausgeübt, der hier eine eben ſo

unabhängige obrigkeitliche Gewalt hatte, wie in Rom der

Prätor.

Die zwei hier dargeſtellten Eigenthümlichkeiten der Re-

ſtitution ſind aber keinesweges ſo zu denken, als ob ſie

blos zufällig neben einander geſtanden hätten; vielmehr be-

dingten ſie einander wechſelſeitig, und konnten nur in dieſer

ihrer Verbindung erklärt und gerechtfertigt werden.

 

Die in der Reſtitution enthaltene, ungewöhnlich freie

Macht des richterlichen Amtes war nämlich nicht ohne die

Gefahr der Willkür und Ungerechtigkeit, welches auch die

Römer nicht verkannten, indem ſie die Reſtitution als eine

außerordentliche Nothhülfe nur da zuließen, wo nicht ſchon

gewöhnliche Rechtsmittel ausreichten. Gerade gegen dieſe

Gefahr nun wurde eine Schutzwehr gefunden in der

Stellung der zur Reſtitution ausſchließend berechtigten Be-

hörde. Schon Das war wichtig, daß die Reſtitution nicht

in die Hand derſelben Perſonen gelegt wurde, welche die

gewöhnlichen Urtheile zu ſprechen hatten, der Privatrichter;

denn gerade die Vereinigung dieſer beiden Thätigkeiten

konnte leicht von der unbefangenen Anwendung der reinen

Rechtsregeln abführen, und dem Mißbrauch blos ſubjectiver

Anſichten und Gefühle Raum geben. Ein noch ſtärkerer

Schutz aber lag in der eigenthümlichen Stellung der Prä-

toren. Einem ungerechten Mißbrauch ihres einflußreichen

Amtes wurde ſchon durch die kurze (einjährige) Dauer

dieſes Amtes entgegengewirkt, nach deſſen Beendigung alle

 

|0132 : 110|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Ausſicht auf Macht und Einfluß verloren war, wenn ſie

ſich nicht durch parteiloſe Amtsführung das Vertrauen ihrer

Mitbürger bewahrt hatten. Nicht zu gedenken, daß auch

während ihrer Amtsführung eine große Zahl von gleich

oder höher ſtehenden Obrigkeiten, ſo wie von Volkstribunen,

neben den Prätoren vorhanden war, deren jeder einzeln

durch ſeinen Einſpruch den Verſuch ungerechter Willkür

verhindern konnte (a).

Dieſes war das urſprüngliche Verhältniß der Reſtitution,

und es iſt darin ein befriedigender Zuſammenhang der ver-

ſchiedenen Seiten dieſes Rechtsinſtituts unverkennbar. Es

ſind aber nun die großen Veränderungen hinzu zu fügen,

die ſich mit demſelben im Laufe der Zeit zugetragen haben.

 

Dieſe Veränderungen betrafen zunächſt die Beſchaffenheit

der zur Reſtitution berechtigten Behörde. Seit der Kaiſer-

regierung nahmen die Prätoren eine weit untergeordnetere

Stellung ein, als zur Zeit der freien Republik. Die Be-

fugniß zur Reſtitution wurde ſpäter auch manchen anderen

Klaſſen von Richtern mitgetheilt. Als der alte ordo judi-

ciorum aufgegeben wurde, hörte die perſönliche Trennung

der Reſtitution vom Urtheilſprechen auf, und beide Geſchäfte

kamen in eine und dieſelbe Hand. Endlich in neueren

 

(a) S. o. B. 6 Beilage XV.

Die hier geſchilderte Schutzwehr

gegen den Mißbrauch, den die

Prätoren von der Reſtitution

machen konnten, war dieſelbe, die

es auch ohne Gefahr zuließ, ihnen

den höchſt wichtigen Einfluß auf

das Recht durch ihre Edicte zu ge-

ſtatten, die zwar nicht, wie man

früher anzunehmen pflegte, wahre

Geſetze waren, aber doch auf

ähnliche Weiſe, wie Geſetze, auf

das Recht einwirkten. S. o. B. 1

S. 116—119.

|0133 : 111|

§. 317. Natur und Entwicklung der Reſtitution.

Zeiten iſt die Ertheilung der Reſtitution allen Richtern

ohne Unterſchied überlaſſen worden (§ 334). Durch dieſe

allmälig eingetretenen Veränderungen nun ſind alle oben

geſchilderten Schutzwehren nach und nach weggefallen, und

es ſcheint, daß die Reſtitution nunmehr ein für die Rechts-

ſicherheit höchſt gefährliches Inſtitut geworden ſeyn müßte.

Allein es ſind ſeitdem auch von der anderen Seite Ver-

änderungen eingetreten, wodurch dieſe Gefahr größtentheils

beſeitigt worden iſt.

 

Dahin gehört zuerſt der Umſtand, daß ſeit der Kaiſer-

regierung die Appellation allgemein eingeführt worden iſt

(Beilage XV). Dieſer wurde nun auch die Reſtitution

unterworfen, die in dieſer Hinſicht mit gewöhnlichen Ur-

theilen auf gleiche Linie trat, und ſeitdem nicht mehr mit

der Gefahr verbunden war, eine unabänderliche Ungerechtig-

keit herbei zu führen.

 

Noch wichtiger aber waren in dieſer Hinſicht die Ver-

änderungen, die allmälig und unvermerkt in der, mit der

Reſtitution urſprünglich verbundenen, faſt unbeſchränkt freien

Macht eintraten, und wodurch die Gefahr der Willkür

zuletzt faſt ganz verſchwinden mußte.

 

Schon die Prätoren ſelbſt hatten zwar in einem Fall

der Reſtitution ein völlig freies Ermeſſen bei der Ge-

währung oder Verſagung ſich vorbehalten (b), in anderen

Fällen dagegen ſehr genaue Bedingungen derſelben ausge-

 

(b) L. 1 § 1 de minor. (4. 4).

|0134 : 112|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

ſprochen (c), und dadurch dieſe Fälle der Reſtitution den

gewöhnlichen Rechtsmitteln näher gebracht.

Noch wichtiger aber war es, daß die Prätoren in

manchen wichtigen Fällen die früher dargebotene Reſtitution

in gewöhnliche Klagen und Einreden umwandelten, alſo

die bis dahin unfertige Regel in eine fertige auflöſten, ſo

daß in dieſen Fällen von der früheren Reſtitution, außer

unbedeutenden Ueberreſten der Anwendung, nur noch ein

Andenken übrig bleibt in der Stellung, welche jenen Klagen

im Edict und in den Digeſten zu Theil geworden iſt (d).

 

Endlich bearbeiteten auch die alten Juriſten die Reſtitu-

tionslehre, beſonders in ihren Commentaren über das Edict,

worin ſie die langjährigen Erfahrungen über die Anwen-

dung dieſes Rechtsinſtituts niederlegten. Indem ſie nun

hier ſehr ausführliche caſuiſtiſche Regeln über die Ge-

währung und Verſagung der Reſtitution aufſtellten, nahm

dieſelbe unter ihren Händen immer mehr die Natur eines

gewöhnlichen Rechtsmittels an, und verlor ſo ihren urſprüng-

lichen Charakter, nach welchem ſie der freien Macht der

Behörde überlaſſen geweſen war. Dieſes iſt namentlich die

Geſtalt, worin wir die Reſtitution in den Juſtinianiſchen

Rechtsbüchern vor uns ſehen. Man hätte hier die Re-

ſtitution in ihrer alten Form und Bezeichnung ganz auf-

 

(c) L. 1 § 1 ex quib. caus.

(4. 6).

(d) Dahin gehören die actio-

nes quod metus causa, doli,

und de alienatione judicii mu-

tandi causa. S. o. § 316 Note

h bis l.

|0135 : 113|

§. 317. Natur und Entwicklung der Reſtitution.

geben und durch gewöhnliche Klagen (ſo wie es theilweiſe

früher durch die actio doli und quod metus causa geſchah)

erſetzen können; durch ein ſolches Verfahren hätten wir nur

einige geſchichtliche Kenntniß verloren, von dem praktiſchen

Rechtsinſtitut ſelbſt aber, wie es im Juſtinianiſchen Recht

gemeint war, ein richtigeres Bild erhalten.

So iſt von verſchiedenen Seiten her die Reſtitution im

Lauf der Zeiten mehr und mehr den gewöhnlichen Rechts-

mitteln angenähert worden, und in dieſer ſehr veränderten

Geſtalt iſt ſie als Beſtandtheil des gemeinen Rechts zu uns

herüber gekommen. Dennoch hat ſie auch noch in dieſer

Geſtalt in der Hand gewöhnlicher, oft untergeordneter

Richter nicht ſelten mehr als andere Inſtitute, die Gefahr

von Mißbrauch und Willkür herbeigeführt, beſonders weil

ſowohl dieſe Richter, als die Schriftſteller, denen dieſelben

folgten, das Römiſche Recht häufig mißverſtanden und irrig

anwendeten. Bei unbefangener Betrachtung muß eingeräumt

werden, daß dieſes Inſtitut des Römiſchen Rechts weniger,

als die meiſten anderen, einen inneren Grund des Fortbe-

ſtehens und der Eiwirkung auf den heutigen Rechtszuſtand

mit ſich führt. Auch hat daſſelbe in neueren Geſetzgebungen

vorzugsweiſe wenig Berückſichtigung und Aufnahme ge-

funden (e). Das hier ausgeſprochene zuſammenfaſſende

 

(e) Im Preußiſchen A. L. R.

I. 9 § 531 fg. §. 594 kommt die

Reſtitution bei der Verjährung vor.

Hier hilft das Franzöſiſche Recht

einfacher (gleich dem neueren R.

R.), indem es die Verjährung

in ſolchen Fällen ipso jure hemmt

(Code civil art. 2252).

VII. 8

|0136 : 114|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Urtheil über den inneren Werth dieſes Inſtituts im Ver-

hältniß zu unſerm heutigen Rechtszuſtand erhält eine beſon-

dere Beſtätigung durch die Betrachtung der einzelnen Re-

ſtitutionsgründe. Bei der Reſtitution der Minderjährigen

wird ihre ſehr bedenkliche praktiſche Seite noch näher nach-

gewieſen werden (§ 322). Die Reſtitution der Abweſenden

hat zwar keine ähnliche allgemeine Gründe gegen ſich; allein

das Bedürfniß und die Wichtigkeit derſelben hat ſich ſeit

ihrer erſten Einführung ungemein vermindert. Sie war

beſonders wichtig als Abhülfe gegen die Gefahren, die aus

der kurzen Uſucapion (ein Jahr und zwei Jahre), ſo wie

aus vielen kurzen Klagverjährungen entſtanden. Seitdem

damit viele und große Veränderungen vorgegangen ſind, iſt

auch ſie leichter zu entbehren. Die übrigen Reſtitutionen

aber waren ſchon im neueren Römiſchen Recht meiſt durch

ordentliche Rechtsmittel erſetzt, und daher als Reſtitutionen

nicht mehr wichtig.

Ich faſſe die hier gegebene Rechenſchaft über die innere

Entwicklung der Reſtitution in einem kurzen Ueberblick zu-

ſammen. Wir ſehen dieſes Rechtsinſtitut in einem allmä-

ligen, aber fortwährenden Streben zur Selbſtvernichtung,

und die neueſte Geſtalt deſſelben zeigt uns wenig Aehnlich-

keit mehr mit dem urſprünglichen Weſen deſſelben. Dieſer

auffallende Entwicklungsgang aber hat ſeinen Grund nicht

etwa darin, daß man den urſprünglichen Gedanken ſpäter-

hin als irrig und verfehlt anerkannt und darum aufgegeben

hätte. Vielmehr iſt darin der natürliche Weg organiſcher

 

|0137 : 115|

§. 317. Natur und Entwicklung der Reſtitution.

Rechtsbildung wahrzunehmen, indem die Anfangs unfertige,

erſt durch die freie perſönliche Handhabung zu ergänzende,

Rechtsregel allmälig in eine fertige und vollendete hinüber

geführt, und ſo das extraordinarium auxilium in ein

commune auxilium aufgelöſt wurde (f).

Ganz im Widerſpruch mit der hier aufgeſtellten Anſicht

behauptet ein neuerer Schriftſteller, die Reſtitution ſey von

den Römern im Laufe der Zeit manchen ordentlichen Klagen

vorgezogen, und häufiger, als früher, zur Anwendung ge-

bracht worden (g). Sie ſoll ſich beſonders beliebt gemacht

haben theils durch das ſchnellere und kürzere Verfahren,

theils durch manche praktiſche Vortheile für den Kläger,

wohin vorzüglich der gerechnet wird, daß bei den arbiträren

Klagen der Beklagte die Wahl hatte, entweder die Sache

ſelbſt herauszugeben, oder ſich zur Entſchädigung verur-

theilen zu laſſen, anſtatt daß die Reſtitution ſtets die ver-

lorene Sache ſelbſt wieder verſchaffte (h). — Der Beweis

 

(f) Es finden ſich dieſe Aus-

drücke in L. 16 pr. de minor. (4. 4).

(g) Burchardi § 19. 20, be-

ſonders S. 361—363. 376. 382.

Dieſe Behauptung hat jedoch bei

ihm eine blos hiſtoriſche Bedeutung;

für das praktiſche Bedürfniß des

heutigen Rechts ſieht auch er die

Reſtitution als bedenklich an, und

hält eine größere Beſchränkung

ihres Gebrauchs für wünſchens-

werth S. 546.

(h) Dieſer Vortheil des Be-

klagten, wenn man es ſo nennen

will, wurde ja aber weit über-

wogen durch die mit der Verur-

theilung für ihn verbundenen Nach-

theile S. o. B. 5 S. 123. 124. —

Ein anderer praktiſcher Vortheil,

bei der aus Furcht vorgenommenen

Antretung oder Ausſchlagung einer

Erbſchaft, (Burchardi S. 363)

iſt an ſich richtig, gehört aber

nicht zu den ſpäteren Ausdehnungen

der Reſtitution, ſondern gerade

umgekehrt zu ihren ſehr mäßigen

Ueberreſten, nachdem durch die

Klage und Einrede wegen Gewalt

für die allermeiſten Fälle in anderer

Art hinreichend geſorgt war.

8*

|0138 : 116|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

dieſer Behauptung wird verſucht theils durch ſolche ſchon

oben angegebene Stellen, worin in der That der Ausdruck

in integrum restitutio auf ungenaue Weiſe gebraucht

wird (§ 316), theils durch eine weit größere Zahl von

Stellen, deren unbeſtimmte Ausdrücke an ſich ſowohl auf

die Reſtitution als auf ordentliche Rechtsmittel bezogen

werden können, und die nun willkürlich auf die Reſtitution

gedeutet werden. Ein ſolches Verfahren kann nicht als das

einer unbefangenen und vorſichtigen Kritik anerkannt

werden.

Es iſt ein lebhafter Streit darüber geführt worden, ob

die prätoriſche Reſtitution in das Gebiet der Gnade oder

des Rechts gehöre. Ein neuerer Schriftſteller nennt ſie

einen Gnadenact, eine Gnadenerweiſung, eine beſondere

Vergünſtigung, auf welche Niemand ein wahres Recht, ein

Recht im juriſtiſchen Sinne des Worts habe (i). Andere

haben dieſer Anſicht entſchieden widerſprochen, und die Re-

ſtitution durchaus dem Rechtsgebiet zugewieſen (k).

 

Wenn man genau zuſieht, was hier unter Gnade ver-

ſtanden werden ſoll, ſo wird man ſich überzeugen, daß

dieſer Streit mehr den Ausdruck, als das Weſen der Sache,

betrifft, alſo eigentlich überflüſſig war. Man kann bei

jenem Ausdruck denken an ein Handeln aus bloßer Laune

und Willkür, aus heiterer Stimmung, perſönlicher Gunſt,

 

(i) Buchardi § 1. 3, beſon-

ders S. 7. 20. 40. 41.

(k) Puchta Pandekten § 100

Note c. Ausführlicher Schröter

S. 169—174.

|0139 : 117|

§. 317. Natur und Entwicklung der Reſtitution.

oder anderen rein ſubjectiven Antrieben. Daß die Reſtitu-

tion in dieſem Sinn jemals als ein Gnadenact gedacht

worden ſey, wird wohl Niemand behaupten. — Man

kann aber jenen Ausdruck auch in einem ernſteren Sinn

auffaſſen, ſo wie er gedacht wird, wenn von der Begna-

digung eines Verbrechers die Rede iſt, wobei ja Niemand

an dem Gebrauch jenes Ausdrucks Anſtoß nimmt. Auch

dabei nun würde ein Handeln aus den eben geſchilderten

Beweggründen höchſt verwerflich ſeyn. Die rechte Be-

gnadigung wird vielmehr nur da eintreten, wo von einem

höheren Standpunkt aus die ſtrenge Anwendung des Ge-

ſetzes als Unrecht erſcheinen würde, mit Rückſicht auf die

beſonderen Umſtände des einzelnen Falles. Dieſes iſt aber

derſelbe Standpunkt, von welchem aus die Ausgleichung

zwiſchen jus und aequitas durch die Reſtitution bewirkt

werden ſoll (§ 315 Note d), ſo daß in dieſem Sinn die

Reſtitution füglich ein Gnadenact genannt werden könnte.

In der That hat ſie auch der angeführte Schriftſteller nur

in dieſem Sinne ſo bezeichnen wollen, indem er dadurch

das beſonders freie Ermeſſen in der Reſtitution am beſten

hervorzuheben glaubte. Daß er nur Dieſes meinte, geht

unwiderſprechlich daraus hervor, daß er zugleich anerkennt,

wenn die Bedingungen der Reſtitution vorhanden waren,

ſey die Ertheilung derſelben eine Amtspflicht des Prätors

geweſen, deren Gewährung ſelbſt durch Appellation habe

|0140 : 118|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

erzwungen werden können (l). — Da indeſſen der Ausdruck

Gnadenact dem eben dargeſtellten Mißverſtändniß

Raum giebt, und in der That zu einem unnöthigen und

unfruchtbaren Streit geführt hat, und da auch durch die

Anwendung jenes Ausdrucks nicht das Geringſte gewonnen

wird, ſo iſt es allerdings beſſer, denſelben in der Lehre

von der Reſtitution ganz zu vermeiden. Es kommt hinzu,

daß auch ſelbſt bei der criminalrechtlichen Reſtitution der

Ausdruck Gnade ohne Zweifel nur dadurch allgemeine und

unbedenkliche Anerkennung gefunden hat, daß dieſes Recht

mit der hohen Stellung des Souverains verbunden iſt,

eine Stellung, mit welcher doch die des Prätors in keiner

Zeit verglichen werden konnte.

§. 318.

Reſtitution. — Bedingungen. — I. Verletzung.

In der Lehre von der Reſtitution ſelbſt, wozu durch die

bisherige Unterſuchung der Grund gelegt werden ſollte,

ſind nunmehr zuerſt die Bedingungen aufzuſtellen, unter

welchen ein Anſpruch auf dieſe außerordentliche Rechtshülfe

 

(l) Burchardi S. 40. 41.

Allerdings paßt zu dieſen letzten

Zugeſtändniſſen nicht ſonderlich die

daneben ſtehende ſchroffe Ver-

neinung eines auf die Reſtitution

zuſtehenden wahren Rechts. Viel-

leicht hat ſich der Verfaſſer durch

den Umſtand täuſchen laſſen, daß

einem Verbrecher kein Recht auf

Begnadigung zuzuſchreiben iſt.

Dieſes aber liegt darin, daß die

Begnadigung nur dem Souverain

zuſteht, der in der Ausübung ſeiner

Hoheitsrechte keiner Aufſicht und

Verantwortung unterworfen iſt.

|0141 : 119|

§. 318. Bedingungen der Reſtitution. I. Verletzung.

entſteht; durch dieſe Bedingungen werden zugleich die ein-

zelnen Arten und Fälle der Reſtitution beſtimmt. Sodann

ſind die Regeln anzugeben, nach welchen die Reſtitution

zur Ausführung zu bringen iſt: die dabei thätigen Behörden;

die Parteien, zwiſchen welchen dieſelbe zur Anwendung

kommt; das Verfahren, welches dabei beobachtet wird, wo-

hin auch die ihr eigenthümliche Verjährung gehört; endlich

die mit dieſem Rechtsmittel verbundene Wirkung. — Jenes

erſte Stück der ganzen Unterſuchung läßt ſich als der mate-

rielle, dieſes zweite als der formelle Theil der Lehre von

der Reſtitution bezeichnen.

Die Bedingungen der Reſtitution ſind zunächſt in fol-

gender kurzen Ueberſicht zuſammen zu ſtellen.

 

Die erſte Bedingung iſt eine Verletzung, die durch

dieſes Rechtsmittel aufgehoben werden ſoll.

 

Die zweite iſt ein Reſtitutionsgrund, woraus der

Anſpruch auf dieſe außerordentliche Hülfe, als Ausnahme

von den gewöhnlichen Rechtsregeln, abzuleiten iſt. Die

einzelnen Reſtitutionsgründe bilden zugleich die einzelnen

Arten der Reſtitution ſelbſt.

 

Die dritte Bedingung endlich beſteht in der Abweſenheit

derjenigen poſitiven Ausnahmen, wodurch die Reſtitu-

tion, auch unter Vorausſetzung jener erſten Bedingungen,

gänzlich ausgeſchloſſen wird.

 

|0142 : 120|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die erſte Bedingung alſo iſt eine erlittene Verletzung

(Läſion). Man könnte geneigt ſeyn, darunter eine Rechts-

verletzung zu verſtehen, alſo dieſe für die Vorausſetzung

zuläſſiger Reſtitution zu halten. Dieſes iſt aber ſo wenig

anzunehmen, daß vielmehr im Fall einer wahren Rechts-

verletzung (z. B. Raub oder Diebſtahl) die gewöhnlichen

Klagen völlig ausreichen werden, wodurch die Reſtitution

überflüſſig, alſo unzuläſſig wird.

 

Unter der Verletzung, als Grundbedingung der Reſtitu-

tion, iſt eine wahre Veränderung des Rechtszuſtandes zu

verſtehen, und zwar eine ſolche, die einen Nachtheil mit

ſich führt für Den, welcher die Reſtitution ſucht (§ 315).

Eine wahre Veränderung des Rechtszuſtandes aber kann

nur als eine an ſich rechtmäßige, vom Recht anerkannte,

gedacht werden, ſonſt würde höchſtens von einer thatſäch-

lichen Aenderung, einer gehemmten Ausübung des Rechts,

die Rede ſeyn können.

 

Eine ſolche Veränderung kann herbeigeführt ſeyn ent-

weder durch Thun oder durch Unterlaſſen. Das Thun

heißt in dieſem Fall ein gestum, eine juriſtiſch wirkſame

Thätigkeit (a). Die dadurch in Nachtheil gebrachten Per-

ſonen heißen lapsi, capti, circumventi, circumscripti (b);

 

(a) L. 1 § 1. L. 7 pr. de

minor. (4. 4). „Quod cum mi-

nore … gestum esse dicetur. —

Gestum accipimus, qualiter

qualiter: sive contractus sit,

sive quid aliud contigit.“

(b) L. 1 de in int. rest. (4. 1),

L. 24 § 1. L. 44 de minor.

(4. 4), L. 9 § 4 de jurej. (12. 2).

|0143 : 121|

§. 318. Bedingungen der Reſtitution. I. Verletzung.

es würde aber irrig ſeyn, dieſe Ausdrücke hier von einer

Unredlichkeit des Gegners (einem Betrug) zu verſtehen, die

dabei ganz gleichgültig iſt, indem der Nachtheil auch blos

durch Leichtſinn oder Unerfahrenheit des Betheiligten ſelbſt

entſtanden ſeyn kann (c).

Als Verletzung iſt ferner nicht blos eine ſchon vollendete

Verminderung des Rechtszuſtandes anzuſehen, ſondern auch

ſchon die Verwandlung eines ſicheren Rechts in ein zwei-

felhaftes oder beſtrittenes, da die Verfolgung dieſes letzten

wenigſtens Mühe, Koſten, ſo wie die Gefahr des nach-

theiligen Ausganges eines Rechtsſtreites nach ſich zieht (d).

 

Es iſt eine ſehr beſtrittene Frage, ob zur Reſtitution

nur allein die Verminderung des ſchon erworbenen Ver-

mögens geeignet ſey, oder auch die verſäumte Vermehrung

deſſelben (lucrum). Die Anwendung auf dieſen letzten Fall,

alſo die günſtigere und freiere Behandlung, iſt für die Re-

ſtitution der Minderjährigen nach mehreren Stellen unzwei-

felhaft (e). Da nun für andere Fälle der Reſtitution das

 

(c) L. 11. § 4. L. 44. de minor.

(4. 4). — So heißt es auch: „na-

turaliter licere contrahentibus

se circumvenire (circumscri-

bere).“ L. 16 § 4. de minor.

(4. 4), L. 22 § 3 loc. (19. 2), mit

welchem Ausdruck ein Uebervor-

theilen ohne Betrug bezeichnet wird,

da der Betrug in keinem Fall als

erlaubt gedacht werden kann. —

Anderwärts werden dieſe Aus-

drücke allerdings auch gebraucht,

um einen Betrug zu bezeichnen.

(d) L. 6 de minor. (4. 4)

„… cum intersit eorum, li-

tibus et sumtibus non vexari.“

Eine erläuternde Anwendung dieſer

Regel findet ſich in L. 40 pr. eod.

(e) L. 7 § 6 de min. (4. 4),

„Hodie certo jure utimur, ut

et in lucro minoribus subve-

niatur.“ L. 44 eod., L. 17 § 3

de usuris. (22. 1).

|0144 : 122|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap IV. Verletzung.

Gegentheil geſagt zu ſeyn ſcheint (f), ſo iſt daraus von

Manchen die Regel gebildet worden, die Minderjährigen ſeyen

gegen Verluſt und gegen entbehrten Gewinn zu reſtituiren,

Andere nur gegen Verluſt (g). — In der That aber iſt

der Gegenſatz auf einem anderen Punkte zu ſuchen, und

die Minderjährigen ſtehen hierin mit allen übrigen zur Re-

ſtitution Berechtigten ganz auf gleicher Linie. Es muß

nämlich unterſchieden werden zwiſchen einem ſolchen Ge-

winn, wodurch ein Anderer an ſeinem ſchon erworbenen

Vermögen verkürzt wird, und dem Gewinn, wobei dieſer

Fall nicht eintritt. Der erſte ſoll niemals Grund einer

Reſtitution werden können, weder für einen Minderjährigen,

noch für irgend einen Andern. Daher gilt keine Reſtitution

für die Verſäumniß einer Strafklage, durch welche der

Beklagte um eben ſo viel ärmer, als der Kläger reicher,

wird (h). Eben ſo auch gilt keine Reſtitution, wenn ein

(f) L. 18 ex quib. caus. (4. 6)

„Sciendum est, quod in his

casibus restitutionis auxilium

majoribus damus, in quibus

rei duntaxat persequendae gra-

tia queruntur, non cum et

lucri faciendi ex alterius poena

vel damno auxilium sibi im-

pertiri desiderant.“

(g) Puchta, Pandekten § 101

Note d.

(h) L. 37 pr. de min. (4. 4)

(von Minderjährigen). — L. 18

ex quib. caus., ſ. o. Note f; in

dieſer Stelle liegt der Accent nicht

auf lucri faciendi, ſondern auf

ex alterius poena vel damno.

Es iſt alſo die Rede von den

zweiſeitigen Strafklagen, ſ. o. B. 5

§ 210. — Dieſelbe Natur haben

die Fideicommißzinſen, wenn der

belaſtete Erbe die Auszahlung des

Fideicommiſſes ohne ſeine Schuld

unterlaſſen hat. Auch für dieſe

ſoll ſelbſt der Minderjährige keine

Reſtitution erhalten. L. 17. § 3

de usur. (22. 1).

|0145 : 123|

§. 318. Bedingungen der Reſtitution. I. Verletzung.

Erwerb durch Uſucapion verſäumt wird, weil auch dieſe

Erweiterung des Vermögens nur durch einen gleich großen

Verluſt in dem Vermögen des bisherigen Eigenthümers

bewirkt werden kann (i). — Gegen die Verſäumniß des-

jenigen Gewinns aber, wodurch nicht zugleich einem

Anderen ſchon erworbenes Vermögen entzogen wird, ſoll

allerdings Reſtitution ertheilt werden, wenn ein Reſtitutions-

grund vorhanden iſt. Dahin gehört der Fall, wenn der

Erwerb einer Erbſchaft oder eines Legates verſäumt worden

iſt durch Minderjährigkeit (k), oder wenn der ernannte

Erbe oder Legatar das ihm zugedachte Recht wegen Ab-

weſenheit im Kriegsdienſt eingebüßt hat (l); denn wenn

dieſe durch Reſtitution in die frühere Lage zurück verſetzt

werden, ſo erlangen ſie Etwas, das damals noch zu keines

anderen Menſchen Vermögen gehört hat. Man kann alſo

mit Recht von der Reſtitution der Abweſenden, eben ſo,

wie von der der Minderjährigen, ſagen, daß ſie auch auf

verſäumten Gewinn angewendet werden könne (m), und

(i) L. 20 ex quib. caus.

(4. 6).

(k) L. 1. 2 C. si ut omissam

(2. 40).

(l) L. 17 pr. § 1. L. 41 ex

quib. caus.

(m) L. 27 ex quib. caus. (4. 6)

„Et sive quid amiserit, vel

lucratus non sit, restitutio fa-

cienda est, etiamsi non ex

bonis quid amissum sit.“ Es

iſt wohl zu bemerken, daß dieſe

Stelle aus demſelben Buche her-

rührt, wie die oben in der Note f

abgedruckte L. 18 eod. (Paul.

lib. XII ad Ed.), ſo daß an einen

Widerſtreit der alten Juriſten unter

ſich nicht zu denken iſt.

|0146 : 124|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

zwiſchen beiden Fällen der Reſtitution iſt hierin in der

That kein Unterſchied (n).

Die Thatſache der Verletzung, alſo des erlittenen Nach-

theils durch Veränderung des Rechtszuſtandes, muß ſo, wie

jede andere Thatſache, wenn ſie bezweifelt wird, von Dem,

welcher die Reſtitution ſucht, erwieſen werden, und es iſt

ganz ohne Grund von Manchen behauptet worden, ein

ſolcher Beweis ſey nicht erforderlich, es komme vielmehr

blos auf die Behauptung des Nachtheils an (o)

 

§ 319.

Reſtitution. — Bedingungen. — I. Verletzung.

(Fortſetzung.)

Die Natur der Verletzung, welche für jede Reſtitution

vorausgeſetzt wird, iſt nun noch zur Anſchauung zu bringen

durch eine Ueberſicht der Arten der Rechtsverhältniſſe, in

welchen dieſelbe vorkommen, und zu dem Bedürfniß einer

Reſtitution hinführen kann (a).

 

(n) Die hier gemachte Unter-

ſcheidung iſt ſchon aufgeſtellt von

Cujacius in Paul. lib. XII ad

Ed., opp. T. 5 p. 167. — Auch

Burchardi S. 60—69 behauptet

ein gleiches Recht der Minderjäh-

rigen und der Volljährigen. Ohne

Grund aber behandelt er S. 132

die bei den Strafklagen unzuläſ-

fige Reſtitution als eine ganz ver-

einzelte Ausnahme, welche viel-

mehr weſentlich in dieſen Zu-

ſammenhang gehört.

(o) L. 7 § 3. L. 35. 44 de min.

(4. 4), L. 9 § 4 de jurej. (12. 2),

L. 5 pr. C. de in int. rest. min.

(2. 22), L. 1 C. si adv. vend. pign.

(2 29). — Burchardi S. 57 —

59. S. 448.

(a) Burchardi § 9, wo über

die meiſten dieſer Anwendungen

Beweisſtellen in großer Zahl zu-

ſammen geſtellt ſind.

|0147 : 125|

§. 319. Bedingungen d. Reſtitution. I. Verletzung. (Fortſ.)

Im Sachenrecht erſcheint die Erſitzung als der häu-

figſte Fall einer ſolchen, die Reſtitution veranlaſſenden Ver-

letzung. Wenn nämlich ein Eigenthümer das Eigenthum

ſeiner Sache dadurch verliert, daß ein Anderer dieſelbe uſu-

capirt, welches zu verhindern er ſelbſt unterlaſſen hat, ſo

kann die Reſtitution gegen dieſe Unterlaſſung zur Herſtel-

lung des Rechtszuſtandes führen, welcher vor vollendeter

Erſitzung vorhanden war (b). — Dieſelbe oder eine ähn-

liche Natur hat der Verluſt einer Servitut durch Nicht-

gebrauch. — Ferner der Verluſt eines prätoriſchen Erb-

rechts durch die verſäumte Agnitionsfriſt. — Endlich würde

auch der Verluſt eines Klagerechts durch Verjährung ganz

dieſelbe Natur haben, wenn nicht dafür folgende abwei-

chende Vorſchriften gegeben wären. Gegen die dreißig-

jährige Klagverjährung nämlich ſoll gar keine Reſtitution

gelten, ſelbſt für Minderjährige nicht; die kürzeren Klag-

verjährungen ſollen während der Minderjährigkeit des Klag-

berechtigten gar nicht laufen, ohne daß es einer Reſtitution

bedarf; die übrigen Reſtitutionsgründe ſind bei ihnen eben

ſo anzuwenden, wie bei dem Verluſt durch Erſitzung oder

bei anderen Verletzungen (c).

 

Im Obligationenrecht findet ſich die ausgedehnteſte

 

(b) So bei Minderjährigen

L. 45 pr. de min. (4. 4). — Eben

ſo, wenn die Erſitzung gegen einen

Abweſenden, oder umgekehrt von

Seiten eines Abweſenden, vorge-

nommen wird. L 1 § 1 ex quib.

caus. (4. 6).

(c) S. o. B. 3 Beilage VIII.

Num. XXVII.

|0148 : 126|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Anwendung der Reſtitution. — Sie kommt vor bei allen

Arten von Verträgen, wodurch zum Nachtheil einer Perſon

Obligationen gegründet werden können. Insbeſondere alſo

bei Kauf und Verkauf, bei Miethverträgen, Societäten.

Ferner bei einem aufgenommenen Darlehen, wenn der Em-

pfänger das geliehene Geld ganz oder zum Theil verſchwen-

det (d). Bei einer Interceſſion für die Schuld eines An-

deren (e). Bei dem Compromiß auf einen Schiedsrichter (f).

— Eben ſo iſt aber auch die Reſtitution anwendbar auf

viele Handlungen, wodurch Obligationen aufgelöſt werden.

Dahin gehört von Seiten des Gläubigers die Novation,

wenn er durch dieſelbe eine weniger ſichere Art der Schuld,

oder einen weniger zahlungsfähigen Schuldner empfängt (g).

Ferner die Befreiung des Schuldners durch Acceptilation (h).

Der Empfang einer Zahlung, wenn das empfangene Geld

verſchwendet wird (i). Von Seiten des Schuldners gehört

dahin die Zahlung einer Schuld, die er vermeiden könnte,

weil ſie nicht klagbar iſt (k). Ferner das Hingeben einer

(d) L. 24 § 4. L. 27 § 1 de

min. (4. 4).

(e) L. 50 de min. (4. 4).

(f) L. 34 § 1 de min. (4. 4).

(g) L. 27 § 3. L. 40 pr. de

min. (4. 4).

(h) L. 27. § 2 de min. (4. 4).

(i) L. 24 § 4. L. 27 § 1. L. 47

§ 1 de min. (4. 4). L. 32 § 4 de

admin. (26. 7). Der Grund iſt

derſelbe, wie bei dem empfangenen

und verſchwendeten Darlehen, nur

ſoll es mit der Reſtitution gegen

das Darlehen leichter genommen

werden, weil das Geben eines

Darlehens willkürlich ſey, die

Zahlung der Schuld eine noth-

wendige Handlung.

(k) L. 25 pr. de min. (4. 4).

|0149 : 127|

§. 319. Bedingungen d. Reſtitution. I. Verletzung. (Fortſ.)

Sache an Zahlungsſtatt, wenn dieſe mehr werth iſt als die

Schuld (l).

Im Erbrecht iſt die Reſtitution anwendbar, wenn eine

nachtheilige Erbſchaft angetreten wird, und der Erbe davon

befreit zu werden verlangt (m). Eben ſo, wenn eine vor-

theilhafte Erbſchaft ausgeſchlagen iſt, die man nun wieder

erwerben möchte, oder wenn die Agnitionsfriſt für ein prä-

toriſches Erbrecht verſäumt iſt (n). Endlich auch wenn die

Erfüllung einer Bedingung verſäumt wird, unter welcher

Jemand zum Erben eingeſetzt iſt (o).

 

Im Familienrecht kommt die Reſtitution vor, wenn

eine Arrogation zum Nachtheil des Arrogirten vorgenommen

wird, und dieſer hinterher in ſeine frühere Unabhängigkeit

hergeſtellt zu werden verlangt (p).

 

Im Prozeßrecht endlich findet ſich eine beſonders

häufige und wichtige Anwendung der Reſtitution (q). —

 

(l) L. 40 § 1 de min. (4. 4).

(m) L. 6 de in int. rest.

(4. 1), L. 21 § 5 quod metus

(4. 2), L. 7 § 5. 10, L. 22, L. 29

§ 2, L. 31 de min. (4. 4), L. 85

de adqu. her. (29. 2). — Nach

L. 6 § 7 eod. könnte man glauben,

der erzwungene Antritt einer Erb-

ſchaft ſey ipso jure nichtig, alſo

ohne Reſtitution; es iſt aber da

wohl von einem ſimulirten, alſo

blos ſcheinbaren Antritt, (fallens

adierit) die Rede. Burchardi

S. 366.

(n) L. 21 § 6 qu. met. (4. 2),

L. 7 § 10, L. 22, L. 24 § 2,

L. 30 de min. (4. 4). L. 2 C. si

ut omissam. (2. 40).

(o) L. 3 § 8 de min. (4. 4).

(p) L. 3 § 6 de min. (4. 4).

Es darf alſo nicht behauptet werden,

daß jede capitis deminutio der

Reſtitution entzogen ſey, wie es

nach L. 9 § 4 eod. ſcheinen könnte.

Burchardi S. 129 — 132.

(q) L. 7 § 4 de min. (4. 4).

„Sed et in judiciis subvenitur,

sive dum agit sive dum con-

venitur, captus sit.“

|0150 : 128|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Dazu gab beſondere Veranlaſſung der alte Römiſche Prozeß,

deſſen theilweiſe ſtrenge und harte Formen häufig zu dem

Bedürfniß einer billigen Ausgleichung bloßer Verſehen durch

Reſtitution führten. — Aber auch in den Quellen des Ju-

ſtinianiſchen Rechts finden ſich viele Anwendungen der

Reſtitution auf den Prozeß. Dahin gehört die Reſtitution

wegen einer verſäumten Anführung im Rechtsſtreit, wegen

einer verſäumten Appellationsfriſt, wegen der unvorſichtigen

Zuſchiebung eines Eides, wegen der aus dem Ungehorſam

gegen richterliche Verfügungen hervorgehenden Nachtheile (r).

— Die wichtigſte Reſtitution dieſer Klaſſe aber iſt die gegen

ein rechtskräftiges Urtheil, ſelbſt wenn dieſes von derſelben

richterlichen Obrigkeit herrührt, die jetzt die Reſtitution er-

theilen ſoll (s). Dieſe Reſtitution hat eine ähnliche Wir-

kung, wie die Appellation, nämlich wiederholte Prüfung

und mögliche Abänderung eines geſprochenen Urtheils (t).

Dabei liegt der Gedanke zum Grunde, daß der unterliegende

Theil, der die Reſtitution ſucht, durch geſchicktere Führung

(r) L. 36 de min. (4. 4),

L. 7 § 11. 12, L. 8 de min. (4. 4),

L. 9 § 4 de jurej. (12. 2).

(s) L. 16 § 5, L. 17, L. 18,

L. 29 § 1, L. 42 de min. (4. 4),

L. 8 de in inst. rest. (4. 1),

tit. Cod. si adv. rem jud. (2. 27).

— Blos eine einzelne Anwendung

davon iſt die Reſtitution gegen das

possidere jubere. L. 15 § 2

ex. qu. c. majorem (4. 6), L. 15

§ 33 de de damno inf. (39. 2).

(t) L. 42 de min. (4. 4),

L. 18 de interrog. (11. 1). Der

Unterſchied liegt darin, daß die

Appellation den ungerechten In-

halt des Urtheils geltend macht,

die Reſtitution das eigene Verſehen

des Betheiligten oder den aus dem

Benehmen des Gegners entſprun-

genen Nachtheil. L. 17 de min.

(4. 4).

|0151 : 129|

§. 319. Bedingungen d. Reſtitution. I. Verletzung. (Fortſ.)

des Rechtsſtreits ein anderes Urtheil herbeigeführt haben

würde. — In Anwendung dieſer Regel kann auch gegen

eine ertheilte Reſtitution wiederum Reſtitution geſucht, und

ſo die Wirkung der erſten Reſtitution entkräftet werden (u).

Bezog ſich die erſte Reſtitution auf das einfache Rechts-

verhältniß zwiſchen zwei beſtimmten Perſonen, wie z. B.

die Aufhebung eines Kaufvertrags, ſo bedarf es nicht immer

der zweiten Reſtitution; vielmehr kann der Gegner, der die

Herſtellung des urſprünglichen Zuſtandes durch Klage ver-

langt, mit einer bloßen Einrede zurückgewieſen werden,

indem es in der freien Willkür des Reſtituirten ſteht, die

ihm ertheilte Wohlthat unbenutzt zu laſſen (v). — Man

möchte glauben, auf gleiche Weiſe könne gegen die Ver-

ſagung einer Reſtitution wiederum Reſtitution verlangt

werden. Dieſes iſt aber in der Regel unzuläſſig, und es

gilt gegen die Verſagung blos die Appellation (w), weil

ſonſt eine endloſe Wiederholung der Reſtitutionsgeſuche ge-

(u) L. 7 § 9 de min. (4. 4).

Eine einzelne Ausnahme bei den

Peculien enthält L. 8 § 6 C. de

bon. quae lib. (6. 61). Bur-

chardi S. 99. 248.

(v) L. 41 de min. (4. 4),

quia cuique licet contemmere

haec, quae pro se introducta

sunt.“ Anders verhält es ſich

mit der Reſtitution gegen den An-

tritt oder die Ausſchlagung einer

Erbſchaft (L. 7 § 9 de min.) wegen

des unbeſtimmten Verhältniſſes zu

vielen verſchiedenen Perſonen.

(w) L 1 C. si saepius (2. 44).

Mit Unrecht behauptet Burchardi

S. 95, die L. 38 pr. de min.

(4. 4) ſtehe damit im Widerſpruch

und ſey daher als Machtſpruch des

Kaiſers anzuſehen. Die Sache

muß vielmehr ſo gedacht werden,

daß ſie durch Appellation an den

Kaiſer gelangt war, welcher da-

durch zur letzten Entſcheidung com-

petent wurde.

VII. 9

|0152 : 130|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

ſtattet ſeyn würde. Nur ausnahmsweiſe darf auch gegen

die Verſagung Reſtitution geſucht werden, wenn dieſes

Geſuch durch neue Gründe unterſtützt werden kann (x).

§. 320.

Reſtitution. — Bedingungen. — II. Reſtitutionsgrund.

Die zweite Bedingung jeder Reſtitution iſt ein Reſti-

tutionsgrund (justa causa), das heißt, ein beſonderer

(abnormer) Zuſtand des Verletzten, woraus der Anſpruch

auf dieſe außerordentliche Hülfe, als Ausnahme von den

gewöhnlichen Rechtsregeln, abzuleiten iſt (§ 318). Auf

dieſen Reſtitutionsgrund vorzüglich bezieht ſich die ſehr freie

Prüfung der richterlichen Obrigkeit, worin das eigenthüm-

liche Weſen der Reſtitution beſteht. Und nicht blos die that-

ſächliche Wahrheit des Reſtitutionsgrundes iſt (ſo wie bei

jeder gewöhnlichen Klage) Gegenſtand der freien Prüfung,

ſondern auch die Frage, ob nach den beſonderen Umſtänden

des vorliegenden Falles die Reſtitution als nöthig und

räthlich erſcheint (a).

 

(x) L. 2. 3 C. si saepius (2.44).

(a) L. 3 de in int. rest. (4.1):

„Omnes in integrum restitu-

tiones causa cognita a Praetore

promittuntur: scilicet ut justi-

tiam earum causarum examinet,

an verae sint, quarum nomine

singulis subvenit.“ Schon Jo-

hannes in der Gloſſe bemerkt

richtig, daß hier verae zugleich

den Begriff von justae in ſich

ſchließe, alſo nicht auf die blos

factiſche Wahrheit zu beſchränken

ſey. Daher iſt die von Mehreren

vorgeſchlagene Emendation: exa-

minet, et an verae sint, nicht

gerechtfertigt. Vgl. auch L. 11

§ 3. L. 24 § 5. L. 44 de min.

(4. 4).

|0153 : 131|

§. 320. Bedingungen d. Reſtitution. II. Reſtitutionsgrund.

Für dieſe richterliche Prüfung aber ſind zwei Geſichts-

punkte von vorzüglicher Wichtigkeit. Der erſte Geſichts-

punkt geht dahin, daß der beſondere Zuſtand des Verletzten,

der den Reſtitutionsgrund ausmacht, in einem Cauſal-

verhältniß mit der erlittenen Verletzung ſtehen muß. So

z. B. iſt ein Minderjähriger zu reſtituiren, wenn er eine

ſchlechte Sache gekauft hat, aber nicht, wenn eine gekaufte

gute Sache hinterher durch Zufall untergegangen iſt (b);

denn dieſer Verluſt konnte bei einem Volljährigen eben ſo

eintreten, und war alſo nicht die Folge der aus der Jugend

hervorgehenden Unerfahrenheit. Iſt nun dieſer Umſtand

ſelbſt zweifelhaft, ſo ſoll auf die ſonſt bekannte Perſönlichkeit

des Minderjährigen geſehen werden, ſo daß Der, welcher

ſich in anderen Dingen beſonnen und vorſichtig gezeigt hat,

nicht ſo leicht reſtituirt werden ſoll (c). — Eben ſo iſt die

Reſtitution wegen Abweſenheit zu verſagen, wenn der ein-

getretene Nachtheil nicht die nothwendige Folge der Ab-

weſenheit war, ſondern durch Beſonnenheit hätte abgewendet

werden können (d).

 

Ein zweiter Geſichtspunkt für die richterliche Prüfung

ſoll dahin gerichtet ſeyn, daß nicht blos der einzelne Vor-

theil oder Nachtheil des Verletzten berückſichtigt werde, ſon-

 

(b) L. 11 § 4 de min. (4. 4);

eben ſo iſt es bei einer angetre-

tenen Erbſchaft, die an ſich nach-

theilig ſeyn, oder erſt durch ſpätere

Zufälle nachtheilig werden kann.

L. 11 § 5 eod.

(c) L. 11 § 4 de min. (4. 4),

L. 1 C. qui et adv. quos (2. 42).

(d) L. 15. § 3, L. 16, L. 44

ex quib. caus. (4. 6).

9*

|0154 : 132|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

dern zugleich die Geſammtheit der Verhältniſſe. Daher ſoll

einem Minderjährigen die Reſtitution nicht ertheilt werden,

wenn dieſelbe zwar einen mäßigen einzelnen Nachtheil von

ihm abwenden, aber zugleich im Ganzen ſeinen Credit ge-

fährden würde (e).

Es ſind nunmehr die einzelnen im Edict angegebenen

Reſtitutionsgründe anzugeben, welche zugleich die Grund-

lage der, in den folgenden Paragraphen abzuhandelnden,

beſonderen Arten der Reſtitution bilden. Ich will damit

anfangen, die quellenmäßigen Zeugniſſe für das Daſeyn

derſelben zuſammen zu ſtellen.

 

L. 1 de in int. rest. (4. 1) aus Ulpian lib. XII ad Ed.

„… sub hoc Titulo plurifariam Praetor hominibus

vel lapsis vel circumscriptis subvenit(f): sive metu,

sive calliditate, sive aetate, sive absentia inciderunt

in captionem.“

L. 2 eod. aus Paulus lib I. Sent.

„Sive per status mutationem, aut justum errorem.“

(e) L. 7 § 8 L. 24 § 1 de min.

(4. 4). — Aus demſelben Grunde

ſoll die Reſtitution verſagt werden,

wenn die Abwendung eines gering-

fügigen Nachtheils nur mit dem

ungleich größeren Nachtheil eines

Anderen bewirkt werden kann. L. 4

de in int. rest. (4. 1). Dagegen

iſt es unrichtig, die Reſtitution

blos wegen des geringen Betrags

der Verletzung zu verſagen. Bur-

chardi § 8 und S. 126.

(f) Ulpian ſagt hier nicht

blos, daß in dieſen Fällen der

Prätor Reſtitution zu ertheilen

pflege (subvenit), ſondern zugleich,

daß er dieſe Reſtitution im Edict

ankündige (sub hoc titulo sub-

venit).

|0155 : 133|

§. 320. Bedingungen d. Reſtitution. II. Reſtitutionsgrund.

Paulus Sent. I. 7 § 2 (g).

„Integri restitutionem Praetor tribuit(h)ex his cau-

sis, quae per metum, dolum, et status permutationem,

et justum errorem, et absentiam necessariam, et in-

firmitatem aetatis gestae esse dicuntur.“

Hierzu kommen folgende Titel des vierten Buchs der

Digeſten, deren Ordnung zugleich zu bemerken iſt.

 

Tit. 2. quod metus causa. (Codex II. 20).

‒ 3. de dolo malo. (Codex II. 21).

‒ 4. de minoribus XXV. annis. (Codex II. 22).

‒ 5. de capite minutis.

‒ 6. ex quibus causis majores. (Codex II. 51).

‒ 7. de alienatione judicii mutandi causa facta.

(Codex II. 55).

Vier unter dieſen Reſtitutionsgründen kommen überall

gleichmäßig vor, und bedürfen daher keiner Rechtfertigung:

Zwang, Betrug, Minderjährigkeit, Abweſenheit. — Bei

Ulpian aber fehlt zuerſt die capitis deminutio. Es wird

jedoch unten gezeigt werden, daß dieſelbe von jeher nur den

Namen und die äußere Form einer Reſtitution an ſich trug,

 

(g) Dieſes Zeugniß kann nicht

als ein von dem vorhergehenden

verſchiedenes und unabhängiges

angeſehen werden; vielmehr wurden

in die Digeſten blos einige Worte

aus den sententiae des Paulus

aufgenommen, um die vorherge-

hende Stelle des Ulpian zu er-

gänzen.

(h) tribuit iſt an ſich zwei-

deutig, es kann die wirkliche Er-

theilung der Reſtitution bezeichnen

oder zugleich die Ankündigung

derſelben im Edict. Da aber die

meiſten Fälle unzweifelhaft im

Edict ausgeſprochen waren, ſo iſt

die zweite Deutung wahrſcheinlicher

(Vgl. Note f).

|0156 : 134|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

während ihr die charakteriſtiſchen Eigenſchaften einer wahren

Reſtitution, das freie Ermeſſen und die kurze Verjährung,

gänzlich fehlten. Daraus erklärt ſich befriedigend die Aus-

laſſung derſelben bei Ulpian. — Es fehlt bei demſelben

ferner unter den Reſtitutionsgründen der Irrthum. Viel-

leicht iſt der Grund dieſer Auslaſſung darin zu ſuchen, daß

im Edict der Irrthum als Reſtitutionsgrund nur in einem

ganz vereinzelten Fall ausdrücklich erwähnt wurde; das

Daſeyn deſſelben hat übrigens keinen Zweifel, und wird

gerade von Ulpian ſelbſt in anderen Stellen am beſtimm-

teſten bezeugt (i). — Endlich fehlt bei Ulpian und bei

Paulus die alienatio judicii mutandi causa, die doch in

den Digeſten in der Reihe der Reſtitutionstitel mit aufgeführt

wird. Allein dieſe war zur Zeit der beiden angeführten

Juriſten als Reſtitution gänzlich verſchwunden, indem ihr

Zweck auf einem anderen Wege erreicht wurde (§ 316).

Ueber die Zeitfolge, in welcher dieſe Reſtitutionsgründe

in das Edict aufgenommen worden ſind, fehlt es an be-

ſtimmten Zeugniſſen. Ich halte es für wahrſcheinlich, daß

die Ordnung, in welcher ſie im Edict ſtanden, zugleich die

Zeit ihrer Einführung bezeichnet, da ein innerer und prak-

tiſcher Grund dieſer Anordnung gewiß nicht behauptet

werden kann. Die Ordnung der Reſtitutionsgründe im

 

(i) L. 1 § 1. 6 quod falso

(27. 6). — Auch Gajus handelt

davon in demſelben lib. IV. ad Ed.

prov., worin er die übrigen Reſtitu-

tionsgründe darſtellt. L. 10 eod.,

verglichen mit L. 6. 19 quod me-

tus, L. 6. 8. 23. 26. 28 de dolo,

L. 12. 15. 25. 27 de min., L. 1.

8 de cap. min., L. 25 ex qu. c.,

L. 1. 3. 7 de al. jud. mut.

|0157 : 135|

§. 320. Bedingungen d. Reſtitution. II. Reſtitutionsgrund.

Edict aber ſtimmte gewiß mit der ſo eben angegebenen

Reihefolge der Digeſtentitel überein, welche zugleich in den

Titeln des Codex ſich wieder findet. Eine Beſtätigung liegt

auch noch darin, daß die Hauptſtellen des Ulpian in der

Reſtitutionslehre aus dem lib. XI. und XII. ad Edictum

genommen ſind (k); ganz eben ſo die Hauptſtellen des

Paulus, und zwar beide gerade in der hier für das Edict

vorausgeſetzten Ordnung der einzelnen Reſtitutionsgründe.

Hiernach nehme ich an, daß die einzelnen Reſtitutions-

gründe in nachſtehender Zeitfolge in das Edict aufgenommen

worden ſind, und daß hieraus zugleich die Reihefolge her-

vorging, in welcher ſie im Edict ſtanden.

 

1. Zwang.

 

2. Betrug. Dieſe zwei Reſtitutionsgründe ſtehen nicht

nur in den Digeſten und im Codex, ſondern auch in den

oben abgedruckten Stellen des Ulpian und des Paulus,

allen übrigen voran; ein anderer, als dieſer geſchichtliche

Grund, läßt ſich dafür ſchwerlich angeben. Beide Reſti-

tutionsgründe ſind aber ſchon frühe durch gewöhnliche

Klagen größtentheils entbehrlich gemacht und verdrängt

worden, ſo daß ſie jetzt nur noch in kleinen Ueberreſten als

Reſtitutionen erſcheinen (§ 316. 317).

 

(k) Zweifelhaft ſind nur L. 2.

4. 6 de al jud. mut. (4. 7), die

in der Flor. die Inſchrift haben:

lib. XIII., (bei Haloander:

lib. XII.), während L. 10 eod.

auch in der Flor. überſchrieben iſt:

lib. XII.

|0158 : 136|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

3. Minderjährigkeit. Steht auch bei Ulpian als

dritter Grund.

 

4. Capitis deminutio.

 

5. Abweſenheit. Steht bei Ulpian als vierter Grund,

weil er die capitis deminutio in ſeiner Ueberſicht übergeht.

 

6. Alienatio judicii mutandi causa. Als Reſtitutions-

grund ſpäter verſchwunden.

 

7. Irrthum. War im Edict nur in einem ganz ein-

zelnen Falle erwähnt, wurde aber in den Digeſten aus dem

urſprünglichen unzweifelhaften Zuſammenhang, worin dieſer

Grund im Edict vorkam, heraus genommen, und in das

Vormundſchaftsrecht verpflanzt (Lib. 27 Tit. 6), augen-

ſcheinlich aus Gründen des inneren Zuſammenhangs.

 

Eine ganz abweichende Anſicht von der hier aufgeſtellten

Behauptung über die Zeitfolge der einzelnen Reſtitutions-

gründe findet ſich bei dem ausführlichſten neueren Schrift-

ſteller über die Reſtitution (l). Er nimmt als das älteſte

Edict das über die Abweſenheit an, aber in einer uns un-

bekannten, ſpäter verſchwundenen Geſtalt. Darauf folgte

das über die Minderjährigen, welches aber nicht vor der

Mitte des erſten Jahrhunderts entſtanden ſeyn ſoll. Darauf

das gegenwärtige Edict über die Abweſenheit. Die Reſti-

tutionen wegen Zwang und Betrug ſollen überhaupt nicht

im Edict geſtanden haben, ſondern erſt ſehr ſpät durch die

Römiſche Praxis eingeführt worden ſeyn, anſtatt daß die

 

(l) Burchardi S. 148—150. S. 213—217.

|0159 : 137|

§. 320. Bedingungen d. Reſtitution. II. Reſtitutionsgrund.

perſönlichen Klagen aus Zwang und Betrug ſehr alt ge-

weſen ſeyn ſollen (m). — Die Begründung dieſer abwei-

chenden Meinung hängt großentheils mit der ſchon oben

bekämpften Anſicht deſſelben Schriftſtellers von der hiſtori-

ſchen Entwicklung der Reſtitution überhaupt zuſammen

(§ 317 Note g); theilweiſe aber wird ſie auf Vermuthun-

gen geſtützt, denen eine überzeugende Kraft nicht zugeſtanden

werden kann.

Die hier aufgeſtellte Anordnung des Edicts über die

einzelnen Reſtitutionsgründe kann jedoch für unſer wiſſen-

ſchaftliches Bedürfniß nicht maßgebend ſeyn; vielmehr kommt

es hier darauf an, die wichtigſten und reichhaltigſten Re-

ſtitutionsgründe voran zu ſtellen. Ich werde daher die be-

ſonderen Arten der Reſtitution nach folgender Ordnung

darſtellen:

 

1. Minderjährigkeit.

2. Abweſenheit.

3. Zwang.

(m) Von der Reſtitution wegen

Betrugs haben wir allerdings keine

Edictſtelle übrig, da die L. 1 §. 1

de dolo (4. 3) augenſcheinlich nur

von der actio doli ſpricht. An-

ders verhält es ſich mit dem Zwang.

Denn die Worte des Edicts: Quod

metus causa gestum erit, ratum

non habebo (L. 1 quod metus

4. 2), ſind ſo allgemein gehalten,

daß ſie allerdings wohl von einer

Klage oder Einrede gemeint ſeyn

konnten, aber eben ſo gut auch

von einer Reſtitution, gerade ſo,

wie das Edict über die Minder-

jährigen: uti quaeque res erit,

animadvertam (L. 1 §. 1 de

min. 4. 4), welches doch ohne

Zweifel von einer Reſtitution, und

nur von dieſer, ſprechen wollte.

|0160 : 138|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

4. Irrthum.

5. Betrug (n).

6. Antiquirte Reſtitutionsgründe.

§. 321.

Reſtitution. — Bedingungen. — III. Abweſenheit

poſitiver Ausnahmen.

Manche Schriftſteller ſtellen eine große Zahl ausgenom-

mener Fälle auf, in welchen die Reſtitution außer Anwen-

dung bleiben ſoll, auch wenn die beiden erſten Bedingungen

(Verletzung und Reſtitutionsgrund) vorhanden ſeyen (a).

Mehrere dieſer Ausnahmen ſind nur ſcheinbar, indem in

den angeblichen Fällen derſelben eine Verletzung gar nicht

vorhanden iſt (b); andere haben einen ſo vereinzelten Zu-

ſammenhang mit beſonderen Rechtslehren, daß ſie zweck-

mäßiger bei dieſen, als bei der Reſtitutionslehre, abgehan-

delt werden (c). Ich beſchränke mich hier auf diejenigen

ausgenommenen Fälle, die eine allgemeinere Beſchaffenheit

haben, und eben dadurch zugleich eine vollſtändigere Ein-

ſicht in die Natur der Reſtitution ſelbſt gewähren.

 

(n) Ich ſtelle den Betrug hinter

den Irrthum, weil er in der That

nur ein qualificirter Irrthum iſt,

und weil auf dieſe Weiſe die Re-

ſtitution wegen Betrugs beſſer zur

Anſchauung gebracht werden kann.

(a) So z. B. Burchardi

§ 10.

(b) Dahin gehören z. B. die

Fälle der L. 1 C. si adv. don.

(2. 39), und der L. 11 C. de

transact. (2. 4).

(c) Dahin gehört z. B. die

wichtige Regel, daß gegen die

dreißigjährige Klagverjährung keine

Art der Reſtitution zugelaſſen

werden ſoll, ſ. o. B. 3 Beil. VIII.

Num. XXVII.

|0161 : 139|

§. 321. Bedingungen der Reſtitution. III. Ausnahmen.

1. Es ſoll keine Reſtitution gegeben werden gegen die

nachtheiligen Folgen von Delicten, es mögen nun öffent-

liche Verbrechen oder Privatdelicte ſeyn (d). — Im All-

gemeinen folgt Dieſes ſchon daraus, daß die Reſtitution

vorzugsweiſe zum Schutz gegen Nachtheile durch ein Rechts-

geſchäft (gestum) eingeführt iſt (§ 318 Note a), unter

welchen Begriff die Delicte nicht gehören. Bei öffentlichen

Verbrechen folgt es auch daraus, daß deren Beſtrafung

nicht zum Geſchäftskreiſe der die Civilgerichtsbarkeit lei-

tenden Prätoren gehörte, die allein Reſtitution ertheilten.

 

Nur bei blos culpoſen Delicten ſcheint die Reſtitution

allerdings zuläſſig zu ſeyn. Ganz ausdrücklich wird dieſer

Unterſchied anerkannt bei der Umgehung der Zölle (com-

missum); deren Beſtrafung ſoll im Fall der bloßen Culpa

durch Reſtitution abgewendet werden können (e). Daſſelbe

Princip aber ſcheint eine, freilich dunkle, Stelle des Codex

allgemein auszuſprechen (f). Dann müßte die, in einer

anderen Stelle ſcheinbar allgemein ausgedrückte, Verſagung

 

(d) L. 9 § 2 de min. (4 4),

über die Worte damnum deci-

dere vgl. L. 17 § 1 de pact.

und oben B. 5 S. 570. — L. 9

§ 3 eod., L. 37 § 1 eod.;

in den Worten: nisi quatenus

etc. liegt keine Hinweiſung auf

Reſtitution, ſondern nur auf eine

mitleidige Rückſicht bei arbiträren

Strafen. — L. 1. 2 C. si adv.

del. (2. 35).

(e) L. 9 § 5 de min. (4. 4).

L. 16 § 9 de public. (39. 4).

(f) L. 1 C. si adv. del. (2.35)

„.. si tamen delictum non ex

animo, sed extra venit. .. in

integrum restitutionis auxilium

competit.“ Die Worte sed extra

müßten dann von der Culpa er-

klärt werden. Haloander’s

Leſeart sed ex contractu macht

die Stelle gewiß nicht deutlicher.

|0162 : 140|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

der Reſtitution gegen die actio legis Aquiliae auch auf die

Fälle böswilliger Verletzung beſchränkt werden (g).

2. Eine ganz gleichartige Ausnahme iſt vorgeſchrieben

für diejenigen Verbindlichkeiten aus Verträgen, bei welchen

dem Schuldner eine Unredlichkeit zur Laſt fällt (h). Als

Beiſpiel dieſer Ausnahme wird der Fall angeführt, wenn

ein freier Minderjähriger ſich unredlicherweiſe als Sklave

verkaufen ließ, um an dem Gewinn aus dem Kaufpreiſe

Theil zu nehmen (i).

 

3. Eine Reſtitution kann ferner nicht ertheilt werden,

wenn das zum Nachtheil veränderte Rechtsverhältniß, ſeiner

eigenthümlichen Beſchaffenheit nach, einer Herſtellung nicht

unterworfen werden kann. In Anwendung dieſer Regel

ſollte niemals eine ertheilte Freilaſſung durch Reſtitution

entkräftet werden können (k). — Als Erweiterungen oder

 

(g) L. 9 § 2 de min. (4. 4).

Der innere Zuſammenhang der

ganzen Stelle iſt dieſer beſchrän-

kenden Erklärung günſtig. — Man

könnte noch einwenden, daß auch

das culpa divertere keine Reſti-

tution zulaſſe. (L. 9 § 3 de min.)

Allein dieſes erklärt ſich aus der

Verbindung mit dem adulteriam

L. 37 § 1 eod.); auch beſteht das

culpa divertere meiſt in vorſätz-

lichen Handlungen, ſo daß hier

der Ausdruck culpa durchaus nicht

den Gegenſatz gegen dolus be-

zeichnen ſoll. — Bei dem Inceß

gilt die Entſchuldigung durch Irr-

thum verbunden mit Jugend. L. 38

§ 7 ad L. J. de adult. (48. 5),

L. 4 C. de incest. (5. 5).

(h) L. 9 § 2 de min. (4. 4).

Hier wird der dolus in contrac-

tibus als ganz gleichartig mit den

Delicten behandelt.

(i) L. 9 § 4 de min. (4. 4).

(k) L. 9 § 6 de min. (4. 4).

L. 7 pr. de dolo (4. 3) (am Ende

der Stelle). L. 1. 2. 3 C. si adv.

lib. (2. 31). Nicht als Beſchränkung

dieſer Regel kann es gelten, wenn

in L. 10 de min. geſagt wird:

„nisi ex magna causa hoc a

principe fuerit consecutus“;

|0163 : 141|

§. 321. Bedingungen der Reſtitution. III. Ausnahmen.

Entwicklungen dieſer Regel müſſen noch folgende Beſtim-

mungen angeſehen werden. Auch der Verkauf eines Sklaven

war der Reſtitution nicht unterworfen, wenn der Käufer

den erkauften Sklaven freigelaſſen hatte (l). Auch ein

rechtskräftiges Urtheil, welches die Freiheit eines angeb-

lichen Sklaven ausſprach, ſollte nicht durch Reſtitution

umgeſtoßen werden können (m).

Dagegen war allerdings zuläſſig die Reſtitution gegen

ein Rechtsgeſchäft, wodurch erſt eine künftige Freilaſſung

herbeigeführt werden ſollte (n). Eben ſo konnte der Ver-

letzte durch mancherlei Entſchädigungsklagen geſchützt werden,

auch gegen den Freigelaſſenen ſelbſt, wenn derſelbe bei

dieſer Gelegenheit noch nach der Freilaſſung unrechtmäßige

Handlungen verübt hatte (o). Nur aus der Zeit des

Sklavenſtandes war nach allgemeineren Grundſätzen eine

Klage gegen den Freigelaſſenen nicht zuläſſig (p).

 

dieſes iſt blos eine hiſtoriſche Notiz

über die zuweilen vorkommende

ungewöhnlich freie Anwendung der

kaiſerlichen Macht in Rechtsſachen.

(l) L. 48 § 1 de min. (4. 4).

(m) L. 9 de appell. (49. 1).

L. 4 C. si adv. lib. (2. 31).

(n) L. 11 § 1. L. 33 de min.

(4. 4).

(o) L. 11 pr. L. 48 § 1 de

min. (4. 4).

(p) Aus den Handlungen der

Sklaven entſtand nach ihrer Frei-

laſſung, wenn es Verträge waren,

nur eine naturalis obligatio ohne

Klage, wenn es Delicte waren,

gegen Fremde eine klagbare, gegen

den Herrn ſelbſt gar keine Obli-

gation, ſ. o. B. 2 S. 424. 428.

— Man könnte einen Zweifel

ziehen aus dem etwas undeutlichen

letzten Satz der L. 3 C. si adv.

lib. (2. 31), indem man nämlich

die Worte: ratio vestra laesa

sit auf eine vor der Freilafſung

nachläſſig oder unredlich geführte

Rechnung bezöge. Allein ſie können

eben ſo gut auf die Rechnungs-

führung nach der Freilaſſung ge-

deutet werden; ja dieſe Deutung

|0164 : 142|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die hier dargeſtellte Ausnahme von der Zuläſſigkeit der

Reſtitution iſt von Manchen ſo ausgedehnt worden, als ob

ſie auf alle Verhältniſſe des Familienrechts bezogen werden

müßte. Die Unrichtigkeit dieſer Auffaſſung ergiebt ſich

daraus, daß gegen die Arrogation unzweifelhaft allerdings

die Reſtitution zuzulaſſen iſt (§ 319).

 

Dagegen muß allerdings die Zuläſſigkeit der Reſtitution

gegen die Schließung einer Ehe verneint werden (q). Im

Römiſchen Recht findet ſich davon keine Spur, und obgleich

wegen der Leichtigkeit der Scheidung der Vortheil der Re-

ſtitution weniger groß war, als er in unſerm heutigen

Recht ſeyn würde, ſo wäre doch auch für die Römer die

Wirkung einer durch Scheidung und einer durch Reſtitution

aufgehobenen Ehe in manchen Beziehungen verſchieden ge-

weſen. — In den Zuſammenhang unſres heutigen Ehe-

rechts aber paßt die Reſtitution durchaus nicht, die hier

zwiſchen der Nichtigerklärung und der Scheidung gewiſſer-

maßen in der Mitte ſtehen würde. Beſonders einleuchtend

wird Dieſes, wenn man die einzelnen Reſtitutionsgründe

erwägt. In den Fällen des Zwanges und des Betrugs

nehmen wir die Nichtigkeit der Ehe an. Für die Reſtitution

 

iſt ſogar nothwendig, weil jene

Worte blos die buchſtäbliche Wie-

derholung eines weit älteren Re-

ſcripts ſind (L. 10 C. de admin.

5. 37), worin ſie gar keinen anderen

Sinn haben können. Durch dieſe

Wiederholung des älteren Reſcripts

ſollte blos auf ſehr überflüſſige

Weiſe die geſuchte Belehrung nach

allen Seiten hin vervollſtändigt

werden.

(q) Burchardi S. 142, und

die daſelbſt angeführten Schrift-

ſteller. Puchta Pandekten § 107

Num. 2.

|0165 : 143|

§. 321. Bedingungen der Reſtitution. III. Ausnahmen.

alſo würde eigentlich nur der Fall der Minderjährigkeit

übrig bleiben, welcher unter Vorausſetzung einer unvor-

theilhaften, leichtſinnigen Ehe die Reſtitution herbeiführen,

und den minderjährigen Gatten in die Lage zurück verſetzen

würde, in welcher er ſich befände, wenn er gar keine Ehe

geſchloſſen hätte. Dieſe Wirkung wäre ſtärker, als die einer

Scheidung, und es wäre gewiß höchſt inconſequent, dieſe

ſtärkere Wirkung aus weit geringfügigeren Gründen zu ge-

ſtatten, als diejenigen ſind, an welche das gemeine Recht

der Proteſtanten die Eheſcheidung knüpft. Vollends aber

würde mit den Grundſätzen des katholiſchen Eherechts die

Zulaſſung einer ſolchen Reſtitution völlig unvereinbar ſeyn.

4. Endlich ſoll auch die Reſtitution nicht gegeben

werden, wenn ſchon die allgemeinen Rechtsregeln aus-

reichen, um jede Verletzung abzuwenden (r); denn nun

fehlt das Bedürfniß der in der Reſtitution liegenden außer-

ordentlichen Hülfe, und es kann das Daſein einer Ver-

letzung als Grundbedingung der Reſtitution (§ 318) gar

nicht behauptet werden.

 

In Anwendung dieſer Regel iſt die Reſtitution als

überflüſſig zu verſagen bei allen nichtigen Verträgen,

z. B. wenn ein Unmündiger ohne Genehmigung des Vor-

mundes einen Vertrag ſchließt (s). Ferner wenn ein Min-

 

(r) L. 16 pr. de min. (4. 4).

„Nam si communi auxilio et

mero jure munitus sit, non

debet ei tribui extraordinarium

auxilium“. Tit. Cod. in quib.

caus. (2. 41).

(s) L. 16 pr. § 1. 3 de min.

(4. 4).

|0166 : 144|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

derjähriger die Klagverjährung ſeines Schuldners, die we-

niger als dreißig Jahre dauert, ablaufen läßt; denn da

dieſe kürzeren Verjährungen gegen minderjährige Klag-

berechtigte ipso jure nicht laufen, ſo bedarf es dagegen

keiner Reſtitution.

Dagegen iſt dieſe Regel nicht anzuwenden auf ſolche

Fälle, worin neben der Reſtitution auch eine gewöhnliche

Klage dem Verletzten zuſteht, die ihm aber einen minder

vollſtändigen oder minder ſicheren Schutz gewährt, da die

Reſtitution nicht blos gegen die unmittelbare Verminderung

unſres Rechtszuſtandes Schutz gewähren ſoll, ſondern auch

gegen die Verwandlung eines ſicheren Rechts in ein zwei-

felhaftes und ſtreitiges, deſſen endliches Schickſal alſo un-

gewiß iſt (t).

 

Unmündige und Minderjährige ſind ſehr gewöhnlich in

der Lage, Verletzungen ſowohl durch Reſtitution, als durch

die actio tutelae gegen den Vormund abwenden zu können.

Man könnte daher glauben, in ſolchen Fällen wäre die

Reſtitution durch das ordentliche Rechtsmittel der Klage

ausgeſchloſſen. Es iſt aber ausdrücklich vorgeſchrieben, daß

ſie nicht nur zwiſchen beiden Schutzmitteln unbedingt die

Wahl haben, ſondern ſelbſt die einmal getroffene Wahl

hinterher willkürlich umändern können (u). Dieſes iſt auch

 

(t) Burchardi S. 107. —

Dahin gehört die L. 16 §. 2 de

min. (4. 4), deren Erklärung ſehr

beſtritten iſt. Vgl. o. B. 3 S. 463,

und Burchardi S. 102. S. oben

§. 318 Note g.

(u) L. 45 § 1 de min. (4. 4),

L. 3. 5 C. si tutor (2. 25). —

Nicht ſteht mit dieſen Stellen im

Widerſpruch L. 39 §. 1 de min.

(4. 4), welche am Schluß die

Zahlungsfähigkeit der Curatoren

|0167 : 145|

§. 321. Bedingungen der Reſtitution. II. Ausnahmen.

keinesweges eine Abweichung von den eben dargeſtellten

Vorſchriften (v), ſondern vielmehr eine reine, einfache An-

wendung derſelben. Denn die actio tutelae iſt bedingt

durch den Beweis einer eigenthümlichen Verſchuldung des

Vormundes (w), deſſen Führung ſtets unſicher iſt, und

wodurch alſo der Erfolg dieſer Klage weit unſicherer wird,

als der Erfolg der Reſtitution.

§. 322.

Reſtitution. — Einzelne Gründe. — I. Minderjährigkeit.

Nachdem die allgemeinen Bedingungen der Reſtitution

angegeben worden ſind, ſollen nunmehr die beſonderen

Arten derſelben dargeſtellt werden, deren Zuſammenhang

mit den einzelnen Reſtitutionsgründen ſchon oben (§ 320)

bemerkt worden iſt.

 

An die Spitze dieſer einzelnen Reſtitutionsgründe ſtelle

ich die Minderjährigkeit, weil in ihr das ganze Inſtitut

 

gar nicht als Grund und Be-

dingung der vorhergehenden Ent-

ſcheidung angiebt. Auch geht

dieſe Entſcheidung ſelbſt gar nicht

auf Verſagung der Reſtitution,

ſondern auf Zulaſſung derſelben,

nur unter Vorausſetzung der Er-

ſtattung der Auslagen an den

Gegner. Ohne dieſe Erſtattung

aber erhielte ja der Minderjährige

eine Bereicherung auf fremde Koſten,

wozu die Reſtitution niemals führen

ſoll, ſ. o. §. 318 Note h.

(v) Manche behaupten mit Un-

recht nicht nur eine ſolche Ab-

weichung, ſondern ſie gehen noch

weiter, indem ſie annehmen, die

Minderjährigen könnten nach dem

neueſten Recht Reſtitution ſuchen

ohne alle Rückſicht auf das Daſeyn

irgend eines ordentlichen Rechts-

ſchutzes. Göſchen Vorleſungen I.

S. 537. 538. 557.

(w) L. 1 pr. de tutelae (27.3),

„praestando dolum, culpam,

et quantam in rebus suis dili-

gentiam.“

VII. 10

|0168 : 146|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

der Reſtitution in größter Vollſtändigkeit und Ausbildung

erſcheint. Auch haben die Römiſchen Juriſten Vieles, das

von ihnen als allgemeines Recht der Reſtitution überhaupt

gedacht war, blos bei Gelegenheit dieſes beſonderen Falles

der Anwendung, als des häufigſten und wichtigſten, vor-

getragen. Es erſcheint dieſe Reſtitution in den verſchie-

denſten Geſtalten, angewendet auf nachtheiliges Thun und

Laſſen jeder Art.

Veranlaſſung zu derſelben gab die ſehr eigenthümliche

Lage der Römiſchen Jugend, indem nach alten Rechts-

grundſätzen Jeder, der nicht unter der väterlichen Gewalt

ſtand, nur bis zur Zeit der Geſchlechtsreife einem Vormund

untergeben war, von dieſer Zeit an aber ſich ſelbſt über-

laſſen, alſo allen Gefahren der Unerfahrenheit und des

jugendlichen Leichtſinns ausgeſetzt blieb. Gegen dieſe Ge-

fahren wurden nun im Laufe der Zeit mancherlei Schutz-

mittel durch Rechtsinſtitute verſucht (a). Zuerſt drohte

die Lex Plätoria Strafen gegen Die, welche den Mündigen,

der noch nicht fünf und zwanzig Jahre zurück gelegt hatte,

unredlich übervortheilen würden, und führte dadurch den

Begriff einer geſetzlich begränzten Zwiſchenzeit zwiſchen der

Pubertät (14 und 12 Jahre) und 25 Jahren ein (b).

 

(a) Vergl. oben B. 3 § 111,

und Savigny von dem Schutz

der Minderjährigen, Zeitſchrift für

geſchichtl. Rechtswiſſenſchaft B. 10

S. 232 — 297, beſonders S. 258

bis 261.

(b) legitima aetas, minores

(XXV annis) und majores;

Minderjährige, im Gegenſatz der

Unmündigen (die allerdings auch

Minderjährige ſind) und der Voll-

jährigen.

|0169 : 147|

§. 322. Einzelne Reſtitutionsgründe. I. Minderjährigkeit.

Hieran anknüpfend verſprach ſpäter der Prätor den Minder-

jährigen den viel durchgreifenderen Schutz durch Reſtitution

gegen jede Verletzung, die ihnen durch ihr Alter zugezogen

werden könnte; und dieſes Schutzmittel iſt es, welches nun-

mehr genauer dargeſtellt werden ſoll (c). Noch ſpäter

wurde für die Minderjährigen eine allgemeine Curatel zur

Verwaltung ihres Vermögens eingeführt, ähnlich der Tutel

der Unmündigen, dennoch in wichtigen Stücken davon ver-

ſchieden.

Der Grundgedanke dieſer Reſtitution ging alſo dahin,

die Mündigen unter 25 Jahren, die nach altem Rechts-

grundſatz völlig freie Macht über ihr Vermögen hatten,

gegen ſich ſelbſt in Schutz zu nehmen, indem die nachthei-

ligen Folgen ihrer eigenen Handlungen und Unterlaſſungen

durch Reſtitution beſeitigt werden ſollten (d).

 

Allmälig aber ging man über jenen Grundgedanken weit

hinaus, und geſtattete die Reſtitution der Minderjährigen

auch in Fällen, worin das oben dargeſtellte Bedürfniß durch-

aus nicht vorhanden war.

 

So wurde dieſe Reſtitution auch den Unmündigen ge-

währt. Zwar für ihre eigenen nachtheiligen Handlungen be-

 

(c) Die Zeit der Einführung

dieſer Reſtitution iſt ungewiß; ſie

kann aber ſehr alt ſeyn. S. oben

§ 320.

(d) L. 1 pr. de min. (4. 4).

„.. quum inter omnes constet,

fragile esse et infirmum hujus-

modi aetatum consilium, et

multis captionibus suppositum,

multorum insidiis expositum,

auxilium iis Praetor hoc edicto

pollicitus est et adversus cap-

tiones opitulationem.“

10*

|0170 : 148|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

durften Dieſelben niemals einer Reſtitution, indem ſolche

Handlungen ſchon an ſich ſelbſt unwirkſam waren. Allein

gegen die Nachtheile, die ſie durch die Handlungen oder

Unterlaſſungen ihrer Vormünder erlitten, ſollten ſie Re-

ſtitution erhalten (e), obgleich auf dieſen Fall der Grund,

welcher die Reſtitution der Minderjährigen veranlaßt hatte,

ganz und gar nicht paßte. — Auf gleiche Weiſe wurde

auch den mündigen Minderjährigen, deren Vermögen unter

die Verwaltung von Curatoren geſtellt war, Reſtitution

gegen die Handlungen dieſer Curatoren ertheilt (f).

In allen dieſen Fällen alſo war das urſprüngliche Be-

dürfniß einer ſolchen Reſtitution weit überſchritten worden (g);

ja ſeit der allgemeinen Einführung einer Curatel für Min-

derjährige war ein ſolches Bedürfniß überhaupt nur noch

in ſehr beſchränktem Maße übrig geblieben.

 

Dieſes Letzte aber muß noch in höherem Grade behauptet

werden von dem Standpunkte des heutigen gemeinen Rechts

aus. Zuerſt deswegen, weil jetzt eine und dieſelbe Vor-

mundſchaft vom früheſten Lebensalter an bis zum vollen-

deten fünfundzwanzigſten Jahre fortdauert, mit gleichen

 

(e) L. 29 pr. § 1, L. 38 pr.,

L. 47 pr. de min. (4. 4). —

L. 2. 3. 5 C. si tutor (2. 25). —

L. 4. 5 C. si adv. rem jud.

(2. 29). — Dieſe Reſtitution be-

zieht ſich nun ſowohl auf die

eigene Verwaltung des Vormundes,

als auf die von demſelben ertheilte

auctoritas.

(f) Beides natürlich nur dann,

wenn der Tutor oder Curator etwas

verſehen hatte, nicht, wenn deſſen

zweckmäßige Handlung zufälligen

Nachtheil herbeiführte (§ 320

Note b). Vergl. Puchta Vor-

leſungen S. 213.

(g) Burchardi S. 260.

|0171 : 149|

§. 322. Einzelne Reſtitutionsgründe. I. Minderjährigkeit.

Befugniſſen, und ohne Unterſcheidung von Tutel und

Curatel (h). Zweitens auch aus dem Grunde, weil nach

dem heutigen Recht der weit ausgedehntere obrigkeitliche

Einfluß auf die Vormundſchaft der Minderjährigen einen

Schutz anderer Art gewährt (i), wodurch der außerordent-

liche Schutz der Reſtitution entbehrlich wird.

Bei unbefangener Erwägung dieſer Umſtände muß man

ſich überzeugen, daß ein innerer Grund des Fortbeſtehens

der Reſtitution der Minderjährigen nicht mehr vorhanden

iſt. Für die Sicherheit derſelben muß vielmehr durch die

Verbeſſerung des Vormundſchaftsrechts geſorgt werden,

worin freilich noch viel zu leiſten übrig bleibt. Höchſtens

könnte daran gedacht werden, die Fälle noch etwas zu er-

weitern, in welchen ſchon das Römiſche Recht die Minder-

jährigen ipso jure von ſolchen Nachtheilen frei erklärte, welche

außerdem bei manchen Verſäumniſſen eintreten (§ 324); eine

eigentliche Reſtitution aber iſt hier gewiß nicht mehr an

ihrer Stelle.

 

§. 323.

Reſtitution. — Einzelne Gründe. — I. Minderjährigkeit.

(Fortſetzung.)

Für die Anwendung dieſer Reſtitution auf einzelne

Rechtsverhältniſſe muß die allgemeine Bemerkung voraus

 

(h) Savigny Zeitſchrift B. 10

S. 296. 297.

(i) Dieſer Einfluß ſzeigt ſich

ſowohl in den Beſtellung der Vor-

münder, als in der fortgehenden

Aufſicht auf die Verwaltung, vor-

züglich nach dem beſonderen Recht

einzelner Länder.

|0172 : 150|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

geſchickt werden, daß hier ein noch freieres richterliches Er-

meſſen, als bei den meiſten übrigen Reſtitutionsgründen,

unentbehrlich iſt. Denn bei dieſen (wie bei Zwang, Betrug,

Irrthum) geht ſchon aus ihrem Begriff die Mangelhaftig-

keit des einzelnen Rechtsgeſchäfts hervor, gegen welches

Reſtitution geſucht wird. Nicht ſo bei der Minderjährigkeit,

die nur die allgemeine Möglichkeit mangelhafter Eigen-

ſchaften eines Rechtsgeſchäfts begründet, während das

wirkliche Daſeyn derſelben erſt aus der Prüfung jedes ein-

zelnen Herganges erkannt werden kann (§ 320 Note c).

Allerdings muß, wenn eine Reſtitution wegen Zwang oder

wegen Minderjährigkeit geſucht wird, die Thatſache des

Zwanges eben ſowohl bewieſen werden, als die Thatſache

der Minderjährigkeit. Aus dem erwieſenen Zwang aber

folgt dann die Mangelhaftigkeit des erzwungenen Geſchäfts

von ſelbſt, anſtatt daß aus der erwieſenen Minderjährigkeit

noch gar nicht folgt, daß das Geſchäft ein leichtſinniges,

unüberlegtes, und deshalb mangelhaftes war, wenngleich es

ſich hinterher als nachtheilig in ſeinen Folgen darge-

ſtellt hat.

Die einzelnen Anwendungen aber auf Verhältniſſe des

Sachenrechts, des Obligationenrechts u. ſ. w. ſchließen ſich

ganz an die, ſchon oben (§ 319) zuſammen geſtellten, allge-

meinen Regeln an, welche gerade bei der Minderjährigkeit

vollſtändiger, als bei anderen Reſtitutionsgründen, vorkommen.

Hier ſind alſo nur noch diejenigen Fälle und Verhältniſſe

 

|0173 : 151|

§. 323. Einz. Reſtitutionsgründe I. Minderjährigkeit. (Fortſ.)

hervorzuheben, in welchen bei der Minderjährigkeit beſon-

dere Beſtimmungen nöthig gefunden worden ſind.

1. Veranlaſſung zur Reſtitution kann unter Anderm der

Empfang einer Zahlung werden, wenn der Empfänger das

empfangene Geld verſchwendet oder verliert, z. B. durch

Diebſtahl (§ 310 Note i). Gegen dieſe Gefahr wurden bei

minderjährigen Gläubigern neben der Reſtitution mancher-

lei Schutzmittel angewendet, namentlich Zahlung an einen

Curator, worauf der Schuldner beſtehen konnte, oder auch

Niederlegung des gezahlten Geldes in einem Tempel. Da-

durch wurde die Gefahr des Verluſtes vermindert, alſo die

Reſtitution meiſt factiſch ausgeſchloſſen; eine unbedingte

Ausſchließung der Reſtitution lag darin nicht (a). Juſtinian

fügte als neues Schutzmittel die Vorſchrift hinzu, daß

Kapitalzahlungen nur in Folge eines, dieſelben geſtattenden,

richterlichen Erkenntniſſes geleiſtet werden ſollten; unter

dieſer Vorausſetzung ſollten ſie recht ſicher vorgenommen

werden können (b). Man hat dieſe Vorſchrift gewöhnlich

als Aenderung des früheren Rechts, und als unbedingte

Ausſchließung der Reſtitution aufgefaßt (c); es iſt aber

dazu kein Grund vorhanden. Vielmehr ſollte durch dieſe

neue Form nur noch mehr Schutz gegen die Gefahr des

Verluſtes verſchafft werden, wodurch dann das Bedürfniß

der Reſtitution von ſelbſt wegfällt (d).

 

(a) L. 7 § 2 de min. (4. 4),

L. 1 C. si adv. solut. (2. 33).

(b) L. 25 C. de admin. (5. 37),

§ 2 J. quibus alienare (2. 8).

(c) Burchardi S. 248.

(d) Göſchen Vorleſungen I.

S. 557. Eigentlich ſtimmt mit dieſer

Anſicht auch Puchta überein,

|0174 : 152|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

2. Beſonders erwähnt wird der Fall, wenn der Gläu-

biger eines Minderjährigen Pfänder verkauft, die nicht der

Minderjährige ſelbſt, ſondern deſſen Erblaſſer beſtellt hatte.

Gegen dieſen Verkauf ſoll der Minderjährige höchſtens

Klagen gegen den Verkäufer oder gegen die Vormünder

haben können, wenn dazu die Umſtände geeignet ſind; eine

Reſtitution gegen den Käufer ſoll er nicht erhalten, und er

ſoll gegen dieſen überhaupt nur klagen können, wenn derſelbe an

einem unredlichen Verkauf wiſſentlich Theil genommen hat (e).

Man hat dieſe Regel mit Unrecht ſo aufgefaßt, als ob darin

eine poſitive Ausnahme von der Reſtitution der Minderjährigen

enthalten wäre, und zugleich eine Aenderung des früheren

Rechts (f). Eine poſitive Ausnahme iſt es nicht, denn die Reſti-

tution bezieht ſich nur auf Geſchäfte der Minderjährigen oder

ihrer Vertreter; der erwähnte Verkauf aber iſt nicht ein Ge-

ſchäft des Minderjährigen, ſondern des aus eigenem Rechte

handelnden Gläubigers. Auch läßt ſich nicht behaupten, daß

hierin früher ein anderes Recht gegolten haben ſollte (g).

 

Pandekten § 103 Note i und Vor-

leſungen S. 213. Daß er in Ju-

ſtinian’s Geſetz eine Modification

des älteren Rechts annimmt, ſteht

damit nicht im Widerſpruch, denn

die in dieſem Geſetz vorgeſchriebene

Form war allerdings eine neue

und poſitive Maßregel zur Sicher-

heit.

(e) L. 2 C. si adv. vend.

pign. (2. 37), L. 2 C. de praed.

fisc. (5. 71).

(f) Burchardi S. 229. 249.

250.

(g) Man hat dafür folgende

Stelle des Paulus I. 9 § 8 geltend

machen wollen: „Minor adversus

distractiones eorum pignorum et

fiduciarum, quas pater obliga-

verat, si non ita, ut oportuit, a

creditore distractae sunt, re-

stitui in integrum potest.“

Allein es iſt durchaus nicht nöthig,

dieſe Worte von einem materiell

|0175 : 153|

§. 323. Einz. Reſtitutionsgründe. I. Minderjährigkeit. (Fortſ.)

3. Eine beſondere Rückſicht verdient der Fall, wenn

das minderjährige Alter zuſammentrifft mit einer perſönlichen

Abhängigkeit des Minderjährigen von fremder Gewalt, wenn

alſo die Frage entſteht von der Reſtitution gegen die

Handlung eines minderjährigen Kindes in väterlicher Ge-

walt, oder eines minderjährigen Sklaven.

 

Für den Fall der väterlichen Gewalt gilt die einfache

und durchgreifende Regel, daß der Minderjährige ſelbſt

gegen alle ihn treffende Nachtheile Reſtitution erhält, der

Vater aber keinen Vortheil davon haben ſoll (h). — Wenn

alſo der Minderjährige Etwas zu erwerben verſäumt oder

ausſchlägt, das nach allgemeinen Grundſätzen durch ihn in

des Vaters Vermögen gekommen wäre, ſo iſt dagegen keine

Reſtitution zuläſſig (i). Anders, wenn derſelbe ein Legat

oder eine Erbeinſetzung ausſchlägt, die ihm nach des Vaters

Tod zufallen ſollten, oder ein rein perſönliches, nicht zum

gewöhnlichen Vermögen gehörendes Recht, wie das Legat

eines jus militiae (k). Eben ſo, wenn er einen Erwerb

unterläßt, der zum castrense peculium gehört haben würde,

oder aus einem ſolchen Etwas veräußert. Wenn Dieſes

nach dem Tode des Minderjährigen an den Vater zurück-

 

nachtheiligen, zu wohlfeilen Verkauf

zu verſtehen. Das non ita, ut opor-

tuit deutet vielmehr auf die ver-

nachläſſigte Form des Pfandver-

kaufs, und dabei hat das Recht

der Anfechtung keinen Zweifel.

(h) L. 3 § 4, L. 23 de min.

(4. 4).

(i) L. 38 § 1 de min. (4. 4),

(k) L. 3 § 7. 8 de min. (4. 4).

Das jus militiae gehörte zu den

anomaliſchen Rechten auf unmittel-

bare Lebensverſorgung (S. o. B. 2

§ 72).

|0176 : 154|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

fällt, ſo kann auch der Vater die Reſtitution erhalten, wozu

der Sohn berechtigt geweſen wäre, gerade ſo, wie ein eigent-

licher Erbe (welches hier der Vater allerdings nicht iſt)

die Reſtitution ſeines minderjährigen Erblaſſers geltend

machen kann (l).

Wenn eine minderjährige Ehefrau in väterlicher Gewalt

ſteht, ſo hat ſie die Ausſicht, daß bei der Trennung der

Ehe die Dos an ſie zurückfällt; entweder indem alsdann

die väterliche Gewalt ſchon aufgehört hat, oder indem ſie

ihre Mitwirkung zur Dotalklage ſo lange verweigert, bis

der Vater ſtirbt. Wenn ſie aber während der Ehe in eine

Stipulation des Vaters auf Rückgabe der Dos an ihn

einwilligt, ſo verwandelt ſich dadurch das Recht auf die

Dos in eine gewöhnliche Vertragsforderung, wodurch jene

Ausſicht der Frau zerſtört iſt. Daher liegt in der eben

erwähnten Einwilligung eine eventuelle Veräußerung eigener

Vermögensanſprüche, gegen welche Veräußerung die minder-

jährige Frau reſtituirt werden kann (m).

 

Wenn der in väterlicher Gewalt ſtehende Minderjährige

eine Schuld contrahirt, ſo iſt dadurch ſtets er ſelbſt klagbar

 

(l) L. 3 § 9. 10 de min. (4. 4)

Dieſe Stelle wird dadurch etwas

undeutlich, daß zuerſt die beſon-

dere Anwendung (aus Pompo-

nius) vorgetragen wird, dann

der allgemeine Grundſatz, wodurch

jene Anwendung erſt Licht erhält.

Cujacius in L. 6 de in int. rest.,

Opp. T. 1 p. 589. — Durch die

Verkennung dieſes ganz ſicheren

logiſchen Zuſammenhangs läßt ſich

Burchardi S. 240 verleiten, dem

Vater an dem gewöhnlichen Pe-

culium ein quaſi-erbſchaftliches

Recht zuzuſchreiben, welches der

Natur deſſelben völlig widerſpricht.

(m) L. 3 § 5 de min. (4. 4).

|0177 : 155|

§. 323. Einz. Reſtitutionsgründe. I. Minderjährigkeit. (Fortſ.)

verpflichtet, ſowohl während der väterlichen Gewalt, als

nach der Auflöſung derſelben (n). Daneben aber kann auch

der Vater verklagt werden; insbeſondere, wenn er Auftrag

zur Uebernahme der Schuld gab, mit der actio quod jussu,

wenn der Sohn ein Peculium hat, mit der actio de

peculio (o). Nach dem oben aufgeſtellten Grundſatz nun

kann der Minderjährige, wenn er aus jener Schuld ver-

klagt wird, Reſtitution verlangen, der Vater kann gegen

die actio quod jussu oder de peculio keine Reſtitution ver-

langen (p).

Im Allgemeinen nun werden dieſe Sätze als richtig anerkannt,

nur wird davon gewöhnlich folgende Ausnahme behauptet.

Wenn der minderjährige Sohn mit Bewilligung des Vaters

ein Darlehn aufnimmt, ſo ſoll gegen die Klage auf dieſe

Schuld auch ſelbſt der Sohn keinen Anſpruch auf Re-

ſtitution haben. Allein dieſe Ausnahme kann nicht als

richtig eingeräumt werden (q).

 

Weit einfacher ſtellte ſich die zuletzt abgehandelte Frage

bei einem minderjährigen Sklaven. Dieſer war aus ſeinen

 

(n) S. o. B. 2 S. 54.

(o) L. 1 quod cum eo (14. 5).

(p) L. 3 § 4 de min. (4. 4). —

Nach der älteren Meinung des

Gajus ſollte auch der Vater die

Reſtitution haben, wegen ſeines

Intereſſe an dem Peculium. L. 22

pr. eod. Vgl. Göſchen Vorle-

ſungen I. S. 552. — Auch deutet

Ulpian in der zuerſt angeführten

Stelle darauf hin, daß früher ab-

weichende Meinungen über dieſe

Frage beſtanden.

(q) Die Stellen, woraus man

ſie herleitet, ſind L. 3 § 4 de min.

(4. 4) und L. 2 C. de fil. fam.

min. (2. 23). Die Unterſuchung

dieſer Streitfrage findet ſich in der

Beilage XVIII. am Ende dieſes

Bandes.

|0178 : 156|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Verträgen weder während des Sklavenſtandes, noch nach

der Freilaſſung verpflichtet, hatte alſo dabei gar kein eigenes

Intereſſe und kein Bedürfniß der Reſtitution. War aber

der Herr aus ſolchen Verträgen verpflichtet, ſo hatte er

eben ſo wenig Anſpruch auf Reſtitution, als der Vater

gegen die Verträge des minderjährigen Sohnes (r).

Nur in Einem Fall konnte von der Reſtitution eines

minderjährigen Sklaven die Rede ſeyn, und hier wurde ſie

auch wirklich gegeben. Wenn demſelben die Freiheit als

Fideicommiß angewieſen war, und er ſich wegen dieſes

Fideicommiſſes in ein nachtheiliges Geſchäft einließ, ſo er-

hielt er dagegen Reſtitution (s).

 

§. 324.

Reſtitution. — Einzelne Gründe. — I. Minderjährigkeit.

(Fortſetzung.)

In mehreren Fällen haben Minderjährige keinen An-

ſpruch auf Reſtitution; dieſe Fälle aber ſind von verſchie-

dener, ja entgegengeſetzter Natur.

 

Einige derſelben ſind ſo zu denken, daß die Minder-

jährigen die Reſtitution wegen einer durchgreifenderen Rechts-

hülfe nicht bedürfen, indem der Nachtheil, der bei einem

Volljährigen allerdings eintreten würde, den Minderjährigen

ipso jure gar nicht treffen ſoll. — Dahin gehören folgende

Fälle:

 

(r) L. 3 § 11. L. 4 de min.

(4. 4).

(s) L. 5. de min. (4. 4).

|0179 : 157|

§. 324. Einz. Reſtitutionsgründe. I. Minderjährigkeit. (Fortſ.)

1. Die Verjährung einer dem Minderjährigen zuſtehen-

den Klage, wenn dieſelbe eine kürzere Friſt, als dreißig Jahre,

hat (a).

 

2. In der Regel entſteht die Mora nur durch Mahnung

des Schuldners. Wenn alſo ein minderjähriger Gläubiger

dieſe Mahnung unterläßt, ſo würde er gegen dieſe Verſäumniß

reſtituirt werden können, er wird es aber nicht, weil ſein

Schuldner ipso jure in Mora iſt (b).

 

3. Die Veräußerung gewiſſer Arten von Grundſtücken,

wenn ſie ohne obrigkeitliches Decret geſchieht, da dieſelbe

nun an ſich nichtig iſt (c).

 

Andere Fälle dagegen ſind ſo zu behandeln, daß dem

Minderjährigen gegen eine erlittene Verletzung gar keine

Rechtshülfe, alſo auch nicht die Reſtitution, gewährt werden

ſoll, ſo daß er nun den Schaden unabwendlich zu tragen

hat.

 

A. Minderjährige können mit zwanzig oder achtzehn

Jahren, je nach der Verſchiedenheit des Geſchlechts, vom

Souverän für volljährig erklärt werden (d). Dieſes hat

zunächſt und hauptſächlich die Folge, daß ſie frei von Vor-

mundſchaft werden, und die eigene Verwaltung ihres Ver-

 

(a) L. 5 C. in quib. caus.

(2. 41). Gegen die dreißigjährige

Klagverjährung iſt jede Art von

Reſtitution unzuläſſig. S. o. B. 3

S. 421. 425.

(b) L. 3 C. in quib. caus.

(2. 41).

(c) L. 11 C. de praed. (5. 71),

L. 2 C. de fid. min. (2. 24). —

Die Veräußerung mit einem

ſolchen Decret unterliegt nach den-

ſelben Stellen der gewöhnlichen

Reſtitution.

(d) L. 2 C. de his qui. ven.

(2. 45)

|0180 : 158|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

mögens erlangen; deswegen gehört die genauere Darſtellung

dieſes Rechtsinſtituts in die Lehre von der Vormundſchaft.

Hier aber muß die beſondere Folge erwähnt werden, daß

der Minderjährige für ſeine ſpäteren Handlungen keine Re-

ſtitution erhalten ſoll (e). Dieſe Beſtimmung verſteht ſich

nicht von ſelbſt, hat vielmehr eine poſitive Natur, indem

ein ſolcher Minderjähriger auch wohl ſo behandelt werden

könnte, wie wenn er vor der venia aetatis gemeinſchaftlich

mit dem Curator gehandelt hätte, in welchem Fall er ja

auch Reſtitution erhielt. — Gegen die Ertheilung der venia

aetatis aber kann Reſtitution verlangt werden, da das Geſuch

derſelben allerdings noch in die Zeit der reinen, unmodifi-

cirten Minderjährigkeit fällt (f).

B. Wenn ein Rechtsgeſchäft durch Eid beſtärkt, der

Eid aber ſeiner Form nach gültig iſt, ſo ſoll der Minder-

jährige keine Reſtitution dagegen erhalten (g).

 

C. Der Minderjährige, der ſich unredlicherweiſe für

volljährig ausgiebt, hat keinen Anſpruch auf Reſtitution

gegen das auf dieſe Weiſe eingegangene Rechtsgeſchäft (h).

Dieſe Vorſchrift iſt eine Folge der oben aufgeſtellten allgemei-

neren Regel, nach welcher die Minderjährigen überhaupt

keine Reſtitution erhalten ſollen gegen irgend einen in

Rechtsgeſchäften verübten Betrug (§ 321 Note h).

 

(e) L. 1 C. eod. Das Verbot

der Veräußerung ohne Decret

(Note c) hört durch die venia

aetatis nicht auf. L. 3 C. eod.

(f) L. 1 C. eod.

(g) S o. § 309 Note g. —

Zur gültigen Form des Eides

gehört die Mündigkeit des ſchwö-

renden Minderjährigen, ſo wie die

Abweſenheit des Zwanges.

(h) L. 2. 3 C. si minor.

(2. 43).

|0181 : 159|

§. 324. Einz. Reſtitutionsgründe. I. Minderjährigkeit. (Fortſ.)

Der bloße Irrthum des Gegners über das Alter des

Minderjährigen, ſelbſt wenn deſſen eigener Irrthum hinzu-

tritt, iſt kein Hinderniß der Reſtitution (i). Hat aber der

Minderjährige ſeine Volljährigkeit aus Irrthum eidlich be-

ſtätigt, ſo iſt die Reſtitution unzuläſſig (k).

 

D. Gegen die Klagverjährung von dreißig oder mehr

Jahren wird auch dem Minderjährigen keine Reſtitution

gegeben (Note a).

 

Ganz unrichtig wäre die Annahme, daß die Reſtitution

der Minderjährigen ausgeſchloſſen werde durch die obrigkeit-

liche Beſtätigung eines Rechtsgeſchäfts. Allerdings wird

dadurch in den meiſten Fällen factiſch die Reſtitution aus-

geſchloſſen ſeyn, weil es an einer, aus den Mängeln des

jugendlichen Alters entſtandenen Verletzung fehlen wird (l).

Allein grundſätzlich iſt die obrigkeitliche Beſtätigung kein

Hinderniß der Reſtitution. Dafür beweiſt die zuläſſige Re-

ſtitution gegen den Verkauf eines Grundſtücks mit obrig-

keitlicher Genehmigung (Note c), eben ſo gegen die venia

aetatis (Note f), und gegen den Empfang einer Zahlung

in Folge eines richterlichen Erkenntniſſes (§ 323 Note d).

 

(i) L. 1. 3. 4 C. si minor.

(2. 43).

(k) Dieſes iſt jetzt eine Folge

der unter B. angegebenen allge-

meinen Ausnahme. Früher wurde

ſo unterſchieden: der mündliche Eid

über die Volljährigkeit ſollte die

Reſtitution gänzlich ausſchließen,

der ſchriftliche nur mit Vorbehalt

eines durch Urkunden (nicht durch

Zeugen) zu führenden Beweiſes

der Minderjährigkeit. L. 3 C. si

minor. (2. 43).

(l) So iſt zu verſtehen L. 7

§ 2 de min. (4. 4).

|0182 : 160|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung

Die Reſtitution der Minderjährigen iſt ſpäterhin auf

folgende andere Fälle geſetzlich ausgedehnt worden.

 

Zuerſt haben die respublicae dieſes wichtige Recht er-

halten (m), d. h. alle politiſche Corporationen, Stadtge-

meinden jeder Art, und nach unſerer Verfaſſung gewiß auch

alle Dorfgemeinden (n).

 

Dann iſt daſſelbe Recht auch den kirchlichen Corpora-

tionen gegeben worden, den Kirchen und Klöſtern (o).

 

Viele Schriftſteller behaupten nun aber noch viele andere,

eben ſo wichtige als bedenkliche Ausdehnungen. Die Re-

ſtitution der Minderjährigen ſoll nämlich auch geſtattet

werden allen Corporationen überhaupt, namentlich der

wichtigſten unter allen, dem Fiscus. Ferner den Wahn-

ſinnigen, Verſchwendern und anderen bevormundeten Per-

ſonen. Dieſe Meinung hat auch in der Praxis häufig

Eingang gefunden (p). Dabei liegt die abſtracte Be-

hauptung zum Grunde, daß die Reſtitution der Minder-

jährigen allen Denen gebühre, deren Angelegenheiten von

 

(m) L. 4 C. quib. ex caus.

(2. 54). „Respublica minorum

jure uti solet: ideoque auxi-

lium restitutionis implorare

potest. Vgl. L. 9 de appell.

(49 1), L. 3 C de j. reip. (11. 29),

L. 1 C. de off. ejus (1, 50). —

Burchardi S. 257.

(n) Burchardi S. 261.

(o) Kirchen. C. 1. 3 X. de in

int. rest. (1. 41). — Klöſter. C. 6

eod., C. 11 X. de reb. eccl. (3. 13).

(p) Glück B. 6 § 465, die

daſelbſt und bei Burchardi S.

259. 263 angeführten Schriftſteller.

Göſchen § 188 und Puchta

§ 103 u. erzählen blos die häufige

Praxis, ohne ſich ſelbſt über die

Sache auszuſprechen. Burchardi

a. a. O. erklärt ſich entſchieden

dagegen.

|0183 : 161|

§. 324. Einz. Reſtitutionsgründe. I. Minderjährigkeit. (Fortſ.)

fremden Händen verwaltet werden. Erwägt man aber,

daß die Reſtitution der Minderjährigen eingeführt war für

deren eigene Handlungen, und daß ſchon die Ausdehnung

auf die Handlungen ihrer Stellvertreter weder beſonders

begründet, noch in ihren Folgen heilſam war (§. 322), ſo

wird man um ſo mehr geneigt ſeyn müſſen, jede weitere

Ausdehnung zu verwerfen. Die Ausdehnung auf die poli-

tiſchen und kirchlichen Corporationen war eine beſondere

Begünſtigung, ein Privilegium, deſſen Anwendung auf

andere Fälle im Wege bloßer Abſtraction völlig unzuläſſig

iſt. Die auf ſo irriger Theorie beruhende häufige Praxis

iſt denn auch nicht dazu geeignet, den erwähnten Rechtsſatz

zu begründen.

Die erwähnten Zuſtände der Corporationen, der Wahn-

ſinnigen, der Verſchwender, haben mehr wahre Analogie

mit dem Zuſtand der Abweſenden, als der Minderjährigen.

Bei der Reſtitution der Abweſenden werden wir darauf

zurück kommen (q), und da dieſe überhaupt in weit engere

Grenzen der Anwendung eingeſchloſſen iſt, ſo iſt auch die

Ausdehnung derſelben weniger bedenklich.

 

§. 325.

Reſtitution. — Einzelne Gründe. — II. Abweſenheit.

Die Hauptregeln, worauf dieſer, ſehr verſchiedenartige

Fälle umfaſſende, Reſtitutionsgrund beruht, ſind folgende:

 

(q) S. unten am Ende des § 328.

VII. 11

|0184 : 162|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

I. Wer während ſeiner Abweſenheit Etwas unterläßt,

und dadurch einen Verluſt an Rechten erleidet, ſoll dagegen

Reſtitution erhalten.

 

II. Wer wegen der Abweſenheit eines Andern Etwas

unterläßt, und dadurch ſelbſt einen Verluſt an Rechten er-

leidet, ſoll dagegen Reſtitution erhalten (a).

 

Die hier genannten Fälle ſind aber erweitert worden

durch die gleichartige Behandlung vieler anderen ähnlichen

Zuſtände. Einige dieſer Zuſtände wurden ſchon vom Prätor

im Edict unmittelbar namhaft gemacht. Andere wurden

durch die Juriſten oder die Praxis der Gerichte hinzugefügt,

fanden jedoch ihre Begründung ſchon in einer allgemeinen,

auf ſolche Erweiterungen hindeutenden Clauſel deſſelben

Edicts. — Ich habe den Ausdruck: Abweſenheit als

gemeinſame Bezeichnung aller dieſer Fälle gewählt, weil

gerade der Fall der Abweſenheit im Edict vorangeſtellt iſt,

und auch in der That den Grundbegriff bildet, an welchen

ſich die übrigen Fälle nach dem Geſetz der Analogie an-

ſchließen. Ganz eben ſo bezeichnen auch Ulpian und

Paulus dieſen Fall der Reſtitution allgemein als absen-

tia (b). Andere Stellen der Römiſchen Juriſten erwähnen

dieſe ganze Art der Reſtitution nicht ſelten als restitutio

 

(a) Dieſelbe Zuſammenſtellung

beider Hauptklaſſen von Fällen

findet ſich in zwei Stellen des

Ulpian: L. 1 pr. L. 21 pr. ex

qu. c. (4. 6).

(b) L. 1 de in int. rest.

(4. 1), Paulus I. 7 § 2.

|0185 : 163|

§. 325. Einzelne Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit.

majorum, und auch der Digeſtentitel, der davon handelt,

führt die allgemeine Ueberſchrift: ex quibus causis majores

XXV annis in integrum restituuntur. Hiernach möchte

man glauben, es habe überhaupt außer der Reſtitution der

Minderjährigen nur noch dieſe einzige Art der Reſtitution

gegeben, da doch auch die Reſtitutionen wegen Zwang, Betrug

und Irrthum ohne Rückſicht auf das Alter ertheilt wurden,

und daher eben ſo, wie die der Abweſenden, als restitutiones

majorum bezeichnet werden konnten. Es erklärt ſich dieſe

Ausdrucksweiſe aus dem Umſtand, daß zur Zeit der alten

Juriſten, aus deren Schriften die Digeſten größtentheils

entſtanden ſind, die drei anderen eben genannten Fälle in

der Lehre von der Reſtitution ſo ſehr im Hintergrund

ſtanden (§ 320), daß man bei einer Ueberſicht dieſes In-

ſtituts im Großen füglich die Minderjährigkeit und die Ab-

weſenheit als die einzigen erheblichen Fälle der Anwendung

in’s Auge faſſen durfte (c).

Dieſe Art der Reſtitution iſt, ihrer Natur nach, ſehr

viel beſchränkter, als die der Minderjährigkeit, indem dieſe

letzte auf ſchädliches Thun und Laſſen zugleich, und zwar

vorzugsweiſe auf nachtheilige Rechtsgeſchäfte, gerichtet iſt,

anſtatt daß jene allein auf ſchädliche Unterlaſſungen An-

wendung findet.

 

(c) Burchardi S. 148 erklärt

dieſe Ausdrucksweiſe alter Juriſten

gerade umgekehrt daraus, daß An-

fangs und lange Zeit hindurch

Abweſenheit und Minderjährigkeit

die einzigen Reſtitutionsgründe ge-

weſen ſeyn ſollen.

11*

|0186 : 164|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Das Edict über dieſe Reſtitution iſt uns ausführlich

in den Digeſten aufbewahrt (d). Das Verſtändniß deſſelben

wird erſchwert durch manche fehlerhafte Leſeart, noch mehr

aber durch die verſchlungene Conſtruction eines einzigen ſehr

langen Satzes, welcher ſich in drei einzelne Sätze auflöſen

läßt, die jedoch durch gemeinſame Schlußworte zuſammen

gehalten werden. Der erſte dieſer drei Sätze enthält den

Schutz der Abweſenden, der zweite den Schutz gegen die

Abweſenden, der dritte die auf beide Fälle gemeinſchaftlich

zu beziehende generalis clausula. Hinter den beiden erſten

Sätzen ſtehen die für beide gemeinſchaftlich geltenden Worte:

earum rerum actionem intra annum, quo primum de ea

re experiundi potestas erit. Hinter dem dritten Satze

endlich ſtehen die für alle geltenden Worte: in integrum

restituam, wodurch zuerſt ein abgeſchloſſener Sinn der

ganzen Stelle entſteht. Auf dieſe Worte endlich folgt noch

eine Einſchränkung, die blos auf die generalis clausula zu

beziehen iſt.

 

Nach dieſer Ueberſicht über die Anordnung der ganzen

Stelle will ich die drei einzelnen Sätze derſelben angeben:

 

(d) L. 1 § 1 ex quib. caus.

(4. 6). Mehrere einzelne Stücke

daraus werden nachher wiederholt

und beſonders erklärt. — Mit

Unrecht behauptet Burchardi

(ſ. o. § 320 Note l), wir hätten

hier eine neuere, von der urſprüng-

lichen völlig verſchiedene, Abfaſſung

vor uns. Das Edict kann, ſo wie

wir es jetzt leſen, ſehr alt ſeyn,

ja aus der Zeit der Republik her-

rühren, wenngleich vielleicht die

in der letzten Zeile erwähnten

decreta principum ſpäter einge-

ſchaltet ſeyn mögen.

|0187 : 165|

§. 325. Einzelne Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit.

1. Si cujus quid de bonis deminutum erit (e), cum is

metu, aut sine dolo malo reipublicae causa abesset;

inve vinculis, servitute (f), hostiumque potestate

esset; sive cujus actionis eorum cui dies exisse

dicetur (g).

2. Item si quis quid usu suum fecisse (h), aut, quod

non utendo sit amissum (i) consecutus esse, actio-

neve qua solutus ob id, quod dies ejus exierit, cum

absens non defenderetur, inve vinculis esset, secumve

agendi potestatem non faceret; aut cum eum invitum

in jus vocare non liceret neque defenderetur, cumve

(e) Die Worte deminutum erit

fehlen in der Florentina, ſtehen

aber in alten Ausgaben und Hſſ.

(diminutum, diminutum est,

oder erit) und ſind für den Sinn

des Satzes ganz unentbehrlich.

Sie bezeichnen den einen Fall des

möglichen Verluſtes durch Ent-

ziehung des Eigenthums, z. B.

durch Uſucapion, im Gegenſatz

des anderen Falles, der in den

Schlußworten ſteht, nämlich des

Verluſtes eines Klagerechts durch

Verjährung.

(f) Dieſe beiden Fälle (vin-

cula und servitus) gehen nicht

auf Abweſenheit, wohl aber auf

Zuſtände, die eben ſo, wie Ab-

weſenheit, unfähig machen, den

Schaden abzuwenden.

(g) Hier müſſen nun die ſpä-

teren, gemeinſamen Worte hinzu

gedacht werden: earum rerum

actionem etc. .. in integrum

restituam.

(h) Die Florentina lieſt hier

fecisset; Halvander’s Leſeart

fecisse empfiehlt ſich durch die

Einfachheit der Conſtruction, in-

dem dazu das unmittelbar vorher-

gehende dicetur hinzu zu denken

iſt, ſo wie zu dem nachfolgenden

consecutus esse, und solutus

(esse), ſo daß ein neuer Satz

erſt anfängt mit den Worten: aut

cum eum invitum, welcher ſchließt

mit dem nachfolgenden esse dice-

tur.

(i) Das Florentiniſche amisit

iſt ganz unhaltbar, weil dadurch

der Gewinnende und der Ver-

lierende vermengt werden. Die

Leſeart sit amissum (Hal. amis-

sum sit) wird beſtätigt durch

L. 21 pr. eod.

|0188 : 166|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

magistratus de ea re appellatus esset, sive cui per

magistratus (k) sine dolo ipsius actio exemta esse

dicetur (l); earum rerum actionem intra annum, quo

primum de ea re experiundi potestas erit;

3. Item si qua alia mihi justa causa esse videbitur, in

integrum restituam (m); quod ejus per leges, plebis

scita, Senatusconsulta, Edicta, Decreta principum

licebit (n).

Bei der Erklärung des Einzelnen werde ich zuerſt die

ſehr verſchiedenen Fälle des Reſtitutionsgrundes angeben,

dann die Arten der Verletzung, die hier abgewendet werden

ſollen. Unter den Fällen des Reſtitutionsgrundes aber iſt

es nöthig, die Ordnung umzukehren, und zuerſt von der

generalis clausula, dann von den zwei voranſtehenden, be-

ſonders angegebenen Fällen zu reden.

 

Die generalis clausula (o) hat in den oben angegebenen

 

(k) Das Florentiniſche pro

magistratu iſt ohne Sinn. Halo-

ander’s per magistratus wird

beſtätigt durch L. 26 § 4 eod.

(l) Dieſe Worte regieren den

vorhergehenden Theil der Stelle

von den Worten aut cum eum

an (Note h).

(m) Die Worte: in integrum

restituam umfaſſen die ganze vor-

hergehende Stelle in ihren drei

Theilen. Dieſer wörtliche Zu-

ſammenhang wird verkannt von

Schröter S. 100. 109, deſſen

Erklärung nur möglich wäre, wenn

hinter den vorhergehenden Worten

experiundi potestas erit ein

dabo ſtände, das aber nicht

daſteht.

(n) Dieſe Einſchränkung geht

wohl blos auf die unbeſtimmte,

und daher ſehr umfaſſende clau-

sula, mit welcher ſie wörtlich

allein in Verbindung ſteht. Der

Inhalt verſteht ſich von ſelbſt, und

iſt auch wahr für die vorhergehen-

den Sätze.

(o) Der Name generalis clau-

sula, oder auch blos clausula,

ſteht in L. 26 § 1. 9. L. 33 pr.

ex qu. c. (4. 6).

|0189 : 167|

§. 325. Einzelne Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit.

Worten des Edicts einen ſo allgemeinen Ausdruck erhalten,

daß dadurch viele neuere Schriftſteller verleitet worden ſind,

in dieſelbe den allgemeinen, völlig ſchrankenloſen Vorbehalt

zu legen, der Prätor wolle überall reſtituiren, wo es ihm

überhaupt gut dünke. Dieſe Auslegung hat in der neueren

Praxis zu einer ſehr verderblichen Willkür geführt. Sie

muß aber durchaus verworfen werden, indem jene Worte

nach ihrer wörtlichen Verbindung keinen anderen Sinn zu-

laſſen, als daß der Prätor, außer in den ausdrücklich ge-

nannten Fällen der Abweſenheit u. ſ. w., auch in anderen

Fällen reſtituiren wolle, wenn er dieſelben verwandt, gleich-

artig fände. Es war alſo blos der Vorbehalt einer Er-

weiterung der vorſtehenden Caſuiſtik nach dem Geſetz einer

wahren, ächten Analogie. Gerade ſo haben auch ſchon die

alten Juriſten in ihren Commentaren zum Edict jene Stelle

aufgefaßt (p).

Verſuchen wir nun, aus den ſehr zahlreichen einzelnen

Anwendungen, in welchen uns dieſer Reſtitutionsgrund vor-

geführt wird, welchen wir blos der Kürze wegen mit dem

Ausdruck Abweſenheit bezeichnen, auf dem Wege beſon-

nener Abſtraction einen allgemeinen Begriff deſſelben zu

bilden. Wir werden dieſen Begriff dahin zu beſtimmen

haben, daß dieſe Reſtitution überall ertheilt werde, wo ſich

der Verluſt eines Rechts dadurch ereignet, daß der Berech-

tigte durch ein äußeres Hinderniß abgehalten wird, die

 

(p) Vgl. die in der vorhergehenden Note angeführten Stellen.

|0190 : 168|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Handlungen vorzunehmen, wodurch er den Verluſt verhütet

haben würde (q). Die Abweſenheit des Berechtigten ſelbſt,

ſo wie die Abweſenheit des Gegners, an welchen der Be-

rechtigte das Recht verliert, ſind Hauptfälle, worin ein

ſolches äußeres Hinderniß enthalten ſeyn kann; ganz auf

gleicher Linie ſtehen viele andere Fälle, die mit der Ab-

weſenheit mehr oder weniger Aehnlichkeit haben.

Nachdem hierdurch der allgemeine Begriff dieſes ganzen

Reſtitutionsgrundes feſtgeſtellt worden iſt, ſind zunächſt die

einzelnen Fälle der Anwendung beſonders zu betrachten.

Dieſe laſſen ſich, nach der eben beendigten Erörterung über

die generalis clausula, auf zwei Klaſſen zurück führen:

 

Schutz der Abweſenden gegen andere

Perſonen.

Schutz anderer Perſonen gegen die Ab-

weſenden.

Jeder dieſer Klaſſen werden zugleich diejenigen Fälle

der generalis clausula zuzutheilen ſeyn, die bei den Römiſchen

Juriſten überhaupt zur Sprache gebracht worden ſind.

 

(q) So iſt der Begriff bereits

richtig beſtimmt worden von fol-

genden Schriftſtellern. Burchardi

S. 152. 183. 191, Franke Bei-

träge S. 73, Göſchen Vor-

leſungen I. § 193.

|0191 : 169|

§. 326. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)

§. 326.

Reſtitution. — Einzelne Gründe. — II. Abweſenheit.

(Fortſetzung.)

Schutz der Abweſenden gegen andere

Perſonen.

Zuerſt ſind die im Edict genannten einzelnen Fälle zu-

ſammen zu ſtellen; dieſen werden die aus der generalis

clausula entnommenen Fälle anzureihen ſeyn.

 

I. Metu absentes(a).

 

Damit ſind Diejenigen gemeint, die ſich von ihrem

Wohnorte entfernt haben aus Furcht vor einem ernſten,

wichtigen Uebel, und zwar aus einer wohlbegründeten Furcht.

Die näheren Beſtimmungen dieſes Falles ſind ohne Be-

denken zu entnehmen aus den, für die actio quod metus

causa genauer entwickelten Regeln.

 

II. Reipublicae causa sine dolo malo absentes(b).

 

Dieſes wird als der Hauptfall der ganzen Klaſſe gedacht,

und mag wohl den erſten Anlaß zur Aufſtellung dieſes

ganzen Edicts gegeben haben.

 

Unter respublica wird in den meiſten anderen Rechts-

regeln eine Stadtgemeinde verſtanden, oft gerade im Gegen-

ſatz des Römiſchen Staats. Hier heißt es aber ganz be-

ſtimmt der Römiſche Staat, und zwar der Staat in ſeinem

alten, reinen Begriff, ſo daß einestheils die Stadt-

 

(a) L. 1 § 1. L. 2 § 1. L. 3

ex q. c. (4. 6).

(b) L. 1 § 1 cit.

|0192 : 170|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

gemeinden (c), anderntheils die der neuen kaiſerlichen Ge-

walt eigenthümlichen Stücke öffentlicher Thätigkeit (d),

eigentlich nicht unter jenem Ausdruck begriffen waren, wohl

aber allerdings als natürliche und billige Erweiterungen,

in Folge der generalis clausula, in dieſe Reſtitution mit

aufgenommen wurden.

Hauptſächlich waren hier gemeint die im Dienſt befind-

lichen Soldaten (e); eben ſo aber auch Civilbeamten aller

Art (f), vorausgeſetzt, daß dieſe nicht gerade in Rom ſelbſt

ihr Amt zu führen hatten, welches ihnen nicht als Ab-

weſenheit angerechnet werden ſollte (g).

 

Der Prätor hatte ausdrücklich ausgeſchloſſen Diejenigen,

die dolo malo im Staatsdienſt abweſend wären, d. h. die

dieſen Grund blos als Vorwand brauchten, während ſie in

der That dadurch nicht abgehalten waren, ihre eigenen

Rechte wahrzunehmen (h). — Die alten Juriſten aber

ſuchten außerdem genau zu beſtimmen, mit welchen Zeit-

punkten die Abweſenheit anfinge und aufhörte, die den

 

(c) L. 26 §. 9 eod.

(d) So der fisci patronus.

L. 33 pr. eod. — Eben ſo die

verſchiedenen Arten der procura-

tores Caesaris. L. 35 §. 2 eod.

(e) L. 45 eod.

(f) Nähere Beſtimmungen der

dahin zu rechnenden Perſonen finden

ſich in folgenden Stellen: L. 33.

§ 1. 2, L. 34 §. 1, L. 35 pr.

§ 3 — 6, L. 38 pr. eod.

(g) L. 5 §. 1. L. 6 eod. —

Die zur Garniſon der Stadt Rom

gehörenden Soldaten ſollten da-

gegen den Vortheil der Abweſen-

den allerdings genießen. L. 7 eod.

(h) L. 1 § 1, L. 4, L. 5 pr.

L. 36. eod.

|0193 : 171|

§. 326. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)

Beamten und Soldaten Anſpruch auf Reſtitution zu geben

geeignet wäre (i).

III. Qui in vinculis sunt(k).

 

Es ſind damit alle ihrer Freiheit Beraubte gemeint,

ohne Unterſchied, ob ſie gefeſſelt oder blos eingeſperrt ſind,

ob ſie vom Staat, von einer Stadtbehörde, von mächtigen

Privatperſonen, oder von Räubern gefangen gehalten

werden. Dieſe Alle bedurften einer beſonderen Erwähnung,

weil ſie gerade an ihrem Wohnorte gefangen ſeyn können,

in welchem ſie, ohne abweſend zu ſeyn, gerade ſo, wie Ab-

weſende, außer Stand ſeyn können, für die Wahrnehmung

ihrer Rechte ſelbſt zu ſorgen.

 

IV. Qui in servitute sunt(l).

 

Dahin gehören diejenigen freien Menſchen, die that-

ſächlich im Zuſtand von Sklaven leben, ſey es, daß dieſer

Zuſtand auf bloßer ungerechter Willkür, oder auf einem

Irrthum über ihre Freiheit beruht. Auch Dieſe bedurften

aus demſelben Grund, wie die vorher erwähnten, einer

beſondern Erwähnung.

 

V. Qui in hostium potestate sunt(m).

 

Dabei iſt nicht gerade an kriegsgefangene Soldaten zu

denken, weil dieſe vor der Gefangenſchaft im Heere dienten,

alſo ſchon vorher als reipublicae causa absentes unmittelbar

unter dem Ausdruck des Edicts enthalten waren. Vielmehr

 

(i) L. 32, L. 34 pr., L. 35

§ 7. 8. 9, L. 37, L. 38 § 1 eod.

(k) L. 1 § 1, L. 9. 10 eod.

(l) L. 1 § 1, L. 11. 12. 13

eod.

(m) L. 14, L. 15 pr. § 1 eod.

|0194 : 172|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

bezieht ſich das hauptſächliche Bedürfniß dieſer beſondern

Erwähnung auf Civilperſonen, die bei einem feindlichen

Einfall in das Römiſche Gebiet von den Feinden in Ge-

fangenſchaft abgeführt wurden.

Neben dieſen, im Edict genannten Fällen werden nun

noch folgende Fälle von den Römiſchen Juriſten, in An-

wendung der generalis clausula (einige mit namentlicher

Erwähnung derſelben), anerkannt.

 

1. Die Ehefrauen der Soldaten, die mit ihren Männern

die Abweſenheit theilen (n). Man muß Dieſes eben ſo

ausdehnen auf die übrigen Familienglieder, ſo wie auf die

Familien der dem Civilſtand angehörenden Staatsdiener.

 

2. Die von Stadtgemeinden an den Kaiſer oder zur

Beſorgung von Stadtgeſchäften abgeordneten Perſonen

(legati civitatum) (o).

 

3. Die Procuratoren des Kaiſers und die fiscaliſchen

Anwälte (Note d).

 

4. Die, welche ihren Wohnort zum Zweck wiſſenſchaft-

licher Ausbildung (studiorum causa) verlaſſen (p).

 

5. Wer durch Vertrag verſprochen, und durch Bürgen

verſichert hat, einen beſtimmten Ort außerhalb ſeines Wohn-

ſitzes nicht zu verlaſſen (q).

 

(n) L. 1. 2 C. de ux. mil.

(2. 52).

(o) L. 8, L. 26 § 9, L. 35 § 1

L. 42 ex qu. c. (4. 6), L. 1 C.

eod. (2. 54).

(p) L. 28 pr. eod.

(q) L. 28 § 1 eod.

|0195 : 173|

§. 326. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)

6. Wer zur Strafe an einen fremden Ort verbannt

iſt (r).

 

7. Ungeborne Kinder (s), welche allerdings in der Lage

einer beſonderen Schutzbedürftigkeit ſeyn können, indem

ihnen eine Erbſchaft bereits angefallen ſeyn kann, während

ſie noch keinen Tutor haben.

 

8. Der Inhaber einer Servitut, der ſie durch Nicht-

gebrauch verliert, weil eine Quelle zeitweiſe ausgetrocknet,

oder ein Weg durch Ueberſchwemmung zeitweiſe unbrauch-

bar geworden iſt; eben ſo, wenn dadurch der poſſeſſoriſche

Schutz einer ſolchen Servitut verloren geht (t).

 

9. Wenn der Teſtamentserbe ein erbſchaftliches Recht

dadurch verliert, daß er aus Gehorſam gegen das Sc. Sila-

nianum das Teſtament eine Zeit lang uneröffnet läßt (u).

 

§ 327.

Reſtitution. — Einzelne Gründe. — II. Abweſenheit.

(Fortſetzung.)

Bei der hier abgehandelten Klaſſe von Reſtitutions-

fällen kommen zwei Streitfragen vor, die eine beſondere

Erörterung nöthig machen.

 

(r) Dieſes konnten relegati

ſeyn (die ihr Vermögen behalten),

oder deportati (die es in der

Regel verlieren). L. 26 § 1, L. 40

§ 1 eod. Von den erſten wird

geſagt, daß ſie nur ex causa die

Reſtitution erhalten; von den

zweiten, daß ſie dieſelbe nur er-

halten, wenn ihnen ausnahms-

weiſe ihr Vermögen nicht entzogen

iſt, und nur nach erhaltener Be-

gnadigung.

(s) L. 45 pr. eod.

(t) L. 34 § 1, L. 35 de serv.

pr. rust. (8. 3), L. 14 pr. quem-

adm, serv. (8. 6), L. 1 § 9 de

itin. (43. 19).

(u) L. 3 § 30. 31 de Sc. Silan.

(29. 5).

|0196 : 174|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die erſte dieſer Streitfragen betrifft lediglich die Fälle

der eigentlichen Abweſenheit. — Wenn man auf die Urſache

derſelben zurückgeht, ſo finden ſich dabei zwei Gegenſätze.

Die Abweſenheit kann nothwendig oder willkürlich, ſie kann

löblich oder unlöblich ſeyn, wobei allerdings auch noch

das Gleichgültige, als in der Mitte liegend, in Betracht

kommt.

 

Bei dem Hauptfall nun, der dem ganzen Inſtitut zum

Grunde liegt, der Abweſenheit im Staatsdienſt, ſind wir

über die Anwendung jener Gegenſätze nicht zweifelhaft;

hier findet ſich Nothwendigkeit und Löblichkeit vereinigt.

Dieſes könnte leicht auf den Gedanken führen, daß nur

unter dieſer Vorausſetzung auch andere Fälle auf Reſtitution

Anſpruch haben könnten. Eine ſcheinbare Unterſtützung

findet ſich in manchen Aeußerungen der alten Juriſten, die

bald auf die Nothwendigkeit (a), bald auf die Löblichkeit (b),

einen beſondern Werth legen. Nun ſoll aber doch eine

Reſtitution gelten für die zur Strafe Verbannten (§ 326

Note r), deren Abweſenheit durch ein Verbrechen, alſo

durch eine höchſt unlöbliche Urſache, veranlaßt iſt.

 

Dieſer letzte Umſtand könnte dann etwa zu der Aus-

kunft führen, daß für die nothwendige Abweſenheit unbe-

dingt, für die willkürliche nur, wenn ſie zugleich löblich

 

(a) L. 26 § 9 ex q. c. (4. 6).

„Et generaliter, quotiescunque

quis ex necessitate, non ex

voluntate abfuit, dici oportet,

ei subveniendum.“

(b) L. 28 pr. eod. „Nec non

et si quis de causa probabili

abfuerit … puta studiorum

causa … ne decipiatur per

justissimam absentiae causam.“

|0197 : 175|

§. 327. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)

wäre, Reſtitution zu geben ſeyn möchte. Allein auch in

dieſem Verſuch iſt keine wahre Befriedigung zu finden.

Denn wo iſt die Gränze des Löblichen? Der beſondere

Glanz, der auf der Reiſe zur wiſſenſchaftlichen Ausbildung

liegt (Note b), verſchwindet ſchon bei gewerblichen Reiſen,

denen doch auch der Anſpruch auf Reſtitution nicht verſagt

wird (c), und ſelbſt bei einer bloßen Luſtreiſe können zu-

gleich Bildungszwecke verfolgt werden. Dann müßte man

alſo neben den löblichen Urſachen mindeſtens auch die gleich-

gültigen zulaſſen, und dann wäre durch die ganze Unter-

ſcheidung Nichts gewonnen, als die Ausſchließung der will-

kürlichen Abweſenheit aus entſchieden unlöblichen Urſachen,

z. B. wenn Jemand große Reiſen unternähme, um zu ſtehlen,

zu betrügen, oder als gewerbmäßiger Spieler. Die Fälle

nun, worin ſolche Beweggründe bewieſen werden können,

ſind allerdings denkbar, werden aber ſo ſelten vorkommen,

daß die ganze Unterſcheidung in dieſer Begränzung völlig

ohne praktiſchen Werth ſeyn würde.

Wenn wir dieſe Umſtände unbefangen erwägen, ſo

werden wir geneigt ſeyn, die Rückſicht auf jene Gegenſätze

in den denkbaren Urſachen der Abweſenheit völlig aufzu-

geben. Die angeführten Stellen der alten Juriſten (Note a. b)

ſtehen dann in Verbindung mit der willkürlichen Natur

dieſes ganzen Rechtsinſtituts. Sie wollen alſo nur ſagen,

der Prätor werde den Abweſenden aus der generalis clau-

 

(c) L. 57 mandati (17. 1).

|0198 : 176|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

sula die Reſtitution um ſo leichter zu ertheilen geneigt ſeyn,

je nothwendiger oder je löblicher ihm die Abweſenheit im

einzelnen Fall gerade erſcheine.

Die zweite Streitfrage geht noch über die Fälle der

eigentlichen Abweſenheit hinaus. Dieſe ganze Art der Re-

ſtitution ſoll ſolche Perſonen ſchützen, die außer Stand

waren, ihre Rechte durch eigene Handlungen zu erhalten.

Dabei entſteht aber ſogleich die Frage, ob ſie denn nicht

dieſe Erhaltung durch fremde Handlungen, durch Stell-

vertreter, bewirken konnten, in welchem Fall ein künſtlicher

Schutz durch Reſtitution gar nicht nöthig geweſen wäre.

Ueber dieſe Frage ſind die Meinungen neuerer Schriftſteller

ſehr getheilt, und ſie verdienen derhalb keinen Vorwurf,

weil auch die Aeußerungen unſrer Rechtsquellen hierüber

in hohem Grade ſchwankend erſcheinen.

 

Ich will zuerſt die Streitfrage in etwas engere Gränzen

einzuſchließen ſuchen. Unſere Rechtsquellen unterſcheiden

den defensus (oder qui habet procuratorem) von dem in-

defensus (qui procuratorem non habet). Unter dem de-

fensus nun iſt gewiß nicht blos Der zu verſtehen, welchen

der beſtellte Procurator wirklich, und zwar gut und zweck-

mäßig, vertheidigt, ſondern Jeder, der durch denſelben ver-

treten werden kann (d); was der Procurator vernachläſſigt,

 

(d) L. 39 ex qu. c. (4. 6). „… si procuratorem reliquerit,

per quem defendi potuit.“

|0199 : 177|

§. 327. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)

iſt mit dieſem abzumachen, gewöhnlich durch die mandati

actio. Ferner muß, in der Beurtheilung, mit dem defensus

auf gleiche Linie geſtellt werden Der, welcher einen Pro-

curator beſtellen konnte, und Dieſes aus Nachläſſigkeit ver-

ſäumt hat (e); denn bei dieſem liegt die Urſache des Ver-

luſtes nicht mehr in der Abweſenheit als ſolcher, ſondern

in der erwähnten Nachläſſigkeit, dann aber fehlt eine Haupt-

bedingung jeder Reſtitution (§ 320 Note d).

Nach dieſen näheren Beſtimmungen hätten wir alſo

zwei Klaſſen von verletzten Perſonen zu unterſcheiden: In-

defensi, die ohne ihre Schuld keinen Procurator haben (f),

und Defensi, die einen Procurator haben, oder durch eigene

Schuld entbehren. Bei den Perſonen der erſten Klaſſe iſt

es unzweifelhaft, daß ſie vollen Anſpruch auf Reſtitution

haben. Aller Zweifel betrifft alſo die zweite Klaſſe, die

Defensi.

 

Für die Defensi nun wird einmal die allgemeine Regel

aufgeſtellt, daß ſie keine Reſtitution erhalten ſollen (g). —

 

(e) L. 26 § 1 eod. „quia

potuit procuratorem consti-

tuere.“ L. 20 pr. de min. (4. 4)

„non deberi prorogari tempus

.. quia abfuit, quum potuit

adire Praetorem per procura-

torem.“

(f) So z. B. wenn der von

ihnen beſtellte Procurator während

ihrer Abweſenheit verſtorben iſt.

L. 28 pr. ex. qu. c. (4. 6)

„.. forte procuratore suo de-

functo.“ L. 57 mandati (17. 1).

(g) L. 39 ex. qu. c. (4. 6),

und zwar gerade von reip. causa

absentes. Manche haben dieſe

Stelle gezwungenerweiſe ſo aus-

gelegt, als ob ſie nicht von dem

Schutz der Abweſenden, ſondern von

dem gegen die Abweſenden, redete.

Mit Recht verwirft dieſe Erklärung

Burchardi S. 170.

VII. 12

|0200 : 178|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Dagegen wird einmal von dem Abgeordneten einer Stadtge-

meinde ausdrücklich geſagt, nach vielen Kaiſerconſtitutionen

müßte derſelbe reſtituirt werden, ohne Unterſchied, ob er einen

Procurator beſtellt hatte oder nicht (h). Ganz irrig hat

man Das für ein beſonderes Privilegium ſolcher Abgeord-

neten ausgeben wollen (i). Ein beſſeres Recht als Staats-

diener konnten ſie gewiß nicht in Anſpruch nehmen, auch

werden ſie anderwärts mit den Staatsdienern ausdrücklich

auf gleiche Linie geſtellt (k). Außerdem wird aber eine

ähnliche mildere Regel angewendet auch auf die Kriegs-

gefangenen, ſelbſt wenn deren Vermögen wirklich durch be-

ſtellte Curatoren geſchützt wird (l); ferner auf Verbannte,

die zwar eigentlich Procuratoren beſtellen ſollen, aber auch,

wenn ſie Dieſes unterlaſſen haben, ex causa Reſtitution

erhalten (m).

Faſſen wir dieſe einzelnen Aeußerungen zuſammen, ſo

finden wir darin ein ähnliches Schwanken, wie bei der

erſten Streitfrage, jedoch zugleich ein entſchiedenes Hin-

neigen zu einer fortſchreitend milderen Behandlung.

 

Nur für Einen Fall möglicher Verletzung, der allerdings

eine eigenthümliche Natur hat, iſt eine etwas beſtimmtere

Regel wahrzunehmen. Wenn nämlich die Verletzung nicht

in einem reinen Verluſt durch Verſäumniß beſteht, wie bei

 

(h) L. 26 § 9 eod.

(i) Cujacius obs. XIX. 14.

(k) L. 1 C. quib. ex causis

(2. 54).

(l) L. 15 pr. ex qu. c. (4. 6).

(m) L. 26 § 1 eod. Vgl. oben

§. 326 Note r.

|0201 : 179|

§. 327. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)

der verſäumten Unterbrechung einer Uſucapion oder Klag-

verjährung, ſondern in einem nachtheiligen rechtskräftigen

Urtheil, ſo ſind folgende Vorſchriften zu beobachten. Der

Indefensus bekommt auch in dieſem Fall unbedingt Reſti-

tution (n), und Dieſes hat um ſo weniger Bedenken, als

ein ſolches Urtheil ja immer die Natur eines bloßen Con-

tumacialurtheils hat. Der Defensus dagegen wird für

dieſen Fall ausdrücklich unterſchieden von dem Minderjäh-

rigen, welcher gerade in dieſem Fall ſtets reſtituirt wird,

er mag vertreten geweſen ſeyn oder nicht (§ 319 Note s).

Der abweſende Defensus dagegen ſoll gegen den Inhalt

des Urtheils nicht reſtituirt werden; nur wenn zugleich die

Einlegung der Appellation verſäumt worden iſt, wird gegen

dieſe Verſäumniß reſtituirt (o). Die Eigenthümlichkeit dieſes

Falles nun liegt eben darin, daß die Reſtitution gegen den

Inhalt eines Urtheils nicht auf einer reinen Verſäumniß

beruht, ſondern auf der bloßen Möglichkeit einer mangel-

haften Prozeßführung; anders bei der verſäumten Appel-

lationsfriſt, die daher auch ganz anders behandelt wer-

den ſoll.

(n) L. 1 C. quib. ex caus.

(2. 54), L. 4 C. de proc. (2. 13).

(o) L. 8 de in int. rest. (4. 1).

Wäre es geſtattet, die in der Note g

angeführte Stelle des Paulus

auf den Fall eines rechtskräftigen

Urtheils zu beſchränken (wovon

jedoch die Stelle ſelbſt keine Spur

enthält), ſo würde der oben dar-

geſtellte Widerſpruch der Stellen

verſchwinden; und dieſe ganze

Streitfrage erhielte eine einfachere

Geſtalt. — In der L. 8 cit. muß

übrigens anſtatt rempublicam

geleſen werden: rem judicatam.

Burchardi S. 446.

12*

|0202 : 180|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die neueren Schriftſteller haben die für die zweite Streit-

frage dargeſtellten Schwierigkeiten in der Erklärung der

Rechtsquellen durch mancherlei Unterſcheidungen zu heben

verſucht, welche ich nicht als befriedigend anerkennen kann.

Dahin gehört die Unterſcheidung zwiſchen löblicher und

unlöblicher Abweſenheit, deren Unhaltbarkeit ſchon oben

nachgewieſen worden iſt; ferner zwiſchen der Zahlungsfähig-

keit und Unfähigkeit des Procurators, wovon aber in den

Quellen ſelbſt keine Spur zu finden iſt; endlich zwiſchen

dem ſtrengen älteren und dem milden neueren Recht, welche

Unterſcheidung der Wahrheit vielleicht am nächſten kommen

möchte (p).

 

Auch die Behandlung der zweiten Streitfrage ſteht, ſo

wie die der erſten, in Verbindung mit der ſchon oben be-

merkten Willkürlichkeit des ganzen Rechtsinſtituts.

 

§. 328.

Reſtitution. — Einzelne Gründe. — II. Abweſenheit.

(Fortſetzung.)

Schutz anderer Perſonen gegen die Abweſenden.

Das Edict ſelbſt (§ 325) erwähnt, als zu dieſer Klaſſe

gehörend, folgende Fälle.

 

I. Qui absens non defenditur(a). Da in der erſten

Klaſſe verſchiedene Fälle und Gründe der Abweſenheit auf-

 

(p) Glück B. 6 S. 33. 34.

Schulting notae ad Digesta

T. 1 p. 578. Burchardi S. 166

bis 175.

(a) L. 1 § 1 ex quib. caus.

(4. 6).

|0203 : 181|

§. 328. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)

gezählt werden (metu, reipublicae causa absentes), ſo kann

es auffallen, daß Dieſes hier nicht geſchieht, ſondern viel-

mehr alle Abweſende überhaupt durch die Allgemeinheit des

Ausdrucks bezeichnet werden. Dieſe Faſſung des Edicts

war aber abſichtlich, indem jede Art der Abweſenheit für

andere, anweſende, Perſonen gleich gefährlich werden kann,

und daher gleichen Schutz durch Reſtitution nöthig macht (b).

II. Qui in vinculis est neque defenditur(c).

 

III. Qui secum agendi potestatem non facit neque

defenditur. Darunter ſind Die zu verſtehen, welche ſich

in der Heimath verſteckt halten, um der Klage zu entgehen,

ferner, welche die Klage verzögern durch böswillige Hinder-

niſſe, die ſie dem Anfang des Rechtsſtreits entgegenſtellen,

oder auch ohne böſen Willen, weil ſie durch viele andere

Geſchäfte abgehalten werden, ſich darauf einzulaſſen (d).

 

IV. Qui, cum eum invitum in jus vocare non licet,

non defenditur. Darunter ſind gemeint die höheren Obrig-

keiten, die wider ihren Willen gar nicht vor Gericht gezogen

werden durften. Nicht ſind gemeint die Eltern und Patrone

des Berechtigten, welche allerdings verklagt werden konnten,

 

(b) L. 21 § 1 eod. — Es

waren darunter alſo allerdings

auch Soldaten begriffeu, aber

nicht minder unmittelbar, und ohne

künſtliche Ausdehnung, auch deren

Erben, wenn dieſe die von dem

Erblaſſer angefangene Uſucapion

vollendeten, und ſelbſt gleichfalls

abweſend waren. L. 30 pr. eod.

(c) L. 1 § 1. L. 23 pr. eod.

(d) L. 1 § 1. L. 23 § 4. L. 24.

25 eod. — Es wird dabei be-

merkt, daß es gegen die latitantes

auch noch andere Zwangsmittel

gebe, namentlich die missio in

bona.

|0204 : 182|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

jedoch nur nach eingeholter Erlaubniß des Prätors; hierin

lag nur eine die Ehrfurcht wahrende Förmlichkeit, kein

Hinderniß der Klage (e).

V. Cum de ea re magistratus appellatus sit(f).

Wenn der Beklagte die Klage dadurch verhinderte, daß er

eine gleiche oder höhere Obrigkeit, oder auch einen Volks-

tribunen, bewog, durch ſeinen Einſpruch den Fortgang des

Rechtsſtreits zu hindern, ſo konnte durch dieſe Verzögerung

die Uſucapion oder die Klagverjährung vollendet werden,

und dem Berechtigten ſein Recht entziehen (g). Dagegen

ſollte dieſe Reſtitution Schutz gewähren.

 

VI. Cum per magistratus actio exemta sit. Dahin

gehören die Fälle, in welchen durch den böſen Willen oder

die Nachläſſigkeit der Obrigkeit oder des von derſelben be-

ſtellten Juder, oder durch Gerichtsferien u. ſ. w. eine Klage

ſo verzögert wird, daß ſie verloren geht. Es wird aber

dabei ausdrücklich bemerkt, daß nicht der Kläger ſelbſt zu

der Verzögerung mitgewirkt haben dürfe, etwa in der Ab-

ſicht, mit die Sache von dem Nachfolger der gegenwärtigen

Obrigkeit entſchieden werden möge (h).

 

Bei den vier erſten unter den hier aufgezählten Fällen

wird ausdrücklich bemerkt, die Reſtitution gelte nur unter

der Vorausſetzung, daß der Abweſende u. ſ. w. indefensus

 

(e) L. 1 § 1, L. 26 § 2 eod.

(f) L. 1 § 1 eod.

(g) S. o. B. 6 S. 489.

(h) L. 1 § 1, L. 26 pr. § 4

bis 7 eod.

|0205 : 183|

§. 328. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)

geweſen ſey (i). Dieſes erinnert an eine ähnliche Beſtim-

mung bei der erſten Klaſſe (§ 327 Note d. e. f) und könnte

die Beſorgniß erregen, daß ſich hier an dieſe Vorausſetzung

ähnliche Zweifel und Schwierigkeiten anknüpfen möchten,

wie ſie oben erörtert worden ſind. Doch iſt dieſes nicht

der Fall, da die Sache hier eine andere Bedeutung hat.

Die Reſtitution, von welcher gegenwärtig die Rede iſt, ſetzt

voraus einen Berechtigten, welcher ſein Recht durch Klagen

erhalten könnte, daran aber durch die augenblickliche Un-

zugänglichkeit eines Gegners verhindert wird. Die Gründe

dieſer Unzugänglichkeit ſind dabei ganz gleichgültig; je

ſchlechter, je willkürlicher dieſelbe durch die Natur der

Gründe erſcheint, deſto mehr Anſpruch hat der Berechtigte

auf den außerordentlichen Schutz der Reſtitution. Nur

wenn der Abweſende in der That defensus iſt, fehlt das

Bedürfniß der Reſtitution, weil dadurch die Klage möglich,

alſo die vorausgeſetzte Gefahr des Verluſtes völlig aus-

geſchloſſen wird. Es fragt ſich alſo nur, wer hier als

defensus anzuſehen iſt.

Defensus heißt Der, welcher einen Procurator beſtellt

hat, um für ihn als Beklagten den Rechtsſtreit zu führen;

aber auch Der, für welchen ein ſolcher Vertreter freiwillig,

ohne eine ſolche Beſtellung, auftritt. Ja nicht blos durch

 

(i) Ulpian bemerkt in L. 26

§ 3 eod. mit beſonderer Sorgfalt,

in dem Edict bezögen ſich die Worte:

non defenderetur auf den erſten

Fall, dagegen die ſpäteren Worte:

neque defenderetur auf die

drei nachfolgenden Fälle gemein-

ſchaftlich.

|0206 : 184|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

das Auftreten eines ſolchen Vertreters wird der Anſpruch

auf Reſtitution ausgeſchloſſen, ſondern der Berechtigte ſoll

von ſeiner Seite einen ſolchen aufſuchen, und namentlich

die Freunde des Gegners befragen, ob ſie etwa die Ver-

tretung übernehmen wollen (k). Jedoch iſt die bloße Be-

reitwilligkeit eines Vertreters nicht hinreichend; vielmehr

muß derſelbe Bürgſchaft leiſten, ſelbſt wenn er ein beſtellter

Procurator iſt, ſonſt gilt der Gegner nicht als defensus (l).

Juſtinian hat für alle Fälle der hier beſchriebenen

Art ein ganz neues Schutzmittel aufgeſtellt. Der Berech-

tigte, welcher eine Klage anſtellen möchte, aber einen Gegner

vermißt, ſoll ſich mit ſeiner Klage an den Statthalter der

Provinz, oder den Biſchoff, oder den ſtädtiſchen Defenſor

wenden, in Ermangelung aller dieſer Perſonen aber die

Klage öffentlich anſchlagen können. Dieſe Maßregel ſoll

hinreichen zur Unterbrechung jeder Klagverjährung und Uſu-

capion (m). — Manche haben Dieſes ſo verſtanden, als

wäre dadurch die oben dargeſtellte Reſtitution nicht nur ent-

behrlich gemacht, ſondern auch aufgehoben. Zu einer ſolchen

Annahme iſt jedoch kein Grund vorhanden; vielmehr muß

dem Berechtigten zwiſchen beiden Schutzmitteln die Wahl

zugeſtanden werden (n).

 

Neben den oben aufgeſtellten, im Edict ſelbſt erwähnten,

Fällen dieſer Reſtitution haben die alten Juriſten, in An-

 

(k) L. 21 § 2. 3, L. 22 pr. eod.

(l) L. 21 § 3 eod., § 1. 4. 5 J.

de satisd. (4. 11).

(m) L. 2 C. de annali except.

(7. 40).

(n) Burchardi S. 180—182.

|0207 : 185|

§. 328. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)

wendung der generalis clausula, noch folgende hervor-

gehoben.

1. Wenn eine Klagverjährung abläuft, während der

Beklagte ſich in Kriegsgefangenſchaft befindet (o).

 

2. Wenn der Sohn eines Kriegsgefangenen eine Sache

zum Peculium erwirbt, und dann uſucapirt (p).

 

3. Wenn der Gegner ein Wahnſinniger, ein Kind,

oder eine Stadtgemeinde iſt, und aus zufälligen Umſtänden

keinen Vertreter hat (q). — Eben ſo kann ohne Zweifel

auch umgekehrt der unvertretene Wahnſinnige u. ſ. w. Re-

ſtitution erhalten, wenn ſeine Rechte durch Uſucapion oder

Klagverjährung verloren gehen, und es iſt ganz zufällig,

daß Dieſes unter den Reſtitutionsfällen der erſten Klaſſe

nicht erwähnt wird. Dieſe Fälle haben entſchieden mehr

Analogie mit der Reſtitution der Abweſenden, als mit der

der Minderjährigen (r).

 

§. 329.

Reſtitution. — Einzelne Gründe. — II. Abweſenheit.

(Fortſetzung.)

Nachdem jetzt die einzelnen Fälle dargeſtellt ſind, in

welchen die Reſtitution wegen Abweſenheit Anwendung

 

(o) L. 23 § 3 ex qu. c. (4. 6).

(p) L. 23 § 3 cit. Der Ge-

fangene ſelbſt nämlich kann nicht

uſucapiren, da er ſich im Stande

der Unfreiheit befindet. L. 23 § 1

eod. Hiernach muß der § 5 J. de

act. (4. 6) erklärt und beſchränkt

werden.

(q) L. 22 § 2 ex qu. c. (4. 6).

Der vorhergehende Theil der Stelle

zeigt ganz klar, daß von dem Wahn-

ſinnigen u. ſ. w. als Beklagten,

nicht als Berechtigten, die Rede

iſt. Auf dieſe Reſtitution bezieht

ſich L. 124 § 1 de R. J. (50. 17)

„Furiosus absentis loco est.“

(r) S. o. am Ende des §. 324.

|0208 : 186|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

findet, ſind noch die Arten der Verletzung näher zu betrach-

ten, zu deren Abwendung dieſelbe gebraucht werden kann.

Wenn wir uns auch in dieſer Betrachtung an die Worte

des Edicts anſchließen, ſo müſſen wir zwei Hauptarten der

Verletzung annehmen.

 

I. Si quid de bonis deminutum erit, alſo unmit-

telbare Verminderung des vorhandenen Vermögens. Dahin

gehören folgende einzelne Fälle des Verluſtes, die großen-

theils ſowohl bei dem Schutz der Abweſenden, als bei dem

Schutz gegen die Abweſenden, vorkommen können.

 

1. Verluſt des Eigenthums durch eine von dem Gegner

vollendete Uſucapion (a).

2. Verluſt einer Servitut durch Nichtgebrauch (b).

3. Verluſt eines Beſitzes oder eines Quaſibeſitzes (c).

4. Verluſt des Eigenthums wegen damnum infectum (d).

5. Verluſt einer Forderung, welche durch Vertrag an die

Bedingung des Aufenthalts an beſtimmten Orten ge-

knüpft iſt (e).

6. Verluſt durch ein nachtheiliges rechtskräftiges Ur-

theil (f).

II. Si actionis dies exiit. Verluſt eines Klagerechts

durch Klagverjährung oder Prozeßverjährung (g). Eine

 

(a) L. 1 § 1, L. 15 § 3 ex

qu. c. (4. 6).

(b) L. 1 § 1 eod.

(c) L. 23 § 2 eod.

(d) L. 15 § 2 eod., nämlich

durch jubere possidere.

(e) L. 43 eod.

(f) S. o. §. 327 Note n. o.

(g) L. 1 § 1 eod.

|0209 : 187|

§. 329. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)

ähnliche Natur hat auch der durch Zeitablauf bewirkte Ver-

luſt des Rechts auf Anklage eines Verbrechers (h).

In Anwendung der generalis clausula kann dieſe Re-

ſtitution auch gebraucht werden, wenn nicht ſowohl das

vorhandene Vermögen vermindert, als der Erwerb einer

Erbſchaft oder eines Legats in Folge einer Abweſenheit

verhindert worden iſt (§ 319 Note l).

 

Bei der Anwendung dieſer Reſtitution muß ferner er-

innert werden an den allgemeinen Grundſatz, welcher die

Reſtitution nur geſtattet, in ſoweit ein Cauſalverhältniß

zwiſchen dem Reſtitutionsgrund und dem eingetretenen Ver-

luſt behauptet werden kann. Wenn daher die Abweſenheit

nur einen Theil des für die Uſucapion oder Klagverjährung

vorgeſchriebenen Zeitraums umfaßt, ſo wird dieſe Reſtitution

zuweilen ganz verſagt werden, zuweilen nur für einen Theil

des Zeitraums zu geſtatten ſeyn (i).

 

Bei dem Verluſt des Eigenthums durch Uſucapion wird

die Reſtitution auf verſchiedene Weiſe bewirkt, ſo wie die

zufälligen Umſtände das Bedürfniß herbeiführen: bald durch

Klage, bald durch Einrede.

 

Die Klage, wodurch der Verluſt des Eigenthums durch

Uſucapion abgewendet wird, führt nach einer ſehr verbrei-

teten Meinung den Namen publiciana actio; man hat die-

ſelbe mit der anderen, bekannten publiciana actio in Ver-

bindung geſetzt, und auf dieſe Verbindung zugleich die

 

(h) L. 40 pr. eod.

(i) L. 15 § 3, L. 16, L. 26

§ 7. 8 eod., ſ. o. § 320 Note d.

|0210 : 188|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Geſchichte der Reſtitution aufzubauen geſucht (k). Ich

halte dieſe Meinung für unbegründet.

Allerdings wird in mehreren Stellen, welche von dieſer

Reſtitution reden, die publiciana actio genannt (l), aber

nicht, als ob dieſelbe eine eigenthümlich für dieſen Fall ein-

geführte Klage wäre, ſondern in folgender ganz anderer

Bedeutung. Wer ſein Eigenthum in Folge einer Abweſen-

heit durch Uſucapion verliert, wird meiſt auch in der Lage

ſeyn, die Bedingungen der bonae fidei possessio für ſich

geltend machen zu können; er wird nämlich meiſtens die

Sache durch Tradition erworben haben, in Folge eines

Kaufs, einer Schenkung u. ſ. w. Dann hat er in der

That die gewöhnliche publiciana actio, deren Daſeyn durch

des Gegners Uſucapion an ſich gar nicht ausgeſchloſſen

wird. Wenn er nun die publiciana actio anſtellt, ſo wird

allerdings der Gegner vielleicht die exceptio justi dominii

entgegen ſtellen (m), und zwar mit Recht, da er in der

That Eigenthümer iſt in Folge der Uſucapion. Dieſe Ein-

rede aber wird nun entkräftet durch die Reſtitution wegen

Abweſenheit, ſey es mit oder ohne replicatio, je nachdem

die Thatſachen zweifelhaft ſind oder nicht. Will man alſo

genau reden, ſo muß man ſagen, daß in einem ſolchen Fall

die Reſtitution dazu dient, nicht ſowohl um eine verlorene

 

(k) Burchardi S. 153 fg.

(l) L. 35 pr. de obl. et act.

(44. 7), L. 57 mandati (17. 1),

Stelle aus einem alten Gloſſarium

bei Brissonius v. publiciana.

(m) L. 1 pr. L. 16. 17 de publ.

(6. 2).

|0211 : 189|

§. 329. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)

Klage herzuſtellen, als um eine ſtets gültig gebliebene Klage

von der ihr entgegen ſtehenden Einrede zu befreien. Für

die Richtigkeit dieſer Auffaſſung ſpricht ſelbſt der Wortlaut

der angeführten Stellen (Note l). Denn in einer derſelben

wird ausdrücklich geſagt, daß in einem ſolchen Fall der

Publiciana zwar die exceptio dominii entgegen ſtehe, daß

aber dieſe überhaupt nicht ohne causae cognitio gegeben

werde, und in dem vorliegenden Fall, in Folge unſrer Re-

ſtitution wegen Abweſenheit, verſagt werden müſſe, weshalb

die Publiciana vollen Erfolg haben werde (n). — In der

anderen Stelle aber wird gar nicht etwa eine zwiefache

Publiciana erwähnt für zwei an ſich verſchiedene Fälle,

ſondern vielmehr eine einzige Klage dieſes Namens, nur

mit dem Zuſatz, daß dieſelbe zuweilen rescissa usucapione

gegeben werde (o). Wie dieſer Zuſatz zu verſtehen iſt, habe

ich ſo eben bei Gelegenheit der erſten Stelle erklärt.

Ich behaupte aber gar nicht, daß dieſer Weg einer

Hülfe, vermittelſt der Publiciana die durch Reſtitution

gegen die exceptio dominii geſchützt wird, der einzige ſey.

Der vorige Eigenthümer kann vielmehr auch unmittelbar

zu ſeinem Ziele kommen durch Anſtellung der rei vindicatio

(d. h. nach altem Recht der petitoria formula mit der

 

(n) L. 57 mandati (17. 1).

S. u. d. Beil. XIX zu dieſem Bande.

(o) L. 35 pr. de obl. et act.

(44. 7). „… Illae autem rei

persecutionem continent, qui-

bus persequimur, quod ex pa-

trimonio nobis abest, ut …

Publiciana, quae ad exemplum

vindicationis datur. Sed quum

rescissa usucapione redditur,

anno finitur, quia contra jus

civile datur.“

|0212 : 190|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

intentio: rem suam esse). Hierin behauptet er nun zunächſt

etwas Unwahres, da er in der That nicht mehr Eigen-

thümer iſt. Es muß erſt wahr gemacht werden durch die

Reſtitution, die alſo hier nicht, ſo wie bei dem vorher an-

gegebenen Wege, dazu dient, die ohnehin begründete Klage

gegen eine Einrede zu ſchützen, ſondern vielmehr die Klage

erſt möglich zu machen, die ohne die Reſtitution gar nicht

begründet ſeyn würde. So wird die Anwendung unſrer

Reſtitution auf die Uſucapion in den Inſtitutionen aus-

drücklich erklärt (p), und dieſe Erklärung iſt nicht minder

wahr und richtig, als die, welche ſo eben aus einer Di-

geſtenſtelle abgeleitet worden iſt. Beide Erklärungen ſtehen

durchaus nicht im Widerſpruch mit einander, ſie bezeichnen

vielmehr zwei verſchiedene Wege, die der Kläger einſchlagen

kann, und von welchen bald der eine, bald der andere den

Umſtänden angemeſſener ſeyn wird.

Aus dieſer Prüfung der hier einſchlagenden Stellen er-

giebt es ſich, daß wir durchaus keinen Grund haben, eine

eigenthümliche publiciana actio anzunehmen, als diejenige

Klage, wodurch die Reſtitution wegen Abweſenheit zur

 

(p) § 5 J. de act. (4. 6).

„… permittitur domino, si

possessor reip. causa abesse

desierit, tunc intra annum re-

scissa usucapione eam petere,

i. e. ita petere, ut dicat pos-

sessorem usu non cepisse, et ob

id suam rem esse.“ — Es iſt zu

bemerken, daß in dieſer Stelle

blos von dem Schutz gegen den

Abweſenden die Rede iſt, welcher

uſucapirt hat. Daſſelbe gilt aber

ganz eben ſo von dem Abweſen-

den der ſein Eigenthum durch die

Uſucapion eines Anderen verloren

hat, und durch Reſtitution wieder

erlangen will.

|0213 : 191|

§. 329. Einz. Reſtitutionsgründe. II. Abweſenheit. (Fortſ.)

Ausführung gebracht werden ſoll gegen eine Uſucapion.

Dieſe Behauptung aber erhält noch eine beſondere Unter-

ſtützung durch den Umſtand, daß die eben angeführte In-

ſtitutionenſtelle, die unſern Fall erwähnt, den Namen pu-

bliciana actio nicht gebraucht, der doch in dem vorher-

gehenden Paragraphen vorkommt, und daß umgekehrt in

dem Titel der Digeſten de publiciana in rem actione unſer

Fall durchaus nicht vorkommt; eben ſo wenig in der Er-

klärung, die Gajus von der publiciana actio giebt (q).

Der Schutz durch Klage iſt jedoch nicht das einzige

Mittel, wodurch die Reſtitution gegen die Uſucapion zur

Ausführung gebracht werden kann. Wenn nämlich der

vorige Eigenthümer durch Zufall wieder in den Beſitz der

Sache kommt, ſo hat er zu einer Klage weder das Be-

dürfniß, noch die Berechtigung. Wenn aber der Gegner,

der die Sache uſucapirt hat, gegen ihn die Eigenthumsklage

anſtellt, ſo bedarf er gegen dieſe Klage eine Exception, und

dieſe wird ihm durch unſre Reſtitution ertheilt (r).

 

§. 330.

Reſtitution. — Einzelne Gründe . — III. Zwang.

Der geſchichtliche Zuſammenhang dieſes Reſtitutions-

grundes iſt ſchon oben in folgender Weiſe angegeben wor-

den (§ 320). Wenn ein Rechtsgeſchäft durch Zwang,

 

(q) Gajus IV § 36.

(r) L. 28 § 5 ex quib. caus. (4. 6).

|0214 : 192|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

d. h. vermittelſt einer durch Drohung abſichtlich erregten

Furcht, bewirkt wird, ſo half der Prätor dem Gezwun-

genen urſprünglich durch Reſtitution, und dieſer Reſtitu-

tionsgrund gehört unter die älteſten überhaupt. Schon

frühe aber wurden zu demſelben Zweck auch ordentliche

Rechtsmittel eingeführt, eine actio quod metus causa und

eine exceptio metus, und zwar in ſolcher Ausdehnung, daß

ſie für die meiſten Fälle völlig ausreichten, indem ſie nicht

blos gegen den Zwingenden, als perſönliche Rechtsmittel,

gebraucht werden können, ſondern auch gegen jeden Dritten,

der ſich in der Lage befindet, die nachtheiligen Folgen des

Zwanges von dem Gezwungenen abzuwenden (a). Wo

nun dieſe ordentlichen Rechtsmittel ausreichen, muß ſchon

nach dem allgemeinen Grundſatz die Reſtitution wegfallen

(§ 321 Note r). Außerdem aber gewähren die ordentlichen

Rechtsmittel auch bedeutende Vortheile in Vergleichung mit

der Reſtitution, ſo daß es nicht einmal räthlich ſeyn würde,

dieſe letzte vorzuziehen, ſelbſt wenn es geſtattet wäre. Die

actio quod metus causa hat einen geſicherten und beſchleu-

nigten Erfolg durch die Drohung des vierfachen Erſatzes,

wenn der Beklagte nicht ſogleich freiwillig nachgiebt; will

ſich aber der Gezwungene mit dem einfachen Erſatz begnügen,

ſo iſt er nicht an die kurze Verjährung gebunden, wodurch

die Reſtitution ſo ſehr beſchränkt iſt (b).

(a) L. 9 § 8 quod metus

(4. 2), L. 4 § 33 de doli m. et

met. ex c. (44. 4). — Dieſe Klage

iſt eine actio in rem scripta, nicht

zu verwechſeln mit in rem actio,

ſ. o. B. 5 S. 25.

(b) L. 14 § 1 quod metus

(4. 2).

|0215 : 193|

§. 330. Einzelne Reſtitutionsgründe. III. Zwang.

Dennoch giebt es einzelne, ſeltnere Fälle, worin jene

ordentliche Rechtsmittel nicht ausreichen, und um ſolcher

Fälle willen ſteht dem Gezwungenen noch jetzt überhaupt

die Wahl zu zwiſchen jenen Rechtsmitteln und der Reſti-

tution, deren eigenthümlichſte (doch nicht einzige) Folge ſich

in dem Anſpruch auf eine wahre in rem actio zeigt. Die

Edictſtelle, die wir in den Digeſten übrig haben, iſt ſo

allgemein gefaßt, daß ſie in der That auf beiderlei Schutz-

mittel paßt (c), und auch von den alten Juriſten dahin

ausgelegt wird; ſie kann in derſelben Geſtalt ſchon in dem

urſprünglichen Edict über die Reſtitution wörtlich eben ſo

gelautet haben, und ſie bedurfte keiner Abänderung, um

auch die ſpäter eingeführten ordentlichen Rechtsmittel mit

zu umfaſſen.

 

Die Richtigkeit der hier aufgeſtellten Behauptung ergiebt

ſich aus einer Stelle des Ulpian (d), deren Zuſammen-

hang nicht ſelten verkannt worden iſt. In dem § 3 wird

geſagt, das erzwungene Geſchäft könne bald ein unvollen-

detes ſeyn (z. B. ein Geldverſprechen ohne geleiſtete Zah-

lung), bald ein vollendetes (z. B. Geldverſprechen mit

Zahlung, oder auch eine Acceptilation). Dann wird die

Meinung des Pomponius angeführt, daß bei unvollendeten

Geſchäften nur eine Exception zuläſſig ſey, keine Klage, bei

vollendeten auch eine Klage. Dieſe Meinung wird ver-

 

(c) L. 1 eod. „Ait Praetor:

Quod metus causa gestum erit,

ratum non habebo“.

(d) L. 9 § 3. 4. 6 eod. Vgl.

oben § 316 Note n.

VII. 13

|0216 : 194|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

worfen, und es wird für alle Fälle die Wahl zwiſchen

Klage und Exception frei geſtellt, ſo daß bei einem bloßen

Geldverſprechen auch eine Klage zuläſſig ſey, nämlich zum

Zweck einer Acceptilation. Dieſer Ausſpruch wird beſtätigt

durch ein kaiſerliches Reſcript, welches ſelbſt im Fall eines

unvollendeten Geſchäfts die in integrum restitutio in Aus-

ſicht ſtellt. In Folge dieſes Reſcripts erklärte der Prätor,

der Gezwungene habe die Wahl zwiſchen Klage und Ex-

ception. Gleich nachher aber fügt Ulpian hinzu, daß der

Gezwungene nach Bedürfniß auch eine in rem actio erhalten

könne; desgleichen, wenn eine Forderung durch erzwungene

Acceptilation getilgt ſey, die Herſtellung der verlorenen frü-

heren Forderung rescissa acceptilatione vel alia liberatione (e).

Beides aber iſt nur durch eine wahre Reſtitution möglich.

Zwiſchen dieſer und der perſönlichen actio quod metus causa

(die ohne Reſtitution gegeben wird) habe er nun dergeſtalt

die Wahl, daß, wenn er den einen Weg eingeſchlagen habe,

der andere dadurch verſchloſſen ſey (f).

Es kommt alſo nur noch darauf an, Fälle anzugeben,

in welchen das Bedürfniß, und daher auch die Zuläſſigkeit,

einer Reſtitution wegen Zwangs, neben der actio quod

metus causa, behauptet werden kann (g).

 

(e) L. 9 § 4 eod. — Die in

rem actio wird unmittelbar be-

ſtätigt durch L. 3 C. de his quae

vi (2. 20).

(f) L. 9 § 6 eod.

(g) Puchta Pandekten § 102

Note c. d. und Vorleſungen S. 215

faßt die Sache ſo auf. Schon im

neueren Römiſchen Recht ſey die

Reſtitution wegen Zwangs nur

noch Bedürfniß geweſen bei den

negotiis stricti juris; da wir

dieſe nicht mehr kennen, ſo ſey ſie

für uns überhaupt verſchwunden.

|0217 : 195|

§. 330. Einzelne Reſtitutionsgründe. III. Zwang.

Ein ſolcher Fall, der nur zufällig nicht in unſren Rechts-

quellen erwähnt wird, kann eintreten wegen der Zahlungs-

unfähigkeit des Gegners. Hier kann die perſönliche Klage

wegen der bevorzugten Natur anderer Gläubiger ganz ohne

Erfolg bleiben. Die durch Reſtitution gewährte Klage in

rem wird den Kläger zum Ziele führen.

 

Ein anderer Fall, der nur zu ſelten vorkommen wird,

um praktiſch wichtig zu ſeyn, wird in unſren Rechtsquellen

ausdrücklich anerkannt. Wenn Jemand durch Zwang be-

wogen wird, eine angefallene Erbſchaft entweder anzutreten,

oder auszuſchlagen, ſo kann er gegen eine ſolche Handlung,

wenn ſie ihm nachtheilig iſt, Reſtitution erhalten (h). Hier iſt

es einleuchtend, daß die perſönliche Klage oft nicht aus-

reicht, wegen der unbeſtimmten, vielleicht unüberſehbaren

Rechtsverhältniſſe mit fremden Perſonen, die mit der Erb-

ſchaft verbunden ſeyn können.

 

Die Anwendung dieſer Reſtitution hängt ab von dem

Daſeyn eines wahren, rechtlich anzuerkennenden, Zwanges.

Hierüber gelten dieſelben Regeln, wie ſie für die Anwen-

dung der weit wichtigeren actio quod metus causa anzu-

wenden ſind. Es kann alſo wegen dieſes Punktes vorläufig

auf das Obligationenrecht verwieſen werden.

 

Eben ſo die Reſtitution wegen Be-

trugs. — Ich kann nicht einräumen,

daß im Römiſchen Recht die Re-

ſtitution gerade mit jenem Gegen-

ſatz zuſammenhing, und ich muß

die Anwendbarkeit der Reſtitution

in den hier im Text angegebenen

Fällen auch für das heutige Recht

behaupten.

(h) L. 21 § 5. 6 quod metus

(4. 2).

13*

|0218 : 196|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

§ 331.

Reſtitution. — Einzelne Gründe. — IV. Irrthum.

Daß es in der That eine Reſtitution wegen Irrthums

gab, hat nach den übereinſtimmenden Zeugniſſen des Ul-

pian und des Paulus keinen Zweifel (§ 320). Man

ſcheint jedoch dieſem Reſtitutionsgrund nicht dieſelbe Wich-

tigkeit, wie dem Zwang und Betrug, beigelegt zu haben,

woraus zu erklären iſt, daß derſelbe in dem Edict keine,

dieſen Fall im Ganzen umfaſſende Stelle, und in den, an

die Ordnung des Edicts ſich anſchließenden Digeſten keinen

eigenen Titel erhalten hat.

 

Es kommt nun darauf an, die Fälle der Anwendung

für dieſe Reſtitution zu beſtimmen und zu begränzen. Man

hat ihr nicht ſelten die wichtige Bedeutung beigelegt, daß

der Klagberechtigte von dem Nachtheil der Klagverjährung

frei werden könnte, wenn er über das Daſeyn der Ver-

letzung im Irrthum wäre, und deshalb Reſtitution gegen

die Verjährung ſuchte. Dieſe Anwendung, wodurch der

große Vortheil dieſes Rechtsinſtituts ſehr entkräftet werden

würde, iſt entſchieden zu verwerfen (a). — Eben ſo ver-

werflich, und noch weit wichtiger, iſt die häufig verſuchte

Anwendung, nach welcher jedes Rechtsgeſchäft, insbeſondere

jeder Vertrag, durch Reſtitution ſollte angefochten werden

können, ſobald der eine Theil durch irrige Beweggründe

zur Eingehung des Geſchäfts veranlaßt worden wäre (b).

 

(a) S. o. B. 3 S. 416. 418 fg.

(b) S. o. B. 3 S. 354 fg.

|0219 : 197|

§. 331. Einzelne Reſtitutionsgründe. IV. Irrthum.

Dadurch würde die ſichere Rechnung der Parteien auf die

Wirkſamkeit der eingegangenen Geſchäfte großentheils ent-

kräftet, und mit ihr der geſammte Verkehr gelähmt werden.

Dagegen findet ſich eine ſichere und nicht unwichtige

Anwendung dieſer Reſtitution bei den ſtrengen Formen des

alten Römiſchen Prozeſſes. Durch dieſe konnte oft eine

Partei in großen Nachtheil kommen, während ihr nicht

böſer Wille, vielleicht nur ein mäßiges, oder auch gar kein

Verſehen, zur Laſt gelegt werden konnte. Das war der

Zweck jener Formen nicht, und eine Reſtitution gegen einen

ſolchen Nachtheil, unter ernſter Aufſicht des Prätors, war

daher eben ſo unbedenklich, als die Reſtitution gegen einen

aus irrigen Beweggründen geſchloſſenen Vertrag gefährlich

geweſen wäre (c).

 

Dieſe Reſtitution gegen irrige Verſäumniß der Prozeß-

formen kam denn in der That (und beſonders in der älteren

Zeit) häufig vor, und dieſes iſt als das eigentliche Gebiet

der Reſtitution wegen Irrthums anzuſehen. Eine Reihe

von Fällen ſolcher Art iſt ſchon oben zuſammen geſtellt

worden (d).

 

Ein Fall dieſer Art hat Veranlaſſung zu der einzigen

Edictſtelle gegeben, welche in unſren Rechtsquellen über die

 

(c) Die leichtere Ertheilung

der Reſtitution gegen Prozeßver-

ſäumniſſe iſt richtig anerkannt von

Noodt Comm. in Pand. IV. 3

vers. Non minus.

(d) S. o. B. 3 S. 384 fg., B. 6

§ 300. q., und bei dem gerichtlichen

Geſtändniß oben § 306. — Die all-

gemeinſte Andeutung dieſes Falles

der Reſtitution findet ſich in L. 7

pr. de in int. rest. (4. 1).

|0220 : 198|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Reſtitution wegen Irrthums aufbewahrt iſt. Wenn Jemand

gegen einen Unmündigen klagte, und dabei irrigerweiſe von

einem falſchen Tutor die auctoritas für den Unmündigen

annahm, ſo war ſein Klagrecht völlig verloren, ohne Aus-

ſicht auf einen möglichen Erfolg. Dagegen verſprach der

Prätor die Reſtitution (e).

Ein anderer Fall dieſer Reſtitution bezieht ſich allerdings

nicht auf den Prozeß. Wenn ein Schuldner ſtirbt, und der

Gläubiger das eigene Vermögen des Erben für zweifelhaft

hält, ſo kann er eine Separation des erbſchaftlichen Ver-

mögens fordern, und daraus Befriedigung verlangen. Hat

er aber in jener Annahme geirrt, und dadurch Schaden

gelitten, ſo hat er Anſpruch auf Reſtitution, wenn er den

Irrthum rechtfertigen kann (f).

 

§ 332.

Reſtitution. — Einzelne Gründe. — V. Betrug.

Die Reſtitution wegen Betrugs iſt von beſonderen

Schwierigkeiten umgeben, und ſelbſt das Daſeyn derſelben

wird von bewährten Schriftſtellern verneint. Dieſes Da-

ſeyn jedoch wird durch die übereinſtimmenden Zeugniſſe

 

(e) L. 1 § 1. 6 quod falso

(27. 6). „.. Quod eo auctore,

qui tutor non fuerit (gestum

erit), si id actor ignoravit,

dabo in integrum restitutio-

nem.“ Vgl. o. B. 3 S. 385. —

Die Bedeutung der Reſtitution liegt

nun darin, daß die eingetretene

Litisconteſtation reſeindirt, alſo die

durch die Litisconteſtation bewirkte

Conſumtion der früheren Klage

beſeitigt wird.

(f) L. 1 § 14 de separat.

(42. 6).

|0221 : 199|

§. 332. Einzelne Reſtitutionsgründe. V. Betrug.

des Ulpian und des Paulus außer Zweifel geſetzt

(§ 320).

Die Reſtitution wegen Betrugs wird in den Quellen abge-

handelt unmittelbar hinter der Reſtitution wegen Zwangs,

neben welcher ſie in ſehr früher Zeit eingeführt zu ſeyn ſcheint.

So wie dieſe, iſt ſie größtentheils überflüſſig gemacht worden

durch ordentliche Rechtsmittel, die actio und exceptio doli,

und aus dieſer hiſtoriſchen Entwicklung iſt großentheils ihre

gegenwärtige etwas räthſelhafte Natur zu erklären. Ver-

gleichen wir dieſe ordentlichen Rechtsmittel mit denen, die

für den Fall des Zwanges eingeführt waren, ſo müſſen wir

zwei Unterſchiede anerkennen. Die Klage und Einrede aus

dem Zwang gilt auch gegen dritte Beſitzer (§ 330 Note a),

die aus dem Betrug wirkt blos perſönlich gegen den Be-

trüger, und läßt daher öfter als jene, das Bedürfniß einer

Reſtitution wahrnehmen. Ferner iſt die actio doli für den

Verurtheilten entehrend, und ſoll daher nicht gebraucht

werden, wo ſie durch andere, völlig gleich wirkſame, Schutz-

mittel erſetzt werden kann (a). Dieſe beſchränkende Rückſicht

gilt jedoch nur für die actio, nicht für die exceptio doli;

für das heutige Recht aber iſt ſie völlig verſchwunden, weil

es hier allgemein anerkannt iſt, daß keine Klage aus

Privatdelicten die Ehrloſigkeit mit ſich führt (b).

 

Um nun die für die Reſtitution wegen Betrugs noch

übrig bleibenden Fälle zu ermitteln, will ich vorläufig und

 

(a) L. 1 § 4 de dolo (4. 3).

(b) S. o. B. 2 S. 227.

|0222 : 200|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

verſuchsweiſe einige Sätze aufſtellen, deren Wahrheit erſt

im Laufe der folgenden Unterſuchung dargethan werden kann.

Meiſt wird der Betrüger dieſelbe Perſon ſeyn, welche aus

dem Schaden des Betrogenen Vortheil zieht (welche Perſon

ich den Gegner nennen will), zuweilen werden beide Per-

ſonen verſchieden ſeyn (c); in dieſem letzten Fall iſt es

natürlich, daß der Betrogene mit ſeiner Entſchädigung an

den Betrüger gewieſen werde, nicht an den unſchuldigen

Gegner, ſo daß dann die beſchränkende Rückſicht auf die

entehrende Natur der actio doli in den Hintergrund tritt.

Jedoch darf es niemals dahin kommen, daß der Betrogene

ganz ohne Hülfe bleibe; wenn alſo in dem zuletzt erwähnten

Falle der Betrüger zahlungsunfähig iſt, kann auch von dem

unſchuldigen Gegner Abhülfe verlangt werden.

Die Fälle ſelbſt, in welchen die Reſtitution wegen Be-

trugs anzuwenden iſt, ſind aus der zwiefachen Verwandt-

ſchaft abzuleiten, welche für dieſe Reſtitution unzweifelhaft

angenommen werden muß: auf der einen Seite mit dem

Zwang, auf der andern Seite mit dem Irrthum.

 

Zuerſt alſo wird die Reſtitution wegen Betrugs in den-

ſelben beiden Fällen angewendet werden müſſen, in welchen

die Reſtitution wegen Zwangs zur Anwendung kommt, damit

in keinem Fall der Betrogene ganz ohne Hülfe bleibe.

 

Der erſte Fall gründet ſich auf die Zahlungsunfähigkeit

 

(c) Es iſt dieſer Fall ſo zu

denken, daß der Gegner Nichts

von dem Betrug weiß, ſonſt iſt er

ſelbſt gleichfalls Betrüger; es kann

alſo hier nur von einem unſchul-

digen Gegner die Rede ſeyn.

|0223 : 201|

§. 332. Einzelne Reſtitutionsgründe. V. Betrug.

des Betrügers. Wenn Jemand durch Betrug verleitet wird,

ſein Grundſtück um geringen Preis zu verkaufen und zu

übergeben, ſo kann er durch die actio venditi den Verkauf

anfechten und das Grundſtück zurück verlangen (d). Wird

Jemand durch Betrug bewogen, ſein Grundſtück dem Be-

trüger zu ſchenken, und dieſes Geſchäft durch Uebergabe

(nach altem Recht durch Mancipation) zu vollziehen, ſo

kann er durch die actio doli die Rückgabe des Grundſtücks

verlangen. Wenn aber in einem dieſer beiden Fälle der

Betrüger zahlungsunfähig iſt, ſo kann der Betrogene, um

nicht mit ſeiner perſönlichen Klage im Concurſe auszufallen,

Reſtitution wegen Betrugs, und durch dieſe eine in rem

actio verlangen, wie Dieſes für den Fall des Zwangs ſchon

oben bemerkt worden iſt (e).

Der zweite Fall bezieht ſich auf die ſchädliche Antretung

oder Ausſchlagung einer Erbſchaft, wozu Jemand durch

Betrug verleitet wird. Im Fall des Zwangs hatte hier

der Gezwungene die Wahl zwiſchen der actio quod metus

causa gegen den Zwingenden und der Reſtitution, wodurch

die Antretung oder Ausſchlagung an ſich unwirkſam wird (f);

das letzte, durchgreifendere Schutzmittel wird oft nöthig ſeyn

wegen der unbeſtimmten Wirkung jener Handlungen in Be-

ziehung auf viele fremde, unbekannte Perſonen. — Für den

 

(d) L. 6. § 1 de contr. emt.

(18. 1) L. 4 pr. de L. commiss.

(18. 3). Vgl. L. 11 § 5. 6 de

act. emti (19. 1).

(e) L. 9 § 4. 6 quod metus

(4. 2), ſ. o. § 330.

(f) L. 21 § 5. 6 quod metus

(4. 2), ſ. o. § 330.

|0224 : 202|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Fall des Betrugs nun wird ausdrücklich geſagt, daß der

Betrogene gegen den Betrüger die actio und exceptio doli

habe (g), gerade ſo, wie bei dem Zwang auch die actio

quod metus causa galt. Damit iſt aber nicht verneint,

daß er auch die Reſtitution wegen Betrugs fordern könne,

welches vielmehr nach der verwandtſchaftlichen Natur beider

Reſtitutionsgründe behauptet werden muß.

Die zweite Verwandtſchaft des Betrugs iſt die mit dem

Irrthum. Jeder Betrug enthält nämlich in der That einen

wahren Irrthum, und man kann ihn als qualificirten Irr-

thum bezeichnen. Daher wird die Reſtitution, die gegeben

wird gegen Prozeßverſäumniſſe aus Irrthum (§ 331), ſtets

auch unmittelbar begründet ſeyn gegen die durch den Betrug

eines Andern veranlaßten Prozeßverſäumniſſe. Wenn ſie

hier zuweilen nicht zur Anwendung kommt, ſo liegt der

Grund darin, daß alsdann der Betrüger ein Anderer iſt,

als der Prozeßgegner, in welchem Fall die Abhülfe von dem

Betrüger und nicht von dem Gegner zu leiſten iſt.

 

Nach dieſen vorbereitenden Bemerkungen gehe ich über

zur Betrachtung der Stellen, deren richtige Erklärung allein

dahin führen kann, die in dieſer Lehre herrſchenden Zweifel

und Mißverſtändniſſe zu beſeitigen.

 

Vor allen ſind zwei Stellen zu beachten, die zu ſagen

ſcheinen, daß in jeder Colliſion irgend einer Reſtitution mit

 

(g) L. 9 § 1, L. 40 de dolo (4. 3).

|0225 : 203|

§. 332. Einzelne Reſtitutionsgründe. V. Betrug.

der actio doli, die Reſtitution vorgezogen werden müſſe,

weil ſie nicht entehre.

L. 1 § 6 de dolo (4. 3) (Ulpianus) (h) „Idem Pom-

ponius refert, Labeonem existimare, etiam si quis in

integrum restitui possit, non debere ei hanc actio-

nem competere“ …

L. 7 § 1 de in int. rest. (4. 1) (Marcellus) (i)

„Nec intra has solum species consistet hujus generis

auxilium; etenim deceptis sine culpa sua, maxime

si fraus ab adversario intervenerit, succurri opor-

tebit, quum etiam de dolo malo actio competere so-

leat. Et boni Praetoris est potius restituere litem,

ut et ratio et aequitas postulabit, quam actionem

famosam constituere, ad quam tunc demum descen-

dendum est, quum remedio locus esse non potest.“

Beide Stellen ſind von Manchen ſo aufgefaßt worden.

Jeder Betrug begründet eine Reſtitution; da nun aber

im Colliſionsfall ſtets die Reſtitution, die nicht entehrt, der

entehrenden actio doli vorgezogen werden muß, ſo kann im

Fall des Betrugs nur allein die Reſtitution angewendet

 

(h) Der vorhergehende Para-

graph hatte die Stelle des Edicts

erläutert, nach welcher die actio

doli nur in Ermanglung einer

anderen actio gebraucht werden

dürfe.

(i) Vorher wird geſagt, bei

aller nöthigen Aufrechthaltung der

solennia (damit ſind hier die

Prozeßformen gemeint) müſſe doch

der Prätor’ eine billige Reſtitution

nicht verſagen; ſo z. B. wenn eine

Partei auf eine interrogatio nicht

antworte, und deswegen zu einem

Nachtheil verurtheilt werde (§ 305),

dann aber ſogleich die verſäumte

Antwort nachhole.

|0226 : 204|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

werden. Dieſe Erklärung, wodurch die Sache auf die

äußerſte Spitze getrieben wird, kann unmöglich richtig ſeyn.

Denn durch ſie würde die Anwendung der actio doli völlig

ausgeſchloſſen ſeyn, da doch für viele Fälle von den alten

Juriſten dieſe Klage für das einzig anwendbare Rechts-

mittel erklärt wird, während gerade umgekehrt von der

Reſtitution wegen Betrugs nur ſelten und beiläufig die

Rede iſt.

Die richtige Auffaſſung dieſer Stellen, und zugleich der

ganzen Frage von der Reſtitution wegen Betrugs, wird

ſich in folgender Reihe von Sätzen aufſtellen laſſen, die

ſich an einzelne Stellen der alten Juriſten anſchließen.

 

A. Fälle, in welchen der Betrüger dieſelbe Perſon iſt,

welche als Gegner den Vortheil aus dem Betrug ziehen

würde.

 

1. Wenn dieſes Verhältniß eintritt zwiſchen den Par-

teien in einem Prozeß, z. B. indem der Kläger durch des

Beklagten Betrug verleitet wird, die Prozeßverjährung ab-

laufen zu laſſen, ſo wäre eigentlich die actio doli begründet.

Da aber in dieſem Fall die Reſtitution wegen Betrugs

genau denſelben Vortheil gewährt (indem ſie den Verluſt

der Klage aufhebt), und doch zugleich die Ehre des Gegners

ſchont, ſo wird ein wohldenkender Prätor die Ertheilung

der Reſtitution vorziehen.

 

Genau Dieſes iſt der Sinn der oben abgedruckten Stelle

des Marcellus. Dieſe ſpricht von einem Betrug im

Prozeß, verübt vom Prozeßgegner, welches theils aus dem

 

|0227 : 205|

§. 332. Einzelne Reſtitutionsgründe. V. Betrug.

vorhergehenden Theil der Stelle erhellt, theils aus der Er-

wähnung des adversarius, theils aus den Worten resti-

tuere litem.

2. Ein Schuldner bewegt durch einen erdichteten Brief

ſeinen Gläubiger, ihm die Schuld durch Acceptilation zu

erlaſſen. Der Gläubiger, der Dieſes entdeckt, kann, wenn

er volljährig iſt, die actio doli gegen den Schuldner (auf

Entſchädigung) anſtellen, wenn er minderjährig iſt, durch

Reſtitution die Wiederherſtellung der getilgten Schuld be-

wirken (k).

 

Dieſe Stelle hat mit der vorhergehenden (L. 7 § 1

de in int. rest.) die Aehnlichkeit, daß in beiden von einem

auf zwei Perſonen beſchränkten Rechtsverhältniß die Rede

iſt. Dabei muß es aber auffallen, daß hier dem voll-

jährigen Gläubiger die actio doli gegeben wird, da doch

die in der vorhergehenden Stelle vorgezogene Reſtitution

wegen Betrugs denſelben Erfolg gehabt hätte, mit Scho-

nung der Ehre des Gegners. Ich wage nicht, einen be-

ſtimmten Grund dieſer ſcheinbar verſchiedenen Entſcheidung

anzugeben. Vielleicht war dieſer Punkt ſtreitig; ohnehin

behauptet Marcellus den Vorzug jener Reſtitution nicht

als eine feſtſtehende Rechtsregel, ſondern als das räthliche

Verfahren eines wohlgeſinnten Prätors. Es iſt aber auch

möglich, daß die Römiſchen Juriſten dieſen Vorzug der

 

(k) L. 38 de dolo (4. 3)

„… postea epistola falsa vel

inani reperta, creditor major

quidem annis XXV. de dolo

habebit actionem, minor autem

in integrum restituetur“.

|0228 : 206|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Reſtitution vor der actio doli ſo allgemein nur annahmen

bei Nachtheilen im Prozeß (wovon L. 7 § 1 cit. handelt)

nach der Analogie des Irrthums, nicht bei Nachtheilen aus

Verträgen (wovon L. 38 de dolo redet).

3. Eine reine Anwendung der hier aufgeſtellten Regeln

findet ſich in einer der wichtigſten hierher gehörenden Stel-

len, die man gewöhnlich mit Unrecht als eine vereinzelte,

ganz poſitive Beſtimmung anſieht (l). Wenn ein Prozeß

rechtskräftig entſchieden wird, der verlierende Theil aber

hinterher entdeckt, daß das Urtheil auf die Ausſage von

Zeugen geſprochen worden iſt, die der Gegner beſtochen

hatte, ſo würde gegen denſelben unzweifelhaft die actio doli

begründet ſeyn. — Dieſe ſoll aber hier nicht gelten, ſondern

es ſoll vielmehr durch Reſtitution (wegen Betrugs) das

Urtheil entkräftet werden, damit ein neues Urtheil geſprochen

werden könne.

 

B. Fälle, in welchen der Betrüger eine vom Gegner

des Verletzten verſchiedene (dritte) Perſon iſt.

 

4. Wenn bei einer angeſtellten oder vorbereiteten Klage

ein Dritter in böswilliger Abſicht die Erſcheinung des Be-

klagten vor Gericht verhindert, ſo kann dadurch der Kläger

auf mancherlei Weiſe in Nachtheil kommen; eine angefan-

gene Uſucapion oder Klagverjährung kann vollendet werden,

wodurch dem Kläger ſein Eigenthum oder ſein Klagrecht

entzogen wird. Gegen dieſen Dritten gab der Prätor dem

 

(l) L. 33 de re jud. (42. 1).

|0229 : 207|

§. 332. Einzelne Reſtitutionsgründe. V. Betrug.

Kläger eine beſondere Entſchädigungsklage, eine actio in

factum, ſo daß er der entehrenden actio doli gar nicht

bedurfte (m). Wenn aber dieſer Dritte zahlungsunfähig

war, ſo ſollte der verletzte Kläger gegen den unſchuldigen

Beklagten ſelbſt eine Reſtitution erhalten, damit ſich dieſer

nicht mit dem nun unheilbaren Schaden eines Anderen

bereichere (n). — Dieſes iſt offenbar eine Reſtitution wegen

des (von einem Dritten verübten) Betrugs, die aber nur

im Nothfall eintreten ſoll, nämlich nur, wenn dem Ver-

letzten nicht durch die ordentliche Klage gegen den Betrüger

Hülfe verſchafft werden kann.

5. Wenn Jemand zur Hälfte ein Erbrecht erwirbt,

dann als Erbe verklagt wird, und auf die gerichtliche Frage,

zu welchem Theil er Erbe ſey, wider beſſeres Wiſſen erklärt,

er ſey der einzige Erbe, ſo trifft ihn zur Strafe der Nach-

theil, daß er im Fall der Verurtheilung für die ganze

Schuld haften muß (o). Dazu bedarf es keiner beſonderen

Klage, insbeſondere nicht der actio doli. Iſt er aber zah-

lungsunfähig, ſo würde nun den unſchuldigen Kläger ohne

Grund der Nachtheil treffen, daß er den zahlungsfähigen

Miterben nicht mehr verklagen könnte, und dieſer würde

ſich auf des Klägers Koſten bereichern. Dagegen erhält

 

(m) L. 3 pr. de eo, per quem

factum (2. 10).

(n) L. 3 § 1 eod. „Plane si

is, qui dolo fecerit, quo minus

in judicio sistatur, solvendo non

fuerit, aequum erit, adversus

ipsum reum restitutoriam ac-

tionem competere, ne propter

dolum alienum reus lucrum

faciat, et actor damno adficia-

tur.“

(o) L. 11 § 4. 5 de interrog.

in j. (11. 1).

|0230 : 208|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

der Kläger Reſtitution (wegen Betrugs eines Dritten), ſo

daß er gegen den Miterben zur Hälfte der Schuld klagen

kann (p).

6. Wenn ein Waarenkauf nach dem von einem Dritten

hergeliehenen Gewicht geſchloſſen wird, der Dritte aber

wiſſentlich falſches Gewicht giebt, ſo geht gegen ihn die

actio doli (q); das Geſchäft ſelbſt alſo bleibt unter

den Parteien gültig. Nach den bei den vorigen Fällen

(Num. 4. 5) angewendeten Regeln darf man aber wohl un-

bedenklich annehmen, daß die Reſtitution gegen das Geſchäft

ſelbſt gegeben werden muß, wenn die actio doli wegen

Zahlungsunfähigkeit des Beklagten ohne Erfolg bleibt (r).

 

Faſſen wir das Ergebniß dieſer Entſcheidungen einzelner

Rechtsfälle zuſammen, ſo erhalten dadurch die zwei oben

(S. 203) abgedruckten Stellen folgende ſichere Deutung. Wenn

dieſe Stellen ſagen, im Colliſionsfall ſey die Reſtitution der

entehrenden actio doli vorzuziehen, ſo hat das erſtlich den

Sinn, daß die aus einem anderen Reſtitutionsgrund, z. B.

Minderjährigkeit, abzuleitende Reſtitution ſtets vorgehen ſoll

(Num. 2); ferner auch den Sinn, daß die Reſtitution wegen

Betrugs vorgehen ſoll, wenn der Gegner des Verletzten

 

(p) L. 18 eod.

(q) L. 18 § 3 de dolo (4. 3).

(r) Auch noch in einem anderen

Fall zeigt ſich die Rückſicht auf

Zahlungsunfähigkeit, ohne daß da-

bei von Reſtitution die Rede iſt.

Wenn ein Unmündiger unter Ge-

nehmigung des Vormundes mit

einem Dritten einen Vertrag ſchließt,

und dabei von dieſen beiden Per-

ſonen betrogen wird, ſo ſoll er

nur die actio tutelae gegen den

Vormund haben, nicht die actio

doli gegen den Dritten, außer wenn

der Vormund inſolvent iſt. L. 5. 6

de dolo (4. 3).

|0231 : 209|

§. 332. Einzelne Reſtitutionsgründe. V. Betrug.

zugleich der Betrüger iſt (s). Iſt dagegen der Betrüger

verſchieden von dem Gegner des Verletzten, ſo muß ſich

dieſer an den Betrüger halten, ſelbſt wenn dazu die actio

doli nöthig ſeyn ſollte, und die Reſtitution gegen den

ſchuldloſen Gegner ſoll nicht eintreten, außer wenn der

Betrüger zahlungsunfähig iſt (Num. 4. 5. 6).

Die Meinungen der Neueren über die Reſtitution wegen

Betrugs gehen ungemein aus einander.

 

Von Burchardi’s Meinung, nach welcher beſonders

die Reſtitution wegen Betrugs ſeit Diocletian die größte

Ausdehnung erhalten haben ſoll, iſt ſchon oben die Rede

geweſen (§ 317 Note g). — Schröter ſchließt ſich dieſer

Anſicht gleichfalls an, hat aber daneben richtige Anſichten

aufgeſtellt, und nur die Anwendung dieſer Reſtitution zu

caſuiſtiſch behandelt, anſtatt ſie auf allgemeinere Grundſätze

zurück zu führen (t). — Göſchen verneint gänzlich das

Daſeyn einer Reſtitution wegen Betrugs, indem er ſich

durch die Wahrnehmung täuſchen läßt, daß gerade in dem

Digeſtentitel de dolo malo eine ſolche Reſtitution nicht

erwähnt wird (u). — Puchta nimmt ſo, wie bei der

Reſtitution wegen Zwangs, mit Unrecht an, daß dieſe

Reſtitution im heutigen Recht völlig verſchwunden ſey

(§ 330 Note g). Anderwärts aber nimmt er an, die

 

(s) Wenigſtens für Prozeßver-

hältniſſe iſt Dieſes gewiß nach

Num. 1. 3, für Verträge mag es

nach Num. 2 dahin geſtellt bleiben.

(t) Schröter S. 126 — 129.

(u) Göſchen Vorleſungen I.

S. 569.

VII. 14

|0232 : 210|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

actio doli ſelbſt ſey eine Reſtitution, weil in der Stelle

des Edicts die Worte vorkommen: si justa causa esse vi-

debitur, alſo eine causae cognitio vorbehalten ſey (v).

Sowohl dieſe Behauptung, als die von ihm verſuchte Er-

klärung der oben abgedruckten beiden Digeſtenſtellen (w), iſt

ſo ſubtil, daß durch ihre conſequente Durchführung die

ganze Lehre von der Reſtitution alle Haltung verlieren

müßte.

§. 333.

Reſtitution. — Einzelne Gründe. — VI. Antiquirte

Gründe.

Die bisher abgehandelten Reſtitutionsgründe können

insgeſammt auch im heutigen Recht vorkommen. Zwei

andere jedoch ſind nur noch geſchichtlich zu erwähnen, und

nur um in dem ganzen Zuſammenhang dieſer Lehre keine

Lücke zu laſſen. Dieſe ſind:

Die Capitis deminutio.

Die Alienatio judicii mutandi causa facta.

 

Beide haben in den Digeſten eigene Titel, im Zuſammen-

hang mit den übrigen Reſtitutionsgründen erhalten. Beide

aber können nicht nur für das heutige Recht, ſondern ſelbſt

für das Juſtinianiſche, als anwendbare Reſtitutionen nicht

mehr anerkannt werden.

 

(v) Puchta Inſtitutionen B. 2 S. 221 — 223.

(w) A. a. O., S. 223. 419.

|0233 : 211|

§. 333. VI. Antiquirte Reſtitutionsgründe.

Die capitis deminutio hatte als Reſtitutionsgrund von

jeher nur folgende, höchſt beſchränkte Bedeutung. Wenn

ein Schuldner eine minima capitis deminutio erlitt, durch

Arrogation, Adoption, Emancipation u. ſ. w. (a), ſo gingen

nach altem Recht alle ſeine Schulden unter (b). Da nun

Dieſes eine augenſcheinliche Ungerechtigkeit gegen die nicht

einwilligenden Gläubiger war, ſo gab dagegen der Prätor

eine Reſtitution, wodurch er die verlorenen Forderungen

wiederherſtellte (c).

 

Dieſe Reſtitution führte aber nur den leeren Namen

einer ſolchen, indem die eigenthümliche Natur einer Re-

ſtitution bei ihr gar nicht zur Anwendung kam. Sie ſollte

nämlich nicht vom freien Ermeſſen des Prätors abhangen,

ſondern unbedingt, ohne alle Vorunterſuchung der beſon-

deren Umſtände, gegeben werden; und ſie ſollte ferner nicht

an die Verjährungsfriſt der Reſtitution gebunden ſeyn (d).

Es war alſo in der That eine praktiſche Aufhebung des

alten Rechtsſatzes, nur verſteckt unter der Form einer Re-

ſtitution, gewiſſermaßen aus Reſpect gegen das alte Civil-

recht.

 

So ſtand es alſo ſchon im alten Recht. Im Juſtinia-

 

(a) S. o. B. 2. §. 68.

(b) Gajus Lib. 4 § 38, Lib. 3

§ 84. Nur wenige Arten von

Schulden waren von dieſem Unter-

gang ausgenommen. — Die

maxima und media capitis de-

minutio hatten andere Folgen,

und kommen hier nicht in Betracht.

(c) L. 2 § 1, L. 7 § 2. 3 de

cap. min. (4. 5), L. 2 de in int.

rest. (4. 1), Gajus l. c., Paulus I.

7. § 2.

(d) L. 2 § 1. 5 de cap. min.

(4. 5).

14*

|0234 : 212|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung

niſchen Recht aber iſt der alte Grundſatz ſelbſt, worauf ſich

dieſe mildernde Maaßregel bezog, mit allem Recht wegge-

laſſen worden, ſo daß für uns das Bedürfniß dieſer Re-

ſtitution räthſelhaft blieb bis zur Entdeckung des Gajus.

Man möchte glauben, es wäre nun beſſer geweſen, auch

dieſe Reſtitution ſelbſt unerwähnt zu laſſen. Dieſes iſt

nicht geſchehen, theils weil überall in den Juſtinianiſchen

Sammlungen das Beſtreben ſichtbar iſt, ſo wenig als

möglich von den alten Rechtsinſtituten dem Namen nach

untergehen zu laſſen, theils weil hier die einzige ſchickliche

Stelle zu ſeyn ſchien, um überhaupt die Lehre von der

capitis deminutio in den Digeſten anzubringen (e).

Die alienatio judicii mutandi causa facta war in der

That vom Prätor als Reſtitutionsgrund aufgeſtellt. Wenn

der Beſitzer einer fremden Sache, der eine Eigenthumsklage

erwartete, den Beſitz abſichtlich weggab, indem er dadurch

den Kläger in eine nachtheiligere Lage verſetzte, ſo ſollte

durch jene Reſtitution die Klage gegen ihn eben ſo möglich

gemacht werden, wie wenn er den Beſitz behalten hätte.

Dieſe Reſtitution wurde aber völlig überflüſſig gemacht

durch die ſpäterhin, zuerſt bei der Erbſchaftsklage, dann bei

der Eigenthumsklage, eingeführte Lehre von dem qui dolo

desiit possidere. Dieſer ſoll jetzt, gerade ſo wie ein gegen-

wärtiger Beſitzer, mit jenen Klagen in rem belangt werden

können, und zwar im Gang des gewöhnlichen Prozeſſes,

 

(e) Vergl. über dieſe Reſtitution B. 2 § 70 S. 82 — 87.

|0235 : 213|

§. 333. VI. Antiquirte Reſtitutionsgründe.

ohne daß es dazu fernerhin einer Reſtitution bedarf, alſo in

viel vortheilhafterer Weiſe für den gefährdeten Klagberech-

tigten (f).

Außer den autiquirten Reſtitutionsgründen ſind hier,

der Vollſtändigkeit wegen, noch einige zu erwähnen, die

blos auf irrigen Meinungen beruhen.

 

Dahin gehören zunächſt die ſogenannten civilen Re-

ſtitutionen. Deren Annahme und reichhaltige Ausſtattung

iſt aus zweierlei Mißverſtändniſſen hervorgegangen. Zuerſt

aus der ſchon oben gerügten Verwechſelung vieler ordent-

lichen Rechtsmittel mit der Reſtitution, die doch mit der-

ſelben in der That nur den äußeren Erfolg gemein haben

(§ 316). Dann aber aus dem irrigen Verfahren, die zum

Theil aus Kaiſerconſtitutionen hervorgegangene Ausbildung

der oben vorgetragenen wahren Reſtitutionsgründe zu unab-

hängigen, neuen Reſtitutionen umzubilden (g).

 

Ferner gehören dahin die verſchiedenartigſten Fälle von

Reſtitutionen die man auf den irrig aufgefaßten Begriff

einer generalis clausula zurück zu führen verſucht hat.

Davon iſt jedoch ſchon oben (§ 325) geredet worden.

 

(f) Vergl. oben § 316 Noten h

bis l.

(g) Vergl. Schröter S. 151.

bis 157. Göſchen Vorleſungen

I. § 183.

|0236 : 214|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

§. 334.

Reſtitution. — Gerichtsbehörden.

Es iſt jetzt noch der formelle Theil der Reſtitutionslehre

darzuſtellen übrig, welcher die dabei thätigen Gerichts-

behörden, die Parteien, das Verfahren, und endlich die

Wirkungen der Reſtitution zum Gegenſtand hat (§ 318).

 

Das Recht der Behörden zur Ertheilung von Reſtitu-

tionen (Competenz) iſt nach zwei Geſichtspunkten zu be-

ſtimmen: zuerſt nach ihrem Beruf zu dieſem Geſchäft im

Allgemeinen (Gerichtsbarkeit); dann nach ihrer Berechtigung

für vorkommende einzelne Fälle (Gerichtsſtand).

 

Gerichtsbarkeit in Reſtitutionsſachen hatte urſprünglich

in Rom und in Italien nur allein der Prätor; in jeder

Provinz der Statthalter. Die ſtädtiſchen Obrigkeiten waren

zu Reſtitutionen niemals befugt (a). Eben ſo erſtreckte ſich

die Befugniß eines vom Prätor ernannten Judex nicht auf

die in dieſe Sache etwa einſchlagende Bitte um Reſtitution;

dieſe mußte vielmehr ſtets an den Prätor ſelbſt zurück-

gehen (b).

 

Nach demſelben Grundſatz blieb unter den Kaiſern die

Reſtitution ein Vorbehalt der höheren Obrigkeiten; ſie wurde

ertheilt von den Prätoren, dem Stadtpräfecten, dem Prä-

fectus Prätorio, den Statthaltern der Provinzen, vom

Kaiſer ſelbſt. Juſtinian aber beſtimmte, welches vor ihm

 

(a) L. 26 § 1 ad munic. (50. 1). Vergl. oben § 317.

(b) Burchardi S. 433.

|0237 : 215|

§. 334. Reſtitution. Gerichtsbehörden.

bezweifelt wurde, daß alle dieſe Behörden auch durch

commiſſariſche Richter die Reſtitution prüfen und ertheilen

laſſen könnten; imgleichen, daß die von ihnen für eine

andere ganze Sache ernannten Commiſſare auch eine darin

gelegentlich vorkommende Reſtitution ertheilen ſollten (c).

Für den wichtigſten Fall, die Reſtitution gegen ein

rechtskräftiges Urtheil, ſind noch folgende beſondere Regeln

zu bemerken. Kein Beamter ſollte gegen das Urtheil eines

im Rang höher ſtehenden Beamten reſtituiren, wohl aber

gegen das eines gleichſtehenden; alſo auch gegen ſein eigenes

Urtheil, ſo wie gegen das ſeines Vorgängers. Gegen ein

Urtheil des Kaiſers, oder eines vom Kaiſer unmittelbar

aufgeſtellten Vertreters, konnte daher auch nur der Kaiſer

ſelbſt reſtituiren (d).

 

Im heutigen Recht iſt unzweifelhaft jeder ordentliche

Richter zur Ertheilung einer Reſtitution befugt, und dadurch

wird dieſes ohnehin ſchon bedenkliche Inſtitut für unſren

Rechtszuſtand noch weit bedenklicher, als es jemals für die

Römer geweſen iſt (e).

 

Für den Gerichtsſtand, alſo für die Competenz der Ge-

richtsbehörden in einzelnen Reſtitutionsſachen, ſind dieſelben

 

(c) L. 16 § 5, L. 17 de min.

(4. 4), L. 3 C. ubi et ap. quem

(2. 47). Dieſe Stelle des Codex

iſt wiederholt in dem C. 9 X. de

in int. rest. (1. 41), jedoch mit

dem, wahrſcheinlich blos mißver-

ſtändlichen, Zuſatz, daß auch

Schiedsrichter reſtituiren könnten. —

Burchardi S. 432 bis 439. S.537

bis 548.

(d) L. 18. 42 de min. (4. 4),

L. 3 C. si adv. rem jud. (2.27).

— Burchardi S. 550 bis 552.

(e) S. oben § 317. Vergl.

Burchardi S. 545. 546.

|0238 : 216|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Regeln zu beobachten, wie wenn das Reſtitutionsgeſuch

eine ordentliche Klage wäre. Insbeſondere fällt die bei

Gelegenheit einer anhängigen anderen Rechtsſache vorkom-

mende Bitte um Reſtitution der Prüfung und Entſcheidung

des Richters anheim, bei welchem die Hauptſache anhängig

iſt (f).

§. 335.

Reſtitution. — Parteiperſonen.

Der nächſte Gegenſtand der Unterſuchung betrifft die

Perſonen, unter welchen das Geſuch einer Reſtitution ver-

handelt und entſchieden werden kann. Auf der einen Seite

ſteht der Verletzte, dem durch die Reſtitution geholfen werden

ſoll, auf der andern Seite irgend Einer, welcher der Re-

ſtitution zu widerſprechen ein Intereſſe hat, indem er durch

die Herſtellung des früheren Zuſtandes Etwas verliert.

Ich will, der Kürze wegen, dieſe beide Perſonen den Be-

rechtigten und den Verpflichteten nennen.

 

I. Als Berechtigter iſt zunächſt und unmittelbar der

Verletzte ſelbſt zu betrachten, um deſſentwillen die gerade

jetzt in Frage kommende Reſtitution eigentlich eingeführt

iſt, alſo der Minderjährige, der Gezwungene, der Be-

trogene u. ſ. w.

 

Außer und neben ihm aber können auch manche andere

Perſonen als Berechtigte angeſehen werden, welche ihr

 

(f) Burchardi S. 548 bis 550.

|0239 : 217|

§. 335. Reſtitution. Parteiperſonen.

Recht von dem ſeinigen in Folge eines beſonderen Rechts-

verhältniſſes ableiten.

Dahin gehören allgemein und unzweifelhaft alle Univer-

ſalſucceſſoren des urſprünglich Berechtigten (a). Jeder Re-

ſtitutionsanſpruch kann alſo nach dem Tode des urſprünglich

Berechtigten auch geltend gemacht werden von deſſen Erben,

ſo wie von denen, welche in gleichem Verhältniß, wie

eigentliche Erben, zu dem Verſtorbenen ſtehen; dahin gehören

die Nachfolger aus einem Fideicommiß der Erbſchaft, ferner

die, welchen ein castrense peculium zufällt. Eben ſo aber

auch, wenn der Berechtigte nicht ſtirbt, ſondern in Unfrei-

heit fällt, der Herr deſſelben, weil dieſer in das Vermögen

ſeines Sklaven wie ein Erbe eintritt (b).

 

Unter die Fälle eines ſolchen abgeleiteten Rechts auf

eine Reſtitution gehört ferner der Fall einer Ceſſion, welche

überall angewendet werden kann, um die Stelle der Sin-

gularſucceſſion in eine Reſtitution zu vertreten (c), ſo wie

ſie bei den Obligationen dieſe Stelle vertritt.

 

Alle dieſe Regeln haben kein Bedenken. Dagegen iſt in

hohem Grade ſtreitig und verwickelt die Frage, ob auch der

Bürge des urſprünglich Berechtigten an der Reſtitution

deſſelben Theil nehmen kann (d).

 

(a) S. o. B. 3 § 105.

(b) L. 6 de in int. rest. (4. 1),

L. 18 § 5 de minor. (4. 4).

(c) L. 24 pr. de min. (4. 4),

L. 25 de admin. (26. 7), L. 20

§ 1 de tutelae (27. 3). — S. u.

Note q.

(d) Vergl. über dieſe Frage

Burchardi S. 407 — 416. S.

570 — 581, der die älteren Schrift-

ſteller anführt. Ferner Göſchen

Vorleſungen I. S. 538. 553. 554.

Puchta Pandekten §. 105 i. und

§. 405 g. Vorleſungen S. 216.

|0240 : 218|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Um dieſe Streitfrage auf das ihr allein zukommende

engere Gebiet zurück zu führen, muß die Bemerkung vor-

aus geſchickt werden, daß ſie nur vorkommen kann bei der

Reſtitution der Minderjährigen. Abweſende nämlich werden

überhaupt nur reſtituirt gegen Verſäumniſſe, nicht gegen

Rechtsgeſchäfte (§ 325), während Bürgen nur bei Rechts-

geſchäften eintreten. In den Fällen des Zwanges und

Betrugs aber wird ſich der Bürge ſtets durch die exceptio

metus oder doli ſchützen können, die ihm eben ſo gut, als

dem Gezwungenen oder Betrogenen ſelbſt, zuſteht (e); dazu

bedarf es keiner Reſtitution.

 

Der Minderjährige nun, für deſſen Schuld ein Bürge

eingetreten iſt, ſteht in zwei verſchiedenen Rechtsverhält-

niſſen: gegen den urſprünglichen Gläubiger, und gegen den

Bürgen, der, wenn er aus der Bürgſchaft verurtheilt iſt,

oder freiwillig gezahlt hat, in der Regel den Regreß an

den Hauptſchuldner nehmen kann (f). Der minderjährige

Schuldner iſt gegen jede dieſer beiden Forderungen, wenn

er will, gleichmäßig durch Reſtitution geſchützt, ſo daß alſo

die praktiſche Frage eigentlich nur darauf geht, wer zuletzt

den Verluſt tragen ſoll, der Gläubiger oder der Bürge (g).

 

(e) L. 7. § 1 de except. (44.1).

(f) Mit der actio mandati

oder negotiorum gestorum, je-

nachdem der Schuldner um die

Bürgſchaft wußte oder nicht. L. 6

§ 2 L. 18 mand. (17. 1), L. 43

de neg. gestis. (3. 5).

(g) L. 13 pr. de min. (4. 4)

„… In summa perpendendum

erit Praetori, cui potius sub-

veniat, utrum creditori an

fidejussori; nam minor captus

neutri tenebitur“. — L. 1 C.

de fid min. (2. 24). Allerdings

|0241 : 219|

§. 335. Reſtitution. Parteiperſonen.

Wird nun zuerſt der Bürge verklagt, ſo hat Dieſer

gewiß keinen Anſpruch auf Reſtitution (h). Die Streitfrage

beſchränkt ſich alſo auf den anderen Fall, wenn zuerſt der

Minderjährige verklagt, und auf ſein Begehren reſtituirt

worden iſt; ob dieſe, nicht mehr blos mögliche, ſondern

wirklich ertheilte Reſtitution des Hauptſchuldners auch von

dem nachher verklagten Bürgen für ſich geltend gemacht

werden kann, das iſt die allein noch übrige Frage.

 

Mehrere Stellen ſprechen hierüber ſo, daß man glauben

könnte, der Bürge könne den Schutz der Reſtitution

verlangen (i); andere ſo, als könne er dieſen Schutz nicht

in Anſpruch nehmen (k); in der That aber muß die Unbe-

ſtimmtheit der einen und der anderen Ausſprüche nicht in

 

aber kann es geſchehen, daß die

eine dieſer Reſtitutionen geltend

gemacht wird, während die andere

verloren geht, z. B. durch Ver-

jährung. Darauf geht in dieſer

letzten Stelle der hypothetiſche

Ausdruck: modo fi… non juvaris.

(h) Nach dem neueſten Recht

freilich kann der Bürge die Klage

durch die exceptio excussionis

von ſich ablehnen, und dadurch

ſogleich die Anwendung des fol-

genden Falles herbei führen (Nov. 4

C. 1).

(i) L. 3 § 4 de min. (4. 4),

„.. hoc auxilium .. solet in-

terdum fidejussori ejus pro-

desse“, L. 51 pr. de proc. (3. 3),

L. 8 de adqu. her. (29. 2).

(k) L. 1. 2 C. de fid. min.

(2. 24), L. 7 § 1 de except. (44. 1).

Dieſe ſchwierige Stelle ſpricht zuerſt

von der exceptio L. Plaetoriae,

die ſie unbedingt den Bürgen zu-

ſpricht, dann von der Reſtitution:

„quod si deceptus sit in re

(i. e. sine dolo), tunc nec ipse

ante habet auxilium, quam

restitutus fuerit, nec fidejus-

sori danda est exceptio.“ Die

letzten Worte ſind zweideutig, in-

dem man ſo auslegen kann: der

Bürge ſoll niem als den Schutz

haben; oder auch: er ſoll gleich-

falls den Schutz nicht anders haben,

als nachdem der Minderjährige

reſtituirt iſt. Die letzte Deutung

iſt den Worten angemeſſener. Vgl.

Burchardi S. 205. 410. 579.

Savigny Zeitſchrift f. geſchichtl.

Rechtsw. X. 249.

|0242 : 220|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

dem Sinn einer allgemeinen und unbedingten Wahrheit

aufgefaßt werden, ſondern einer blos möglichen, für manche

Fälle, unter gewiſſen Umſtänden geltenden, Wahrheit.

Dahin deuten ſchon die Ausdrücke einiger dieſer Stellen

ſelbſt (Note h. i). Ganz beſtimmt aber entſcheidet für die

Richtigkeit dieſer Auffaſſung eine Stelle des Ulpian (l),

die überhaupt den Weg zeigt zur wahren Vereinigung der

über dieſe ganze Frage ſcheinbar widerſprechenden Stellen.

Ulpian ſagt, der Prätor müſſe nach den Umſtänden

jedes einzelnen Falles prüfen, ob der Gläubiger den Verluſt

tragen ſolle oder vielmehr der Bürge (Note g). Als Haupt-

regel aber für die Entſcheidung dieſer Frage ſtellt er den

offenbar richtigen Satz auf, der Bürge müſſe den Schaden

tragen, wenn er gerade mit Rückſicht auf die aus der

Minderjährigkeit für den Gläubiger hervorgehende Gefahr

Bürgſchaft leiſtete (m). Mit dieſer Anweiſung ſtimmt auch

völlig überein eine Stelle des Paulus (n). — Der ent-

 

(l) L. 13 pr. de min. (4. 4).

(m) L. 13 pr. cit. „Itaque

si, cum scirem minorem, et

ei fidem non haberem, tu fide-

jusseris pro eo, non est ae-

quum, fidejussori in necem

meam subveniri, sed potius ipsi

deneganda erit mandati actio.“

(n) Paulus I. 9. § 6. „Qui

sciens prudensque se pro

minore obligavit, si id consulto

consilio fecit, licet minori suc-

curratur, ipsi tamen non suc-

curretur.“ Consulto consilio

kann nicht die Abſichtlichkeit über-

haupt bezeichnen, denn dieſe findet

ſich bei jeder Bürgſchaft, ja bei

jedem Vertrag, ſondern nur die

beſondere, auf die Sicherheit gegen

eine künftige Reſtitution gerichtete

Abſicht. — Burchardi faßt die

Sache im Allgemeinen richtig auf,

ſtellt aber S. 572. 577 Präſum-

tionen auf, die ich für grundlos

und unnöthig halte. Beſonders

aber ſcheint mir der von ihm über

Ulpian ausgeſprochene Tadel

(S. 576) völlig ungerecht.

|0243 : 221|

§. 335. Reſtitution. Parteiperſonen.

gegengeſetzte Fall wird demnach ſo zu denken ſeyn, daß der

Bürge nicht aus jener beſonderen Rückſicht die Bürgſchaft

leiſtete, ſondern etwa, weil der Gläubiger die Zahlungs-

fähigkeit des Minderjährigen in Zweifel zog, während der

Bürge deſſen ausreichendes Vermögen genau kannte, ſo daß

alſo dabei das minderjährige Alter des Hauptſchuldners

gar nicht zur Sprache kam (o); am entſchiedenſten würde

dieſer zweite Fall anzunehmen ſeyn, wenn die Minderjährig-

keit dem Bürgen ganz unbekannt geblieben wäre, vielleicht

auch ſelbſt dem Gläubiger. In dieſem zweiten Fall nun

würde der aus der Reſtitution hervorgehende Schutz dem

Bürgen zu gute kommen, und der Gläubiger hätte den

Verluſt zu tragen.

Man kann nun noch die Frage aufwerfen, welche

Mittel anzuwenden ſeyen, um zu dem hier aufgeſtellten

Ziele zu gelangen. Darüber ſagt Ulpian, der ſicherſte

Weg beſtehe darin, daß ſofort der Minderjährige gegen den

Hauptſchuldner und den Bürgen zugleich die Reſtitution

nachſuche. Dann höre der Prätor alle Betheiligte gegen

einander, und könne ſo am beſten entſcheiden, wer im vor-

liegenden Falle den Verluſt tragen ſolle (p).

 

(o) Dieſes drückt Papinian

in L. 95 § 3 de sol. (46. 3) ſo

aus: „cui fidejussoris (obligatio)

accessit sine contemplatione

juris praetorii.“ Burchardi

S. 575 faßt dieſe Worte anders

auf.

(p) L. 13 pr. de min. (4. 4).

„Unde tractari potest, minor in

integrum restitutionem utrum

adversus creditorem, an et

adversus fidejussorem implo-

rare debeat? Et puto tutius

adversus utrumque; causa enim

cognita et praesentibus adver-

sariis, vel si per contumaciam

desint, in integrum restituti-

ones perpendendae sunt.

|0244 : 222|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Nun iſt es aber auch möglich, daß der Minderjährige

dieſen Rath nicht befolgt, vielmehr mit der Reſtitution gegen

den Hauptſchuldner ſich begnügt, oder auch dieſe einſtweilen

auf ſich beruhen läßt, da dann in beiden Fällen dem Bürgen

die Gelegenheit entzogen wird, ſeinen Anſpruch auf die

Theilnahme an der Reſtitution zu rechter Zeit geltend zu

machen. Für ſolche Fälle muß dem Bürgen geſtattet

werden, ſeine Regreßklage gegen den Minderjährigen gleich

jetzt geltend zu machen (Note f); nicht um einen Gelderſatz

zu erlangen, indem er ſelbſt noch Nichts gezahlt hat, auch

von dieſem Erſatz durch des Minderjährigen Reſtitution in

jedem Fall ausgeſchloſſen ſeyn würde (Note g): wohl aber

um den Minderjährigen zu einer Ceſſion ſeiner Reſtitution

zu zwingen, die er dann gegen den Gläubiger geltend

machen kann. Dieſe billige, dem Minderjährigen unſchäd-

liche, Befugniß wird von Paulus anerkannt, zwar nicht

für den Fall der Bürgſchaft, wohl aber für folgenden ganz

ähnlichen, nach gleichen Grundſätzen zu beurtheilenden Fall.

Wenn ein Minderjähriger für einen Anderen eine nego-

tiorum gestio unternimmt, und darin Etwas verſieht, ſo

kann er ſich reſtituiren laſſen, und dadurch von dem Anderen

(dem Herrn des Geſchäfts) allen Schaden abwenden. Ver-

weigert er dieſe Reſtitution, ſo kann der Andere durch die

actio negotiorum gestorum verlangen, daß ihm der Minder-

jährige die Reſtitution cedire, die dann er ſelbſt geltend

machen kann (q).

 

(q) L. 24 pr. de min. (4. 4). S. o. Note c.

|0245 : 223|

§. 336. Reſtitution. Parteiperſonen. (Fortſ.)

§. 336.

Reſtitution. — Parteiperſonen. (Fortſetzung.)

II. Die Perſon des Verpflichteten in der Reſti-

tution (§ 335) iſt nicht ſo einfach und leicht zu beſtimmen,

wie die des Berechtigten, wegen der großen Verſchiedenheit

der Rechtsverhältniſſe, worauf ſich die Wiederherſtellung

eines früheren Zuſtandes beziehen kann. Bei einem nach-

theiligen Vertrag wird es oft nur darauf ankommen, die

obligatoriſche Wirkung deſſelben zu entkräften; dann iſt der

andere Contrahent allein der zur Erduldung der Reſtitution

verpflichtete Gegner, ganz als ob von einer perſönlichen

Klage die Rede wäre. Iſt dagegen das durch Erſitzung

einem Abweſenden entzogene Eigenthum zu reſtituiren, ſo

iſt der Beſitzer der Sache, der meiſt auch der Eigenthümer

ſeyn wird, der Verpflichtete, da gegen dieſen die herzuſtel-

lende Eigenthumsklage gerichtet wird. Geht die Reſtitution

gegen eine angetretene oder ausgeſchlagene Erbſchaft, ſo

ſind die ſehr mannichfaltigen Perſonen als Verpflichtete zu

betrachten, mit welchen ein Erbe als ſolcher in Rechts-

verhältniſſe eintritt. — Man pflegt wohl dieſe Verſchieden-

heit ſo auszudrücken, daß die Reſtitution bald in personam,

bald in rem gehe. Von dieſem Gegenſatz wird jedoch zweck-

mäßiger weiter unten, bei den Wirkungen der Reſtitution,

gehandelt werden (§ 343).

 

Gewiſſe Perſonen ſind wegen ihres perſönlichen Ver-

hältniſſes zum Berechtigten von der Verpflichtung aus-

 

|0246 : 224|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

genommen, eine Reſtitution gegen ſich ergehen zu laſſen.

Dieſe Ausnahmen haben Aehnlichkeit mit den für die actio

doli vorgeſchriebenen Ausnahmen von der Verpflichtung,

als Beklagte in dieſer Klage aufzutreten, dürfen jedoch nicht

damit gleich geſtellt werden.

Bei der Reſtitution ſind ausgenommen die Eltern und

der Patron des Berechtigten. Dieſe Ausnahme war früher

beſtritten in ihren Bedingungen und Gränzen, iſt aber von

Juſtinian in größter Ausdehnung anerkannt worden (a).

— Bei der actio doli ſind gleichfalls ausgenommen die

Eltern und der Patron; außer dieſen aber auch noch viele

andere Perſonen, welchen der Berechtigte nach ſeiner Stel-

lung Ehrfurcht ſchuldig iſt. Dagegen hat dieſe Ausnahme

bei der actio doli die blos formelle Bedeutung, daß der

Ausdruck dolus und die davon abhängende Entehrung ver-

mieden werden ſoll; jede andere Wirkung der Klage ſoll

durch eine actio in factum aufrecht erhalten werden (b).

Bei der Reſtitution hat die Ausnahme eine ernſthaftere

Bedeutung; weder die Reſtitution ſelbſt, noch ein Surrogat

derſelben, ſoll gegen Eltern und Patrone in Anſpruch ge-

nommen werden, weil dieſen gar nicht zugetraut werden

dürfe, daß ſie gegen ihre Kinder oder Freigelaſſene ein

 

(a) L 2 C. qui et adv. quos

(2. 42). Vergl. Burchardi

S. 117 — 124. Göſchen Vor-

leſungen I. S. 540. Puchta

Pandekten § 107 d.

(b) L. 11 § 1, L. 12 de dolo

(4. 3), L. 27 § 4 de min. (4. 4).

|0247 : 225|

§. 336. Reſtitution. Parteiperſonen. (Fortſ.)

Recht geltend machen könnten, welches zu einer Reſtitution

Anlaß geben möchte (c).

Von dieſer Begünſtigung der Eltern und Patrone haben

neuere Schriftſteller wiederum folgende Reihe von Aus-

nahmen aufgeſtellt, die aber insgeſammt als ſolche nicht

anerkannt werden können.

 

1. Gegen eine nachtheilige Arrogation kann ein minder-

jähriger Sohn allerdings Reſtitution fordern (d). Nur iſt

es ein Zirkel, Dieſes als Ausnahme von der oben ange-

gebenen Begünſtigung anzuſehen. Denn wenn die Reſti-

tution als begründet erkannt wird, ſo iſt ja gerade das

elterliche Verhältniß verneint, worauf allein die Begünſti-

gung ſich bezieht.

 

2. Wenn ein Vater ſeinen minderjährigen Sohn eman-

cipirt, dann aber durch Klage die Emancipation als nicht

geſchehen angreift, und ein rechtskräftiges Urtheil für ſich

erlangt, ſo kann der Sohn allerdings Reſtitution gegen

dieſes Urtheil erhalten (e). Allein wegen dieſer angeblichen

Ausnahme gilt dieſelbe Bemerkung, wie wegen der vorher-

gehenden. Denn wenn in Folge der Reſtitution ein ent-

gegengeſetztes Urtheil bewirkt wird, welches die Emanci-

pation für gültig erklärt, ſo iſt dadurch wiederum das

Verhältniß zwiſchen Vater und Sohn beſeitigt.

 

3. Wenn der Vater eine Sache zuerſt ſeinem minder-

 

(c) L. 2 C. cit.

(d) L. 3. § 6 de min. (4. 4).

Vgl. oben § 319 Note p.

(e) L. 2 C. si adv. rem jud.

(2. 27).

VII. 15

|0248 : 226|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

jährigen Sohn, dann aber einem Dritten, und zwar mit

Einwilligung des Sohnes, ſchenkt, ſo kann der Sohn

gegen dieſe ſeine Einwilligung Reſtitution verlangen (f).

Hier geht aber die Reſtitution nicht gegen den Vater,

ſondern gegen den Dritten, der die ſpätere Schenkung

empfing.

4. Wenn einem in väterlicher Gewalt lebenden minder-

jährigen Sohne die Erbſchaft zufällt, über den Werth dieſer

Erbſchaft Vater und Sohn verſchiedene Meinung haben,

und deshalb der Sohn, im Widerſpruch mit der Anſicht

des Vaters, die Erbſchaft ausſchlägt oder antritt, ſo kann

er hinterher gegen dieſe ſeine Handlung Reſtitution erlan-

gen (g). Auch hier, wie in dem vorhergehenden Falle,

geht die Reſtitution nicht gegen den Vater, ſondern gegen

die mancherlei fremde, dabei betheiligte Perſonen.

 

5. Wenn eine Mutter als Vormünderin die Rechte

ihres Kindes beeinträchtigt, ſo kann dieſes dagegen Rechts-

mittel jeder Art, unter andern auch die Reſtitution, ge-

brauchen (h). Dieſes iſt eine wahre Ausnahme jener

Begünſtigung, allein da die Novelle Juſtinian’s, worin

ſich dieſe neueſte Beſtimmung findet, ungloſſirt iſt, ſo hat

ſie für das heutige Recht keine Anwendbarkeit (i).

 

(f) L. 2 C. si adv. don. (2. 30).

(g) L. 8 § 1 C. de bon. quae

lib. (6. 61).

(h) Nov. 155 C. 1.

(i) S. o. B. 1 § 17. Göſchen

a. a. O. will die Novelle gelten

laſſen als blos declaratoriſch, wofür

ich ſie nicht halten kann, da ſie in

der That das frühere Geſetz poſitiv

einſchränkt. Puchta a. a. O. faßt

die Sache ſo auf, daß die Re-

ſtitution nur wegfalle gegen die

|0249 : 227|

§. 336. Reſtitution. Parteiperſonen. (Fortſ.)

Zuletzt iſt noch der Fall zu erörtern, wenn der Ver-

pflichtete bei der Reſtitution gleichfalls eine beſonders be-

günſtigte Perſon iſt. In einem ſolchen Fall fragt es ſich,

ob auch dieſer Perſon gegenüber die Reſtitution verlangt

werden könne.

 

Dieſe Frage tritt zuerſt ein, wenn ein Minderjähriger

gegen einen Minderjährigen reſtituirt ſeyn will. Hier wird

meiſtens nur ein einſeitiger Nachtheil vorhanden ſeyn; z. B.

wenn eine Sache zu wohlfeil verkauft wird, hat nur der

Verkäufer Nachtheil, und dieſer wird reſtituirt, wobei der

Käufer keinen Nachtheil erleidet in Vergleichung des ur-

ſprünglichen Zuſtandes. Sind aber beide im Nachtheil ge-

kommen, z. B. wenn ein Minderjähriger dem andern Geld

leiht, und dieſer es verſchwendet, ſo ſoll der Empfänger des

Darlehens den Vorzug haben, d. h. es ſoll an dem gegen-

wärtigen Zuſtand Nichts verändert werden (k).

 

Wenn ein Abweſender die Sache eines anderen Ab-

weſenden uſucapirt, ſo iſt nur ein einſeitiger Nachtheil vor-

handen, und die Reſtitution gegen die Uſucapion hat kein

Bedenken (l).

 

Giebt ein Minderjähriger ein Darlehen an einen Sohn

in väterlicher Gewalt, ſo wird er gegen die exceptio Sc.

 

Eltern als ſolche (L. 2 C. qui

et adv. quos), nicht gegen die in

anderer Eigenſchaft, z. B. als Vor-

münder, auftretende Eltern (Nov.

155). Allein auch jede andere Re-

ſtitution geht nicht gegen die

Eltern als ſolche, ſondern in ihrer

Eigenſchaft als Contrahenten, Uſu-

capienten u. ſ. w.

(k) L. 11 § 6, L. 34 pr. de

min. (4. 4).

(l) L. 46 ex quib. caus

(4. 6).

15*

|0250 : 228|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Macedoniani reſtituirt, d. h. der Schutz des minderjährigen

Alters ſoll in der Colliſion den Vorzug haben vor dem

Verbot des Senatusconſults (m).

Wenn ein Minderjähriger ſeine Forderung gegen die

Expromiſſion einer Frau aufgiebt, ſo wird ihm (ſo wie

jedem Anderen) ſeine frühere Klage wiedergegeben, und

wenn der alte Schuldner zahlungsfähig iſt, ſo entſteht für

den Minderjährigen keine Läſion. Iſt aber der Schuldner

inſolvent, ſo wird der Minderjährige reſtituirt, d. h. der

Schutz des minderjährigen Alters hat im Colliſionsfall den

Vorzug vor dem Verbot des Vellejaniſchen Senatus-

conſults (n).

 

§. 337.

Reſtitution. — Verfahren.

Es gehörte zur Eigenthümlichkeit der Reſtitution ſchon

von ihrem Urſprung an, daß die Prüfung und Gewährung

derſelben nicht dem gewöhnlichen Gang des Verfahrens

(dem ordo judiciorum) überlaſſen ward, ſondern dem höch-

ſten Richteramt vorbehalten blieb, alſo extra ordinem voll-

zogen wurde (§ 316. 317).

 

Daher verfolgte Der, welcher eine Aenderung des be-

ſtehenden Zuſtandes durch Reſtitution bewirken wollte, ſeinen

Zweck nicht durch eine actio, da dieſe vor einem Judex

 

(m) L. 11 § 7, L. 34 § 1 de min. (4. 4), L. 3 § 2 de Sc. Mac.

(14. 6), L. 9 pr. de j. et facti ignor. (22. 6).

(n) L. 12 de min. (4. 4).

|0251 : 229|

§. 337. Reſtitution. Verfahren.

hätte verhandelt werden müſſen (a), ſondern er bat viel-

mehr um eine cognitio, d. h. um eine Verhandlung un-

mittelbar vor dem Prätor ſelbſt (b). Damit hängt es

zuſammen, wenn oft geſagt wird, die Reſtitution werde

bewirkt durch cognitio, welches nur ein abgekürzter, nicht

völlig genauer Ausdruck iſt, da es eigentlich das in Folge

der cognitio erlaſſene Decret des Prätors war, welches die

Reſtitution ertheilte (c). — Daß aber an die ertheilte Re-

ſtitution eine Klage angeknüpft werden konnte, wird ſogleich

weiter ausgeführt werden.

Eben ſo ſuchte der Beklagte eine Reſtitution nicht auf

dem Wege einer exceptio, ſondern unmittelbar durch Ver-

weigerung der Klage (d), obgleich auch hier eine exceptio,

angeknüpft an die Reſtitution, wohl möglich war. —

Daſſelbe Verhältniß trat wiederum bei dem Kläger

ein, der die Verweigerung der exceptio unmittelbar

durch Reſtitution bewirken konnte, nach den Umſtänden des

 

(a) L. 24 § 5. de min. (4. 4).

„Ex hoc edicto nulla propria

actio vel cautio proficiscitur,

totum enim hoc pendet ex

Praetoris cognitione.“ Die

Worte vel cautio gehen auf die

Fälle einer vom Prätor erzwun-

genen Stipulation, aus welcher

dann wieder, in natürlicher Folge,

eine actio (nämlich eine condic-

tio) entſtand. L. 1 § 2 de stip.

praet. (46. 5), L. 37 pr. de o. et

a. (44. 7). Die abgedruckte Stelle

geht übrigens zunächſt nur auf

die Reſtitution der Minderjährigen,

iſt aber darum nicht weniger wahr

auch für alle übrige Reſtitutionen.

(b) Cognitionem postulare,

impetrare. L. 39 § 6 de proc.

(3. 3), L. 3 § 9 de min. (4. 4),

L. 39 pr. de evict. (21. 2).

(c) L. 29 § 2. L. 47 § 1 de

min. (4. 4). L. 1 C. de off. praet.

(1. 39), L. 2 C. si ut omissam

(2. 40).

(d) L. 27 § 1 de min. (4. 4).

|0252 : 230|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

einzelnen Falles aber auch eine replicatio an die Reſtitution

knüpfte (e).

Dieſe Eigenthümlichkeiten ſind ſchon ſeit dem Untergang

des alten ordo judiciorum verſchwunden, und können alſo

auch in unſrem heutigen Prozeß um ſo weniger wahr-

genommen werden. Hier erſcheint daher die Bitte um Re-

ſtitution in Form einer gewöhnlichen Klage oder Einrede;

bald ſelbſtſtändig, bald bei Gelegenheit eines anderen Rechts-

ſtreits, und in Verbindung mit demſelben. Da aber unſre

Juriſten einen Römiſch ausſehenden Klagnamen für unent-

behrrlich hielten, ſo pflegten ſie dem Reſtitutionsgeſuch

den Namen imploratio officii judicis beizulegen, ohne ſich

daran zu ſtoßen, daß dieſer Name weder in unſren Rechts-

quellen vorkommt, noch zu der urſprünglichen Form des

Römiſchen Reſtitutionsverfahrens paßt.

 

Die meiſten Prozeßregeln, die über das Reſtitutions-

verfahren aufgeſtellt werden, ſind einfacher Natur und geben

zu Zweifeln keinen Anlaß. — Wer zur Reſtitution berechtigt

iſt, kann nicht nur in eigener Perſon darum bitten, ſondern

auch durch einen Procurator (f); jedoch nicht durch einen

Generalbevollmächtigten, ſondern nur vermittelſt eines auf

dieſes Geſchäft gerichteten beſonderen Auftrags (g). — Mit

einer gewöhnlichen Klage iſt das Reſtitutionsverfahren darin

 

(e) L. 9 § 4 de jurej. (12. 2).

(f) L. un. C. etiam per pro c.

(2. 49).

(g) L. 25 § 1, L. 26 de min.

(4. 4). Ueber das Vertretungs-

recht des Vaters, nach L. 27 pr.

de min. (4. 4), ſ. o. § 323 Note p.

|0253 : 231|

§. 337. Reſtitution. Verfahren.

gleichartig, daß es nur Gültigkeit hat, wenn die Gegner

des Berechtigten dazu gehörig vorgeladen ſind, und entweder

erſcheinen, oder durch Ungehorſam ausbleiben (h). Der

ausbleibende Gegner kann auch durch einen Vertreter ver-

theidigt werden, der aber, eben ſo wie in einem gewöhn-

lichen Rechtsſtreit, Bürgen ſtellen muß (i). Nur Reſtitu-

tionen gegen Verſäumniſſe im Prozeß werden nicht ſelten

auch ohne Anhörung des Gegners (brevi manu) ertheilt (k).

Die ſchwierigſte und beſtrittenſte Frage in dem Ver-

fahren bei der Reſtitution iſt die über das ſogenannte ju-

dicium rescindens und rescissorium, womit es folgende

Bewandtniß hat (l).

 

Der Zweck der Reſtitution, die Herſtellung des Ver-

letzten in ſeinen früheren Zuſtand, kann nach Verſchiedenheit

der Umſtände auf zweierlei Weiſe erreicht werden.

 

Es kann geſchehen durch ein einfaches Decret des

Prätors, welches in Folge einer bloßen cognitio die Sache

völlig erledigt, ſo daß Nichts mehr zu thun übrig bleibt.

Dieſer Fall tritt ſtets ein bei der Reſtitution gegen Ver-

ſäumniſſe oder Verſehen im Prozeß, indem das Decret die

reſtituirte Partei in dieſelbe Lage verſetzt, wie wenn die

 

(h) L. 13 pr. de min. (4. 4),

L. 1 C. si adv. dotem (2. 34). —

Bei der Reſtitution gegen den Er-

werb einer Erbſchaft ſind ſämmt-

liche Gläubiger des Verſtorbenen

als Gegner vorzuladen. L. 29 § 2

de min. (4. 4), Nov. 119 C. 6.

(i) L. 26 § 1 de min. (4. 4).

(k) Puchta Vorleſungen

S. 216.

(l) Ausführlich handelt davon

Burchardi § 24. 25. 26, wo auch

viele andere Schriftſteller angeführt

und beurtheilt werden.

|0254 : 232|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Verſäumniß oder das Verſehen nicht Statt gefunden hätte. —

Derſelbe Fall findet ſich oft, ja meiſtens, bei der Reſtitution

eines Minderjährigen. Hat Dieſer eine Sache zu theuer

gekauft oder zu wohlfeil verkauft, ſo wird der Gegner

gezwungen, im erſten Fall das Geld, im zweiten die ver-

kaufte Sache zurück zu geben, und mit dieſem Decret iſt

jeder Verletzung des Minderjährigen vollſtändig abgehol-

fen (m). — Allein auch dieſe cognitio des Prätors kann

wieder auf verſchiedene Fragen gerichtet ſeyn, alſo in ver-

ſchiedene Stufen der Unterſuchung zerfallen, deren jede viel-

leicht durch ein beſonderes Decret entſchieden wird, indem

z. B. das Alter ſelbſt, ferner das Daſeyn einer Verletzung,

endlich der Zuſammenhang der Verletzung mit der Minder-

jährigkeit, beſtritten werden kann (n).

Es kann aber auch geſchehen durch das reſtituirende

Decret des Prätors, verbunden mit einem darauf folgenden

ganz anderen Rechtsſtreit, durch welchen erſt die völlige

Befriedigung des Verletzten herbeigeführt wird. In vielen

Fällen nämlich ſoll die Reſtitution nur dazu dienen, ein

Hinderniß wegzuräumen, welches dem Gebrauch irgend eines

anderen ſelbſtſtändigen Rechtsmittels (Klage oder Einrede)

im Wege ſteht. Dann erwartet der Verletzte von der Re-

ſtitution nicht ſowohl die Herſtellung des erwünſchten frü-

heren Zuſtandes ſelbſt, als die Herſtellung eines verlorenen

 

(m) L. 24 § 4 de min. (4. 4), L. 39 § 6 de proc. (3. 3), L. 39

pr. de evict. (21. 2) „fundus praetoria cognitione ablatus.“

(n) L. 39 pr. de min. (4. 4).

|0255 : 233|

§. 337. Reſtitution. Verfahren.

Klagerechts, deſſen Anwendung ihm dann, wie er hofft,

zum Genuß jenes Zuſtandes verhelfen ſoll. Hieraus ent-

ſtehen alſo zwei an ſich getrennte Prozeſſe, und man kann

die Reſtitution inſofern eine bedingte Hülfe nennen, als ſie

dem Verletzten nur unter der Bedingung einen wirklichen

Vortheil verſchafft, als er den zweiten Prozeß gewinnt.

Auf zuſammengeſetzte Verhältniſſe der hier beſchriebenen

Art beziehen ſich die oben erwähnten Kunſtausdrücke. Ju-

dicium rescindens nennen unſre Schriftſteller den Streit

über die Reſtitution, der mit dem Ausſpruch derſelben endigt

(alſo die praetoria cognitio); judicium rescissorium den

darauf folgenden Rechtsſtreit, der durch die Reſtitution erſt

möglich geworden iſt. Der erſte dieſer Ausdrücke iſt von

den Neueren willkürlich gebildet; der zweite iſt ein ächter

Kunſtausdruck, von den Römern abwechſelnd gebraucht mit

restitutorium judicium oder actio (o). Nur iſt der Ausdruck

rescissoria actio nicht beſchränkt auf die Herſtellung einer

verlorenen Klage durch die prätoriſche in integrum resti-

tutio; derſelbe wird vielmehr auch gebraucht, wenn eine ſolche

Herſtellung unmittelbar nach einer Regel des Civilrechts,

unabhängig von dem freien Ermeſſen des Prätors ein-

tritt (p).

 

(o) Rescissoria actio. L. 28

§ 5. 6 ex quib. caus. (4. 6), L. 24

C. de R. V. (3. 32), L. 18 C. de

j. postlim. (8. 51). — Restituto-

ria actio oder judicium. L. 3 § 1

de eo per quem (2. 10), L. 46

§ 3 de proc. (3. 3), L. 7 § 3

quod falso (27. 6).

(p) Wenn z. B. eine Frau

expromittirt, ſo wird ſie nicht ver-

pflichtet, aber die eigentlich unter-

gegangene Klage des vorigen

|0256 : 234|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Das hier beſchriebene zuſammengeſetzte Verfahren iſt

beſonders anwendbar auf die Reſtitution der Abweſenden,

bei welcher ſchon die Worte des Edicts auf die Wieder-

herſtellung einer verlorenen Klage gerichtet waren (§ 325).

Es iſt aber keinesweges auf dieſen Reſtitutionsgrund ein-

geſchränkt, ſondern nicht ſelten auch bei Minderjährigen

anwendbar, und es iſt auf der anderen Seite bei Ab-

weſenden nicht allgemein und nothwendig.

 

Die Anwendbarkeit jenes Verfahrens auf Minderjährige

wird anerkannt von Ulpian in einer Stelle, die vor allen

anderen dazu geeignet iſt, den Gegenſatz beider Verfahrungs-

arten zur Anſchauung zu bringen (q). Ulpian ſagt, die

Reſtitution werde einem Minderjährigen zuweilen in rem

gegeben, z. B. wenn die von ihm mit Nachtheil verkaufte

Sache durch neue Veräußerung in die Hand eines Dritten

gekommen ſey, gegen welchen er nun in manchen Fällen

Reſtitution begehren könne; dabei fügt er folgende Worte

hinzu:

et hoc vel cognitione Praetoria, vel rescissa aliena-

tione, dato in rem judicio.

 

Dieſe Worte enthalten die Andeutung des oben beſchrie-

benen zweifachen Verfahrens: des einfachen (cognitione

 

Schuldners kann wieder gebraucht

werden als rescissoria actio, wo-

zu es keiner Reſtitution durch den

Prätor bedarf. L. 16 C. ad Sc.

Vell. (4. 29). Auch dieſe heißt

anderwärts restitutoria. L. 8 § 9.

12. 13 ad. Sc. Vell. (16. 1).

(q) L. 13 § 1 de min. (4. 4).

Ueber dieſe Stelle iſt zu vergleichen

Burchardi S. 443. 444.

|0257 : 235|

§. 337. Reſtitution. Verfahren.

Praetoria (r)), und des zuſammengeſetzten, beſtehend aus

der Reſtitution gegen die Veräußerung, und einer darauf

folgenden Eigenthumsklage vor dem Judex. Beide Arten

des Verfahrens werden hier ſo zuſammengeſtellt, daß in

einem und demſelben Rechtsfall, je nach den Umſtänden,

ſowohl die eine als die andere anwendbar ſeyn ſoll (s).

Auf der anderen Seite aber war auch bei den Abwe-

ſenden das zuſammengeſetzte Verfahren nicht allgemein und

nothwendig, vielmehr konnte auch hier zuweilen die einfache

cognitio genügen, ja für manche Fälle wurde ſpäterhin dieſe

kürzere Behandlung ſogar vorzugsweiſe angewendet. Dieſes

iſt anerkannt in folgender, oft mißverſtandenen Stelle des

Calliſtratus (t):

Hoc edictum, quod ad eos pertinet qui eo conti-

nentur, minus in usu frequentatur; hujusmodi enim

personis extra ordinem jus dicitur ex senatusconsultis

et principalibus constitutionibus.

 

Da hier das neuere extra ordinem als Gegenſatz gegen

das urſprüngliche Verfahren nach dem Edict bezeichnet wird,

ſo könnte man leicht zu der irrigen Anſicht verleitet werden,

als ob der alte Juriſt das urſprüngliche, rein nach dem

 

(r) Man muß hinzudenken:

sola cognitione, denn auch die

in dem zweiten Fall erwähnte

rescissio alienationis geſchah

ſtets in Folge einer prätoriſchen

cognitio.

(s) Eine ähnliche Zuſammen-

ſtellung beider Verfahrungsarten

für einen und denſelben Rechtsfall

findet ſich in L. 9 § 4 de jurej.

(12. 2) (Note e); nur nicht in

Beziehung auf eine Klage, ſondern

auf eine Replication.

(t) L. 2 pr. ex quib. caus.

(4. 6). Vgl. Burchardi S. 466

bis 468.

|0258 : 236|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Edict eingerichtete Reſtitutionsverfahren für eine Art von

ordinarium judicium ausgeben wolle. Er will vielmehr

ſagen, es werde in ſolchen Fällen jetzt Alles abgethan durch

bloße cognitio, alſo extra ordinem, ohne noch eine beſon-

dere actio nachfolgen zu laſſen (u). — Ferner darf den

Worten des Calliſtratus nicht ein ſo allgemeiner Sinn

beigelegt werden, als ob die Neuerung alle Fälle des Edicts

über die Abweſenden umfaßt hätte. Ohne Zweifel iſt hier

die Rede von einem der zahlreichen juriſtiſchen Privilegien

der Soldaten; dieſen ſollte auf die kürzeſte und leichteſte

Weiſe zu ihrem verlorenen Rechte verholfen werden, welches

allerdings geſchah, wenn der Prätor extra ordinem die

Sache abmachte. Andere Abweſende, z. B. Verbannte,

oder auch der Freiheit Beraubte, auf ähnliche Weiſe zu

begünſtigen, war weder ein juriſtiſcher, noch ein politiſcher

Grund vorhanden. Und eben ſo war für den umgekehrten

Fall (die Reſtitution gegen die Abweſenden) gewiß das

alte Verfahren unverändert beibehalten worden (v).

Aus der hier geführten Unterſuchung ergiebt es ſich,

daß in vielen Fällen das einfache Verfahren allein möglich

war, in anderen Fällen das zuſammengeſetzte allerdings

möglich, aber nicht durchaus nothwendig. Dann hatte ohne

 

(u) Das extra ordinem jus

dicitur hat alſo hier denſelben

Sinn, wie in der vorhergehenden

Stelle das (sola) cognitione

Praetoria (Note r).

(v) Darauf deuten ſelbſt die

Worte der Stelle, hujusmodi enim

personis extra ordinem jus

dicitur; alſo nicht, wenn etwa

Anweſende gegen ſolche die Re-

ſtitution begehren.

|0259 : 237|

§. 337. Reſtitution. Verfahren.

Zweifel der Prätor freie Macht, zu entſcheiden, welches

Verfahren in jedem einzelnen Fall als das zweckmäßigere

vorzuziehen ſey (w); gewiß aber konnte auch die Partei

auf das eine oder das andere antragen (x). Wir können

aber als wahrſcheinlich annehmen, daß, ſo lange der alte

ordo judiciorum beſtand, dieſem nicht ohne Noth Etwas

entzogen wurde, das zuſammengeſetzte Verfahren alſo in

Anwendung kam, da wo es überhaupt möglich und nicht

durch dringende Gründe widerrathen war.

Im heutigen Prozeß ſteht inſofern die Sache ganz

anders, als ſtets ein und derſelbe Richter über die Re-

ſtitution und über die dadurch etwa herzuſtellende Klage zu

erkennen hat. Es hat keinen Zweifel, daß das Verfahren

über beide Rechtsfragen von Anfang an verbunden (cumu-

lirt) werden kann, und daß die Partei ſchon ihre Anträge

hierauf richten darf. Aber es iſt eben ſo wenig zweifelhaft,

daß es dem Bedürfniß einzelner Sachen angemeſſener ſeyn

kann, beide Verhandlungen gänzlich zu trennen, und zuerſt

das judicium rescindens abgeſondert zu einer rechtskräftigen

Entſcheidung zu bringen, ehe das rescissorium eingeleitet

wird (y).

 

(w) Burchardi S. 464—470.

Ein paſſendes Beiſpiel, wie in

einzelnen Fällen der Vorzug be-

ſtimmt werden konnte, findet ſich

ebendaſ. S. 443.

(x) In dieſem Sinn iſt es zu

verſtehen, wenn von Manchen be-

hauptet wird, beide Theile des Re-

ſtitutionsverfahrens hätten ſchon

nach R. R. cumulirt werden können.

Burchardi S. 461—464.

(y) Burchardi § 26. —

Göſchen Vorleſungen S 541.

|0260 : 238|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Puchta giebt dem an ſich richtig aufgefaßten Gegenſatz

des judicium rescindens und rescissorium noch folgenden

Zuſatz. Er ſagt, der Prätor habe auch noch das judicium

rescindens gleichſam ſpalten können, indem er z. B. die

Reſtitution wegen Zwanges in zwei Fragen zerlegte: eine

rechtliche, über die Verletzung und deren Zuſammenhang

mit dem (angeblichen) Zwang, worüber er ſelbſt (hypothe-

tiſch) entſchied; eine factiſche, über das Daſeyn des Zwan-

ges, worüber er von einem Judex entſcheiden ließ. Dieſes

ſey die äußerſte Gränze der Reſtitution geweſen, und ſo

ſey insbeſondere die actio quod metus causa behandelt

worden (z). — Dieſe allzu ſubtile Annahme kann ich nur

als einen nicht glücklichen. Vermittlungsverſuch anſehen

zwiſcheu der ſtrengen Scheidung der wahren Reſtitution

von den ſogenannten Reſtitutionsklagen auf der einen

Seite, und der (ungehörigen) Vermengung dieſer beiden

Arten von Schutzmitteln auf der andern Seite Wenn der

Prätor ſich entſchloß, eine Sache als Gegenſtand der Re-

ſtitution zu behandeln, ſo entſchied er allein über die Reſti-

tution als ſolche vollſtändig, und gab höchſtens nachher eine

actio. Wir haben durchaus keinen Grund zu der Annahme,

daß jemals im älteren Recht ein Theil der Reſtitutionsfrage

an einen Judex gewieſen worden wäre.

 

(z) Puchta Pandekten § 105. Inſtitutionen §. 177.

|0261 : 239|

§. 338. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)

§. 338.

Reſtitution. — Verfahren. (Fortſetzung.)

Wie das eigentliche Klagerecht auf eigenthümliche Weiſe

aufgehoben werden konnte (a), ſo müſſen auch für das

Recht zur Reſtitution, welches mit dem Klagerecht zwar

nicht gleichbedeutend, dennoch verwandt iſt, zwei beſondere

Aufhebungsgründe anerkannt werden. Dieſe ſind: der

Verzicht und die Verjährung.

 

I. Verzicht.

Zwar hat dieſer Aufhebungsgrund eine allgemeinere,

über das Gebiet der Reſtitution weit hinaus reichende

Natur (§ 302); dennoch muß die Anwendung deſſelben

auf die Reſtitution hier beſonders feſtgeſtellt werden.

 

Der Berechtigte kann ſeinen Anſpruch auf Reſtitution,

nachdem er ihn zuerſt geltend machte, aufgeben durch eine

ausdrückliche Willenserklärung. Dieſe wird desistere ge-

nannt; es wird aber beſonders bemerkt, dazu genüge es

nicht, wenn der Berechtigte blos den Prozeß liegen laſſe,

ſondern er müſſe ſeinem Recht ſelbſt gänzlich entſagen (b).

 

Dieſelbe Wirkung aber, wie die ausdrückliche Entſagung,

hat die ſpätere Genehmigung oder Beſtätigung derjenigen

Handlung, gegen welche die Reſtitution hätte geſucht werden

können; alſo die comprobatio oder ratihabitio (c). Des-

 

(a) S. o. B. 5 §. 230—255.

(b) L. 20 § 1 de min. (4. 4),

L. 21 eod. „Destitisse autem

is videtur, non qui distulit,

sed qui liti renuntiavit in

totum.“

(c) L. 3 § 1 de min. (4. 4),

L. 1. 2 C. si major factus (2. 46).

|0262 : 240|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

gleichen kann dieſe Wirkung hervorgebracht werden auch

durch ſolche Handlungen, welche mit dem Zweck und Erfolg

der erlangten Reſtitution im Widerſpruch ſtehen würden.

Hat alſo z. B. ein Minderjähriger die Friſt einer B. P.

contra tabulas verſäumt und gegen dieſe Verſäumniß Re-

ſtitution geſucht, dann aber aus demſelben Teſtament ein

Legat eingefordert, ſo iſt dadurch die Reſtitution unmöglich

geworden, weil durch die Forderung des Legats die Gül-

tigkeit des Teſtaments anerkannt worden iſt (d).

Dieſe Handlungen ſind nur dann dazu geeignet, das

Recht zur Reſtitution aufzuheben, wenn ſie zu einer Zeit

vorgenommen werden, worin der beſondere Zuſtand, der

den Reſtitutionsgrund bildet, bereits aufgehört hat. Der

Verzicht auf die Reſtitution eines Minderjährigen iſt alſo

nur wirkſam, wenn er nach eingetretener Volljährigkeit

erklärt wird; denn ein früherer Verzicht würde wieder der-

ſelben Reſtitution unterliegen, wie das urſprüngliche Rechts-

geſchäft, welches durch Reſtitution entkräftet werden ſoll.

Eben ſo verhält es ſich mit der Reſtitution wegen Zwanges,

wenn der Verzicht erklärt wird unter dem fortdauernden

Einfluß deſſelben Zwanges, der die Reſtitution begründete;

Der Verzicht iſt alſo nur gültig, wenn er im Zuſtand

hergeſtellter völliger Freiheit erfolgt.

 

Die Anwendung dieſer letzten Regel kann in ſolchen

Fällen ſchwierig und zweifelhaft werden, worin ein Rechts-

 

(d) L. 30 de min. (4. 4).

|0263 : 241|

§. 338. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)

geſchäft eine längere Zeit hindurch fortgeführt wird, und

in mehreren einzelnen Handlungen ſichtbar hervortritt. Hier-

über ſind die Aeußerungen Ulpian’s etwas ſchwankend.

Wenn ein Minderjähriger einen auf längere Dauer berech-

neten Vertrag ſchließt, und nach erlangter Volljährigkeit

einzelne Handlungen in Beziehung auf dieſen Vertrag vor-

nimmt, ſo liegt darin eine Genehmigung, wodurch die Re-

ſtitution gegen den Vertrag ausgeſchloſſen wird (e). —

Fängt ein Minderjähriger einen Rechtsſtreit an, der wäh-

rend der Volljährigkeit zu ſeinem Nachtheil entſchieden wird,

ſo ſoll er gegen dieſes Urtheil in der Regel nicht reſtituirt

werden, ſondern nur ausnahmsweiſe, wenn der Gegner

unredlicherweiſe den Rechtsſtreit ſo hingehalten hat, daß

das Urtheil erſt zu dieſer Zeit erfolgte (f). — Hat ein

Minderjähriger eine nachtheilige Erbſchaft angetreten, und

nach erlangter Volljährigkeit Erbſchaftsſchulden eingeklagt,

ſo ſoll er dennoch Reſtitution gegen den Erwerb der Erb-

ſchaft erhalten, weil man auf den Anfang dieſer Reihe von

Handlungen ſehen ſoll (g).

(e) L. 3 § 1 de min. (4. 4).

(f) L. 3 § 1 cit. Um dieſe

Entſcheidung richtig zu finden, muß

man hinzu denken, wie es auch

wohl Ulpian meinte, daß das

Urtheil unmittelbar nach erreichter

Volljährigkeit erfolgte, alſo ehe

der nun volljährig Gewordene Zeit

hatte, die bisherige nachtheilige

Führung ſeines Rechtsſtreits zu

entdecken und zu verbeſſern.

(g) L. 3 § 2 eod. „.. puta-

vimus tamen restituendum in

integrum, initio inspecto.“ Dieſe

Entſcheidung vermag ich nicht mit

allgemeinen Grundſätzen, und ins-

beſondere mit der Entſcheidung

über die B. P. (Note d) in Ein-

klang zu bringen.

VII. 16

|0264 : 242|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

II. Verjährung(h).

Der Gedanke liegt ſehr nahe, die Verjährung der Re-

ſtitution als eine einfache Anwendung der Klagverjährung

anzuſehen, und daher die für dieſe letzte geltenden Regeln

auf die Reſtitution unmittelbar anzuwenden. Dem Römi-

ſchen Recht aber iſt dieſer Gedanke völlig fremd, und in

ihm hat die verjährte Reſtitution mehr Verwandtſchaft mit

einer verſäumten Prozeßfriſt, als mit einem verjährten

Klagerecht (i). Allerdings hat nun in unſrem heutigen

Recht die Reſtitution, was das Verfahren betrifft, weit mehr

die Natur einer gewöhnlichen Klage angenommen (§ 337).

Dennoch würde es auch hier ungehörig, oft unmöglich ſeyn,

die Regeln der Klagverjährung auf die Reſtitution einfach

zu übertragen; theils aus Gründen, die in der eigenthüm-

lichen Natur des Gegenſtandes liegen, theils weil die Aus-

ſprüche des Römiſchen Rechts über die Verjährung der

Reſtitution auf der Vorausſetzung einer völligen Verſchie-

denheit beider Rechtsinſtitute beruhen.

 

Eine durchgreifende Verſchiedenheit zeigt ſich unter andern

darin, daß die Verjährung nicht blos anwendbar iſt, wenn

die Reſtitution angriffsweiſe, alſo einer Klage ähnlich wir-

kend, gebraucht werden ſoll, ſondern auch, wenn ſie ver-

theidigungsweiſe geſucht wird, das heißt um eine verlorene

 

(h) Davon handelt ausführlich

Burchardi § 27. Vgl. Unter-

holzner Verjährungslehre § 151.

bis 155.

(i) S. o. B. 4 S. 300. 307,

B. 5 S. 415.

|0265 : 243|

§. 338. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)

Exception wieder zu erlangen, oder anſtatt einer Exception

(die dadurch entbehrlich wird) der Klage eines Andern ent-

gegen zu wirken. Zur Begründung dieſer Exception iſt es

alſo nöthig, daß der, welcher Anſpruch auf die Reſtitution

hat, dieſe binnen der vierjährigen Friſt erbitte, auch wenn

der Gegner nicht innerhalb dieſer Friſt die Klage anſtellt,

und dadurch das unmittelbare Bedürfniß einer Exception

herbeiführt. Die Nothwendigkeit, dieſe Reſtitutionsfriſt zu

wahren, iſt alſo nicht zu verwechſeln mit einer Verjährung

der Exception als ſolcher, von welcher allerdings nicht die

Rede ſeyn kann (k).

Ein wichtiger Fall der Anwendung einer ſolchen Ex-

ception iſt ſchon oben vorgekommen. Wenn die Sache eines

Abweſenden von einem Anderen uſucapirt wird, nach der

Rückkehr des vorigen Eigenthümers aber durch Zufall wieder

in deſſen Beſitz kommt, ſo bedarf Dieſer zu ſeinem Schutz

keiner Klage, ſondern nur einer Exception (§ 330. r).

Um aber dieſe Exception in irgend einer künftigen Zeit mit

Erfolg gebrauchen zu können, muß er den Anſpruch auf

dieſelbe durch Reſtitution binnen vier Jahren begründen.

 

Geſetzt nun, dieſer vorige Eigenthümer verliert abermals

den wieder erlangten Beſitz, bevor es zu einem Rechtsſtreit

gekommen iſt, ſo befindet er ſich wieder in der früheren

 

(k) S. o. B. 5 S. 414. 415.

Für den Fall der Minderjährigkeit

wird die hier aufgeſtellte Noth-

wendigkeit, die Reſtitutionsfriſt zu

beobachten, ausdrücklich anerkannt

von Ulpian in L. 9 § 4 de jurej.

(12. 2).

16*

|0266 : 244|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Lage, und bedarf der Reſtitution, um ſeine Klage gegen

Den, der uſucapirt hat, zu begründen oder zu ſichern, ſo

wie es oben ausgeführt worden iſt. Damit ſcheint im

Widerſpruch zu ſtehen eine Stelle des Paulus, nach

welcher dieſe neue Klage nicht mehr an die Reſtitutionsfriſt

gebunden ſeyn ſoll (l). Dieſe Behauptung läßt ſich mit

allgemeinen Grundſätzen nur durch die Annahme in Ein-

klang bringen, daß hier Paulus von der Klage gegen

einen dritten Beſitzer rede, nicht gegen Den, welcher uſu-

capirt hat. Denn wenn gegen dieſen Dritten mit der Pu-

bliciana geklagt wird, ſo hat derſelbe allerdings nicht die

exceptio dominii (da nicht er uſucapirt hatte), und es

bedarf mithin auch nicht zu deren Ueberwindung einer Re-

ſtitution, alſo auch nicht der Beobachtung einer Reſti-

tutionsfriſt.

§. 339.

Reſtitution. — Verfahren. (Fortſetzung.)

Es ſind nunmehr die Bedingungen dieſer Verjährung

aufzuſtellen; die Anordnung dieſer Bedingungen ſoll, der

leichteren Vergleichung wegen, ſo viel als möglich den Be-

 

(l) L. 31 ex quib. caus. (4. 6)

„Si is, cujus rem usucepit reip.

causa absens, possessionem

suae rei ab illo usucaptae

nactus sit, etsi postea amiserit,

non temporalem, sed perpe-

tuam habet actionem.“ — Die

Gloſſe ſetzt zur Löſung der Schwie-

rigkeit voraus, der vorige Eigen-

thümer habe wirklich Reſtitution

geſucht und erhalten, nachher aber

den Beſitz wieder erlangt. Dann

aber verſtand ſich doch die Sache

zu ſehr von ſelbſt, um noch einer

Erwähnung werth zu ſeyn.

|0267 : 245|

§. 339. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)

dingungen der Klagverjährung angenähert werden (a). Sie

beziehen ſich auf den Anfang, die Unterbrechung, den

Ablauf der Verjährung.

1.

Der Anfang dieſer Verjährung iſt abzuleiten aus

der Natur des Reſtitutionsgrundes. Dieſer wurde im All-

gemeinen gedacht als ein beſonderer (abnormer) Zuſtand

des Verletzten, dazu geeignet, eine ſolche außerordentliche

Rechtshülfe zu rechtfertigen (§ 320). Die Verjährung

fängt daher an in dem Zeitpunkt, worin jener abnorme

Zuſtand aufhört; nicht früher, nicht ſpäter. Für die meiſten

und wichtigſten Fälle hat dieſe Regel keinen Zweifel; es

wird darauf ankommen, die einzelnen Reſtitutionsgründe

unter dieſem Geſichtspunkt durchzugehen.

 

Die Reſtitution wegen Minderjährigkeit verjährt

vom vollendeten fünf und zwanzigſten Lebensjahre an (b);

wird der Minderjährige früher für volljährig erklärt, von

dieſem Zeitpunkt an (c). Dieſe Regel aber hat nicht zu-

gleich die Bedeutung, als ob es dem Minderjährigen ver-

ſagt wäre, ſchon früher die Reſtitution zu erbitten; er kann

Dieſes zu jeder Zeit thun (d), und eben hieraus erklärt es

ſich, daß auch gegen eine ſolche, auf übereilte Bitte ertheilte,

Reſtitution wiederum eine neue Reſtitution geſucht werden

kann (§ 319 Note u).

 

(a) S. o. B. 5 §. 239 — 247.

(b) L. 7 pr. C. de temp.

(2. 53).

(c) L. 5 pr. C. de temp.

(2. 53).

(d) L. 5 § 1 C. de in int. rest.

min. (2. 22).

|0268 : 246|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Die Reſtitution wegen Abweſenheit verjährt von dem

Zeitpunkt an, mit welchem das Hinderniß der Rechtsver-

folgung aufhört (e); alſo in der Regel, ſobald der Ab-

weſende nach ſeinem Wohnort zurückkehrt.

 

Die Reſtitution wegen Zwang muß nach demſelben

Grundſatz verjähren von der Zeit an, in welcher der ab-

norme Zuſtand des Zwanges, d. h. der abſichtlich erregten

Furcht, aufhört, der Verletzte alſo ſeine volle Freiheit zu

handeln wieder erlangt. Die Zweifel gegen dieſe Annahme

können erſt bei dem Ablauf der Verjährung deutlich gemacht

werden. — Schon hier aber iſt zu bemerken, daß dieſe

Beſtimmung von ſehr geringer praktiſcher Erheblichkeit iſt.

Denn es kann zwar leicht geſchehen, daß eine einzelne,

vorübergehende Handlung durch Zwang erpreßt werde, und

darauf eben bezieht ſich dieſe ganze Reſtitution. Dagegen

iſt es nicht leicht denkbar, daß ein ſolcher Zuſtand ſo lange

fortdauere, wie es zum Ablauf der Verjährungszeit, oder

auch nur eines merklichen Theils derſelben, nöthig wäre;

denn in einem ſolchen Zeitraum wird es faſt immer dem

Bedrohten möglich ſeyn, richterlichen oder polizeilichen Schutz

für ſeine Freiheit zu finden.

 

Die Reſtitution wegen Betrugs wird auf gleiche Weiſe

verjähren müſſen mit dem Aufhören des abnormen Zu-

ſtandes, d. h. der Täuſchung, in welche der Verletzte durch

 

(e) L. 1 § 1 ex quib. caus.

(4. 6), „intra annum quo primum

de ea re experiundi potestas

erit“. L. 7 § 1 C. de temp.

(2. 53).

|0269 : 247|

§. 339. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)

den unredlichen Willen des Gegners verſetzt worden iſt.

Die Zweifel gegen dieſe Behauptung werden auch hier erſt

bei dem Ablauf der Verjährung erwähnt werden. — Die

praktiſche Unerheblichkeit dieſer Beſtimmung, die ſo eben

bei dem Zwang bemerkt worden iſt, läßt ſich bei dem Be-

trug nicht geltend machen. Denn der Zuſtand einer ab-

ſichtlich erregten Täuſchung kann allerdings lange Zeit hin-

durch fortdauern, alſo nicht blos auf einzelne, vorüber-

gehende Handlungen einwirken.

Eben ſo verhält es ſich mit der Reſtitution wegen

Irrthums, die alſo auch verjähren müßte von der Zeit

an, in welcher der Verletzte von dem Irrthum befreit wird.

Hier aber iſt die Frage weniger erheblich, weil dieſe ganze

Reſtitution nicht nur an ſich unwichtig iſt, ſondern auch

faſt nur bei Prozeßverſäumniſſen vorkommt, wobei von

einer Verjährung der Reſtitution nur ſelten die Rede

ſeyn wird.

 

Der bisher aufgeſtellte Grundſatz aber für den Anfang

der Verjährung iſt völlig unanwendbar auf diejenigen Re-

ſtitutionsgründe, welche nicht ſo, wie die bisher erwähnten,

ein zufälliges und vorübergehendes, ſondern ein immer-

währendes Daſeyn haben. So verhält es ſich mit der

Reſtitution der Stadtgemeinden, der Kirchen und

Klöſter, die niemals aufhören, in dem Zuſtand zu ſeyn,

der ihnen überhaupt Anſpruch auf Reſtitution giebt. Hier

bleibt Nichts übrig, als die Verjährung anfangen zu laſſen

von der Zeit der Verletzung ſelbſt, gegen welche die Reſti-

 

|0270 : 248|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

tution Hülfe gewähren ſoll. Bei den Kirchen iſt dieſer an

ſich unzweifelhafte Grundſatz auch geſetzlich anerkannt (f).

Der Anfang der Verjährung iſt hier in der Regel feſt-

geſtellt worden auf die Zeit, in welcher der den Reſtitu-

tionsgrund bildende abnorme Zuſtand aufhört; ausnahms-

weiſe auf die Zeit der Verletzung. Nach einer ſehr ver-

breiteten Meinung aber ſoll ſelbſt in dieſen Zeitpunkten die

Verjährung nicht anfangen können, wenn nicht noch eine

andere Bedingung hinzutrete: das Bewußtſeyn des Ver-

letzten von der erlittenen Verletzung (g).

 

Einige ſtellen dieſe Behauptung ganz allgemein auf,

alſo ſchon für das Römiſche Recht. In dieſer Geſtalt iſt

ſie am entſchiedenſten zu verwerfen, da ſie mit Irrthümern

theils über eine ähnliche Bedingung der Klagverjährung,

theils über den Römiſchen Kunſtausdruck der experiundi

potestas zuſammenhängt.

 

Andere wollen dieſelbe Behauptung nur aus dem cano-

niſchen Recht ableiten, welches in Beziehung auf die Kirchen

das Bewußtſeyn der Verletzung für den Anfang der Ver-

jährung fordern ſoll; theils indem ſie nun den Satz ſelbſt

 

(f) C. 1 de rest. in VI. (1. 21)

„si quadriennii spatium post sit

lapsum“ (nämlich post senten-

tiam vel contractum). C. 2 eod.

„infra quadriennium ab ipsius

confessionis tempore computan-

dum“. Clem. un. de rest. (1. 11)

„infra quadriennium continuum

a tempore laesionis“.

(g) Vgl. oben B. 3 S. 415,

B. 5 S. 282. — Glück B. 6

§ 465 Note 3. Burchardi S.

517 — 524. Puchta Pandekten

§ 105. e.

|0271 : 249|

§. 339. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)

auf die Kirchen beſchränken, theils indem ſie demſelben eine

allgemeinere Bedeutung beilegen, und die Erwähnung bei

den Kirchen nur für einen zufälligen Umſtand halten, indem

das canoniſche Recht ihn als allgemein wahr voraus-

ſetze (h).

In der That aber enthält das canoniſche Recht jenen

Satz gar nicht, weder allgemein, noch für die Kirchen.

Man hat denſelben finden wollen in den Ausdrücken:

„Ecclesia quae . . beneficium restitutionis in integrum . .

negligenter omiserit“ (i); eine Nachläſſigkeit nämlich ſey

nur vorhanden, wenn die Kirche von der Verletzung unter-

richtet ſey, und dennoch die Bitte unterlaſſe. — Dabei liegt

ein gänzliches Verkennen des Weſens dieſer Verjährung

zum Grunde. Das Römiſche Recht geht aus von der

Anſicht, daß jeder Minderjährige, der volljährig werde,

jeder Abweſende, der zurückkehre, ſogleich ſeinen ganzen

Rechtszuſtand durchforſchen ſolle, um etwa vorgefallene Ver-

letzungen zu entdecken und zur Abhülfe zu bringen. Dazu

hält man Vier Jahre (früher Ein Jahr) für hinreichend,

und wer in dieſer Zeit eine Verletzung nicht entdeckt, der

gilt als nachläſſig, und verfällt der Verjährung; nicht erſt,

wenn er ſie entdeckt und nur zu träge iſt, um ſie vor Ge-

richt geltend zu machen (k). Darauf bezieht ſich nun der

 

(h) Ueber dieſen letzten Gegen-

ſatz erklärt ſich ſchwankend Bur-

chardi S. 523 („zum wenigſten

was die Reſtitution der Kirchen . .

betrifft“).

(i) C. 1 de rest. in VI. (1. 21)

Faſt mit denſelben Worten in

C. 2 eod.

(k) Eben ſo verhält es ſich

auch mit dem Anfang der Klag-

|0272 : 250|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Ausdruck des canoniſchen Rechts: negligenter omiserit, da

wir durchaus keinen Grund haben zu der Annahme, daß

das Römiſche Recht hierin von den Päbſten entweder miß-

verſtanden ſey, oder habe abgeändert werden ſollen.

Nach der hier aufgeſtellten Anſicht iſt alſo für den An-

fang der Verjährung das Bewußtſeyn des Verletzten ganz

gleichgültig. Nur bei zwei Reſtitutionsgründen verhält es

ſich in ſofern anders, als bei ihnen der abnorme Zuſtand,

deſſen Aufhören oben erfordert wurde, damit die Verjährung

anfangen können, gerade in dem mangelhaften Bewußtſeyn

des Verletzten beſteht. Dieſes iſt der Betrug und der

Irrthum. Der Verletzte muß alſo aufgehört haben, unter

der Herrſchaft jenes mangelhaften Bewußtſeyns zu ſtehen,

damit die Verjährung anfangen könne; die Täuſchung iſt

in dieſen Fällen Daſſelbe, welches in anderen Fällen die

Minderjährigkeit oder die Abweſenheit iſt, ein in beſonderen

Schutz genommenes Hinderniß, Schaden abzuwenden. Die

hier aufgeſtellte Behauptung alſo geht nicht etwa auf eine

Ausnahme von den oben angegebenen Grundſätzen, ſondern

vielmehr auf eine reine Anwendung derſelben (l).

 

Eine unmittelbare Beſtätigung dieſer Behauptung liegt

in einer Stelle des canoniſchen Rechts. Wenn eine Kirche

 

verjährung, nur mit dem Unter-

ſchied, daß dabei kein abnormer

Zuſtand aufgehört haben muß,

folglich die Verjährung ſtets mit

der Verletzung ſelbſt anfängt.

(l) Auf die Reſtitution wegen

Zwanges kann Dieſes natürlich nicht

angewendet werden, da es kaum

denkbar iſt, daß Jemand zu einer

Handlung gezwungen werden ſollte,

|0273 : 251|

§. 339. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)

durch ihr gerichtliches Geſtändniß in Nachtheil kommt, ſo

kann ſie als Kirche Reſtitution verlangen binnen Vier

Jahren, von dem Geſtändniß an. Wenn ſie aber einen

Irrthum in dem Geſtändniß nachweiſt, und deswegen (ſo

wie jeder Andere) Reſtitution begehrt (§ 331), ſo iſt ſie

an die Vier Jahre nicht gebunden (m). Das will ſagen,

die Reſtitutionsfriſt werde ihr dann gerechnet, nicht von

dem Geſtändniß (der Läſion) an, ſondern von der Zeit des

entdeckten Irrthums an. Darin liegt zugleich die vollſtän-

dige Widerlegung der ſo eben erwähnten Behauptung, nach

welcher die Kirchen wegen des Anfangspunktes der ihnen

als Kirchen zuſtehenden Reſtitution beſonders privilegirt

ſeyn ſollen.

§. 340.

Reſtitution. — Verfahren. (Fortſetzung.)

2. Ununterbrochene Fortdauer der Verjährung.

Die zweite Bedingung der Verjährung beſteht (bei der

Reſtitution, wie bei den Klagen) in der ununterbrochenen

Fortdauer bis zum Schluß. Es fragt ſich alſo, worin eine

Unterbrechung derſelben beſtehen könne.

 

Dieſe kann erſtlich darin liegen, daß der abnorme Zu-

ſtand, in deſſen Aufhören der Anfang der Verjährung geſetzt

wurde, vor dem Ablauf von Neuem eintritt. Bei der

Minderjährigkeit iſt Dieſes von ſelbſt unmöglich, bei der

 

ohne zugleich zu wiſſen, daß Dieſes

zu ſeinem Schaden geſchehe.

(m) C. 2 de restit. in VI.

(1. 21).

|0274 : 252|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Abweſenheit kann es allerdings vorkommen. Wenn alſo

der Abweſende zurückkehrt, vor Ablauf der Verjährung

ſeinen Wohnort abermals verläßt, und dieſen abwechſelnden

Zuſtand vielleicht öfter wiederholt, ſo ſind zwei verſchiedene

Behandlungen dieſes Falles denkbar. Man könnte erſtens

alle einzelne Zeiten der Gegenwart zuſammen rechnen, und

die Verjährung als vollendet annehmen, wenn die Summe

der geſetzlichen Verjährungszeit gleich käme. Man könnte

aber auch zweitens die Verjährung nur dann für vollendet

halten, wenn irgend eine einzelne Zeit der Gegenwart ſo

lange gedauert hätte, als das Geſetz für die Verjährung

fordert. Von dieſen beiden Berechnungsarten iſt die zweite,

dem Verletzten günſtigere, als die richtige anzuſehen (a).

Dabei liegt alſo der Gedanke zum Grunde, dem Verletzten

müſſe irgend einmal die volle, ununterbrochene Verjährungs-

zeit geſtattet worden ſeyn, um an ſeinem Wohnort prüfen

(a) L. 28 § 3 ex quib. caus.

(4. 6). Daß die Stelle wirklich

dieſen Sinn hat, zeigt folgender

Anfang derſelben: „Si quis sae-

pius reip. causa abfuit, ex

novissimo reditu tempus resti-

tutionis esse ei computandum,

Labeo putat“; wobei natürlich

vorausgeſetzt wird, daß er nicht

ſchon nach der früheren Abweſen-

heit, in welcher er durch Uſucapion

einen Verluſt erlitten hatte, ein

volles Jahr zu Hauſe geblieben

war. Die nachfolgenden Worte

könnten ſo verſtanden werden, als

wenn von einem Zuſammenrechnen

der Zeiten der Abweſenheit

die Rede ſeyn möchte, die doch

ganz gleichgültig ſind. In den

Worten: si omnes quidem ab-

sentiae annum colligant liegt

daher ein ungenauer Ausdruck für

die auf jede Abweſenheit folgende

Zeit der Gegenwart, während

welcher ja allein die Verjährung

laufen kann. Cujacius obs. XIX.

15 ſagt ganz richtig, absentiae

ſtehe hier für intervalla absen-

tiarum.

|0275 : 253|

§. 340. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)

zu können, welchen Einfluß die Vergangenheit, in welcher

er abweſend war, auf ſeine Rechtsverhältniſſe etwa aus-

geübt haben möge.

Zweitens kann die Unterbrechung aber auch darin liegen,

daß der Verletzte ſein Recht zur Reſtitution wirklich geltend

macht; dürften wir hier die Regeln von der Klagverjährung

anwenden, ſo würde die Unterbrechung ſchon in der In-

ſinuation des Reſtitutionsgeſuchs zu finden ſeyn (b). Allein

Juſtinian ſagt ausdrücklich, innerhalb der Verjährungs-

friſt müſſe der Reſtitutionsprozeß nicht nur angefangen, ſondern

auch vollendet werden, ſonſt ſey die Reſtitution ver-

loren (c).

 

Es würde unrichtig ſeyn, dieſe Vorſchrift, ſo fremdartig

ſie uns erſcheinen mag, als eine von Juſtinian aus-

gegangene willkürliche Neuerung anzuſehen. Schon frühere

Kaiſergeſetze ſtimmen damit völlig überein (d); ja auch

ſchon die alten Juriſten ſetzen denſelben Grundſatz voraus,

indem ſie den Ablauf der Friſt vor beendigtem Reſtitutions-

prozeß nur dann für unſchädlich halten, wenn die Ver-

zögerung des Rechtsſtreits dem Gegner zur Laſt fällt (e).

Auch ſchließt ſich dieſe Vorſchrift ganz einfach an die Pro-

zeßverjährung des alten Rechts an, und ſie war bei der

 

(b) S. o. B. 5 § 242.

(c) L. 7 pr. C. de temp.

(2. 53) „continuatio temporis

observetur ad interponendam

contestationem finiendamque

litem“. Wiederholt und beſtätigt

in Clem. un. de rest. (1. 11).

(d) Burchardi S. 503 —

506.

(e) L. 39 pr. de min. (4. 4).

|0276 : 254|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Reſtitution um ſo natürlicher, als dieſe ſtets durch bloße

cognitio vor dem Prätor abgemacht wurde, die wir gewiß

als ein ſehr ſchleuniges Verfahren denken dürfen.

Für unſren heutigen Prozeß aber würde die Beobach-

tung dieſer Vorſchrift ganz unpaſſend ſeyn, und ſo iſt denn

auch die Praxis von jeher darüber einverſtanden geweſen,

dieſelbe unbeachtet zu laſſen (f). Die Unterbrechung der

Verjährung erfolgt demnach durch die Inſinuation des Re-

ſtitutionsgeſuchs, und die Verjährung der Reſtitution iſt in

in dieſem Punkte mit der Klagverjährung ganz auf gleiche

Linie getreten.

 

3. Ablauf der Verjährung.

Dieſer war urſprünglich auf Ein Jahr beſtimmt, und

zwar auf einen annus utilis, ſowohl für die Minderjährigen,

als für die Volljährigen (g). Bei den Minderjährigen heißt

dieſe Zeit legitimum tempus (h), ohne Zweifel, weil ſie aus

der Lex Plätoria auf die Reſtitution übertragen war (i).

 

Conſtantin gab für dieſe Verjährungszeit mannich-

faltige und verwickelte Vorſchriften (k). Juſtinian aber

führte wieder Alles auf eine einfache, leicht anwendbare

Regel zurück, indem er anſtatt des alten annus utilis Vier

 

(f) Burchardi S. 507.

Göſchen Vorleſungen S. 543.

(g) L. 19 de min. (4. 4), L. 7

pr. C. de temp. (2. 53) (für Minder-

jährtge). — L. 1 § 1, L. 28 § 3.

4 ex quib. caus. (4. 6) (für

Volljährige).

(h) L. 19 de min. (4. 4), L. 6

pr. C. de temp. (2. 53.).

(i) Zeitſchrift für geſchichtliche

Rechtswiſſenſchaft B. 10 S. 253. —

Unrichtig bezieht Burchardi

S. 499 dieſen Ausdruck auf das

prätoriſche Edict.

(k) Burchardi S. 500. 501.

|0277 : 255|

§. 340. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)

gewöhnliche Kalenderjahre (quadriennium continuum), als

allgemeine Verjährungsfriſt der Reſtitution vorſchrieb (l).

Nur bei den für volljährig erklärten Minderjährigen gilt

das beſondere Recht, daß ihre Reſtitution für frühere Ver-

letzungen niemals vor dem vollendeten fünf und zwanzigſten

Jahre verjähren ſoll, ſo daß alſo in dieſem Fall die Ver-

jährung zuweilen länger als Vier Jahre dauern kann (m).

Irrigerweiſe wird die von Juſtinian neu eingeführte

Zeit der Vier Jahre von Manchen auch auf die ſogenannten

Reſtitutionsklagen angewendet (n); dieſe falſche Meinung

iſt eine Folge der ſchon oben ausführlich widerlegten Ver-

mengung dieſer Klagen mit der Reſtitution (§ 316). —

Eben ſo irrig iſt es, wenn Andere die Verjährung der

Vier Jahre nicht nur auf das ſogenannte judicium re-

scindens, ſondern auch auf das rescissorium beziehen, ſo

daß jedes dieſer Rechtsmittel ſeine beſondere vierjährige

Verjährung haben ſoll (o). Dieſe Meinung beruht auf

einem gänzlichen Verkennen der Natur dieſer beiden Rechts-

mittel. Das ſogenannte rescindens iſt der einzige, aber

auch vollſtändige Reſtitutionsprozeß, und darauf beziehen

ſich die Vier Jahre. Das rescissorium iſt eine gewöhnliche

Klage, die von der verſchiedenſten Art ſeyn kann, und bald

dieſer, bald jener Klagverjährung unterworfen iſt (p);

 

(l) L. 7 pr. C. de temp. (2. 53).

(m) L. 5 pr. C. de temp. (2. 53).

(n) Burchardi S. 513. 514.

(o) Burchardi S. 507. 508.

(p) Dieſe Klagverjährung kann

in jedem Fall erſt anfangen von

der Zeit der rechtskräftig ertheilten

Reſtitution, weil die Klage ver-

loren war und erſt jetzt wieder ent-

ſtanden (actio nata) iſt. Es wird

|0278 : 256|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

dafür war gar kein Bedürfniß vorhanden, jetzt etwas Neues

vorzuſchreiben.

Dagegen muß allerdings behauptet werden, daß die

vierjährige Verjährung für alle Reſtitutionen gilt (q). Von

den wichtigſten Reſtitutionen, wegen Minderjährigkeit und

Abweſenheit, iſt Dieſes ſchon oben dargethan worden

(Noten g. l). Es bedarf nur noch einer näheren Prüfung

dieſer Frage in Beziehung auf Zwang und Betrug, wobei

auch die ſchon oben erwähnte, aber ausgeſetzte Frage wegen

des Anfangs der Verjährung in dieſen beiden Fällen (§ 339)

ihre Erledigung finden muß.

 

Die actio quod metus causa verjährt in Einem annus

utilis von der Zeit des Zwanges an, und es ſcheint in-

conſequent, daß daneben eine vierjährige Reſtitution wegen

deſſelben Zwanges gelten ſollte. Allein jene kurze Verjäh-

rung tilgt die Klage nur, inſofern ſie zur Strafe des vier-

fachen Erſatzes führen kann; wird ſie auf den einfachen

Erſatz gerichtet, ſo iſt ſie ganz ohne Verjährung (r). Da

nun die Reſtitution ſtets nur zum einfachen Erſatz führt,

ſo iſt es gewiß nicht inconſequent, neben der immerwäh-

renden Klage eine auf Vier Jahre beſchränkte Reſtitution

zur Wahl zu ſtellen.

 

aber von ihr faſt nie die Rede

ſeyn, weil die Reſtitution meiſt

geſucht wird von Dem, welcher die

reſtituirte Klage unmittelbar dar-

auf anſtellen will.

(q) Burchardi S. 509—514.

Nur freilich nicht, wie dieſer Schrift-

ſteller behauptet, für die Reſtitution

wegen capitis deminutio, die im

alten Recht gar keine Verjährung

hatte, und im neuen Recht nicht

mehr vorhanden iſt (§ 333).

(r) L. 14 § 1. 2 quod metus

(4. 2).

|0279 : 257|

§. 340. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)

Die actio doli verjährt nach Conſtantin’s Geſetz in

Zwei Jahren, welche vom Betrug ſelbſt anfangen, ohne

Rückſicht auf das Bewußtſeyn des Betrogenen (s). Dabei

ſcheint es wieder inconſequent, eine vierjährige Reſtitution

daneben zu ſtellen, und dieſe erſt anfangen zu laſſen, wenn

der Betrogene die Täuſchung erfährt (§ 339). Allein die

zweijährige Verjährung (früher einjährig) geht nur auf die

eigentliche actio doli, welche entehrt; daneben ſteht eine

immerwährende actio in factum auf bloße Entſchädigung

mit Schonung der Ehre (t), und neben dieſe Klage auch

noch eine auf gleichen Zweck gerichtete vierjährige Reſtitution

zu ſtellen, iſt gewiß nicht inconſequent; auch kann es nicht

ſtörend gefunden werden, daß die actio in factum auf die

Bereicherung des Beklagten beſchränkt wird, welche Be-

ſchränkung bei der Reſtitution nicht vorkommt.

 

§. 341.

Reſtitution. — Verfahren. (Fortſetzung.)

Bei der Verjährung der Reſtitution ſind zuletzt noch

einige Fragen von beſonders verwickelter Natur zu erörtern,

die ſich auf das Zuſammentreffen mehrerer Reſtitutions-

gründe beziehen. In ſolchen Fällen werden faſt immer ver-

ſchiedene Zeitpunkte des Ablaufs der Verjährung eintreten,

und es iſt dann zu beſtimmen, in welcher Verbindung dieſe

verſchiedene Reſtitutionen aufzufaſſen ſind, um das Schickſal

der Reſtitution überhaupt feſtzuſtellen.

 

(s) L. 8 C. de dolo (2. 21).

(t) L. 28 de dolo (4. 3).

VII. 17

|0280 : 258|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Ein ſolches Zuſammentreffen mehrerer Reſtitutionen kann

vorkommen ſowohl in einer und derſelben Perſon, als in

mehreren Perſonen, wenn nämlich die eine Reſtitution durch

Succeſſion auf eine andere Perſon übergegangen iſt (§ 335).

 

I. Bei dem Zuſammentreffen mehrerer Reſtitutionsgründe

in einer und derſelben Perſon iſt vor Allem die Frage zu

beantworten, ob es zuläſſig iſt, gerade gegen die Verjährung

einer Reſtitution wiederum eine neue Reſtitution zu ſuchen.

Dieſe Frage wird von unſern Schriftſtellern ſchlechthin ver-

neint, und zwar aus zwei Gründen: erſtlich aus dem all-

gemeinen Grunde, weil ſonſt kein Ende des Reſtituirens

zu finden wäre, zweitens wegen einer ausdrücklichen Stelle

des Ulpian, L. 20 pr. de minor. (a). Beide Gründe

ſind aber unhaltbar, und ich muß jene Frage entſchieden

bejahen. Daß es mit der angeblichen Endloſigkeit der Re-

ſtitution keine Gefahr hat, wird ſich aus der Betrachtung

der einzelnen möglichen Fälle ſolcher Art ergeben, die über-

haupt nur äußerſt ſelten vorkommen können; die Stelle des

Ulpian aber hat einen ganz anderen Sinn, wie ſogleich

gezeigt werden wird.

 

Erſtlich machen gar keine Schwierigkeit die Fälle, in

welchen die Minderjährigkeit als Reſtitutionsgrund zuletzt

vorhanden iſt. Geſetzt, es wird eine Sache von einem

Abweſenden uſucapirt, welcher in die Heimath zurückkehrt,

als der vorige Eigenthümer Zwanzig Jahre alt iſt, ſo ver-

 

(a) Burchardi S. 134. Puchta Pandekten §. 107. h. Vor-

leſungen S. 216.

|0281 : 259|

§. 341. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)

jährt die Reſtitution wegen Abweſenheit binnen Vier Jahren,

und man könnte nun fragen, ob der Verletzte gegen dieſe

Verjährung als Minderjähriger Reſtitution erhalten könne.

Dieſe Frage iſt aber ganz müßig, denn da die Reſtitution

der Minderjährigen die umfaſſendſte unter allen iſt, ſo kann

der Verletzte bis zum Alter von Neun und zwanzig Jahren

gegen jene Uſucapion ſchon als Minderjähriger unmittelbar

Reſtitution erlangen, wobei dann die Abweſenheit, ſo wie

die bereits eingetretene Verjährung, und die Reſtitution

gegen dieſe Verjährung, als ganz gleichgültig erſcheint.

Betrachten wir aber nun den umgekehrten Fall, da die

Minderjährigkeit als Reſtitutionsgrund nicht zuletzt vor-

handen iſt. Geſetzt, ein Minderjähriger iſt abweſend,

während ſeiner Abweſenheit wird er volljährig, nachdem

er (vor oder in der Abweſenheit) einen nachtheiligen Ver-

trag geſchloſſen hat. Als er Dreißig Jahre alt iſt, kehrt

er zurück. Eigentlich iſt ſeine Reſtitution ſchon ſeit einem

Jahre verjährt, es fragt ſich aber, ob er gegen dieſe Ver-

jährung Reſtitution ſuchen könne. Dieſes verneint Ulpian,

übereinſtimmend mit Papinian (b), indem er ſagt, die

Abweſenheit ſey hier nicht zu berückſichtigen, und das iſt

eben die Stelle, woraus bewieſen werden ſoll, daß gegen

die Verjährung einer Reſtitution überhaupt keine Reſtitution

möglich ſey (Note a). Allein Ulpian giebt gar nicht

dieſen Grund ſeiner Entſcheidung an, ſondern vielmehr den

 

(b) L. 20 pr. de min. (4. 4).

17*

|0282 : 260|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

ganz anderen, daß hier die Abweſenheit gar kein Hinderniß

für die Bitte um Reſtitution geweſen ſey, daß alſo die

Grundbedingung aller Reſtitution fehle (§ 320 Note d);

denn auch während der Abweſenheit habe die Reſtitution

gegen den Vertrag geſucht werden können, und zwar ſo-

wohl durch einen Procurator bei dem Prätor in Rom, als

in eigener Perſon bei dem Statthalter der Provinz, worin

der volljährig Gewordene lebte (welches Letzte Papinian

nicht einmal erwähnt hatte). Hierin zeigt ſich nun wieder

die Verſchiedenheit der Klagen von der Reſtitution. Wenn

ein abweſender Minderjähriger ein ihm zuſtehendes einjäh-

riges Interdict verjähren läßt, dann volljährig wird, und

ſpäter zurückkehrt, ſo kann er nun noch das Interdict an-

ſtellen binnen der Reſtitutionsfriſt, und dieſe Friſt läuft ihm

nicht von der Volljährigkeit, ſondern von der Rückkehr

an (c). — In dem Fall, welchen Ulpian anführt, war

der Abweſende ein zur Strafe Verbannter geweſen, und

dieſen Umſtand machte Papinian als einen unterſtützenden

Grund jener Entſcheidung geltend. Deshalb tadelt ihn

Ulpian, indem hier das Verbrechen keinen Einfluß habe,

(c) L 15 §. 6 quod vi (43 24).

Die Reſtitution wegen Minder-

jährigkeit kommt nun gar nicht in

Betracht, weil die wegen Abweſen-

heit Alles entſcheidet. — Der

Grund des Unterſchieds liegt zu-

nächſt und formell darin, daß das

Edict über die Abweſenden von

einer verlorenen actio ſprach, unter

welche Bezeichnung die Reſtitution

nicht gehörte. Der tiefer liegende

innere Grund aber war wohl der,

daß es weit leichter war, auch aus

der Ferne ein Reſtitutionsgeſuch zur

prätoriſchen cognitio zu bringen,

als einen ordentlichen Prozeß vor

den Juder.

|0283 : 261|

§. 341. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)

ſondern lediglich das Alter an ſich (und die Abweſenheit an

ſich) zu berückſichtigen ſen (d). — Nach der Anſicht

Ulpian’s alſo ſollte auf die Gründe der Abweſenheit gar

nicht geſehen werden. Hierin aber machte das ſpätere Recht

eine Ausnahme zum Beſten der Soldaten, die nicht auffallen

kann, da ſie zu den zahlreichen, auch ſonſt ſchon bekannten,

Privilegien dieſes Standes gehört. Wenn nämlich ein

Minderjähriger während des Soldatenſtandes volljährig

wird, ſo ſoll die Verjährungszeit nicht von der Volljährig-

keit, ſondern von dem Austritt aus dem Soldatenſtand an-

fangen (e). Wenn ferner gegen einen Minderjährigen eine

Uſucapion vollendet wird, derſelbe aber ſpäter in den Sol-

datenſtand eintritt, ſo ſoll er noch immer Hülfe gegen jene

Uſucapion erhalten können (f). Beide Ausſprüche gehen

unzweifelhaft von der Anſicht aus, daß, vermöge eines

beſonderen Vorrechts, der Soldat als Abweſender Reſtitu-

tion erhalten müſſe gegen den Ablauf der Verjährungsfriſt

einer Reſtitution, die ihm ſeines minderjährigen Alters

wegen zugeſtanden hätte.

Ich will aber nun noch den wichtigſten und am wenigſten

verwickelten Fall anführen, in welchem die oben erwähnte

Streitfrage vorkommen kann. Wenn Jemand aus irgend

einem Grunde, wegen Minderjährigkeit, Abweſenheit u. ſ. w.,

 

(d) L. 20 pr. cit. „Quid enim

commune habet delictum cum

venia aetatis?“ venia aetatis

iſt hier nicht in dem ſonſt gewöhn-

lichen Sinn zu nehmen, ſondern

für beneficium aetatis, Reſtitu-

tionsanſpruch des Minderjährigen.

Vgl. auch oben § 326 Note r.

(e) L 1 C. de temp. (2. 53).

(f) L. 3 C. eod.

|0284 : 262|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Anſpruch auf Reſtitution hat, und dieſe Reſtitution, ge-

täuſcht durch Betrügereien ſeines Gegners, verjähren läßt,

ſo fragt es ſich, ob er gegen dieſe Verjährung die Re-

ſtitution wegen Betrugs verlangen kann. Nach der oben

angeführten Meinung (Note a) muß dieſe Frage verneint

werden, ich halte die Bejahung für ganz unzweifelhaft.

Daß durch dieſen Fall keine endloſe Ausdehnung und Wie-

derholung der Reſtitution herbeigeführt werden könne, wird

wohl Jeder zugeben. Es iſt aber ferner kein Grund denk-

bar, weshalb dem Verletzten die actio doli gegen den Be-

trüger verſagt werden könnte. Wird nun dieſe zugegeben,

ſo muß er vielmehr die nicht entehrende Reſtitution erhalten,

da dieſe im vorliegenden Fall völlig zu demſelben Erfolg

führt, wie die Klage, und alſo der Klage nach allgemeinen

Grundſätzen vorgezogen werden muß (§ 332 Note s). Dieſe

Reſtitution führt alſo dahin, daß die verjährte frühere Re-

ſtitution als nicht verjährt behandelt, und dem Verletzten

gewährt werden muß.

Die hier aufgeſtellte Behauptung über die Reſtitution

wegen Betrugs gegen die Verjährung irgend einer anderen

Reſtitution findet eine unmittelbare Beſtätigung im cano-

niſchen Recht. Hier wird geſagt, die vierjährige Ver-

jährung der den Kirchen zuſtehenden Reſtitution könne ent-

kräftet werden, wenn der Gegner durch Betrug dieſe Ver-

jährung bewirkt habe (g). Es iſt durchaus kein Grund

 

(g) C. 1 de restit. in VI.

(1. 21). „Ecclesia … si qua-

driennii spatium post sit lap-

sum, et negligenter omiserit,

|0285 : 263|

§. 341. Reſtitution. Verfahren. (Fortſ.)

vorhanden, dieſen Ausſpruch als ein beſonderes Privilegium

der Kirchen anzuſehen, indem auch die Faſſung des Aus-

drucks nicht hierauf, ſondern auf die Anerkennung einer

allgemein bekannten Rechtsregel hindeutet. Eben ſo iſt

kein Zweifel herzuleiten aus einem Zuſatz der angeführten

Decretale (h), der ſo allgemein gefaßt iſt, daß man dadurch

verleitet werden könnte, die ganze Beſtimmung für eine

Aeußerung willkürlicher Billigkeit, nicht für die Aner-

kennung einer Rechtsregel zu halten. Auch dieſer Zuſatz

läßt ſich ſtreng rechtfertigen. Die Kirche nämlich kann aus

individuellen Gründen, oder auch aus allgemeinen, wie

Krieg, Aufruhr u. ſ. w., längere Zeit ohne Schutz und

Vertretung ſeyn. Darin würde, in Anwendung der gene-

ralis clausula, ein hinreichender Grund der Reſtitution

gegen alle in dieſe Zeit fallende Verſäumniſſe liegen, alſo

unter anderen auch gegen die Verſäumniß der Friſt einer

Reſtitution, die ſie in ihrer Eigenſchaft als Kirche binnen

Vier Jahren hätte begehren können.

II. Es bleibt nun noch übrig, von dem Zuſammen-

treffen mehrerer Reſtitutionen in Folge eines Succeſſions-

falles zu ſprechen. Darüber enthält das Römiſche Recht

folgende Regeln.

 

non est ad beneficium hujus-

modi admittenda, nisi praeva-

ricationis vel fraudis manifeste

probetur super hoc intervenisse

commentum …“

(h) l. c. „aut alia rationa-

bilis causa subsit, quae supe-

riorem movere debeat ad idem

beneficium concedendum.“

|0286 : 264|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

Wenn ein Minderjähriger auf Reſtitution gegen ein

Rechtsgeſchäft Anſpruch hat, dann ſtirbt, und von einem

Minderjährigen beerbt wird, ſo iſt der Tod erfolgt entweder

vor oder nach der Volljährigkeit des Erblaſſers. Im erſten

Fall hat der Erbe Vier Jahre Zeit zur Reſtitution, welche

von ſeiner eigenen Volljährigkeit an zu berechnen ſind (i).

Im zweiten Fall hat der Erbe, gleichfalls von ſeiner

eigenen Volljährigkeit an, ſo viel Zeit zur Reſtitution, als

der Erblaſſer zur Zeit des Todes von ſeiner eigenen Re-

ſtitutionsfriſt noch übrig hatte (k).

 

Auch hier findet ſich wieder ein Privilegium der Sol-

daten, ähnlich dem ſchon im erſten Hauptfall erwähnten

Privilegium (Note e. f.). Wenn nämlich entweder der

Erblaſſer, oder der Erbe, im Heere diente, ſo ſoll da, wo

ſonſt von der Volljährigkeit an zu rechnen wäre, ſtets erſt

der Abſchied aus dem Heere als beſtimmender Zeitpunkt

angeſehen werden (l).

 

§. 342.

Reſtitution. — Wirkungen.

Die aus dem Grundbegriff der Reſtitution folgende

Wirkung derſelben iſt die Herſtellung des früheren Rechts-

zuſtandes. Hat nun die eingetretene Aenderung dieſes Zu-

ſtandes, die durch die Herſtellung beſeitigt werden ſoll, eine

 

(i) L. 19 de min. (4. 4), L. 5

§. 1 C. de temp. (2. 53), Paulus

I. 9 § 4.

(k) L. 19 de min. (4. 4),

L. 5 § 2 C. de temp. (2. 53).

(l) L. 1. 3 C. de temp. (2. 53).

|0287 : 265|

§. 342. Reſtitution. Wirkungen.

ganz einfache Natur, wie z. B. die Schenkung, wozu ein

Minderjähriger beredet worden iſt, ſo kann jene Regel als

ausreichend gelten, indem eben nur die einzelne Handlung

in ihren Folgen rückgängig zu machen iſt. Allein viele, ja

die meiſten Aenderungen des Rechtszuſtandes haben eine ſo

einfache Natur nicht, indem ſie vielmehr aus gegenſeitigen

Leiſtungen, alſo aus Vortheilen und Nachtheilen auf beiden

Seiten, zuſammengeſetzt ſind.

Für alle dieſe Fälle nun gilt die allgemeine und natür-

liche Regel, daß der urſprüngliche Zuſtand nach allen Seiten

hin wiederhergeſtellt werden muß (a). Eine Anwendung

auf die wichtigſten einzelnen Fälle wird dieſe Regel in das

rechte Licht ſetzen.

 

Durch ein empfangenes Darlehen kann ein Minder-

jähriger in Nachtheil verſetzt ſeyn, indem er das empfangene

Geld verloren oder verſchwendet hat; dann führt die Re-

ſtitution dahin, daß er Nichts zurückbezahlt (§ 319 Note d).

Hat er das Geld nicht gerade verſchwendet, ſondern an

einen unvermögenden Schuldner geliehen, ſo wird er da-

durch geſchützt, daß er ſich durch Ceſſion der Klage gegen

dieſen Schuldner mit ſeinem Gläubiger abfindet. Hat er

 

(a) L. 24 §. 4 de min. (4. 4),

„ut unusquisque in integrum jus

suum recipiat“ — L. 29 ex qu.

caus. (4. 6) „videlicet ne cui

officium publicum vel damno,

vel compendio sit“. — L. 1 pr.

C. de reputat. (2. 48.). „Qui

restituitur, sicut in damno mo-

rari non debet, ita nec in

lucro.“ — Gleichbedeutend iſt die

Vorſchrift, daß bei einem zwei-

ſeitigen Vertrag der Verletzte nur

die Wahl hat, ob das Geſchäft

ganz gelten oder ganz nicht gelten

ſoll. L. 13 §. 27. 28 de act. emti

(19. 1).

|0288 : 266|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

mit dem geliehenen Gelde einen nachtheiligen Einkauf vor-

genommen, ſo wird er gegen ſeinen Verkäufer reſtituirt,

und bedarf dann einer Reſtitution gegen den Darleiher

nicht (b).

Gegen einen nachtheiligen Verkauf geht die Reſtitution

des Minderjährigen zunächſt dahin, daß demſelben die ver-

kaufte Sache mit den Früchten der Zwiſchenzeit zurückgege-

ben werden muß (c). — Dagegen muß der Verletzte von

ſeiner Seite das empfangene Kaufgeld zurückzahlen, und

zwar mit Zinſen, die gegen die Früchte aufzurechnen

ſind (d). — Dieſe Rückzahlung kann dadurch ausge-

ſchloſſen werden, daß der Minderjährige das empfangene

Kaufgeld verſchwendet hat, welches der Käufer vorher-

ſehen konnte (§ 319 Note i). In dieſem Hergang liegt

dann eine doppelte Reſtitution: gegen den Verkauf, und

gegen den Empfang der Zahlung. — Hat der Käufer

wahre Verbeſſerungen an der Sache vorgenommen, ſo

müſſen ihm die Koſten derſelben erſetzt werden (e).

 

Dieſelbe Natur mit dem Verkauf hat, wie überhaupt,

ſo auch in dieſer Beziehung, die Uebergabe einer Sache an

Zahlungsſtatt. Auch dabei iſt die gegebene Sache mit

ihren Früchten zurück zu geben, und die Zinſen des Geldes

ſind dagegen aufzurechnen (f).

 

(b) L. 27 § 1 de min. (4. 4).

(c) L. 24 § 4, L. 27 § 1 de

min. (4. 4).

(d) L. 27 § 1, L. 47 § 1. de

min. (4. 4). Paulus I. 9 §. 7.

(e) L. 39 § 1 de min. (4. 4).

(f) L. 40 § 1 de min. (4. 4),

L. 98 § 2 de solut. (46. 3).

|0289 : 267|

§. 342. Reſtitution. Wirkungen.

Der nachtheilige Einkauf einer Sache wird nach

gleichen Grundſätzen behandelt; auch hier iſt die Sache

mit ihren Früchten, das Kaufgeld mit Zinſen, zurück zu

geben (g).

 

Gegen eine nachtheilige Acceptilation beſteht die Re-

ſtitution darin, daß dem unvorſichtigen Gläubiger ſeine An-

ſprüche zurück gegeben werden, und zwar nicht blos gegen

den Schuldner ſelbſt, ſondern auch gegen deſſen Mitſchuldner

und Bürgen, ſo wie gegen die Pfänder (h).

 

Hat ein Minderjähriger durch Novation anſtatt ſeines

Schuldners einen ſchlechteren Schuldner angenommen, ſo

wird ihm die Klage gegen den früheren Schuldner

reſtituirt (i).

 

Hat er durch Expromiſſion die Schuld eines Anderen

übernommen, ſo wird durch die Reſtitution er ſelbſt be-

freit, dem Gläubiger aber ſeine verlorene Klage gegen den

Schuldner wiederhergeſtellt; dieſe natürlich mit den darauf

früher haftenden Beſchränkungen, z. B. wenn ſie einer

kurzen Verjährung unterworfen, und dieſe zur Zeit der

Expromiſſion bereits bis auf wenige Tage abgelaufen

war (k).

 

Die Reſtitution gegen einen Vergleich hat die Folge,

 

(g) L. 27 § 1 de min. (4. 4),

(h) L. 27. § 2 de min. (4. 4).

(i) L. 27 § 3 de min. (4. 4).

(k) L. 50 de minor. (4. 4),

L. 19 de nov. (46. 2), L. 1 § 1

C. de reputat. (2. 48).

|0290 : 268|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

daß die gegenſeitig aufgegebenen Anſprüche von beiden

Seiten wieder aufleben (l).

Die Reſtitution gegen eine Uſucapion hat die Folge,

daß dem Verletzten die verlorene Sache mit allen Früchten

der Zwiſchenzeit herausgegeben werden muß (m).

 

Iſt eine vortheilhafte Erbſchaft ausgeſchlagen,

oder durch unerfüllte Bedingung verloren worden, ſo be-

ſteht die Reſtitution nicht darin, daß Der, welcher ſie erhält,

nun wirklich Erbe wird, welches unmöglich iſt; er be-

kommt aber alle Klagen, die er als wahrer Erbe von ſelbſt

erhalten haben würde, nunmehr als utiles actiones, das

heißt alſo, es wird ihm ein fingirtes Erbrecht verſchafft (n).

— Er muß jedoch Alles als gültig anerkennen, was in der

Zwiſchenzeit von den bis dahin berechtigten Perſonen

(Erben, Curatoren u. ſ. w.) an den Beſtandtheilen der

Erbſchaft verändert worden iſt (o). — Ferner leben nun-

mehr auch alle Laſten und Verpflichtungen wieder auf, die

dem Reſtituirten in der Eigenſchaft eines Erben auferlegt

waren, und von welchen er bis zur Reſtitution frei

war (p).

 

(l) L. 1. 2 C. si adv. trans-

act. (2. 32). Anders verhält es

ſich bei der Reſtitution gegen ein

Urtheil, wenn dieſelbe nur Ein

Stück ſtreitiger Verhältniſſe betrifft,

und daneben andere, ganz unab-

hängige Stücke vorliegen; dieſe

bleiben unberührt durch die Re-

ſtitution. L. 28, L. 29 § 1 de

min. (4. 4).

(m) L. 28 § 6, L. 29 ex quib.

caus. (4. 6).

(n) L. 7 § 10 de min. (4. 4),

am Ende der Stelle. L. 21 § 6

quod metus (4. 2).

(o) L. 22 de min. (4. 4). Dieſe

Vorſchrift kann ſogar unter Um-

ſtänden zur Verſagung der Re-

ſtitution führen. L. 24 § 2 eod.

(p) L. 41 ex quib. caus. (4. 6).

|0291 : 269|

§. 342. Reſtitution. Wirkungen.

Die Reſtitution gegen den Antritt einer Erbſchaft

iſt nach denſelben Grundſätzen zu beurtheilen. Der Reſti-

tuirte iſt und bleibt Erbe, und wird nur durch Fiction

behandelt, als ob er nicht Erbe wäre (abstinendi potestas

ei tribuitur) (q). Er muß nun Dem, an welchen nunmehr

die Erbſchaft fällt, diejenigen Erbſchaftsſtücke herausgeben,

die an ihn bleibend gekommen, oder durch böſen Willen

nicht gekommen, oder untergegangen ſind (r). — Wenn er

vor der Reſtitution Legate oder Schulden der Erbſchaft

ausgezahlt hat, ſo giebt er dafür keinen Erſatz; eben ſo

erſetzt er nicht den Werth der durch ſeinen Antritt frei ge-

wordenen Sklaven, oder der Sklaven, die er fidei-

commiſſariſch ſelbſt freigelaſſen hat (s).

 

Die Reſtitution gegen den Erwerb eines Legates

macht den Reſtituirten frei von den Laſten, die ihm in der

Eigenſchaft eines Legatars als Fideicommiß auferlegt

waren (t).

 

§. 343.

Reſtitution. — Wirkungen. (Fortſetzung.)

Die Schriftſteller über die Reſtitution haben ſich von

jeher viel mit der Frage beſchäftigt, ob die Reſtitution in

personam wirke oder in rem, das heißt, nur gegen eine

 

(q) L. 21 § 5 quod metus

(4. 2), L. 7 § 5, L. 31 de min.

(4. 4).

(r) L. 7 § 5 de min. (4. 4)

am Ende. L. 1 § 2 C. de reputat.

(2. 48),

(s) L. 22. 31 de min. (4. 4).

(t) L. 33 de min. (4. 4).

|0292 : 270|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

einzelne beſtimmte Perſon, oder in das Unbeſtimmte hin,

gegen Perſonen, die ſich vielleicht zur Zeit der erlittenen

Verletzung noch gar nicht überſehen laſſen. Daß überhaupt

beide Wirkungsarten vorkommen können, ſagt in einem all-

gemeinen Ausſpruch eine Stelle des Paulus (a), die durch

andere Stellen beſtätigt wird (b).

Nach einer unter unſren Schriftſtellern ſehr gangbaren

Formel ſoll die Reſtitution in personam die Regel bilden,

die in rem die Ausnahme (c); in der That aber bedarf die

Sache einer etwas tieferen Begründung (d). Es hängt

dieſe Frage unmittelbar zuſammen mit der ſchon oben erör-

terten Beſtimmung der verpflichteten Perſon in der Re-

ſtitution, oder des Gegners des Verletzten (§ 336), und

dieſe Beſtimmung muß nothwendig ſehr verſchieden aus-

fallen, je nach der verſchiedenen Natur der Rechtsverhält-

niſſe, worauf ſich die Reſtitution beziehen kann.

 

Die Reſtitution kann gerichtet ſeyn gegen eine Uſucapion,

alſo gegen eine nicht auf der Handlung des Eigenthümers

beruhende Veränderung im Eigenthum, welcher Fall vor-

kommen kann ſowohl wegen Minderjährigkeit als wegen

Abweſenheit. Hier verſteht es ſich von ſelbſt, daß ſie in

rem wirkt, alſo gegen jeden Beſitzer (e), wie ſie denn auch

 

(a) Paulus I. 7 § 4 „Integri

restitutio aut in rem competit,

aut in personam.“ Dieſe Stelle

iſt aber ſicher ſtark verſtümmelt.

(b) L. 13 § 1 de min. (4. 4)

„Interdum autem restitutio et

„in rem datur minori“.

(c) Burchardi S. 416 fg.

(d) Puchta Pandekten § 106

Note f. Vorleſungen S. 217. 218.

(e) L. 30 § 1 ex qu. caus.

(4. 6).

|0293 : 271|

§. 343. Reſtitution. Wirkungen. (Fortſ.)

zunächſt und hauptſächlich durch die Wiederherſtellung der

verlorenen Eigenthumsklage zur Ausführung gebracht wird

(§ 329).

Ebenſo ſo iſt kein Zweifel, daß die Reſtitution gegen die

Ausſchlagung oder den Antritt einer Erbſchaft ſtets in rem

wirkt, da ſie auf ganz verſchiedene und unbeſtimmte Per-

ſonen ſich beziehen ſoll (§ 342). Auch wird ausdrücklich

geſagt, daß die aus der Reſtitution hervorgehende Klagen

auf Erbſchaftsſachen gegen jeden Beſitzer derſelben angeſtellt

werden können, auch wenn der urſprüngliche Beſitzer der

Erbſchaft ſie veräußert hat (f).

 

Anders verhält es ſich mit der Reſtitution gegen einen

geſchloſſenen Vertrag. Dieſe geht in der Regel gegen die

Perſon, mit welcher der Verletzte den Vertrag geſchloſſen

hat, und nur ausnahmsweiſe gegen dritte Perſonen; für

dieſe Klaſſe von Fällen alſo iſt die oben erwähnte Formel

als richtig anzuerkennen (Note c).

 

Wird alſo ein Minderjähriger gegen einen nachtheiligen

Verkauf reſtituirt, ſo hat er in der Regel die Rückgabe des

verlorenen Eigenthums nur von dem Käufer zu fordern

(§ 342 Note c), nicht von dem dritten Beſitzer, an welchen

der Käufer weiter veräußert hat. Ausnahmsweiſe aber (g)

wirkt die Reſtitution auch gegen den dritten Beſitzer, wenn

dieſer um den Verkauf des Minderjährigen wußte, oder

 

(f) L. 17 pr. ex. quib. caus.

(4. 6).

(g) Interdum, ſ. o. Note b.

|0294 : 272|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. IV. Verletzung.

wenn der erſte Käufer zahlungsunfähig iſt (h). In einem

ſolchen Fall hat dann der dritte Beſitzer, der die Sache

herausgeben muß, dieſelben Regreßanſprüche gegen ſeinen

Vorgänger, wie wenn er den Beſitz durch eine Eigenthums-

klage verloren hätte (i).

Dieſelbe Behandlung findet ſich, wenn einem Minder-

jährigen, der zur Zahlung einer Schuld verurtheilt war,

Sachen abgepfändet und verkauft worden ſind; denn dieſe

Handlung iſt als ein im Namen des Minderjährigen, alſo

von ihm ſelbſt, geſchloſſener Verkauf anzuſehen. Wird

nachher die Verurtheilung durch Reſtitution aufgehoben, ſo

kann der Minderjährige in der Regel nur die Summe der

Schuld vom Gläubiger wieder fordern (k); ausnahmsweiſe

aber (l) kann er auch die verkauften Sachen von dem Be-

ſitzer zurück fordern, wenn er durch das Entbehren in

beſonders großen Schaden verſetzt werden würde (m).

 

Schon oben iſt dargethan worden, daß bei einer er-

zwungenen Veräußerung der Verletzte die Wahl hat, ent-

 

(h) L. 13 § 1, L. 14 de min.

(4. 4).

(i) L. 15 de min. (4. 4), L. 39

pr. de evict. (21. 2).

(k) L. 9 pr. de min. (4. 4)

„nam illud certum est, pecu-

niam ex causa judicati solutam

ei restituendam“.

(l) L. 9 pr. cit. „et puto,

interdum permittendum“ …

(m) L. 9 pr. cit. „si grande

damnum sit minoris“. L. 1 C.

si adv. vend. pign. (2. 29) „magno

detrimento … enorme dam-

num“ … L. 49 de min. (4. 4)

„grande damnum“; dieſe Stelle

muß offenbar, ſo wie die vorigen,

von einem Verkauf im Wege der

Execution verſtanden werden, ob-

gleich ſie das nicht ausdrücklich

ſagt. — Nicht zu verwechſeln aber

iſt dieſer Fall der pignora capta

et distracta mit dem Fall, da der

Pfandgläubiger verkauft; dagegen

gilt gar keine Reſtitution, ſ. oben

§ 323 Note e. f. g.

|0295 : 273|

§. 343. Reſtitution. Wirkungen. (Fortſ.)

weder gegen den Verletzer auf Entſchädigung zu klagen,

oder durch Reſtitution die Herſtellung ſeiner verlorenen in

rem actio zu verlangen, die er dann auch gegen jeden

dritten Beſitzer geltend machen kann (§ 330 Note e).

Sehr häufig iſt das Verfahren bei einer Reſtitution ſo

einfach, daß Alles abgethan iſt mit dem einfachen Befehl

an den Verpflichten, Geld zu zahlen oder eine empfangene

Sache heraus zu geben (§ 337 Note m). Dann hat die

Reſtitution eine ähnliche Natur mit einer gewöhnlichen

Schuldklage. Iſt nun der zunächſt Verpflichtete in fremder

Gewalt als Sohn oder Sklave, ſo trifft die Verpflichtung,

wie bei einer Schuld, auch den Vater oder Herrn, in ſofern

entweder dieſer durch das Geſchäft Etwas in ſein Vermögen

bekommen hat, oder ein Peculium vorhanden iſt, wodurch

er nach den Grundſätzen der actio de peculio verbunden

wird (n).

 

 

(n) L. 24 §. 3 de min. (4. 4).

VII. 18

|0296 : [274]|

|0297 : [275]|

Beilagen.

XVIII. XIX.

18*

|0298 : [276]|

|0299 : [277]|

Beilage XVIII.

Reſtitution der Minderjährigen, welche in väterlicher

Gewalt ſtehen.

L. 3 § 4 de minor. (4. 4).

L. 2 C. de filiofam. minore (2. 23).

(Zu § 323 Note q).

Ueber die Reſtitution der in väterlicher Gewalt ſtehenden

Minderjährigen werden von den Schriftſtellern folgende

Sätze als ſichere Regeln anerkannt:

Der Minderjährige erhält gegen ſeine Handlungen

dieſelbe Reſtitution, wie wenn er nicht in väterlicher

Gewalt ſtände, vorausgeſetzt (ſo wie bei jeder Re-

ſtitution), daß er ein Intereſſe dabei hat;

Der Vater ſoll von dieſer Reſtitution keinen Vortheil

ziehen, kann ſie alſo nicht für ſich geltend machen.

 

Auch ſind dieſe Sätze in der Hauptſtelle, die von dieſer

Frage handelt, als Regeln ſo klar und entſchieden aus-

geſprochen, daß darüber kaum ein Zweifel ſeyn konnte (a).

Nur wird faſt eben ſo allgemein für den erſten dieſer beiden

Sätze eine Ausnahme behauptet, und dieſe Ausnahme iſt

 

(a) L. 3 § 4 de min. (4. 4).

|0300 : 278|

Beilage XVIII.

es, welche in der gegenwärtigen Unterſuchung geprüft

werden ſoll.

Der Minderjährige ſoll nach dieſer Behauptung aus-

nahmsweiſe keine Reſtitution erhalten, wenn das nachthei-

lige Geſchäft in der Aufnahme eines Gelddarlehens be-

ſteht, und wenn dazu der Vater den Befehl gegeben hat (b).

 

Betrachten wir zuerſt dieſe Ausnahme in ihrem allge-

meinen und natürlichen Zuſammenhang mit der Reſtitution

überhaupt, alſo grundſätzlich, und noch ohne Rückſicht auf

das Zeugniß einzelner Stellen.

 

Man könnte dieſelbe daraus ableiten wollen, daß es

dem väterlichen Anſehen widerſprechen würde, den gegebenen

Befehl durch Ertheilung der Reſtitution für ſchädlich zu

erklären. Dieſe, an ſich denkbare, Anſicht wird von Ulpian

entſchieden verworfen, da er bei anderen Rechtsgeſchäften

dem Sohn die Reſtitution geſtattet, auch wenn der Vater

Befehl zu dem Geſchäft gegeben hatte (c).

 

Man könnte der Sache ferner die Wendung geben

wollen, daß nur der allein handelnde Sohn ein leichtſinniges

Gelddarlehen aufnehmen und dadurch in Schaden kommen

werde; im Fall eines väterlichen Befehls werde keine Ge-

 

(b) Burchardi S. 239—248.

Andere Schriftſteller werden ſo-

gleich angeführt werden.

(c) L. 3 § 4 cit. „Proinde

si jussu patris obligatus sit …

filius … auxilium impetrare

debebit, si ipse conveniatur.“

— Eben ſo wenn der Vater ſeinen

unmündigen Sohn emancipirt, und

als Vormund die auctoritas zu

einem Geſchäft gegeben hatte.

L. 29 pr. de min. (4. 4).

|0301 : 279|

Zur Reſtitution der Minderjährigen.

fahr und kein Nachtheil vorhanden ſeyn (d). Man kann

Dieſes für die meiſten Fälle unbedenklich zugeben, und wenn

in der That kein Nachtheil, oder doch kein Nachtheil aus

Unbeſonnenheit entſtanden iſt, ſo verſteht es ſich von ſelbſt,

daß die Reſtitution wegfällt, weil ihre Grundbedingung

fehlt (§ 320 Note b). Aber es kann doch auch anders

kommen; der Vater kann eben ſo leichtſinnig ſeyn, wie der

Sohn, er kann durch den Sohn getäuſcht werden, er kann

ſelbſt in böſer, eigennütziger Abſicht den nachtheiligen Befehl

zum Darlehen geben. Auf keine Weiſe erklärt dieſer Grund,

warum gerade nur bei dem Gelddarlehen der väterliche

Befehl dieſe Wirkung haben ſoll, da ja bei allen anderen

Rechtsgeſchäften genau dieſelben Rückſichten und Möglich-

keiten eintreten, um die Reſtitution für zuläſſig oder unzu-

läſſig zu halten.

In dieſer Verlegenheit nun haben ältere Schriftſteller

die ſeltſamſten Gründe geltend gemacht, um die erwähnte

Ausnahme bei dem Darlehen zu rechtfertigen (e). Das für

das Gelddarlehen erlaſſene Sc. Macedonianum, ſagen ſie,

ſey für viele einzelne Fälle ſehr hart, und für dieſe Härte

ſollten die Gläubiger durch die erwähnte Ausnahme wenig-

ſtens eine kleine Entſchädigung erhalten. Ferner ſeyen die

 

(d) Das iſt die Wendung, die

Puchta § 103 Note i der Sache

giebt. Denn in den Vorleſungen

S. 213 ſagt er, es ſey keine eigent-

liche Ausnahme, ſondern es werde

nur angenommen, daß in einem

ſolchen Fall kein Nachtheil aus

Unbeſonnenheit entſtanden ſey.

(e) Azo in L. 2 C. de fil.

fam. min., Glossa in L. 3 § 4

D. de minor., Cujacius in L. 3

§ 4 D. de min., Opp. T. 1 p. 989

|0302 : 280|

Beilage XVIII.

meiſten Gläubiger der Minderjährigen ungemein ſchlechte

Leute. Wenn ſich nun einmal einer von ſo redlicher Ge-

ſinnung fände, daß er nur mit der Genehmigung des

Vaters das Darlehen geben wolle, ſo verdiene dieſer ſeltene

Redliche unter den vielen Unredlichen durch eine beſondere

Ausnahme von den allgemeinen Rechtsregeln ausgezeichnet

und belohnt zu werden. Zur Unterſtützung dieſer letzten

Anſicht wird auch noch eine Stelle der heiligen Schrift

angeführt (f).

Dieſe Gründe ſind ſo unhaltbar, ja ſo wunderlich, daß

ſie ſich nur aus der völligen Verzweiflung erklären laſſen,

über den klaren Ausſpruch unſrer Rechtsquellen nicht anders

hinweg kommen zu können. Nach allgemeinen Gründen

muß daher die für das Gelddarlehen behauptete Aus-

nahme ſchlechthin verworfen werden, und es kommt nun-

mehr Alles auf die Erklärung einzelner Stellen an, zu

welcher ich mich jetzt wende.

 

Die wichtigſte Stelle iſt folgende aus Ulpianus lib. XI.

ad Ed., die ich in ihrem ganzen Zuſammenhang hierher

ſetze.

 

L. 3 § 4 de minor. (4. 4).

 

Sed utrum solis patribus familiarum, an etiam filiis-

familiarum succurri debeat, videndum. Movet dubita-

tionem, quod, si quis dixerit etiam filiisfamiliarum

in re peculiari subveniendum, efficiet, ut per eos etiam

 

 

(f) Ev. S. Lucä Kap. 15

V. 7 „Ich ſage Euch: Alſo wird

auch Freude im Himmel ſeyn über

Einen Sünder, der Buße thut, vor

neun und neunzig Gerechten, die

der Buße nicht bedürfen.

|0303 : 281|

Zur Reſtitution der Minderjährigen.

majoribus subveniatur, id est patribus eorum. Quod

nequaquam fuit Praetori propositum; Praetor enim

minoribus auxilium promisit, non majoribus. Ego autem

verissimam arbitror sententiam existimantium, filium-

familias minorem annis in integrum restitui posse ex

his solis causis, quae ipsius intersint, puta si sit

obligatus. Proinde si jussu patris obligatus sit,

pater utique poterit in solidum conveniri, filius autem,

cum et ipse possit vel in potestate manens conveniri,

vel etiam emancipatus vel exheredatus, in id quod

facere potest, et quidem in potestate manens etiam

invito patre ex condemnatione conveniri, auxilium

impetrare debebit, si ipse conveniatur. Sed an hoc

auxilium patri quoque prosit, ut solet interdum

fidejussori ejus prodesse, videamus; et non puto

profuturum. Si igitur filius conveniatur, postulet

auxilium; si patrem conveniat creditor, auxilium

cessat, excepta mutui datione; in hac (g) enim, si

filius jussu (h) patris mutuam pecuniam accepit,

non adjuvatur. Proinde et (i) si sine jussu patris

contraxit et captus est, siquidem pater de peculio

conveniatur, filius non erit restituendus; si filius

conveniatur, poterit restitui.

(g) Alle alte Ausgaben leſen

hac, welches eine beſſere Con-

ſtruction giebt, als die Florenti-

niſche Leſeart: hanc.

(h) Dieſe Leſeart der Vulgata

iſt offenbar beſſer, als die der Flo-

rentina, welche das Wort filius

wegläßt.

(i) Aus der folgenden Er-

klärung wird ſich ergeben, daß der

Sinn einfacher hervortritt, wenn hier

das et weggelaſſen wird (Note n).

|0304 : 282|

Beilage XVIII.

Alles kommt auf die Erklärung der hier curſiv gedruckten

Worte an. Dieſe enthalten die Ausnahme von einer Regel,

und es fragt ſich, worin beſteht dieſe Ausnahme? welches

iſt die Regel, worauf ſie ſich bezieht?

 

Die Ausnahme ſcheint ausgedrückt in den Worten: non

adjuvatur, die Regel alſo ſcheint nur in einem adjuvatur,

(oder was etwa gleichen Sinn giebt) beſtehen zu können.

Da nun in dem unmittelbar vorhergehenden Satz geſagt

wird: auxilium cessat, welches eben ſo viel ſagt als non

adjuvatur, ſo ſcheint die Ausnahme darauf nicht zu paſſen.

Sie würde aber paſſen auf den entfernteren Satz von dem

verklagten Sohne; denn da es bei dieſem heißt: postulet

auxilium, ſo bildet dagegen das non adjuvatur allerdings

einen Gegenſatz, welcher als Ausnahme der Regel: postulet

auxilium wohl gedacht werden könnte.

 

Durch dieſe Betrachtung ſind ohne Zweifel alle bisherige

Erklärer unſrer Stelle bewogen worden, ſich zu zwei ſehr

bedenklichen Maaßregeln zu entſchließen. Erſtlich haben ſie

ſich hinweg geſetzt über die oben entwickelten allgemeinen

Rechtsgrundſätze, womit das Ergebniß dieſer Erklärung

geradezu in Widerſpruch tritt, und ſie haben ſich über

dieſen Widerſpruch durch die bereits angeführten, etwas

abentheuerlichen Erwägungen beruhigt. Zweitens aber

haben ſie die Ausnahme nicht an die unmittelbar vorher-

gehenden Worte angeſchloſſen, ſondern, mit Ueberſpringung

dieſer Worte, an den früheren, vom Sohne handelnden

Satz; dieſes letzte Verfahren iſt ſehr gezwungen, faſt ge-

 

|0305 : 283|

Zur Reſtitution der Minderjährigen.

waltſam zu nennen. — Wenn es nun gelingen wollte, eine

andere Erklärung zu finden, durch welche dieſe beiden

großen Uebelſtände vermieden werden könnten, ſo dürfte

dieſe Erklärung gewiß vorzuziehen ſeyn. Eine ſolche aber

will ich jetzt verſuchen.

Ich gehe dabei von dem feſten Punkte aus, daß Ul-

pian ganz beſtimmt ſagt, das Gelddarlehen ſey hier allein

ausgenommen, werde alſo von allen anderen Rechtsge-

ſchäften, die etwa der Sohn geſchloſſen haben könnte, ver-

ſchieden behandelt. Wenn man nun nach einem Grunde

fragt, der dieſe ganz eigenthümliche Behandlung des Geld-

darlehens rechtfertigen möchte, ſo iſt kaum ein anderer

denkbar, als die exceptio Sc. Macedoniani, welche bekannt-

lich ſowohl von dem Vater, als von dem Sohne ſelbſt,

gegen jede aus dem Gelddarlehen anzuſtellende Klage

gebraucht werden kann (k), und welche gerade allein auf

das Gelddarlehen, im Gegenſatz aller anderen Rechtsge-

ſchäfte (ſelbſt des Darlehens an anderen Sachen als Geld)

Anwendung findet. Nimmt man aber Dieſes an, ſo muß

der Sinn der Ausnahme nothwendig ein bejahender (ein

adjuvatur), nicht ein verneinender (ein non adjuvatur) ſeyn.

 

Sehen wir zu, wie dieſes, nunmehr als nothwendig

anzuerkennende, Ziel der Erklärung erreicht werden kann.

Es geſchieht am einfachſten durch eine Emendation, die

 

(k) L. 7 § 10, L. 9 § 3 de Sc. Mac. (14. 6), L. 6 pr. C. eod.

(4. 28).

|0306 : 284|

Beilage XVIII.

jedoch nur in der Verſetzung des non an eine andere Stelle

zu beſtehen braucht, alſo gewiß beſcheiden iſt. Der ganze

Satz würde nun ſo lauten:

si patrem conveniat creditor, auxilium cessat, excepta

mutui datione; in hac enim, si filius non jussu patris

mutuam pecuniam accepit, adjuvatur(l).

Für Diejenigen aber, welche etwa ſelbſt vor einer ſo mäßigen

Emendation, als zu gewaltthätig, zurück ſchrecken möchten,

läßt ſich daſſelbe Ziel auch auf dem Wege bloßer Erklärung

erreichen. Man muß nämlich dann zu den Worten: si filius

jussu patris .. accepit ein nur oder nur dann (ein non

nisi) hinzu denken, ſo daß der Satz folgenden Sinn giebt:

denn bei dieſem (dem Gelddarlehen) wird dem Vater

nur dann die ſchützende Einrede (aus dem Senatus-

conſult) verſagt (non adjuvatur), wenn das Darlehen

auf ſeinen Befehl aufgenommen war (m); außer dieſem

Fall des Befehls alſo hat er die Einrede, worin denn

eben die Ausnahme von der Regel: auxilium cessat beſteht.

 

Beide Wege (die Emendation und die zuletzt verſuchte

Erklärung) führen zu demſelben Ziel, nämlich zu folgenden

 

(l) nämlich pater adjuvatur,

da ja pater das noch fortwirken-

de Subject des Hauptſatzes iſt,

welcher mit den Worten si patrem

conveniat anfängt. Natürlich

muß man nun die Regel und die

Ausnahme nicht von der Reſtitu-

tion allein verſtehen, ſondern von

jeder den Beklagten ſchützenden

Rechtshülfe überhaupt. In der

Regel alſo wird dem Vater gar

nicht geholfen, im Fall des Geld-

darlehens wird ihm geholfen;

freilich nicht durch Reſtitution,

ſondern durch die exc. Sc. Mace-

doniani.

(m) Eine ähnliche Erklärung

durch ein hinzugedachtes nur iſt

nöthig bei der L. 57 mand.

(17. 1) ſ. o. § 329 Note n.

|0307 : 285|

Zur Reſtitution der Minderjährigen.

einfachen Sätzen: dem Vater, der aus dem Geſchäft des

Sohnes verklagt wird, iſt überhaupt nicht zu helfen, außer

wenn von einem Gelddarlehen des Sohnes die Rede iſt;

denn gegen die Klage aus dieſem hat der Vater die Ein-

rede aus dem Senatusconſult, vorausgeſetzt, daß das Dar-

lehen nicht auf ſeinen Befehl aufgenommen worden iſt.

Man kann dieſe Sätze, nur mit einer etwas anderen

Wendung, auch ſo ausdrücken: Im Fall eines Geld-

darlehens hat der Vater gegen die actio de peculio die

exc. Sc. Macedoniani, gegen die actio quod jussu hat er

dieſe Einrede nicht. Eine Reſtitution kann er in keinem

Fall verlangen.

Daß nun Ulpian in der That gerade Das ſagen wollte,

welches ihm durch dieſe Erklärung in den Mund gelegt wird,

ergiebt ſich aus den nachher folgenden Worten, worin er den

eben aufgeſtellten Fall noch von einer anderen Seite in

weiterer Betrachtung verfolgt. Der Fall war der eines

vom Vater nicht befohlenen Gelddarlehens; gegen die

Klage aus dieſem ſollte der Vater die exc. Sc. Macedo-

niani haben; Das ſagt der bisher erklärte Theil der Stelle.

Was geſchieht aber in dieſem Falle mit dem Sohne? davon

ſprechen die hier folgende Worte:

Proinde si(n)sine jussu patris(o)contraxit et

 

 

(n) Ich laſſe das et vor si

weg (Note i), weil nicht eine fort-

gehende Anwendung des vorher

ausgeſprochenen Satzes folgt, ſon-

dern etwas Neues.

(o) Dieſe Worte find die ſicht-

bare Wiederholung der vorherge-

henden Worte: si non jussu pa-

tris mutuam pecuniam accepit

nach der von mir vorgeſchlagenen

Emendation, und ſprechen daher

ſehr für dieſe Emendation.

|0308 : 286|

Beilage XVIII.

captus est, siquidem pater de peculio conveniatur,

filius non erit restituendus; si filius conveniatur,

poterit restitui.

Beide hier aufgeſtellte Sätze ſind nicht ganz ohne Be-

denken. Der Sohn ſoll, wenn der Vater verklagt wird,

nicht reſtituirt werden können. Das erklärt ſich zunächſt

daraus, daß der Sohn nicht in Anſpruch genommen iſt.

Aber wie, wenn der Vater die Exception nicht gebrauchen

will, oder wenn er ſie nach den beſonderen Umſtänden des

Falles nicht gebrauchen kann (p)? Nun wird der Vater

zahlen, das Geld aus dem Peculium nehmen, und ſo ver-

liert der Sohn dennoch dieſes Geld. Auf dieſen Einwurf

antwortet Ulpian, das Intereſſe des Sohnes an dem

Peculium als ſolchem ſey ein blos factiſches, kein juriſtiſches,

der Vater habe daran das Eigenthum und könne es alſo

auch ganz willkürlich wegnehmen (q).

 

Auch der zweite Satz hat ſein Bedenken. Der aus

dem Darlehen verklagte Sohn ſoll Reſtitution erhalten;

aber auch er hat ja die Einrede aus dem Senatusconſult,

und da dieſe ſchon mero jure gilt, ſo ſcheint die Reſtitution

überflüſſig und unzuläſſig (§. 321 Note r). Darauf iſt zu

antworten, daß jene Einrede vielleicht ausgeſchloſſen iſt

durch den Irrthum des Gläubigers über das Daſeyn der

 

(p) Wenn etwa der Gläubiger

nicht wußte, daß der Schuldner

in väterlicher Gewalt ſtand. L. 3

pr. L. 19 de Sc. Maced. (14. 6).

(q) „Nec eo movemur, quasi

intersit filii peculium habere;

magis enim patris, quam filii

interest.“

|0309 : 287|

Zur Reſtitution der Minderjährigen.

väterlichen Gewalt (Note p), oder daß dieſer Umſtand

wenigſtens vom Gegner behauptet werden und den Ausgang

des Rechtsſtreits ungewiß machen kann (§. 318 Note d).

Aus ſolchen Gründen kann wohl die Reſtitution Vortheil

gewähren, ja vielleicht ganz unentbehrlich ſeyn, wenn dem

Sohne geholfen werden ſoll. Denn die Minderjährigkeit giebt

ſtets einen Schutz, der ſolchen Einwendungen nicht ausgeſetzt

iſt, und gerade die ſichere Verhütung einer ſolchen Gefahr

eignet ſich entſchieden zur Ertheilung einer Reſtitution (S. 121).

Die zweite Stelle, woraus bewieſen werden ſoll, daß

der Minderjährige keine Reſtitution erhalte gegen ein Geld-

darlehen, wenn ſein Vater dazu Befehl gegeben habe, iſt

ein Reſcript von Gordian.

 

L. 1 (al. 2) C. de fil. fam. minore (2. 23).

 

„Si frater tuus, cum mutuam pecuniam acciperet, in

patris fuit potestate, nec jussu ejus, nec contra

Senatusconsultum contractum est, propter lubricum

aetatis adversus eam cautionem in integrum restitu-

tionem potuit postulare“.

 

Die Belehrung des Kaiſers geht dahin, daß der minder-

jährige Schuldner gegen das Gelddarlehen unter zwei

Vorausſetzungen Reſtitution erhalten könne:

 

1. Wenn das Darlehen nicht auf Befehl des Vaters auf-

genommen ſey,

2. wenn daſſelbe nicht unter das Verbot des Senatus-

conſults falle.

|0310 : 288|

Beilage XVIII.

Ich betrachte die zweite Vorausſetzung zuerſt, die mit

der ſo eben angeſtellten Unterſuchung zuſammentrifft. Iſt

nach der übereinſtimmenden Erklärung der Parteien ſchon

das Senatusconſult anwendbar, ſo bedarf es der Reſtitution

nicht, und ſie wird daher nicht gegeben. Iſt es entſchieden

nicht anwendbar (weil der Gläubiger die väterliche Gewalt

ſicher nicht kannte), oder iſt dieſer Umſtand wenigſtens

zweifelhaft und beſtritten, dann kann die Reſtitution ein-

treten.

 

Die erſte Vorausſetzung ſcheint folgenden Sinn zu

haben. Wenn der Vater keinen Befehl zum Darlehen ge-

geben hat, ſo bekommt der Sohn Reſtitution (das ſagt

die Stelle ausdrücklich); wenn er Befehl gegeben hat, ſo

bekommt der Sohn keine Reſtitution (das ſcheint indirect

angedeutet).

 

Dieſe indirecte Andeutung ſcheint alſo eine Beſtätigung

der Ausnahme zu enthalten, worauf ſich die gegenwärtige

Unterſuchung bezieht, alſo eine Beſtätigung der oben erklärten

Stelle des Ulpian nach der gewöhnlichen Auffaſſung der-

ſelben. Unſtreitig war es die ſcheinbare Uebereinſtimmung

dieſer beiden von einander unabhängigen Stellen, welche

der gewöhnlichen Behauptung einer Ausnahme für den Fall

eines vom Vater befohlenen Gelddarlehens ſolche Kraft

verlieh, daß dagegen auch nicht einmal ein Zweifel verſucht

wurde.

 

Die eben erklärte, in jener erſten Vorausſetzung liegende

indirecte Andeutung iſt nun das gewöhnlich ſogenannte

 

|0311 : 289|

Zur Reſtitution der Minderjährigen.

argumentum a contrario. Daſſelbe beſteht darin, daß aus

einer bedingungsweiſe aufgeſtellten Regel geſchloſſen werden

ſoll, das Gegentheil dieſer Regel müſſe gelten, ſobald der

logiſche Gegenſatz (die reine Verneinung) der aufgeſtellten

Bedingung vorhanden ſey. Dieſe Auslegungsweiſe, die am

rechten Orte angewendet ihre relative Wahrheit hat, iſt

nirgend bedenklicher, als bei den Reſcripten im Codex. Denn

hier hat die bedingte Faſſung eines Ausſpruchs ſehr oft gar

nicht den Sinn, daß der Ausſpruch eben nur unter der

beigefügten Bedingung wahr ſeyn ſoll, ſondern vielmehr nur

den Sinn einer kurzen Wiederholung der in der Anfrage

an den Kaiſer enthaltenen Thatſachen (s). In der hier

vorliegenden Stelle alſo ſind die zwei ſcheinbaren Be-

dingungen der für zuläſſig erklärten Reſtitution etwa ſo zu

verſtehen:

Wenn es wahr iſt, wie Du anführſt, daß der Vater

zu dem aufgenommenen Gelddarlehen keinen Befehl

gegeben hat, und daß auch nicht eine Verletzung des

Senatusconſults jede Reſtitution überflüſſig macht, ſo

iſt die Reſtitution wohlbegründet.

Die Erwähnung des nicht vorhandenen väterlichen Be-

fehls in der Anfrage, ſo wie in der Wiederholung durch das

Reſcript, hat nun nicht den Sinn, daß die Reſtitution

ſchlechthin ausgeſchloſſen wäre im Fall eines väterlichen

Befehls (wie man die Stelle gewöhnlich auslegt), ſondern

 

(s) Vgl. oben B. 1 § 41 am Ende des §.

VII. 19

|0312 : 290|

Beilage XVIII.

vielmehr, daß, wenn ein ſolcher Befehl nicht vorhanden iſt,

die Reſtitution um ſo ſicherer zuläſſig ſeyn wird, weil das

Daſeyn eines ſolchen Befehls gewiß in den meiſten Fällen

ein Kennzeichen ſeyn wird, daß eine Läſion nicht vor-

handen, alſo auch eine Reſtitution nicht begründet iſt.

Was hier über die Auslegung der Reſcripte im Codex

geſagt iſt, hängt alſo damit zuſammen, daß ſolche Reſcripte

nicht dazu beſtimmt waren, allgemeine, ſcharf begränzte

Grundſätze aufzuſtellen (wie es bei den theoretiſchen Schriften

der alten Juriſten, ſo wie bei den eigentlichen Geſetzen im

Codex, der Fall iſt), ſondern vielmehr Belehrung zu geben

über die concrete Natur einzelner zur Beurtheilung vorge-

legter Rechtsfälle.

 

So iſt alſo auch dieſes Reſcript des Gordian nicht

dazu geeignet, die angebliche Ausnahme für den Fall des

Gelddarlehens zu rechtfertigen.

 

Ich faſſe die vorſtehende Ausführung in folgender kurzen

Ueberſicht zuſammen. Minderjährige erhalten Reſtitution

gegen ihre Rechtsgeſchäfte auch wenn ſie in väterlicher Ge-

walt ſtehen, und ſelbſt wenn der Vater in das Geſchäft

eingewilligt oder dazu Befehl gegeben hat. Dieſe Regel

wird auch von keiner Seite bezweifelt.

 

Es wird aber ſehr allgemein eine Ausnahme von dieſer

Regel für den Fall behauptet, wenn das Geſchäft in der

Aufnahme eines Geld-Darlehens beſteht. Für dieſen Fall

 

|0313 : 291|

Zur Reſtitution der Minderjährigen.

ſoll durch den väterlichen Befehl die Reſtitution des

Sohnes gänzlich ausgeſchloſſen ſeyn.

Dieſe Ausnahme läßt ſich jedoch nach allgemeinen

Rechtsgrundſätzen durchaus nicht rechtfertigen.

 

Sie ſoll begründet werden durch eine Stelle des Ulpian,

und durch ein Reſcript des K. Gordian. Die richtige

Auslegung beider Stellen beſtätigt aber dieſe Behauptung

nicht.

 

Demnach iſt die Behauptung jener Ausnahme durchaus

zu verwerfen.

 

 

19*

|0314 : [292]|

Beilage XIX.

L. 57 Mandati (17. 1).

(Zu §. 329 Note n).

In der Stelle, die hier erklärt werden ſoll, iſt faſt Alles

Gegenſtand von Zweifeln und Streitigkeiten geworden: der

Text, die Bildung des Rechtsfalles der entſchieden werden

ſoll, die Perſonen von welchen die Rede iſt, die Ent-

ſcheidung ſelbſt.

 

Der Fall ſtellt ſich dem erſten, unbefangenen Blick in

folgender Weiſe dar. Ein Sklavenhändler (venaliciarius)

reiſt in eine Provinz, ohne Zweifel, um neue Sklaven einzu-

kaufen. Die in Rom vorräthigen Sklaven zu verkaufen, giebt

er Auftrag an einen Mann, der ihm als zuverläſſig perſönlich

bekannt iſt (certi hominis fidem elegit). Bald nach ſeiner

Abreiſe ſtirbt dieſer Mann, und deſſen Erben, unbekannt

mit den Regeln des Mandats, bilden ſich ein, der Auftrag

ſey auf ſie übergegangen; ſie verkaufen die Sklaven, und

zwar (wie der Erfolg zeigt) unter nachtheiligen Bedin-

gungen. Die Käufer beſitzen die Sklaven über ein Jahr.

Der Sklavenhändler, von der Reiſe zurückkehrend, und

unzufrieden mit dem Verkauf, will gegen die Käufer mit

 

|0315 : 293|

Beilage XIX. L. 57 mandati (17. 1).

der Publiciana klagen, fürchtet aber die exceptio dominii

wegen der Uſucapion der Käufer, und es wird bei Papi-

nian angefragt, wer wohl Ausſicht auf Erfolg habe, der

Kläger oder die Beklagten? Das Reſponſum auf dieſe Frage

nahm der Juriſt in ſeine Sammlung auf, und daraus iſt

daſſelbe in die Digeſten übergegangen.

Aber gerade in der Antwort auf die vorgelegte Frage

iſt der Sitz der Schwierigkeit, denn eben hier finden ſich

zwei Leſearten von ganz entgegengeſetztem Sinn. Die

erſte lautet ſo:

Sed venaliciarium ex provincia reversum Publiciana

actione non utiliter acturum.

 

Dieſes iſt die Leſeart der Florentina und der Vulgata.

Haloander lieſt: inutiliter, welches ganz denſelben Sinn

giebt, und wobei es dahin geſtellt bleiben mag, ob er es

in einer Handſchrift vorfand, oder nur des beſſeren Klanges

wegen aufnahm. Nach dieſer erſten Leſeart ſollen die Be-

klagten Recht behalten. Die zweite Leſeart iſt folgende:

Sed venaliciarium .... Publiciana actione non

inutiliter acturum.

 

Dieſe findet ſich in der Ausgabe des Vintimillius:

Paris. 1548. 8, aus einer Handſchrift des Ranconnetus.

Ferner in der Ausgabe des Charondas, Antverp. 1575

fol., aus einer Handſchrift des Herausgebers. Ferner ſagt

Auguſtinus (a): „et sunt qui scribant, non inutiliter

 

(a) Augustini emend. Lib. 1 C. 3.

|0316 : 294|

Beilage XIX.

acturum.“ Woher er Dieſes hat, ſagt er nicht; das angeführte

Buch iſt zuerſt 1543 gedruckt, alſo älter, als die angeführten

Ausgaben, worin handſchriftliche Texte angegeben werden.

Auch die Baſiliken beſtätigen dieſe Leſeart (b). Cujacius

ſchlägt als Conjectur vor: utiliter, welches dem Sinn nach

nicht verſchieden iſt von non inutiliter, dem Ausdruck nach

ſchlechter, wie ſich weiter unten zeigen wird. Nach dieſer

zweiten Leſeart ſoll der Kläger Recht behalten.

Alſo an handſchriftlicher Beglaubigung fehlt es für

beide Leſearten nicht, und wir haben zunächſt nach dem

inneren Zuſammenhang der Stelle zu prüfen, welche den

Vorzug verdiene.

 

Sieht man die Stelle obenhin an, ſo ſpricht ein ober-

flächlicher Schein für die erſte Leſeart. Denn es heißt in

den unmittelbar folgenden Worten: cum exceptio justi

dominii .. detur. Alſo: datur exceptio, die Exception

wird vom Prätor gegeben, ſie iſt alſo wirklich begründet,

alſo muß der Kläger abgewieſen werden.

 

Allein bei genauerer Betrachtung ergeben ſich ſogleich

folgende ganz entſcheidende Gründe gegen dieſe Erklärung.

 

Zuerſt die adverſative Partikel Sed im Anfang des

Satzes. Dann wenn die Beklagten durch die Exception

gewinnen, ſo iſt Dieſes eine unmittelbare Folge der vorher

erwähnten Uſucapion, kann alſo unmöglich als Gegenſatz

ansgedrückt werden, wie es doch in dem Sed augenſcheinlich

 

(b) Basil. ed. Fabrot. T. 2 p. 161 “καλῶς.“

|0317 : 295|

L. 57 mandati (17. 1).

geſchieht. Allerdings lieſt nun Haloander Et anſtatt Sed,

und dadurch verſchwindet dieſer Einwurf. Allein ſeine

Leſeart ſteht ſo vereinzelt, daß wir wohl unbedenklich an-

nehmen können, ſie ſey nicht aus einer Handſchrift ge-

nommen, ſondern eben nur erfunden, um dieſem Einwurf

zu begegnen.

Ferner ſpricht dagegen der in dem letzten Satz (neque

oporteat etc.) enthaltene, von der bloßen Billigkeit herge-

nommene Grund. Wenn die Beklagten gewinnen ſollen

durch die Berufung auf das ſtrenge Recht, das justum

dominium, ſo wäre es ja ſehr unlogiſch, deſſen Schutz durch

die an ſich ſchwächere Stütze der Billigkeit befeſtigen zu

wollen.

 

Dann ſpricht dagegen das causa cognita, welches nun

vollkommen müßig daſteht, wie es ſich am deutlichſten aus

der richtigen Erklärung dieſer ſehr bedeutſamen Worte er-

geben wird.

 

Endlich aber, und welches die Hauptſache iſt, muß man

bei dieſer Erklärung völlig vergeſſen, daß von ſehr alter

Zeit her der Prätor eine Reſtitution angekündigt hatte zum

Beſten der Abweſenden, und zwar gerade, um ihnen zu

helfen, wenn ſie in Folge ihrer Abweſenheit Eigenthum

durch Uſucapion verlieren ſollten. An dieſe Reſtitution

müßte Papinian gar nicht gedacht haben, ſonſt hätte er

auf entgegengeſetzte Weiſe entſchieden, oder doch mindeſtens

nöthig gefunden zu erklären, warum ſie im vorliegenden

Fall nicht angewendet werden ſollte.

 

|0318 : 296|

Beilage XIX.

Das Gewicht dieſer Gründe iſt denn auch ſchon vor

vielen Jahrhunderten anerkannt worden. Um dieſen Ein-

wendungen zu entgehen, und dennoch die Leſeart non

utiliter aufrecht zu halten, da man lange Zeit hindurch

keine andere kannte, iſt der Verſuch ſchon in der Gloſſe

gemacht, und von anderen Schriftſtellern in ganz ver-

ſchiedenen Zeiten aufgenommen und vertheidigt worden (c),

den Rechtsfall ſelbſt, auf welchen ſich Frage und Antwort

in der Stelle beziehen ſollen, in einer ganz anderen, und

zwar ſehr künſtlichen und verwickelten Weiſe auszubilden.

 

Ein Eigenthümer von Sklaven giebt Auftrag, dieſe zu

verkaufen, der Beauftragte ſtirbt, und die Erben deſſelben

verkaufen die Sklaven, nicht in unredlicher Abſicht, ſondern

weil ſie irrigerweiſe glauben, der Auftrag ſey auf ſie über-

gegangen. — Soweit iſt es faſt derſelbe Fall, wie der

oben dargeſtellte.

 

Nun aber ſollen ſich die Schickſale der Käufer getrennt

haben. Die meiſten derſelben haben (nach dieſer Erklärung) die

ihnen durch den Kauf zugefallenen Sklaven Ein Jahr lang be-

ſeſſen und dadurch uſucapirt. Dadurch bekommen ſie volles,

unanfechtbares Eigenthum, das ſie behaupten können, ſie mögen

nun im Beſitze bleiben oder nicht. Der vorige Eigenthümer

hat es ſich ſelbſt zuzuſchreiben, daß er nicht aufmerkſamer

war, und nicht gegen ſie geklagt hat vor Vollendung der

 

(c) Vgl. J. Gothofredus im Thesaurus des Otto T. 3 p. 293,

und Püttmann probabilia p. 1.

|0319 : 297|

L. 57 mandati (17. 1).

Uſucapion. Auf eine Reſtitution hat er keinen Anſpruch,

denn er war gar nicht abweſend geweſen. Von dieſen

meiſten Käufern iſt nun nicht weiter die Rede; ihre Sache

iſt abgethan mit den Worten: eos ab emtoribus (d. h. von

dem größten Theil der Käufer) usucaptos videri placuit.

Nur Einer dieſer Käufer, ein Sklavenhändler, hatte ein

beſonderes Schickſal, abweichend von dem ſeiner Mitkäufer.

Er war vor dem Ablauf ſeiner Uſucapionszeit nach einer

Provinz gereiſt, und in ſeiner Abweſenheit war der auf

ihn gefallene Theil der erkauften Sklaven wieder in den

Beſitz des alten Eigenthümers zurückgekehrt, der alſo dadurch

die Uſucapion unterbrochen hatte. Der Sklavenhändler

wollte nach der Rückkehr gegen den alten Eigenthümer mit

der Publiciana klagen, und darüber wurde Papinian be-

fragt. Er antwortete, der Kläger müſſe abgewieſen werden,

weil der Beklagte noch wahrer Eigenthümer ſey, alſo die

exceptio dominii für ſich geltend machen könne.

 

In dieſer Erklärung wird nun eine umſtändliche Ge-

ſchichte erdichtet, ohne daß die Stelle auch nur die ent-

fernteſte Hindeutung darauf enthielte. Alle Ausdrücke der

Stelle deuten vielmehr gerade auf das Gegentheil der hier

vorausgeſetzten Thatſachen. Denn unter den emtores wird

doch gewiß jeder unbefangene Leſer alle Käufer verſtehen,

nicht blos die meiſten; und unter dem den Käufern (durch

Sed) entgegengeſetzten venaliciarius eher alles Andere, als

einen Collegen eben dieſer Käufer. — Ferner bleiben die

wichtigſten Bedenken beſtehen, welche oben gegen eine

 

|0320 : 298|

Beilage XIX.

andere Erklärung erhoben worden ſind: daß die Worte causa

cognita völlig müßig ſind, und daß eine auf das ſtrenge

Recht (das justum dominium) gegründete Entſcheidung

unmöglich durch einen Grund der Billigkeit unterſtützt werden

konnte, der keinen Halt hatte, wenn der alte Eigenthümer

nicht auch verreiſt war, und der unter dieſer Vorausſetzung

gerade auf das Verhältniß der übrigen Käufer anwend-

bar geweſen wäre, und dabei eine ganz entgegengeſetzte

Entſcheidung hätte herbeiführen müſſen. — Endlich aber

ſind die Reſultate, die der Stelle nach dieſer Erklärung

zugeſchrieben werden müſſen, ſo trivial, ſie verſtehen ſich

ſo von ſelbſt, daß man kaum begreift, wie über einen ſo

beſchaffenen Rechtsfall ein Reſponſum von Papinian

hätte begehrt, ſpäter in deſſen Sammlung aufgenommen,

und zuletzt ſogar in die Digeſten geſetzt werden ſollen.

Die völlige Unhaltbarkeit der beiden bisher dargeſtellten

Erklärungen führt faſt nothwendig auf die Annahme der

zweiten Leſeart (non inutiliter), der es an handſchriftlicher

Beglaubigung nicht fehlt, und es kommt nur darauf an,

unter Vorausſetzung dieſes Textes eine mit dem inneren

Zuſammenhang der Stelle, ſo wie mit allgemeineren Rechts-

regeln, übereinſtimmende Erklärung zu verſuchen.

 

Das eigentliche Hinderniß einer richtigen Auffaſſung

liegt an einem Orte, wo man es auf den erſten Blick kaum

erwarten ſollte, in den Worten: cum exceptio justi domi-

nii … detur, welche einen Doppelſinn mit ſich führen,

indem ſie ſowohl auf concrete, als auf abſtracte Weiſe ge-

 

|0321 : 299|

L. 57 mandati (17. 1).

deutet werden können. Sie können nämlich erſtens ſagen,

in dem vorliegenden Fall werde die Exception gegeben, ſey

ſie begründet, der Kläger müſſe daher abgewieſen werden:

dann ſind dieſe Worte der Grund der Entſcheidung, und

ſetzen die Leſeart non utiliter nothwendig voraus. Sie

können aber auch zweitens (und das iſt das Richtige) eine

allgemeine Betrachtung enthalten über die Behandlung jener

Exception überhaupt: dann ſind ſie nicht Grund der Ent-

ſcheidung, ſondern Widerlegung eines Einwurfs, und ſetzen

die Leſeart non inutiliter voraus. Der Sinn dieſes Haupt-

theils der Stelle läßt ſich hiernach in folgender Umſchreibung

darſtellen:

Zwar haben die Käufer in der That die Sklaven

uſucapirt. Dennoch (Sed) wird der alte Eigenthümer

(der venaliciarius) die Sklaven nicht ohne Erfolg (non

inutiliter) mit der Publiciana einklagen. Man könnte

zwar glauben, daß ihm die exceptio justi dominii der

Käufer, eben wegen ihrer Uſucapion, im Wege ſtände;

allein man muß erwägen, daß dieſe Exception im Allge-

meinen nicht jedem Eigenthümer unbedingt, ſondern

nur causa cognita (d) ertheilt wird. Im vorliegenden

Fall aber führt die causae cognitio darauf, den Be-

 

(d) Es muß alſo zu den Worten

causa cognita ein nonnisi hin-

zugedacht werden, wodurch allein

ſie gegen den Vorwurf eines völlig

müſſigen Daſeyns geſchützt werden

können. Eine ähnliche Erklärung

iſt oben bei einer andern Stelle

verſucht worden, Beilage XVIII.

Note m.

|0322 : 300|

Beilage XIX.

klagten die Exception abzuſchlagen aus einer Rückſicht

der Billigkeit (neque oporteat etc.).

Die Gründe, die oben als Einwendungen gegen die

vorhergehenden Erklärungen aufgeſtellt wurden, verwandeln

ſich jetzt in Beſtätigungen der hier verſuchten. Der durch

sed ausgedrückte Gegenſatz iſt wirklich vorhanden, die

Worte causa cognita ſind nicht müßig, ſondern ganz unent-

behrlich, und der am Schluß aufgeſtellte Grund der Billig-

keit iſt in der That entſcheidend für die ganze Sache. Der

innere Zuſammenhang der Stelle iſt völlig befriedigend,

und Alles ſteht in Einklang mit ſonſt bekannten Rechts-

regeln. Endlich beſtätigt ſich die Wahl der Leſeart, worauf

dieſe Erklärung beruht, auch dadurch als richtig, daß ſich

aus ihr die Entſtehung der anderen, nun als irrig anzu-

ſehenden Leſeart, ungezwungen und befriedigend erklärt (e).

In irgend einer ſehr frühen Zeit ließ ſich nämlich ein Ab-

ſchreiber durch den in den Worten: cum exceptio .. detur

liegenden falſchen Schein täuſchen, und verwandelte das

vorgefundene richtige inutiliter in das irrige utiliter, welches

dann in die meiſten Handſchriften übergegangen iſt.

 

Es bleibt nun noch übrig, die einzelnen Sätze beſonders

zu erklären, wobei in Erinnerung gebracht werden muß,

daß uns in dieſer ganzen Stelle Papinian ein von ihm

früher ertheiltes Reſponſum, mit deſſen Gründen, in kurzem

Auszuge mittheilen will.

 

(e) Ueber dieſe Probe der Richtigkeit eines aus mehreren auszu-

wählenden Textes vgl. B. 1 S. 250. 251.

|0323 : 301|

L. 57 mandati (17. 1).

Mandatum distrahendorum servorum, defuncto qui

mandatum suscepit, intercidisse constitit.

 

„Das mußte vor Allem als keinem Zweifel unterworfen

anerkannt werden (constitit), daß der Auftrag mit dem

Tode des Bevollmächtigten erloſchen war, ſo daß die Erben

durch den Verkauf, den ſie irrigerweiſe vornahmen, den

Käufern keine Rechte unmittelbar übertragen konnten.“

Quoniam tamen heredes ejus errore lapsi, non animo

furandi, sed exequendi quod defunctus suae curae

fecerat, servos vendiderant, eos ab emtoribus usu-

captos videri placuit.

 

„Es kann daher nur noch die Frage ſeyn, ob etwa die

Käufer (die Ein Jahr lang beſaßen) durch Uſucapion

Eigenthum der Sklaven erworben haben. Auch dieſes hätte

verneint werden müſſen, wenn die Erben die Sklaven ver-

kauft hätten, um das Geld für ſich zu behalten; das wäre

ein Diebſtahl geweſen, und die Sklaven hätten als res

furtivae nicht uſucapirt werden können. Da aber die Erben

nicht dieſe unredliche Abſicht hatten, ſondern die ehrliche,

nur auf Rechtsunkunde beruhende Abſicht, den Auftrag zu

vollziehen, der ihrem Erblaſſer gegeben war (f), ſo mußte

das Gutachten dahin ertheilt werden (g), daß die Käufer

allerdings uſucapirt hatten.“

 

(f) Dieſer ganze Satz enthält

alſo nicht, wie man nach den An-

fangsworten (quoniam tamen)

glauben könnte, den poſitiven Grund

der Uſucapion (denn dieſer liegt

in der justa causa), ſondern die

Widerlegung eines nahe liegenden

Einwurfs.

(g) „placuit,“ abſichtlich ge-

wählt, weil zuvor die Beſeitigung

|0324 : 302|

Beilage XIX.

Sed venaliciarium ex provincia reversum(h)Publi-

ciana actione non inutiliter acturum, cum exceptio

justi dominii causa cognita detur,

 

(Dieſer Haupttheil der Stelle iſt ſchon oben umſchreibend

erklärt worden.)

neque oporteat eum, qui certi hominis fidem elegit,

ob errorem aut imperitiam heredum affiei damno.

 

„Im vorliegenden Fall aber führt die causae cognitio dahin,

daß der Kläger wegen ſeiner Abweſenheit Reſtitution gegen

die Uſucapion der Beklagten erhalten muß, wodurch die

Exception entkräftet wird, alſo abgeſchlagen werden muß.

Der einzige Grund gegen eine ſolche Reſtitution hätte etwa

darin geſetzt werden können, daß der Kläger durch Nach-

läſſigkeit ſeinen Verluſt ſelbſt verſchuldet hätte, folglich keine

Reſtitution verdiene (i); dieſer Grund aber fällt hier gewiß

eines Zweifels nöthig gefunden

war, im Gegenſatz des vorherge-

henden constitit bei einem Satze,

der zu gar keinem Zweifel Anlaß

gegeben hatte. In vielen anderen

Stellen wird placuit gebraucht,

um einen Satz zu bezeichnen, der

erſt allmälig Eingang und Aner-

kennung gefunden hatte, z. B. in

Folge von Controverſen. Von

dieſem rechtshiſtoriſchen Verhältniß

iſt hier nicht die Rede.

(h) Dieſer venaliciarius wird

uns hier ganz unerwartet als ein

alter Bekannter vorgeführt. Es

iſt offenbar das Natürlichſte, ihn

für den alten Eigenthümer (den

Mandanten) anzuſehen. Denn der

Mandatar iſt todt, und die Käufer

werden ſchon durch ihren Pluralis

von dem ſingulären venaliciarius

unterſchieden, alſo bleibt nur noch

der Mandant übrig, wenn man

nicht eine beſondere Geſchichte

hinzu dichten will, ſo wie es in

der vorhergehenden Erklärung ver-

ſucht worden iſt.

(i) Vgl. L. 26 § 1 ex quib.

caus. (4. 6), und oben § 327

Noten e. m. — Durch dieſen Theil

der Stelle iſt die Reſtitution wegen

Abweſenheit auf unverkennbare

Weiſe bezeichnet, wiewohl der Aus-

druck in integrum restitutio darin

nicht vorkommt. Es wäre aber irrig,

anzunehmen daß die causae cognitio

|0325 : 303|

L. 57 mandati (17. 1).

weg, da derſelbe weder den nahen Tod ſeines Bevoll-

mächtigten, noch die Rechtsunkunde der Erben deſſelben,

vorherſehen konnte.“

Ich bin weit entfernt, mir die Erfindung dieſer Aus-

legung unſrer Stelle, die ich für ganz unzweifelhaft halte,

zuzuſchreiben; das Weſentliche derſelben iſt ſchon von

Cujacius aufgeſtellt, und dann von mehreren Schrift-

ſtellern angenommen worden (k). Dennoch habe ich dieſe

neue Darſtellung derſelben nicht für überflüſſig gehalten.

Zunächſt und gerade an dieſem Orte, wegen des Zuſammen-

hangs dieſer wichtigen und lehrreichen Stelle mit der Lehre

von der Reſtitution; dann, weil auch noch von manchen

neueren Schriftſtellern die alten Irrthümer nicht völlig auf-

gegeben ſind (Note a); endlich aber, und hauptſächlich,

weil ſich auch ſelbſt bei den beſten unter den angeführten

Schriftſtellern, an die im Ganzen richtige Auffaſſung der

Stelle doch wieder Irrthümer und Zweifel angeſetzt haben,

deren Beſeitigung erheblich genug ſeyn dürfte, um die

 

überhaupt nur im Fall einer Re-

ſtitution dahin führen könne, die

exceptio dominii einem Beklagten

zu verſagen; auch ſchon die doli

replicatio konnte in anderen Fällen

zu dieſem Erfolg führen. Vgl.

L. 4 § 32 de doli exc. (44. 4),

L. 2 de exc. r. vend. (21. 3).

(k) Cujacius obs. X. 6, und:

in Papiniani respons. Lib. 10

(opp. T. 4). — Zoannettus bei

Otto thes. IV. p. 659. —

Reinold opusc. p. 243. —

Cocceji jus controv. XVII. 1

am Ende des Titels.

|0326 : 304|

Beilage XIX.

gegenwärtige Abhandlung zu rechtfertigen. Dieſe falſche

Anſichten ſtehen insgeſammt in Verbindung mit der Lehre

von der Publicianiſchen Klage.

Man muß zunächſt fragen, warum hier der vorige

Eigenthümer überhaupt die Publicianiſche Klage anſtellt

nach der Angabe des Papinian, warum nicht die wahre

Eigenthumsklage, die er ja durch Reſtitution wieder erlangen

kann?

 

Viele werden darauf antworten, weil gerade für den

Fall einer ſolchen Reſtitution eine beſondere Klage aufge-

ſtellt iſt, genannt publiciana actio, verſchieden von der

gleichnamigen Klage des b. f. possessor, aber auf ähn-

lichen Gründen der Billigkeit beruhend. — Dieſe irrige

Meinung iſt ſchon oben (§. 329) ausführlich widerlegt

worden; es giebt nur Eine publiciana actio, die des

b. f. possessor, von welcher der zweite Titel im ſechsten

Buch der Digeſten handelt, und von dieſer muß daher auch

in unſrer Stelle die Rede ſeyn.

 

Eine befriedigende Antwort würde aus der einfachen

und natürlichen Vorausſetzung hervorgehen, daß wohl der

Sklavenhändler, der hier als Kläger auftreten will, die

Sklaven in der Provinz, von Peregrinen, gekauft, und zu

der Zeit, in welcher er den Beſitz durch den Verkauf der

Erben verlor, noch nicht ein volles Jahr beſeſſen hatte.

Dann hatte er noch niemals wahres Eigenthum gehabt,

und es konnte ihm auch nicht durch Reſtitution eine Eigen-

thumsklage wieder verſchafft werden. Dann hatte er über-

 

|0327 : 305|

L. 57 mandati (17. 1).

haupt kein anderes Recht, als die b. f. possessio, keine

andere Klage, als die Publiciana. Dieſe Vorausſetzung

hat durchaus Nichts gegen ſich.

Aber nothwendig iſt dieſe Vorausſetzung nicht. Es iſt

möglich, daß der Beſitz des Klägers durch vollendete Uſu-

capion bereits in wahres Eigenthum übergegangen war;

dadurch war ihm ſein bisheriges Recht aus der b. f.

possessio nicht verloren, und er hatte nun die Wahl, die

Publiciana anzuſtellen oder die Eigenthumsklage, ſo wie er

die eine oder die andere für ſicherer hielt. Gerade dieſe

Wahl aber wird von manchen Seiten bezweifelt. Man

beruft ſich auf die Worte des Edicts, und ſucht aus den-

ſelben, nach der Erklärung des Ulpian, zu beweiſen, daß

von der vollendeten Uſucapion an die Publiciana nicht

mehr zuläſſig geweſen ſey (l). Man darf aber dieſe Worte

nicht zu beſchränkt auffaſſen. Der Prätor wollte nur nichts

völlig Ueberflüſſiges thun, nicht über das wirkliche Bedürf-

niß hinaus gehen. Wenn alſo beide Theile über das durch

vollendete Uſucapion erworbene wahre Eigenthum einver-

ſtanden waren, und nur etwa über Exceptionen ſtritten,

ſo war allerdings die Publiciana überflüſſig, und der

Kläger, der ſie dennoch ohne Grund gebrauchen wollte,

mag dann auf die Eigenthumsklage verwieſen worden ſeyn;

 

(l) L. 1 pr. § 1 de publ.

„Ait Praetor: Si quis id, quod

traditur … nondum usucap-

tum petet. — Merito Praetor

ait: nondum usucaptum; nam

si usucaptum est, habet civilem

actionem, nec desiderat hono-

rariam.“

VII. 20

|0328 : 306|

Beilage XIX.

das läßt ſich aus jenen Worten folgern. Aber ſehr häufig

wird gerade die Frage beſtritten ſeyn, ob die Uſucapion in

der That vollendet, oder irgend einmal durch verlornen

Beſitz unterbrochen worden iſt. War dieſe Frage nun be-

ſtritten, oder hielt es auch nur der Kläger für möglich,

daß ſie vor dem Judex beſtritten werden könnte, ſo war ja

kein Grund denkbar, weshalb ihm der Prätor die ſichere

Publiciana hätte verweigern, und die weniger ſichere Eigen-

thumsklage aufdringen ſollen. — Alſo iſt es in unſrem

Fall auch wohl möglich, daß der Kläger die Sklaven ſchon

längere Zeit beſeſſen hatte, und es dennoch der Sicherheit

wegen vorzog, vielmehr die Publiciana, als die Eigenthums-

klage anzuſtellen.

Hieran aber knüpft ſich noch ein Irrthum des Cujacius,

der weit bedenklicher iſt, indem er mehr in das Weſen der

Sache eingreift. Er glaubt nämlich, der Anſpruch auf Re-

ſtitution wegen Abweſenheit ſey nur zuzulaſſen in dem

Fall, wie ihn unſre Stelle wörtlich vorausſetze, wenn

nämlich ein b. f. possessor vor vollendeter Uſucapion den

Beſitz verliere, und der neue Beſitzer die Uſucapion

anfange und vollende. Denn nun ſey Alles abzuthun da-

durch, daß der Kläger, deſſen publiciana actio an ſich nicht

durch des Gegners Uſucapion vernichtet wurde, gegen die

exceptio dominii des Beklagten Reſtitution ſuche, die er

auch wirklich erhalte. Wenn dagegen der Erſte ſeine Uſu-

capion vor der Abweſenheit ſchon vollendet habe, ſo ſey

ihm gegen die ſpätere Uſucapion des Andern durchaus nicht

 

|0329 : 307|

L. 57 mandati (17. 1).

mehr zu helfen. Denn nun ſey jenem Erſten ſein Recht

ſelbſt durch die ſpätere Uſucapion zerſtört worden, alſo auch

alle Klage überhaupt, folglich ſey gar nicht mehr die Ge-

legenheit vorhanden, eine Reſtitution anzubringen. Dieſer

Irrthum würde faſt unglaublich ſeyn, ſelbſt wenn ausdrück-

liche Erklärungen über dieſe Frage in den Rechtsquellen

nicht vorhanden wären. Denn wenn überhaupt der Prätor

eine Reſtitution wegen Abweſenheit billig und nöthig fand,

ſo iſt ſchon voraus zu erwarten, daß er ſolche Unterſchiede

der bloßen Form des Rechts, wie ſie hier berückſichtigt

werden, nicht unüberwindlich gefunden haben möge. In

der That aber iſt das Edict über die Abweſenden ſo deutlich

als möglich (§ 325). Es ſtellt an die Spitze den Fall

einer Verminderung des vorhandenen Vermögens (Si cujus

quid de bonis deminutum erit), und dahin gehört doch

gewiß vorzugsweiſe der Verluſt des Eigenthums durch Uſu-

capion; für dieſen und andere Fälle ſagt es nun: earum

rerum actionem in integrum restituam. Es ſoll alſo Dem,

der ſein Eigenthum verloren hat, dadurch geholfen werden,

daß ihm die aus dieſem Recht entſpringende, jetzt wirklich

verlorene, Klage wiederhergeſtellt wird. Anſchließend

an dieſen völlig unzweifelhaften Ausſpruch des Edicts iſt

denn auch ſchon oben nachgewieſen worden, daß dem Ab-

weſenden, der durch Uſucapion einen Verluſt erlitten hat,

in zwei verſchiedenen Formen, wie er es gut finden mag,

geholfen werden kann: Erſtlich, wenn er die Publiciana

anſtellen will, durch Reſtitution gegen die exceptio dominii

|0330 : 308|

Beilage XIX.

des Beklagten; zweitens, wenn er die Eigenthumsklage

vorzieht, durch Reſtitution dieſer, an ſich verlorenen, Klage

ſelbſt (§ 329. p). Beiden Formen liegt zum Grunde ein

und daſſelbe Mittel: die Reſciſſion des Eigenthums, welches

ein Anderer durch Uſucapion wirklich erworben hat.

Endlich iſt noch folgender Zweifel zu erwähnen. Wenn

der Sklavenhändler gegen die Käufer mit der Publiciana

klagt, ſo ſtehen einander gegenüber zweierlei Perſonen, die

gleichmäßig Anſpruch auf die aus der b. f. possessio

entſpringende Rechte haben, denn dieſe Rechte haben ja die

Käufer durch die Vollendung ihrer Uſucapion gewiß nicht

verloren, und zwar ſind dieſes Perſonen, die ihre b. f. pos-

sessio nicht von einem und demſelben Rechtsvorgänger

ableiten. Gerade für dieſen Fall aber ſtellt Ulpian die

Regel auf, daß der Beſitzer vorgehen, der Kläger alſo

abgewieſen werden ſolle (m). Nach dieſer Regel alſo

müßten die Beklagten gewinnen, nicht der Kläger, wie es

doch in unſrer Stelle Papinian annimmt. — Allein die

eben erwähnte Regel des Ulpian ſoll offenbar nur gelten

als eine letzte Aushülfe, wo übrigens alle Verhältniſſe

beider Theile völlig gleich ſtehen, ſo daß der Richter ohne

 

(m) L. 9 § 4 de public. (6. 2).

Scheinbar widerſpricht dieſer Stelle

die L. 31 §. 2 de act. emti

(19. 1). Allein beide laſſen ſich

vereinigen, wenn man annimmt,

in dieſer letzten Stelle werde ein

Fall vorausgeſetzt, in welchem der

Beſitz bei keinem von beiden Theilen

ſich befindet, ſondern bei einem

Dritten, gegen welchen jene Beide

gleichzeitig als Kläger auftreten

wollen.

|0331 : 309|

L. 57 mandati (17. 1).

jene Regel um eine Enſcheidung verlegen ſeyn würde.

Davon aber kann gewiß nicht die Rede ſeyn in unſrem

Fall, in welchem der Abweſende einen eigenthümlichen An-

ſpruch der Billigkeit für ſich hat, ſtark genug, um ſelbſt

das ſtrenge Eigenthum des Gegners zu überwinden; alſo

gewiß um ſo mehr ausreichend, um die außerdem vorhan-

dene Gleichheit beider Theile durch ein auf die Seite des

Klägers gelegtes Uebergewicht aufzuheben.

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Gedruckt in der Deckerſchen Geheimen Ober-Hofbuchdruckerei.

 

 

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