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|0007 : [I]|

Syſtem

des

heutigen Römiſchen Rechts

von

Friedrich Carl von Savigny.

Vierter Band.

Mit K. Bairiſchen und K. Würtembergiſchen Privilegien.

 Berlin.

Bei Veit und Comp.

1841.

 

|0008 : [II]|

|0009 : [III]|

Inhalt des vierten Bandes.

Zweytes Buch. Die Rechtsverhältniſſe.

Drittes Kapitel. Von der Entſtehung und dem Unter-

gang der Rechtsverhältniſſe.

 

Seite

§. 142. V. Schenkung. Einleitung 1

§. 143. V. Schenkung. Einleitung. (Fortſetzung.) 9

§. 144. V. Schenkung. — Begriff. 1. Rechtsgeſchäft un-

ter Lebenden 18

§. 145. V. Schenkung. — Begriff. 2. Veräußerung 23

§. 146. V. Schenkung. — Begriff. 2. Veräußerung. (Fortſ.) 32

§. 147. V. Schenkung. — Begriff. 2. Veräußerung. (Fortſ.) 41

§. 148. V. Schenkung. — Begriff. 2. Veräußerung. (Fortſ.) 48

§. 149. V. Schenkung. — Begriff. 3. Bereicherung 52

§. 150. V. Schenkung. — Begriff. 3. Bereicherung. (Fortſ.) 60

|0010 : IV|

Inhalt des vierten Bandes.

Seite.

§. 151. V. Schenkung. — Begriff. 3. Bereicherung. (Fortſ.) 69

§. 152. V. Schenkung. — Begriff. 4. Abſichtl. Bereicherung 77

§. 153. V. Schenkung. — Begriff. 4. Abſichtliche Bereiche-

rung. (Fortſ.) Remuneratoriſche Schenkung 86

§. 154. V. Schenkung. — Begriff. 4. Abſichtliche Bereiche-

rung. (Fortſ.) Negotium mixtum 99

§. 155. V. Schenkung. — Einzelne Rechtsgeſchäfte. 1. Dare 104

§. 156. V. Schenkung. — Einz. Rechtsg. 1. Dare. (Fortſ.) 110

§. 157. V. Schenkung. — Einz. Rechtsg. 2. Obligare 118

§. 158. V. Schenkung. — Einz. Rechtsg. 3. Liberare 126

§. 159. V. Schenkung. — Einz. Rechtsg. 4. Ganzes Vermög 134

§. 160. V. Schenkung. — Vertragsnatur 145

§. 161. V. Schenkung. — Vertragsnatur. (Fortſ.) 156

§. 162. V. Schenkung. — Einſchränkungen. 1. Verbot un-

ter Ehegatten 165

§. 163. V. Schenkung. — Einſchränkungen. 1. Verbot un-

ter Ehegatten. (Fortſetzung) 172

§. 164. V. Schenkung. — Einſchränkungen. 1. Verbot un-

ter Ehegatten. (Fortſ.) 180

§. 165. V. Schenkung. — Einſchränkungen. 2. Erſchwe-

rende Formen 194

§. 166. V. Schenkung. — Einſchränkungen. 2. Erſchwe-

rende Formen. (Fortſetzung) 209

§. 167. V. Schenkung. — Einſchränkungen. 2. Erſchwe-

rende Formen. (Fortſ.) 217

|0011 : V|

Inhalt des vierten Bandes.

Seite.

§. 168. V. Schenkung. — Einſchränkungen. 3. Widerruf 224

§. 169. V. Schenkung. — Einſchränk. 3. Widerruf. (Fortſ.) 230

§. 170. V. Schenkung. — Beſondere Arten. 1. Auf den

Todesfall 239

§. 171. V. Schenkung. — Beſondere Arten. 1. Auf den

Todesfall. (Fortſetzung) 253

§. 172. V. Schenkung. — Beſondere Arten. 1. Auf den

Todesfall. (Fortſ.) 261

§. 173. V. Schenkung. — Beſondere Arten. 1. Auf den

Todesfall. (Fortſ.) 267

§. 174. V. Schenkung. — Beſondere Arten. 1. Auf den

Todesfall. (Fortſ.) 276

§. 175. V. Schenkung. — Beſondere Arten. 2. Don. sub modo 280

§. 176. V. Schenkung. — Neuere Geſetzgebungen 288

§. 177. VI. Die Zeit. — Einleitung 297

§. 178. VI. Die Zeit. — Einleitung. (Fortſ.) 309

§. 179. VI. Die Zeit. — 1. Der Kalender 318

§. 180. VI. Die Zeit. — 1. Der Kalender. (Fortſ.) 325

§. 181. VI. Die Zeit. — 2. Regelmäßige Reduction 335

§. 182. VI. Die Zeit. — 3. Civile Zeitrechnung 347

§. 183. VI. Die Zeit. — 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſ.) 364

§. 184. VI. Die Zeit. — 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſ.) 376

§. 185. VI. Die Zeit. — 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſ.) 387

§. 186. VI. Die Zeit. — 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſ.) 399

§. 187. VI. Die Zeit. — 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſ.) 405

|0012 : VI|

Inhalt des vierten Bandes.

Seite.

§. 188. VI. Die Zeit. — 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſ.) 408

§. 189. VI. Die Zeit. — 4. Utile tempus 421

§. 190. VI. Die Zeit. — 4. Utile tempus. (Fortſ.) 433

§. 191. VI. Die Zeit. — 4. Utile tempus. (Fortſ.) 444

§. 192. VI. Die Zeit. — 5. Schalttag 453

§. 193. VI. Die Zeit. — 5. Schalttag. (Fortſ.) 463

§. 194. VI. Die Zeit. — 5. Schalttag. (Fortſ.) 472

§. 195. VI. Die Zeit. — 6. Unvordenkliche Zeit. Einleitung 480

§. 196. VI. Die Zeit. — 6. Unvordenkl. Zeit. Römiſches Recht 485

§. 197. VI. Die Zeit. — 6 Unvordenkliche Zeit. Römiſches

Recht. (Fortſ.) 491

§. 198. VI. Die Zeit. — 6. Unvordenkl. Zeit. Neueres Recht 505

§. 199. VI. Die Zeit. — 6. Unvordenkl. Zeit. Anwendung 513

§. 200. VI. Die Zeit. — 6. Unvordenkl. Zeit. Anwend. (Fortſ.) 519

§. 201. VI. Die Zeit. — 6 Unvordenkl Zeit. Anwend. (Fortſ.) 527

§. 202. Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen 536

§. 203. Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen. (Fortſ.) 549

Beylage IX. Schenkung durch bloße Unterlaſſungen 563

Beylage X. Einfluß der Schenkung auf dritte Perſonen 587

Beylage XI. Ordinalzahlen in der Bezeichn. von Zeiträumen 601

|0013|

|0014|

|0015 : [1]|

Drittes Kapitel.

Von der Entſtehung und dem Untergang

der Rechtsverhältniſſe.

§. 142.

V. Schenkung. Einleitung.

Quellen:

 

Paulus V. 11.

Fragm. Vaticana § 248—316.

Cod. Theod. VIII. 12—15.

Inst. II. 7.

Dig. XXXIX. 5, XXIV. 1.

Cod. Just. VIII. 54—56, V. 16.

Schriftſteller:

 

Donellus Lib. 5 C. 2 § 10 (Begriff und Inſinuation).

Lib. 14 C. 26—32 (Widerruf). Lib. 13 C. 22 § 7. 8

(Verſprechen der Schenkung).

Mühlenbruch § 440—445.

F. W. L. von Meyerfeld die Lehre von den Schen-

kungen B. 1 Marburg 1835. B. 2 Abth. 1. 1837.

 

IV. 1

|0016 : 2|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Die Schenkung erſcheint auf den erſten Blick als ein

ganz einzelnes Rechtsgeſchäft, eben ſo wie der Kauf oder

Tauſch; daher muß es Anſtoß erregen, wenn ſie hier in

die gemeinſame Betrachtung der Rechtsgeſchäfte überhaupt

aufgenommen wird. Betrachten wir zuvörderſt die Stel-

lung, die man ihr anderwärts angewieſen hat.

 

Juſtinians Inſtitutionen ſetzen ſie unter die Erwer-

bungsarten des Eigenthums (a); offenbar einſeitig und

willkührlich. Denn erſtlich giebt nicht ſie allein Eigen-

thum, ſondern ſie in Verbindung mit der Tradition, wel-

cher ſie allerdings als justa causa dienen kann, aber nicht

mehr und nicht weniger als der Kauf; ſoll alſo ſie des-

halb als ein Stück der Lehre vom Eigenthum betrachtet

werden, warum nicht eben ſo der Kauf, und viele andere

Verträge? Zweytens iſt auch nicht Eigenthum das ein-

zige Mittel, eine Schenkung zu bewirken; Uſusfructus,

Emphyteuſe, ein bloßes Verſprechen durch Vertrag, der

Erlaß einer Schuld — alle dieſe Handlungen können eben

ſo gut als das Eigenthum zu einer Schenkung dienen,

und es iſt alſo bey jedem dieſer Rechtsinſtitute eben ſo

viel Grund vorhanden, als bey dem Eigenthum, die Schen-

kung als einen Beſtandtheil deſſelben zu behandeln. — Die

meiſten Neueren ſtellen die Schenkung unter die obligato-

riſchen Verträge (b); offenbar eben ſo einſeitig, da das

 

(a) Inst. II. 7. Dieſelbe Stel-

lung giebt ihr Hofacker § 987.

(b) Thibaut § 559. Heiſe

B. 3 § 207. Mühlenbruch § 440.

Mackeldey § 421.

|0017 : 3|

§. 142. Schenkung. Einleitung.

Eigenthum, der Uſusfructus u. ſ. w., eben ſo gut als ein

ſolcher Vertrag, eine Schenkung enthalten können. — Do-

nellus trägt dieſe Lehre ſtückweiſe vor, an mehreren Stel-

len ſeines Syſtems; am ausführlichſten bey dem Wider-

ruf wegen Undankbarkeit, alſo gerade bey der unbedeu-

tendſten Beziehung, die ſich dafür auffinden läßt.

Woher kommen nun dieſe verſchiedenen Stellungen, die

nur darin überein treffen, daß ſie alle gleich unbegründet

und unbefriedigend ſind? Sie kommen daher, daß man

überall von der falſchen Vorausſetzung ausgeht, die Schen-

kung ſey ein einzelnes Rechtsgeſchäft, anſtatt daß ſie in

der That ein allgemeiner Character iſt, welchen die aller-

verſchiedenſten Rechtsgeſchäfte annehmen können. Das iſt

der Grund, warum ich ſie hierher geſtellt habe, in den

allgemeinen Theil, an die Seite des Vertrags, welchem

ſie durch die Allgemeinheit ihrer Natur, und durch die

Mannichfaltigkeit ihrer Anwendungen, gleichartig iſt (c).

 

(c) Der Unterſchied iſt nur der,

daß der Vertrag in allen Arten

der Rechtsverhältniſſe vorkommen

kann, die Schenkung lediglich bey

den Verhältniſſen des Vermögens-

rechts. Wollte man alſo recht ſub-

til verfahren, ſo müßte man ſie

nicht in den allgemeinen Theil des

geſammten Privatrechts ſetzen,

ſondern in einen für das Ver-

mögensrecht allein zu bildenden

allgemeinen Theil; die hier ge-

wählte Stellung ſcheint mir ein-

facher, und ein Misverſtändniß

kann daraus nicht hervorgehen. —

Ich freue mich, für dieſe Stel-

lung auch ſchon einen Vorgän-

ger angeben zu können: Puchta

Syſtem des gemeinen Civilrechts

München 1832 § 35, und: Lehr-

buch der Pandekten Leipzig 1838

§ 53. Indeſſen zweifle ich nicht,

daß Viele, ſelbſt wenn ſie die oben

aufgeſtellten Gründe anerkennen,

dennoch an der von mir gewähl-

ten Anordnung Anſtoß nehmen

werden, hauptſächlich weil dadurch

die äußere Symmetrie geſtört

wird. Wäre an dieſer Stelle eine

kurze Überſicht der Lehre von der

1*

|0018 : 4|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Schenkung nämlich iſt jedes Rechtsgeſchäft, wenn es

folgende Eigenſchaften in ſich vereinigt. Es muß ſeyn ein

Geſchäft unter Lebenden; es muß Einen bereichern, da-

durch daß ein Anderer Etwas verliert; endlich muß der

Wille dieſes Andern auf jene Bereicherung durch eignen

Verluſt gerichtet ſeyn. Schon aus dieſer vorläufigen Auf-

ſtellung des Begriffs erhellt, daß zu jeder Schenkung noth-

wendig Zwey Perſonen gehören. Die neueren Juriſten

gebrauchen dafür den ächten Ausdruck Donator, und den

unächten Donatarius, für welchen letzten die Römer ſtets

Umſchreibungen anwenden (is cui donatum est u. ſ. w.).

Ich werde jene Perſonen als den Geber und den Em-

pfänger (oder auch den Beſchenkten) bezeichnen.

 

Damit iſt nun zunächſt nur ein willkührlicher Begriff

aufgeſtellt, aber nicht das Bedürfniß nachgewieſen, dieſen

Begriff zur Grundlage eines Rechtsinſtituts zu machen.

Wir könnten, ſo ſcheint es, jede andere mögliche Eigen-

ſchaft der Rechtsgeſchäfte hervorheben, einen Kunſtaus-

druck dafür erfinden, und ein beſonderes Rechtsinſtitut

 

Schenkung gegeben worden, ſo

würden ſie vielleicht Nichts dage-

gen einzuwenden haben, während

ihnen eine ſo ausführliche Dar-

ſtellung, wie man ſie nur im ſpe-

ciellen Theil des Syſtems erwar-

tet hätte, anſtößig erſcheinen wird.

Dieſe aber bitte ich zu erwägen,

daß eine ſolche kurze Überſicht nur

in der ausführlichen Darſtellung

ihre Rechtfertigung finden kann,

und wenn auf dieſe Rechtferti-

gung nicht allzu lange gewartet

werden ſollte, ſo hätte dieſelbe in

einer Beylage zu dieſem Bande

geliefert werden müſſen. Wer

aber einmal dieſe Einrichtung als

unerläßlich zugiebt, wird ſich auch

wohl gefallen laſſen, daß die Bey-

lage auf einfachere Weiſe in das

Syſtem ſelbſt aufgenommen wer-

de, mag auch dadurch die Sym-

metrie einige Verletzung erleiden.

|0019 : 5|

§. 142. Schenkung. Einleitung.

darauf gründen; ſo z. B. könnten wir die der Schenkung

gerade entgegengeſetzten Geſchäfte (die man die oneröſen

nennt) auf gleiche Weiſe behandeln. Warum geſchieht

dieſes nicht, während die Schenkung für ein beſonderes

Rechtsinſtitut gelten ſoll? Der Grund liegt darin, daß

an die Schenkung (ſo wie ihr Begriff vorläufig feſtgeſtellt

iſt) gewiſſe ganz poſitive Regeln des Römiſchen Rechts

angeknüpft ſind, um derenwillen es wichtig iſt, den Begriff

derſelben mit der groͤßten Schärfe zu beſtimmen und zu

begränzen. Dieſe Rechtsregeln ſind folgende:

1) Die Schenkung iſt von alter Zeit her auf mancher-

ley Weiſe eingeſchränkt, und beſonders durch poſitive For-

men der Willenserklärung erſchwert worden. So ſehr nun

dieſe Einſchränkungen und Formen gewechſelt haben, ſo

war doch die allgemeine Natur und der Zweck derſelben

ſtets unverändert, und es war ſtets dieſelbe Schenkung,

worauf in dieſer Weiſe eingewirkt werden ſollte (d).

 

2) Die Schenkung iſt unter Ehegatten unmöglich, an-

 

(d) Bey der Beurtheilung der

Rechtsgeſchäfte iſt die vollkom-

mene Freyheit des individuellen

Willens als Regel anzuſehen.

Davon hat das Römiſche Recht

nur in wenigen Fällen Ausnah-

men gemacht, wo eine beſondere

Gefahr des Misbrauchs jener

Freyheit vorhanden ſchien. Es

gehören dahin die Wuchergeſetze,

wegen der gefürchteten Bedrük-

kung der armen Schuldner; das

Sc. Vellejanum, wegen der na-

türlichen Abhängigkeit des weib-

lichen Geſchlechts; das Sc. Ma-

cedonianum, damit nicht die Ver-

ſchwendungsſucht der Kinder durch

Wucherer Nahrung erhielte; end-

lich die Einſchränkung der Schen-

kungen im Allgemeinen, und das

gänzliche Verbot derſelben unter

Ehegatten, weil gerade bey der

Schenkung der gutmüthige, arg-

loſe Leichtſinn durch den beſon-

nenen Eigennutz in beſondern

Nachtheil kommen kann, mehr

als bey Geſchäften anderer Art.

|0020 : 6|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ſtatt daß alle andere Rechtsgeſchäfte unter denſelben zuge-

laſſen werden.

3) Die Schenkung kann in gewiſſen Fällen, aus be-

ſonderen Gründen, widerrufen werden, anſtatt daß andere

Rechtsgeſchäfte in denſelben Fällen unwiderruflich bleiben.

 

Nunmehr läßt ſich von der praktiſchen Seite der Be-

griff ſo beſtimmen: Schenkung heißt jedes Rechtsgeſchäft,

bey welchem die angegebenen drey Rechtsregeln zur An-

wendung kommen. Denn gerade um dieſer, und nur um

dieſer, Rechtsregeln willen iſt es nöthig, Dasjenige, was

wir oben als Schenkung angaben, als ein eigenthümliches

Inſtitut aufzufaſſen, und in ſeinen Gränzen ſcharf zu be-

ſtimmen (e). — Unter dieſen drey praktiſchen Beziehungen

 

(e) Gewöhnlich nimmt man

noch andere praktiſche Beziehun-

gen der Schenkung an, aber mit

Unrecht. Die Schenkung nämlich

liegt außer den Gränzen gewöhn-

licher Vermögensverwaltung, eben

ſo aber auch manches Andere, ſo

daß hier ihre Eigenthümlichkeit

nicht ausſchließend in Betracht

kommt. So ſoll der filiusfami-

lias, ſelbſt wenn ihm ein Pecu-

lium mit freyer Verwaltung ge-

geben iſt, dennoch nicht ſchenken

dürfen (L. 7 pr. de don. 39. 5.).

Allein er kann auch nicht manu-

mittiren (L. 13 de j. patron.

37. 14.), auch nicht durch Delicte

den Vater verpflichten (L. 3 § 12

de pecul. 15. 1.), welche Hand-

lungen doch keine Schenkungen

ſind. Umgekehrt iſt hier das Ver-

bot der Schenkung nicht abſolut,

ſondern der Vater kann auch dieſe

geſtatten (L. 7 § 2. 3 de don.

39. 5.); es heißt alſo nur ſo viel,

daß in der unbeſtimmt gegebenen

freyen Verwaltung die Erlaubniß

zu ſchenken noch nicht mit ent-

halten iſt, und es iſt daher nur

eine Interpretationsregel. — Eben

ſo ſoll dem minderjährigen Grund-

eigenthümer niemals die Schen-

kung des Grundſtücks durch De-

cret erlaubt werden, ſelbſt wenn

er für volljährig erklärt iſt. L. 3

C. si major. (5. 74.). — Ferner

hatte die L. Cincia den Advoca-

ten verboten, irgend ein Geſchenk

für ihre Dienſtleiſtung anzuneh-

men. Dieſes fällt im neueren

Recht weg, erſcheint auch nicht

mehr als reine Schenkung. —

Das angebliche Verbot einer

Schenkung des Vaters an ſeine

|0021 : 7|

§. 142. Schenkung. Einleitung.

der Schenkung iſt es vorzugsweiſe die zweyte, welche den

alten Juriſten zur genauen Ausbildung des Begriffs der

Schenkung Veranlaſſung gegeben hat. Denn was die Ein-

ſchränkungen und Formen (alſo die erſte Beziehung) be-

trifft, ſo war das alte Recht der Lex Cincia auf ſo po-

ſitive Weiſe beſtimmt, daß daneben die ſorgfältige wiſſen-

ſchaftliche Entwicklung des Schenkungsbegriffs als ein ge-

ringeres Bedürfniß erſchien (f); der Widerruf endlich iſt

niemals von großer Erheblichkeit geweſen, beſonders aber

Kinder in potestate erſtreckt ſich

in der That auf alle Veräuße-

rungen überhaupt. L. 2 pr. de

contr. emt. (18. 1.), L. 14 § 3

de in diem addict. (18. 2.). —

Die L. Julia repetund. hatte die

Geſchenke an Magiſtrate verbo-

ten. (L. 8 ad L. Jul. repet. 48.

11.). Dieſes fällt im heutigen

Recht weg, und war auch ſchon

bey den Römern auf mancherley

Weiſe modificirt und weiter aus-

gedehnt worden. L. un. §. 1. 2

C. de contract. judicum (1. 53.).

— Beſonders ausgedehnt finden

ſich jene praktiſche Beziehungen

bey Meyerfeld Abſchnitt V.

und VI.

(f) Nach der Lex Cincia und

ihren Entwicklungen wurde die

Mancipation oder Tradition, und

in jedem Fall auch noch die Über-

tragung des Interdictenbeſitzes er-

fordert; dadurch waren ſchon von

ſelbſt die meiſten Fälle abgeſchnit-

ten, in welchen das Daſeyn wah-

rer Schenkung bezweifelt, und da-

her eine ſubtile Beſtimmung des

Begriffs nöthig gefunden werden

kann. Anders verhält es ſich mit

dem neueren Recht, welches (bey

großen Schenkungen) die Inſi-

nuation, und nur dieſe, fordert.

Dabey können dieſelben Zweifel

und Bedürfniſſe, wie bey der

Schenkung unter Ehegatten, vor-

kommen; man fand aber für die-

ſen Zweck neue Beſtimmungen

über den Begriff der Schenkung

nicht nöthig, weil dafür durch die

ſubtilen Unterſuchungen der alten

Juriſten über die Schenkung un-

ter Ehegatten bereits geſorgt war.

Überdem mögen Jene auch bey

Gelegenheit der Lex Cincia zu-

weilen ähnliche Unterſuchungen,

wie bey der Schenkung unter Ehe-

gatten, angeſtellt haben; ſolche

Stellen aber konnten faſt nie-

mals in die Digeſten aufgenom-

men werden, weil ſie mit dem im

Ganzen antiquirten Rechtsinſtitut

unzertrennlich verbunden waren;

dennoch finden ſich noch manche

derſelben, wie z. B. L. 11 L 23

pr. de don. (39. 5.).

|0022 : 8|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

erſt nach dem Zeitalter der alten Juriſten durch Kaiſer-

conſtitutionen ausgebildet worden. Daraus iſt der täu-

ſchende Schein entſtanden, als ob der von den alten Ju-

riſten ſo ſorgfältig durch ſcharfe Gränzen beſtimmte Be-

griff der Schenkung blos bey dem Verbot unter Ehegat-

ten Anwendung finde, da er doch in der That allgemein

iſt, und eben ſo bey der Anwendung der Inſinuation und

des Widerrufs zum Grund gelegt werden muß (g).

Indem nun aber hier die negative Seite der Schen-

kung (ihre Einſchränkungen) an die Spitze geſtellt wird,

ſoll damit der poſitiven Seite derſelben weder das Da-

ſeyn, noch die Wichtigkeit abgeſprochen werden. Dieſe

poſitive Seite beſteht darin, daß die Schenkung, als justa

causa der Tradition, unmittelbar Eigenthum geben, oder

als Titel eine Uſucapion begründen kann; ferner daß ſie

als causa jede obligatoriſche Bereicherung zu einem gülti-

gen, unanfechtbaren Rechtsgeſchäft machen kann, anſtatt

daß, in Ermanglung einer wahren causa, eine Verände-

 

(g) Die Lehre von der Schen-

kung unter Ehegatten dreht ſich

großentheils um den Punkt, daß

das Verbot nur gelte, wenn zu-

gleich der Eine pauperior, der

Andere locupletior werde. Das

nehmen denn die Neueren ſo, als

ob es außer dem Begriff der

Schenkung ſelbſt läge, und blos

zu den beſonderen Bedingungen

jenes Verbots gehörte. We-

stenberg XXIV. 1 § 10. Müh-

lenbruch § 545. So iſt es aber

nicht, vielmehr gehören jene Merk-

male zur vollſtändigen Beſtim-

mung des Begriffs wahrer, ei-

gentlicher Schenkung überhaupt,

und ſind alſo ohne Zweifel auch

bey der Inſinuation und dem Wi-

derruf zu beachten. Jene Anſicht

hat eine ſcheinbare Beſtätigung

in dem Ausdruck mancher Stel-

len des R. R.; dieſer erklärt ſich

aber aus dem bey den Römern

ſelbſt vorkommenden zwiefachen

Sprachgebrauch, wovon im § 143

die Rede ſeyn wird.

|0023 : 9|

§. 143. Schenkung. Einleitung. (Fortſetzung.)

rung dieſer Art, ſelbſt wenn dabey eine gehörige Form

beobachtet iſt, durch Condictionen hinterher entkräftet wer-

den kann. Dieſes Alles iſt wahr und wichtig; es hätte

aber niemals eine ausführliche Theorie der Schenkung,

und insbeſondere eine ſubtile Begränzung ihres Begriffs,

zur genauen Unterſcheidung deſſen, was Schenkung iſt,

von dem, was es nicht iſt, nöthig gemacht. Dieſes Be-

dürfniß iſt lediglich durch die negative Seite der Schen-

kung herbeygeführt worden, das heißt durch ihre, auf be-

ſondere Rechtsregeln gegründete, Einſchränkungen.

§. 143.

V. Schenkung. Einleitung. (Fortſetzung)

Bevor aber die Elemente jenes Rechtsbegriffs einzeln

erwogen werden, iſt es nöthig, den Sprachgebrauch ge-

nauer feſtzuſtellen. Die Grundlage des Begriffs iſt von

Seiten des Gebers das der einzelnen Handlung zum Grund

liegende uneigennützige Wohlwollen (a), zu deſſen allgemei-

ner Bezeichnung die Ausdrücke beneficium, liberalitas, zu-

weilen auch officium, gebraucht werden (b). Das Ge-

meinſame dieſer Handlungen beſteht darin, daß der Han-

 

(a) Ich ſage: der einzelnen

Handlung. Denn mag auch die

eigennützige Abſicht im Hinter-

grund liegen, des Andern Wohl-

wollen durch unſre gegenwärtige

Freygebigkeit zu erwerben, und

daraus in der Folge größeren

Vortheil zu ziehen, ſo wird doch

dadurch die Natur der einzelnen,

für ſich betrachteten, Handlung

nicht verändert.

(b) Viele Stellen ſind geſam-

melt bey Meyerfeld § 1 und

§ 7. — Officium hat dieſe Be-

|0024 : 10|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

delnde lediglich des Andern utilitas oder commodum be-

zweckt, gar nicht ſein Eigenes (c). Jede Schenkung iſt

alſo eine ſolche Liberalität, aber nicht umgekehrt. Viel-

mehr wird dieſer allgemeinere Ausdruck auch gebraucht

bey jeder Gefälligkeit oder Dienſtleiſtung, z. B. bey der

unentgeldlichen Aufbewahrung einer Sache; eben ſo auch

bey der Emancipation eines Kindes. In allen ſolchen

Fällen aber iſt nicht von Schenkung die Rede, weil der

Handelnde Nichts aus ſeinem Vermögen weggiebt, ge-

wöhnlich auch der Andere Nichts erwirbt. Dennoch iſt

jener umfaſſendere Begriff nicht ohne juriſtiſchen Einfluß,

denn in der Lehre von der Culpa knüpft ſich daran bey

den Obligationen, welche bonae fidei ſind, die wichtige

Folge, daß der Schuldner, der ſich in dieſem uneigennützi-

gen Verhältniß befindet, nicht für jede gewöhnliche Culpa

haftet, ſondern nur für den Dolus und was dieſem gleich

geachtet wird (Note c); aus dieſem Grund iſt namentlich

der Depoſitar nicht für die gewöhnliche Culpa verant-

wortlich. Nur mit dem poſitiven Recht der Schenkung

darf jener umfaſſende Begriff nicht ohne nähere Beſtim-

mungen in Verbindung gebracht werden.

Von der Seite des Empfängers liegt der Schenkung

zum Grunde die Bereicherung deſſelben. Jeder Erwerb

 

deutung in L. 1 § 4 mand. (17.

1.), L. 17 § 3 comm. (13. 6.).

Außerdem heißt es in den Rechts-

quellen ſo viel als Geſchäft, oder

auch Pflicht.

(c) Dieſe Ausdrücke finden ſich

in L. 5 § 2 commod. (13. 6.),

L. 108 § 12 de leg. 1 (30. un.),

und zwar in unmittelbarer An-

wendung auf den von dem Schuld-

ner zu leiſtenden Grad der Culpa.

|0025 : 11|

§. 143. Schenkung. Einleitung. (Fortſetzung.)

eines Rechts, ſey es Eigenthum oder Schuldforderung,

welcher unentgeldlich, alſo ohne eigene Aufopferung, ge-

ſchieht, ſo daß der Schuldner ſchon durch die Natur die-

ſes Erwerbs (d) reicher wird, heißt lucrativa causa (e).

Die Neueren pflegen, im Gegenſatz derſelben, die Erwer-

bungen, welche nicht unentgeldlich geſchehen, als onerosa

causa zu bezeichnen, aber nicht richtig, da onerosum bey

den Römiſchen Schriftſtellern nur das Läſtige, Unbequeme

bezeichnet, welcher Begriff von jenem ſehr verſchieden

iſt (f). — Daher iſt denn in jeder Schenkung zugleich eine

lucrativa causa enthalten, aber nicht umgekehrt, indem es

dabey ſehr oft an einer Perſon welche ſchenkt, alſo auch

an der Abſicht zu ſchenken, gänzlich fehlt. In unſren

Rechtsquellen wird als lucrativa causa, außer der Schen-

(d) Nämlich auch durch einen

wohlfeilen Kauf wird allerdings

der Käufer reicher, da es aber

nicht in der allgemeinen Natur

des Geſchäfts, ſondern in den zu-

fälligen Umſtänden des einzelnen

Falles liegt, ſo wird deshalb nie-

mals der vortheilhafte Kauf eine

Iucrativa causa genannt.

(e) So bey erworbenem Ei-

genthum: L. 13 § 5 de act. emti

(19. 1.), L. 4 § 29. 31 de doli

exc. (44. 4.), L. 7 § 3 de public.

(6. 2.) — Bey Obligationen: L. 17.

19 de O. et A. (44. 7.), L. 108

§ 4 de leg. 1 (30. un.). — Es

heißt auch lucrativa adquisitio,

ja ſelbſt lucrativa res. L. 4 § 31

de doli exc. (44. 4.), Paulus V.

11 § 5. — Eine nicht hierher ge-

hörende Nebenbedeutung von lu-

crativa causa, oder lucrifaciendi

causa possidere u. ſ. w. iſt die

der unredlichen Gewinnſucht. So

bey dem Diebſtahl. L. 1 § 3 L. 54

§ 1 de furtis (47. 2.). Eben ſo

bey der alten pro herede usu-

capio. Gajus II. § 56. 57. L. 2

§ 1 pro her. (41. 5.), L. 5. L. 33

§ 1 de usurp. (41. 3.).

(f) Brissonius v. Onerosus.

Wer eine Sache, die ihm unbrauch-

bar iſt, theuer verkauft, wird dar-

über ſehr vergnügt ſeyn, und kein

Römer würde ſein Geſchäft ein

onerosum negotium nennen;

nach dem Sprachgebrauch der

Neueren iſt es allerdings ein ſol-

ches, weil er doch das Eigenthum

der Sache weggiebt.

|0026 : 12|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

kung, auch das Legat, das Fideicommiß, desgleichen die

teſtamentariſche und geſetzliche Erbfolge, bezeichnet (g), ob-

gleich das Legat nur uneigentlich, die Erbſchaft niemals

donatio genannt wird. Eben ſo würde kein Römiſcher

Juriſt Bedenken getragen haben, den Erwerb durch Jagd,

durch Beute, durch das Finden eines Schatzes oder einer

herrenloſen Sache, als lucrativa causa zu bezeichnen, und

doch iſt dabey an donatio gewiß nicht zu denken. — Wenn

in den Fällen, worin die lucrativa causa in der That auf

einer donatio beruht, der Gegenſatz derſelben bezeichnet

werden ſoll, ſo werden dazu die Ausdrücke negotium, con-

trahere, obligare gebraucht (h).

Hier ſind alſo Zwey andere mögliche Eigenſchaften von

Rechtsgeſchäften angegeben worden, Liberalität auf der

einen Seite, unentgeldlicher Erwerb auf der andern; jede

 

(g) L. un. C. de impon. lu-

crat. descr. (10. 35.), L. 108

§ 6 de leg. 1 (30. un.), L. 83

§ 6 de V. O. (45. 1.). (In die-

ſer letzten Stelle dürfen die Worte:

sed [et] si heres exstitero nicht

als Gegenſatz der lucrativa causa

verſtanden werden, ſondern als

Übergang zu einem einzelnen Fall

der Anwendung, in welchem Sinn

sed oft vorkommt.) — Bey Erb-

ſchaften bezieht ſich dieſes auf ihre

gewöhnliche, regelmäßige Natur,

nach welcher ſie den Erben in der

That zu bereichern pflegen. Wenn

im einzelnen Fall das erbſchaft-

liche Vermögen durch Schulden

abſorbirt iſt, oder der Erbe einen

früher Berufenen zum Ausſchla-

gen der Erbſchaft durch eine Geld-

ſumme bewogen hat, ſo heißt der

Erwerb nicht lucrativ. L. 2 § 1

si quis omissa (29. 4.). „… Mihi

videtur humanior esse haec sen-

tentia, ut possessor hereditatis

prior excutiatur, maxime si lu-

crativam habet possessionem.”

Alſo kann des Erben Beſitz doch

auch einen nicht lucrativen Cha-

racter haben.

(h) L. 18 de don. (39. 5.),

L. 3 § 1 de O. et A. (44. 7.), L. 9

pr. de cond. causa data (12. 4.),

L. 24 § 4 sol. matr. (24. 3.). —

Meyerfeld § 3.

|0027 : 13|

§. 143. Schenkung. Einleitung. (Fortſetzung.)

derſelben iſt der Schenkung verwandt, aber jede für ſich

viel allgemeiner als die Schenkung. Treffen nun beide

Eigenſchaften in einem und demſelben Geſchäft zuſammen,

ſo bildet ihre Vereinigung ungefähr das, was wir oben

Schenkung nannten, und als Bedingung der Anwendung

von drey ganz poſitiven, die Schenkung betreffenden, Rechts-

regeln angaben. Ich ſage: ungefähr; denn allerdings muß

noch Manches als nähere Beſtimmung hinzukommen, wenn

jene Regeln anwendbar ſeyn ſollen, und dieſes ſoll eben

durch die folgende Entwicklung des Begriffs der Schen-

kung vollſtändig dargeſtellt werden. Wie verhält ſich aber

dazu der Römiſche Ausdruck donatio? Dieſer war nicht

erſt für juriſtiſche Zwecke erfunden, ſondern aus dem täg-

lichen Leben herüber genommen, und die Unbeſtimmtheit,

in welcher er hier gebraucht wurde, gieng auch in den

Sprachgebrauch der Juriſten über. So wird in den mei-

ſten Stellen das Wort donatio ohne ſtrenge Rückſicht auf

die Anwendbarkeit jener Rechtsregeln gebraucht, und dann

nur hinzugefügt, wie diejenige donatio beſchaffen ſeyn

müſſe, worin jene Regeln gelten ſollen (i). Dieſe engere

juriſtiſch allein wichtige, donatio wird dann, bey wirkli-

cher Anwendung jener Regeln, in Ermanglung eines ſpe-

ciellern Kunſtausdrucks, als donatio jure civili impedita,

(i) So Ulpian in L. 5 § 8—18

de don. int. vir. (24. 1.), Pom-

ponius in L. 18 L. 31 § 1 eod.,

L. 3 pro don. (41. 6.), Teren-

tius Clemens in L. 25 de don.

int. vir. (24. 1.), und Modeſtin

in L. 23 pr. de don. (39. 5.);

eben ſo noch viele Andere, deren

Stellen gelegentlich angegeben

werden ſollen.

|0028 : 14|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

oder als non concessa donatio bezeichnet (k). Andere Stel-

len dagegen beſchränken ſelbſt den Ausdruck donatio auf

die Fälle, worin jene poſitive Regeln anwendbar ſind, ſo

daß ſie in allen anderen Fällen das Daſeyn der donatio

überhaupt verneinen (l). Nach dieſen unzweifelhaften That-

(k) L. 5 § 18 de don. int. vir.

(24. 1.) von Ulpian, und L. 6

eod. von Gajus.

(l) Ulpian in L. 21 pr. de don.

int. vir. (24. 1.) (non locuple-

tior, nulla donatio, non inter-

dictum, ſind hier gleichbedeutend).

— Pomponius in L. 31 § 6. 7 eod.

„Quod vir uxori in diem de-

bet, sine metu donationis prae-

sens solvere potest,” d. h. er hat

nicht zu befürchten, daß es als

donatio angeſehen werden möchte.

Und nachher: Quod legaturus

mihi .. es, potes rogatus a me

uxori meae relinquere, et non

videtur ea esse donatio;” die

Abſicht zu ſchenken war hier doch

vorhanden, auch wird in L. 5

§ 13. 14 eod. ganz derſelbe Fall

von Ulpian wirklich donatio ge-

nannt, und nur für unverboten

erklärt. (Daß Pomponius und

Ulpian bald dieſen ſtrengeren

Sprachgebrauch haben, bald den

freyeren, Note i, iſt kein Ein-

wurf, da ſie jenen und dieſen in

verſchiedenen Fällen der Anwen-

dung beobachten, alſo freylich ohne

ganz ſtrenge Conſequenz). — Eben

ſo, wie hier Pomponius, ſagt Ga-

jus in L. 11 de don. (39. 5.).

„Cum de modo donationis quae-

ritur, neque partus nomine, ne-

que fructuum, neque pensio-

num, neque mercedum ulla

donatio facta esse videtur.”

Die Bereicherung erſtreckt ſich

auch auf die Früchte, und ſelbſt

die beſtimmte Abſicht des Gebers

kann auf dieſe mit gerichtet ſeyn;

dennoch ſind die Früchte nicht un-

ter dem Verbot großer Schen-

kungen (modus donationis, nach

L. Cincia) mit begriffen. Die-

ſen unbeſtrittenen Satz drückt

alſo Gajus ſo aus: neque ulla

donatio facta esse videtur, an-

ſtatt daß in dem völlig gleichen

Fall Ulpian (L. 17 de don. int.

vir.) ſagt: „fructus quoque, ut

usuras, licitam habere dona-

tionem.” Gajus alſo ſagt, es

ſey keine Schenkung, Ulpian: es

ſey eine Schenkung, aber eine

unverbotene. — Eben ſo Papi-

nian in L. 18 quae in fraud.

(42. 8.). „Si pignus vir uxori,

vel uxor viro remiserit: verior

sententia est nullam fieri do-

nationem existimantium.” Li-

beralität des Gebers und Vor-

theil des Empfängers wird hier

meiſt vorhanden ſeyn, es fehlt

nur im juriſtiſchen Sinn an ei-

nem pauperior und einem lo-

cupletior, gerade wie in den Fäl-

len, worin dennoch Ulpian (Note i)

|0029 : 15|

§. 143. Schenkung. Einleitung. (Fortſetzung.)

ſachen ſind wir genöthigt, bey den Römern ſelbſt einen

zwiefachen Sprachgebrauch anzunehmen, indem ſie das

Wort donatio bald (und am häufigſten) in einem weite-

ren, bald in einem engeren Sinn genommen haben. Je-

ner weitere Sinn knüpfte ſich zunächſt an den Sprachge-

brauch des täglichen Lebens, welcher jede Liberalität als

donatio zu bezeichnen pflegte, ohne ſich in juriſtiſche Gränz-

beſtimmungen einzulaſſen; er fand aber auch zuweilen eine

juriſtiſche Anwendung, da wo es darauf ankam die po-

ſitive Seite der Schenkung hervorzuheben (§ 142). Der

engere Sinn dagegen bezog ſich auf die der Schenkung

eigenthümlichen einſchränkenden Rechtsregeln, das heißt auf

die negative Seite derſelben, welche allein eine ſubtile Be-

ſtimmung ihres Begriffs und ihrer Gränzen nöthig macht.

Nachdem wir ſo den Wortſinn hinreichend beſtimmt ha-

ben (welches für das Verſtändniß der Quellen nöthig war),

können wir dieſen fortan auf ſich beruhen laſſen. Nichts

hindert uns, dem Deutſchen Ausdruck Schenkung denje-

nigen Umfang anzuweiſen, der unſrem wiſſenſchaftlichen

Zweck der angemeſſenſte iſt, das heißt ihn in jenem enge-

ren, eigentlichen Sinn zu gebrauchen, da er die ausſchlie-

ßende Anwendbarkeit der poſitiven Rechtsregeln für die

Schenkung bezeichnet. Wichtig und unerläßlich iſt nur die

Anerkennung dieſes engeren Begriffs ſelbſt, welcher jenen

 

den Ausdruck donatio gebraucht.

— Eben ſo Celſus (bey Ulpian)

L. 5 § 15 de don. int. vir. 24. 1.).

— Die Verſchiedenheit des Sprach-

gebrauchs in allen dieſen Stellen

iſt unverkennbar.

|0030 : 16|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Rechtsregeln gemeinſchaftlich, bey der Inſinuation und dem

Widerruf, eben ſo wie bey der Schenkung unter Ehegat-

ten, anwendbar iſt (§ 142. g); in dem Sprachgebrauch

können wir uns Verſchiedenheiten noch eher gefallen laſſen.

Was hier über die allgemeine Natur der Schenkung

und über ihre Bezeichnung geſagt worden iſt, läßt ſich

nicht beſſer zur Anſchauung und Überzeugung bringen, als

durch die Vergleichung mit der ſehr ähnlichen Lehre vom

Beſitz. Auch der Beſitz hat eine natürliche Beziehung, als

dasjenige factiſche Verhältniß, welches dem Eigenthum,

als einem Rechtsverhältniß, entſpricht, alſo den Inhalt

des Eigenthums bildet. Dieſe natürliche Beziehung aber

würde niemals auf das Bedürfniß geführt haben, eine

Theorie des Beſitzes auszubilden. Ein ſolches Bedürfniß

entſtand, als man an das Daſeyn des Beſitzes poſitive

Wirkungen knüpfte, die ganz außer jener natürlichen Be-

ziehung lagen: die Uſucapion und die Interdicte. Nun

wurde es nöthig, den Begriff, Erwerb, Verluſt des Be-

ſitzes genau zu beſtimmen, um zu wiſſen, wer auf die In-

terdicte und die Uſucapion Anſpruch haben könne. Was

für den Beſitz die Interdicte und die Uſucapion, das iſt

für die Schenkung die Inſinuation, das Verbot in der

Ehe, und der Widerruf. Bey dem Beſitz gab es dane-

ben mehrere nur ſcheinbare Rechtswirkungen, die in der

That außer den Gränzen dieſes eigenthümlichen Rechtsin-

ſtituts liegen (m); eben ſo in der Schenkung die Unzuläſ-

 

(m) Die unächten beatitudines possessionis. Vgl. Savigny

Recht des Beſitzes § 3.

|0031 : 17|

§. 143. Schenkung. Einleitung. (Fortſetzung.)

ſigkeit bey dem Peculium und bey den Grundſtücken des

Minderjährigen (§ 142. e). Der Beſitz in ſeiner natür-

lichen Beziehung und Ausdehnung heißt Possessio; als

Grundlage jener poſitiven Rechtsinſtitute heißt er auch

Possessio, und nun in einem engeren Sinn, ſo daß im

Gegenſatz andere Fälle geradezu als non possidere be-

zeichnet werden. Will man dieſen engeren Sinn ſcharf

bezeichnen, ſo heißt es auch wohl possessio quae locum

habet in interdicto uti possidetis vel utrubi, oder ad usu-

capionem possidere (n). Bey dem Beſitz alſo iſt der zwie-

fache Sprachgebrauch, den ich für die Schenkung be-

haupte, völlig unzweifelhaft, und der Unterſchied liegt nur

darin, daß derſelbe dort von den alten Juriſten mehr

ausgebildet, und durch genauere Bezeichnungen (naturalis,

civilis) ſchärfer beſtimmt worden iſt. Bey dem Beſitz

aber, wie bey der Schenkung, iſt das Wichtigſte, nicht

den richtigen Sprachgebrauch feſtzuhalten, ſondern bey

allen Unterſuchungen über den Begriff und die wahren

Gränzen des Rechtsinſtituts, nie die praktiſche Beziehung

auf die damit verknüpften poſitiven Rechtsregeln aus den

Augen zu verlieren, weil außerdem jene Unterſuchungen

entweder leer oder unwahr ausfallen.

Erſt jetzt läßt ſich deutliche Rechenſchaft ablegen von

der Stellung, welche dieſer Lehre der neueſte Schriftſtel-

ler über die Schenkung zu geben verſucht hat (o). Er

 

(n) Savigny a. a. O. § 7.

(o) Meyerfeld I. S. 26 fg.

S. 89—92. S. 425. 426.

IV. 2

|0032 : 18|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

claſſificirt die Veränderungen im Vermögensrecht folgen-

dergeſtalt. Sie geſchehen entweder donandi animo, oder

ob causam, welche letzte entweder eine vergangene iſt (so-

lutio), oder eine gegenwärtige (permutatio), oder eine zu-

künftige (creditum). Als allgemeine Betrachtung mag Die-

ſes ſeinen Werth haben, ſo wie man es zur Grundlage

einer ſyſtematiſchen Darſtellung machen will, wird es un-

fruchtbar und irre führend. Dieſe nicht abzuläugnende

allgemeine Beziehung der Schenkung, die ich oben als

ihre poſitive Seite bezeichnet habe (§ 142), hätte eine ſpe-

cielle Theorie für dieſelbe eben ſo wenig nöthig gemacht,

als für den Beſitz deſſen allgemeine, natürliche Beziehung

zum Eigenthum; beide Theorien ſind nur nöthig geworden

durch die poſitiven Rechtsregeln, die nun das praktiſche

Weſen des Beſitzes und der Schenkung ausmachen; bey

Meyerfeld nehmen dieſe poſitive Regeln den falſchen Schein

zufälliger, untergeordneter Beziehungen an, die ganz hin-

weggedacht werden koͤnnten, ohne daß dadurch die Lehre

von der Schenkung weſentlich verändert würde.

§. 144.

V. Schenkung. — Begriff. 1. Rechtsgeſchäft unter

Lebenden.

Als erſtes nothwendiges Erforderniß der Schenkung

wurde angegeben, daß ſie ein Rechtsgeſchäft unter Leben-

den ſeyn müſſe. Hierin liegt zweyerley. Es wird zuerſt

erfordert ein Rechtsgeſchäft, alſo eine poſitive Handlung,

 

|0033 : 19|

§. 144. Schenkung. Begriff. 1. Rechtsgeſchäft unter Lebenden.

ſo daß ein bloßes Unterlaſſen, wenn nicht ein verſtecktes

Handeln darin enthalten iſt, nicht als eigentliche Schen-

kung gelten kann (Beylage IX.). — Zweytens wird er-

fordert ein Geſchäft unter Lebenden. Dadurch wird alſo

von dem Begriff derſelben jede Succeſſion für den Todes-

fall ausgeſchloſſen. Der allgemeine, durchgreifende Grund

dieſer letzten Beſtimmung hängt zuſammen mit dem Ge-

ſichtspunkt, woraus alle poſitive Rechtsregeln für die

Schenkung zu betrachten ſind (§ 142. d). Die in derſel-

ben enthaltene, und als gefährlich betrachtete, Willkühr

liegt nicht blos in der (vielleicht unüberlegten) Auswahl

der beſchenkten Perſon, ſondern in dem Entſchluß zur

Schenkung ſelbſt, alſo darin daß der Geber ſich ſelbſt will-

kührlich einen Theil des Vermögens entzieht, welches dazu

beſtimmt war, von ihm beherrſcht und für ſeine Zwecke

verwendet zu werden. Gerade dieſer gefährlichſte Beſtand-

theil der Schenkung verſchwindet bey der Succeſſion von

Todeswegen völlig. Im Fall des Todes giebt Keiner will-

kührlich Dasjenige auf, was er auch eben ſo willkührlich

behalten könnte; hier iſt blos die Rede von den Perſonen,

die nach ihm das Vermögen haben ſollen, und daß er

dieſe auf die freyeſte Weiſe auswähle, wird als das Re-

gelmäßige, Natürliche, Gefahrloſe betrachtet. Alle For-

men und Einſchränkungen, die bey dem letzten Willen vor-

kommen, haben daher ganz andere Gründe und Zwecke,

als die für die Schenkung vorgeſchriebenen; darum war

von der Lex Cincia, von der Inſinuation, von einem Ver-

2*

|0034 : 20|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

bot unter Ehegatten, als ſolchen (abgeſehen von der mög-

lichen Kinderloſigkeit), bey dem letzten Willen nie die Rede.

Eben ſo verſchwindet hier der bey der Schenkung aus be-

ſonderen Gründen, ausnahmsweiſe, geſtattete Widerruf

völlig, da bey dem letzten Willen der Widerruf als all-

gemeine Regel, und ſelbſt ohne alle Gründe, zugelaſſen iſt.

Es iſt nunmehr die Anwendung dieſes Princips auf

die einzelnen Arten von Succeſſionen zu machen. Bey der

Inteſtaterbfolge iſt am wenigſten an Schenkung zu den-

ken; denn obgleich auch dieſe inſofern auf dem Wohlwol-

len des Verſtorbenen beruht, als derſelbe einen andern Er-

ben durch Teſtament hätte ernennen können, ſo fehlt es

doch an jeder poſitiven Thätigkeit, die als Urſache dieſer

Succeſſion betrachtet werden könnte. — Eine ſolche Thä-

tigkeit iſt bey der teſtamentariſchen Erbfolge allerdings vor-

handen, dennoch wird auch dieſe niemals donatio genannt (a).

Der Grund liegt wohl in folgenden zwey Umſtänden. Erſt-

lich gehört zu jeder Schenkung Vermehrung Eines Vermö-

gens durch Verminderung eines andern. Bey der Erb-

folge aber wird das Vermögen des Verſtorbenen gar nicht

vermindert, ſondern es dauert unverändert fort, nur in

 

(a) Die einzige Stelle, die man

etwa auf die Erbeinſetzung als

Schenkung deuten könnte, iſt

L. 30 pr. ad L. Falc. (35. 2.).

„… ut stipulationes, rerum

traditiones, legata, heredita-

tesve his (servis) datae, cete-

rae donationes, item servitu-

tes …” Allein in dieſer Stelle

iſt es gar nicht nöthig, das ce-

terae donationes auch auf die

unmittelbar vorhergehende here-

ditates zu beziehen, vielmehr iſt

es durch die vor denſelben ge-

nannten traditiones und legata,

hinlänglich gerechtfertigt.

|0035 : 21|

§. 144. Schenkung. Begriff. 1. Rechtsgeſchäft unter Lebenden.

einer andern Perſon. Zweytens gehört zu jeder Schen-

kung das auf die Bereicherung des Empfängers gerichtete

Bewußtſeyn des Gebers. Bey der Erbeinſetzung aber kann

der Teſtator nie beſtimmt wiſſen, ob er den Erben berei-

chern werde, weil durch Unglück oder Verſchwendung das

Vermögen völlig verſchwinden, ja ſelbſt zu einer negati-

ven Größe werden kann (b).

Anders verhält es ſich in beiden Rückſichten mit dem

Legat, welches im Juſtinianiſchen Recht mit dem Singu-

larfideicommiß identiſch geworden iſt. Denn hier wird in

der That Etwas dem einen Vermögen entzogen, dem an-

dern hinzugefügt; auch weiß man bey dem Legat in der

Regel ganz ſicher, daß der Legatar dadurch bereichert wer-

den wird (c). Daher wird denn auch das Legat von den

alten Juriſten geradezu eine donatio genannt (d). Den-

noch iſt dieſer Ausdruck nur ein uneigentlicher, eine wahre

Schenkung iſt das Legat nicht, und an eine Anwendung

der für die Schenkung aufgeſtellten poſitiven Rechtsregeln

 

(b) Damit ſteht nicht im Wi-

derſpruch, daß der Erwerb

durch Erbſchaft in der Regel eine

lucrativa causa heißt (§ 143. g);

denn zu der Zeit, wo dieſer Er-

werb bereits eingetreten iſt, läßt

ſich der Betrag der Erbſchaft wohl

überſehen, nicht ſo zu der Zeit,

worin das Teſtament errichtet wird.

(c) Ich ſage: in der Regel,

denn allerdings giebt es auch Le-

gate, die den Legatar gar nicht

bereichern, z. B. wenn durch Legat

der Erbe verpflichtet wird, ein

Haus um deſſen wahren Werth

an den Legatar zu verkaufen.

L. 66 L. 49 § 8 de leg. 1 (30. un.).

Auch dieſes iſt ein wahres Legat,

obgleich es nicht mit Fideicom-

miſſen belaſtet werden kann, auch

nicht bey der Falcidia in Betracht

kommt.

(d) L. 36 de leg. 2 (31. un.).

„Legatum est donatio testa-

mento relicta” (von Modeſtin).

§ 1 J. de leg. (2. 20.). „Lega-

tum itaque est donatio quae-

dam a defuncto relicta.”

|0036 : 22|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

hat dabey nie ein Römiſcher Juriſt gedacht. Hier liegt

der Grund, der das Daſeyn wahrer Schenkung ausſchließt,

lediglich in dem oben für die Succeſſionen von Todes we-

gen im Allgemeinen aufgeſtellten Princip.

Die bloße mortis causa capio kann zuweilen, eben ſo

wie das Legat, als eine uneigentliche Schenkung angeſe-

hen werden; wird z. B. dem Gajus ein Legat von 1000

gegeben, unter der Bedingung daß er dem Sejus 300

gebe, ſo iſt nach der Abſicht des Teſtators der letzte Er-

folg derſelbe, wie wenn aus der Erbſchaft Gajus 700,

Sejus 300 erhalten hätte. In anderen Fällen wird nicht

einmal dieſer Schein ſtatt finden, z. B. wenn ein Sklave

freygelaſſen wurde, unter der Bedingung daß er dem Ga-

jus 100 zahle; denn nun bekam Gajus aus dem Vermö-

gen des Teſtators gar Nichts (e). Eine wahre Schen-

kung iſt die mortis causa capio niemals.

 

Die teſtamentariſche Freylaſſung war ſchon deshalb

keine Schenkung, weil der Freygelaſſene von dem Ver-

ſtorbenen kein zum Vermögen gehörendes, alſo zu einem

 

(e) Dieſes iſt der wahre Sinn

der etwas ſchwierigen L. 38 de

mortis causa don. (39. 6.) „mor-

tis causa capitur et quod non

cadit in speciem donationis.”

Marcellus will ſagen: die mor-

tis c. capio kann den Schein

einer donatio an ſich tragen,

eine uneigentliche Schenkung ſeyn

(wie in dem erſten der im Text

angeführten Beyſpiele). Aber auch

Dasjenige kann mortis c. capio

ſeyn, was nicht einmal dieſen

Schein an ſich trägt (et quod

non cadit in speciem donatio-

nis), und dafür giebt er nun

ſelbſt erläuternde Beyſpiele an.

— Hieraus iſt es klar, daß das

Florentiniſche et unentbehrlich iſt;

die Vulgata ließ es weg, weil je-

ner, allerdings verſteckte, Zuſam-

menhang des Gedankens nicht er-

kannt wurde.

|0037 : 23|

§. 145. Schenkung. Begriff. 2. Veräußerung.

Geldeswerth anzuſchlagendes, Recht erhielt; dennoch kommt

auch hier der Name donatio im uneigentlichen Sinn vor.

Davon wird noch weiter unten (§ 148), in Verbindung mit

der Freylaſſung unter Lebenden, die Rede ſeyn.

Dagegen iſt allerdings die mortis causa donatio, wie

ſchon der für ſie geltende Kunſtausdruck zeigt (f), eine

wahre Schenkung; ja ſie war ſogar urſprünglich Nichts

als Schenkung. Wie ſie ſpäterhin einen zweydeutigeren

Character angenommen hat, halb als Schenkung, halb

als Succeſſion durch letzten Willen, wird weiter unten

(§ 172) gezeigt werden.

 

§. 145.

V. Schenkung. — Begriff. 2. Veräußerung.

Das zweyte Erforderniß wahrer Schenkung (§ 142)

war: Bereicherung auf der einen Seite, Verluſt auf der

andern. Genauer betrachtet aber zerfällt dieſes Element

 

(f) Dieſer Kunſtausdruck würde

in der guten alten Zeit nicht ent-

ſtanden ſeyn, wenn es nicht eine

wahre Schenkung geweſen wäre.

Daß man in der neueſten Geſetz-

gebung donatio propter nuptias

nennt, was in der That nicht

Schenkung iſt, beweiſt dagegen

Nichts. Die ſchon weit früher

vorkommende donatio ante nup-

tias war eine wahre Schenkung,

von jeder andern Schenkung gar

nicht verſchieden, und wurde nur

beſonders hervorgehoben, damit

ſie nicht mit der, faktiſch ſo nahe

liegenden, verbotenen donatio

inter virum et uxorem verwech-

ſelt würde. Die hiſtoriſche Ent-

wicklung der neuen donatio pro-

pter nuptias aus der älteren do-

natio ante nuptias erklärt und

rechtfertigt einigermaßen den un-

genauen Sprachgebrauch in der

Benennung der donatio propter

nuptias.

|0038 : 24|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

der Schenkung wieder in zwey, von einander verſchiedene.

Es muß nämlich erſtens Etwas aus Einem Vermögen aus-

ſcheiden und in das andere hinübergehen, und es muß

zweytens der letzte Erfolg dieſer Veränderung darin beſte-

hen, daß der Totalwerth des einen Vermögens vermin-

dert, des andern vermehrt wird. Daß das erſte ohne das

zweyte Statt finden könne, wird durch den Kauf einer

Sache um ihren wahren Werth einleuchtend, wobey aus

jedem Vermögen Etwas in das andere übergeht, und den-

noch Keiner reicher oder ärmer wird (a). — Das erſte die-

ſer beiden, ſo unterſchiedenen Elemente nenne ich die Ver-

äußerung (b), und es iſt demnach vor Allem auszufüh-

ren, daß jede Schenkung eine Veräußerung enthalten müſſe.

Ja dieſes iſt in der That die Grundlage aller Schenkung.

In dieſem Beſtandtheil nun iſt die Schenkung ver-

wandt mit einigen anderen Rechtsinſtituten, deren Grund-

ſätze wir folglich hier geltend machen dürfen. Das erſte

derſelben iſt die Pauliana actio, oder die Klage eines Glau-

bigers gegen Denjenigen, an welchen der inſolvente Schuld-

ner unredlicherweiſe, zum Nachtheil des Glaubigers, Etwas

veräußert hat. Dieſe Klage kommt mit der Schenkung

 

(a) Die Römer pflegen beide

Erforderniſſe nicht zu unterſchei-

den, ſondern unter den gemein-

ſamen Ausdrücken zuſammen zu

faſſen, der Eine müſſe paupe-

rior, der Andere locupletior wer-

den. Vgl. L. 5 § 8. 16 de don.

int. vir. (24. 1.). Für die deut-

liche Einſicht iſt die Unterſchei-

dung gewiß förderlich.

(b) Gewöhnlich gebrauchen wir

den Ausdruck Veräußerung in

demſelben beſchränkteren Umfang,

wie die Römer den Ausdruck alie-

natio, nämlich für die Übertra-

gung irgend eines dinglichen

Rechts. L. 7 C. de reb. alienis

(4. 51.).

|0039 : 25|

§. 145. Schenkung. Begriff. 2. Veräußerung.

in dem Erforderniß der Veräußerung (weshalb ich ſie hier

erwähne) völlig überein (c), Bereicherung des Empfängers

iſt dazu nicht ſchlechthin nöthig, ſondern nur entweder Be-

reicherung deſſelben, oder Mitwiſſen an der Unredlichkeit

des veräußernden Schuldners (d). — Das zweyte ver-

wandte Rechtsinſtitut war die Faviana und Calvisiana

actio. Der Patron hatte große Anſprüche an den Nach-

laß des Freygelaſſenen. Suchte nun dieſer durch Veräu-

ßerungen jene Anſprüche unredlicherweiſe zu entkräften, ſo

bekam der Patron jene Klagen gegen den Dritten, an

welchen die Veräußerung geſchehen war (e). Auch hier

liegt derſelbe Begriff der Veräußerung zum Grunde, wie

bey der Schenkung und der Pauliana actio (f), und darum

werden jene Klagen hier erwähnt. In Beziehung auf den

Empfänger waren dieſelben noch ausgedehnter als die Pau-

liana; er brauchte weder mitwiſſend zu ſeyn, noch durch

die Veräußerung bereichert zu werden, um durch dieſe Kla-

gen zur Rückgabe des Empfangnen gezwungen werden zu

(c) L. 3 § 2 L. 6 pr. quae

in fraud. (42. 8.).

(d) L. 6 § 11, L. 25 pr. quae

in fraud. (42. 8.). — L. 7. 8. 9

eod. — L. 5 C. de revoc. his

quae in fr. (7. 75.).

(e) L. 1 pr. § 3. 4 L. 3 § 2. 3

si quid in fraud. (38. 5.). —

Daß dieſe Klagen im heutigen

Recht nicht vorkommen, verſteht

ſich; ihre Grundſätze aber haben

ſich darin durch folgende weitere

Anwendung erhalten. Wenn ein

Unmündiger arrogirt wird, ſo

muß er bey des Adoptivvaters

Tod wenigſtens den vierten Theil

des Vermögens deſſelben erhal-

ten. Hat ihm der Vater durch

Veräußerungen dieſen geſetzlichen

Anſpruch zu entkräften geſucht, ſo

kann er durch eine actio quasi

Faviana oder Calvisiana die ver-

äußerten Sachen zurück fordern.

L. 13 eod.

(f) L. 1 § 6. 7 si quid in fr.

(38. 5.).

|0040 : 26|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

können (g). — Einigermaßen gehört auch die condictio in-

debiti, desgleichen das ſogenannte beneficium competen-

tiae, unter die Rechtsinſtitute, deren Analogie zur Be-

ſtimmung der in der Schenkung nothwendig enthaltenen

Veräußerung benutzt werden kann. Die Condiction inſo-

fern, als auch ſie ein Weggeben oder Veräußern voraus-

ſetzt, eben ſo wie die Schenkung (dort solvendi animo,

hier donandi); das beneficium competentiae, inſofern die-

ſes wegfällt, wenn der Schuldner nur durch abſichtliche

Veräußerung in eine ganz hülfloſe Lage gekommen iſt.

Überall nun, wo dieſes Erforderniß wahrer Veräuße-

rung fehlt, darf keine Schenkung angenommen werden,

ſelbſt wenn andere Elemente derſelben, namentlich das un-

eigennützige Wohlwollen als Beweggrund, vorhanden ſeyn

ſollten. Die Fälle, in welchen blos aus dieſem Grund

die Schenkung ausgeſchloſſen iſt, laſſen ſich auf folgende

Klaſſen zurückführen:

 

1) Wenn das Wohlwollen durch eine ſolche Thätig-

keit geäußert wird, welche den Umfang des Vermögens

überhaupt nicht berührt.

2) Wenn blos die mögliche Vermehrung des Vermoͤ-

gens unterlaſſen, kein erworbenes Recht aufgeopfert wird.

(g) L. 1 § 4. 12. 13. 16. 17. 24

si quid in fraud. (38. 5.). —

Die größere Strenge gegen den

Beklagten, in Vergleichung mit

der Pauliana, erklärt ſich wohl

daraus, daß die Eigenſchaft eines

Freygelaſſenen leichter erkennbar

iſt, als die Eigenſchaft eines in-

ſolventen Schuldners. Wenn nun

Beiden gegenüber ein Käufer

gleich unwiſſend, alſo redlich iſt, ſo

trifft dieſen Käufer der Vorwurf

der Unvorſichtigkeit mehr bey der

Faviana, als bey der Pauliana.

|0041 : 27|

§. 145. Schenkung. Begriff. 2. Veräußerung.

3) Wenn zwar auf der einen Seite ein Vermögens-

recht aufgeopfert, auf der andern Seite aber ein außer

dem Vermögen liegendes Recht erworben wird.

Die erſte Klaſſe von Fällen ohne wahre Schenkung

beſteht darin, daß die wohlwollende Thätigkeit den Um-

fang des Vermögens nicht berührt.

 

Daher liegt keine Schenkung in dem Mandat, das

heißt der unentgeldlichen Beſorgung fremder Angelegenhei-

ten, desgleichen in dem Depoſitum, das heißt der unent-

geldlichen Aufbewahrung fremder Sachen, obgleich durch

dieſe beiden Geſchäfte dem Andern eine bedeutende Geld-

ausgabe erſpart werden kann (h). Eben ſo auch in dem

Commodat, das heißt dem unentgeldlichen Gebrauch einer

Sache, den wir einem Andern verſtatten; desgleichen in

dem damit verwandten Precarium (i). In allen dieſen

Fällen iſt deswegen keine Schenkung vorhanden, weil der

Handelnde den Umfang ſeines Vermögens nicht verändert.

 

(h) L. 9 § 3 de j. dot. (23. 3.),

L. 58 § 2 de don. int. vir. (24

1.). Hier wird das Depoſitum

zwiſchen Mann und Frau, eben

ſo das Mandat zwiſchen dem

Mann (oder deſſen Sohn) und

der Frau, als gültig anerkannt,

worin alſo liegt, daß dieſe Ge-

ſchäfte nicht die Natur einer Schen-

kung an ſich tragen.

(i) Als Widerlegung könnte

man folgende Stellen geltend ma-

chen: L. 14 de prec. (43. 26.).

„… magis enim ad donationes

et beneficii causam, quam ad

negotii contracti, spectat pre-

carii condicio.” L. 14 § 11 de

furtis (47. 2.). „.. quia simile

donato precarium est.” Hier

iſt aber offenbar donatio in dem

unbeſtimmten faktiſchen Sinn ge-

nommen, ja ſelbſt der Ausdruck

geht auf eine bloße Ähnlichkeit

mit donatio, nicht auf wirkliche

Subſumtion unter den Begriff

derſelben.

|0042 : 28|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Ein Zweifel könnte in den Fällen entſtehen, in welchen

der Handelnde durch dieſelbe Thätigkeit hätte anderwärts

Geld erwerben können, welchen Erwerb er nun, zu des

Andern Vortheil, freywillig ausgeſchlagen hat. Dieſe

Frage aber fällt in die Betrachtung der folgenden Klaſſe.

Noch wichtiger iſt die zweyte Klaſſe von Fällen ohne

wahre Schenkung, welche darauf beruht, daß blos die

mögliche Vermehrung des Vermögens unterlaſſen, kein er-

worbenes Recht aufgeopfert wird. In allen ſolchen Fäl-

len iſt überhaupt keine Veräußerung vorhanden (k), und

aus dieſem Grunde wird die Anwendung ſowohl der Pau-

liana und Faviana (l), als des fingirten Vermögens bey

dem ſogenannten beneficium competentiae (m), ſchlechthin

verneint. Aus demſelben Grunde aber kann keine Schen-

kung angenommen werden, wie rein auch die wohlwol-

lende Triebfeder des Einen, und wie groß der Gewinn

des Andern ſeyn möge. Und zwar iſt dieſes als durchgrei-

fendes Princip anzuſehen, ſowohl in Beziehung auf die

Lex Cincia und die Inſinuation, als auf die Schenkung

in der Ehe (wovon allein die meiſten Stellen reden), und

den Widerruf (n).

 

(k) L. 28 pr. de V. S. (50. 16.).

„… Qui occasione adquirendi

non utitur, non intelligitur alie-

nare ..”

(l) L. 6 pr. quae in fraud.

(42. 8.), L. 134 pr. de R. J.

(50. 17.). — L. 1 § 6 si quid in

fraud. (38. 5.).

(m) L. 68 § 1 pro socio (17.

2.). Illud quaeritur, utrum is

demum facere videtur quo mi-

nus facere possit, qui erogat

bona sua in fraudem futurae

actionis, an et qui occasione

adquirendi non utitur? Sed ve-

rius est de eo sentire Procon-

sulem, qui erogat bona sua …”

(n) Eine Beſtätigung dieſer

|0043 : 29|

§. 145. Schenkung. Begriff. 2. Veräußerung.

Die einzelnen Fälle dieſer Klaſſe ſind folgende.

 

Es iſt keine Schenkung, wenn Derjenige, welchem eine

Erbſchaft oder ein Legat angefallen iſt, dieſes ausſchlägt,

um dem nach ihm Berufenen den Vortheil zuzuwenden;

daher iſt dieſe Begünſtigung unter Ehegatten erlaubt (o),

und eben ſo iſt hier die Anwendung der Pauliana und der

Faviana ausgeſchloſſen (p). Daſſelbe gilt, wenn Jemand

den ihm geneigten Teſtator beſtimmt, nicht ihm, ſondern

einem Andern, die Erbſchaft oder ein Legat zuzuwenden (q).

Eben ſo wenn der berufene Legatar (oder Erbe) den Er-

werb dadurch verhindert, daß er eine vorgeſchriebene Be-

dingung abſichtlich unerfüllt läßt (r). — Dieſer ganzen Be-

 

Behauptungen liegt in folgender

Stelle, worin man bey oberfläch-

licher Betrachtung einen Einwurf

ſuchen könnte. L. 45 pr. de j.

fisci (49. 14.). „In fraudem fisci

non solum per donationem, sed

quocunque modo res alienatae

revocantur: idemque juris est

et si non quaeratur: aeque

enim in omnibus fraus puni-

tur.” Hier iſt deutlich anerkannt,

daß der unterlaſſene Erwerb we-

der als Schenkung, noch über-

haupt als Veräußerung zu be-

trachten iſt; nur ſoll das Klage-

recht des Fiscus alle dieſe Fälle

gleichmäßig umfaſſen.

(o) L. 5 § 13. 14 de don. int.

vir. (24. 1.). Ganz gewiß kann

in demſelben Fall weder von der

L. Cincia, noch von der Inſi-

nuation die Rede ſeyn. Nicht

blos paſſen die hierin enthalte-

nen Formen gar nicht auf die

Ausſchlagung der Erbſchaft oder

des Legats, ſondern dieſe Be-

ſchränkung ſteht mit der Grund-

anſicht des R. R. von der freyen

Willkühr berufener Erben oder

Legatare im Widerſpruch. Bey

Erbſchaften kommt noch hinzu der

unſichere Erfolg des Ausſchlagens,

weil der Erwerb des nachher Be-

rufenen, dem der Vortheil zuge-

dacht iſt, noch auf mancherley

Weiſe verhindert werden kann:

durch deſſen Ausſchlagen oder Tod,

durch Verſäumniß der Agnitions-

friſt.

(p) L. 6 § 2 — 5 quae in fraud.

(42. 8.). — L. 1 § 6 si quid in

fraud. (38. 5.).

(q) L. 31 § 7 de don. int. v.

(24. 1.), von dem Verhältniß der

Ehegatten.

(r) L. 1 § 6 si quid in fraud.

|0044 : 30|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

hauptung ſcheint die Beſtimmung zu widerſprechen, daß

die Ehefrau ihrem Manne eine Dos dadurch beſtellen kann,

daß ſie zu ſeinem Vortheil ein ihr angefallenes Legat, oder

auch eine Erbſchaft, ausſchlägt (s). Dennoch iſt hierin

kein Widerſpruch. Wenn die Frau hierüber mit ihrem

Manne einig iſt, ſo liegt in der eben angeführten Beſtim-

mung blos der Erlaß einer ganz überflüſſigen Förmlich-

keit, eine Art von brevi manu facta traditio, indem ohne-

hin die Frau hätte das Legat oder die Erbſchaft erwerben

und dann dem Mann als Dos hingeben können. Es iſt

alſo nur die natürliche Erleichterung eines durchaus gül-

(38. 5.). — Eben ſo gehört da-

hin der in L. 67 § 3 ad Sc. Treb.

(36. 1.) angeführte Fall, da der

eingeſetzte Erbe die Erbſchaft für

ſuspect erklärt, blos um ſie nun

dem Fideicommiſſar ganz, ohne

Abzug, zuzuwenden. Das heißt

hier donationis causa, aber wie-

der nur in dem uneigentlichen

Sinn, eine wahre Schenkung iſt

es nicht. Vgl. unten § 152. g.

(s) L. 14 § 3 de fundo dot.

(23. 5.). „Si fundum legatum

sibi dotis causa mulier repu-

diaverit, vel etiam substituto

viro omiserit hereditatem, vel

legatum: erit fundus dotalis.”

— Damit ſcheint wieder unver-

einbar L. 5 § 5 de j. dot. (23.

3.). „Si pater repudiaverit he-

reditatem dotis constituendae

causa … dotem profectitiam

non esse, Julianus ait. Sed et

si legatum in hoc repudiaverit

pater … non esse profectum

id de bonis: quia nihil eroga-

vit de suo pater, sed non ad-

quisivit.” Allerdings iſt dieſe

ausgeſchlagene Erbſchaft nicht pro-

fecta a patre, und daher gilt da-

bey nicht das ſehr poſitive Recht

der profectitia dos; will der Va-

ter, daß dieſes gelte, ſo muß er

erſt die Erbſchaft erwerben, und

dann den Inhalt derſelben dem

Schwiegerſohn als Dos geben.

Allein auch ohne dieſen Umweg,

würde es immer eine Dos ſeyn,

nur nicht profectitia. — Das aber

wird überall, und auch in L. 14

cit., ſtillſchweigend vorausgeſetzt,

daß der Mann mit dem ganzen

Hergang einverſtanden war; denkt

man blos an ein einſeitiges Aus-

ſchlagen des Vaters oder der Frau

in dieſer Abſicht, aber ohne Über-

einkunft mit dem Mann, ſo wird

dieſer unbeſchränkt Erbe oder Le-

gatar, ohne alle Dotalverpflich-

tung.

|0045 : 31|

§. 145. Schenkung. Begriff. 2. Veräußerung.

tigen Rechtsgeſchäfts, in einer durch viele unzweifelhafte

Analogien unterſtützten Weiſe. Wollte man dagegen die

donandi animo ausgeſchlagene Erbſchaft als wahre Schen-

kung behandeln, ſo würde man nicht, wie in jenem Fall,

den rechtmäßigen Willen durch erleichterte Formen unter-

ſtützen, ſondern man würde die ganz poſitiven, den Wil-

len einſchränkenden, Schenkungsregeln künſtlich auf einen

Fall anwenden, der ſeiner Natur nach jenen Regeln gar

nicht unterworfen iſt, woraus alſo eine ganz grundloſe

Beſchränkung des freyen Willens hervorgehen würde.

Eben ſo iſt keine Veräußerung (alſo auch keine Schen-

kung) vorhanden, wenn der Glaubiger, dem Etwas unter

einer Bedingung verſprochen iſt, die Erfüllung dieſer Be-

dingung, alſo die Entſtehung einer Forderung, abſichtlich

verhindert (t).

 

Ferner wenn Derjenige, welcher zu einer querela in-

officiosi, oder zu einer Injurienklage berechtigt iſt, dieſe

Klagen abſichtlich untergehen läßt (u). Bey anderen Klagen

würde es eine Veräußerung, zuweilen alſo auch eine Schen-

kung, geweſen ſeyn, weil das Klagerecht ſelbſt ſchon ein

Stück des Vermögens geweſen wäre; bey jenen Klagen

iſt zunächſt noch gar kein Vermögensrecht vorhanden, ſon-

dern es kann nur erſt ein ſolches entſtehen durch des Ver-

letzten freyen Entſchluß zur Klage (§ 73. f. x). Daher iſt

 

(t) L. 6 § 1 quae in fraud.

(42. 8.), von der Pauliana. —

L. 1 § 6 si quid in fraud. (38.

5.), von der Faviana.

(u) L. 1 § 7. 8 si quid in

fraud. (38. 5.), von der Faviana.

|0046 : 32|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

der von dem Berechtigten herbeygeführte Untergang jener

Klagen nur als abſichtlich unterlaſſener Erwerb eines Ver-

mögensrechts, nicht als Veräußerung anzuſehen.

§. 146.

V. Schenkung. — Begriff. 2. Veräußerung.

(Fortſetzung.)

Zu derſelben zweyten Klaſſe von Fällen ohne wahre

Schenkung gehören noch folgende, deren Natur nicht ſo

unzweifelhaft iſt, wie die der bisher abgehandelten.

 

Es wurde oben geſagt, daß das Commodat in der

Regel keine Schenkung enthalte (§ 145), und für gewöhn-

liche Fälle kann dieſes auch keinen Zweifel haben. Wer

einem Freund Pferd oder Wagen zu einer Reiſe unent-

geldlich überläßt, wird dadurch nicht ärmer, er entbehrt

nur eine Zeit lang die Bequemlichkeit, die ihm der eigene

Gebrauch der verliehenen Sachen gewähren konnte. Es

giebt jedoch eine Art von Sachen, die vor anderen zum

gleichförmig nothwendigen Lebensbedarf gehören. Jeder

Menſch bedarf einer Wohnung, und inſofern er nicht un-

tergeordnetes Mitglied eines Hausſtandes iſt, kann er die-

ſes Bedürfniß in der Regel nur durch Grundeigenthum,

oder durch einen Miethvertrag, befriedigen. Eben ſo wird

umgekehrt der Eigenthümer eines Hauſes dieſes entweder

ſelbſt bewohnen, oder vermiethen; daß er es leer ſtehen

laſſe, gehört zu den ſeltnen Ausnahmen. Daher läßt ſich

bey Wohngebäuden, mehr als bey anderen Sachen, der

 

|0047 : 33|

§. 146. Schenkung. Begriff. 2. Veräußerung. (Fortſetzung.)

bloße Gebrauch zu dem Werth einer Geldſumme anſchla-

gen, und es werden ſich dafür an den meiſten Orten, je

nach der Größe und Annehmlichkeit der Wohnungen, ziem-

lich regelmäßige Preiße bilden. Die natürliche Folge da-

von iſt, daß das Commodat einer Wohnung (a) als eine

wahre Schenkung angeſehen werden kann, nämlich als

Schenkung derjenigen Geldſumme, welche der Bewohner

ohne jenes Commodat als Miethgeld hätte aufwenden

müſſen (b). In den meiſten Fällen wird der Eigenthümer,

der die Wohnung unentgeldlich überläßt, gerade ſo viel

an Miethgeld aufopfern, als der Andere an Miethgeld

erſpart; wo dieſes nicht iſt, kann nur die geringere Summe

als Gegenſtand der Schenkung gelten, da nur in dieſer

das Geben und Nehmen zuſammen trifft, welches zum

Weſen jeder Schenkung nöthig iſt. Wenn z. B. eine Woh-

nung, die ſtets zu 800 vermiethet war, Demjenigen un-

entgeldlich überlaſſen wird, der, nach Verhältniß ſeiner

Einnahme, nie mehr als 500 an Miethgeld ausgab, ſo

ſind ihm nur 500 geſchenkt, weil er nur dieſe als Mieth-

geld erſpart; die übrigen 300, die der Eigenthümer gleich-

falls aufopfert, gehen darin auf, daß der Bewohner mehr

(a) Daß es ein wahres Com-

modat iſt, ſagen ausdrücklich L. 1

§ 1 comm. (13. 6.), L. 17 pr.

de praescr. verbis (19. 5.).

(b) L. 9 pr. de don. (39. 5.).

„In aedibus alienis habitare

gratis, donatio videtur: id enim

ipsum capere videtur qui ha-

bitat, quod mercedem pro ha-

bitatione non solvit.” — So

ſteht in L. 6 de alimentis (34.

1.) die habitatio, neben cibaria

et vestitus, unter den ſtrengen

Lebensbedürfniſſen „quia sine his

ali corpus non potest.”

IV. 3

|0048 : 34|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Luxus und Bequemlichkeit zu genießen bekommt, ohne da-

durch reicher zu werden (c). Wird umgekehrt eine Woh-

nung von 500 unentgeldlich einem Bewohner überlaſſen,

der ſtets 800 an Miethgeld ausgab, ſo ſind wieder nur

500 geſchenkt, da der Eigenthümer nur dieſe aufopfert;

die übrigen 300 erſpart der Bewohner zwar auch, aber

nicht durch die Freygebigkeit des Eigenthümers, ſondern

durch Entbehrungen, denen er ſich unterwirft. — Dieſe

Art der Schenkung wird übrigens in vielen Fällen die An-

wendung der poſitiven Regeln gar nicht veranlaſſen. Von

der Inſinuation wird dabey die Rede ſeyn, nur wenn durch

Vertrag auf beſtimmte künftige Zeit die Wohnung über-

laſſen wird, weil ſich dann die Schenkung ſogleich auf

eine beſtimmte Geldſumme zurückführen läßt; fehlt ein ſol-

cher Vertrag, ſo löſt ſich das Ganze in viele einzelne

Schenkungen auf, und die Inſinuation iſt nicht anwend-

(c) Auf dieſe Geſtalt des Falls

geht, in einem ganz ähnlichen

Rechtsverhältniß, L. 65 § 7 de

cond. ind. (12. 6.). „Sic habi-

tatione data, pecuniam condi-

cam: non quidem quanti lo-

care potui, sed quanti tu con-

ducturus fuisses” (nämlich wenn

dieſes Letzte weniger beträgt als

das Erſte). Wie durch den sol-

vendi animus im Fall des Irr-

thums die Anwendung der con-

dictio begründet wird, ſo durch

den donandi animus die Anwen-

dung der poſitiven Regeln der

Schenkung. Beide Anwendungen

ſind bedingt durch Veräußerung,

d. h. durch übereinſtimmendes Ge-

ben und Empfangen, und darum

beweiſt die angeführte Stelle auch

hier. — Ganz auf denſelben An-

ſichten beruht auch L. 25 § 16 de

her. pet. (5. 3.). Der redliche

Beſitzer einer Erbſchaft ſoll nur

herausgeben, was er lucrirt hat;

ſind Vorräthe der Erbſchaft ver-

zehrt worden, ſo erſetzt er nur,

was er außerdem aus eigenem

Vermögen angeſchafft hätte, alſo

nun erſpart hat. „Et verius est,

ut ex suo patrimonio decedant

ea, quae, etsi non heres fuis-

set, erogasset.”

|0049 : 35|

§. 146. Schenkung. Begriff. 2. Veräußerung. (Fortſetzung.)

bar (§ 166). — Unter Ehegatten kann die Wohnung des

Mannes im Hauſe der Frau nicht als Schenkung gelten,

weil ſie die natürliche Folge des gemeinſamen Lebens iſt

(§ 152); anders iſt es, wenn ein Ehegatte dem Andern

ein Gebäude unentgeldlich überläßt, welches von dieſem

zur Betreibung eines Gewerbes (nicht zur eignen Woh-

nung) benutzt wird. — Der Widerruf aus beſonderen

Gründen wird bey dieſer Schenkung immer vorkommen

können.

So wie hier das Commodat ausnahmsweiſe eine Schen-

kung enthält, kann auch das Depoſitum (§ 145) ſich zu

einer ſolchen geſtalten. Wenn nämlich der Eigenthümer

eines Magazins in denſelben regelmäßig Kaufmannswaa-

ren gegen Bezahlung aufnimmt, dieſen Raum aber einem

Einzelnen unentgeldlich geſtattet, ſo enthält das Depoſitum

eine wahre Schenkung, weil der Eine eine Geldeinnahme

aus Liberalität aufopfert, der Andere eine Ausgabe erſpart.

 

Derſelbe Fall findet ſich ferner bey dem Mandat, wel-

ches gleichfalls in der Regel nicht als Schenkung gelten

kann (§ 145). Iſt naͤmlich die Rede von gewerblichen

Arbeiten, die gewöhnlich für Geld geleiſtet werden (ope-

rae fabriles), ſo koͤnnen dieſe, ganz wie der Gebrauch ei-

nes Hauſes, auf beſtimmte Geldſummen zurückgeführt wer-

den (d). Wird nun eine ſolche Arbeit aus Liberalität un-

entgeldlich beſorgt, und wird dadurch dem Andern das

 

(d) L. 6 de operis libert. (38.

1.). „Fabriles operae ceterae-

que, quae quasi in pecuniae

praestatione consistunt …”

3*

|0050 : 36|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Geld erſpart, welches er außerdem dafür hätte ausgeben

müſſen, ſo liegt darin eine wahre Schenkung; gerade ſo

wie die condictio indebiti begründet iſt, wenn jene Arbeit

in irriger Vorausſetzung einer Verpflichtung geleiſtet wird (e).

Die Schenkung konnte in ſolchem Fall bey den Römern

ausgehen bald von dem Arbeiter ſelbſt, wenn dieſer ein

freyer Menſch war, bald von dem Eigenthümer des ar-

beitenden Sklaven; bey uns iſt nur der erſte Fall denkbar.

Noch unzweifelhafter, als bey dem Commodat eines

Hauſes, iſt eine Schenkung anzunehmen, wenn der Ge-

brauch eines Landguts einem Andern unentgeldlich über-

laſſen wird (f). Denn dieſer Gebrauch beſteht hauptſäch-

lich in dem Fruchterwerb, und die künftigen Früchte ſind

 

(e) L. 26 § 12 de cond. ind.

(12. 6.). „.. Sed si operas pa-

trono exhibuit, non officiales,

sed fabriles, veluti pictorias

vel alias, dum putat se debere,

videndum an possit condicere?

… in proposito, ait, posse con-

dici, quanti operas esset con-

ducturus …” (esset, nämlich

patronus; ſo lieſt richtig die Vul-

gata; Flor. „essem”). — Nur

ſcheinbar widerſpricht dieſer Stelle

L. 25 de praescr. verb. (19. 5.),

welche blos ſagt, die Condiction

könne nun nicht auf gegenſeitig,

als Erſatz, zu leiſtende Arbeit

gehen; damit iſt nicht ausgeſchloſ-

ſen, daß ſie auf das Geld gerich-

tet werde, welches der Empfän-

ger der Arbeit erſpart, folglich

ſo gut als baar empfangen hat.

(f) L. 9 § 1 de don. (39. 5.).

„Ex rebus donatis fructus per-

ceptus in rationem donationis

non computatur. (Von dieſem

Satz wird ſogleich Gebrauch ge-

macht werden.) Si vero non fun-

dum, sed fructus perceptionem

tibi donem: fructus percepti

venient in computationem do-

nationis.” Die computatio geht,

im Sinn des Verfaſſers (Pom-

ponius), auf die Vorſchriften der

L. Cincia; im Sinn Juſtinians

auf die Inſinuation. — Daſſelbe

Rechtsgeſchäft liegt zum Grunde

der Vorſchrift in L. 35 § 1 C.

de don. (8. 54.). Ferner dem

Fruchtgenuß, den ein Fructuar

einem Dritten ſchenkungsweiſe

überläßt (§ 156).

|0051 : 37|

§. 146. Schenkung. Begriff. 2. Veräußerung. (Fortſetzung.)

es alſo, deren Eigenthum hier geſchenkt wird. Dieſe

Schenkung hat, wenn man auf den materiellen Erfolg

ſieht, große Ähnlichkeit mit einem geſchenkten Niesbrauch,

und ſie unterſcheidet ſich von demſelben allgemein nur da-

durch, daß der Empfänger kein dingliches Recht bekommt;

daneben kann dieſe Schenkung mit der verſchiedenſten Dauer

verbunden ſeyn: ſie kann auf willkührlichen Widerruf ge-

geben werden, oder auf beſtimmte Jahre, oder auch (gleich

dem Niesbrauch) auf die Lebensdauer des Empfängers (g).

Eine bloße Anwendung und Anerkennung dieſes Grund-

ſatzes iſt in folgender Beſtimmung enthalten. Wenn der

Mann Grundſtücke als Dos bekommen hat, und nun de-

ren natürliche Früchte oder Pachtertrag der Frau über-

läßt, ſo liegt darin eine ungültige Schenkung (h). Daſ-

ſelbe muß gewiß um ſo mehr angenommen werden, wenn

der Mann ſeine eigenen (nicht zur Dos gehörenden) Grund-

ſtücke auf gleiche Weiſe der Frau überläßt.

Auf den erſten Blick möchte man glauben, der ver-

ſchaffte Gebrauch einer Geldſumme, weil dieſe fähig iſt

Zinſen zu tragen, müſſe eben ſo wie der Gebrauch eines

Hauſes oder Landguts, als Schenkung gelten; dennoch iſt

es nicht alſo. Wenn der Glaubiger ein bisher zinsbares

Darlehen, durch Erlaß der künftigen Zinſen, in ein un-

 

(g) Wie dieſer überlaſſene

Fruchtgenuß auch für die Zukunft

durch Rechtsgeſchäfte befeſtigt wer-

den könne, wird angegeben in

L. 66 de j. dot. (23. 3.) und

L. 57 sol. matr. (24. 3.).

(h) L. 22 L. 28 de pactis dot.

(23. 4.), L. 8 C. de don. int.

vir. (5. 16.), L. 20 C. de j. dot.

(5. 12.).

|0052 : 38|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

verzinsliches verwandelt, ſo gilt dieſes nicht als wahre

Schenkung, deren poſitive Einſchränkungen alſo auf einen

ſolchen Fall nicht anwendbar ſind (i). Alſo muß um ſo

mehr bey einer Geldſumme, die erſt jetzt als Darlehen

ohne Zinſen hingegeben wird, das Daſeyn einer Schen-

kung verneint werden. — Wer eine Schuld, die er erſt

nach Jahren zu zahlen brauchte, ſogleich zahlt, verſchafft

dadurch allerdings dem Gläubiger den Vortheil des frü-

heren Zinsgenuſſes; dennoch gilt es nicht als Schenkung,

denn es iſt unter Ehegatten durchaus erlaubt (k). Daher

kann es auch nicht als Schenkung gelten, wenn die in

diem contrahirte Schuld vertragsweiſe in eine praesens

obligatio verwandelt wird, da dieſes eine noch geringere

Veränderung iſt, als die augenblickliche Zahlung. — Eben

ſo darf es aber auch umgekehrt nicht als Schenkung gel-

ten, wenn die praesens obligatio durch Vertrag in diem

geſtellt wird (l), indem auch dadurch der Schuldner höch-

(i) L. 23 pr. de don. (39. 5.).

„Modestinus respondit, credi-

torem futuri temporis usuras

et remittere et minuere pacto

posse: nec in ea donatione, ex

summa quantitatis aliquid vi-

tii incurrere.” Das vitium ex

summa quantitatis geht wieder

auf die L. Cincia und die Inſi-

nuation, wie in L. 9 § 1 eod.

(Note f). Daß das Geſchäft den-

noch donatio genannt wird, ge-

hört zu dem uneigentlichen Sprach-

gebrauch (§ 143. i).

(k) L. 31 § 6 de don. int.

vir. (24. 1.). „Quod vir uxori

in diem debet, sine metu do-

nationis praesens solvere po-

test: quamvis commodum tem-

poris retenta pecunia sentire

potuerit.” Daher gilt auch in

gleichem Fall, wenn die Zahlung

aus Irrthum zu früh geleiſtet wird,

durchaus keine condictio inde-

biti. L. 10. 17. 56 de cond. ind.

(12. 6.), L. 88 § 5 de leg. 2

(31. un.).

(l) L. 56 de cond. ind. (12.

6.). „… pactum, quod in tem-

pus certum collatum est, non

|0053 : 39|

§. 146. Schenkung. Begriff. 2. Veräußerung. (Fortſetzung.)

ſtens den Zinſengenuß der Zwiſchenzeit gewinnt, voraus-

geſetzt daß die Schuld eine unverzinsliche iſt. — Worin

liegt nun der Grund des Unterſchieds, wenn der Gebrauch

eines Grundſtücks, oder aber einer Geldſumme, dem An-

dern unentgeldlich verſchafft wird? Ohne Zweifel liegt

er in folgender ſehr natürlicher Betrachtung. Daß Je-

mand ein Grundſtück ganz unbenutzt laſſe, alſo weder durch

eignen Gebrauch, noch durch Vermiethung, Vortheil da-

von ziehe, iſt völlig ungewöhnlich, ja in den meiſten Fäl-

len, worin es dennoch vorkommen mag, nur als ſchlechte

Wirthſchaft erklärlich. Anders bey dem baaren Gelde.

Dieſes kann der Eigenthümer aus mancherley Gründen

bey ſich aufbewahren, wo es ihm keine Früchte trägt; er

kann es auch in Hausrath, Kunſtwerken u. ſ. w. anlegen,

die gleichfalls keine Früchte bringen. In gewiſſem Um-

fang geſchieht ſogar Beides von Jedem; und wo wäre

magis inducit condictionem,

quam si ex die debitor solvit

…,” offenbar deswegen, weil da-

durch der Glaubiger Nichts weg-

giebt oder veräußert; aus dem-

ſelben Grunde aber kann es auch

nicht als Schenkung gelten. —

Hierin ſcheint nun zu widerſpre-

chen L. 9 pr. de don. (39. 5.).

„.. Potest enim et citra cor-

poris donationem valere dona-

tio: veluti si donationis causa

cum debitore meo paciscar, ne

ante certum tempus ab eo pe-

tam.” Da indeſſen ſo viele Stel-

len darin übereinſtimmen, daß

der verſchaffte Gebrauch einer

Geldſumme nicht als Veräuße-

rung der möglichen Zinſen gelte

(Note h. i, und die eben ange-

führte L. 56 de cond. ind.), ſo

darf auch hier das valere dona-

tio nicht von der Anerkennung

wahrer Schenkung, alſo von der

Anwendbarkeit der poſitiven Schen-

kungsregeln, verſtanden werden,

ſondern nur von der Möglichkeit

einer rechtsgültigen Liberalität, die

eine uneigentliche Schenkung iſt.

Vielleicht iſt der gegenwärtige fal-

ſche Schein dieſer Stelle nur durch

eine Auslaſſung, mit Rückſicht auf

die L. Cincia, entſtanden.

|0054 : 40|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

hier die Gränze zwiſchen Viel und Wenig? Obgleich alſo

auch unſer poſitives Recht die ſtete Möglichkeit anerkennt,

baares Geld zinsbar zu benutzen (worauf allein der Grund-

ſatz der Verzugszinſen beruht), ſo iſt doch der Gebrauch

dieſer Möglichkeit ganz willkührlich. Daher iſt es ganz

conſequent, den unentgeldlich überlaſſenen Gebrauch eines

Grundſtücks als ein von dem Eigenthümer gebrachtes Geld-

opfer, das heißt als eine Veräußerung zu betrachten, wäh-

rend dieſelbe Handlung bey dem baaren Gelde dafür nicht

angeſehen werden kann; der Eigenthümer, der (wie oben

bemerkt) das Geld vielleicht ungenutzt in ſeiner Kaſſe auf-

bewahren möchte, kann es vielleicht noch ſicherer und be-

quemer finden, dieſe Aufbewahrung in Geſtalt eines un-

verzinslichen Darlehens an einen wohlhabenden, zuverläſ-

ſigen Schuldner zu bewirken. — Aus demſelben Grunde

aber muß unzweifelhaft anders entſchieden werden, wenn

der Glaubiger ein bereits zinsbares Kapital einem Dritten

zur Nutzung überläßt; denn Dieſem ſchenkt er gerade den

Betrag der Zinſen, und es iſt ganz zufällig, daß er das

Geſchenk durch den, Zinſen bezahlenden, Schuldner ent-

richten läßt. Eben ſo iſt es auch anders, wenn die Frau

ihrem Manne eine Dos in Geld nicht auszahlt, ſondern

nur verſpricht und einſtweilen verzinſt, nun aber der Mann

dieſe Zinſen auch für die Zukunft erläßt, das heißt alſo

die zinsbare Schuld in eine unverzinsliche verwandelt;

darin liegt eine verbotene Schenkung (m). Der Grund iſt

(m) L. 21 § 1 L. 54 de don. int. vir. (24. 1.).

|0055 : 41|

§. 147. Schenkung. Begriff. 2. Veräußerung. (Fortſetzung.)

der, daß hier die Dos ſelbſt zunächſt nur in dieſer Zins-

zahlung beſteht, der Mann aber den Genuß der Dos zum

Vortheil der Frau nicht aufgeben kann, ohne dadurch eine

ungültige Schenkung vorzunehmen (n).

§. 147.

V. Schenkung. — Begriff. 2. Veräußerung.

(Fortſetzung.)

Eine etwas andere Geſtalt nehmen dieſe Fälle an, wenn

man nicht den Gebrauch oder Fruchtgenuß, wie wir es

bisher gethan haben, ſondern die fruchttragende Sache

ſelbſt, als Gegenſtand der Schenkung anſieht, und nun

den Einfluß der Schenkungsregeln auf die aus der ge-

ſchenkten Sache ſpäter entſtandenen Früchte erwägt. Be-

trachten wir in dieſer Hinſicht zuerſt ein geſchenktes Land-

gut (a) Bey der Frage nach dem Umfang der Schenkung

(bey der Inſinuation) kommt blos der Sachwerth des

Grundſtücks ſelbſt in Betracht; bleibt dieſer unter der ge-

 

(n) Noch etwas anders zu er-

klären iſt das tempore plus pe-

tere in § 33 J. de act. (4. 6.),

welches allerdings auch den Zin-

ſenverluſt berückſichtigt. Allein

das plus petere wird begründet

durch jede dem Schuldner aufge-

bürdete Erſchwerung ſeiner Lage,

auch wenn ſich dieſelbe gar nicht

auf ein beſtimmtes Geldopfer zu-

rückführen läßt. Selbſt ohne

Rückſicht auf Zinſen würde es

ſchon deshalb ein plus ſeyn kön-

nen, weil der Schuldner vielleicht

jetzt ſchwerer Geld herbeyſchaffen

kann, als zu der Zeit, worin die

Schuld fällig iſt.

(a) Ich nenne Dieſes, als den

wichtigſten und anſchaulichſten un-

ter den hierher gehörenden Ge-

genſtänden. Es verſteht ſich aber

von ſelbſt, daß Daſſelbe, wie bey

den Feldfrüchten, auch bey allen

anderen natürlichen Früchten, z.

B. den Jungen und der Wolle

verſchenkter Thiere, gelten muß.

|0056 : 42|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ſetzlichen Summe, ſo iſt die Schenkung durchaus gültig,

ohne Rückſicht auf die aus den ſpäteren Früchten allmälig

hinzutretende Bereicherung (b). Auch wenn der Sachwerth

die geſetzliche Summe überſteigt, z. B. 1000 Dukaten an-

ſtatt 500, bey fehlender Inſinuation, beträgt, ſo iſt zwar

die Hälfte des Landguts ungültig geſchenkt und kann zu-

rückgefordert werden; für die Früchte aber gilt keine Rück-

forderung, da ſich deren Erwerb auf viele einzelne kleine

Schenkungen zurückführen läßt, die keiner Inſinuation be-

dürfen (§ 166). — Sehr zweifelhaft iſt die Frage, wenn

ein unter Ehegatten verſchenktes Landgut zurückgefordert

wird, ob nun zugleich die Früchte, die der Beſchenkte ge-

zogen hat, und um welche er noch jetzt reicher iſt, als

Schenkung betrachtet, und zurückgefordert werden können.

Nach Ulpian möchte man dieſe Frage allgemein vernei-

nen (c). Pomponius verneint ſie blos für die durch Cul-

tur erzeugten Früchte, während er ſie für die von ſelbſt

entſtehenden bejaht (d). Beide Stellen ließen ſich dadurch

(b) L. 9 § 1 de don. (39. 5.)

in ihrem erſten Satz (§ 146. f).

L. 11 eod. „Cum de modo do-

nationis quaeritur, neque par-

tus nomine, neque fructuum,

neque pensionum, neque mer-

cedum ulla donatio facta esse

videtur.” (vgl. § 143. l). — Beide

ſprechen im Sinn ihrer Verfaſ-

ſer von der Lex Cincia, im Sinn

Juſtinians von der Inſinuation.

(c) L. 17 pr. de don. int. vir.

(24. 1.). „De fructibus quoque

videamus, si ex fructibus prae-

diorum, quae donata sunt, lo-

cupletata sit, an in causam do-

nationis cadant? Et Julianus

significat, fructus quoque, ut

usuras, licitam habere dona-

tionem.”

(d) L. 45 de usuris (22. 1.).

„Fructus percipiendo uxor vel

vir ex re donata suos facit:

(d. h. er darf ſich dadurch recht-

mäßig bereichern) illos tamen,

quos suis operis adquisierit,

|0057 : 43|

§. 147. Schenkung. Begriff. 2. Veräußerung. (Fortſetzung.)

etwa vereinigen, daß man die zweyte blos als die ge-

nauere Beſtimmung der erſten betrachtete, wodurch alle

entſcheidende Kraft in die zweyte gelegt würde. Allein

auch damit iſt die Schwierigkeit nur ſcheinbar beſeitigt.

Denn erſtlich iſt die Unterſcheidung jener zwey Arten von

Früchten theils ſchwankend und unbeſtimmt, theils grund-

los, da in den durch Cultur erzeugten Früchten doch im-

mer ein reiner Gewinn, nach Abzug der Culturkoſten, zu

ermitteln iſt; und wohin ſoll namentlich das Pachtgeld ge-

rechnet werden, welches eben dieſen reinen Gewinn dar-

ſtellt, und in die Hände des Verpächters ganz ohne Ar-

beit deſſelben gelangt? Zweytens ſteht es im Widerſpruch

mit der oben (§ 146. f. h) aufgeſtellten Regel, daß die

Überlaſſung des bloßen Fruchtgenuſſes als reine Schen-

kung gilt, und daher unter Ehegatten ungültig iſt; denn

dieſe Regel könnte nun der gewinnſüchtige Ehegatte leicht

dadurch umgehen, daß er ſich das Grundſtück ſelbſt ſchen-

ken ließe, da ihm denn, wenn es ſpäter zurückgefordert

würde, der Fruchtgenuß der Zwiſchenzeit nicht entzogen

werden könnte. Drittens iſt ganz ausdrücklich beſtimmt,

daß wenn der Mann während der Ehe die Dos an die

Frau zurück giebt, dieſes als ungültige Schenkung betrach-

tet, und die ganze Dos, alſo auch die darin enthaltenen

Grundſtücke, mit allen Früchten der Zwiſchenzeit, an den

veluti serendo: nam si pomum

decerpserit, vel ex silva cae-

dit, non fit ejus: (sicuti nec

cujuslibet bonae fidei possesso-

ris) quia non ex facto ejus is

fructus nascitur.”

|0058 : 44|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Mann zurückgegeben werden ſoll (e); gilt aber dieſes von

den Dotalgrundſtücken, ſo muß es um ſo mehr von den

eignen Grundſtücken des Mannes gelten. Noch wichtiger

endlich iſt eine Stelle des Marcellus, welche geradezu an-

nimmt, daß, bey dem an einen Ehegatten geſchenkten Ei-

genthum eines Landgutes, auch die Früchte mit in die

Schenkung fallen und von der Ungültigkeit eben ſo, wie

die Hauptſache, betroffen werden (f). Hieraus iſt es auch

klar, daß in der That die Römiſchen Juriſten verſchie-

dene Meynungen über dieſe Frage hatten. Marcellus hatte

die conſequenteſte Meynung; Ulpian, der ſich auf Julian

beruft, ſchließt alle Früchte von der Schenkung aus;

Pomponius vermittelt, indem er zwey Arten der Früchte

unterſcheidet. Daher könnte die oben angegebene Vereini-

gung des Ulpian mit Pomponius zwar im Sinn von Ju-

ſtinian, als Auflöſung eines Widerſpruchs, etwa verſucht

werden: Ulpians wahre Meynung findet darin keine An-

erkennung.

Erwägt man das Gewicht dieſer Gründe, ſo kann

 

(e) L. un. C. si dos (5. 19.),

d. h. L. 3 C. Th. de j. dot. (3.

13.). Nov. 22. C. 39.

(f) L. 49 de don. int. vir.

(24. 1.). Eine Frau ſchenkt ih-

rem Mann das Eigenthum eines

Landgutes, dergeſtalt daß dieſes

bey dem Tod des Mannes an den

Sohn dieſer Ehegatten fallen ſoll.

„.. si color vel titulus, ut sic

dixerim, donationi quaesitus

est, nihil valebit traditio: id

est si hoc exigit uxor, ut ali-

quid ex ea re interim com-

modi sentiret maritus.” Mar-

cellus geht alſo hier auch davon

aus, daß außerdem durch dieſe

Art der Schenkung ſelbſt die des

bloßen Fruchtgenuſſes gegen die

ihr zukommende Ungültigkeit ge-

ſichert werden würde, welches ver-

hindert werden ſoll.

|0059 : 45|

§. 147. Schenkung. Begriff. 2. Veräußerung. (Fortſetzung.)

wohl als wahrſcheinlich angenommen werden, daß Ulpian

und Pomponius in den angeführten Stellen durch die täu-

ſchende Ähnlichkeit der Früchte mit den Geldzinſen (von

welchen ſogleich noch die Rede ſeyn wird) irre geführt

worden ſind (g); dann aber wird anzunehmen ſeyn, daß

alle Früchte ohne Unterſchied als ungültig geſchenkt gelten,

und zurückgegeben werden müſſen, ganz nach der Anſicht

des Marcellus. Wem jedoch dieſes Verfahren, bey dem

nicht abzuläugnenden Daſeyn der Stellen des Ulpian und

Pomponius, allzu kühn erſcheint, dem bleibt freylich Nichts

übrig, als die von Pomponius aufgeſtellte unterſcheidende

Regel anzuerkennen, daneben aber für die der Frau von

dem Mann geſchenkten Dotalgrundſtücke eine Ausnahme

anzunehmen; unbekümmert dann um die Inconſequenz, ſo-

wohl jener Regel, als dieſer Ausnahme, und unbeküm-

mert zugleich um den Widerſpruch des Marcellus, blos

weil dieſer ſeine Entſcheidung der aufgeworfenen Frage

nicht abgeſondert für ſich darſtellt, ſondern im Zuſammen-

hang eines ganzen Rechtsfalls. — Welche Meynung nun

man über das Schickſal der Feldfrüchte annehmen möge,

ſo iſt ſo viel gewiß, daß das Miethgeld eines unter Ehe-

gatten verſchenkten Hauſes ganz daſſelbe Schickſal theilen

muß (h). — Weniger zweifelhaft als bey der Schenkung

(g) Für dieſe Gedankenverbin-

dung ſprechen die Worte „fruc-

tus quoque, ut usuras,” in Note c.

(h) Nicht blos wegen der völ-

lig gleichartigen Natur, ſondern

auch wegen L. 11 de don. (39.

5.) „neque pensionum, neque

mercedum” (Note b). Pensio

wird vorzugsweiſe für das Mieth-

geld von Gebäuden gebraucht,

hier muß es um ſo mehr dieſen

Sinn haben, da das ſonſt allge-

|0060 : 46|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

in der Ehe, iſt die Frage, wie die Früchte eines ver-

ſchenkten Landgutes im Fall des Widerrufs aus beſonde-

ren Gründen, z. B. wegen Undankbarkeit, zu behandeln

ſind. Hier hat es wohl kein Bedenken, daß der Wider-

ruf auf die gezogenen Früchte, eben ſo wie auf das

Landgut ſelbſt, bezogen werden muß.

Dieſelben Fragen entſtehen nun auch, wenn das Ei-

genthum einer Geldſumme verſchenkt iſt, wegen der künf-

tigen Zinſen derſelben. Bey der Inſinuation verſteht es

ſich wiederum von ſelbſt, daß, wenn weniger als 500 Du-

katen verſchenkt werden, die Schenkung nicht deswegen

als eine große gelten darf, weil die geſchenkte Summe,

durch Zurechnung künftiger Zinſen, 500 Dukaten überſtei-

gen kann. Aber auch wenn 800 Dukaten ohne Inſinua-

tion verſchenkt, die das geſetzliche Maaß überſteigenden

300 aber ſpäter zurückgefordert werden, fehlt es an einem

Rechtsgrund, von dieſer Summe Zinſen zu verlangen. —

Wird unter Ehegatten baares Geld geſchenkt und ſpäter

zurückgefordert, ſo können keine Zinſen verlangt werden (i),

was aus der oben entwickelten willkührlicheren Natur der

Zinſen, in Vergleichung mit Hausmiethe und Feldfrüch-

ten, conſequenterweiſe folgt. Dennoch ſcheint dieſe Regel

durch eine Ausnahme beſchränkt werden zu müſſen. Iſt

 

meinere mercedum daneben ſteht.

Es heißt alſo hier: Mieth- oder

Pachtgeld.

(i) L. 7 § 3 in f., L. 15 § 1,

L. 16, L. 17 pr. de don int.

vir. (24. 1.). Dieſe unbedenkli-

che Regel hat nun eben, durch

ſcheinbare Ähnlichkeit, die unpaſ-

ſende Regel für die Früchte der

Grundſtücke veranlaßt (Note g).

|0061 : 47|

§. 147. Schenkung. Begriff. 2. Veräußerung. (Fortſetzung.)

nämlich dem Manne eine Dos in baarem Geld gegeben,

und ſchenkt er nachher der Frau eine Geldſumme, ſo liegt

darin in der That eine, ſey es totale oder partielle, Rück-

gabe der Dos, es mag nun ſo benannt ſeyn oder nicht;

dieſe Rückgabe aber kann ſtets, als ungültige Schenkung,

mit allen ihren Folgen angefochten und vernichtet werden

(Note e), ſo daß in dieſem Fall die Geldzinſen ganz die

Natur anderer Früchte annehmen; denn die in Geld be-

ſtehende Dos wird ſtets zu dem Zweck des Zinsertrags

gegeben, welcher Zweck aber durch die Schenkung des

Mannes an die Frau unfehlbar vereitelt werden würde.

— Endlich wenn geſchenktes Geld aus beſonderen Grün-

den, z. B. wegen Undankbarkeit, zurückgefordert wird, fehlt

es an einem Rechtsgrund für die Entrichtung von Zinſen.

Die hier für die Schenkung erörterte Frage, ob bey

geſchenkten Grundſtücken die Früchte, bey geſchenktem Gelde

die Zinſen, in der Veräußerung der Hauptſache mit be-

griffen ſind, kommt auch bey einigen anderen Rechtsinſti-

tuten vor, deren Vergleichung nicht unbelehrend iſt. So

zuerſt bey der Pauliana. Wenn der inſolvente Schuldner

unredliche Veräußerungen vornimmt, und der Empfänger

an dieſer Unredlichkeit Theil nimmt, ſo wird er auf’s

Strengſte behandelt; er muß nicht nur die Früchte der er-

worbenen Grundſtücke, ſondern auch Zinſen der vor der

Verfallzeit empfangenen Schuldzahlung herausgeben (k);

 

(k) L. 10 § 12 § 19 — 22 quae

in fraud. (42. 8); im § 5 war

ausdrücklich der Fall der Mitwiſ-

ſenſchaft angegeben, unter wel-

|0062 : 48|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Alles zur verdienten Strafe des Dolus. Iſt er dagegen

frey von Dolus, ſo ſoll er nicht einmal Früchte (wenn

ſie erſt nach der Veräußerung entſtanden ſind) abgeben,

weil dieſe noch nicht im Vermögen des Schuldners wa-

ren (l). — Wird einem Andern ein unverzinsliches Dar-

lehen gegeben, um ihn zu einer ungerechten Klage gegen

einen Dritten zu beſtimmen (calumnia), ſo muß dieſer un-

redliche Empfänger den vierfachen Werth des erlangten

Zinsvortheils als Strafe zahlen (m).

§. 148.

V. Schenkung. — Begriff. 2. Veräußerung.

(Fortſetzung.)

Faſſen wir alle dieſe Fälle der zweyten Klaſſe, worin

die Schenkung deswegen verneint wird, weil kein erwor-

benes Recht weggegeben, ſondern nur ein Erwerb unter-

laſſen wird (§ 145), unter einem gemeinſamen Geſichts-

punkt zuſammen. Am reinſten und unzweifelhafteſten er-

ſcheint dieſe abweiſende Regel bey angefallenen Erbſchaf-

ten oder Legaten, die wir zum Vortheil eines Andern aus-

ſchlagen (§ 145); denn ihre Entſtehung iſt völlig zufällig,

 

chem nun die folgende Reihe von

§§. mit begriffen iſt. L. 17 § 2 eod.

(l) L. 25 § 4. 5. 6 quae in

fraud. (42. 8.) (von Venulejus).

Hier liegt nun unverkennbar die-

ſelbe Anſicht der Veräußerung der

Früchte zum Grunde, welche Ul-

pian und Pomponius bey der

Schenkung unter Ehegatten zum

Grunde legen (Note c. d); und

zwar wird dieſe Anſicht hier un-

bedingt angewendet, ohne Rück-

ſicht auf die von Pomponius in

L. 45 de usuris gemachte Unter-

ſcheidung.

(m) L. 2 de calumniatoribus

(3. 6.).

|0063 : 49|

§. 148. Schenkung. Begriff. 2. Veräußerung. (Fortſetzung.)

Niemand kann auf ſolchen Erwerb rechnen, und es be-

ruht auf unſrer reinen Willkühr, ob unſer Vermögen auf

dieſe Weiſe erſt erweitert werden ſoll: der Gegenſtand

ſelbſt führt auf eine ſolche Erweiterung gar nicht. Da-

gegen giebt es Vermögenstheile, die eine productive Na-

tur an ſich tragen, ſo daß ſie gleichſam aus inwohnender

Kraft dem Inhaber einen neuen Erwerb bereiten, ohne

daß es dazu eines beſonderen Entſchluſſes von ſeiner Seite

bedarf, ja daß es vielmehr auf ungewöhnlicher Willkühr

beruht, wenn ein ſolcher Erwerb unterbleiben ſoll; auch

iſt derſelbe ſo wenig zufälliger Art, daß der Lebensun-

terhalt darauf regelmäßig gegründet zu werden pflegt.

Dahin gehört der Miethertrag eines Hauſes, der Frucht-

oder Pachtertrag eines Landgutes (§ 146). Die regelmä-

ßige Natur dieſer Arten der Production führt es mit ſich,

daß durch ſie auch Dasjenige, welches noch nicht zu un-

ſrem Vermögen gehört, als Gegenſtand wahrer Veräuße-

rung, und ſomit auch wahrer Schenkung, betrachtet wer-

den kann. Gleichſam in die Mitte zwiſchen dieſe beiderley

Arten der Erwerbung fallen die Geldzinſen. Weit weni-

ger zufällig und willkührlich als Erbſchaften und Legate,

haben ſie doch auch nicht eine ſo regelmäßige und gleich-

förmige Natur wie der Fruchtertrag der Grundſtücke.

Daher werden ſie gewöhnlich in das Verhältniß der Schen-

kung nicht mit hereingezogen, und wo es geſchieht, da

reicht der bloße Begriff der Veräußerung nicht aus, ſon-

dern es muß die aus den Umſtänden hervorgehende beſon-

IV. 4

|0064 : 50|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

dere Abſicht der Schenkung mit in die Beurtheilung her-

eingezogen werden (§ 146. 147).

Mit Unrecht aber würde man als Widerſpruch gegen

die ganze hier behandelte verneinende Regel folgenden Fall

geltend machen. Wenn mir Einer Etwas zu tradiren be-

reit iſt, entweder in Folge eines Kaufcontracts, oder auch

weil er es mir ſchenken will, und ich ihn damit an einen

Dritten verweiſe, um dieſen zu beſchenken, ſo gilt dieſes

in der That als wahre von mir ausgehende Schenkung (a).

Allerdings nun habe ich, der Strenge nach, nicht ein er-

worbenes Recht abgetreten, ſondern einen möglichen Er-

werb zum Vortheil jenes Dritten unterlaſſen; dennoch hat

dieſer Fall mit den bisher behandelten keine wahre Ähn-

lichkeit. Es iſt vielmehr hier blos eine, überall vorkom-

mende, Erleichterung und Abkürzung des Geſchäfts; es

wird betrachtet, als wäre die Tradition in der That an

mich geſchehen, und darauf weiter von mir an den Drit-

ten vorgenommen worden.

 

Es bleibt nun noch übrig, die dritte Klaſſe von Fäl-

len darzuſtellen, worin die Schenkung wegen fehlender

Veräußerung verneint werden muß (§ 145); wenn näm-

lich zwar der Eine Etwas aus ſeinem Vermögen zum

Vortheil eines Andern weggiebt, dieſer Andere aber ein

außer dem Vermögen liegendes Recht dadurch erlangt.

 

Dahin gehört nach Römiſchem Recht die Freylaſſung

 

(a) L. 3 § 12. 13, L. 4, L. 56 de don. int. vir. (24. 1.).

|0065 : 51|

§. 148. Schenkung. Begriff. 2. Veräußerung. (Fortſetzung.)

des Sklaven. Durch dieſe gab der Herr in wohlwollen-

der Abſicht wahres Eigenthum auf, ſo daß alſo von ſei-

ner Seite Alles geſchah, was zu einer Schenkung nöthig

iſt. Auch erhielt dadurch der Sklave die größte Wohl-

that, die Ein Menſch dem andern erweiſen konnte, die

Freyheit; allein dieſe war kein Vermögensrecht (b), und

es würde ganz irrig ſeyn, wenn man es ſo betrachten

wollte, als hätte der Herr das Eigenthum, welches ihm

an dem Sklaven zuſtand, auf dieſen ſelbſt übertragen.

Dieſes Eigenthum wurde vielmehr völlig vernichtet, und

es wurde ein freyer Menſch, ein rechtsfähiges Weſen, neu

creirt. Daher war denn ſowohl die teſtamentariſche Ma-

numiſſion, als die unter Lebenden, durchaus keine Schen-

kung, und Niemand dachte daran, die Lex Cincia oder

ſpäterhin die Inſinuation darauf anzuwenden. Wenn ſie

dennoch nicht ſelten als donatio bezeichnet wird (c), ſo

gehört dieſes zu dem oben erklärten uneigentlichen Sprach-

gebrauch.

Die Emancipation der Kinder hat mit der Sklaven-

manumiſſion die Ähnlichkeit, daß das Kind gleichfalls ein

außer dem Vermögen liegendes Recht (die Unabhängigkeit)

 

(b) L. 106 de R. J. (50. 17.).

„Libertas inaestimabilis res

est.” Das iſt nicht etwa der

figürliche Ausdruck eines unge-

mein hohen Werthes, ſondern es

iſt buchſtäblich die Verneinung

alles Geldwerthes; Geld und Frey-

heit ſind incommenſurabel. Ul-

pian. II. 11. „.. nec pretii com-

putatio pro libertate fieri po-

test.” Vgl. Gajus II. § 265, § 7

J. qui et quib. ex causis (1. 6.),

L. 176 § 1 de R. J. (50. 17.).

(c) Mehrere Stellen ſind ge-

ſammelt bey Meyerfeld I.

S. 48. 49.

4*

|0066 : 52|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang

erhält. Sie beruht aber von Seiten des Vaters gar nicht

auf einem aufgegebenen Vermögensrecht, und hat daher mit

der Schenkung noch weit weniger Ähnlichkeit als jene (d).

Noch unzweifelhafter iſt es, daß der Beſchluß des Rö-

miſchen Volks, ſpäterhin des Kaiſers, wodurch einem Pe-

regrinen die Civität ertheilt wurde, nicht als wahre Schen-

kung betrachtet werden konnte. Dennoch nennt dieſes ſelbſt

Gajus ein donare (e). Ich bemerke Dieſes, nicht um vor

einer Verwechslung zu warnen, die in ſolchen Fällen oh-

nehin nicht zu befürchten iſt, ſondern um darauf aufmerk-

ſam zu machen, wie wenig ängſtlich ſelbſt die alten Ju-

riſten im Gebrauch jenes Ausdrucks ſind.

 

§. 149.

V. Schenkung. — Begriff. 3. Bereicherung.

Als ein drittes Element wahrer Schenkung wurde oben

(§ 145) die Bereicherung des Beſchenkten angegeben, und

es iſt alſo nunmehr zu beſtimmen, wie ſich dieſe von der

bloßen Veräußerung noch unterſcheidet. Die Bereicherung

beſteht darin, daß das Vermögen des Beſchenkten, dem

letzten Erfolg nach, in ſeinem Totalwerth vermehrt werde.

 

Dreyerley Gründe können verhindern, daß der in der

Veräußerung liegende Erwerb eines Vermögensrechts zu-

gleich eine Bereicherung enthalte:

 

(d) Wenn dennoch in L. 6 § 3

C. de bonis quae lib. (6. 61.)

geſagt wird „majores qui eman-

cipationem donant,” ſo gehört

das zu dem oben bemerkten un-

eigentlichen Sprachgebrauch.

(e) Gajus I. § 94, III. § 20.

|0067 : 53|

§. 149. Schenkung. Begriff. 3. Bereicherung.

1) Das Rechtsgeſchäft kann von der Art ſeyn, daß

dadurch nicht der Umfang des Vermögens erweitert, ſon-

dern nur die Ausübung und Verfolgung vorhandener

Rechte geſichert wird.

2) Der Gewinn kann aufgewogen ſeyn durch entgegen-

ſtehende Aufopferungen von Seiten des Erwerbers.

3) Die Anfangs vorhandene Bereicherung kann in der

Folge wieder verſchwinden.

Dieſe drey Gründe ſind nunmehr einzeln zu betrachten.

 

Der erſte Grund beſtand in der Beſchaffenheit derjeni-

gen Rechtsgeſchäfte, welche nicht den Umfang des Ver-

mögens erweitern, ſondern nur deſſen Genuß ſichern; bey

ihnen iſt von Anfang an das Daſeyn einer Schenkung

gänzlich ausgeſchloſſen, wenngleich der Eine aus wohl-

wollender Abſicht handeln, der Andere wirklichen Vortheil

aus der Handlung ziehen kann.

 

Wer eine Geldſumme, die er nur naturaliter ſchuldig

iſt, baar bezahlt oder expromittirt, ſchenkt dadurch nicht,

obgleich er dem Glaubiger freywillig Dasjenige giebt,

wozu er nicht durch Klage angehalten werden konnte; der

Umfang des Vermögens iſt dadurch nicht erweitert (a).

Schon darin liegt ein entſcheidender Grund, weshalb die

Beſtellung einer Dos von Seiten der Ehefrau keine Schen-

 

(a) L. 19 § 4 de don. (39. 5.).

„Si quis servo pecuniam cre-

diderit, deinde is liber factus

eam expromiserit: non erit do-

natio, sed debiti exsolutio.”

Über die naturalis obligatio in

dieſem Fall vgl. oben § 65. i. —

In demſelben Fall gilt auch, wenn

die Zahlung aus Irrthum geſchah,

keine condictio indebiti. L. 64

de cond. ind. (12. 6.). „… na-

turale agnovit debitum.”

|0068 : 54|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

kung ſeyn kann (b); denn die Frau iſt dazu naturaliter

verpflichtet (c).

Wenn der Beſitzer einer fremden Sache dieſe dem Ei-

genthümer, der vielleicht keine Beweiſe hatte, ohne Klage

herausgiebt, ſo liegt darin keine Schenkung; der Umfang

des Vermögens wird nicht verändert. — Dieſes aber muß

in noch allgemeinerer Weiſe zu folgender Regel ausgebil-

det werden: Der Beſitz iſt überhaupt niemals Gegenſtand

wahrer Schenkung. Denn er iſt ſeinem Weſen nach nicht

Recht, ſondern Thatſache; er iſt nur die Ausübung des

Eigenthums, ſo daß der Eigenthümer im juriſtiſchen Sinn

nicht reicher iſt, wenn er den Beſitz hat, nicht ärmer wenn

er ihn entbehrt. Daher giebt es keine juriſtiſche Succeſ-

ſion in den Beſitz, ſondern Jeder, der ihn erwirbt, fängt

ihn in ſeiner Perſon neu an. Aus dieſem Grunde hindert

auch das Schenkungsverbot unter Ehegatten nicht den

Übergang des bloßen Beſitzes; der Empfänger erwirbt

hier wahren Beſitz, nur nicht Eigenthum, und auch nicht

civilis possessio, weil zu dieſer eine justa causa gehört,

die in jener Schenkung nicht enthalten iſt (c¹).

 

Die Übernahme einer Bürgſchaft iſt niemals eine Schen-

 

(b) L. 9 pr. § 1 de cond. cau-

sa data (12. 4.), L. 21 § 1 de

don. int. vir. (24. 1.), L. 19 de

O. et A. (44. 7.). — Derſelbe

Satz hat auch noch andere Grün-

de, wovon unten die Rede ſeyn

wird.

(c) L. 32 § 2 de cond. ind.

(12. 6.).

(c¹) Der Beweis und die wei-

tere Ausführung dieſer, den Be-

ſitz betreffenden, Sätze findet ſich

in: Savigny Recht des Be-

ſitzes § 5 und 7, S. 26 S. 71 —

75 der 6ten Ausgabe.

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§. 149. Schenkung. Begriff. 3. Bereicherung.

kung an den Glaubiger, ſelbſt wenn der Schuldner inſol-

vent iſt; denn dem Glaubiger wird dadurch nur die Ver-

folgung des ohnehin vorhandenen Rechts geſichert (d).

Die Beſtellung eines Pfandrechts für eine eigene Schuld

iſt keine Schenkung, ſelbſt wenn der Schuldner inſolvent

iſt, weil dadurch der Glaubiger nur ſicherer Dasjenige

bekommt, was er bereits zu fordern hat (e). — Eben ſo

iſt die Verpfändung einer Sache für eine fremde Schuld

keine Schenkung an den Glaubiger; völlig wie die Über-

nahme einer Bürgſchaft (f). — Auch der Erlaß eines Pfand-

rechts enthält keine Schenkung des Glaubigers an den

Schuldner, da durch die Fortdauer der Schuld das Ver-

mögen unvermindert bleibt (g). Deshalb iſt dieſer Erlaß

 

(d) L. 1 § 19 si quid in fraud.

(38. 5.). — Eine Schenkung an

den Schuldner kann darin lie-

gen, wenn es in der Abſicht ge-

ſchieht, das für ihn gezahlte Geld

nicht mit der actio mandati oder

negotiorum gestorum wieder zu

fordern (§ 158. s).

(e) Die gegenwärtige oder künf-

tig mögliche Inſolvenz des Schuld-

ners macht die Verpfändung eben

ſo wenig zu einer Schenkung, als

die baare Zahlung. — Die Pau-

liana kann in dieſem Fall aller-

dings begründet ſeyn (L. 22 L. 6

§ 6 quae in fraud. 42. 8.), da

dieſe nicht nothwendig Bereiche-

rung vorausſetzt. § 145. d.

(f) L. 1 § 19 si quid in fraud.

(38. 5.). — Eine Schenkung an

den Schuldner kann die Ver-

pfändung ſeyn, eben ſo wie die

Bürgſchaft (Note d).

(g) L. 1 § 1 quib. modis pign.

(20. 6.). Die Stelle gieng ohne

Zweifel auf die L. Cincia und iſt

interpolirt (Zeitſchrift für ge-

ſchichtl. Rechtswiſſenſch. IV. 44).

Der Glauhiger hatte die Schuld

durch Schenkung erlaſſen, alſo

auch das Pfandrecht aufgegeben.

Die Schenkung war durch die

L. Cincia ungültig, das ſchadete

dem Erlaß des Pfandrechts nicht:

„.. quoniam inutilem pecuniae

donationem lex facit, cui non

est in locus in pignore liberan-

do;” das heißt, der Pfanderlaß

iſt keine Schenkung. L. 8 § 5

eod. widerſpricht dieſem Satz nicht,

ſondern beſtätigt ihn vielmehr, da

ſie das donare dem Erlaß eines

Pfandes entgegenſetzt, und nur

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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ſelbſt unter Ehegatten völlig gültig (h).

Die Acceptilation einer, ohnehin durch Exception ent-

kräfteten, Schuld iſt keine Schenkung, weil ſie nur den

Rechtszuſtand formell bekräftigt, welcher ſchon vorher vor-

handen war (§ 158. d).

 

Der zweyte mögliche Grund fehlender Bereicherung

liegt in der gegenſeitigen Aufopferung von Seiten des Er-

werbers, welche den durch den Erwerb möglichen Gewinn

aufhebt. In den Fällen dieſer Art iſt alſo ſtets die Rede

von einer zuſammengeſetzten Handlung, deren Natur die

lucrativa causa, als die Grundlage aller Schenkung, aus-

ſchließt (§ 143). Dieſer Grund kann in folgenden ver-

ſchiedenen Geſtalten eintreten.

 

Die Gegenleiſtung kann ganz in die Vergangenheit fal-

len. So liegt in der Bezahlung einer Schuld meiſt ſchon

deshalb keine Schenkung, weil der gegenwärtige Empfän-

ger gewöhnlich ſchon früher Etwas hingegeben haben wird,

wofür er jetzt nur die Vergütung empfängt.

 

das eine wie das andere dem Ver-

walter eines Peculium unterſagt.

— Die Pauliana kann auch durch

den Erlaß eines Pfandes begrün-

det ſeyn (vergl. Note e). L. 2

L. 18 quae in fraud. (42. 8.).

— Auch wenn durch Legat ein

Pfand erlaſſen wird, welches zu-

läſſig iſt (L. 1 § 1 de lib. leg.

34. 3.), ſo liegt darin keine Be-

reicherung, weshalb kein Fidei-

commiß darauf gelegt werden

kann. L. 3 § 4 de leg. 3 (32. un.).

(h) L. 18 quae in fraud. (42.

8.), L. 11 C. ad Sc. Vell. (4.

29.), L. 11 quib. mod. pign.

(20. 6.). — Freylich auf das ge-

ſetzliche Pfan drecht für die Do-

talforderung kann die Frau nicht

verzichten. L. un. § 15 C. de r.

u. a. 5 13.). Das iſt aber nicht

eine Folge des Schenkungsver-

bots, ſondern der ganz anderen

Regel, daß an dem Dotalrecht

nicht kann vertragsweiſe deterior

fieri conditio mulieris.

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§. 149. Schenkung. Begriff. 3. Bereicherung.

Sie kann auch gleichzeitig ſeyn mit dem Erwerb. Da-

hin gehört der Kauf und der Tauſch, wenn mit dem Ver-

trag ſogleich die Erfüllung von beiden Seiten verbunden

wird. Dahin gehört aber eben ſo der ſchon erwähnte

Empfang einer Zahlung, weil der Empfänger ſtets (und

ohne Rückſicht auf früheres Hingeben), gegen dieſen Er-

werb die Schuldforderung austauſcht, die bisher ein Stück

ſeines Vermögens war. Daher iſt die Erfüllung eines

gültigen Schenkungsverſprechens durchaus keine Schenkung,

ſondern nur eine gewöhnliche Schuldzahlung. Iſt alſo

das Schenkungsverſprechen einer großen Summe durch

Inſinuation rechtsgültig geworden, ſo bedarf die Auszah-

lung keiner neuen Inſinuation. Iſt ein Schenkungsver-

ſprechen vertragsweiſe vor der Ehe gegeben, ſo iſt die

während der Ehe geleiſtete Zahlung der verſprochnen

Summe eine gültige Handlung. — Hieraus erklärt ſich

denn auch noch vollſtändiger der ſchon oben (Note a) auf-

geſtellte Satz, daß die Zahlung oder Expromiſſion einer

naturalis obligatio keine Schenkung iſt. Denn gegen den

Empfang dieſer Zahlung wird die bisher beſtehende natu-

ralis obligatio ausgetauſcht, die, ungeachtet des ihr man-

gelnden Klagerechts, dennoch ein reelles Vermögensſtück

iſt, indem der rechtlich geſinnte Schuldner auch ohne rich-

terlichen Zwang ſie erfüllen wird, noch abgeſehen von den

indirecten Zwangsmitteln, die zufällig durch Compenſation

u. ſ. w. herbeygeführt werden können. Eben ſo conſequent

aber iſt es auch, daß die wiſſentliche Zahlung eines inde-

 

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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

bitum ſtets als Schenkung angeſehen wird (i), indem das

indebitum in der That kein Vermögensſtück iſt, ſondern

höchſtens den täuſchenden Schein eines ſolchen an ſich trägt.

Endlich kann auch die Gegenleiſtung ganz in die Zu-

kunft fallen. Dahin gehört der Empfang eines Darlehens,

indem das jetzt erworbene Eigenthum des Geldes die Ver-

pflichtung zu künftiger Rückzahlung mit ſich führt.

 

Hat die Gegenleiſtung, verglichen mit dem gegenwär-

tigen Erwerb, gleichen oder höheren Geldwerth, ſo iſt

eine in dieſem Erwerb liegende Schenkung ganz unmoͤg-

lich. Hat ſie einen geringeren Werth, ſo kann möglicher-

weiſe der Erwerb die Natur einer Schenkung annehmen.

Ob er ſie wirklich habe, das hängt dann von der Abſicht

des Gebers ab, und es entſteht daraus ein gemiſchtes Ge-

ſchäft (negotium mixtum cum donatione), deſſen eigen-

thümliche Beſchaffenheit unten näher beſtimmt werden wird.

 

Der dritte Grund endlich, das Daſeyn der Bereiche-

rung, folglich auch der Schenkung, zu verneinen, liegt

darin, daß das urſprünglich erworbene Recht in der Folge

wieder untergeht, und ſo die Anfangs vorhandene Berei-

cherung verſchwindet. Dieſer Fall unterſcheidet ſich von den

vorhergehenden darin, daß in jenen niemals eine Schenkung

vorhanden iſt, anſtatt daß in dem zuletzt erwähnten Fall

meiſtens das Geſchäft zunächſt eine wahre Schenkung iſt,

nach einiger Zeit aber eine ſolche zu ſeyn aufhört. Die-

ſer dritte Grund alſo, da wo er als wirkſam anerkannt

 

(i) Vgl. Beylage VIII. Num. XXXVI. Note e.

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§. 149. Schenkung. Begriff. 3. Bereicherung.

werden muß, hat den Sinn, daß die Folgen der Schen-

kung ſpäterhin aufhören, das heißt daß die anfänglich

mögliche Rückforderung einer nach poſitiven Rechtsregeln

ungültig geſchenkten Sache wegfällt, ſobald die Bereiche-

rung verſchwindet.

Dieſer Grund nun, der ſchwierigſte unter allen, iſt

von den Römern am ſorgfältigſten und eigenthümlichſten

ausgebildet worden in Beziehung auf die Schenkung un-

ter Ehegatten. Daher ſoll hier dieſe Beziehung zuerſt dar-

geſtellt werden; es wird dann nicht ſchwer ſeyn, die An-

wendbarkeit ihrer Regeln auf die Inſinuation, und auf

den Widerruf aus beſonderen Gründen, zu unterſuchen.

 

Allein nicht jeder Untergang des durch Schenkung er-

worbenen Rechts iſt dazu geeignet, die poſitiv vorgeſchrie-

benen Wirkungen der Schenkung auszutilgen; vielmehr

müſſen dabey folgende Fälle wohl unterſchieden werden.

Der Untergang kann rein für ſich eingetreten ſeyn, oder

es kann ſich das erworbene Recht nur in ein anderes ver-

wandelt haben, welches alſo an die Stelle des unterge-

gangnen Rechts getreten iſt. — Der reine Untergang fer-

ner kann hervorgegangen ſeyn: entweder aus dem mit der

Schenkung ſelbſt verbundenen Willen des Gebers: oder

aus bloßem Zufall: oder aus der Willkühr des Empfän-

gers. — Alle dieſe Fälle ſollen jetzt der Reihe nach, und

zwar zunächſt blos in Beziehung auf die Schenkung un-

ter Ehegatten, erwogen werden. Hier iſt alſo der prak-

tiſche Sinn der Unterſuchung darin zu ſetzen, in wiefern

 

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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

eine Rückforderung Statt finden könne, nachdem das

ſchenkungsweiſe übertragene Recht für den beſchenkten Ehe-

gatten untergegangen iſt.

§. 150.

V. Schenkung. — Begriff. 3. Bereicherung.

(Fortſetzung.)

Hat der reine Untergang des geſchenkten Rechts ſei-

nen Urſprung in dem Willen des Gebers, ſo kann Dieſer

auf keine Weiſe zu einer Rückforderung gegen den be-

ſchenkten Ehegatten berechtigt ſeyn. Dieſes läßt ſich ſo

denken, daß der Empfänger gleich bey dem Empfang ver-

pflichtet worden iſt, die Sache an einen Dritten weiter

zu geben. Hier kann höchſtens in dem Fruchtgenuß der

Zwiſchenzeit eine Schenkung liegen (§ 147), in Anſehung

der Hauptſache verſchwindet mit der Erfüllung jener Ver-

pflichtung jede Spur einer Schenkung (a). Eben ſo iſt

es, wenn dieſe Übereinkunft erſt ſpäterhin getroffen, dann

aber auch wirklich erfüllt wird (b). — Es kann aber fer-

ner geſchehen ohne eine dem Empfänger auferlegte Ver-

pflichtung, blos durch die ausgeſprochne Abſicht des Ge-

bers, daß die geſchenkte Sache auf eine Weiſe verwendet

werde, wodurch ſie aus dem Vermögen des Empfängers

verſchwinden muß. So wenn ein Mann ſeiner Frau ein

Grundſtück ſchenkt zu dem Zweck, daß ſie einen Todten

 

(a) L 49 de don. int. vir. (24.

1.), L. 5 § 9 de j. dot. (23. 3.).

(b) L. 34 de don. int. vir. (24.

1.), Fragm. Vat. § 269.

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§. 150. Schenkung. Begriff. 3. Bereicherung. (Fortſetzung.)

darin beerdige, oder ſonſt es dem Verkehr entziehe. Dieſe

Schenkung iſt gültig, und um jede Umgehung des Schen-

kungsverbots zu verhüten, wird nur dabey beſtimmt, daß

der Übergang des Eigenthums ſo lange ſuspendirt bleibe,

bis die Verwendung Statt gefunden hat (c). — Eben da-

hin gehörte die Veräußerung eines Sklaven zu dem Zweck,

daß der Empfänger ihn manumittire. Dieſes war im

Allgemeinen nicht als Schenkung zu betrachten, und konnte

nur dadurch theilweiſe Schenkung werden, daß gerade der

Dienſt des Sklaven, vom Erwerb an bis zur Freylaſſung,

beſonders berückſichtigt war (d). Unter Ehegatten war

dieſe Handlung ſchlechthin gültig (e); das Eigenthum ſollte

erſt übergehen im Augenblick der Manumiſſion (f), und

der Gebrauch, den ein Ehegatte von den Sklaven des an-

dern machte, galt überhaupt nicht als Schenkung (§ 152).

Allerdings erwarb der Empfänger das wichtige Patro-

natsrecht; allein dieſes hatte keinen Geldwerth, kam auch

(c) L. 5 § 8 — 12 de don. int.

vir. (21. 1.). Selbſt wenn die

beſchenkte Frau außerdem mit eig-

nem Geld zu dieſem Zweck ein

Grundſtück gekauft hätte, das ſie

nun erſpart, gilt dennoch das Ge-

ſchäft nicht als Schenkung, obgleich

ſonſt bey einem Wohnhauſe das

erſparte Miethgeld eine Schen-

kung begründet. Wegen dieſes

ſcheinbaren Widerſpruchs vergl.

§ 151. g.

(d) L. 18 § 1. 2 de don. (39.

5.). Vgl. Meverfeld I. 413.

(e) Ulpian. VII. § 1, Paulus

II. 23 § 2, L. 109 pr. de leg. 1

(30. un.), L. 22 C. de don. int.

vir. (5. 16.). — Paulus iſt hier,

wie in manchen anderen Fällen,

ohne Noth ſchwankend in der An-

gabe des Grundes: „.. donatio

favore libertatis recepta est,

vel certe quod nemo ex hac

fiat locupletior.” Offenbar iſt

der letzte Grund durchgreifend,

dieſer ſchließt aber den erſten

ganz aus.

(f) L. 7 § 8. 9, L. 8, L. 9

pr. de don. int. vir. (24. 1.).

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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

nicht aus dem Vermögen des Gebers (g). Selbſt wenn

der Empfänger für die Freylaſſung ſich Geld bezahlen oder

Dienſte verſprechen ließ, war es dennoch keine Schenkung,

weil auch dieſe Vortheile, obgleich ſie einen Geldwerth

hatten, dennoch nicht aus dem Vermögen des Gebers ent-

ſprangen (h). — In den Fällen der hier dargeſtellten Art

iſt alſo meiſt von Anfang an keine wahre Schenkung vor-

handen, und ſelbſt wo eine ſolche da war, iſt dieſelbe von

der Zeit des Untergangs an verſchwunden.

Entſpringt der Untergang des geſchenkten Rechts aus

blos zufälligen Urſachen, z. B. Brand, Erdbeben, gewalt-

ſamem Raub u. ſ. w., ſo fehlt es an jedem Rechtsgrund

zu einer Nachforderung an den Beſchenkten; die Schen-

kung iſt hier, mit allen ihren denkbaren Folgen, ſpurlos

verſchwunden (i). Bis zum Augenblick des Untergangs

aber war eine wahre Schenkung unzweifelhaft vorhanden.

— Was hier von dem gänzlichen Untergang geſagt iſt,

muß eben ſo auch von dem partiellen gelten. Dahin ge-

hört unter andern der Fall, wenn die geſchenkte Sache

aus allgemeineren Gründen im Preiße geſunken iſt.

 

(g) L. 5 § 5 de praescr. ver-

bis (19. 5.). „… An deducen-

dum erit, quod libertum ha-

beo? Sed hoc non potest ae-

stimari.”

(h) L. 9 § 1 de don. int. vir.

(24. 1.), L. 62 sol. matr. (24. 3.).

(i) L. 28 pr. de don. int. vir.

(24. 1.). „Si id, quod donatum

sit, perierit, vel consumtum sit,

ejus qui dedit est detrimentum:

merito, quia manet res ejus

qui dedit, suamque rem per-

dit.” Die Stelle enthält zwey

ganz verſchiedene Fälle: das pe-

rire und das consumi. Hierher

gehört nur erſt das perire, worauf

allein auch der nachfolgende Grund

paßt; von dem consumi wird ſo-

gleich weiter die Rede ſeyn (Note p).

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§. 150. Schenkung. Begriff. 3. Bereicherung. (Fortſetzung.)

Es bleibt noch übrig der dritte Fall, da das ge-

ſchenkte Recht durch die willkührliche Handlung des Be-

ſchenkten untergeht; dieſer iſt unter allen der häufigſte und

zugleich der ſchwierigſte. Fragen wir zuerſt, wie derſelbe

nach allgemeineren Rechtsregeln behandelt werden müßte.

— Der beſchenkte Ehegatte iſt wiſſentlich Beſitzer einer

fremden Sache, da er weiß, daß durch die ungültige

Schenkung kein Eigenthum auf ihn übergehen konnte (k).

Hat er alſo die geſchenkte Sache wiſſentlich zerſtört, das

geſchenkte Geld weiter verſchenkt oder verſpielt, ſo muß

gegen ihn eine condictio sine causa oder ex injusta causa

auf den Werth gelten (l), gerade ſo wie auf die vorhan-

dene Sache die gewöhnliche Vindication geht. Es iſt da-

bey zu bemerken, daß die Condictionen überhaupt, nach

ihrer allgemeinen Natur, wenn die Sache untergeht, nur

im Fall des Dolus, nicht auch der Culpa, angeſtellt wer-

den können (m), ſo daß alſo der beſchenkte Ehegatte mit

 

(k) L. 19 pr. de don. int. vir.

(24. 1.). „… hoc enim bonae

fidei possessoribus concessum

est: virum autem scientem alie-

num possidere.” Hierin iſt er

alſo einem unredlichen Beſitzer ähn-

lich; dennoch kann man ihn nicht

eigentlich als ſolchen bezeichnen,

da er mit dem Willen des Ei-

genthümers beſitzt, wodurch das

Daſeyn der Rechtsverletzung aus-

geſchloſſen wird.

(l) L. 6 de don. int. vir. (24.

1.). Quia quod ex non conces-

sa donatione retinetur, id aut

sine causa, aut ex injusta causa

retineri intelligitur: ex quibus

causis condictio nasci solet.”

(m) L. 65 § 8 de cond. ind.

(12. 6.). „Si servum indebitum

tibi dedi, eumque manumisisti,

si sciens hoc fecisti, teneberis

ad pretium ejus, si nesciens,

non teneberis ..” L. 26 § 12

eod. „… ut puta .. dedi .. ho-

minem indebitum, et hunc sine

fraude modico distraxisti: nem-

pe hoc solum refundere debes,

quod ex pretio habes;” alſo

für die Nachläſſigkeit im wohl-

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Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

der Condiction nicht belangt werden könnte, wenn er ſich

das geſchenkte Geld hätte ſtehlen laſſen, weil dieſer Ver-

luſt durch bloße Culpa herbeygeführt wäre. Mit dieſer

Condiction konnten, nach Umſtänden, noch folgende Kla-

gen concurriren. Zuerſt, bey wiſſentlicher Zerſtörung, oder

bey der (ſtets abſichtlichen) Veräußerung, die actio ad ex-

hibendum oder rei vindicatio, als gegen einen ſolchen, qui

dolo fecit, quo minus exhiberet, oder quo minus possi-

deret. Ferner die actio L. Aquiliae, wenn die urſprüng-

lich geſchenkte Sache (die noch in des Gebers Eigenthum

war) zerſtört oder beſchädigt wurde; nun aber nicht blos

wegen Dolus, ſondern auch wegen Culpa. — So nach ſtren-

gen Grundſätzen, gegen deren Anwendung aber doch fol-

gendes Bedenken erhoben werden konnte. So lange der

Geber die Schenkung nicht widerrufen hatte, beſaß der

Empfänger mit deſſen Willen; zerſtörte oder veräußerte er

die Sache, ſo geſchah dieſes alſo mit dem Willen des Ei-

genthümers, wenigſtens konnte Dieſes ohne Unwahrſchein-

lichkeit vorausgeſetzt werden, und dadurch war vor Allem

der Dolus, dann aber auch die Anwendbarkeit aller hier

angegebenen Klagen, völlig ausgeſchloſſen. Daß dieſer

Zweifel bey den Römern nicht unbeachtet blieb, wird wei-

ter unten gezeigt werden (Note u).

feilen Verkauf kann mit der Con-

diction kein Erſatz gefordert wer-

den. — Anders in L. 65 § 6 eod.

„si consumsit frumentum, pre-

tium repetet,” alſo hier unbe-

dingt, ohne Rückſicht auf Dolus,

weil er um den Werth der ver-

zehrten Brotfrucht, die er ſonſt

kaufen mußte, noch jetzt reicher

iſt (§ 151. g).

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§. 150. Schenkung. Begriff. 3. Bereicherung. (Fortſetzung.)

Eine andere Geſtalt gewann die Sache durch den Se-

natsſchluß vom J. 206, welcher, bey fortdauernder Ehe,

die Anfechtung der Schenkung zu einem perſönlichen Recht

des Gebers machte, das nicht von dem Erben ausgeübt

werden dürfe; ſo daß die bis zum Tod des Gebers nicht

widerrufene Schenkung unanfechtbar ſeyn ſollte (n). Die-

ſer Senatsſchluß erwähnte auch ausdrücklich den Fall der

Conſumtion (o); ohne Zweifel in dem Sinn, daß durch

die Conſumtion der geſchenkten Sache jeder Anſpruch ge-

gen den Empfänger, auch von Seiten des Gebers ſelbſt,

aufhören ſolle. Ein ſolcher Zuſatz war ſehr conſequent;

denn indem dem Erben die Rückforderung verſagt wurde,

gewann die Entſchuldigung des conſumirenden Empfän-

gers, daß er nicht in unredlicher Abſicht, um der künfti-

gen Rückforderung zu entgehen, das Geſchenk zerſtört oder

veräußert habe, weit größeres Gewicht. — Das prakti-

ſche Reſultat wenigſtens liegt am Tage. Die Juriſten,

welche nach jener neuen Geſetzgebung ſchrieben, ſtellten

 

(n) L. 32 pr. § 1. 2 de don.

int. vir. (24. 1.).

(o) L. 32 § 9 de don. int. vir.

(24. 1.). „Quod ait oratio, con-

sumpsisse, sic accipere debe-

mus, ne is qui donationem ac-

cepit, locupletior factus sit: ce-

terum, si factus est, orationis

beneficium locum habebit.”

Das heißt: Wenn der Empfän-

ger das geſchenkte Geld ver-

ſchwendet, alſo weggiebt ohne Et-

was dafür zu bekommen, ſo iſt

das eine consumtio im Sinn der

oratio (des Senatusconſults),

wobey es der Beſtätigung durch

des Gebers Tod gar nicht ein-

mal bedarf; giebt er es weg, in-

dem er Etwas dafür erwirbt, ſo

wird das erworbene Gut als ge-

ſchenkt behandelt, ſo daß nun die-

ſes zurück gefordert werden kann,

jedoch ſo daß die Rückforderung

durch des Gebers Tod aufhört

(orationis beneficium).

VI. 5

|0080 : 66|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

nunmehr folgende Lehre auf. „Es gehört zwar ſchon zum

Begriff wahrer donatio, daß der Empfänger dadurch muß

locupletior geworden ſeyn; zwiſchen Ehegatten aber hat

das jetzt die fernere Bedeutung, daß er auch locupletior

geblieben ſeyn muß, und zwar noch zur Zeit der Litis-

conteſtation in der Vindication oder Condiction, womit

das Geſchenk zurückgefordert werden ſoll. Iſt alſo das

Geſchenk ſchon vor dieſem Zeitpunkt zerſtört oder ver-

ſchwendet, ſo fällt jede Klage hinweg“ (p). Dieſer Grund-

ſatz wird nun namentlich angewendet auf die Fälle, da

das geſchenkte Geld weiter verſchenkt wird (q), oder aus-

geliehen an einen inſolventen Schuldner (r). Es war die-

ſes das neuere, mildere, aus dem Senatuseonſult hervor-

gehende Recht (s). Ohne Zweifel hatten die früheren Ju-

riſten ſtrengere Grundſätze über die Anwendung der Con-

diction vorgetragen, und es war ganz conſequent, daß die

Compilatoren ſolche Stellen nicht in die Digeſten aufnah-

men. Auf die Natur der Klage aber konnte es dabey nicht

(p) L. 28 pr. de don. int. vir.

(21. 1.) „vel consumtum sit”

(Note i), L. 32 § 9 eod. (No-

te o), L. 5 § 18 L. 7 pr. eod.

(Alle dieſe Stellen ſind von Ul-

pian oder Paulus). Eben ſo L. 8.

17 C. eod. (5. 16.).

(q) L. 5 § 17 de don. int. vir.

(24. 1.). „.. si mulier acceptam

a marito pecuniam in sportu-

las pro cognato suo ordini ero-

gaverit …” Es ſoll Nichts än-

dern, ſelbſt wenn, ohne das erſte

Geſchenk, der Empfänger ein Dar-

lehen aufgenommen hätte, um das

zweyte Geſchenk zu machen, ſo

daß er eine Ausgabe aus eigenem

Vermögen erſpart hat; denn auch

dieſes war doch völlig willkühr-

lich. Vgl. § 151. g.

(r) L. 16 de don. int. vir.

(24. 1.).

(s) L. 32 pr. de don. int. vir.

(24. 1.). „.. lmp. noster An-

toninus … auctor fuit Senatui

censendi … ut aliquid laxaret

ex juris rigore.”

|0081 : 67|

§. 150. Schenkung. Begriff. 3. Bereicherung. (Fortſetzung.)

ankommen, da es auf die Milderung des Rechtsverhält-

niſſes ſelbſt abgeſehen war; daher mußte die actio ad ex-

hibendum und Legis Aquiliae, die in den oben angegebe-

nen Fällen mit der Condiction concurriren, ja ſelbſt wei-

ter als dieſe gehen konnten, eben ſo wie die Condiction,

durch jede consumtio ausgeſchloſſen werden. Dennoch ha-

ben ſich in den Digeſten einige Stellen älterer Juriſten

erhalten, worin der ſtrenge Grundſatz früherer Zeit ſicht-

bar iſt. Wenn der Ehegatte das geſchenkte Geld aus-

giebt, ſo giebt Pomponius gegen ihn die actio ad exhi-

bendum wegen des dolus quo minus possideret (t). Hat

der Ehegatte die geſchenkte Sache abſichtlich zerſtört, ſo

giebt gegen ihn Julian die actio ad exhibendum und die

actio Legis Aquiliae (u). Aus den hier entwickelten Grün-

(t) L. 14 ad exhib. (10. 4.).

„Si vir numos ab uxore sibi

donatos sciens suos factos non

esse pro re emta dederit, dolo

malo fecit quo minus possi-

deat: et ideo ad exhibendum

actione tenetur.” Auf die ge-

kaufte Sache geht auch jetzt noch

die Condiction, denn um dieſe iſt

der Beſchenkte reicher. Pompo-

nius ſetzt alſo einen Fall voraus,

worin der Geber auf das Geld

zu klagen vorzieht, weil die Sa-

che zu theuer bezahlt war. Nach

demſelben Grundſatz mußte die

Klage gelten, auch wenn das

Geld verſpielt oder weggeſchenkt

war. — Die Worte sciens suos

factos non esse haben nicht ei-

nen beſchränkenden Sinn, als ob

er auch ignorans ſeyn könne, was

unmöglich iſt; ſondern ſie enthal-

ten den Grund, warum die Ent-

ſcheidung immer ſo ausfallen müſſe.

(u) L. 37 de don. int. vir.

(24. 1.). „Si mulier dolo fe-

cerit, ne res exstaret sibi a

marito donata: vel ad exhi-

bendum, vel damni injuriarum

cum ea agi poterit; maxime

si post divortium id commise-

rit.” Julian erfordert den Do-

lus, weil nur unter deſſen Vor-

ausſetzung beide hier genannte

Klagen zugleich begründet ſind;

die actio L. Aquiliae allein hätte

er gewiß auch im Fall der blo-

ßen Culpa zugelaſſen, z. B. wenn

5*

|0082 : 68|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

den kann die Aufnahme dieſer beiden älteren Stellen nur

als ein Verſehen betrachtet werden, da ſie mit dem Se-

natusconſult in offenbarem Widerſpruch ſtehen. Dieſer

Widerſpruch wurde wohl deshalb überſehen, weil jene

Stellen nicht die Condiction erwähnen, die hier die häu-

figſte Klage iſt, ſondern andere, in dieſer Anwendung ſelt-

ner vorkommende Klagen.

Es läßt ſich leicht zeigen, was in dieſen, über den

reinen Untergang des geſchenkten Rechts gegebenen, Be-

ſtimmungen der allgemeinen Natur der Schenkung über-

haupt, was dem beſonderen Verhältniß der Ehegatten an-

gehört. Daß der Untergang durch den Willen des Ge-

bers, eben ſo der ganz zufällige Untergang, alle Folgen

der Schenkung austilgt, geht aus der allgemeinen Natur

der Schenkung hervor. Daß aber auch die freywillige

Veräußerung oder Zerſtörung von Seiten des Beſchenkten

einen gleichen Einfluß ausübt, iſt erſt durch die poſitive

Vorſchrift des Senatusconſults bewirkt worden. Nicht

als ob dieſe Vorſchrift eine völlig willkührliche wäre; ſie

hat einen Anhalt in der billigen Rückſicht auf die Eigen-

 

die Frau dem geſchenkten Skla-

ven einen lebensgefährlichen Auf-

trag gab, und dieſer dabey um-

kam. — Beſonders merkwürdig

ſind die Schlußworte, die deut-

lich zeigen, daß auch ſchon die äl-

teren Juriſten den im Text be-

merkten Zweifel beachteten, ob

nicht der Wille des Eigenthü-

mers (des ſchenkenden Ehegat-

ten) jede Klage, ja ſelbſt das

Daſeyn eines wahren Dolus, aus-

ſchließe. Darum ſagt er: ganz

unzweifelhaft iſt dieſes nach der

Scheidung (maxime post divor-

tium), weil nun die Berufung

des Beſchenkten auf den fort-

dauernden freundlichen Willen des

Gebers durch die Thatſache der

Scheidung entkräftet iſt.

|0083 : 69|

§. 151. Schenkung. Begriff. 3. Bereicherung. (Fortſetzung.)

thümlichkeit dieſes Verhältniſſes, die jedoch ohne poſitives

Geſetz ſchwerlich zu ſicherer und allgemeiner Anerkennung

gekommen wäre, obgleich ſie auch ſchon von früheren Ju-

riſten nicht ganz unbeachtet geblieben war (Note u).

§. 151.

V. Schenkung. — Begriff. 3. Bereicherung.

(Fortſetzung.)

Es bleibt nun noch übrig von demjenigen Untergang

des geſchenkten Rechts zu ſprechen, welcher mit dem Er-

werb eines neuen Rechts verbunden iſt, ſo daß er in blo-

ßer Verwandlung eines Rechts in ein anderes beſteht (§ 149).

In dieſem Fall dauert in der That die Bereicherung fort (a),

und die Eigenſchaft der Schenkung, nebſt allen dafür bis-

her aufgeſtellten Regeln, geht auf das neu erworbene

Recht über. Folgende Anwendungen werden dieſen Satz

theils erläutern, theils beſtätigen.

 

Verwendet der Ehegatte das geſchenkte Geld zur Be-

zahlung einer Schuld, ſo iſt die fortdauernde, ja unzer-

ſtörliche Bereicherung unzweifelhaft, da jede Schuldenzah-

lung das Vermögen des Schuldners um den Betrag der

Schuld nothwendig vermehrt (b).

 

Giebt er das Geld als Darlehen aus, ſo bleibt er

reicher durch die neu erworbene Forderung; dieſer neue

Inhalt der Schenkung kann aber verſchwinden durch In-

 

(a) L. 32 § 9 de don. int. vir.

(24. 1.); vgl. § 150 Note o.

(b) L. 7 § 7 L. 50 pr. de don.

int. vir. (24. 1.).

|0084 : 70|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ſolvenz des Schuldners, da denn der Beſchenkte Richts

mehr zurück zu geben hat. Ein ſolches Ereigniß ſteht

gleich dem zufälligen (höchſtens dem culpoſen) Untergang

der urſprünglich geſchenkten Sache.

Wenn der Ehegatte die geſchenkte Sache verkauft, ſo

tritt der Kaufpreis an die Stelle des urſprünglichen Ge-

ſchenks; eben ſo, wenn er das geſchenkte Geld zum An-

kauf einer Sache verwendet, dauert in dieſer Sache eine

Bereicherung fort. Die genaueren Beſtimmungen dieſes

letzten Falles, die jetzt angegeben werden ſollen, laſſen ſich

leicht und ſicher auch auf den erſten Fall anwenden. —

Sind alſo 200 in Geld geſchenkt, wofür eine Sache im

Werth von 300 gekauft wurde, ſo können nur 200 als

Geſchenk zurückgefordert werden, denn nur dieſe ſind aus

dem Vermögen des Gebers entſprungen, das dritte Hun-

dert iſt die Frucht einer gelungnen Speculation. — Sind

300 geſchenkt, und iſt die dafür gekaufte Sache nur 200

werth, ſo können nur 200 als Schenkung abgefordert wer-

den, denn das dritte Hundert iſt in einer partiellen Ver-

ſchwendung des geſchenkten Geldes untergegangen, die von

aller Rückgabe befreyt (c).

 

Geht nun wiederum die gekaufte Sache unter, ſo ſind

auch darauf die im § 150 aufgeſtellten Grundſätze anzu-

wenden. Es fällt nämlich jede Rückgabe weg, der Un-

tergang mag durch Zufall oder durch den Willen des Be-

 

(c) L. 7 § 3 L. 28 § 3. 4 de don int. vir. (24. 1.), L. 9 C.

eod. (5. 16.).

|0085 : 71|

§. 151. Schenkung. Begriff. 3. Bereicherung. (Fortſetzung.)

ſchenkten herbeygeführt ſeyn (d). Daſſelbe ſoll gelten, wenn

die eingekaufte Sache wieder verkauft, und dafür eine an-

dere gekauft worden iſt; hier hatten einige Juriſten ge-

glaubt, nach dieſem wiederholten Umtauſch ſchütze ſelbſt

der zufällige Untergang nicht mehr gegen die Rückgabe,

welche Meynung jedoch verworfen wurde (e). Darin lag

wiederum eine Begünſtigung der Schenkung in der Ehe,

obgleich nicht aus dem oben angeführten Senatsſchluß her-

vorgegangen; denn in anderen Rechtsverhältniſſen wird

angenommen, daß ſchon durch den erſten Ankauf die Be-

reicherung für immer entſchieden iſt, und ſelbſt durch den

zufälligen Untergang der gekauften Sache nicht wieder auf-

gehoben werden kann (f).

In Einem Fall jedoch wird durch den Untergang der

 

(d) L. 28 § 3 de dor. int. vir.

(24. 1.) „quemadmodum, si mor-

tuus est, nihil peteretur.” L. 50

§ 1 eod. Dieſe letzte Stelle iſt

von Javolenus, alſo älter als das

Senatusconſult; auch ſpricht ſie

nicht von consumtio, ſondern von

zufälligem Untergang. Daß aber

ſeit dem Senatusconſult auch die

consumtio der gekauften Sache

gegen Rückgabe ſchützt, eben ſo

wie die des urſprünglichen Ge-

ſchenks, kann nicht bezweifelt

werden.

(e) L. 29 pr. de don. int. vir.

(24. 1.) von Pomponius. Dieſe

Begünſtigung kann alſo, wegen

des Zeitalters des Pomponius,

nicht für eine Folge des Sena-

tusconſults gehalten werden; ſie

beruht aber auf ähnlichen An-

ſichten wie dieſes.

(f) Die actio quod metus cau-

sa geht gegen den Erben des Ge-

waltthätigen nur in id quod per-

venit. Hat aber dieſer die ge-

waltſam erlangte Sache einmal

in Beſitz bekommen, ſo befreyt

ihn ſeine consumtio nicht (L. 17

quod metus 4. 2); der zufällige

Untergang befreyt ihn zwar, je-

doch nur wenn er die urſprüng-

lich erlangte Sache betraf, nicht

die dafür eingetauſchte (L. 18 eod.).

Daſſelbe gilt bey dem redlichen

Beſitzer einer Erbſchaft, welcher

auch nur für die Bereicherung

haftet, und zwar in dem eben

beſtimmten Sinn. L. 18 cit. —

Vgl. Meyerfeld I. S. 11.

|0086 : 72|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

gekauften Sache die Bereicherung nicht aufgehoben; wenn

nämlich eine ſo unentbehrliche Sache gekauft worden iſt,

daß der Käufer, in Ermanglung des geſchenkten Geldes,

eigenes Geld hätte aufwenden müſſen, welches er alſo nun

erſpart hat (g).

Die Anwendung aller hier aufgeſtellten Regeln ſetzt

voraus, daß die geſchenkte Sache mit der untergegangnen

oder durch Umtauſch verwandelten identiſch ſey. Dieſe

 

(g) L. 47 § 1 de solut. (46.

3.). Hier iſt zwar vom Pupillen

die Rede, der eine Geldzahlung

empfangen und zu einem Kauf

verwendet hat, welches nur gül-

tig ſeyn ſoll, inſofern er dadurch

locupletior iſt; aber eben der

Begriff des locupletior iſt hier

und dort genau derſelbe, wes-

halb die Stelle auch auf die Schen-

kung anwendbar iſt. Für den Be-

griff der necessaria res ſind zu

vergleichen L. 6 de alimentis (34.

1.) „cibaria et vestitus et ha-

bitatio .. quia sine his ali cor-

pus non potest,” und L. 65 § 6

de cond. ind. (12. 6.) „.. si con-

sumsit frumentum, pretium re-

petet,” und zwar ohne Rückſicht

auf den ſonſt nöthigen Dolus

(L. 65 § 8 eod., vgl. oben § 150. m),

weil die Brotfrucht unentbehrlich

iſt. Den Gegenſatz bilden die op-

sonia und unguenta in L. 31 § 9

de don. int. vir. (24. 1.), Luxus-

gegenſtände, die aber auch des-

halb bey der Frau nicht als Be-

reicherung gelten, weil der Mann

für ihren perſönlichen Unterhalt

überhaupt zu ſorgen hat, ohne

Rückſicht auf ſtrenges Bedürfniß

oder Luxus. Bey den cibaria

familiae et jumentorum wird un-

terſchieden: gehören dieſe zum ge-

meinſamen Hausweſen, ſo hat ſie

der Mann zu erhalten, und das

darauf verwendete Geldgeſchenk

an die Frau macht dieſe nicht

reicher; anders wenn die Skla-

ven oder Thiere zu einem Land-

gut oder Handelsgeſchäft der Frau

gehören L. 31 § 9. 10; L. 58 § 1

eod. — Auf den erſten Blick ſcheint

es inconſequent, daß in manchen

Fällen die erſparte Ausgabe als

fortdauernde Bereicherung gilt, in

anderen nicht; in der That aber

liegt überall folgender Gedanke

zum Grunde. Wo die Ausgabe

durchaus nothwendig iſt, wie bey

der Wohnung und den unentbehr-

lichſten Lebensmitteln, da gilt die

Erſparung derſelben als Berei-

cherung; anders wenn die Aus-

gabe willkührlich iſt, und daher

auch ganz unterbleiben könnte, wie

bey der Errichtung eines Grab-

mals und bey den für einen Ver-

wandten bezahlten sportulae.

Vgl. § 146. b, § 150. c. q.

|0087 : 73|

§. 151. Schenkung. Begriff. 3. Bereicherung. (Fortſetzung.)

Identität läßt ſich bey einer individuell beſtimmten Sache

(Haus, Pferd, Kunſtwerk) leicht ermitteln; ſchwieriger bey

einer generiſchen Sache, namentlich bey dem baaren Geld.

Sind die geſchenkten Geldſtücke ſelbſt geſtohlen oder ver-

ſchwendet worden, ſo hat die Identität keinen Zweifel; dieſes

wird aber gewöhnlich nur zu ermitteln ſeyn, wenn der

Verluſt bald nach der Schenkung Statt gefunden hat (h).

Außerdem wird die Identität beſonders begründet werden

müſſen; ſo z. B. wenn der Mann ſeiner Frau Geld ſchenkt,

um dafür Salben zu kaufen, ſie aber mit dieſem Geld

Schulden bezahlt, und dagegen bald nachher für eine gleiche

Summe von ihrem eignen Geld Salben kauft, ſo gilt ſie

dennoch nicht als reicher, weil die Abſicht des Mannes,

verglichen mit dem letzten Erfolg, jene Identität begrün-

det (i). Allein wenn die Frau das zu unbeſtimmten Zwecken

geſchenkte Geld in ihre eigene Kaſſe nimmt, und ſpäter

einmal eine gleich große Summe verſchenkt oder verſchwen-

det, ſo iſt das ſo verlorene Geld mit dem geſchenkten nicht

identiſch; dieſes hat vielmehr, durch Vermiſchung mit dem

eigenen Gelde der Frau, eine bleibende Vermehrung ihres

Vermögens bewirkt, und der Mann kann es ſtets zurück

fordern.

Bisher wurden die Folgen des untergegangnen Geſchenks

 

(h) Solche Fälle werden öfter

in unſren Rechtsquellen voraus-

geſetzt, z. B. in L. 5 § 17 L. 7

§ 3 de don. int. vir. (24. 1.).

(i) L. 7 § 1 de don. int. vir.

(24. 1.).

|0088 : 74|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

blos in Beziehung auf die Schenkung in der Ehe betrach-

tet, weil nur davon in unſren Rechtsquellen unmittelbar

die Rede iſt; nunmehr iſt die Anwendbarkeit dieſer Folgen

auf die Inſinnation und auf den Widerruf aus beſonde-

ren Gründen (z. B. Undankbarkeit) zu unterſuchen.

Iſt der Untergang des Geſchenks herbeygeführt durch

den eigenen Willen des Gebers, oder auch durch Zufall,

ſo kann wegen des Untergegangnen kein Erſatz gefordert

werden. Sind alſo 800 Dukaten ohne Inſinuation ge-

ſchenkt, dem Beſchenkten aber auf der Reiſe von Räubern

weggenommen worden, ſo braucht er Nichts zurückzugeben.

 

Bey der Conſumtion muß unterſchieden werden. Sind

800 Dukaten in Geld, ohne Inſinuation, geſchenkt, und

hat der Beſchenkte dieſe weiter verſchenkt oder verſchwen-

det, ſo könnte nach ſtrengen Grundſätzen der Geber von

ihm 300 wieder fordern, und er hätte dazu die Wahl

zwiſchen einer Condiction, der actio ad exhibendum, und

der Vindication; denn der Beſchenkte war unredlicher Be-

ſitzer einer fremden Sache (der 300 Dukaten), und iſt alſo

noch jetzt ein fingirter Beſitzer (k). Iſt ohne Inſinuation

ein Haus, im Werth von 2000 Dukaten, geſchenkt, und

hat der Beſchenkte durch Unvorſichtigkeit eine Feuersbrunſt

veranlaßt, ſo daß nur noch eine Brandſtätte, 200 Duka-

ten werth, übrig iſt, ſo müßte nach derſelben Strenge

der Geber 1500 Dukaten mit der actio Legis Aquiliae

 

(k) Vgl. oben § 150 Noten l. m. t. u.

|0089 : 75|

§. 151. Schenkung. Begriff. 3. Bereicherung. (Fortſetzung.)

von ihm fordern können (l). In dieſen Fällen ſchützte den

Beſchenkten, bey der auf die Ehe gegründeten Ungültig-

keit, die Vorſchrift des Senatusconſults, welches aller-

dings nur für die Ehe, nicht für die Inſinuation erlaſſen

war (§ 150). Dennoch glaube ich, daß dieſer billige Schutz

auch auf die Inſinuation angewendet werden muß. Zu-

nächſt deswegen, weil im Juſtinianiſchen Recht der Be-

griff der Schenkung, in Beziehung auf das Verbot der

Ehe, höchſt ausgebildet erſcheint, in Beziehung auf die

Inſinuation gar nicht; ohne Zweifel in der ſtillſchweigen-

den Vorausſetzung, jener Begriff, mit ſeiner ganzen wiſ-

ſenſchaftlichen Ausbildung, werde auch auf die Inſinua-

tion angewendet werden. Dazu kommt aber noch die wich-

tige Rückſicht, welche von jenem Senatusconſult unab-

hängig iſt, ja demſelben eigentlich zum Grunde liegen

mag; daß nämlich, bis zum Widerruf, die Verſchwen-

dung des Empfängers durch den fortdauernden Willen des

Gebers gerechtfertigt iſt, wodurch der Dolus des Ver-

ſchwenders, alſo auch die Condiction, ausgeſchloſſen wird

(§ 150). Dieſer innere Grund aber paßt auf die ver-

ſäumte Inſinuation völlig eben ſo, wie auf das Verbot

in der Ehe.

Noch gewiſſer muß dieſer billige Schutz dem Beſchenk-

 

(l) Vergl. § 150. u. — Durch

die Schenkung nämlich war ein

getheiltes Eigenthum entſtanden,

Drey Viertheile blieben im Ver-

mögen des Gebers. Aber auch

die Zerſtörung einer gemeinſchaft-

lichen Sache begründet die actio

L. Aquiliae in Anſehung des frem-

den Antheils. L. 19. 20 ad. L.

Aquil. (9. 2.).

|0090 : 76|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ten, welcher das Geſchenk verſchwendet hat, zu gut kom-

men gegen den Widerruf wegen Undankbarkeit. Vor der

undankbaren Handlung war der Beſchenkte nicht nur red-

licher Beſitzer, ſondern auch Eigenthümer des Geſchenks;

was er alſo in dieſer Zeit weggegeben oder zerſtört hat,

konnte ihn zu keinem Erſatz verpflichten. Hat er das Ge-

ſchenk nach der begangnen Undankbarkeit weggegeben, ſo

muß dieſe Handlung als unredlich gelten, und die Con-

diction auf den Werth iſt gegen ihn begründet; die übri-

gen Klagen ſind es nicht, weil dieſe fremdes Eigenthum

vorausſetzen, welches auch nach der Undankbarkeit nicht

vorhanden iſt.

Iſt das Geſchenk durch Umtauſch verwandelt, ſo muß

der Beſchenkte im Fall der verſäumten Inſinuation Das-

jenige herausgeben, was er von dem ungültigen Theil

des Geſchenks als Bereicherung übrig hat; nicht auch was

durch ſeine willkührliche Handlung verloren gegangen iſt.

Hat er alſo das Haus, welches 2000 Dukaten werth iſt,

um 1000 verkauft, ſo braucht er nur 500 zurückzugeben,

weil die in dem urſprünglichen Geſchenk enthaltenen an-

deren 1000 in ſeinem Vermögen als Bereicherung nicht

mehr vorhanden ſind. — Eben ſo muß der Undankbare

die vorhandene Bereicherung herausgeben, er mag den

Umtauſch vor oder nach der Undankbarkeit vorgenommen

haben (m); was er durch nachtheiligen Verkauf verlor,

 

(m) Einigen Zweifel könnte er-

regen L. 7 C. de revoc. don. (8.

55.), welche ſagt, wenn der Be-

ſchenkte vor der erhobenen Klage

|0091 : 77|

§. 152. Schenkung. Begriff. 4. Abſicht.

nur wenn dieſes nach der Undankbarkeit geſchah, weil er

erſt damals in unredlichem Bewußtſeyn handelte.

Wenn bey der Inſinuation und bey der Undankbarkeit

im Fall des Umtauſches die Frage entſteht, ob überhaupt

eine Bereicherung übrig iſt, ſo iſt, nach dem ſchon aufge-

ſtellten Geſichtspunkt, die beſondere Begünſtigung, die in

dieſer Hinſicht bey dem beſchenkten Ehegatten eintritt,

gleichfalls anzuwenden (Note f), weil auch dieſe mit zu

der wiſſenſchaftlichen Ausbildung des Begriffs wahrer

Schenkung gehört.

 

§. 152.

V. Schenkung. — Begriff. 4. Abſichtliche Bereicherung.

Die Veräußerung, und die durch dieſelbe bewirkte Be-

reicherung, ſind für ſich allein zur Annahme einer Schen-

kung nicht hinreichend; es muß noch hinzukommen die auf

die Bereicherung gerichtete Abſicht, und darin liegt das

letzte Moment des ganzen Begriffs der Schenkung. Dieſe

Abſicht iſt es, was die Römer durch die Ausdrücke do-

nandi oder donationis causa, donandi animo u. ſ. w. be-

 

verſchenke oder verkaufe, ſo ſolle

nun keine Rückforderung gelten;

man könnte das nämlich auf den

eingenommenen Kaufpreis bezie-

hen wollen. Es geht aber offen-

bar blos auf den die Sache ſelbſt

betreffenden Anſpruch gegen den

dritten Erwerber; das folgt theils

aus der Zuſammenſtellung mit der

Schenkung, theils aus dem an-

gegebenen Zeitpunkt (der Klage,

nicht der Undankbarkeit ſelbſt).

Durch die Klage wurde die Sache

litigiosa, alſo unveräußerlich. Von

der Rückzahlung des Kaufpreißes

ſollte dadurch der Beſchenkte in

keinem Fall befreyt werden.

|0092 : 78|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

zeichnen. Sie iſt unerläßlich in der Perſon des Gebers;

ſie wird auch faſt immer vorhanden ſeyn in der Perſon

des Empfängers: daß ſie jedoch hier nicht durchaus noth-

wendig iſt, kann erſt weiter unten gezeigt werden (§ 160).

Die Bedeutung dieſes letzten Erforderniſſes liegt alſo

darin, daß alle bisher dargeſtellte Beſtandtheile des Be-

griffs der Schenkung vorhanden ſeyn koͤnnen, ohne daß

ſie ſelbſt angenommen werden darf, blos weil es an je-

ner Abſicht fehlt. Um dieſes zur vollſtändigen Anſchauung

zu bringen iſt es nöthig, die Fälle zuſammen zu ſtellen,

worin zwar die Bereicherung ſelbſt vorhanden iſt, die Ab-

ſicht aber dennoch fehlt. Dieſes läßt ſich denken auf

zweyerley Weiſe: Erſtlich wenn ſelbſt das Bewußtſeyn

der Veräußerung oder der Bereicherung fehlt; Zweytens,

wenn, bey vorhandenem Bewußtſeyn, eine andere Abſicht

vorhanden iſt, wodurch die der Bereicherung ausgeſchloſ-

ſen wird.

 

Das Bewußtſeyn kann fehlen ſelbſt für die Veräuße-

rung. Dieſer Fall tritt ein faſt bey jeder Uſucapion oder

Klagverjährung. Der Eine wird ärmer, der Andere rei-

cher, ohne es zu wiſſen; dann kann auch Jener nicht die

Abſicht haben, den Gegner zu bereichern, und daher iſt

dieſe Veränderung im Vermögen keine Schenkung. Daß

es hierin zuweilen auch anders ſeyn kann, wird unten ge-

zeigt werden (§ 155):

 

Häufiger geſchieht es, daß zwar die Veräußerung zum

Bewußtſeyn kommt, aber nicht die Bereicherung. Wenn

 

|0093 : 79|

§. 152. Schenkung. Begriff. 4. Abſicht.

Derjenige, welcher ein Recht überträgt, dazu verpflichtet

zu ſeyn irrigerweiſe glaubt, ſo weiß er nicht, daß der

Andere jetzt reicher wird. Hier wird in der Regel die

condictio indebiti begründet ſeyn, eine Schenkung iſt es

nur, wenn Einer wiſſentlich zahlt, was er nicht ſchuldig

iſt (§ 149). — Wenn Jemand eine Sache zu theuer kauft,

oder zu wohlfeil verkauft, weil er den wahren Werth

nicht kennt, ſo wird ohne ſein Wiſſen, alſo auch ohne

ſeine Abſicht, der Andere reicher, und daher iſt es keine

Schenkung. Ob der Andere gleichfalls irrt, oder den wah-

ren Werth kennt, iſt dabey gleichgültig (a).

Der zweyte Hauptfall beſteht darin, daß Einer wiſ-

ſentlich ärmer wird und den Andern bereichert, aber mit

einer beſtimmten Abſicht, wodurch die auf die Bereiche-

rung des Andern gerichtete Abſicht nothwendig ausge-

ſchloſſen wird. Dieſes Ausſchließen iſt jedoch nicht ſo zu

denken, daß beide Abſichten mit einander im Widerſpruch

ſtehen müßten; in den meiſten Fällen wird vielmehr die

wirklich vorhandene Abſicht nur ſo vorherrſchend ſeyn,

 

(a) Anders iſt es, wenn z. B.

Einer ein Haus, das 3000 werth

iſt, wiſſentlich mit 5000 bezahlt,

um dem Verkäufer den reinen

Gewinn von 2000 zuzuwenden.

Dieſes iſt wahre Schenkung von

2000, und von dieſem negotium

mixtum cum donatione wird un-

ten (§ 154) die Rede ſeyn. Ge-

wöhnlich wird hier auch der Ver-

käufer darum wiſſen, doch iſt die-

fes nicht gerade nöthig. Es iſt

möglich, daß der Verkaufer über

den Werth irrt, oder den Käu-

fer zu übervortheilen glaubt, wäh-

rend ihm der Käufer ein Geſchenk

unvermerkt beybringen will, wel-

ches Jener aus Stolz oder Son-

derbarkeit geradezu nicht anneh-

men würde. Auch das iſt wahre

Schenkung (§ 160).

|0094 : 80|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

daß dagegen die Bereicherung ganz in den Hintergrund

tritt. Die Bereicherung wird dann nur als eine untrenn-

bare Folge zugelaſſen, ohne ſelbſt den Entſchluß zum Rechts-

geſchäft zu beſtimmen, ſo daß dieſes eben ſo vollzogen ſeyn

würde, auch wenn keine Bereicherung daraus hervorge-

gangen wäre. Daß in allen Fällen dieſer Art keine Schen-

kung beſtehe, erkennen die Roͤmiſchen Juriſten in einem

allgemeinen Princip an; zwar nur bey Gelegenheit der

Schenkung in der Ehe, jedoch ſo daß es nicht hierauf be-

ſchränkt iſt, ſondern die Schenkung in ihrer allgemeinen

Natur zu beſtimmen dient (b). Es gehören zu dieſer Klaſſe

folgende wichtige Fälle.

Wenn Einer eine Sache wiſſentlich über ihren Werth

bezahlt, weil ſie ihm unentbehrlich iſt, oder unter ihrem

Werth verkauft, weil er jetzt Geld braucht und nicht an-

ders bekommen kann, ſo weiß er, daß er den Andern be-

reichert, aber in ſeiner Abſicht liegt dieſes ſo wenig, daß

er es gerne vermeiden würde, wenn er könnte. Er unter-

wirft ſich dem Verluſt als einem nothwendigen Übel, und

die Zwecke, die er verfolgt, beziehen ſich blos auf ihn

 

(b) L. 5 § 2 de don. int. vir.

(24. 1.). „… quod si aliarum

extrinsecus rerum personarum-

ve causa commixta sit, si se-

parari non potest, nec dona-

tionem impediri: si separari

possit, cetera valere, id quod

donatum sit non valere.” Das

impediri, valere, non valere

geht auf das Verbot der Schen-

kung in der Ehe; dabey liegt

aber zum Grunde das Princip,

daß bey untrennbaren Abſichten

das ganze Geſchäft keine Schen-

kung ſey, bey trennbaren ein

Theil als Schenkung gelte (Not a).

Durch die im Text folgende Reihe

von Fällen wird dieſes Prinzip

zugleich erläutert und beſtätigt.

|0095 : 81|

§. 152. Schenkung. Begriff. 4. Abſicht.

ſelbſt, nicht auf den Andern. Darum iſt ein ſolches Ge-

ſchäft keine Schenkung.

Wer in einem Vergleich Etwas nachläßt, mit dem

vollen Bewußtſeyn einen Theil ſeines Rechts aufzugeben,

ſchenkt dennoch nicht, da er die Koſten und die Unſicher-

heit des Rechtsſtreits vermeiden, nicht dem Gegner eine

Liberalität beweiſen will (§ 158. e). — Ganz dieſelbe Be-

wandniß hat es in der Regel bey dem Accord der Glau-

biger mit einem inſolventen Schuldner, obgleich hier nach

Umſtänden auch eine wahre Schenkungsabſicht vorkommen

kann, ſo daß das Daſeyn einer Schenkung auf einer fac-

tiſchen Frage beruht.

 

In anderen Fällen iſt die Bereicherung nur die gele-

gentliche, aber unfehlbare Folge der Familienverhältniſſe.

Werden nun dieſe durch ein Rechtsgeſchäft neu beſtimmt,

ſo gelten ſie als das Überwiegende, und die Bereicherung

tritt als untergeordnet zurück; auf ſie iſt dann die Abſicht

nicht zu beziehen, und die wirklich vorhandene Bereiche-

rung kann nicht als Schenkung angeſehen werden.

 

Wenn daher ein Ehegatte dem andern den unentgeld-

lichen Mitgebrauch eines Hauſes oder anderer Sachen

überläßt, welches unter Fremden eine Schenkung ſeyn

könnte (§ 146), ſo iſt es keine Schenkung, weil es aus

dem gemeinſamen häuslichen Leben folgt, und daraus fol-

gen würde, auch wenn für den andern Theil kein Geld-

gewinn damit verknüpft wäre (c).

 

(c) L. 18, L. 28 § 2, L. 31 § 1 de don. int. vir. (24. 1.).

IV. 6

|0096 : 82|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Die Dos, die eine Frau ihrem Mann einbringt, iſt

niemals eine Schenkung. Gewöhnlich iſt ſie es ſchon des-

wegen nicht, weil der Mann aus dem Ertrag die Frau

erhält, alſo nicht reicher dadurch wird (§ 149); ferner

deswegen, weil die Frau dazu naturaliter verpflichtet iſt

(§ 149. b. c). Aber, ſelbſt abgeſehen von dieſen Grün-

den, würde das hier aufgeſtellte Princip jenen Satz recht-

fertigen. Geſetzt, ein armes Ehepaar lebt von Almoſen;

der Frau fällt eine reiche Erbſchaft zu, und ſie macht

dieſe zur Dos. Hier wird gewiß der Mann reicher, in-

dem er ſelbſt fortan aus eigenem Vermögen reichlich lebt.

Dennoch liegt darin keine verbotene Schenkung in der Ehe,

weil dieſer Gewinn nur eine unzertrennliche Folge des ge-

meinſamen häuslichen Lebens iſt, welches zum Weſen der

Ehe gehört.

 

Wenn der Mann für die Ausgaben der Frau auf ver-

ſchwenderiſche Weiſe ſorgt, über das eigentliche Bedürfniß

hinaus, ſo liegt darin dennoch keine verbotene Schenkung,

die hinterher angefochten werden könnte (d). Denn die

 

Daß der Mann die Frau in ſei-

nem Hauſe unentgeldlich wohnen

läßt, hat auch nicht einmal den

Schein einer Schenkung, da der

Mann ohnehin für alle Bedürf-

niſſe der Frau zu ſorgen hat.

Anders im umgekehrten Fall, da

der Mann allerdings um den er-

ſparten Miethzins reicher wird.

Allein der natürlichſte Gebrauch

eines Hauſes beſteht doch darin,

daß es vom Eigenthümer bewohnt

wird; dann aber iſt das Woh-

nen des Mannes in demſelben

Hauſe eine bloße Folge des ehe-

lichen Zuſammenlebens.

(d) L. 21 pr., L. 15 pr., L. 31

§ 8. 9. 10 de don. int. vir. (24.

1.). Seit dem Senatusconſult

vom J. 206 (§ 150) würde ſchon

die consumtio jede Rückforde-

rung ausſchließen; der hier an-

gegebene Grund mußte auch in

der früheren Zeit anerkannt wer

|0097 : 83|

§. 152. Schenkung. Begriff. 4. Abſicht.

Erhaltung der Frau durch den Mann gehört zum Weſen

der Ehe (e), und der Umfang dieſer Ausgaben iſt der

unbeſchränkten Willkühr des Mannes, der das Haupt des

Hausweſens iſt, überlaſſen.

Wenn der Vater einen Sohn emancipirt, ſo geht die

Hälfte des Niesbrauchs, den er bis dahin am Vermögen

des Sohnes hatte, auf den Sohn über (f). Um dieſe Hälfte

wird alſo der Sohn bereichert, dennoch iſt es keine Schen-

kung, weil die überwiegende Abſicht auf die neue Geſtal-

tung des perſönlichen Verhältniſſes gerichtet iſt, nicht auf

die daraus folgende Bereicherung.

 

Endlich giebt es auch Fälle, worin die perſönliche

Pietät gegen den Bereicherten oder gegen einen Dritten

der eigentliche Beweggrund zu einer Handlung iſt. Auch

dagegen tritt dann die Bereicherung als untergeordnete

Folge zurück, und die Handlung kann deshalb nicht als

Schenkung beurtheilt werden.

 

Wenn ein Teſtamentserbe ein Legat oder Fideicommiß

vollſtändig auszahlt, da er entweder die Falcidiſche Quart,

oder Dasjenige was ihm anſtatt derſelben ſchon das Te-

ſtament vorbehielt, hätte abziehen können, ſo wird durch

dieſen freyen Entſchluß der Legatar oder Fideicommiſſar

 

den. Nur wenn der Mann der

Frau baares Geld giebt, z. B. ein

Jahrgehalt, ſo gilt dieſes als un-

erlaubte Schenkung, ſo daß die

Rückforderung nur durch Con-

ſumtion ausgeſchloſſen werden

kann. L. 33 pr., L. 15 pr. de

don. int. vir. (24. 1.), L. 22 in

f. de pactis dot. (23. 4.).

(e) L. 56 § 2 de j. dot. (23. 3.).

(f) L. 6 § 3 C. de bon. quae

lib. (6. 61.), § 2 J. per quas pers.

(2. 9.).

6*

|0098 : 84|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

bereichert. Geſchieht es jedoch nicht zum Zweck dieſer Be-

reicherung, ſondern aus Pietät gegen den Erblaſſer, ſo

gilt die Handlung nicht als Schenkung, und iſt daher un-

ter Ehegatten erlaubt; ja dieſe andere Abſicht ſoll ſogar

in der Regel als vorhanden angenommen werden (g). Ge-

ſchieht dieſelbe Handlung von einem inſolventen Schuld-

ner, ſo iſt dadurch die Pauliana nicht begründet, weil jene

vermuthete löbliche Abſicht den Vorwurf der Unredlichkeit

von ihm abwendet, welche allein jene Klage begründen

kann (h).

Wer ein fremdes Kind zur Pflege und Erziehung zu

ſich nimmt, bereichert dadurch den Vater, dem dieſe Pflege

 

(g) L. 5 § 15 de don. int. vir.

(24. 1.). Dieſe Stelle könnte

man als eine abſolute Vorſchrift

anſehen wollen, ſie enthält aber

in der That nur eine auf Ver-

muthung gegründete Interpreta-

tion des Willens, wie die Aus-

drücke: magis videri, und: ha-

bet rationem magis in eo, zei-

gen. Wenn alſo z. B. der Erbe

Einem, ihm beſonders befreunde-

ten, Legatar den Abzug erläßt,

den übrigen nicht, ſo zeigt ſich

der Erlaß an Jenen dennoch als

Schenkung, nicht als Pietät ge-

gen den Verſtorbenen. — Einen

Widerſpruch gegen die angeführte

Stelle könnte man finden wollen

in L 67 § 3 ad Sc. Trebell. (36.

1.), wo von dem Erben, der zur

Begünſtigung des Fideicommiſſars

die Erbſchaft für ſuspect erklärt

(und nun ohne Abzug reſtituirt),

geſagt wird, er thue es dona-

tionis causa. Allein eine wahre

Schenkung iſt auch dieſes nicht,

der Ausdruck iſt hier, wie oft,

nur in dem uneigentlichen Sinn

genommen, und er ſoll hier den

Gegenſatz bezeichnen gegen den-

jenigen Erben, welcher die Erb-

ſchaft ernſtlich für ſuspect hält,

alſo gar nicht die Abſicht hat, zu

begünſtigen. Ja in L. 67 cit.

iſt ſogar noch weniger wahre

Schenkung anzunehmen, als in

L. 5 cit., weil in dem Fall die-

ſer letzten Stelle doch ein wirk-

lich erworbenes Recht freywillig

weggegeben, im Fall der L. 67 cit.

aber nur ein angebotener Erwerb

ausgeſchlagen wird. Vergl. oben

§ 145. r.

(h) L. 19. 20 quae in fraud.

(42. 8.).

|0099 : 85|

§. 152. Schenkung. Begriff. 4. Abſicht.

obliegt, oder das Kind ſelbſt, wenn daſſelbe vaterlos und

vermögend iſt. Geſchieht Dieſes aber blos aus menſchli-

chem Antheil an dem Kinde, insbeſondere von Seiten ei-

nes Verwandten, ſo gilt es nicht als Schenkung. Das

hat die Folge, daß keine Inſinuation nöthig iſt, daß die

Handlung auch von dem mütterlichen Großvater gültig

geſchehen kann (i), und daß keine Rückforderung wegen

Undankbarkeit, ſey es des Vaters oder des Kindes, Statt

findet (k). Ob nun dieſe oder eine andere Abſicht zum

Grunde lag, iſt eine factiſche Frage. Es laſſen ſich näm-

lich hier drey verſchiedene Abſichten denken. Erſtlich der

eben beſchriebene rein menſchliche Antheil (pietas). Zwey-

tens negotiorum gestio, woraus gegen den, welchem die

Ausgaben der Erziehung oblagen, gegenwärtig aber er-

ſpart wurden, eine Klage entſpringt. Drittens Schen-

kung, woraus zwar keine Klage, wohl aber die Anwend-

barkeit der poſitiven Schenkungsregeln entſteht. Die Stel-

len des Römiſchen Rechts, welche dieſen ganzen Fall er-

wähnen, berühren nur den Zweifel zwiſchen den zwey er-

ſten Abſichten (pietas und negotiorum gestio) (l), und ver-

(i) Nämlich der mütterliche

Großvater, in deſſen Gewalt die

Mutter ſteht, kann nicht dem Va-

ter des Kindes ſchenken, weil es

ſo gut wäre, als hätte die Frau

dem Manne geſchenkt. L. 3 § 6

L. 32 § 16 de don. int. vir. (24. 1.).

(k) Dieſes ſcheint ſonderbar, da

die Erziehung doch immer eine

große Wohlthat iſt. Allein wenn

der freywillige Erzieher bey ſei-

ner löblichen Handlung nicht an

einen geſchenkten Geldeswerth

dachte, ſo kann er auch nicht hin-

terher einen ſolchen zum Gegen-

ſtand einer Strafforderung ma-

chen wollen.

(l) L. 34, L. 27 § 1 de neg.

gestis (3. 5.), L. 15. 11. 13 C.

eod. (2. 19.).

|0100 : 86|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

langen hierüber eine factiſche Prüfung der Umſtände. Allein

es iſt einleuchtend, daß der pietatis respectus, wenn er

aus den Umſtänden hervorgeht, eben ſowohl die eigent-

liche Schenkung, als die negotiorum gestio ausſchließt,

daß aber aus den Umſtänden auch die Abſicht einer wah-

ren Schenkung unzweifelhaft hervorgehen kann (m), ob-

gleich in den angeführten Stellen (Note l) der Fall der

Schenkung zufällig nicht berührt wird.

§. 153.

V. Schenkung. — Begriff. 4. Abſichtliche Bereicherung.

(Fortſetzung) Remuneratoriſche Schenkung.

Es iſt bisher ausgeführt worden, daß eine andere,

als die auf die Bereicherung des Empfängers gerichtete,

Abſicht das Daſeyn der Schenkung ausſchließe. Dieſer

Satz muß jetzt noch gegen eine mögliche Misdeutung ver-

wahrt werden. Man könnte nämlich die Sache ſo den-

ken, als ob zum Weſen der Schenkung reines Wohlwollen

gehörte, ſo daß ſie durch Einmiſchung eines jeden anderen,

beſonders eines eigennützigen Beweggrundes ausgeſchloſſen

würde. Dieſe Annahme wäre irrig. Es iſt nur nöthig, daß

die Bereicherung des Andern in der Reihe der Zwecke des

 

(m) Wenn z. B. ein Reicher

einige Kinder aus einer zahlrei-

chen unbemittelten Familie nicht

in ſein Haus aufnimmt, ſondern

bey Anderen in Pflege giebt, und

dafür Koſtgeld zahlt, ſo wird die-

ſes meiſt ein reines Geldgeſchenk

an den Vater ſeyn. Wichtig wer-

den hier die poſitiven Einſchrän-

kungen der Schenkung nicht leicht

werden, und daraus erklärt es

ſich, daß die Stellen des R. R.

dieſen Geſichtspunkt nicht hervor-

heben.

|0101 : 87|

§. 153. Schenkung. Begriff. 4. Abſicht. Remuneratoriſche.

Handelnden liege; welcher entferntere Zweck hinter derſel-

ben gedacht werde, iſt gleichgültig. Meiſtens wird die

Handlung aus uneigennützigem Wohlwollen hervorgehen,

welches dann wieder bald die Geſtalt des Mitleids, bald

die der Großmuth oder der Dankbarkeit annehmen kann.

Aber es können eben ſowohl ſelbſtſüchtige Zwecke im Hin-

tergrund liegen, ohne daß das Weſen wahrer Schenkung

dadurch aufgehoben wird. Der Geber kann hoffen, durch

das Geſchenk eine Zuneigung zu begründen, die ihm in

der Zukunft weit größere Vortheile einbringen ſoll; er

kann auch aus bloßer Eitelkeit ſchenken, um bey Anderen

den Eindruck des Reichthums und der Freygebigkeit zu

machen. In allen dieſen Fällen iſt es wahre Schenkung,

weil zunächſt die Bereicherung des Andern wirklich gewollt

wird, nur um durch dieſe zu einem entfernteren Zweck zu

gelangen. Dieſes eben war ganz anders in den Fällen

des vorhergehenden §. Wenn der Käufer ein ihm unent-

behrliches Haus über den wahren Werth bezahlt, ſo läßt

er ſich dieſe Bereicherung des Verkäufers blos aus Noth

gefallen, er würde lieber ohne dieſelbe kaufen. Wenn der

Vater durch die Emancipation des Sohnes die Hälfte des

bisherigen Niesbrauchs an Dieſen abgiebt, ſo wird er ſich

vielleicht dieſes Erfolgs gar nicht bewußt, oder vielleicht

iſt ihm derſelbe ganz gleichgültig. In beiden Fällen iſt

die Bereicherung gar nicht als Zweck gedacht, und daher

iſt die Handlung keine Schenkung.

Für die meiſten Fälle nun iſt es allgemein anerkannt,

 

|0102 : 88|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

daß der entferntere Zweck dem Daſeyn der Schenkung,

und der Anwendung der poſitiven Rechtsregeln auf die-

ſelbe, nicht im Wege ſteht. Beſtritten iſt es nur in ei-

nem einzigen Fall, und zwar gerade in einem ſolchen,

worin der entferntere Zweck keine ſelbſtſüchtige Natur hat;

wenn nämlich derſelbe in einer Erweiſung der Dankbarkeit

beſteht, welches man eine remuneratoriſche Schenkung

nennt. Hierin ſtehen ſich zwey äußerſte Meynungen ent-

gegen. Nach der einen iſt ein ſolches Geſchäft reine Schen-

kung, allen poſitiven Rechtsregeln, ſo wie jede andere,

unterworfen. Nach der zweyten Meynung iſt es gar nicht

Schenkung, ſondern einem ſogenannten oneröſen Geſchäft

gleich. Dieſes hätte alſo die Bedeutung, daß es niemals

einer Inſinuation bedürfte, in der Ehe ſtets erlaubt wäre,

und keine Rückforderung aus beſonderen Gründen (wie

Undankbarkeit) zuließe. Viele aber haben irgend einen

mittleren Durchſchnitt zwiſchen beiden Meynungen ange-

nommen, indem ſie entweder nur für manche Fälle der

Dankbarkeit die Schenkung ausſchließen, oder aber die

poſitiven Rechtsregeln nur theilweiſe zulaſſen (a).

Im Allgemeinen müſſen wir die erſte Meynung anneh-

men, nach welcher die remuneratoriſche Schenkung jeder

anderen gleich ſteht (b). Wenn ſelbſt eigennützige Zwecke

 

(a) So z. B. nimmt Mühlen-

bruch § 445 an, jedes remune-

ratoriſche Geſchenk ſey frey von

dem Widerruf wegen Undankbar-

keit, aber nicht von der Inſinua-

tion, noch von dem Verbot in

der Ehe.

(b) Dieſelbe Meynung haben

Meyerfeld I. § 19 und Ma-

rezoll, Zeitſchrift für Civilrecht

|0103 : 89|

§. 153. Schenkung. Begriff. 4. Abſicht. Remuneratoriſche.

das Weſen der Schenkung nicht ausſchließen, warum ſollte

gerade das Motiv der Dankbarkeit ihr im Wege ſtehen?

— Sehen wir auf die Natur der poſitiven Rechtsregeln,

ſo iſt bey der remuneratoriſchen Schenkung leichtſinnige

Verſchwendung (gegen welche die Inſinuation ſchützen ſoll)

eben ſo denkbar, wie bey jeder anderen. Vollends bey

der Ehe paßt die Ausſchließung dieſes Falls von dem Ver-

bot gar nicht. Denn jede richtig geführte Ehe beſteht von

beiden Seiten in ſteter Erweiſung von Liebe und Treue;

ſonach könnte hier jede Schenkung als remuneratoriſch gel-

ten, und das ganze Verbot wäre damit vernichtet. — Fer-

ner iſt das Daſeyn der Dankbarkeit als Motiv des Ge-

bens eben ſo unbeſtimmt, als ſchwer zu erkennen; beſon-

ders müßte, wenn die Ausnahme einigen Schein haben

ſollte, ein angemeſſenes Verhältniß zwiſchen dem empfan-

genen Guten und dem gegenwärtigen Lohn vorausgeſetzt

werden, wofür ſich aber gar keine feſte Gränze auffinden

läßt. — Der entſcheidendſte Grund endlich ſcheint folgen-

der. Wer hier das Daſeyn der Schenkung verneint, muß

das Gegebene als ein datum ob causam anſehen. Dann

müßte im Fall des Irrthums eine regelmäßige Condiction

auf Rückgabe gelten. Eine ſolche nun ließe ſich auch den-

ken, wenn Etwas in Hinſicht auf die Zukunft gegeben

wäre, z. B. in der unerfüllten Hoffnung auf ein Gegen-

und Prozeß I. S. 30. Doch ſtimmt

der letzte im Reſultat mit Müh-

lenbruch überein, indem er S. 36

gleichfalls annimmt, daß der Wi-

derruf wegen Undankbarkeit weg-

falle.

|0104 : 90|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

geſchenk oder auf die Zuneigung des Andern, in welchem

Fall jedoch die Condiction ausdrücklich verſagt wird (c).

Aber ganz eben ſo ſoll auch die Condiction wegfallen,

wenn bey einer remuneratoriſchen Schenkung der vorher-

gehende Dienſt irrig vorausgeſetzt wird (d). Hieraus folgt

alſo, daß in beiden Fällen gleichmäßig das Römiſche Recht

kein datum ob causam, ſondern vielmehr eine wahre

Schenkung annimmt, indem wir hier nur zwiſchen dieſen

beiden Arten der Rechtsgeſchäfte zweifelhaft ſeyn können.

Die Betrachtung einzelner Stellen des Römiſchen Rechts

führt theils zur Beſtätigung, theils zu einiger Begränzung

dieſer Behauptung.

 

Die Stelle, welche die Wiedervergeltung mit allge-

meinſter Bezeichnung erwähnt, betrifft den Fall, da ein

Glaubiger den Bürgen durch Acceptilation frey giebt, und

zwar ſchenkungsweiſe. Es iſt gewiß, daß durch dieſe Hand-

lung auch der Hauptſchuldner frey wird (e); ſie kann aber

folgende verſchiedene Bedeutung haben. Entweder will der

Glaubiger den Hauptſchuldner um die erlaſſene Summe

reicher machen, ſo daß der Bürge nichts weiter gewinnen

ſoll, als die Sicherheit gegen den moͤglichen Verluſt, wenn

er zahlen muß und der Hauptſchuldner inſolvent iſt; oder

er will den Bürgen reicher machen, welches dadurch be-

wirkt wird, daß derſelbe behandelt wird, als hätte er

 

(c) L. 3 § 7 de cond. causa

dala (12. 4.).

(d) L. 65 § 2 de cond. ind.

(12. 6.). Vergl. Beylage VIII.

Num. X. Note d.

(e) L. 13 § 7 L. 16 § 1 de

acceptil. (46. 4.).

|0105 : 91|

§. 153. Schenkung. Begriff. 4. Abſicht. Remuneratoriſche.

baar gezahlt, wodurch er eine actio mandati gegen den

Hauptſchuldner auf die Summe der Schuld erwirbt.

Welche von beiden möglichen Abſichten ſoll man nun an-

nehmen, wenn ſich der Glaubiger nicht näher darüber aus-

geſprochen hat? Ulpian ſagt (f), wenn der Glaubiger

dem Bürgen Etwas zu vergelten habe (si fidejussorem

remunerari voluit creditor), ſo ſey die letzte Abſicht an-

zunehmen; die erſte dagegen, wenn der Erlaß auf einem

ſelbſtſtändigen Entſchluß beruhe, nicht auf einer Wieder-

vergeltung (non remunerandi causa, sed principaliter do-

nando). Offenbar will er ſagen, es komme darauf an,

welchen von Beiden der Glaubiger habe begünſtigen wol-

len, und zur Beantwortung dieſer Frage giebt er beyſpiels-

weiſe das Merkmal der Remuneration an; jedoch ſo we-

nig in der Abſicht, dieſem Merkmal eine ausſchließende

Kraft beyzulegen, daß er ſelbſt vielmehr noch einige an-

dere, ſogar noch entſcheidendere, hinzufügt. Davon aber

ſagt er kein Wort, daß im Fall der Remuneration das

Geſchäft keine wahre Schenkung ſey. Vielmehr iſt es

(f) L. 10 § 13 L. 12 mandati

(17. 1.). „Si fidejussori dona-

tionis causa acceptum factum

sit a creditore, puto si fide-

jussorem remunerari voluit cre-

ditor, habere eum mandati ac-

tionem. Multo magis, si mortis

causa accepto tulisset creditor,

vel si eam liberationem legavit.

— Si vero non remunerandi cau-

sa, sed principaliter donando,

fidejussori remisit actionem,

mandati eum non acturum.” —

Wenn hier der Erlaß an den

Bürgen allgemein, und auch in

dem letzten Fall als donatio be-

zeichnet wird, ſo wird dieſer Aus-

druck in dem ſchon oft erwähn-

ten uneigentlichen Sinn gebraucht,

da es keine eigentliche, wahre do-

natio iſt (§ 158).

|0106 : 92|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

völlig im Sinn dieſer Stelle, für den Fall der Remune-

ration die Inſinuation zu fordern, auch eben ſo das ganze

Geſchäft für nichtig zu halten, wenn die Forderung einer

Ehefrau zuſteht, und der Bürge, welchem die Summe re-

munerando geſchenkt werden ſoll, ihr Ehemann iſt.

Wenn Das, was mich zu einer remuneratoriſchen

Schenkung beſtimmt, gleichfalls in einer Schenkung be-

ſtand, ſo iſt darum nicht weniger jede dieſer beiden Hand-

lungen eine wahre Schenkung, und die poſitiven Schen-

kungsregeln ſind darauf völlig anwendbar. Hat alſo der

Eine 1000 Dukaten in Geld, unter Anwendung der In-

ſinuation, geſchenkt, und empfängt ſpäter von dem An-

dern ein Grundſtück von gleichem Werthe, ohne Inſinua-

tion, zum Geſchenk, ſo iſt das zweyte Geſchenk zur Hälfte

ungültig. Hatte ein Mann ſeiner Frau vor der Ehe ein

Geſchenk gemacht (g), und empfängt dagegen von ihr in

der Ehe gleichfalls ein Geſchenk, ſo bleibt das erſte gül-

tig, das zweyte iſt ungültig. In beiden Fällen wird dem

zweyten Geſchenk durch das erſte weder die Willkührlich-

keit, noch überhaupt der vollſtändige Character einer

Schenkung, entzogen. Einen Widerſpruch gegen dieſe Be-

hauptung hat man in folgender Beſtimmung des Römi-

ſchen Rechts zu finden geglaubt (h). Der redliche Beſitzer

 

(g) Ich ſage: vor der Ehe,

denn wenn beide Geſchenke in die

Ehe fallen, ſo gilt dafür eine be-

ſonders vorgeſchriebene Compen-

ſation, die erſt ſeit dem Sena-

tusconſult von 206 (wegen der

Conſumtion) recht wichtig und

fruchtbar geworden iſt. L. 7 § 2

L. 32 § 9 de don. int. vir. (24. 1.).

(h) L. 25 § 11 de her. pet.

(5. 3.) von Ulpian. Vgl. hier-

über Meyerfeld I. S. 369 fg.

|0107 : 93|

§. 153. Schenkung. Begriff. 4. Abſicht. Remuneratoriſche.

einer Erbſchaft braucht nur Dasjenige herauszugeben, was

er noch jetzt, als Bereicherung aus derſelben, beſitzt. Ge-

ſetzt nun er hat ein Erbſchaftsſtück verſchenkt, ſo kann er

vielleicht die factiſche Erwartung eines Gegengeſchenks ha-

ben, rechtlich betrachtet iſt er deshalb nicht reicher (i).

Nur wenn er das Gegengeſchenk wirklich erhalten hat,

kann man dieſes als eine aus der Erbſchaft herrührende

Bereicherung betrachten, indem nun unter beiden Perſo-

nen Geſchenke gleichſam ausgetauſcht worden ſind (k). —

Dieſe Vorſchrift bezieht ſich jedoch lediglich auf den Um-

fang der Leiſtungen des Erbſchaftsbeſitzers, durchaus nicht

auf das Daſeyn wahrer Schenkung, und die Anwendbar-

keit ihrer poſitiven Regeln. Daß Ulpian, um das ganze

Verhältniß anſchaulich zu machen, die Ausdrücke natura-

(i) „nec, si donaverint, lo-

cupletiores facti videbuntur,

quamvis ad remunerandum sibi

aliquem naturaliter obligave-

rint.” Hier iſt offenbar nicht die

eigentliche, juriſtiſche naturalis

obligatio gemeynt, ſondern die

blos factiſche, auf Sitte, Anſtand,

Ehrgefühl beruhende Nöthigung,

deren Daſeyn ſich auf keine Re-

gel zurückführen läßt, da ſie über-

all von zufälligen Umſtänden ab-

hängt. Vergl. Meyerfeld I.

S. 376. — Es iſt ganz daſſelbe

wie in L. 54 § 1 de furtis (47.

2.). „Species .. lucri est .. be-

neficii debitorem sibi adquire-

re.” Auch hier iſt der debitor

nicht in einem juriſtiſchen Sinn

zu verſtehen.

(k) „velut genus quoddam

hoc esset permutationis;” man

kann ſich kaum vorſichtiger aus-

drücken, um eine bloße Ähnlich-

keit zu bezeichnen. An eine wahre

permutatio, alſo ein negotium,

dachte Ulpian nicht; er wollte nur

andeuten, daß die handelnden

Perſonen bey ihren gegenſeitigen

Geſchenken etwas Ähnliches em-

pfanden, wie bey einem Tauſch,

woraus alſo folgte, daß man dem

Beſitzer der Erbſchaft kein Un-

recht that, wenn man ihm das

empfangene Gegengeſchenk als ei-

nen erbſchaftlichen Gewinn an-

rechnete. Eine actio praescrip-

tis verbis hätte Ulpian, in Folge

des erſten Geſchenks, gewiß nicht

gegeben.

|0108 : 94|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

liter obligare und genus quoddam permutationis gebraucht,

ändert Nichts; beide ſind nur vergleichungsweiſe, und im

uneigentlichen Sinn angewendet, und es war gar nicht

davon die Rede, die eigentliche Schenkungsnatur, ſowohl

des erſten, als des zweyten Geſchenks, in Zweifel zu ziehen.

Ein ernſtlicher Zweifel jedoch kann aus der beſondern

Natur derjenigen früheren Handlung des Andern entſte-

hen, wodurch die gegenwärtige remuneratoriſche Gabe ver-

anlaßt wird. Beſteht nämlich jene Handlung in einer ſol-

chen Art von Dienſtleiſtung, wofür gewöhnlich ein Geld-

lohn entrichtet wird, die alſo eine gewerbliche Natur hat,

und wobey nur im vorliegenden Fall kein Lohn bedungen

war, ſo kann ſich jetzt der Geber ſeine Gabe auf ver-

ſchiedene Weiſe denken. Er kann den empfangnen Dienſt

betrachten als eine Äußerung des uneigennützigen Wohl-

wollens, wofür er jetzt durch eine freye Gabe ſeine Er-

kenntlichkeit an den Tag legen will; dann iſt dieſe Gabe

eine wahre Schenkung, und die poſitiven Regeln der

Schenkung ſind darauf völlig anwendbar. Er kann aber

auch das ganze Verhältniß betrachten als ſtillſchweigenden

Vertrag über eine Dienſtleiſtung um unbeſtimmten Lohn;

dann iſt die gegenwärtige Gabe, nach des Gebers Abſicht,

die bloße Bezahlung einer Schuld, und durch dieſe Ab-

ſicht wird der Begriff der Schenkung, mit allen Folgen

deſſelben, gänzlich ausgeſchloſſen (§ 149). Welche dieſer

beiden Abſichten zum Grunde liegt, iſt eine blos factiſche

Frage; es kommt auf eine Interpretation des Willens an,

 

|0109 : 95|

§. 153. Schenkung. Begriff. 4. Abſicht. Remuneratoriſche.

und von einer remuneratoriſchen Schenkung, die eine an-

dere Natur hätte als die gewöhnliche Schenkung, kann in

keinem jener beiden denkbaren Fälle die Rede ſeyn. Dieſes

iſt denn auch der einfache Sinn einer Stelle des Papinian,

deren unrichtige Auffaſſung viel zu den falſchen Anſichten

über die remuneratoriſche Schenkung beygetragen hat (l).

Aquilius Regulus hatte dem Rhetor Nicoſtratus in einem

Briefe freye Wohnung als Geſchenk zugeſagt (dono et

permitto tibi), weil Nicoſtratus ſtets bey dem Vater des

Regulus gelebt, ihn ſelbſt aber durch Unterricht und Auf-

ſicht ausgebildet habe; nach dem Tode des Regulus ent-

ſtand Streit über die fortwaͤhrende Verbindlichkeit der

Schenkung. Man konnte glauben, es ſey ein bloßes Pre-

carium, nicht eine auf des Empfängers Lebenszeit berech-

nete, alſo für die Folge bindende, Schenkung. Und ſelbſt

wenn es als eine ſolche gemeynt war, ſo war dieſe nach

den Regeln der Lex Cincia nicht verbindlich (m). Papi-

nian ſagt aber, es ſey gar keine eigentliche Schenkung,

ſondern Zahlung für eine frühere Dienſtleiſtung (n). Nun

(l) L. 27 de don. (39. 5.).

(m) Nämlich wegen der feh-

lenden Mancipation. Vgl. Zeit-

ſchrift für geſchichtl. Rechtswiſ-

ſenſch. IV. 46. Daher wird auch

in einem ganz ähnlichen Fall, dem

nur die Abſicht wahrer Schen-

kung zum Grunde lag, anders

entſchieden. L. 32 de don. (39.

5.). — Daß in beiden Stellen die

Verbindlichkeit der Erben des

erſten Gebers in Frage geſtellt

wird, gehört zu den zufälligen

Umſtänden der vorliegenden wirk-

lichen Rechtsfälle; bey dem er-

ſten Geber wäre eben ſo zu ent-

ſcheiden geweſen, es war aber

natürlich, daß, wegen des fort-

währenden Wohlwollens deſſelben,

erſt nach dem Tode die Rechts-

gültigkeit zur Sprache kam.

(n) „dixi posse defendi, non

meram donationem esse: ve-

rum officium magistri quadam

|0110 : 96|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

war die Lex Cincia nicht anwendbar, es war aber zu-

gleich als ein für die Folge bindendes Rechtsgeſchäft ge-

meynt, und zwar als ein unförmlich beſtellter usus an

der Wohnung, zu deſſen Schutz es an Rechtsmitteln nicht

fehlte (o).

In Verbindung damit ſteht endlich noch folgender Fall,

in welchem allein eine wahrhaft poſitive Vorſchrift zu fin-

den iſt. Wenn Jemand für die Rettung ſeines Lebens

ein Geſchenk giebt, ſo unterſcheidet ſich Dieſes von dem

eben erwähnten Fall dadurch, daß die Lebensrettung kein

gewerblicher Dienſt iſt, auch nicht leicht vorher ein Ver-

trag über Geldlohn deshalb geſchloſſen werden wird, ſo

daß die ſpätere Gabe allerdings als wahre Schenkung

angeſehen werden muß. Da aber der geleiſtete Dienſt ſo

unvergleichlich groß iſt, ſo war wohl hinreichender Grund

vorhanden, von den gewöhnlichen Einſchränkungen der

 

mercede remuneratum Regu-

lum.” Das heißt, Regulus dachte

ſich ſeine Gabe als nachträglich

entrichtetes Gehalt an ſeinen frü-

heren Hauslehrer, folglich nicht

als Schenkung, der die L. Cin-

cia im Wege geſtanden hätte (Die-

ſes allein drückt Papinian aus),

noch weniger aber als ein von

bloßer Willkühr des Gebers ab-

hängiges Precarium. — Non mera

donatio iſt hier nicht, wie man

dem Wort nach glauben könnte,

das negotium mixtum cum do-

natione (L. 18 pr. eod.), ſon-

dern die Verneinung der wah-

ren, eigentlichen Schenkung, zu

deren Annahme man durch das

in dem Brief gebrauchte Wort

dono verleitet werden konnte.

(o) Zu einem wahren usus war

die in jure cessio nöthig. Aber

auch der hier zum Grunde lie-

gende traditus usus wurde durch

Klagen geſchützt: namentlich durch

die publiciana confessoria (L. 11

§ 1 de public. 6. 2., L. 1 § 2 de

S. P. R. 8. 3.); aber auch durch

poſſeſſoriſche Interdicte (Sa-

vigny Beſitz § 45). Papinian

erwähnt gerade nur das Inter-

dict, weil es für den praktiſchen

Zweck genügte, ja ſogar am ſchnell-

ſten zum Ziel führte.

|0111 : 97|

§. 153. Schenkung. Begriff. 4. Abſicht. Remuneratoriſche.

Schenkung gänzlich zu dispenſiren, da hier auch bey dem

größten Umfang des Geſchenks Niemand an leichtſinnige

Verſchwendung denken wird, die durch poſitive Anſtalten

verhütet werden müßte. Dieſe poſitive Ausnahme von den

Rechtsregeln der Schenkung iſt denn in der That gemacht

worden, und die Stelle des Paulus, worin ſie ſich findet,

leſen wir in folgenden zwey verſchiedenen Geſtalten.

L. 34 § 1 de don. (39. 5.) aus

 

[Spaltenumbruch]

Paulus V. 11 § 6.

 

Ei qui aliquem a latrun-

culis vel hostibus eripuit,

in infinitum donare non pro-

hibemur; si tamen donatio

et non merces eximii labo-

ris appellanda est; quia con-

templationem (al. contempla-

tione) salutis certo modo

aestimari non placuit.

 

[Spaltenumbruch]

Paulus Lib. V. sent.

 

Si quis aliquem a latruncu-

lis vel hostibus eripuit, et

aliquid pro eo ab ipso ac-

cipiat: haec donatio irrevo-

cabilis est: non merces exi-

mii laboris (p) appellanda

est: quod contemplatione (q)

salutis certo modo aestimari

non placuit.

 

Der Sinn der Stelle, nach beiden Texten, iſt dieſer.

 

(p) Dieſer Florentiniſche Text

iſt ſinnlos. Der Gedanke iſt durch

die ausführlichere Faſſung im

Weſtgothiſchen Paulus unzweifel-

haft, und dieſer Gedanke ſollte

gewiß nicht durch die Abkürzung in

den Digeſten verändert werden.

Man könnte emendiren si non,

oder (wie es Haloander thut)

nam; beides iſt jedoch unnöthig,

weil die conſtante Leſeart der

Vulgata völlig genügt; ſie läßt

non weg, und lieſt: merces enim

laboris eximii.

(q) contemplatione giebt den-

ſelben Sinn wie contemplatio-

nem; es heißt: mit Rückſicht auf

die Lebenserhaltung, und es muß

hinzugedacht werden: eam dona-

tionem aestimari.

IV. 7

|0112 : 98|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Der Lohn für die Lebensrettung iſt eigentlich gar nicht

Schenkung zu nennen, ſondern vielmehr Bezahlung eines

ganz unſchätzbaren Dienſtes. Daher (ſagt der alte Pau-

lus) dürfen wir dieſe Gabe in infinitum ausdehnen (d. h.

das Verbot der L. Cincia bindet uns hier nicht). Daher

(ſagt Paulus in den Digeſten) iſt dieſe Gabe unwiderruf-

lich. — Dieſe Veränderung des Ausdrucks ſollte gewiß

nicht den Sinn ändern. Sie wurde vorgenommen, weil

der Ausdruck in infinitum gerade bey der L. Cincia be-

ſonders üblich war (r), und alſo zu ſehr an ſie erinnerte.

Allein die in den Digeſten ausgeſprochene Irrevocabilität

ſagt ganz daſſelbe; denn der Widerruf iſt der praktiſche

Erfolg aller poſitiven Einſchränkungen der Schenkung (s).

Alſo paßt auf dieſen Fall weder die Inſinuation, noch

das Verbot in der Ehe, noch der Widerruf wegen Un-

dankbarkeit. Auf der andern Seite aber iſt der Fall der

Lebensrettung ſo eigenthümlich, daß jede Ausdehnung un-

(r) Fragm. Vatic. § 304, L. 7

§ 1 de L. Jul. repet. (48. 11.).

(s) Marezoll (Zeitſchrift I.

37) beſchränkt die Stelle auf den

Widerruf wegen Undankbarkeit,

weil die fehlende Inſinuation keine

Revocation, ſondern Nichtigkeit

zur Folge habe. Allein auch die

Nichtigkeit zeigt ſich praktiſch nur

durch Revocation. Daher iſt in

den Vaticanen bey der L. Cincia

ſtets von Revocation die Rede,

und eben ſo bey der Schenkung

in der Ehe (L. 32 § 4. 7 de don.

int. vir. (24. 1.), die doch gewiß

Nichtigkeit zur Folge hat. Daß

die Baſiliken und deren Scholien

(VI. 180. 210) ſeiner Meynung

entgegen ſind, geſteht er ſelbſt zu.

Völlig entſcheidend ſind die in den

Digeſten enthaltenen Worte certo

modo. Denn modus iſt die der

Schenkung eigenthümliche Sum-

me, die ehemals auf die L. Cin-

cia gieng, und nun auf die In-

ſinuation zu beziehen iſt. L. 11

L. 21 § 1 de don. (39. 5.), L. 5

§ 5 de doli exc. (44. 4.).

|0113 : 99|

§. 154. Schenkung. Begriff. 4. Abſicht. Negotium mixtum.

ſrer Stelle auf andere Fälle der Dankbarkeit ganz unzu-

läſſig iſt (t).

§. 154.

V. Schenkung. — Begriff. 4. Abſichtliche Bereicherung

(Fortſetzung.) Negotium mixtum.

Wenn einer Gabe zwar eine Gegenleiſtung gegenüber

ſteht, welche aber einen geringeren Werth als die Gabe

hat, ſo liegt darin eine partielle Bereicherung des Empfän-

gers jener Gabe. Iſt nun auch die Abſicht des Gebers

auf dieſe Bereicherung gerichtet, ſo iſt darin eine wahre

Schenkung enthalten. Eine und dieſelbe Handlung iſt dann

zum Theil Schenkung, zum Theil ein anderes Rechtsge-

ſchäft (a), und eben ſo iſt das in der Gabe übertragene

Recht nur theilweiſe als geſchenkt zu betrachten (§ 149.

152. a).

 

Die wichtigſten Anwendungen dieſes Falles ſind fol-

gende. Wird ein Haus, welches 5000 werth iſt, zur Be-

reicherung des Käufers um 3000 verkauft, ſo iſt dieſes

ein wahrer Kauf, verbunden mit einem Geſchenk von 2000.

Unter Ehegatten iſt daher ein ſolcher Kauf gültig, und

 

(t) Mühlenbruch § 445, mit

vielen Anderen, bezieht die Stelle

auf jede Schenkung aus Dank-

barkeit, als ob hier der Fall der

Lebensrettung blos ein zufällig

gewähltes Beyſpiel wäre (Note a).

Allein die Stelle ſelbſt legt ja aus-

ſchließendes Gewicht gerade auf

die Eigenthümlichkeit dieſes, völ-

lig unſchätzbaren, Dienſtes, was

von anderen Dienſten gar nicht

behauptet werden kann.

(a) Negotium mixtum cum

donatione L. 18 pr. de don. (39.

5.). Über die Bedeutung von ne-

gotium vgl. § 143. h.

7*

|0114 : 100|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

nur das Geſchenk ungültig; iſt aber unter ihnen der Kauf

ſelbſt nur um des Geſchenks Willen vorgenommen, ſo daß

er ohne dieſe Abſicht ganz unterblieben wäre, ſo iſt das

ganze Geſchäft ungültig (b). — Verſchieden von dieſem

Fall iſt der eines ſimulirten Kaufs, wobey man ſich bloße

Schenkung dachte, z. B. wenn zugleich bedungen wird,

daß der Preis nie bezahlt werden ſolle, oder wenn der

Preis ſo gering iſt, daß er gar keine ernſte Bedeutung

haben kann. Nach allgemeinen Anſichten müßte dieſes Ge-

ſchäft zwar als Kauf ungültig ſeyn, aber als Schenkung

wirkſam (§ 134). Die Römiſchen Juriſten, ſo wie ältere

Conſtitutionen, erklären es überhaupt für ungültig, ſo lange

nicht Tradition hinzukomme (c). Das hat aber nur die

(b) L. 5 § 5 de don. int. vir.

(24. 1.), die beſtimmteſte unter

den hierher gehörenden Stellen.

Nicht widerſprechend, ſondern nur

weniger vollſtändig, ſind L. 32 § 26

eod., L. 38 in f. de contr. emt.

(18. 1.), L. 17 pr. ad Sc. Vell.

(16. 1.). — Vergl. oben § 44

Note g. h.

(c) L. 36 de contr. emt. (18.

1.), L. 38 eod. (verb. totiens

enim rel.), L. 3. 9 C. eod. (4.

38.), L. 6 pro don. (41. 6.), L. 7

§ 6 L. 32 § 25 de don int. vir.

(24. 1.), L. 15 C. eod. (5. 16.).

Vgl. Meyerfeld I. S. 306 fg.

— Einige Zweydeutigkeit entſteht

aus dem in dieſen Stellen mei-

ſtens gebrauchten Ausdruck: ven-

ditio donationis causa facta,

der an ſich auch gelten kann um

die venditio mixta cum dona-

tione zu bezeichnen, ja auch in

dieſer wieder um den Fall, da

der Kauf ohne die Schenkungs-

abſicht ganz unterblieben wäre,

auszuzeichnen (Note b). Da, wo

die abſolute Unwirkſamkeit von

einem mit jenem Ausdruck be-

zeichneten Kauf behauptet wird,

iſt gewiß nur der ſimulirte Kauf

gemeynt. — Ganz dieſelben Re-

geln gelten auch bey der locatio

donationis causa, z. B. numo

uno. L. 20 § 1 L. 46 locati

(19. 2.), L. 10 § 2 de adqu. poss.

(41. 2.), L. 52 pr. de don. int.

vir. (24. 1.). Hier heißt vilius

locaverit nicht: unter dem wah-

ren Werth, ſondern: um einen

Spottpreis, alſo ſo viel als numo

uno; das zeigt der nachher hin-

zugefügte Grund.

|0115 : 101|

§. 154. Schenkung. Begriff. 4. Abſicht. Negotium mixtum.

Bedeutung, daß, nach der allgemeinen Natur der Schen-

kung, nicht ſo wie bey dem Kauf (als Conſenſualcontract)

aus der bloßen Verabredung geklagt werden konnte. Nach

dem neueſten Recht fällt dieſe Schwierigkeit ganz hinweg

(§ 157). — Die aufgeſtellten Regeln würden unter andern

auch anwendbar ſeyn auf eine unter ihrem Nominalwerth

verkaufte Forderung. Geſchähe dieſes wegen der Unſicher-

heit der Forderung, ſo wäre es reiner Kauf, geſchähe es

zur Bereicherung des Käufers, ſo wäre es theilweiſe

Schenkung. Nun iſt aber das Erſte ganz verboten (d),

und deshalb wurde auch das Zweyte mit in das Verbot

eingeſchloſſen, weil allerdings eine ſimulirte Schenkung

allzu leicht gebraucht werden kann, um darunter das völlig

verbotene erſte Geſchäft zu verſtecken (e).

Eben dahin gehört ein Kauf, worin dem Verkäufer

jede Verpflichtung wegen der Eviction erlaſſen wird. Die-

ſer Nebenvertrag iſt reine Schenkung, weil dadurch der

Käufer den vollen Sachwerth ohne Erſatz verlieren kann;

daher iſt unter Ehegatten dieſer Nebenvertrag ungültig,

der Kauf ſelbſt bleibt gültig (f).

 

(d) Durch die ſogenannte Lex

Anastasiana. L. 22 C. mand.

(4. 35.).

(e) L. 23 C. mand. (4. 35.).

(f) L. 31 § 4 de don. int. vir.

(24. 1.). „Si .. donationis causa

paciscantur, ne quid venditor

ob eam rem praestet.” Das

darf, nach dem gewöhnlichen

Sprachgebrauch, und nach der

Vergleichung mit § 5, nicht ſo

verſtanden werden, der Verkäu-

fer ſolle das Kaufgeld bekommen,

und doch auch die Sache behal-

ten; ſondern er ſolle, nachdem

er die Sache übergeben habe, hin-

terher nicht wegen Eviction ver-

pflichtet ſeyn. Praestare iſt ge-

rade der eigenthümliche Ausdruck

für die Evictionsleiſtung. L. 31

|0116 : 102|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Ein Darlehen, wobey der Empfänger mehr oder we-

niger als die empfangene Geldſumme zurück zu geben ver-

ſpricht, kann als Schenkung der Differenz gemeynt ſeyn (g).

 

Wenn eine Societät ſo geſchloſſen wird, daß darin in

der That eine Schenkung läge (h), ſo wird das ganze

Geſchäft für ungültig erklärt (i). Das hat aber wieder

nur die ſchon bey dem Kauf angegebene Bedeutung: es

ſoll daraus nicht die dem Conſenſualcontract eigenthümliche

actio pro socio angeſtellt werden können. Iſt in Folge

der Verabredung Etwas tradirt, ſo erklären Dieſes ſchon

die alten Juriſten, als vollendete Schenkung, für gültig (k);

 

L. 5. 8. 30 de evict. (21. 2.). Für

die Hauptverbindlichkeit des Ver-

käufers heißt es: ipsam rem

praestare. L. 11 § 2 de act.

emti (19. 1.).

(g) Sie kann ſo gemeynt ſeyn;

iſt jedoch die verſprochene Summe

größer, ſo wird weit öfter die

Abſicht auf Verzinſung des Ka-

pitals (alſo nicht auf Schenkung)

gerichtet ſeyn, und dann kann

wohl auch ein Wucher darin lie-

gen. — Fälle dieſer Art werden

erwähnt in L. 11 § 4 de reb.

cred. (12. 1.), L. 17 pr. de

pactis (2. 14.); hauptſächlich um

zu bemerken, daß in keinem Fall

die Darlehensklage auf Mehr als

das Empfangene gelten könne,

womit jedoch die Anwendbarkeit

anderer Klagen nicht ausgeſchloſ-

ſen iſt.

(h) Dieſes kann geſchehen, in-

dem ein Theilnehmer entweder

Nichts beyträgt, und doch mit

theilt, oder zwar beyträgt, aber

ausſchließend den Gewinn zieht.

(i) L. 5 § 2 pro soc. (17. 2.),

L. 16 § 1 de minor. (4. 4.), L. 32

§ 24 de don. int. vir. (24. 1.).

(k) L. 32 § 24 de don. int.

vir. (24. 1.) „quae tamen in

commune tenuerunt, fine prae-

stituto revocanda non sunt.”

Das heißt: wenn in Folge der

Übereinkunft Etwas erworben,

und dem Beſchenkten für ſeinen

Antheil tradirt worden iſt, ſo ge-

nießt Dieſes (als perfecta do-

natio) den Vortheil der Beſtäti-

gung durch den Tod, ganz nach

dem Senatsſchluß, der für an-

dere Fälle in den vorhergehenden

Worten als unanwendbar ange-

geben war. Die Worte fine prae-

stituto erklärt Meyerfeld I. 324

vortrefflich als gleichbedeutend (ur-

ſprünglich wohl gleichlautend) mit

fini decimarum in Fragm. Va-

tic. § 294, nämlich ſo weit nicht

|0117 : 103|

§. 154. Schenkung. Begriff. 4. Abſicht. Negotium mixtum.

nach dem neueſten Recht aber würde auch aus der bloßen

Verabredung, wie bey jeder Schenkung, geklagt werden

können (l).

Endlich liegt ein ſolches gemiſchtes Geſchäft auch in

jeder donatio sub modo (§ 175), wegen der dadurch für

die Zukunft begründeten Gegenleiſtung (m).

 

Bey allen dieſen gemiſchten Geſchäften muß der Geld-

werth des auf die Schenkung fallenden Antheils ermittelt

werden. Dieſer iſt dann ganz nach den Regeln der Schen-

kung zu beurtheilen; in Anſehung der Inſinuation, des

Verbots in der Ehe, des Widerrufs aus beſonderen Grün-

den (n). Nur wenn die Gegenleiſtung überhaupt keinen

 

die Beſchränkungen der L. Julia

(Ulpian. XV.) im Wege ſtehen.

In den Digeſten haben nun jene

Worte den trivialen Sinn: nach

Maasgabe des Vertrags, ſo daß

jetzt das Komma hinter praesti-

tuto ſtehen muß.

(l) Nur freylich ſo, daß die

der Societät eigenthümliche Auf-

kündigung gelten müßte. Denn

ſonſt würde man offenbar über

die Abſicht der Parteyen hinaus

gehen, die doch nur eine Schen-

kung nach den Regeln und For-

men einer Societät wollten.

(m) L. 18 pr. § 1. 2 de don.

(39. 5.). Hier wird die in der

Schenkung sub modo liegende

partielle Schenkung nur dazu be-

nutzt, um die Gränzen der con-

dictio oder actio praescriptis

verbis feſtzuſtellen. Da aber doch

überhaupt die Schenkungsnatur

beſtimmt anerkannt wird, ſo folgt

daraus die Anwendung der poſiti-

ven Schenkungsregeln von ſelbſt.

Mühlenbruch § 445 nimmt an,

daß bey der donatio sub modo

die Inſinuation ganz wegfalle, wo-

durch ja die ganze Vorſchrift der

Inſinuation ſehr leicht umgangen

werden könnte, indem dazu bey

jeder Schenkung ſchon der unbe-

deutendſte Modus hinreichen wür-

de. Er beruft ſich auf Leyser

435. 3, der den Irrthum noch

dadurch erweitert, daß er die

Schenkung sub modo mit der

remuneratoriſchen verwechſelt.

(n) Ganz deutlich iſt dieſe Be-

handlung der Sache anerkannt in

L. 5 § 5 de don. int. vir. (24.

1.), das Princip ſelbſt in L. 5

§ 2 eod. „si separari possit”

rel. (§ 152. b).

|0118 : 104|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Geldwerth hat, kann eine ſolche Trennung nicht vorge-

nommen werden (o), und nun gilt daher das ganze Ge-

ſchäft nicht als Schenkung, indem eine Differenz des Geld-

werths, woraus allein die Bereicherung hervorgehen könnte,

gar nicht denkbar iſt (p).

§. 155.

V. Schenkung. — Einzelne Rechtsgeſchäfte. 1. Dare.

Nachdem jetzt der Begriff der Schenkung vollſtändig

dargelegt worden iſt, ſoll derſelbe durch alle einzelne

Rechtsverhältniſſe, in welchen er vorkommen kann (§ 142),

durchgeführt werden. Dieſe Durchführung hat zunächſt

den Zweck, die wirkliche Erſcheinung der Schenkung in

den mannichfaltigſten Geſtalten zur Anſchauung zu brin-

gen. Ferner wird dadurch ihre poſitive Seite klar werden,

durch die Darlegung Desjenigen, was ſie zur Wirkſamkeit

einzelner Rechtsgeſchäfte beytragen kann, anſtatt daß durch

ihre negative Seite vielmehr eine Hemmung dieſer Wirk-

ſamkeit für viele Fälle herbeygeführt wird. Endlich be-

kommt ſie überhaupt erſt Realität in dieſen Anwendungen.

Denn ihr bisher aufgeſtellter Begriff (Veräußerung mit

abſichtlicher Bereicherung) erlangt erſt ein wirkliches Da-

ſeyn durch die Verkörperung in einem einzelnen Rechtsver-

 

(o) Solche Fälle ſind erwähnt

in L. 19 § 1. 6 de don. (39. 5.).

(p) L. 5 § 2 de don. int. vir.

(24. 1.) (§ 152. b), deren durch-

greifendes Princip hier eben ſo

anwendbar iſt, wie bey der Ab-

ſicht zu ſchenken.

|0119 : 105|

§. 155. Schenkung. Einzelne Rechtsgeſchäfte. 1. Dare.

hältniß, ohne welche jener Begriff gleichſam in der Luft

ſchwebt. Dieſes iſt alſo die natürliche Bedingung aller

gültigen Schenkung, das perficitur donatio, deſſen Natür-

lichkeit nur dadurch in den Hintergrund getreten iſt, daß

es unter den Händen der alten Juriſten (vielleicht theil-

weiſe durch die Lex Cincia) conventionelle Zuſätze erhal-

ten hatte, unter welchen ſeine urſprüngliche Geſtalt ſchwer

zu erkennen war (a).

Da nun in allen Theilen des Vermögens eine Berei-

cherung denkbar iſt, ſo können die verſchiedenſten Vermö-

gensverhältniſſe als Mittel zum Zweck einer Schenkung

dienen. Die Bereicherung kann ſich beziehen:

 

1) auf ein dingliches Recht, welches dem Beſchenkten

verſchafft wird;

2) auf ein obligatoriſches Verhältniß, und zwar wie-

derum:

a) auf eine Forderung, die ihm verſchafft wird;

b) auf eine Schuld, von welcher er befreyt wird.

Demnach laſſen ſich alle einfache Schenkungen auf drey

Klaſſen zurück führen, indem ſie geſchehen können Dando,

Obligando, Liberando.

 

Die Schenkungen durch dingliche Rechte können ſich

 

(a) In folgenden Stellen iſt

die urſprüngliche, natürliche Ge-

ſtalt jener Bedingung erkennbar.

Fragm. Vat. § 263. „Eam quae

… citra stipulationem donavit,

si neque poss … tradidit …

nihil egisse placuit.” ib. § 266

„.. destinationem potius libe-

ralitatis, quam effectum rei

actae continet.” § 293 „.. ma-

nifeste nec coepta videatur”

|0120 : 106|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ferner beziehen auf Eigenthum oder auf jura in re. Die

Schenkung durch übertragenes Eigenthum iſt ſo ſehr

die häufigſte und wichtigſte, daß deshalb nicht ſelten die

Schenkung im Allgemeinen als eine Art der Eigenthums-

übertragung aufgefaßt worden iſt (§ 142. a). Die Form,

wodurch Eigenthum übertragen wird, iſt im Juſtiniani-

ſchen Recht ganz einfach die Tradition, ohne Unterſchied

der Zwecke, wofür die Übertragung geſchieht (b). So iſt

alſo zunächſt von der Schenkung durch Tradition zu

handeln. In dieſer zeigt ſich die Schenkung in ihrer po-

ſitiven Natur dadurch wirkſam, daß ſie als justa causa

der Tradition dient, und ſo den wirklichen Übergang des

Eigenthums vermittelt (c). Natürlich nur unter der Vor-

ausſetzung, daß der Geber ſelbſt das Eigenthum hat;

welche Folgen eintreten, wenn es ihm fehlt, ſoll weiter

unten beſonders dargeſtellt werden.

Die Tradition erſcheint hier in allen verſchiedenen Ge-

ſtalten, die ſie überhaupt anzunehmen fähig iſt. Unter

andern alſo durch Mittelsperſonen (d). Ferner ſo, daß

der Beſchenkte die Sache, die er ſchon inne hat, nur be-

 

(b) Im älteren Recht gab es

überhaupt drey Formen zur Über-

tragung des Eigenthums: man-

cipatio, in jure cessio, tradi-

tio. Dieſe kamen daher auch bey

der Schenkung vor, ja für viele

Fälle waren ſogar die feyerliche-

ren Formen nothwendig. Hierin

iſt alſo der Rechtszuſtand viel ein-

facher geworden.

(c) § 40 J. de rer. div. (2. 1.).

(d) L. 4. 6. 10. de don. (39.

5.) Dahin gehört auch der ſchon

oben angeführte Fall, da ich die

Schenkung durch Auftrag an Den-

jenigen vollziehe, welcher mir die

Sache ſchenken oder als Verkäu-

fer tradiren wollte (§ 148. a).

|0121 : 107|

§. 155. Schenkung. Einzelne Rechtsgeſchäfte. 1. Dare.

halten ſoll (e). Dann als missio in possessionem, indem

ihm erlaubt wird, einſeitig den Beſitz zu ergreifen, der

nun ſo gelten ſoll, als hätte ihn der Geber perſönlich ein-

gehändigt (f). Endlich auch durch das ſogenannte con-

stitutum possessorium, indem der Geber erklärt, die Sache

ferner nur im Namen und Auftrag des Empfängers be-

ſitzen, alſo deſſen Beſitz verwalten zu wollen. Eine An-

wendung dieſer letzten Form liegt in dem vorbehaltenen

Niesbrauch, welcher Vorbehalt ſogar ohne Rückſicht auf

den wirklichen Genuß des Niesbrauchs, blos als Form

augenblicklicher Tradition ohne äußerlich hervortretende

Handlung, geſchehen kann (g).

Der Tradition gleich wirkt die Dereliction, wenn ſie

in der beſtimmten Abſicht geſchieht, daß ein Auderer das

Eigenthum erhalte, mag nun dieſer Andere eine beſtimmte

und bekannte, oder eine unbeſtimmte, unbekannte Perſon

ſeyn. Dieſe Handlung wird geradezu als Veräußerung

anerkannt (h), obgleich ſtreng genommen Verluſt und Er-

 

(e) L. 10 de don. (39. 5.)

„sive, quod ipse habeat, sibi

habere eum jubeas.”

(f) L. 6 L. 9 § 1 de don. (39.

5.), L. 6 C. eod. (8. 54.). Da-

hin gehört namentlich das auf den

bloßen Fruchterwerb gerichtete Ge-

ſchenk (§ 146); der Geber erlaubt

dem Andern, die Früchte, ſobald

ſie vorhanden ſind, ſelbſt in Be-

ſitz zu nehmen, und dann als ge-

ſchenkt zu behalten.

(g) L. 28 L. 35 § 5 C. de don.

(8. 54.). — Savigny Beſitz § 27

S. 373 Ausg. 6, Geſchichte des

R. R. im Mittelalter B. 2 § 66.

— Meyerfeld I. S. 95 fg. —

Dieſer Fall iſt unter andern vor-

handen, wenn nur auf wenige Tage

der Niesbrauch vorbehalten wird.

(h) L. 5 quae in fraud. (42.

8.), L. 9 § 7 de adqu. rer. dom.

(41. 1.), § 46 J. de rer. div. (2.

1.). — Ohne jene Abſicht iſt das

Aufgeben des Beſitzes (ja ſelbſt

des Eigenthums) keine Veräuße-

rung. L. 119 de R. J. (50. 17.).

Daher iſt die Dereliction im All-

|0122 : 108|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

werb des Eigenthums nicht zuſammen fallen, da der Ver-

luſt mit dem aufgegebenen Beſitz augenblicklich eintritt (i),

ſo daß zwiſchen ihm und dem Erwerb des Andern ein

Zeitraum in der Mitte liegt, worin die Sache unbeſeſſen

und herrenlos war. Gewöhnlich wird dieſe Zwiſchenzeit

ſo gering ſeyn, daß ſie für die Betrachtung völlig ver-

ſchwindet (k); ſie kann ſich jedoch auch zufällig weiter

ausdehnen. Sobald indeſſen die Occupation nur nach dem

Willen des früheren Eigenthümers geſchieht, muß auch

der ganze Hergang als Schenkung gelten, und den poſiti-

ven Regeln jeder Schenkung unterworfen ſeyn. Denn zu

dem in ihm anerkannten Character der Veräußerung

(Note f), welcher allein etwa bezweifelt werden könnte,

tritt unverkennbar hinzu die wirkliche Bereicherung des

Empfängers, und die hierauf gerichtete Abſicht des frühe-

ren Eigenthümers (l).

Mit dem Fall der Dereliction zum Vortheil eines An-

dern, könnte man vergleichen wollen den Fall, da der Ei-

 

gemeinen nicht als Veräußerung

zu betrachten, ſondern nur unter

Vorausſetzung jener beſonderen

Abſicht.

(i) L. 1 L. 2 § 1 pro derel.

(41. 7.).

(k) L. 1 L. 5 § 1 pro derel.

(41. 7.), L. 9 § 7 de adqu. rer.

dom. (41. 1.), § 46 J. de rer.

div. (2. 1.).

(l) Wollte man hierin keine

Schenkung annehmen, ſo wäre

Nichts leichter, als alle poſitive

Regeln der Schenkung zu ent-

kräften. Wenn z. B. ein großes

Landgut derelinquirt, und gleich

nachher durch Verabredung von

einem Andern occupirt würde, ſo

wäre weder das Verbot in der

Ehe, noch die Vorſchrift der In-

ſinuation anwendbar. Dieſes zu

verhüten, ſollten eben alle Fälle

dieſer Art als Veräußerung gel-

ten (Note h), abgleich man daran,

nach ſubtiler Betrachtung, hätte

zweifeln können.

|0123 : 109|

§. 155. Schenkung. Einzelne Rechtsgeſchäfte. 1. Dare.

genthümer den Uſucapionsbeſitz eines Andern durch Klage

zu ſtören abſichtlich unterläßt, damit die Uſucapion ab-

laufe, wodurch er alſo den Übergang des Eigenthums mit

Bewußtſeyn herbeyführt. Dennoch kann dieſes an ſich

nicht als Schenkung gelten, weil es kein Rechtsgeſchäft,

ja überhaupt keine poſitive Handlung iſt, ohne welche eine

Schenkung nicht angenommen werden kann (m).

Als ein verſtecktes Geldgeſchenk kann man den unent-

geldlich überlaſſenen Gebrauch einer Sache betrachten, da

wo dieſer überhaupt als Schenkung angeſehen werden darf;

unter derſelben Vorausſetzung auch die unentgeldliche Dienſt-

leiſtung. Denn das Geſchenk beſteht hier in der That in

der Geldſumme, die dem Andern als eine nothwendige

Ausgabe erſpart wird (§ 146. b. d).

 

Auch das beſchränkte Eigenthum einer Sache kann

durch Tradition übertragen, und als Schenkungsmittel ge-

braucht werden. Dieſes kann geſchehen, wenn der ideale

Theil einer Sache geſchenkt wird; ſey es, daß der Geber

ſelbſt nur dieſen Theil hatte, oder daß er den übrigen

Theil für ſich behalten will (n). — Ferner wenn das ge-

ſchenkte Eigenthum durch jura in re beſchränkt iſt, ſey es

daß dieſe ſchon vorher darauf laſteten, oder daß der Ge-

ber bey der Schenkung ſie darauf legt, alſo das Geſchenk

dadurch beſchränkt, zum Beyſpiel indem er den Niesbrauch

 

(m) S. o. § 144. — Der Be-

weis dieſes Satzes, im Zuſam-

menhang mit anderen, verwand-

ten Sätzen, findet ſich in der

Beylage IX.

(n) Meyerfeld I. S. 123.

|0124 : 110|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

vorbehält, um dieſen wirklich zu genießen, nicht als bloße

Form der Tradition (Note e). — Endlich kann dahin auch

der Fall gerechnet werden, wenn der Geber nicht das

wahre Eigenthum, ſondern nur ein dieſem verwandtes

Recht hat. So in dem älteren Recht das in bonis, und

das Recht an Provinzialgrundſtücken; ſo auch noch im

heutigen Recht die b. f. possessio, von welcher ſogleich

noch weiter gehandelt werden wird.

§. 156.

V. Schenkung. — Einzelne Rechtsgeſchäfte. 1. Dare.

(Fortſetzung.)

Bey der Tradition als Schenkung bleibt nun noch der

Fall zu betrachten übrig, da der Geber ſelbſt das Eigen-

thum nicht hat, welches er übertragen will.

 

Daß er durch dieſe Handlung dem Eigenthümer kein

Recht entziehen kann, iſt für ſich klar (a). Willigt der

Eigenthümer ein, ſo geht ſogleich Eigenthum über, indem

es nun ſo betrachtet wird, als hätte zuvor der Eigenthü-

mer durch brevi manu traditio das Eigenthum auf den

Geber übertragen. Das Schenkungsverhältniß beſteht je-

doch nur zwiſchen dem Geber und dem Empfänger; der

bisherige Eigenthümer hat zu dem Empfänger gar kein

Verhältniß, dem Geber kann er haben ſchenken oder ver-

 

(a) L. 14. 21. 24 C. de don. (8. 54.), L. 2 C. de usuc. pro

don. (7. 27.).

|0125 : 111|

§. 156. Schenkung. Einzelne Rechtsgeſchäfte. 1. Dare. (Fortſ.)

kaufen wollen, welches von den Beweggründen ſeiner Ein-

willigung abhängt (b).

Allein auch ohne des Eigenthümers Einwilligung fehlt

es der Schenkung einer fremden Sache dennoch nicht an

einer wichtigen poſitiven Wirkung. Sie dient nun als

Uſucapionstitel, welcher daher den Namen pro donato

führt (c). Dieſe läßt ſich auf zweyerley Weiſe denken:

als bloßer Zuſatz zu der ſchon dem Geber zuſtehenden b.

f. possessio, die ſchon für ſich ein ſelbſtſtändiges Geſchenk

 

(b) L. 9 § 2 de don. (39. 5.).

„Quod filiusfamilias patris jussu

aut voluntate donavit, perinde

est, ac si pater ipse donaverit,

aut si mea voluntate rem meam

tu nomine tuo Titio dones.”

Es werden hier zwey Fälle un-

terſchieden. Wenn der Vater die

Schenkung befiehlt (jussu), ſo iſt

der Vater ſelbſt der donator, wel-

cher ſich nur zur Vollziehung ei-

ner Mittelsperſon bedient (§ 155).

Wenn er nur einwilligt (volun-

tate), ſo iſt der Sohn donator,

gerade wie bey der Einwilligung

an einen unabhängigen Geber.

In dem beſonderen hier erwähn-

ten Fall iſt freylich, wegen der

väterlichen Gewalt, weder Tra-

dition noch Schenkung des Va-

ters an den Sohn möglich; die

letzte Wirkung aber iſt dieſelbe,

wie wenn ein Fremder in der

Mitte ſtände. — Daſſelbe kann

nun auch in der Art geſchehen,

daß der Geber donationis causa

einem Dritten aufträgt, eine die-

ſem Dritten gehörende Sache dem

Empfänger zu tradiren, z. B.

Geld auszuzahlen; nun hat der

Dritte gegen den Geber eine man-

dati actio auf Erſatz. L. 52 § 1

de don. int. vir. (24. 1.) „ut

traditio, quae mandante uxore

mortis causa facta est” …

Ähnliche Fälle in L. 19 § 3 de

don. (39. 5.), L. 26 de don. int.

vir. (24. 1.).

(c) Darauf gehen die beiden

Titel Dig. 41. 6, Cod. 7. 27. —

Einen allgemeinen Widerſpruch

gegen den aufgeſtellten Grundſatz

könnte man finden in L. 9 § 3

de don. (39. 5.). „Donari non

potest, nisi quod ejus fit cui

donatur.” Urſprünglich gieng das

auf die L. Cincia, und wollte ſa-

gen, zur vollgültigen Schenkung

einer res mancipi ſey Mancipa-

tion nöthig, Tradition nicht hin-

reichend. Jetzt hat es denſelben

allgemeinen Sinn, wie die in

Note a angeführten Stellen. Vgl.

Zeitſchrift für geſchichtl. Rechts-

wiſſenſch. B. 4 S. 40.

|0126 : 112|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

enthält (§ 155); oder auch allein ſtehend, wenn nämlich

dem Geber das redliche Bewußtſeyn, oder der Titel fehlt,

ſo daß eine Uſucapion überhaupt in dem Empfänger aller-

erſt anfängt, und mit ihr zugleich auch die b. f. posses-

sio, die alſo in dieſem Fall nicht als ein übertragenes

Recht betrachtet werden kann, und auch nicht durch acces-

sio possessionis unterſtützt und erleichtert wird.

Nun entſteht aber die wichtige Frage, ob dieſer Fall

auch als eigentliche Schenkung zu betrachten iſt, in dem

Sinn daß darauf die Nothwendigkeit der Inſinuation, das

Verbot in der Ehe, der Widerruf wegen Undankbarkeit,

anzuwenden ſind.

 

Das würde dann die Folge haben, daß die Schenkung

einer fremden Sache, da wo ſie in das Gebiet jener ein-

ſchränkenden Regeln fiele, auch nicht einmal als Uſuca-

pionstitel tauglich wäre. Dieſes möchte man nun in der

That anzunehmen aus folgendem Grunde geneigt ſeyn.

Wenn ein Ehemann ſeine eigene Sache der Frau ſchenkt,

ſo unterbleibt nicht nur der unmittelbare Übergang des

Eigenthums, ſondern es tritt auch keine Uſucapion als

Aushülfe für jenen Mangel ein; die Frau hat vielmehr

keine civilis possessio (d), das heißt ſie kann gar nicht

uſucapiren (e). Der Grund liegt darin, daß es der Frau

 

(d) Savigny Recht des Be-

ſitzes § 7.

(e) L. 1 § 2 pro don. (41. 6.).

„Si inter virum et uxorem do-

natio facta sit, cessat usuca-

pio.” Das geht zunächſt und am

einfachſten auf den hier angenom-

menen Fall, da der Geber Eigen-

thümer der Sache iſt. Selbſt im

Fall der Scheidung (heißt es

weiter) fängt keine Uſucapion an,

außer „si eam maritus conces-

|0127 : 113|

§. 156. Schenkung. Einzelne Rechtsgeſchäfte. 1. Dare. (Fortſ.)

an allen Bedingungen der Uſucapion fehlt; ſie hat keinen

Titel, da ein verbotenes, nichtiges Rechtsgeſchäft einen

ſolchen nicht abgeben kann; ſie hat keinen redlichen Beſitz,

da ſie weiß, daß ſie eine fortwährend fremde Sache be-

ſitzt (f). Daſſelbe möchte man nun auch erwarten, wenn

der Geber nicht Eigenthümer iſt, ſondern eine fremde Sache

ſchenkt; auch hier ſcheint der Titel ſowohl, als der red-

liche Beſitz, zu fehlen. Und doch iſt es hier theilweiſe

anders. Die beſtimmteſte Stelle hierüber, von Pompo-

nius, lautet alſo:

L. 3 pro don. (41. 6.). „Si vir uxori, vel uxor viro

donaverit, si aliena res donata fuerit, verum est

quod Trebatius putabat, si pauperior is qui donas-

set non fieret, usucapionem possidenti procedere.”

Hier werden alſo zwey Fälle unterſchieden. Erſtlich,

wenn der Geber durch die Schenkung ärmer wird, das

 

serit, quasi nunc donasse in-

telligatur.” Denn in dieſem Au-

genblick iſt ja die Schenkung er-

laubt. (Von dieſer concessio

vgl. L. 32 § 10 de don. int. vir.

24. 1.). Man könnte fragen, wozu

jetzt noch eine Uſucapion erfordert

werde, da die gültige Schenkung

ſchon von ſelbſt Eigenthum über-

trägt. Ohne Zweifel dachte Pau-

lus an eine res mancipi, die ei-

ner ergänzenden Uſucapion be-

durfte, weil jene concessio nur

als Tradition wirken konnte. —

Von einer ähnlichen concessio,

wie ſie in L. 1 § 2 cit. voraus-

geſetzt wird, muß auch erklärt

werden der Schluß von L. 24 de

don. int. vir. (24. 1.). „.. al-

tero, quod fuerit vitium, amo-

tum sit.” Quod ſteht hier für

si quod, ſo daß die Regel alle

mögliche Fälle umfaßt, es mag

ein vitium da geweſen ſeyn, oder

nicht.

(f) L. 19 pr. de don. int. vir.

(24. 1.). „.. hoc enim b. f. pos-

sessoribus concessum est: vi-

rum autem scientem alienum

possidere.” Daſſelbe muß auch

für die Frau gelten, und ſelbſt

nach dem älteren Recht, und ſelbſt

wenn ſie das geſetzliche Verbot

der Schenkung nicht gekannt hätte.

IV. 8

|0128 : 114|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang

heißt wenn es eine eigentliche, wahre Schenkung iſt; nun

ſoll in der That die Uſucapion gehemmt ſeyn, ganz wie

bey dem Geſchenk der eigenen Sache, und aus denſelben

Gründen. Dieſer Fall iſt nun ſo zu denken, daß der Ge-

ber ſelbſt eine b. f. possessio, alſo den Uſucapionsbeſitz,

hatte. Durch das Weggeben deſſelben opfert er ein wah-

res Recht auf (§ 155), wird alſo ärmer. Daher fehlt es

an einem gültigen Rechtstitel, und der Empfänger kann

nicht uſucapiren (g). — Zweytens, wenn der Geber durch

die Schenkung nicht ärmer wird, ſoll die Uſucapion gel-

ten. Dieſer Fall iſt ſo zu denken, daß der Geber ſelbſt

keinen Titel oder keinen redlichen Beſitz hatte, in welchem

Fall er nicht ärmer wird, weil er gar kein Recht hat,

das er verlieren könnte. Warum ſoll nun hier die Uſu-

capion gültig ſeyn? An einem gültigen Rechtstitel fehlt

es freylich nicht, da auf dieſen Fall das geſetzliche Ver-

bot gar nicht anwendbar iſt (h). Dagegen ſcheint hier im-

Denn obgleich nach dem älteren

Recht die Rechtsunwiſſenheit den

Frauen in der Regel nachgeſehen

wurde, ſo litt doch gerade bey

Schenkungen dieſe Regel eine

Ausnahme. Vgl. Beylage VIII.

Num. VIII. und Num. XXXI. d.

(g) Im neueſten Recht iſt die-

ſes der einzige Fall; im älteren

Recht kam noch der andere Fall

hinzu, wenn der Geber die Sache

in bonis hatte; z. B. der Mann

hatte ein Haus blos tradirt er-

halten (nicht mancipirt), und ver-

ſchenkte es nun vor Ablauf der

Uſucapion an die Frau. — In

beiden Fällen tritt die merkwür-

dige und bedenkliche Folge ein,

daß der Beſchenkte nicht uſucapi-

ren kann, der Geber aber auch

ſeine bisherige Uſucapion nicht

mehr fortſetzt, indem dieſelbe da-

durch unterbrochen iſt, daß der

Beſchenkte wahren Beſitz erwor-

ben hat. L. 1 § 4 de adqu. poss.

(41. 2.), L. 1 § 2 in f. pro don.

(41. 6.).

(h) Hier tritt recht deutlich, und

in praktiſcher Wirkſamkeit, der

oben bemerkte Unterſchied der po-

|0129 : 115|

§. 156. Schenkung. Einzelne Rechtsgeſchäfte. 1. Dare. (Fortſ.)

mer noch der redliche Beſitz zu fehlen (Note f). Da in-

deſſen die Römiſchen Juriſten hieran keinen Anſtoß neh-

men, ſo müſſen ſie ſich wohl die Sache ſo gedacht haben.

Der Beſchenkte nimmt zwar allerdings an, die Sache ſey

noch in fremdem Eigenthum, nämlich in dem des Gebers

(des andern Ehegatten). Da nun aber dieſe Annahme auf

einem factiſchen Irrthum beruht, ſo wird ſie als unſchäd-

lich behandelt, und der Beſitzer gilt als redlich, weil er

von dem Recht des wirklichen Eigenthümers in der That

Nichts weiß (i).

Dieſelbe Regel wird auch anerkannt in folgender Stelle,

welche gleichfalls keinen Zweifel wegen eines unredlichen

Beſitzes durchblicken läßt:

 

L. 25 de don. int. vir. (24. 1.). „Sed et si, constante

matrimonio, res aliena uxori a marito donata fuerit,

dicendum … etsi non mortis causa donaverat ei,

non impediretur usucapio. Nam jus constitutum ad

eas donationes pertinet, ex quibus et locupletior mu-

lier, et pauperior maritus in suis rebus fit .....”(k).

ſitiven und negativen Seite der

Schenkung hervor (§ 142. 143),

der in den meiſten übrigen An-

wendungen wenig bemerklich wird.

Die Handlung iſt hier nämlich

inſofern eine Schenkung, als ſie

einen Titel zur Uſucapion, und

zwar ganz gewiß einer usucapio

pro donato, abgiebt. Sie iſt

dagegen inſofern keine Schenkung,

als ſie unter Ehegatten vorgeht,

und dennoch nicht unter das Ver-

bot der Schenkung in der Ehe fällt.

(i) Beylage VIII. Num. XV. a.

— Man kann das, mit einem an-

derwärts vorkommenden Aus-

druck, ſo bezeichnen: plus est in

re quam in existimatione. —

Vergl. Faber conject. VII. 13.

Retes de don. int. vir. C. 10

§ 5 (Meerm. T. 6). Glück B. 26

S. 41—46. Unterholzner

Verjährung B. 1 S. 395.

(k) Ich übergehe hier die übri-

8*

|0130 : 116|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Die Regel ſelbſt wird hier ſo ausgedrückt, als ob die

Uſucapion allgemein gelten ſollte, ohne Unterſchied ob der

Geber durch die Schenkung ärmer werde oder nicht. Allein

der hinzugefügte Grund zeigt, daß der Verfaſſer (Teren-

tius Clemens) ganz mit der oben dargeſtellten Unterſchei-

dung des Pomponius übereinſtimmt, und alſo die Uſuca-

pion nicht gelten laſſen will, wenn auch ſchon der Geber

eine b. f. possessio gehabt haben ſollte.

 

Die alten Juriſten haben dieſe Regeln, wie gewöhn-

lich, an der Schenkung unter Ehegatten entwickelt; ſie

können aber unbedenklich eben ſo auch auf die Schenkung

mit verſäumter Inſinuation angewendet werden. Wenn

alſo der unredliche Beſitzer eines fremden Hauſes, welches

2000 Dukaten werth iſt, dieſes ohne Inſinuation an ei-

nen redlichen Empfänger verſchenkt, ſo kann dieſer das

ganze Haus pro donato uſucapiren. Hätte der Geber die

b. f. possessio gehabt, ſo würde für den überſchießenden

Theil des Werthes die Uſucapion nicht gelten. Nach dem

Ablauf der Uſucapion muß es nämlich ſo betrachtet wer-

den, als wäre ſogleich das wahre Eigenthum verſchenkt

worden (§ 166).

 

Jura in re können in ſehr verſchiedener Weiſe zum

Zweck einer Schenkung gebraucht werden (l).

 

gen Theile der Stelle, welche von

der mortis causa donatio han-

deln, aus der Lex Julia zu er-

klären ſind, und aller vorgeſchla-

genen Emendationen gar nicht be-

dürfen. Vergl. Glück B. 26

S. 39—46.

(l) Für dieſe und alle folgende

|0131 : 117|

§. 156. Schenkung. Einzelne Rechtsgeſchäfte. 1. Dare. (Fortſ.)

Der Eigenthümer kann ſchenken, indem er unentgeld-

lich einen Niesbrauch conſtituirt: der Fructuar, indem er

ihn unentgeldlich dem Eigenthümer zurück giebt (m). Eben

ſo kann der Fructuar die Benutzung des Niesbrauchs als

Schenkung einem Andern überlaſſen (n); jedoch gehört die-

ſes mehr zum verſchenkten Eigenthum, nämlich an den

künftig entſtehenden Früchten (§ 146. f), da in der Sub-

ſtanz des jus in re ſelbſt gar keine Veränderung eintritt.

 

Eben ſo kann der Uſus ſchenkungsweiſe conſtituirt (o),

oder auch dem Eigenthümer zurückgegeben werden. Den

Genuß deſſelben einem Andern zu überlaſſen, iſt überhaupt

unzuläſſig, alſo auch zum Zweck der Schenkung (p). Auf

gleiche Weiſe verhält es ſich mit den Prädialſervituten (q).

 

Arten der Schenkung gilt die Re-

gel der L. 9 pr. de don. (39. 5.).

„Potest enim et citra corporis

donationem valere donatio.”

Dieſe Stelle allein würde ſchon

zeigen, daß L. 9 § 3 eod. (Notec)

nicht in der buchſtäblichen Allge-

meinheit verſtanden werden dürfe,

wie es ihren Worten nach aller-

dings denkbar wäre.

(m) L. 66. 78 de j. dot. (23.

3.), L. 57 sol. matr. (24. 3.).

Dieſe Stellen ſprechen allerdings

nicht von der Schenkung, ſondern

von der Dos, die vermittelſt ei-

nes Uſusfructus beſtellt werden

kann. Beide Rechtsinſtitute un-

terſcheiden ſich jedoch nur durch

den Zweck des Gebens, und ſo

können jene Stellen auch für die

Schenkung benutzt werden, nur

daß bey dieſer die Schwierigkei-

ten nicht vorkommen können, die

bey der Dos aus der regelmäßi-

gen Rückgabe am Ende der Ehe

entſtehen, und wovon der größte

Theil der angeführten Stellen

handelt.

(n) L. 12 § 2, L. 38, L. 40

de usufr. (7. 1.).

(o) Darauf geht L. 27 de don.

(39. 5.), vgl. § 153 Note l. u. o.

(p) L. 10 pr. L. 11 L. 12 § 6

de usu (7. 8.).

(q) L. 17 comm. praed. (8. 4.).

— Man kann fragen, durch wel-

che Rechtsform Servituten aller

Art ſchenkungsweiſe conſtituirt

werden können. Dieſes fällt je-

doch zuſammen mit der allgemei-

neren Streitfrage, ob zu ihrer

Errichtung Vertrag hinreichend,

oder Tradition nöthig iſt. — Über

die Frage, ob die Zerſtörung ei-

|0132 : 118|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Noch weit unbedenklicher iſt die Verwendung der Em-

phyteuſe zum Zweck einer Schenkung. Dieſe kann geſche-

hen, indem der Eigenthümer eine ſolche errichtet, der Em-

phyteuta ſie zurückgiebt, oder derſelbe Emphyteuta ſie an

einen Dritten veräußert (r). Ganz eben ſo verhält es ſich

auch mit der Superficies (s).

 

Das Pfandrecht kann nicht zum Zweck einer Schen-

kung benutzt werden, weil dadurch das Vermögen über-

haupt nicht erweitert, ſondern nur gegen möglichen Ver-

luſt geſichert wird (§ 149).

 

§. 157.

V. Schenkung. — Einzelne Rechtsgeſchäfte. 2. Obligare.

Die zweyte Klaſſe der Schenkungsmittel (§ 155) be-

ſteht darin, daß der Beſchenkte durch eine ihm verſchaffte

Schuldforderung bereichert wird. Dieſe zerfällt aber wie-

der in zwey Arten, je nachdem eine Forderung an den

Geber, oder an einen Dritten, als Schenkung dienen ſoll.

 

Die Forderung an den Geber als Schenkung iſt Das,

was man das Schenkungsverſprechen zu nennen pflegt,

und welches viele neuere Schriftſteller als Hauptfall aller

Schenkung willkührlich aufgefaßt haben (§ 142). Der

Name Schenkungsverſprechen könnte leicht zu der Anſicht

führen, als wäre das nachfolgende Geben die eigentliche

 

ner Servitut durch Nichtgebrauch

als Schenkung gelten könne, vgl.

Beylage IX.

(r) § 3 J. de loc. (3. 24.), L. 1

C. de fundis patrim. (11. 61.).

(s) L. 1 § 7 de superfic. (43.

18.).

|0133 : 119|

§. 157. Schenkung. Einzelne Rechtsgeſchäfte. 2. Obligare.

Schenkung, welche nur durch das vorhergehende Geben

nothwendig würde. Dieſes wäre aber ganz irrig. Das

Verſprechen iſt die wahre und einzige Schenkung, wodurch

die Bereicherung ſchon vollſtändig bewirkt wird (a), das

nachfolgende Geben iſt die bloße Bezahlung einer Schuld,

folglich durchaus keine Schenkung (b).

Über die Form dieſes Vertrags iſt Folgendes zu be-

merken. Im älteren Recht wurde dazu regelmäßig die

Stipulation angewendet. Auch der Literalcontract konnte

zu demſelben Zweck angewendet werden, ſowohl in ſeiner

älteren Form, durch die von allen Römern geführten

Hausbücher (c), als in der ſpäteren Form, durch die ver-

mittlenden Bücher der Argentarien, welche übrigens im

Juſtinianiſchen Recht gleichfalls verſchwunden iſt. Durch

Conſtitutum war eine Schenkung nie möglich; denn ent-

weder war ſchon eine, wenigſtens naturale, Obligation

 

(a) L. 49 de V. S. (50. 16.).

(b) Vergl. oben § 149. — Die

Wichtigkeit dieſer Unterſcheidung

zeigt ſich in folgenden Anwendun-

gen. Wenn eine große Summe

ſchenkungsweiſe verſprochen wird,

unter Anwendung der Inſinua-

tion, ſo bedarf die Auszahlung

keiner Inſinuation. Wenn ein

Schenkungsverſprechen zwiſchen

Mann und Frau vor der Ehe

gegeben war, ſo iſt die Auszah-

lung während der Ehe eine gül-

tige Handlung.

(c) Sehr gründlich handelt da-

von Meyerfeld I. S. 168 fg. —

Nicht beweiſt dagegen L. 26 de

don. (39. 5.), welche von der blo-

ßen Eintragung in ein gewöhn-

liches Rechnungsbuch zu verſte-

hen iſt, nicht von jenem formel-

len Contract. Denn theils war

die ältere Form durch die Haus-

bücher der Privatperſonen zur

Zeit des Pomponius längſt ver-

ſchwunden, theils wäre in dieſer

Stelle höchſtens die Erwähnung

einer bloßen acceptilatio ent-

halten, anſtatt daß der alte Li-

teralcontract gerade auf der ex-

pensilatio beruhte.

|0134 : 120|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

vorhanden, dann war deren Verwandlung in eine civile

keine Schenkung (§ 149): oder es fehlte eine ſolche, dann

war auch das Conſtitutum wirkungslos (d). — Im Ju-

ſtinianiſchen Recht iſt dieſes Alles dadurch vereinfacht und

erleichtert, daß auch der formloſe Vertrag für klagbar

erklärt worden iſt (e), wodurch alſo das gewöhnliche Schen-

kungsverſprechen, ſeiner Form nach, den Conſenſualcon-

tracten gleich ſteht (f). — Das Schenkungsverſprechen an

eine Stadtgemeine (pollicitatio), oder zum Götterdienſt

(votum) führt wohl auch zuweilen den Namen donatio (g);

dennoch ſtand es nie unter den einſchränkenden Regeln wah-

rer Schenkung. Die Lex Cincia war darauf nicht an-

wendbar (h), und wenngleich es unter den ſpeciellen Aus-

nahmen von der Nothwendigkeit der Inſinuation nicht er-

wähnt wird, ſo kann doch dieſe nicht darauf bezogen wer-

(d) L. 3 § 1 de pec. const.

(13. 5.), vgl. mit L. 1 § 1. 7 eod.

— Meyerfeld I. S. 185 fg.

(e) L. 35 § 5 C. de don. (8.

54.), § 2 J. de don. (2. 7.), Nov.

161 C. 1. Seltſamerweiſe be-

ſchränkt dieſes Donellus XIII. 22

§ 7. 8 auf Verträge de prae-

senti, d. h. worin Einer ſagt:

dono tibi hanc rem, ſo daß ein

auf die Zukunft gerichtetes Ver-

ſprechen nicht klagbar ſeyn ſoll;

jene donatio in praesens con-

cepta ſoll eine fingirte Tradition

in ſich ſchließen. Alles ganz will-

kührlich.

(f) Ich ſage: das gewöhnliche

Schenkungsverſprechen, im Ge-

genſatz desjenigen, welches 500

Dukaten überſteigt. Denn für

dieſes Übermaas iſt die Inſinua-

tion nöthig, gerade ſo wie bey

der Schenkung durch Tradition,

alſo gar nicht etwa um die man-

gelhafte Form des Vertrags zu

ergänzen.

(g) L. 9 L. 13 § 1 de pollic.

(50. 12.).

(h) L. 19 pr. de don. (39. 5.),

L. 3 § 1 de pollic. (50. 12.), beide

Stellen mit ſichtbarem Gegenſatz

gegen die der L. Cincia unter-

worfenen Fälle eigentlicher Schen-

kung. — Eben ſo bey dem votum.

L. 2 de pollic. (50. 12.).

|0135 : 121|

§. 157. Schenkung. Einzelne Rechtsgeſchäfte 2. Obligare.

den, eben weil die pollicitatio als ein von der donatio

ganz verſchiedenes Rechtsinſtitut behandelt, und meiſt auch

wörtlich bezeichnet wird (i).

Das Schenkungsverſprechen hat, in Vergleichung mit

anderen obligatoriſchen Verträgen, folgende Eigenheiten.

Der Schuldner zahlt keine Verzugszinſen (k). Er hat,

wenn er verarmt, das ſogenannte beneficium competen-

tiae, und zwar mit der beſondern Begünſtigung, daß er

ſeine übrigen Schulden vorweg abziehen kann, um, dem

Kläger gegenüber, ſein Unvermögen zu begründen (l). Er

haftet, wenn die Sache untergeht oder verdorben wird,

nur für den Dolus und grobe Nachläſſigkeit (m); desglei-

chen wegen der Eviction und der ädiliziſchen Klagen nur

im Fall des Dolus (n).

 

(i) Daß es nicht nach den Re-

geln der donatio behandelt wer-

den ſollte, erhellt auch aus dem

hier ganz eigenthümlichen, excep-

tionellen Schutz der Erben gegen

die übertriebene Größe des Ver-

ſprechens. L. 6 pr. L. 9 L. 14

de pollic. (50. 12.). Ferner dar-

aus, daß hier Verzugszinſen ge-

fordert werden können (L. 1 pr.

eod.), die bey der Schenkung

nicht gelten.

(k) L. 22 de don. (39. 5.).

(l) L. 12 L. 33 pr. de don.

(39. 5.), L. 19 § 1 L. 30 L. 41

§ 2 de re jud. (42. 1.), L. 33 de

j. dot. (23. 3.).

(m) Nach dem allgemeinen

Princip in L. 5 § 2 commod.

(13. 6.), L. 108 § 12 de leg. 1

(30. un.). Daß in dieſen Stel-

len die Regel blos auf Contracte,

ja nur auf b. f. Contracte ge-

ſtellt wird, hindert dieſe Anwen-

dung nicht, denn auch in L. 108

cit. wird die Regel analogiſch auf

die Legate angewendet; noch nä-

her liegt aber die Anwendung auf

das Schenkungsverſprechen.

(n) L. 18 § 3 de don. (39. 5.),

L. 62 de aedil. ed. (21. 1.). Auch

im Fall des Dolus können hier

die Klagen nicht, wie bey Kauf-

contracten, auf Verminderung

oder auf Rückgabe des Kaufgel-

des u. ſ. w. gehen, da kein Kaufgeld

vorhanden iſt, ſondern nur auf

Erſatz Desjenigen, was etwa der

Beſchenkte aus eigenem Vermö-

gen auf die Sache verwendet hat,

|0136 : 122|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Auch auf indirecte Weiſe kann eine Schuld übernom-

men werden zum Zweck der Schenkung. So wenn Der-

jenige, welcher durch eine Exception gegen des Andern

Klage geſchützt war, dieſe Exception wiſſentlich auf-

giebt (o); eben ſo wenn er auf irgend eine andere Weiſe

abſichtlich bewirkt, daß er verurtheilt werde, oder die un-

gegründete Schuld in jure eingeſteht (p).

 

Die zweyte Art der durch Obligation bewirkten Schen-

kung beſteht darin, daß dem Beſchenkten eine Schuldfor-

derung an einen Dritten verſchafft wird.

 

Dieſe Schuldforderung kann eine ſolche ſeyn, welche

erſt jetzt erzeugt, und in demſelben Augenblick zur Schen-

kung verwendet wird. So wenn Jemand ſein eigenes

Geld als Darlehen giebt, aber im Namen Desjenigen,

den er mit dieſer Forderung beſchenken will, und zwar ſo

daß Dieſer entweder ſich die Rückzahlung durch eigenen

Vertrag von dem Schuldner verſprechen läßt, oder daß

er darüber mit dem Geber einverſtanden war, in welchem

Fall es eben ſo gut iſt, als wäre das Geld (durch con-

stitutum) in ſein Eigenthum gekommen (q). Eben ſo durch

 

und wodurch er alſo jetzt ärmer

werden würde, als er vor der

Schenkung war.

(o) L. 12 de novat. (46. 2.).

„.. similis videbitur ei qui do-

nat, quoniam remittere excep-

tionem videtur.”

(p) L. 1 § 7 si quid in fraud.

(38. 5.). „Si quidem condem-

natus est data opera, vel in

jure confessus, dicendum erit

Favianam locum habere.” Daſ-

ſelbe, was hier als Grund der

Faviana anerkannt wird, muß

auch als Schenkung gelten, wenn

es in anderen Fällen zur Berei-

cherung des Gegners geſchieht.

(q) L. 34 pr. de don. (39. 5.).

|0137 : 123|

§. 157. Schenkung. Einzelne Rechtsgeſchäfte. 2. Obligare.

ein Depoſitum, welches nicht dem Überbringer, ſondern

einem Andern (dem Beſchenkten), zurück gegeben werden

ſoll, gleichfalls unter der Vorausſetzung, daß dieſer ſelbſt

an dem Vertrag Theil nehme (r). Ganz beſonders auch

„Si pater emancipati filii no-

mine donationis animo pecu-

niam foeneravit, eamque filius

stipulatus (est) ipso jure per-

fectam donationem, ambigi non

potest.” Dieſe Stelle redet von

einem Vertrag des Beſchenkten

mit dem Schuldner. Für die Über-

einkunft zwiſchen dem Geber und

dem Beſchenkten (mit constitu-

tum possessorium) wird daſſelbe

anerkannt in L. 2 § 4 L. 9 § 8

de reb. cred. (12. 1.). (In der

letzten Stelle geht das absente

te et ignorante auf den Augen-

blick der Vollziehung, die vorher-

gehende voluntas wird voraus-

geſetzt, wie die nachfolgenden

Worte des beſtätigenden Julian

zeigen). — Fehlt nun aber bei-

derley Theilnahme des Schuld-

ners, ſo iſt noch nicht perfecta

donatio, und es gilt nur als ein

Auftrag an den Schuldner, künf-

tig dem Empfänger zu tradiren,

durch welche Tradition die Schen-

kung dann erſt perfect wird. L. 19

§ 3 de don. (39. 5.) (vgl. § 160.

o). — Einen Widerſpruch gegen

dieſe Behauptungen könnte man

finden wollen in L. 35 § 2 de

don. (39. 5.). Hier heißt es, eine

Großmutter habe für ihren En-

kel Labeo ihr Geld als Darlehen

gegeben. „Respondit, cum de-

bitor Labeoni obligatus est

(oder esset), perfectam dona-

tionem esse.” Das will ſagen:

die Schenkung iſt nur dann per-

fect, wenn Labeo eine Forde-

rung gegen den Schuldner (auf

einem der oben angegebenen We-

ge) erworben hat. Die Worte:

cum debitor etc. haben alſo eine

einſchränkende Bedeutung, und

gereichen ſo zur Beſtätigung der

aufgeſtellten Sätze.

(r) In L. 31 § 3 de don. (39.

5.) heißt es von dem bloßen, auf

den Namen eines Andern gege-

benen, Depoſitum: „non videri

celebratam donationem respon-

di.” Anders iſt es, wenn das,

mit übertragenem Eigenthum ver-

bundene, Depoſitum in Gegen-

wart des Beſchenkten geſchloſſen

wird; denn nun iſt der Fall ganz

ähnlich dem des Darlehens mit

constitutum possessorium (No-

te q). L. 31 § 1 eod. — Kein

Widerſpruch liegt in L. 6 C. de

don. int. vir. (5. 16.) „etsi do-

nasse te uxori res tuas ex hoc

quis intelligat;” denn hier wird

das Daſeyn wahrer Schenkung

dahin geſtellt, und nur wegen

des durchgreifenden Verbots der

Schenkung in der Ehe für gleich-

gültig erklärt.

|0138 : 124|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

durch die Dos, welche ein Fremder dem Ehemann giebt

oder verſpricht; denn darin liegt ſtets eine Schenkung des

Gebers an die Frau, welche dadurch in der Regel die

dotis actio gegen den Mann, für den Fall der Auflöſung

der Ehe, erwirbt. Hier iſt nicht einmal eine Theilnahme

der Frau an dem Vertrag nöthig, indem ſie ſelbſt ohne

ihr Wiſſen die dotis actio erwirbt (s). — Bey dieſen Fäl-

len könnte wieder der Zweifel entſtehen, ob nicht blos ein

möglicher Erwerb ausgeſchlagen werde, welches keine

wahre Schenkung iſt (§ 145). Allein der Geber thut hier

in der That Alles, was zum eignen Erwerb einer Forde-

rung nöthig iſt; indem er nun dieſe Forderung unmittel-

bar auf den Beſchenkten hinüber leitet, liegt darin nur

eine natürliche Abkürzung des Geſchäfts. Es iſt völlig

eben ſo, als hätte er die Forderung erſt für ſich erwor-

ben, und dann an den Anderen cedirt (§ 148. a). — Die-

ſelbe Art der Schenkung iſt auch darin enthalten, wenn

der Geber donationis causa einem Dritten Auftrag giebt,

dem Empfänger Etwas zu verſprechen; nun hat der Dritte

(s) L. 9 § 1 L. 33 in f. L. 43

§ 1 de j. dot. (23. 3.), L. 5 § 5

de doli exc. (44. 4.), L. un. § 13

C. de rei ux. act. (5. 13.). Daß

hier manche Modificationen in An-

ſehung der Inſinuation, aus be-

ſonderer Begünſtigung der Dos,

eintreten, kann die allgemeine

Schenkungsnatur dieſes Falles

nicht zweifelhaft machen, ja es

dient noch zu ihrer Beſtätigung.

— Eben ſo iſt es aber auch im

umgekehrten Fall eine Schenkung,

wenn die Frau ſelbſt die Dos

giebt, und einem Dritten, den ſie

beſchenken will, die Rückforderung

zu ſtipuliren erlaubt. L. 11 de

dote praeleg. (33. 4.).

|0139 : 125|

§. 157. Schenkung. Einzelne Rechtsgeſchäfte. 2. Obligare.

gegen den Geber eine mandati actio contraria auf Ent-

ſchädigung (s¹).

Es kann aber auch die Schuldforderung ſchon früher

beſtanden haben, und nun, zum Zweck der Schenkung,

übertragen werden. — Eine ſolche Übertragung kann ge-

ſchehen durch Ceſſion, die dann ganz die Natur einer

Schenkung annimmt (t). — Noch wirkſamer geſchieht ſie

durch eine Delegation, indem der Glaubiger, welcher ei-

nen Dritten beſchenken will, ſeinen Schuldner auffordert,

dieſem Dritten zu expromittiren (u). Darin liegt eine

wahre Schenkung des urſprünglichen Glaubigers an den

Dritten (v).

 

(s¹) L. 52 § 1 de don. int vir.

(24. 1.). „Uxor viro fructum

fundi ab herede suo dari, quod

si datus non fuisset certam pe-

cnniam mortis causa promitti

curavit: defuncto viro viva mu-

liere stipulatio solvitur.” Hier

hatte die Frau das Mandat ih-

rem (präſumtiven) Erben gege-

ben; wurde nun dieſer ſpäterhin

wirklich Erbe, ſo gieng die man-

dati actio durch confusio unter:

wurde er es nicht (z. B. indem

er ausſchlug), ſo konnte er jene

Klage gegen den Erben anſtellen,

wenn die Schenkung durch den

früheren Tod der Frau confir-

mirt wurde.

(t) L. 2. 3 C. de don. (8. 54.).

Nach der allgemeinen Natur der

Ceſſion konnte die geſchenkte For-

derung nur dann auf die Erben

des Beſchenkten übergehen, wenn

die Litisconteſtation vorüber war;

davon wurde zum Vortheil des

Beſchenkten eine beſondere Aus-

nahme zugelaſſen in L. 33 C. de

don. (8. 54.). Seitdem L. 35

C. eod. das Schenkungsverſpre-

chen allgemein klagbar gemacht

hat, iſt dieſe Ausnahme entbehr-

lich; denn die nothwendige Ceſ-

ſion führt auch ohne Litisconte-

ſtation eine utilis actio mit ſich,

welche ſtets vererblich iſt.

(u) L. 2 § 1 de don. (39. 5.),

L. 11 C. eod. (8. 54.). — Auf

Delegation und Ceſſion zugleich

geht Fragm. Vatic. § 263 „.. nec

interpositis delegationibus, aut

inchoatis litibus, actiones no-

vavit ..”

(v) L. 21 § 1 de don. (39. 5.).

Vgl. Beylage X. Num. VII.

|0140 : 126|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Ein complicirterer Fall iſt der, wenn A dem B, und

eben ſo B dem C 1000 ſchenken will, nun aber B den A

auffordert, dieſe 1000 dem C zu promittiren; hier iſt eine

Schenkung zwiſchen A und B, desgleichen zwiſchen B und

C, aber nicht zwiſchen A und C, das heißt gerade zwi-

ſchen den einzigen Perſonen, zwiſchen welchen jetzt über-

haupt ein Schuldverhältniß beſteht (w).

 

Wer Bürgſchaft leiſtet, ſchenkt dadurch niemals dem

Glaubiger, da deſſen Vermögen durch keinen neuen Be-

ſtandtheil erweitert, ſondern nur in einem ſchon vorhan-

denen Theil geſichert wird (§ 149. d).

 

§. 158.

V. Schenkung. — Einzelne Rechtsgeſchäfte. 3. Liberare.

Jede Befreyung von einer Schuld iſt wahre Bereiche-

rung des Schuldners (a). Sind nun auch die übrigen Er-

forderniſſe einer Schenkung dabey vorhanden, ſo liegt darin

eine wahre Schenkung. Der Betrag derſelben iſt ſtets

gleich dem Betrag der aufgehobenen Schuld, ſelbſt wenn

der Schuldner inſolvent geweſen ſeyn ſollte (b). Denn

obgleich hier die Befreyung von einer einzelnen Schuld,

 

(w) L. 2 § 2 L. 33 § 3 de

don. (39 5.), L. 41 pr. de re

jud. (42. 1.). Wenn daher C ge-

gen A aus dem Verſprechen klagt,

ſo kann ſich A auf das benefi-

cium competentiae nicht berufen.

(a) L. 115 pr. de R. J. (50

17.), L. 20 quod. metus (4. 2.),

L. 11 pr. de acceptil. (46 4).

(b) L. 31 § 1. 4 de mortis

causa don. (39. 6.), L. 22 § 3

L. 82 ad L. Falcid. (35. 2.):

„ipse sibi solvendo videtur, et,

quod ad se attinet, dives est.”

|0141 : 127|

§. 158. Schenkung. Einzelne Rechtsgeſchäfte. 3. Liberare.

die ohnehin nicht gezahlt werden konnte, factiſch als gleich-

gültig erſcheint, ſo iſt dennoch die Erweiterung des Ver-

mögens unzweifelhaft. Denn das Vermögen gilt ſtets als

eine unbeſtimmte Größe, wobey nicht blos die Summe

als unbeſtimmt gedacht werden muß, ſondern ſelbſt der

poſitive oder negative Totalwerth. Sollte alſo das Ver-

mögen auch eine negative Größe ſeyn, ſo liegt doch, ju-

riſtiſch betrachtet, in jeder Verminderung des Minus eine

ganz gleichartige Veränderung, wie wenn bey einem Ver-

mögen von poſitivem Werth das Plus erhöht wird.

Die Forderung nun, wovon der Beſchenkte befreyt

werden ſoll, kann entweder dem Geber ſelbſt zuſtehen, oder

einem Dritten.

 

Die Schenkung durch Erlaß einer eigenen Forderung

geſchieht am einfachſten und häufigſten durch Vertrag.

Dieſer Erlaßvertrag konnte bey den Römern ſowohl eine

Acceptilation, als ein bloßes Pactum ſeyn. Die Accepti-

lation wirkte, wie überall, ſo auch im Fall der Schen-

kung, am vollſtändigſten (c); doch konnte auch ſie nur

dann als Schenkung gelten, wenn die Forderung rechts-

gültig war; ſtand dieſer ohnehin eine wirkſame Exception

entgegen, ſo daß die Acceptilation nur angewendet wurde,

um jeden Schein einer Schuld zu tilgen, ſo lag darin

keine Schenkung, weil der Schuldner nicht reicher da-

durch wurde (d).

 

(c) L. 17 de don. (39. 5.),

L. 2 C. de acceptil. (8. 44.).

(d) Vgl. § 149. — Der hier an-

genommene Fall iſt vollſtändig an-

|0142 : 128|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Auch das bloße Pactum konnte ſchon bey den Römern

als wahre Schenkung gelten, da es von der Schuld wirk-

ſam befreyte (e). In der Regel geſchah dieſes zwar nur

per exceptionem, welches jedoch auch ſchon hinreichend

war: in einigen ausgenommenen Fällen wirkte es ſogar

ipso jure (f), welches im heutigen Recht allgemein ange-

nommen werden muß. — Ein ſolcher Erlaßvertrag kann

auch ſtillſchweigend, das heißt durch Handlungen die den

Willen beſtimmt offenbaren, geſchloſſen werden (g). — Da-

gegen iſt ein einſeitiger Verzicht, bey der Schenkung wie

zu anderen Zwecken, ganz unwirkſam; aber durch die An-

nahme von Seiten des Schuldners nimmt er die Natur

 

gegeben in L. 3 de cond. sine

causa (12. 7.), L. 2 § 3 de doli

exc. (44. 4.).

(e) L. 1 de transact. (2. 15.).

„Qui transigit, quasi de re du-

bia et lite incerta neque finita

transigit: qui vero paciscitur

donationis causa, rem certam

et indubitatam liberalitate re-

mittit.” Die Worte donationis

causa gehören, als einſchränkende

Beſtimmung, zu paciscitur; pac-

tum alſo iſt das genus, Arten

deſſelben ſind die transactio und

der Erlaß als Schenkung. (Vgl.

L. 2 eod., Bartolus in L. 1 cit.

und nach ihm viele Andere. Den-

noch iſt ſelbſt in den neueſten

Ausgaben das Komma irrig hin-

ter paciscitur geſetzt). Der an-

gegebene Unterſchied beider Ge-

ſchäfte liegt im Weſen der Sache;

wenn auch die Parteyen den Aus-

druck donatio irrig anwenden, ſo

ändert das in der Sache Nichts.

(Vgl. L. 15 § 4 locati 19. 2.).

— L. 1 § 1 quib. mod. pign. (20.

6.), L. 28 § 2 de pactis (2. 14.),

L. 52 § 26 de furtis (47. 2.),

L. 15 pr. ad L. Falc. (35. 2.).

(f) L. 17 § 1 L. 27 § 2 de

pactis (2. 14.), L. 17 § 6 de in-

jur. (47. 10.).

(g) So z. B. nicht ſelten durch

Rückgabe des Schuldſcheins. L. 2

§ 1 de pactis (2. 14.). (Vergl.

§ 131). Andere Fälle, worin ein

ſolcher Vertrag durch Interpre-

tation angenommen wird, finden

ſich in L. 17 § 1 de usur. (22.

1.), L. 26 de prob. (22. 3.). Mit

Unrecht hat man aus dieſen blos

caſuiſtiſchen Stellen Rechtsregeln

ableiten, oder andere Rechtsre-

geln widerlegen wollen.

|0143 : 129|

§. 158. Schenkung. Einzelne Rechtsgeſchäfte. 3. Liberare.

eines Vertrags an, und wirkt nun auf die ſo eben dar-

geſtellte Weiſe. So lange dieſe Annahme fehlt, kann der

Verzicht ſtets zurückgenommen werden, und ein ſolcher

Widerruf liegt von ſelbſt in der angeſtellten Klage, ſo

wie in der außergerichtlichen Einforderung (h). — Eine

zweydeutige Natur hat die Erklärung eines Glaubigers,

daß der Andere ihm Nichts mehr ſchuldig ſey, daß er

Alles gezahlt habe; es hängt von den Umſtänden ab, ob

dieſelbe als Ausdruck eines Erlaßvertrags, oder blos als

Quittung zu betrachten iſt, in welchem letzten Fall ſie gar

keine Wirkung hat, wenn ſie erweislich auf Irrthum be-

ruht (i). — Der Erlaß, welchen ein Glaubiger dem Bür-

gen gewährt, iſt keine wahre Schenkung. Denn da die

Übernahme der Bürgſchaft nicht als Bereicherung des

Glaubigers betrachtet wird (§ 149. d), ſo iſt auch jener

Erlaß keine Verminderung ſeines Vermögens, folglich auch

keine Schenkung.

Die Befreyung des Schuldners von der eigenen For-

derung des Gebers kann auch indirecterweiſe, ohne Ver-

trag, bewirkt werden. So wenn der Glaubiger die

 

(h) Sehr erſchöpfend hat dieſe

Frage behandelt Meyerfeld I.

S. 208. Viele Praktiker haben die

entgegengeſetzte Meynung. Vgl.

Kind quaest. for. T. 4 C. 59. —

Einen Widerſpruch könnte man

finden wollen in L. 18 § 2 de

m. c. don. (39. 6.) und L. 28

eod.; vergl. über dieſe Stellen

§ 170. cc.

(i) L. 40 pr. de pactis (2. 14.),

L. 6 L. 13 C. de solut. (8. 43.).

Selbſt wenn ſich eine Acceptila-

tion auf Irrthum gründete, galt

dagegen die condictio indebiti;

die bloße Quittung bedarf dieſer

nicht einmal, da ſie kein Rechts-

geſchäft, ſondern nur ein Beweis-

mittel iſt.

IV. 9

|0144 : 130|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Schuld einklagt, aber den Prozeß abſichtlich dergeſtalt

führt, daß er abgewieſen werden muß (k). Eben ſo wenn

er es gar nicht zu einem eigentlichen Verfahren kommen

läßt, indem er vor Gericht eingeſteht, daß ihm der An-

dere Nichts ſchuldig ſey (l).

In den bisher dargeſtellten Fällen war die Schuld,

worauf ſich die Befreyung bezog, ſchon vor der Schen-

kung wirklich vorhanden geweſen. Die Schenkung kann

aber auch ſo geſchehen, daß die Forderung in ihrer Ent-

ſtehung zerſtört wird, ſo daß ſie überhaupt gar nicht zu

Stande kommt. Wenn Einer des Andern Geſchäfte ohne

Auftrag beſorgt, ſo erwirbt er dadurch in der Regel eine

actio negotiorum gestorum contraria auf Erſatz der auf-

gewendeten Koſten. Dieſes ſetzt aber die Abſicht voraus,

den Andern auf ſolche Weiſe zu verpflichten. Hat dage-

gen der Geſchäftsführer die Abſicht, den Andern durch

dieſen Aufwand zu beſchenken, ſo entſteht jene Obligation

nicht; die Handlung iſt dann eine Schenkung, bewirkt

durch die Befreyung des Andern von einer Schuld, die

 

(k) L. 5 § 7 de don. int. vir

(24. 1.), L. 3 § 1 quae in fraud.

(42. 8.), L. 1 § 7 si quid in

fraud. (38. 5.). — Geſchieht Die-

ſes zwiſchen Ehegatten, ſo iſt das

Urtheil darum nicht minder gül-

tig, aber es gilt eine Condiction

auf den Geldwerth. L. 5 § 7 cit.

(l) L. 29 § 1 de don. (39. 5.).

— Nicht auf dieſe Arten der

Schenkung zu beziehen ſind einige

Stellen, worin donare ſehr un-

eigentlich gebraucht wird für die

von dem Prätor oder einem Ad-

vokaten bewirkte Befreyung, alſo

von ſolchen Perſonen, die ſelbſt

gar Nichts dafür aufopfern. L. 8

§ 17 de transact. (2. 15.), L. 212

de V. S. (50. 16.). — Von der

Befreyung durch zugelaſſene Klag-

verjährung vgl. Beylage IX.

|0145 : 131|

§. 158. Schenkung. Einzelne Rechtsgeſchäfte. 3. Liberare.

nie vorhanden war, die aber ohne jene wohlwollende Ab-

ſicht entſtanden ſeyn würde. Ein Fall dieſer Art iſt es,

wenn Einer des Andern Landgut unentgeldlich beſtellt, alſo

in der Abſicht, ihm mit dem Aufwand an Arbeitslohn

und Saatfrucht ein Geſchenk zu machen; eben ſo wenn er

auf des Andern Boden ein Haus baut, in der Abſicht den

Eigenthümer durch die Materialien und den Arbeitslohn

zu bereichern (m).

Es kann endlich die Forderung, durch deren Tilgung

geſchenkt werden ſoll, auch einem Andern als dem Geber

zugeſtanden haben.

 

Wenn Einer die Schuld eines Andern bezahlt, ſo wird

dadurch der Schuldner frey, ſelbſt wenn es ohne Auftrag,

ja ohne des Schuldners Wiſſen, oder gegen deſſen Wil-

len geſchieht (n). Kommt nun hinzu die Abſicht, den

Schuldner zu bereichern, ſo liegt darin eine wahre Schen-

kung (o). — Eben ſo, wenn die Tilgung der fremden

Schuld nicht durch Zahlung, ſondern durch Expromiſſion

bewirkt wird, welches gleichfalls ohne Rückſicht auf des

Schuldners Bewußtſeyn und Willen geſchieht (p). Auch

hierin liegt eine Schenkung, und zwar ſteht der Expro-

mittent in einem Schenkungsverhältniß nur zu dem Schuld-

 

(m) L. 14 de don. (39. 5.),

L. 2 in f. C. de rei vind. (3. 32.).

(n) L. 23 de solut. (46. 3.).

(o) L. 7 § 7 L. 50 pr. de don.

int. vir. (24. 1.), L. 12 C. de neg.

gestis (2. 19.). — Selbſt wenn

die Schuld eine bloße naturalis

obligatio iſt. L. 9 § 1 de Sc.

Maced. (14. 6.).

(p) L. 91 de solut. (46. 3.),

L. 8 in f. de novat. (46. 2.),

L. 13 § 10 de acceptil. (46. 4.).

9*

|0146 : 132|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ner, nicht zu dem Glaubiger (q). Die Expromiſſion kann

unter andern ſo geſchehen, daß der Geber ſeinen Schuld-

ner A dem B, welcher Glaubiger des Empfängers iſt,

expromittiren läßt. Hier werden beide alte Schuldver-

hältniſſe aufgelöſt, zwiſchen A und B beſteht keine Schen-

kung, und die Bereicherung des Empfängers wird, ſo wie

in dem vorigen Fall, durch eine Liberation bewirkt. —

Auch durch die freywillig, und auf eigene Rechnung über-

nommene Prozeßführung für den Schuldner kann dieſe Art

der Schenkung bewirkt werden (r). — Endlich führt zu

demſelben Zweck die übernommene Bürgſchaft. Eine Schen-

kung an den Glaubiger liegt darin niemals, weil derſelbe

ſein Vermögen nicht erweitert, ſondern nur größere Si-

cherheit erhält; eine Schenkung an den Schuldner kann

darin liegen, wenn die Bürgſchaft geleiſtet wird mit der

Abſicht, niemals gegen den Schuldner einen Regreß neh-

men zu wollen (s). Jedoch liegt hierin blos eine eventu-

elle Schenkung, nämlich nur für den Fall daß der Bürge

in die Lage kommt, die Schuld zu zahlen; wodurch ſich

(q) L. 21 pr. de don. (39. 5.),

L. 5 § 5 de doli except. (44. 4.),

L. 33 de nov. (46. 2.). (Vergl.

Beylage X. Num. VI. VII.). Daſ-

ſelbe muß allerdings auch bey dem

vorhergehenden Fall (der Zahlung)

behauptet werden, nur liegt bey

der Expromiſſion die Verwechs-

lung näher, weil hier ein fort-

dauerndes Rechtsverhältniß zwi-

ſchen dem Expromittenten und

dem Glaubiger entſteht.

(r) L. 23 de solut. (46. 3.).

„.. vel judicium pro nobis ac-

cipiendo,” welches hier mit der

baaren Zahlung auf gleiche Linie

als Befreyungsmittel geſtellt wird.

(s) L. 6 § 2 mand. (17. 1.),

L. 4 de neg. gestis (3. 5.), L. 32

de pactis (2. 14.), L. 1 § 19 si

quid in fraud. (38. 5.), L. 9 § 3

de Sc. Maced. (14. 6.). — Vgl.

§ 149. d.

|0147 : 133|

§. 158. Schenkung. Einzelne Rechtsgeſchäfte. 3. Liberare.

alſo dieſer Fall von den vorhergehenden unterſcheidet, in

welchen ſtets eine unbedingte Schenkung enthalten iſt.

Die hier zuſammen geſtellten Fälle der Tilgung einer

fremden Forderung laſſen ſich jedoch insgeſammt auch ſo

auffaſſen, daß darin zugleich die Befreyung von einer ei-

genen Forderung des Gebers ſelbſt enthalten iſt. Wenn

nämlich Einer für den Andern zahlt, expromittirt, Bürg-

ſchaft leiſtet, ſo kann dieſes hervorgehen aus einem Man-

dat, einer negotiorum gestio, oder aus der Abſicht zu

ſchenken (t). In den beiden erſten Fällen iſt überhaupt

keine Schenkung enthalten, da Derjenige, welcher ſo den

Schuldner befreyt, ſtets eine Regreßklage gegen dieſen hat.

Demnach enthalten alle jene Fälle nur inſofern eine Schen-

kung, als der Befreyende die beſondere Abſicht hat, die

Regreßklage dem Schuldner zu erlaſſen, die er ſelbſt au-

ßerdem gegen ihn haben würde. Es liegt alſo hier immer

auch der Erlaß einer eigenen Forderung zum Grunde.

 

Allein eben dieſe Betrachtung führt wieder ein Beden-

ken herbey. Es gewinnt dadurch den Schein, als ob der

Befreyende nicht ein ſchon erworbenes Recht aufopferte,

ſondern nur den Erwerb eines neuen Rechts von ſich ab-

wieſe, welches man als dem Begriff wahrer Schenkung

widerſprechend anſehen koͤnnte. Dieſem Einwurf iſt jedoch

auf dieſelbe Weiſe zu begegnen, wie es oben bey den obli-

gatoriſchen Schenkungen bereits geſchehen iſt (§ 157).

 

(t) L. 6 § 2 mand. (17. 1.), L, 4 de neg. gestis (3. 5.).

|0148 : 134|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Bey allen dieſen verſchiedenen Schenkungsmitteln ka-

men Fälle vor, worin das mit einem Dritten eingegan-

gene Rechtsgeſchäft zum Zweck der Schenkung verwendet

wurde. So, wenn der Geber eine fremde Sache, mit

des Eigenthümers Willen, und durch Auftrag an dieſen,

verſchenkt (§ 156. b); wenn der Empfänger eine Schuld-

forderung an einen Dritten bekommt (§ 157); wenn der

Empfänger von der Schuld an einen Dritten durch Zah-

lung oder Expromiſſion des Gebers befreyt wird (§ 158).

Die Zuläſſigkeit ſolcher Schenkungen durch Zwiſchenper-

ſonen iſt im Allgemeinen anerkannt (u). Ganz gewiß ſteht

dieſe Zwiſchenperſon durchaus nicht in einem Schenkungs-

verhältniß, weder als Geber noch als Empfänger, ſon-

dern ſie vermittelt nur die zwiſchen anderen Perſonen vor-

gehende Schenkung. Es fragt ſich aber, ob die aus po-

ſitiven Rechtsregeln hervorgehende Ungültigkeit oder Ent-

kräftung der Schenkung auch auf das Rechtsgeſchäft mit

jener Zwiſchenperſon zurück wirkt. Dieſe Frage wird in

der Beylage X. behandelt.

 

§. 159.

V. Schenkung. — Einzelne Rechtsgeſchäfte. 4. Ganzes

Vermögen.

Bisher iſt die Schenkung dargeſtellt worden in Anwen-

dung auf einzelne im Vermögen enthaltene Rechte; ſie

 

(u) L. 4 de don. (39. 5.).

„Etiam per interpositam per-

sonam donatio consummari po-

test.”

|0149 : 135|

§. 159. Schenkung. Einzelne Geſchäfte. 4. Ganzes Vermögen.

kann ſich aber auch beziehen auf das Vermögen im Gan-

zen, das heißt auf alle im Vermögen gegenwärtig enthal-

tene Rechte, und dieſe umfaſſendſte Anwendung bedarf

noch einer näheren Betrachtung (a). — Das Eigenthümliche

dieſes Falles kann unter verſchiedenen Geſtalten vorkom-

men. Am Einfachſten als unbeſchränkte Schenkung des

Ganzen; aber auch an einer Quote des Vermögens; oder

mit Vorbehalt einzelner Vermögensſtücke, welche nicht mit

geſchenkt ſeyn ſollen (b); mit Vorbehalt des Niesbrauchs;

mit der Verpflichtung des Empfängers, dem Geber Ali-

mente zu entrichten, welches ein Modus der Schenkung iſt.

Im älteren Recht entſtand dabey die Schwierigkeit,

daß die Formen, wodurch vorzugsweiſe die Schenkung

vollgültig wurde (Mancipation und Tradition), nur auf

einzelne Sachen, nicht auf das Vermögen als ein ideales

Object, anwendbar waren. Darum wird in mehreren

Stellen geſagt, man müſſe die einzelnen Sachen übertra-

gen, die auf das Ganze gerichtete Schenkung ſey unwirk-

ſam (c); insbeſondere gelte dieſe Unwirkſamkeit auch von

einem, als bloße Schenkung gemeynten, Scheinkauf (d).

Dieſe formelle Schwierigkeit fällt weg im Juſtinianiſchen

 

(a) Ausführlich handelt von

dieſem Fall Meyerfeld II. § 21.

(b) Dieſer Fall kommt vor in

L. 37 § 3 de leg. 3 (32. un.).

(c) Hauptſtellen: Fragm. Va-

tic. § 263, Cod. Hermog. VII. 1

ed. Hänel (vormals VI. 1, ſteht

interpolirt in L. 11 C. de don.

8. 54., vgl. Meyerfeld S. 9).

— Beyſpiele einer Vollziehung

durch einzelne Traditionen (ur-

ſprünglich auch Mancipationen

oder Ceſſionen) in L. 42 pr. de

m. c. don. (39. 6.), L. 37 § 3 de

leg. 3 (32. un.).

(d) Cod. Hermog. VII. 2 (vor-

mals VI. 2). Vgl. oben § 154. c.

|0150 : 136|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Recht, worin ausdrücklich geſagt wird, daß eine ſolche

Schenkung ſchon durch formloſen Vertrag vollgültig werde,

indem dadurch die Verpflichtung des Gebers zur Erfül-

lung begründet ſey (e). Außerdem erklärt Juſtinian im

Allgemeinen für wirkſam die durch den vorbehaltnen Nies-

brauch bewirkte Tradition (§ 155. g). Soll jedoch dieſe

letzte Form auf die Schenkung des ganzen Vermögens ange-

wendet werden, ſo iſt dieſes nur durch Bezeichnung ein-

zelner Sachen ausführbar, weil nur an dieſen (nicht an

dem Vermögen als einem idealen Ganzen) ein Beſitz mög-

lich iſt, und weil derſelbe nur durch die auf jede einzelne

Sache gerichtete Abſicht des Beſitzers erworben werden kann.

Aber unabhängig von dieſer formellen Schwierigkeit,

und dieſer im Römiſchen Recht eingetretenen Modification

der Rechtsſätze, iſt die eigenthümliche Natur des aus ei-

ner Schenkung des ganzen Vermögens hervorgehenden

Rechtsverhältniſſes. Dafür gilt die wichtige Regel, daß

eine ſolche Schenkung niemals als eine Succeſſion per

universitatem, einer Erbſchaft gleich, betrachtet werden

darf (§ 105), und dieſe Regel iſt ſtets unverändert ge-

blieben. Die erſte Folge iſt die, daß die einzelnen Eigen-

thumsrechte beſonders durch Tradition übertragen werden

müſſen, wofür jedoch ſchon oben manche Erleichterungen

angegeben worden ſind. Zweytens folgt daraus, daß die

einzelnen Schuldforderungen beſonders zu cediren ſind;

aber auch dieſes macht wenig Schwierigkeit, da der Be-

 

(e) L. 35 § 4 C. de don. (8. 54.).

|0151 : 137|

§. 159. Schenkung. Einzelne Geſchäfte. 4. Ganzes Vermögen.

ſchenkte jede Schuldklage, deren Ceſſion er ohnehin er-

zwingen könnte, nun auch ohne wirkliche Ceſſion, als uti-

lis actio, anſtellen kann (§ 157. t). Wichtiger aber iſt

die dritte Folge, daß der Beſchenkte mit den Glaubigern

des Gebers in gar keinem Rechtsverhältniß ſteht, folglich

von dieſen nicht belangt werden kann, während der Geber

Nichts mehr hat, woraus er ſie befriedigen könnte. Wenn

hierüber bey der Schenkung ſelbſt Nichts beſonders aus-

bedungen iſt, ſo gilt die ſehr natürliche Annahme, daß ſich

der Empfänger ſtillſchweigend verpflichtet habe, alle Schul-

den zu bezahlen, alſo den Geber gegen die Glaubiger zu

vertreten (f). Dieſe Annahme iſt die unmittelbare Folge

des Begriffs vom Vermögen, welches hier den Gegenſtand

der Schenkung ausmacht; denn Vermögen heißt überall

nur diejenige Summe von Rechten, welche dem Inhaber

nach Abzug der Schulden übrig bleibt (g). Wie dieſe Ver-

(f) L. 72 pr. de j. dot. (23. 3.).

Die Stelle ſpricht nicht unmittel-

bar von einer Schenkung, ſon-

dern von einer Dotation, welche

von der Frau durch ihr ganzes

Vermögen geſchieht. Davon heißt

es, der Mann gelte nicht einem

Erben gleich, könne alſo nicht von

den Glaubigern verklagt werden;

„sed non plus esse in promis-

sione bonorum, quam quod su-

perest deducto aere alieno.”

Allerdings iſt nun die von der

Frau beſtellte Dos keine Schen-

kung, allein das Verhältniß zu

den Glaubigern iſt ganz daſſelbe.

Denn eine promissio bonorum

liegt in beiden Fällen zum Grun-

de, und die Auslegung einer ſol-

chen promissio, die hier Paulus

in Anwendung auf die Dos gel-

tend macht, muß auch in Anwen-

dung auf die Schenkung gelten.

(g) L. 39 § 1 de V. S. (50.

16.), L. 69 ad L. Falc. (35. 2.),

L. 11 de j. fisci (49. 14.), L. 8

§ 4 C. de bon. quae lib. (6. 61.).

— Noch wird ausdrücklich be-

merkt, daß hierin die Ausdrücke

bona und res ganz gleiche Be-

deutung haben. L. 43 de usu

leg. (33. 2.).

|0152 : 138|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

pflichtung geltend gemacht wird, läßt ſich an einem nahe

verwandten Fall darthun. Wenn nicht das Vermögen als

Ganzes verſchenkt wird, ſondern nur ein einzelnes Ver-

mögensſtück, z. B. ein Landgut, in welchem vielleicht der

größte Theil des Vermögens beſteht, ſo gilt jene ſtill-

ſchweigende Übernahme der Schulden nicht, ſondern es be-

darf dazu eines ausdrücklichen Vertrags; iſt aber dieſer

geſchloſſen, ſo kann der Geber deſſen Erfüllung mit einer

actio praescriptis verbis erzwingen, er kann nach Umſtän-

den auch mit einer Condiction das Geſchenk zurückfor-

dern (h). Unzweifelhaft kann er dieſe Klagen auch den

Glaubigern cediren, welche ſie dann unmittelbar anſtellen

können. Beruft er ſich, dieſen gegenüber, blos auf ſeine

Armuth, als einen Grund unmöglicher Execution, ſo kann

er unter andern zur Ceſſion jener Klagen, die ja ſelbſt

ein wichtiges Vermögensſtück ſind, gezwungen werden, und

auf dieſem indirecten Wege erhalten die Glaubiger auch

gegen den Empfänger der Schenkung einen unfehlbaren

Anſpruch. Hat der Geber das Vermögen noch nicht wirk-

lich abgeliefert, und wird er auf Erfüllung der Schen-

kung verklagt, ſo kann er die erwähnten Klagen gewiß

auch vertheidigungsweiſe, durch doli exceptio, geltend

machen. Ja daß er dieſes darf, folgt ganz unmittelbar

aus ſeinem beneficium competentiae, welches er in der

Art geltend machen kann, daß die Schulden vorweg ab-

(h) L. 15. 22 C. de don. (8. 54.), L. 2 C. de cond. ob caus.

(4. 6.).

|0153 : 139|

§. 159. Schenkung. Einzelne Geſchäfte. 4. Ganzes Vermögen.

gerechnet werden (i); hierin iſt ihm das Recht dieſer Ab-

rechnung unmittelbar zuerkannt.

Allein dieſes ganze Verhältniß wurde bisher nur aus

einem ſtillſchweigenden Vertrag, alſo aus einer Auslegung

des Willens, abgeleitet. Davon kann nicht die Rede ſeyn,

wenn ausdrücklich beſtimmt iſt, der Empfänger des Ver-

mögens ſolle die Schulden nicht zu bezahlen haben. Daß

eine ſolche Unrechtlichkeit nicht zu dulden iſt, verſteht ſich.

Die Art der Abhülfe ergiebt ſich wiederum aus der Ver-

gleichung mit dem ſchon benutzten verwandten Fall. Wenn

Einer alle ſeine einzelne Sachen durch Tradition verſchenkt,

worin der ganze Werth ſeines Vermögens beſteht, und

dabey Nichts von den Schulden ſagt, ſo hat für dieſe der

Empfänger zunächſt keine Verpflichtung (Note h). Ge-

ſchah aber die Veräußerung in unredlicher Abſicht gegen

die Glaubiger, ſo haben dieſe gegen den Empfänger die

Pauliana actio, wobey nun die Theilnahme des Empfän-

gers an der Unredlichkeit gleichgültig iſt, eben weil eine

Schenkung bey der Veräußerung zum Grund liegt (§ 145. d).

Die unredliche Abſicht aber des Gebers verſteht ſich bey

jener Schenkung von ſelbſt, und bedarf keines beſonderen

Beweiſes, wenn ihm nur überhaupt das Daſeyn der Schul-

den bekannt iſt (k). Was nun von dieſem Fall der ver-

 

(i) L. 12 de don. (39. 5.).

„.. in quantum facere potest,

convenitur: sed enim id, quod

creditoribus debetur, erit de-

trahendum …”

(k) L. 17 § 1 quae in fraud.

(42. 8.). „.. universas res suas

tradidit,” alſo alle einzelne in

ſeinem Eigenthum ſtehende Sa-

chen, wie es auch nach dem älte-

ren Recht ſtets geſchehen ſollte

(Note c). Und von dieſem Fall

|0154 : 140|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ſchenkten einzelnen Sachen gilt, muß in weit höherem Grade

gelten, wenn das Vermögen als ſolches zum Gegenſtand

des Schenkungsvertrags gemacht, und zugleich der Em-

pfänger von aller Verpflichtung für die Schulden frey ge-

ſprochen wird. Denn in dieſem Fall iſt die unredliche Ab-

ſicht ſo augenſcheinlich, daß auch der Empfänger darüber

gar nicht im Zweifel ſeyn konnte. Die Abhülfe beſteht

alſo hier darin, daß die Glaubiger gegen den Empfänger

mit der Pauliana actio klagen, und daß dieſer von dem

geſchenkten Vermögen ſo viel zurück geben muß, als zur

Bezahlung der Schulden nöthig iſt (l).

Es verſteht ſich von ſelbſt, daß die aufgeſtellte Regel

nur auf diejenigen Schulden angewendet werden darf,

welche zur Zeit der Schenkung ſchon vorhanden waren.

Alle ſpäter contrahirte Schulden liegen eben ſo außer dem

Bereich der bisher betrachteten (auf das gegenwärtige

Vermögen gerichteten) Schenkung, wie der ſpätere Er-

werb des Gebers.

 

Die aufgeſtellten Grundſätze ſind auch anwendbar, wenn

Jemand nicht ſein gegenwärtiges Vermögen, ſondern eine

ihm zugefallene Erbſchaft verſchenkt. Denn auch hier iſt

wieder der Begriff des Vermögens anwendbar, nämlich

 

heißt es hier: „qui creditores

habere se scit, et universa bona

sua alienavit, intelligendus est

fraudandorum creditorum con-

silium habuisse.” —

(l) Von dieſem Dolus iſt na-

türlich nicht die Rede, wenn die

Schenkung nur auf eine Quote

des Vermögens geht, oder wenn

ſo viele einzelne Sachen von der

Schenkung ausgenommen ſind,

daß davon die Schulden bezahlt

werden können.

|0155 : 141|

§. 159. Schenkung. Einzelne Geſchäfte. 4. Ganzes Vermögen.

desjenigen Vermögens, welches dem Verſtorbenen zur Zeit

des Todes gehörte (m). In Anſehung der Schulden die-

ſer Erbſchaft gilt gleichfalls die natürliche Annahme, daß

der Empfänger die Abtragung derſelben ſtillſchweigend über-

nommen habe (n). Wenn jedoch in dieſem Fall ein An-

deres ausdrücklich bedungen iſt, ſo liegt darin gar nicht

nothwendig eine unredliche Abſicht gegen die Glaubiger.

Vielmehr kann der Geber ſehr wohl die Abſicht haben,

die Schulden der verſchenkten Erbſchaft aus ſeinem eige-

nen, dazu völlig hinreichenden, Vermoͤgen zu bezahlen. —

Betrifft die Schenkung die künftige Erbſchaft eines noch

Lebenden, ſo iſt ſie durch deſſen Einwilligung gültig, au-

ßerdem verboten (o); wird es dennoch unternommen, ſo

(m) L. 24 de V. S. (50. 16.),

und mehrere andere Stellen.

(n) L. 28 de don. (39. 5.).

„Hereditatem pater .. filiae ..

donavit … cogendam eam per

actionem praescriptis verbis

patrem adversus eos (credito-

res) defendere.” Es fällt auf,

daß hier Papinian die Schenkung

einer Erbſchaft als ſolcher für

unbedenklich wirkſam anſieht, da

doch die Schenkung des eigenen

Vermögens ſo bedenklich ſchien

(Note c). Das hieng aber mit

der Regel des älteren Rechts

überein, nach welcher jeder Erbe

eine ſchon erworbene Erbſchaft

durch in jure cessio übertragen

konnte; hieraus entſtand die ſelt-

ſame Folge, daß das Eigenthum

per universitatem übergieng, die

Schuldforderungen vernichtet wa-

ren, und die Schulden auf dem

veräußernden Erben (ganz wie

es hier Papinian vorausſetzt) haf-

ten blieben. Gajus II. § 35. 36,

III. § 85. 86. Ulpian. XIX. § 13.

14. Eine Spur davon hat ſich in

die Digeſten verirrt. L. 4 28

de doli exc. (44. 4.).

(o) L. 30 C. de pactis (2. 3.).

Die Fortdauer dieſer Regel auch

im heutigen Recht iſt dargethan

von Haſſe, Rhein. Muſeum

B. 2 S. 149 — 241, 300 — 366.

Anderer Meynung iſt Eichhorn

Deutſches Privatrecht § 341.

|0156 : 142|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

trifft den Veräußernden die Strafe, daß die ihm ſpäter-

hin anfallende Erbſchaft confiscirt wird (p).

Es bleibt nun noch der Fall zu betrachten übrig, da

nicht blos das gegenwärtige, ſondern auch das künftige

Vermögen des Gebers zum Gegenſtand der Schenkung ge-

macht wird. Dieſes Geſchäft halte ich nach Römiſchem

Recht für völlig ungültig, da es in der That nur ein

verſteckter Erbvertrag iſt, wodurch dem Geber jede an-

dere wirkſame Verfügung über ſein Vermögen unmöglich

wird. Nicht blos die Teſtamentsfreyheit wird ihm da-

durch vernichtet, ſondern ſelbſt die Möglichkeit, das Ver-

mögen an ſeine Inteſtaterben kommen zu laſſen, alſo jede

Art eines ferneren Einfluſſes auf das Schickſal des Ver-

mögens; und dieſes eben iſt es, weshalb das Römiſche

Recht die Erbverträge nicht anerkennt (q). Daß dadurch

keine Univerſalſucceſſion begründet wird, kann keinen Un-

terſchied machen, da der Empfänger alle Vortheile, die

man durch eine ſolche erlangen kann, auch wirklich er-

halten würde, nur unter einer anderen Rechtsform (r),

 

(p) L. 29 § 2 de don. (39. 5.),

L. 2 § 3 de his quae ut ind.

(34. 9).

(q) Die meiſten älteren Rechts-

lehrer, wenn ſie auch manche theo-

retiſche Zweifel haben, ſtimmen

doch darin überein, daß in der

Praxis die Ungültigkeit eines ſol-

chen Vertrags anerkannt ſey.

Giphanius lect. Altorf. p. 208.

209. N. 38. 44. Carpzov. P. 2

Const. 12 def. 26. Schilter

exerc. 43 § 19.

(r) Es wäre etwa zu verglei-

chen einem Univerſalfideicommiß,

ſo wie es vor dem Sc. Trebel-

lianum behandelt wurde (Ga-

jus II. § 252), alſo auch ohne

Abzug einer Quart. Die Römer

überzeugten ſich aber bald, daß

Dieſes, wenn es auf das ganze

Vermögen bezogen werden ſollte,

nicht wohl beybehalten werden

könne.

|0157 : 143|

§. 159. Schenkung. Einzelne Geſchäfte. 4. Ganzes Vermögen.

welches ja gerade der Character jeder Umgehung einer

poſitiven Rechtsregel iſt. Man hat dagegen eingewendet,

es könne ja doch ein eingeſetzter Teſtamentserbe zum An-

tritt der Erbſchaft ſich entſchließen, und dann das Ver-

mögen dem Beſchenkten abliefern. Allein abgeſehen davon,

daß nicht leicht Jemand dieſe unfruchtbare und nicht ge-

fahrloſe Mühe übernehmen wird, wäre damit dem Geiſt

jener Rechtsregel keinesweges genügt. Denn ein ſolcher

Erbe würde doch nur den Namen eines Erben führen, in

der That aber einem Teſtamentsexecutor zu vergleichen

ſeyn. Man hat ferner geſagt, neben einer ſolchen Schen-

kung ſey ein wahrer Erbe nicht blos denkbar, ſondern

ſelbſt nothwendig; ohne einen ſolchen könne die Schenkung

nicht beſtehen, da nur er nach dem Tode des Gebers die

Tradition vollziehen könne (s). Dieſer Grund iſt völlig

unhaltbar. Iſt die Schenkung gültig, ſo wird dadurch

der Empfänger ein Glaubiger des Gebers. Ein ſolcher

aber kann nach dem Tode des Schuldners ſeine Rechte

verfolgen, es mag ein Erbe vorhanden ſeyn oder nicht;

fehlt es an einem Erben, ſo erlangt der Glaubiger ſeinen

Zweck durch missio in possessionem des erbloſen Vermö-

gens (t).

Auch Das kann nicht zugegeben werden, daß jenes Ge-

ſchäft auf die bloße Schenkung des gegenwärtigen Ver-

mögens beſchränkt und dadurch aufrecht erhalten werden

 

(s) Faber error. Pragm.

XLVIII. 6. Num. 5.

(t) L. 4 de reb. auct. jud.

(42. 5.).

|0158 : 144|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

müſſe. Allerdings unterliegt dieſe letzte der eben behaup-

teten Ungültigkeit nicht, da bey ihr wegen des möglichen

ſpäteren Erwerbs eine wahre Erbfolge, unabhängig von

der Schenkung, ſehr wohl beſtehen kann. Daraus folgt

aber nicht die Zuläſſigkeit jener nachhelfenden Verwand-

lung. Denn beide Geſchäfte ſind gar nicht blos quantita-

tiv verſchieden (u), ſondern in ihrem Weſen, und in der

Abſicht des Gebers. Dieſem müßte, zur Aufrechthaltung

des Geſchäfts, eine ganz andere Abſicht, als die er wirk-

lich hatte, untergeſchoben werden. Es wäre ſo, wie wenn

ein Teſtament vor Sechs Zeugen gemacht wäre, welches

durch Verwandlung in einen Codicill aufrecht erhalten

werden ſollte; Dieſes iſt bekanntlich ohne den, auch hierauf

gerichteten, Willen des Erblaſſers (die Codicillarclauſel)

unzuläſſig (v). — Dagegen iſt die Schenkung einer Quote

des gegenwärtigen und künftigen Vermögens unzweifelhaft

gültig, weil nun durch den nicht verſchenkten Theil eine

wahre, wirkſame Erbfolge übrig bleibt. Eben ſo iſt für

das Ganze eine mortis causa donatio zuläſſig, weil dieſe

durch ihre in der Regel geltende Widerruflichkeit ganz

den zuläſſigen Character eines letzten Willens an ſich trägt.

Für ſo ſicher nun ich dieſe Gründe gegen die Zuläſ-

ſigkeit der hier vorausgeſetzten Schenkung des ganzen, auch

künftigen, Vermögens nach dem Römiſchen Recht halte,

 

(u) Etwa ſo, wie wenn Je-

mand ohne Inſinuation 800 Du-

katen verſchenkt; hier ſind gewiß

500 gültig, 300 ungültig.

(v) L. 1 de j. codicill. (29. 7.),

L. 3 de test. mil. (29. 1.).

|0159 : 145|

§. 160. Schenkung. Vertragsnatur.

ſo muß ich doch den neueren Schriftſtellern beyſtimmen,

welche ſich für die heutige Gültigkeit derſelben ausſpre-

chen (w). Nur ſoll man ſich dabey nicht auf Römiſches

Recht berufen. Die Schenkung iſt gültig, weil ſie ein

wahrer Erbvertrag iſt, und weil ein ſolcher durch das

Deutſche Recht anerkannt wird. Daß die älteren Prakti-

ker ſich dagegen ausſprechen (Note q), erklärt ſich eben

aus dem langen Streit, der über die Gültigkeit der Erb-

verträge überhaupt Statt gefunden hat, und aus der häu-

figen Unklarheit der Begriffe über die einzelnen darunter

zu beziehenden Fälle (x).

§. 160.

V. Schenkung. — Vertragsnatur.

Es war nöthig, die Schenkung in ihrer Anwendung

durch alle verſchiedene Rechtsgeſchäfte, worin ſie erſchei-

nen kann, durchzuführen, um die wichtige Frage beant-

worten zu können, ob ſie überhaupt als Vertrag zu be-

trachten iſt. In den meiſten und wichtigſten Fällen iſt in

ihr dieſer Character unverkennbar; ſo wenn ſie durch Tra-

dition, Verſprechen, oder Erlaßvertrag bewirkt wird. Da-

gegen giebt es andere Fälle, worin ſie nicht die Natur

des Vertrags an ſich trägt, das heißt worin des Empfän-

 

(w) Kind quaest. for. T. 2

C. 63. Meyerfeld II. S. 13

— 17.

(x) Eichhorn Deutſches Pri-

vatrecht § 341.

IV. 10

|0160 : 146|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

gers Bewußtſeyn der Bereicherung, und deſſen Einwilligung

in dieſelbe, nicht nothwendig iſt. Daraus aber folgt, daß

auch in den Fällen, worin die Schenkung als Vertrag

erſcheint, dieſe Eigenſchaft nicht in ihrem Weſen als

Schenkung begründet ſeyn kann, ſondern vielmehr in der

beſonderen Natur derjenigen Rechtsgeſchäfte, wodurch ſie

gerade bewirkt wird.

Es iſt alſo nun der Beweis der aufgeſtellten Behaup-

tung durch die Darlegung ſolcher Rechtsgeſchäfte zu füh-

ren, worin eine wahre Schenkung enthalten iſt, ohne daß

der Empfänger einwilligt (a). — Dieſes geſchieht oft ſo, daß

der Empfänger von der Handlung des Gebers überhaupt

kein Bewußtſeyn hat, alſo auch ſeine eigene Bereicherung

weder kennt, noch durch ſeinen Willen genehmigen kann.

Dahin gehört der Fall einer Dos, welche von einem Frem-

den gegeben, und eben dadurch der Frau geſchenkt wird

(§ 157. s). Ferner die Befreyung eines Schuldners durch

abſichtlich ſchlechte Prozeßführung, oder durch gerichtliches

Eingeſtändniß (§ 158. k. l). Eben ſo die Ausgaben, die

zum Vortheil eines Andern gemacht werden, in der Ab-

ſicht ſie nicht wieder zu fordern (§ 158. m). Dann das

Geſchenk an einen Sohn oder Sklaven, welches dem Va-

ter oder Herrn unmittelbar erworben wurde (b). Endlich,

 

(a) Ausführlich hat dieſe Frage

behandelt Meyerfeld I. S. 37 fg.

(b) L. 10 de don. (39. 5.).

„.. Sed si nescit rem .. sibi

esse donatam .. donatae rei

dominus non fit, etiamsi per

servum ejus, cui donabatur,

missa fuerit: nisi ea mente

servo ejus data fuerit, ut sta-

tim ejus fiat.” In dieſem letz-

ten Fall alſo war die Schenkung

vollzogen, auch ohne Bewußtſeyn

|0161 : 147|

§. 160. Schenkung. Vertragsnatur.

und am einleuchtendſten, die Befreyung eines Schuldners

durch baare Zahlung, durch Expromiſſion, oder in Folge

einer Bürgſchaft, wenn dieſe Befreyung mit der Abſicht

einer Schenkung verbunden iſt (§ 158. n bis t). In allen

dieſen Fällen kann allerdings der Beſchenkte darum wiſſen,

ja es wird ſich meiſtens ſo finden. Juriſtiſch aber iſt

Dieſes ganz zufällig und gleichgültig, ſeine Einwilligung

traͤgt Nichts zur Wirkſamkeit des Rechtsgeſchäfts bey,

und die heimliche Wohlthat iſt hier völlig eben ſo gültig,

wie die verabredete.

In anderen Fällen weiß zwar der Empfänger um die

Handlung des Gebers, aber nicht um die darin enthal-

tene Abſicht zu ſchenken, und die Schenkung iſt darum

nicht weniger vorhanden. So wenn Einer eine Sache

abſichtlich unter dem Werth verkauft, um den Käufer zu

bereichern, dieſer aber über die wohlthätige Abſicht des

Verkäufers in Unwiſſenheit iſt (§ 152. a). Ferner wenn

Jemand wiſſentlich Zahlung leiſtet für ein Indebitum,

während der Empfänger es für eine wahre Schuld hält (c).

 

des Beſchenkten. Daſſelbe galt

ohne Zweifel eben ſo, wenn das

Geſchenk an einen Sohn in vä-

terlicher Gewalt gegeben wurde.

In beſchränkterer Weiſe gilt die-

ſes Letzte auch noch nach Juſti-

nianiſchem Recht, nämlich nun

bekommt zwar der Sohn das Ei-

genthum, der Vater aber den

Niesbrauch, und auch das iſt eine

wahre Schenkung. Vergl. über-

haupt Meyerfeld I. S. 38.

(c) Nämlich die condictio in-

debiti fordert durchaus Irrthum

des Zahlenden, und wird daher

durch deſſen Bewußtſeyn von dem

Ungrund der Forderung ſchlecht-

hin ausgeſchloſſen; dabey aber iſt

das Bewußtſeyn des Empfängers

völlig gleichgültig. Vergl. oben

§ 149 und Beylage VIII. Num.

XXXVI. Note e.

10*

|0162 : 148|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Dagegen würde man irrigerweiſe unter dieſe Fälle rech-

nen den blos einſeitigen Verzicht auf eine Schuldforderung

(§ 158. h), und die nicht in Vertrag verwandelte bloße

Abſicht, des Andern Schuldner zu werden (§ 157. c).

 

Im Widerſpruch mit der hier aufgeſtellten Anſicht be-

haupten Viele, daß jede Schenkung zu ihrer Gültigkeit

einer Annahme von Seiten des Beſchenkten durchaus be-

dürfe (d). Dieſer Widerſpruch gegen unſre Anſicht kann

aber eine zwiefache Bedeutung haben, je nachdem man die

Schenkung von ihrer poſitiven oder von ihrer negativen

Seite, im Fall fehlender Annahme des Beſchenkten, aus-

zuſchließen verſucht. Das erſte hätte die Bedeutung, daß

ohne Annahme die angeführten Geſchäfte gar keine Gül-

tigkeit hätten, ſo daß überhaupt Nichts bewirkt würde.

Das zweyte hätte die entgegengeſetzte Bedeutung, daß

zwar das Geſchäft ſelbſt gültig wäre, daß es aber nicht

die Natur einer Schenkung annähme, folglich frey bliebe

von den Einſchränkungen, welchen die Schenkungen unter-

worfen ſind. Durch das erſte würde die Wirkſamkeit der

Handlung verlieren, durch das zweyte gewinnen, in Ver-

gleichung mit Dem was von unſrem Standpunkt aus an-

genommen werden muß. Ich will beide mögliche Behaup-

tungen zu widerlegen ſuchen, und dazu den einfachſten und

einleuchtendſten unter den oben zuſammengeſtellten Fällen

 

(d) Dahin gehört Cujacius

obss. XII. 28 und Consult. N. 43.

Ferner alle Schriftſteller, welche

die Schenkung überhaupt als ei-

nen obligatoriſchen Vertrag an-

ſehen (§ 142. b).

|0163 : 149|

§. 160. Schenkung. Vertragsnatur.

wählen: den Fall, wenn Jemand fremde Schulden be-

zahlt, in der Abſicht den Schuldner dadurch zu bereichern.

Nach der Meynung der Gegner wäre des Schuldners Ein-

willigung nöthig, und es iſt alſo zu unterſuchen, was der

Mangel dieſer Einwilligung möglicherweiſe bewirken könnte.

Er könnte erſtlich bewirken, daß die Handlung keine

gültige Zahlung wäre, daß alſo der Schuldner dadurch

nicht frey würde. Dieſes iſt nun gewiß nicht der Fall,

da die Befreyung des Schuldners ohne ſein Wiſſen, ja

wider ſeinen Willen, für dieſen Fall ausdrücklich aner-

kannt iſt (e). — Er könnte zweytens bewirken, daß die

Handlung zwar gültig, aber keine Schenkung wäre, alſo

den beſonderen Beſchränkungen einer Schenkung nicht un-

terläge, ſo z. B. daß unter Ehegatten dieſes Geſchäft nicht

verboten wäre Dieſes iſt aber ſchon deswegen ganz un-

denkbar, weil dadurch alle jene Beſchränkungen völlig illu-

ſoriſch werden würden. So z. B. brauchte eine Frau, um

von ihrem Mann gültig beſchenkt zu werden, nur Schul-

den zu machen, die dann der Mann ohne ihr Zuthun und

Vorwiſſen bezahlte; was er ihr dadurch als Bereicherung

zugewendet hätte, wäre unwiderruflich, obgleich es durch-

 

(e) L. 23 de solut. (46. 3.).

„Solutione … et inviti et igno-

rantes liberari possumus.” Daſ-

ſelbe ſagt von der Expromiſſion

L. 91 eod. Noch einleuchtender

iſt es bey den aus Liberalität be-

ſorgten Ausgaben. Wenn z. B.

Einer das Landgut eines Andern,

ohne deſſen Wiſſen, aus Libera-

lität beſtellt (§ 158. m), ſo könnte

die entgegengeſetzte Anſicht nur

dadurch geltend gemacht werden,

daß das Gut zu einem unbeſtell-

ten gemacht würde, welches un-

möglich iſt.

|0164 : 150|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

aus dieſelbe Natur hätte, wie eine an ſie ſelbſt gegebene

Geldſumme. Es bedarf aber nicht einmal dieſer allge-

meinen Betrachtung, da es ausdrücklich anerkannt iſt, daß

jede für einen Ehegatten gezahlte Schuld dem allgemeinen

Schenkungsverbot in der Ehe allerdings unterworfen iſt;

eben ſo auch jede für einen Ehegatten vorgenommene Ex-

promiſſion (f). Damit iſt alſo bewieſen, daß die oben

zuſammen geſtellten Handlungen in jeder Beziehung als

wahre Schenkungen gelten und wirken, obgleich dabey

das Bewußtſeyn und die Einwilligung des Beſchenkten

gänzlich fehlen kann.

In den häufigeren Fällen aber, worin die Schenkung

auf einem ſolchen Geſchäft beruht, welches die Natur ei-

nes Vertrags an ſich trägt, iſt allerdings die Einwilligung

beider Theile zur Gültigkeit der Schenkung durchaus noth-

wendig. Dieſes iſt namentlich der Fall bey der Tradi-

tion (g).

 

In allen Fällen dieſer Art alſo iſt das erſte Erforder-

niß gültiger Schenkung der Wille des Gebers, ohne wel-

chen die Liberalität, als Grundlage aller Schenkung, gar

nicht denkbar iſt. Wenn daher ein Anderer ſich anmaaſt,

dieſen Willen zu erſetzen, alſo für ihn zu ſchenken, ſo iſt

 

(f) L. 7 § 7 L. 50 pr. de don.

int. vir. (24. 1.). L. 5 § 4 eod.

(g) L. 55 de O. et A. (44. 7.).

„In omnibus rebus, quae do-

minium transferunt, concurrat,

oportet, affectus ex utraque

parte contrahentium: nam sive

ea venditio, sive donatio .. fuit,

nisi animus utriusque consen-

serit, perduci ad effectum id

quod inchoatur non potest.

|0165 : 151|

§. 160. Schenkung. Vertragsnatur.

das Geſchäft ungültig (h). Die Form dieſer Einwilligung

wird durch die Natur der einzelnen Rechtsgeſchäfte be-

ſtimmt; die Eigenthümlichkeit der Schenkung beſchränkt

oder erſchwert die ſonſt erforderliche Form gar nicht (i).

Es muß aber in jenen Fällen als zweytes Erforderniß

hinzutreten die Annahme der Schenkung, oder die Einwil-

ligung von Seiten des Empfängers. Auch dieſe iſt an

keine Form gebunden, ſie kann namentlich ſtillſchweigend

erklärt werden, und da faſt immer der Empfang eines

Geſchenks erwünſcht iſt, ſo wird ſie ſogar ſehr leicht aus

ſolchen Handlungen gefolgert werden dürfen, welche nur

einigermaßen darauf gedeutet werden können (k). Nur bey

beſtimmt verweigerter Annahme kommt in ſolchen Fällen

eine Schenkung überhaupt gar nicht zu Stande (l). In

der Zwiſchenzeit von der Erklärung des Gebers bis zur

Annahme des Empfängers iſt die Schenkung nicht perfect,

alſo unentſchieden (m), ſo daß bis dahin der Geber ſeinen

Willen widerrufen kann, wodurch denn gleichfalls das

 

(h) L. 7. 8. 10 C. de don. (8.

51.). Vgl. oben § 156. a.

(i) L. 6. 7. 13 C. de don. (8.

54.). Von der für die großen

Schenkungen erforderlichen be-

ſonderen Form (der Inſinuation)

wird unten die Rede ſeyn. —

Über die Herleitung dieſer Ein-

willigung aus Vermuthungen vgl.

Meyerfeld I. S. 42. fg.

(k) Meyerfeld I. S. 42 fg.

(l) L. 10 de don. (39. 5.)

„.. si .. missam sibi non ac-

ceperit, donatae rei dominus

non fit.” L. 19 § 2 eod. „Non

potest liberalitas nolenti ad-

quiri.” Dieſe ſehr allgemein aus-

geſprochene Regel muß auf die

Fälle der eben beſchriebenen Art,

die ohnehin die häufigſten ſind,

beſchränkt werden, da ſie, als

durchgreifendes Princip für alle

Schenkungen überhaupt aufge-

faßt, anderen ſehr beſtimmten

Stellen geradezu widerſprechen

würde (Note e).

(m) L. 10 de don. (39. 5.).

„Sed si nescit rem, quae apud

|0166 : 152|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ganze Geſchäft rückgängig wird. Iſt zur Zeit der erklär-

ten Annahme kein Widerruf erfolgt, ſo gilt die nicht wi-

derrufene Erklärung des Gebers als fortdauernder Wille,

Beide haben nun in demſelben Zeitpunkt übereinſtimmend

die Schenkung gewollt, und dieſe iſt daher perfect gewor-

den. War aber, zur Zeit der erklärten Annahme, der

Geber unfähig geworden zu wollen, weil er in der Zwi-

ſchenzeit geſtorben oder wahnſinnig geworden war, ſo iſt

nun die Schenkung gar nicht vorhanden, weil kein Zeit-

punkt angegeben werden kann, worin Beide gemeinſchaft-

lich die Schenkung gewollt hätten (n).

Specielle Anwendungen und Beſtätigungen dieſer letz-

ten Regel finden ſich in folgenden Fällen. Wenn ich dem

 

se est, sibi esse donatam …

donatae rei dominus non fit.”

Natürlich ſo lange, bis er es er-

fährt, und nunmehr einwilligt.

(n) L. 2 § 6 de don. (39. 5.).

„Sed si quis donaturus mihi

pecuniam dederit alicui, ut ad

me perferret, et ante mortuus

(donator) erit, quam ad me

perferret, non fieri pecuniam

dominii mei constat.” L. 8 C.

de O. et A. (4. 10.). — Daß der

Erbe des Gebers von Neuem

ſchenken kann, verſteht ſich, aber

der Wille des Verſtorbenen, der

eine bloße Thatſache iſt ſo lange

er nicht in ein vollendetes Rechts-

geſchäft übergegangen war, kann

nicht als in dem Erben fortdauernd

angeſehen werden. Die Rechts-

verhältniſſe des Verſtorbenen ge-

hen auf den Erben über, die that-

ſächlichen Verhältniſſe nicht; zu

dieſen letzten aber gehört das

bloße Wollen eben ſo gut, als

der Beſitz, welcher bekanntlich auch

nicht von ſelbſt auf den Erben

übergeht. — Man könnte fragen,

warum dieſes gerade bey der

Schenkung beſonders bemerkt wer-

de, da doch dieſe, was die Noth-

wendigkeit des übereinſtimmenden

Willens betrifft, mit dem Kauf

u. ſ. w. ganz auf gleicher Linie

ſteht (Note g). Der Grund liegt

darin, daß bey dem Kauf eine

Obligation vor der Tradition vor-

hergeht, die ſelbſt ſchon ein vollen-

detes Rechtsgeſchäft iſt, und da-

her auf den Erben übergeht, an-

ſtatt daß bey der Schenkung ganz

gewöhnlich alles eigentliche Rechts-

geſchäft mit der Tradition an-

fängt und endigt.

|0167 : 153|

§. 160. Schenkung. Vertragsnatur.

Titius ein Darlehen gebe, mit der Beſtimmung das Geld

an Sejus zurück zu zahlen, ſo liegt darin Nichts als der

Auftrag zu einem künftigen Geldgeſchenk, den ich jeder-

zeit zurücknehmen kann (§ 157. q). Zahlt nun Titius an

Sejus nach meinem Tode, ſo iſt das Eigenthum des Gel-

des auf Sejus übergegangen, weil Titius Eigenthümer

war; gegen meinen Erben frey geworden iſt Titius nur,

wenn er meinen Tod nicht wußte, weil er außerdem wiſ-

ſen mußte, daß ſein Mandat erloſchen war. Eben ſo

wenn der Auftrag zu dem Geldgeſchenk an Titius ganz

einfach, ohne vorhergehendes Darlehen, gegeben war;

zahlt er ohne meinen Tod zu wiſſen, ſo hat er eine man-

dati actio gegen meinen Erben, außerdem nicht (o). Hier

iſt nun allein von dem Verhältniß des Titius die Rede,

wie ſteht es aber mit dem Geſchenk an Sejus? Dieſes

iſt, nach dem oben aufgeſtellten Grundſatz, gewiß nichtig.

Daher hat mein Erbe gegen Sejus die condictio sine

causa auf das empfangene Geld, welche Klage er dem

Titius cediren muß, wenn ihm dieſer, wegen wiſſentlich

unrichtiger Zahlung, zunächſt verantwortlich iſt. — Ein

ähnlicher Fall iſt folgender (p). Eine Frau will ihrem

Mann ein Grundſtück mortis causa ſchenken, und über-

giebt daſſelbe zu dieſem Zweck an Titius; nach dem Tode

der Frau widerſprechen ihre Erben, dennoch übergiebt es

(o) L. 19 § 3 de don. (39. 5.).

Vgl. oben § 157. q.

(p) L. 11 § 8 de don. int. vir.

(24. 1.). — Wiederum ein ähnli-

cher Fall, aber mit ſcheinbar wider-

ſprechender Entſcheidung, kommt

vor in L. 18 § 2 de m. c. don.,

vgl. oben § 158. h.

|0168 : 154|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Titius dem Mann. Hier ſoll unterſchieden werden, ob

Titius blos von der Frau beauftragt war, oder zugleich

(oder allein) von dem Mann. Im erſten Fall war die

Schenkung, nach dem oben aufgeſtellten Grundſatz, nie

perfect geworden, und Titius iſt den Erben zur Entſchä-

digung verpflichtet; im zweyten Fall iſt Titius, als Be-

vollmächtigter des Mannes, im Augenblick des Todes,

Eigenthümer des Grundſtücks geworden. Dadurch wurde

die Schenkung perfect (q), die Erben müſſen ſie anerken-

nen, und wenn Titius das Grundſtück hätte für ſich be-

halten, oder den Erben ausliefern wollen, ſo würde der

Mann gegen ihn eine mandati actio gehabt haben.

Scheinbar ähnlich, aber im Weſen verſchieden, iſt fol-

gender Fall (r). Es ſchenkt Einer dem Andern eine Geld-

 

(q) Man könnte zweifeln, ob

die Schenkung durch eine inter-

posita persona, wie ſie in der

angeführten Stelle vorausgeſetzt

wird, perfect werden könne. Aber

gerade dieſes iſt unzweifelhaft.

L. 4 de don. (39. 5.). „Etiam

per interpositam personam do-

natio consummari potest.”

(r) L 2 § 5 de don. (39. 5.).

— Völlig widerſprechend in der

juriſtiſchen Beurtheilung, obgleich

im letzten Reſultat für den be-

ſonderen Fall gleich, iſt L. 9 § 1

de j. dot. (23. 3.). Es giebt

Einer einem Bräutigam Sachen

als Dos, unter der (ſich von ſelbſt

verſtehenden) Bedingung, daß die

Ehe zu Stande komme; vor der

Ehe ſtirbt der Geber. Hier, ſagt

Ulpian, kann das Eigenthum der

Sachen nicht mehr auf den Em-

pfänger kommen, und das Ge-

ſchäft iſt ungültig. Allein aus

beſonderer Begünſtigung der Dos

muß man den Erben zwingen,

nach Abſchluß der Ehe das Ei-

genthum zu übertragen; ja wenn

der Erbe abweſend iſt, oder ſich

weigert, ſo muß man annehmen,

das Eigenthum ſey ipso jure

übergegangen. — Dieſe Stelle iſt

zu erklären aus der eigenthüm-

lichen Regel des älteren Rechts,

daß die Schenkung einer man-

cipi res nur durch Mancipation,

nicht durch Tradition, perfect

werde; von ſolchen Sachen aber

(wahrſcheinlich von Grundſtücken)

war in der Stelle ohne Zweifel

|0169 : 155|

§. 160. Schenkung. Vertragsnatur.

ſumme unmittelbar durch Tradition, jedoch ſo daß Ei-

genthum und Schenkung von einer Suspenſivbedingung

abhängig gemacht wird. Wenn nun der Geber vor Er-

füllung der Bedingung ſtirbt oder wahnſinnig wird, ſo

möchte man glauben, die Schenkung ſey, eben ſo wie in

den vorhergehenden Fällen, vernichtet. Hier aber iſt ſie

voͤllig gültig, und der Grund der verſchiedenen Entſchei-

dung liegt darin, daß Wille und That der Perſonen ſchon

Anfangs vollſtändig vorhanden waren, und die Gültigkeit

des Geſchäfts nur noch von einem äußeren Ereigniß ab-

hängen ſollte, bey deſſen ſpäterem Eintritt der Wille

Nichts mehr zu thun hatte. Daher kann der Geber, auch

während der unentſchiedenen Bedingung, die (von ſeiner

Seite ſchon perfecte) Schenkung nicht widerrufen, und

die Rede, und es iſt nur jetzt die

Spur davon verwiſcht. In L. 2

§ 5 cit. dagegen iſt ausdrücklich

die Rede von baarem Geld, alſo

von nec mancipi res, wobey

jene Schwierigkeit nicht vorkam,

weil da die Tradition die Schen-

kung perfect machte. Nun konnte

man überhaupt bedingterweiſe tra-

diren, aber nicht eben ſo manci-

piren (L. 77 de R. J. 50. 17.).

Es war alſo blos eine Ungeſchick-

lichkeit, die nur aus dem älteren

Recht zu erklärende L. 9 § 1 cit.

in die Digeſten aufzunehmen, und

ihr Inhalt darf uns nicht weiter

ſtören. — Ausführlich habe ich

dieſe Erklärung dargeſtellt in der

Zeitſchrift für geſchichtl. Rechts-

wiſſenſch. B. 4 S. 51 — 59. Die

Gründe, die dagegen neuerlich

aufgeſtellt ſind von W. Sell,

bedingte Traditionen, S. 117 —

138, überzeugen mich nicht. Er

ſelbſt erklärt die Stelle aus der

Annahme, daß das Geben einer

Dos an den Mann eigentlich ein

Mandat ſey, ſie der Frau zu ge-

ben, welches Mandat durch des

Gebers Tod erlöſche. Dieſe An-

nahme aber iſt völlig grundlos,

das Geſchäft der dotis constitu-

tio iſt durch das Geben an den

Mann, ſobald die Ehe da iſt,

durchaus vollendet, und die ſpä-

teren Schickſale der Dos berüh-

ren den Geber gar nicht mehr.

|0170 : 156|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

daher wird ferner die ſpäter erfüllte Bedingung auf den

Zeitpunkt des Vertrags zurückgeführt (§ 120).

§. 161.

V. Schenkung. — Vertragsnatur. (Fortſetzung.)

Da wo die Schenkung, wie gewöhnlich, auf Vertrag

gegründet iſt, müſſen noch beſonders einige Fälle beachtet

werden, worin bey dem Willen des Einen, oder auch

Beider, ein Irrthum zum Grund liegt.

 

Der erſte Fall eines ſolchen möglichen Irrthums be-

trifft die dem Irrenden gegenüberſtehende Perſon (a). Wenn

der Geber in der Perſon des Empfängers irrt, ſo ent-

ſteht natürlich keine Schenkung. Hat alſo Gajus dem

Sejus ein Geſchenk zugedacht, welches aus Verſehen an

Titius gekommen, und von dieſem, gleichfalls aus Ver-

ſehen, angenommen worden iſt, ſo iſt überhaupt noch gar

kein Geſchäft geſchloſſen, und auf keiner Seite ein Recht

erworben, ſo daß der Geber die ganze Schenkung noch

zurücknehmen kann. Anders ſteht es im umgekehrten Fall,

wenn Gajus dem Titius ſchenken will, und dazu den Se-

jus als Überbringer gebraucht, welcher aber unredlicher-

weiſe das Geſchenk in eigenem Namen giebt, und ſo den

Titius veranlaßt, in der von ihm angenommenen Schen-

 

(a) Von dieſer Art des Irr-

thums im Allgemeinen vgl. oben

§ 136. In der Regel iſt dadurch

das Daſeyn eines Vertrags ganz

ausgeſchloſſen.

|0171 : 157|

§. 161. Schenkung. Vertragsnatur. (Fortſetzung.)

kung einen unrichtigen Geber zu denken. In dieſem Fall

iſt zwar, der Strenge nach, auch keine Schenkung vor-

handen, ſo daß Gajus die geſchenkte Sache wieder ab-

fordern könnte; dieſe Klage ſoll jedoch durch eine doli ex-

ceptio entkräftet werden (b). Der Unterſchied beider Fälle

liegt darin, daß für den Geber freylich die Perſon des

Empfängers das Allerwichtigſte iſt, aber nicht ſo auch um-

gekehrt. Denn in den meiſten Fällen wird ein Geſchenk

gerne angenommen werden, woher es auch komme, ſo daß

der Irrthum über den Geber minder weſentlich iſt, und

den Conſens des Empfängers nicht entkräftet. Zwar iſt

der Geber dabey intereſſirt, daß der Beſchenkte wiſſe, wem

er Dank ſchuldig ſey; allein dieſes Intereſſe erhält ſeine

volle Befriedigung durch die nachfolgende Berichtigung des

Misverſtändniſſes.

Ein zweyter Irrthum kann das Rechtsverhältniß be-

treffen, indem der Geber und der Empfänger dabey an

verſchiedene Verhältniſſe denken. Nach allgemeinen Regeln

kommt in einem ſolchen Fall überhaupt gar kein Rechts-

geſchäft zu Stande (§ 136. a). Beſonders einleuchtend iſt

dieſes, wenn der Geber an ein Commodat oder Darlehen

denkt, der Empfänger an eine Schenkung, in welchem Fall

gewiß Niemand eine Schenkung als vorhanden annehmen

 

(b) L. 25 de don. (39. 5.).

Zunächſt wird darin nur der Über-

gang des Eigenthums in Frage

geſtellt; dieſer iſt aber hier mit

der Gültigkeit der Schenkung iden-

tiſch, wie auch die am Schluß ge-

ſtattete doli exceptio zeigt, wel-

che hier der Vindication eben ſo

gut, wie der Condiction, entge-

gen ſtehen muß.

|0172 : 158|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

wird (§ 160. g. h). Mehr Zweifel könnte der umgekehrte

Fall erregen, wenn der Geber ſchenken will, der Empfän-

ger aber glaubt, es ſey ihm die Sache als Commodat,

oder als Darlehen gegeben, und ſie in dieſem Sinn an-

nimmt. Auf einen ſolchen Fall beziehen ſich folgende zwey

Stellen, über deren wahren oder vermeintlichen Wider-

ſpruch, ſchon von der Gloſſatorenzeit an, die verſchieden-

ſten Meynungen aufgeſtellt worden ſind (c).

L. 36 de adqu.rer.dom. (41. 1.). (Julianus lib.XIII. Dig.)

Cum in corpus quidem, quod traditur, cousentiamus,

in causis vero dissentiamus, non animadverto cur

inefficax sit traditio. Veluti si ego credam me ex

testamento tibi obligatum esse ut fundum tradam, tu

existimes ex stipulatu tibi eum deberi. Nam et si

pecuniam numeratam tibi tradam donandi gratia, tu

eam quasi creditam accipias: constat proprietatem

ad te transire, nec impedimento esse, quod circa

causam dandi atque accipiendi dissenserimus.

L. 18 pr. de reb. cred. (12. 1.). (Ulpianus lib. VII. Disp.)

Si ego pecuniam tibi quasi donaturus dedero, tu

quasi mutuam accipias, Julianus scribit donationem

non esse. Sed an mutua sit, videndum. Et puto,

nec mutuam esse: magisque numos accipientis non

(c) Schriftſteller über dieſe

Stellen: Glück B. 4 S. 152—

156. B. 8 S. 120—123. M. E.

Regenbrecht comm. ad L. 36

de a. r. d. et L. 18 de R. C.,

Berol. 1820. Meyerfeld I.

S. 121 — 123. Die Früheren

werden in großer Maſſe von die-

ſen angeführt.

|0173 : 159|

§. 161. Schenkung. Vertragsnatur. (Fortſetzung.)

fieri, cum alia opinione acceperit. Quare, si eos

consumserit, licet condictione teneatur, tamen doli

exceptione uti poterit, quia secundum voluntatem

dantis numi sunt consumti.

In dieſen Stellen werden zwey Fragen erörtert, die

von einander großentheils unabhängig ſind. Die eine: ob

Eigenthum übergeht. Die andere: ob eine gültige Schen-

kung, oder vielleicht auch ein gültiges Darlehen vorhan-

den iſt. Das Verhältniß beider Fragen aber iſt dieſes.

Wer die zweyte bejaht, muß nothwendig auch die erſte

bejahen. Wer die erſte bejaht, kann daneben noch immer

die zweyte bejahen oder verneinen.

 

Der Übergang des Eigenthums iſt der einzige Gegen-

ſtand, der in der erſten Stelle von Julian unterſucht

wird. Er behauptet dieſen Übergang ganz beſtimmt, ſo-

gar als unzweifelhaft (constat) für alle Fälle, worin

Beide übereinſtimmend wollen, daß überhaupt Eigenthum

übergehe, wenngleich ihr Wille durch den Gedanken an

verſchiedene Rechtsgeſchäfte begründet iſt. Er wendet die-

ſes an auf zwey verſchiedenartige Fälle; in dem einen

wollen Beide ſogar dieſelbe causa, nämlich die solvendi

causa, nur in Vorausſetzung verſchiedener vorhergehender

Obligationen: in dem andern will Einer die donandi, der

Andere die obligandi oder credendi causa; die Entſchei-

dung iſt für beide Fälle dieſelbe. Ulpian berührt die

Frage nach dem Schickſal des Eigenthums nur ganz bey-

läufig, bey Gelegenheit des gültigen Darlehens, und darin

 

|0174 : 160|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

liegt einiger Schein für Diejenigen, welche die Worte nu-

mos accipientis non fieri gar nicht als Verneinung des

erworbenen Eigenthums, ſondern nur des gültigen Dar-

lehens, auffaſſen. Julian alſo betrachtet als entſcheidend

den Willen, daß Eigenthum übergehe, woneben ihm der

Grund dieſes Willens ſo ſehr in den Hintergrund tritt,

daß die Verſchiedenheit der vorausgeſetzten Gründe den

Übergang nicht hindern ſoll. Ulpian dagegen (wenn er

wirklich den Übergang des Eigenthums verneinen will) be-

trachtet als entſcheidend den auf einem beſtimmten Grund

beruhenden Willen der Übertragung, ſo daß die Übertra-

gung ſelbſt gehindert werden ſoll, wenn Beide Perſonen

an verſchiedene Gründe denken. Jedoch dieſe ganze, das

Eigenthum betreffende, Frage liegt hier außer den Grän-

zen unſrer Unterſuchung, und wir laſſen ſie an dieſer

Stelle auf ſich beruhen (d).

Die Gültigkeit der Rechtsgeſchäfte iſt es, die uns hier

angeht. Darüber nun ſagt Ulpian, eine gültige Schen-

kung ſey gewiß nicht vorhanden, welches auch Julian be-

zeuge (e). Dieſes alſo war, wie es ſcheint, ganz un-

 

(d) Für Julian könnte man gel-

tend machen § 40 J. de rer. div.

(2. 1.). „Nihil enim tam con-

veniens est naturali aequitati,

quam voluntatem domini, vo-

lentis rem suam iu alium trans-

ferre, ratam haberi;” denn

dieſe voluntas iſt hier augen-

ſcheinlich vorhanden, und hierin

ſtimmt auch der Empfänger über-

ein. Doch ſoll damit der ganzen

Unterſuchung nicht vorgegriffen

werden, die nur im Zuſammen-

hang der ganzen Lehre von der

Tradition befriedigend angeſtellt

werden kann.

(e) Die Stelle des Julian,

worauf er ſich hier bezieht, iſt

offenbar nicht die im Text abge-

druckte L. 36 de adqu. rer. dom.,

|0175 : 161|

§. 161. Schenkung. Vertragsnatur. (Fortſetzung.)

beſtritten; es folgt aus dem oben aufgeſtellten allgemeine-

ren Grundſatz, und iſt für unſren gegenwärtigen Zweck

das allein Wichtige. Er ſelbſt ſetzt hinzu, es ſey auch

kein Darlehen geſchloſſen; daß er dafür nicht wieder Ju-

lian anführt, darf nicht als Zeichen eines Streites über

dieſe Frage angeſehen werden: Ulpians Entſcheidung be-

ruht hier auf demſelben Grunde wie bey der Schenkung,

nämlich auf der für dieſes ſpecielle Geſchäft fehlenden

Übereinſtimmung. Hierauf folgt nun endlich der wichtigſte

Theil der Stelle, welcher von dem praktiſchen Ausgang

der ganzen Sache handelt (f). Ehe dieſer erklärt werden

kann, iſt noch eine genauere Betrachtung des ganzen Her-

gangs nöthig.

Die unzweifelhaft richtige Verneinung, ſowohl der

Schenkung als des Darlehens, bezieht ſich zunächſt auf

den Augenblick der Tradition. Betrachten wir aber die

möglichen Veränderungen dieſes urſprünglichen Zuſtandes.

Wenn zuerſt der Empfänger das Misverſtändniß entdeckt,

 

denn darin ſteht hierüber kein

Wort, wenigſtens ſo weit ſie in

die Digeſten aufgenommen iſt.

(f) Viele haben mit Unrecht

Gewicht gelegt auf die Verbin-

dung durch Quare, Einige in-

dem ſie Ulpian deshalb tadeln,

weil das Zweyte aus dem Erſten

nicht folge, wohl eher das Ge-

gentheil. Allein quare drückt gar

nicht immer eine Folgerung aus,

ſondern auch den bloßen Über-

gang zu einer neuen Seite des

Gegenſtandes, die nun betrachtet

werden ſoll. Doch fehlt es hier

auch nicht an einer Cauſalverbin-

dung, denn aus der Abweſenheit

jedes gültigen Rechtsgeſchäfts

folgt allerdings die Zuläſſigkeit

einer condictio (sine, causa);

hierauf aber, und nicht auf die

nachher erwähnte Exception, muß

das quare bezogen werden, wenn

es überhaupt eine Folgerung be-

zeichnen ſoll.

IV. 11

|0176 : 162|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

und nun in den (noch unveränderten) Willen des Gebers

einzugehen erklärt, ſo iſt unzweifelhaft eine gültige Schen-

kung entſtanden, weil nun Beide dieſelbe übereinſtimmend

gewollt haben; eben ſo entſteht gewiß ein gültiges Dar-

lehen, wenn der Geber die Entdeckung macht, und ſich

dahin erklärt, daß er das von dem Empfänger gemeynte

Darlehen jetzt gleichfalls wolle. Der Fall muß alſo von

Ulpian vielmehr ſo gedacht ſeyn, daß der Geber, ſobald

er zuerſt über das Misverſtändniß klar wird, ſeine wohl-

wollende Abſicht ändert, und nun Alles widerruft, worauf

ja offenbar die erwähnte Klage hindeutet.

Welche Klage wird er anſtellen, und was wird der

Erfolg des Rechtsſtreits ſeyn? Entweder iſt das Geld

noch unberührt vorräthig, oder es iſt ausgegeben. Im

erſten Fall wird der Geber, nach Ulpian, eine Vindica-

tion anſtellen, nach Julian eine condictio sine causa. Und

jede dieſer Klagen muß dem Geber das Geld wieder ver-

ſchaffen, ohne daß ihn eine doli exceptio daran hindern

könnte. Denn es iſt ja offenbar kein Dolus, ſeinen Wil-

len zu ändern, ſo lange dieſer Wille noch nicht in ein

bindendes Rechtsgeſchäft übergegangen iſt. Das Daſeyn

eines Rechtsgeſchäfts aber wird von Ulpian beſtimmt ver-

neint, zum Theil mit Berufung auf Julian. — Setzen

wir nun den zweyten Fall, daß das Geld ausgegeben ſey.

Dieſes kann in der Art geſchehen ſeyn, daß der Werth

noch im Vermögen iſt, indem der Empfänger dafür etwa

ein Haus gekauft oder eine Schuldforderung erworben hat.

 

|0177 : 163|

§. 161. Schenkung. Vertragsnatur. (Fortſetzung.)

Auch hier wird die Condiction gelten, mit ungeſtörtem Er-

folg, da nach der allgemeinen Natur der Condictionen eine

ſolche Verwandlung ganz gleichgültig iſt (g). Es kann

aber endlich das Geld auch ſo ausgegeben ſeyn, daß da-

von im Vermögen keine Spur übrig geblieben iſt, indem

es der Empfänger verſchenkt, verſpielt, zur Schwelgerey

verwendet hat. Dieſes iſt der einzige Fall, woran Ulpian

denkt (h), und in dieſem Fall ſoll die Condiction durch

doli exceptio ausgeſchloſſen ſeyn. Der Grund liegt darin,

daß die Condictionen überhaupt nur gelten, wenn das Ge-

gebene entweder noch vorhanden iſt, ſey es in ſeiner ur-

ſprünglichen Geſtalt, oder durch Verwandlung in ein an-

deres Vermögensſtück (Note g), oder wenn es durch Do-

lus des Empfängers verſchwunden iſt (§ 150. m). Im

vorliegenden Fall aber iſt ein ſolcher Dolus nicht zu be-

haupten, da der Empfänger, ſelbſt von ſeinem Standpunkt

aus (als Darlehnsſchuldner), das Geld ausgeben durfte;

ein Dolus wäre nur vorhanden, wenn er das Geld ver-

ſchwendet hätte, nachdem ihm der Widerruf des Gebers

(g) L. 65 § 6. 8 de cond. ind.

(12. 6.), L. 26 § 12 eod. „nempe

hoc solum refundere debes,

quod ex pretio habes.” Vergl.

oben § 151.

(h) Ich erkläre alſo hier den

Ausdruck consumserit von Ver-

ſchwendung. Allerdings ſteht er

oft, ja wohl noch häufiger, für

jedes Aufzehren, alſo auch Das-

jenige, wobey ein Vortheil im

Vermögen zurück bleibt. (Vergl.

§ 35 J. de rer. div. 2. 1., L. 65

§ 6 de cond. ind. 12. 6. u. ſ. w.).

Allein gerade bey der Schenkung

wird anderwärts der Ausdruck von

Verſchwendung erklärt (§ 150. o),

und es iſt daher gewiß nicht als

willkührlich zu tadeln, wenn ich

es in dieſer Stelle des Ulpian eben

ſo erkläre, da nur auf dieſe Weiſe

ein Widerſpruch der Stelle mit

unzweifelhaften anderen Regeln

abzuwenden iſt.

11*

|0178 : 164|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

bekannt geworden war. Vielmehr würde jetzt der Geber

in dolo ſeyn, wenn er ſeine frühere Liberalität ſo wenden

wollte, daß der Empfänger durch den ganzen Hergang

poſitiv ärmer würde, da doch die Conſumtion zu einer

Zeit geſchehen iſt, worin ſie dem damals noch unverän-

derten Willen des Gebers völlig gemäß war. Dieſes

Letzte, als den eigentlichen Grund der Entſcheidung, drückt

Ulpian aus in den Worten: quia secundum voluntatem

dantis numi sunt consumti, und es iſt dieſelbe natürliche

Betrachtung, welche von den alten Juriſten auch ſchon

bey der Schenkung unter Ehegatten angewendet worden

iſt (§ 150. u). — Es iſt alſo überhaupt kein nothwendi-

ger Grund vorhanden, in der Beurtheilung dieſes beſon-

deren Falles einen Widerſpruch zwiſchen Julian und Ul-

pian anzunehmen, da Beide in dem wichtigſten Punkt

übereinſtimmen, daß eine gültige Schenkung (und eben ſo

ein gültiges Darlehen) urſprünglich gar nicht vorhanden iſt.

Da, wo die Schenkung auf einem Vertrag beruht,

kann ſie, wie jeder andere, das Vermögen betreffende,

Vertrag eingeſchränkt werden durch Bedingung, Zeit, oder

Modus (§ 116). Für dieſe Beſchränkungen iſt wichtig der

oben angegebene Begriff der perfecta donatio (§ 155).

Vor der Vollendung desjenigen Geſchäfts, worin die Schen-

kung ſichtbar wird, kann der Geber jede willkührliche Ein-

ſchränkung hinzufügen, da er ja ſogar die ganze Schen-

kung noch rückgängig machen kann; nach jenem Zeitpunkt

 

|0179 : 165|

§. 162. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe.

ſteht dieſes nicht mehr in ſeiner Macht (i). — Was das

Einzelne dieſer Beſchränkungen betrifft, ſo ſind nur zwey

Fälle derſelben von ſo durchgreifendem Einfluß, daß da-

durch die Schenkung ſelbſt eine ganz eigenthümliche Ge-

ſtalt annimmt: die mortis causa donatio, welche auf einer

einzelnen Art möglicher Bedingungen beruht, und die do-

natio sub modo im Allgemeinen. Alle übrigen bedingten

Schenkungen, ſo wie die durch Zeit beſchränkten, haben

keine hervorſtechende Eigenthümlichkeit. Die beiden eben

genannten Rechtsinſtitute aber müſſen zu einer abgeſon-

derten Darſtellung am Ende der ganzen Lehre vorbehalten

bleiben, da eine befriedigende Behandlung derſelben erſt

dann möglich iſt, wenn die auf poſitiven Geſetzen beru-

henden Einſchränkungen (insbeſondere die Inſinuation) ab-

gehandelt ſeyn werden.

§. 162.

V. Schenkung. — Einſchränkungen. 1. Verbot unter

Ehegatten.

Die genaue Begränzung des Begriffs der Schenkung

wurde nur nöthig durch drey im poſitiven Recht enthal-

tene Einſchränkungen: eine derſelben beruht auf erſchwe-

renden Formen, eine zweyte auf dem Verbot während der

Ehe, die dritte auf der Widerruflichkeit aus beſonderen

Gründen (§ 142). Für die Darſtellung des neueſten Rechts

iſt es nöthig, die Ordnung der zwey erſten Einſchränkun-

 

(i) L. 4 C. de don. quae sub modo (8. 55.).

|0180 : 166|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

gen umzukehren, und das Verbot unter Ehegatten voran

zu ſtellen, obgleich es eine weit ſpeciellere Natur hat.

Das Verbot der Schenkung unter Ehegatten iſt von

zwey Seiten zu betrachten. Die eine derſelben gehört der

Ehe an; dahin iſt zu rechnen die Feſtſtellung der Gründe,

wodurch das Verbot herbeygeführt worden iſt, welche nur

im Zuſammenhang des Eherechts auf befriedigende Weiſe

unternommen werden kann, und daher hier ausgeſetzt

bleibt (a). Die andere Seite fällt in die allgemeine Lehre

von der Schenkung, welche ohne ſie ganz lückenhaft blei-

ben würde, da ſogar dieſe Anwendung für die Römiſchen

Juriſten faſt die einzige Veranlaſſung geweſen iſt, den

Begriff der Schenkung auszubilden und ſcharf zu begrän-

zen (§ 142).

 

Die allgemeine Bedingung dieſes Verbots beſteht alſo

darin, daß die Schenkung unter Ehegatten, folglich

während einer beſtehenden Ehe, vorgenommen werde. Es

iſt dabey derjenige Begriff der Schenkung zur Anwendung

zu bringen, welcher ſchon oben vollſtändig entwickelt wor-

 

(a) Nur den Widerſpruch muß

ich hier wiederholen gegen die

neuerlich aufgeſtellte Anſicht, nach

welcher dieſes Verbot zuerſt in

der ſtrengen Ehe entſtanden, und

dann in die freye Ehe (worin

wir es jetzt finden) herüber ge-

nommen ſeyn ſoll. Vergl. Sa-

vigny Recht des Beſitzes, Ein-

leitung S. LXVI der 6ten Aus-

gabe. Für die Ehefrau in manu

bedurfte es eben ſo wenig eines

Schenkungsverbots, als für den

Sohn in väterlicher Gewalt; die

Schenkung war für ſich unmög-

lich, weil ſie gar keine denkbare

Wirkung haben konnte. Die Frau

konnte dem Mann nicht ſchen-

ken, weil ſie Nichts hatte, der

Mann ſeiner Frau nicht, weil er

es ſich ſelbſt geſchenkt hätte, in-

dem Alles, was ſie überhaupt er-

warb, in ſein Vermögen kam.

|0181 : 167|

§. 162. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe.

den iſt. Namentlich iſt Veräußerung nöthig, und Berei-

cherung; dieſe Bereicherung muß fortdauernd ſeyn, und

aus der Abſicht des Gebers hervorgehen.

Da die Schenkung während einer Ehe geſchehen ſeyn

muß, damit das Verbot wirken könne, ſo ſind dadurch

zweyerley Fälle ausgeſchloſſen.

 

Erſtlich wenn das Verhältniß des Gebers zum Em-

pfänger überhaupt nicht Ehe iſt. Dahin gehört alſo jedes

geſchlechtliche Verhältniß niederer Art, wie Concubinat

und was noch tiefer ſteht als dieſes (b). Es wäre irrig

anzunehmen, dieſe Verhältniſſe hätten noch weniger An-

ſpruch auf Gültigkeit der Schenkung als die Ehe, weil

ſie geringer ſeyen als dieſe. Denn das Verbot in der

Ehe gründet ſich auf die Befürchtung, daß die Reinheit

und innere Würde derſelben durch Schenkungen gefährdet

werden möchte; bey jenen Verhältniſſen aber iſt Nichts zu

verderben. — Eben dahin gehört, dem Grundſatz nach,

auch jedes Verhältniß, welches von den zuſammen leben-

den Perſonen als Ehe gemeynt iſt, aber aus Rechtsgrün-

den nicht als wahre Ehe angeſehen werden kann (c). In

 

(b) L. 3 § 1 L. 58 pr. § 1

de don. int. vir. (24. 1.), L. 31

pr. L. 5 de don. (39. 5.). —

Eine Ausnahme ſcheint beſtimmt

für die Concubine (focaria) ei-

nes Soldaten, in L. 2 C. de don.

int. vir. (5. 16.). Indeſſen möchte

wohl, in dem beſondern Fall die-

ſer Stelle, die Ungültigkeit der

Schenkung eher in der mangeln-

den Perfection, als in dem per-

ſönlichen Verhältniß der Empfän-

gerin, ihren Grund haben.

(c) L. 3 § 1 de don. int. vir.

(24. 1.). „.. si matrimonium

moribus legibusque nostris con-

stat, donatio non valebit. Sed

si aliquod impedimentum in-

terveniat, ne sit omnino ma-

trimonium, donatio valebit.”

|0182 : 168|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

der Anwendung aber iſt dieſer Grundſatz manchen Modi-

ficationen unterworfen. Zwar wenn das Ehehinderniß

nicht als eigentliches Verbot angeſehen werden kann, wie

z. B. das unreife Alter, iſt die Schenkung, wegen der

Nichtigkeit einer ſolchen Ehe, in der Regel gültig (d); ſie

iſt aber ausnahmsweiſe ungültig, wenn die vermeyntlichen

Ehegatten das Hinderniß nicht kannten: hier jedoch nicht

wegen des Schenkungsverbots (das auf den Fall dieſer

nichtigen Ehe keine Anwendung leidet), ſondern weil man

es nun nicht als reine Schenkung, vielmehr als eine Art

von datum ob causam betrachtet, welches wegen der irri-

gen causa zurückgefordert werden kann (e). — Anders ver-

hält es ſich, wenn das Ehehinderniß auf einem eigentli-

chen Verbote beruht. Zwar paßt auch hier das nur auf

wahre Ehen berechnete Schenkungsverbot unmittelbar nicht.

Es wird aber als unwürdig angeſehen, daß die Schen-

kung bey einer verbotenen Ehe mehr Wirkſamkeit habe,

als bey einer gültigen (f). Daher gilt hier ſtets Zurück-

forderung des Geſchenks. Iſt nun der Geber, welcher

die Rückforderung geltend macht, in Beziehung auf das

(d) L. 65 de don. int. vir.

(24. 1.). — Eben dahin würde der

Fall einer Ehe unter Peregrinen

gehören, die ja auch nicht mori-

bus legibusque nostris constat

(Note c), ohne deshalb verboten

zu ſeyn, d. h. für etwas Schlech-

tes, Verwerfliches zu gelten.

(e) L. 32 § 27 in f. de don.

int. vir. (24. 1.).

(f) L. 3 § 1 de don. int. vir.

(24. 1.) führt nach den in Note c

abgedruckten Worten einige Bey-

ſpiele verbotener Ehen an, und

fährt dann ſo fort: „valebit do-

natio, quia nuptiae non sunt:

sed fas non est, eas donationes

ratas esse: ne melior sit con-

ditio eorum qui deliquerunt.”

|0183 : 169|

§. 162. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe.

vorhandene Verbot, ſchuldlos, ſo behält er das zurückge-

gebene Geſchenk gerade ſo, wie wenn die Ehe gültig, und

deshalb die Schenkung nichtig geweſen wäre (g). Wenn

dagegen der Geber als der Schuldige, in Beziehung auf

das Eheverbot, zu betrachten iſt, ſo wird das Geſchenk

zwar auch zurückgefordert, aber ſo daß es der Fiscus an-

ſtatt des Schuldigen erhält (h).

Zweytens iſt die Schenkung gültig, wenn ſie vor dem

Anfang der Ehe, oder nach dem Ende derſelben (im Fall

der Scheidung) geſchieht. — Die Schenkung vor der Ehe

iſt die donatio ante nuptias, die zunächſt nur beachtet

wurde im Gegenſatz der Schenkung unter Ehegatten, um

hervorzuheben, daß ſie noch nicht unter das, für dieſelben

Perſonen bald nachher eintretende, geſetzliche Verbot falle.

Dieſes war ihre negative Seite; dann wurde aber auch

eine poſitive Eigenthümlichkeit in ihr angenommen, indem

 

(g) L. 7 C. de don. int. vir.

(24. 1.). Hier hatte der Vor-

mund ſeine Mündel zur Ehe ge-

nommen und von ihr ein Ge-

ſchenk erhalten; dieſes ſoll ſie zu-

rück fordern können. In einem

ſolchen Verhältniß nämlich iſt der

Vormund allein der ſtrafbare

Theil, die Frau iſt ſchuldlos.

L. 128 de leg. 1 (30. un.). Eben

ſo würde im Fall verbotener Ver-

wandtſchaft der Geber ſchuldlos

ſeyn, und alſo zurückfordern kön-

nen, wenn er über die Verwandt-

ſchaft in Unwiſſenheit wäre; das

Bewußtſeyn des Empfängers wäre

gleichgültig.

(h) L. 32 § 28 de don int. vir.

(24. 1.). Ehe eines Senators

mit einer Freygelaſſenen, eines

Vormunds mit ſeiner Mündel.

In beiden Fällen wird der Mann

als der Geber vorausgeſetzt, ſonſt

würde die Stelle der in der Note

g angeführten widerſprechen. Der

Mann aber iſt allein der Schul-

dige, nicht blos im Fall des Vor-

munds, ſondern auch des Sena-

tors; denn dieſer verletzt die

Würde ſeines Standes, die Frey-

gelaſſene wird durch die Folgſam-

keit gegen den Patron gerecht-

fertigt.

|0184 : 170|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ſie nicht als reine Schenkung, ſondern zugleich als datum

ob causam behandelt wurde, welches die Folge hat, daß

ſie in den meiſten Fällen zurückgefordert werden kann,

wenn die Ehe nicht zu Stande kommt (i). Zuletzt wurde

ſie in die donatio propter nuptias umgebildet, in welcher

Geſtalt ſie gar nicht mehr die Natur einer Schenkung an

ſich trägt. Daneben aber beſteht noch immer der ur-

ſprüngliche Grundſatz, daß vor dem Anfang der Ehe jede

Schenkung unter den künftigen Ehegatten (auch wenn ſie

nicht die beſonderen Eigenſchaften einer donatio propter

nuptias an ſich trägt) von dem geſetzlichen Verbot nicht

betroffen wird (k). Beſondere Rückſicht verdienen die Fälle,

worin die Schenkung dergeſtalt in verſchiedene Zeitpunkte

fällt, daß ſie in dem einen juriſtiſch begründet wird, in

dem andern in Erfüllung gebracht werden ſoll. Fällt nun

jener erſte Zeitpunkt vor den Anfang der Ehe, die Erfül-

lung aber wird der ſchon vollzogenen Ehe vorbehalten, ſo

iſt das Schenkungsverbot darauf anwendbar (l). Eben ſo

iſt es umgekehrt nicht anwendbar, wenn zwar während

der Ehe die Schenkung juriſtiſch begründet wird, ihre

Wirkſamkeit aber erſt nach aufgelöſter Ehe eintreten ſoll.

Daher iſt unter Ehegatten gültig die mortis causa dona-

(i) L. 15. 16 C. de don. ante

nupt. (5. 3.).

(k) Am Unzweifelhafteſten zeigt

ſich der Unterſchied, wenn die

Braut dem Bräutigam ſchenkt,

welches niemals als propter nup-

tias donatio gedacht werden kann.

Aber auch Geſchenke des Bräu-

tigams können vorkommen, ohne

daß dabey die beſondere Abſicht

der pr. n. donatio zum Grunde

liegt.

(l) L. 32 § 22 de don. int. vir.

(24. 1.).

|0185 : 171|

§. 162. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe.

tio, weil dieſe überhaupt erſt durch den früheren Tod des

Gebers volle Beſtätigung erhält (m). Eben ſo auch die

Schenkung für den Fall einer bevorſtehenden Scheidung,

weil durch die Scheidung, eben ſo wie durch den Tod,

die Ehe aufgelöſt wird (n).

Das Verbot beſchränkt ſich nicht auf die Schenkung

eines Ehegatten unmittelbar an den andern, ſondern es

umfaßt zugleich alle diejenigen Perſonen, mit welchen die

Ehegatten in Vermögenseinheit ſtehen. Der Mann kann

alſo auch nicht ſchenken dem Vater der Frau, wenn ſie

in deſſen Gewalt ſteht, ihren Geſchwiſtern, die mit ihr

in deſſelben Vaters Gewalt leben, desgleichen ihrem Skla-

ven; eben ſo darf er nicht von dieſen Perſonen Geſchenke

annehmen. Auf gleiche Weiſe iſt verboten die Schenkung

 

(m) L. 9 § 2 L. 10 L. 11 pr.

§ 1 de don. int. vir. (24. 1.). Ul-

pian. VII. § 1 ſtellt dieſes als

Ausnahme von dem Schenkungs-

verbot dar, was es ſtreng ge-

nommen nicht iſt. — Andere

Schenkungen von Todes wegen

werden gewöhnlich ſo gemacht,

daß das Eigenthum gleich An-

fangs übergeht; dieſes iſt unter

Ehegatten unmöglich. — In L. 9

§ 2 cit. heißt es: „Inter virum

et uxorem m. c. donationes re-

ceptae sunt.” Das darf nicht

etwa ſo verſtanden werden, als

wären ſie früher auch verboten

geweſen, und erſt ſpäter zugelaſ-

ſen worden; dieſer Annahme wi-

derſpricht theils der allgemeine,

durchgreifende Grund ihrer Gül-

tigkeit, theils der Umſtand, daß

ganz derſelbe Ausdruck (receptum

est) für das Verbot unter Ehe-

gatten überhaupt gebraucht wird.

L. 1 eod.

(n) L. 11 § 11 L. 12 L. 60

§ 1 L. 61 L. 62 pr. de don. int.

vir. (24. 1.). Der Unterſchied

von der m. c. donatio liegt darin,

daß dieſe in Beziehung auf den

Tod überhaupt (nicht blos auf

eine beſtimmte Todesgefahr) ge-

ſchehen kann, jene dagegen nur

mit Hinſicht auf die wirklich be-

vorſtehende Scheidung, nicht auf

die allgemeine Möglichkeit einer

ſolchen überhaupt. — Auch dieſen

Fall behandelt Ulpian. VII. § 1

als Ausnahme von dem Verbot.

|0186 : 172|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

zwiſchen der Frau und des Mannes Vater, Geſchwiſtern,

Sklaven; hier kommt noch hinzu die Schenkung der Frau

an ihre eigenen Kinder, ſo lange dieſe in des Mannes

Gewalt ſtehen. Endlich iſt auch jede wechſelſeitige Schen-

kung unter den hier genannten Perſonen verboten, ſo daß

alſo der Vater des Mannes dem Vater der Frau nicht

ſchenken kann, und umgekehrt (o).

§. 163.

V. Schenkung. — Einſchränkungen. 1. Verbot unter

Ehegatten. (Fortſetzung.)

Die allgemeine Wirkung dieſes Verbots beſteht darin,

daß jede Handlung, welche zur Vollziehung einer ſolchen

verbotenen Schenkung dienen ſoll, als nicht geſchehen

 

(o) L. 3 § 2 — 6 L. 32 § 16

de don. int. vir. (24. 1.). Fragm.

Vatic. § 269. — Dieſe ungemeine

Ausdehnung des Verbots beruht

großentheils auf dem, durch Ju-

ſtinian ſehr beſchränkten Grund-

ſatz des alten Rechts, daß die

Kinder dem Vater erwerben, und

ſie kann daher im neueſten Recht

nur theilweiſe zur Anwendung

kommen. Wenn die Frau ihrem

Sohne ſchenkt, ſo iſt das nicht

mehr eine mittelbare Schenkung

an den Mann, außer inſofern

dieſer den Niesbrauch erwirbt;

daher kann nur dieſer Niesbrauch

nicht gelten, d. h. das Geſchenk

verwandelt ſich von ſelbſt in ein

ſogenanntes peculium adventi-

tium extraordinarium. Eben

ſo bey der Schenkung an die Brü-

der des Mannes. Nicht ſo bey

der an den Schwiegervater. Denn

hier gründet ſich auch ſchon nach

altem Recht das Verbot lediglich

in der (oft factiſch ſehr ſicheren)

Ausſicht des Mannes auf ſeines

Vaters Erbſchaft; hierin aber hat

Juſtinian Nichts geändert. — Da,

wo nach heutigem Recht die vä-

terliche Gewalt durch die Ehe des

Kindes aufgehoben wird, kann

ohnehin nicht mehr von jenen Aus-

dehnungen des Verbots auf El-

tern und Geſchwiſter die Rede

ſeyn. Stryk XXIV. 1 § 2.

|0187 : 173|

§. 163. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe. (Fortſetzung.)

betrachtet wird; das heißt, es gilt hier abſolute Nulli-

tät (a).

Die Tradition alſo, und eben ſo im älteren Recht die

Mancipation, überträgt in dieſem Fall kein Eigenthum

(Note a). Eben ſo entſteht daraus, wenn der Geber ſelbſt

das Eigenthum nicht hat, keine Uſucapion (b). Beruht

die Tradition auf einem negotium mixtum cum donatione

(§ 154), ſo daß ſie nur theilweiſe Schenkung iſt, ſo ent-

ſteht durch ſie ein getheiltes Eigenthum (c).

 

Sollte die Schenkung in einer übernommenen Obliga-

tion beſtehen, ſo iſt dieſe ganz nichtig. Wird nachher aus

dieſer Obligation Zahlung geleiſtet, ſo würde Dieſes ei-

gentlich keine Schenkung, ſondern bloße Schuldenzahlung

ſeyn (§ 157. a. b). Da aber die Schuld nichtig iſt, ſo

iſt es dennoch wieder eine neue Schenkung, und daher

gleichfalls nichtig.

 

Sollte die Schenkung durch einen Erlaßvertrag (wie

Acceptilation) bewirkt werden, ſo gilt dieſer gleichfalls als

 

(a) L. 3 § 10 de don. int. vir.

(24. 1.). (Ulpian. lib. 32 ad Sab.).

„Sciendum autem est, ita in-

terdictam inter virum et uxo-

rem donationem, ut ipso jure

nihil valeat quod actum est.

Proinde, si corpus sit quod

donatur, nec traditio quicquam

valet. Et si stipulanti promis-

sum sit, vel accepto latum, ni-

hil valet. Ipso enim jure, quae

inter virum et uxorem dona-

tionis causa geruntur, nullius

momenti sunt.” — Eben ſo ſagt

Papinian, indem er von einer

nicht zur Wirkſamkeit gekomme-

nen m. c. donatio ſpricht, in

L. 52 § 1 eod. „nam quo casu

inter exteros condictio nasci-

tur, inter maritos nihil agitur.”

(b) L. 1 § 2 pro donato

(41. 6.).

(c) L. 31 § 3 de don. int. vir.

(24. 1.).

|0188 : 174|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

nicht geſchloſſen, das heißt die Schuld dauert unverändert

fort (Note a).

Dieſe Regeln gelten für beide Ehegatten gleichmäßig.

Dennoch zeigt ſich ihr Einfluß durchgreifender bey den

Schenkungen des Mannes an die Frau, als im umgekehr-

ten Fall. Alles, was der Mann ſeiner Frau unentgeld-

lich giebt, hat von ſelbſt die Natur einer Schenkung, und

iſt der angegebenen Nichtigkeit unterworfen. Die Frau

kann ſtets ihr ganzes Vermögen unentgeldlich dem Mann

überlaſſen, und dieſes iſt völlig gültig, ſo bald es zum

Zweck einer Dos geſchieht. Allerdings iſt nun dieſe keine

Schenkung, aber der Unterſchied ſcheint mehr im Namen

als in der Sache zu liegen. Denn der Mann bekommt

an einer ſolchen Dos ſogleich Eigenthum und Fruchtge-

nuß, zunächſt alſo dieſelben Rechte und Vortheile, die ihm

auch eine Schenkung verſchaffen könnte. Der praktiſche

Sinn dieſes, auch an die Frau gerichteten, Verbots be-

ſteht alſo darin, daß ſie dem Mann nicht ſoll Vermögen

anders unentgeldlich zuwenden können, als nach den für

die Dos geltenden eigenthümlichen Regeln, das heißt haupt-

ſächlich nicht anders, als ſo daß das Gegebene am Ende

der Ehe auf die Frau ſelbſt oder ihre Erben zurück falle (d).

 

(d) Nach dem älteren Recht

nur auf ſie ſelbſt, nach dem neue-

ren auch auf ihre Erben, ſo daß

alſo nunmehr der praktiſche Un-

terſchied der Dos von einer Schen-

kung der Frau an den Mann

noch ſtärker hervortritt, als im

älteren Recht. — Dieſer Rückfall

ſoll auch nicht etwa blos in der

Regel eintreten, mit Vorbehalt

abweichender willkührlicher Be-

ſtimmungen; vielmehr ſind ſolche

abweichende Verträge ungültig,

außer wenn ſie mit Rückſicht auf

|0189 : 175|

§. 163. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe. (Fortſetzung.)

Wenn zu der Schenkung zwiſchen Ehegatten Rechts-

geſchäfte mit fremden Perſonen angewendet werden (§ 158),

ſo entſteht die Frage, ob die im Allgemeinen ausgeſpro-

chene Nichtigkeit auch auf dieſe Rechtsgeſchäfte mit zu be-

ziehen iſt, obgleich jene fremde Perſonen weder als Geber,

noch als Empfänger, betrachtet werden können, alſo über-

haupt in gar keinem Schenkungsverhältniß ſtehen. Den-

noch muß auch hier die Nichtigkeit im Allgemeinen be-

hauptet werden (e); die genauere Ausführung dieſer Frage

aber iſt in der Beylage X. verſucht worden.

 

Es ſind nun noch die Rechtsmittel anzugeben, wodurch

dieſe Nichtigkeit der Schenkung unter Ehegatten zur Aus-

führung gebracht wird. Für viele Fälle bedarf es ſolcher

Rechtsmittel gar nicht; bey der Schenkung durch Stipu-

lation, wie durch Acceptilation, genügt die bloße Nichtig-

keit an ſich, indem durch die Stipulation keine Obligation

entſteht, durch die Acceptilation die urſprüngliche Obli-

gation nicht aufgehoben oder geſchwächt wird. Es bedarf

eines beſonderen Rechtsmittels nur da, wo zum Nachtheil

des Gebers irgend eine Veränderung bereits eingetreten

iſt, deren Folgen jetzt wieder aufgehoben werden ſollen.

 

Für dieſen Zweck gelten zwey Rechtsmittel: eine Vin-

dication, wenn die geſchenkte Sache noch vorhanden iſt,

ſo daß blos der Beſitz dem Geber fehlt; eine Condiction,

 

Kinder dieſer Ehe geſchloſſen wer-

den. L. 16. 27 de pactis dot.

(23. 4.), L. 1 § 1 de dote prae-

leg. (33. 4.).

(e) L. 3 § 10 L. 5 § 3. 4 L. 39

de don. int. vir. (24. 1.).

|0190 : 176|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

wenn ſich bey dem Empfänger nicht mehr die Sache ſelbſt,

wohl aber der Werth derſelben vorfindet (f).

Bey der Vindication iſt eine eigenthümliche Ausdeh-

nung zu bemerken. Sind Baumaterialien geſchenkt, welche

ſich auf einem Grundſtück des Empfängers verbaut finden,

ſo darf der Geber dieſelben, gegen die in anderen Fällen

geltende Regel, aus dem Gebäude herausnehmen, wenn

es nur ohne Beſchädigung geſchehen kann. Dagegen fällt

nun auch die actio tigni juncti auf den doppelten Werth

hinweg (g). Daß die Vindication auch gegen jeden dritten

Beſitzer der geſchenkten Sache geht, liegt in der allgemei-

nen Natur dieſer Klage.

 

Die Condiction kann als sine causa, aber auch als

ex injusta causa bezeichnet werden, da hier beide Benen-

nungen gleichmäßig anwendbar ſind (h). Denn die factiſch

vorhandene donationis causa ſteht mit einer abſoluten

Rechtsregel im Widerſpruch (injusta causa), und hat da-

 

(f) L. 5 § 18 de don. int. vir.

(24. 1.). „In donationibus au-

tem jure civili impeditis hacte-

nus revocatur donum … ut, si

quidem exstet res, vindicetur:

si consumta sit, condicatur,

hactenus quatenus locupletior

quis eorum factus est.” L. 36

pr. eod. „Si donatae res ex-

stant, etiam vindicari pote-

runt.” L. un. § 5 C. de r. u. a.

(5. 13.). „.. cum sit donatori

facultas, per actionem in rem

directam, vel per utilem, vel

per condictionem suo juri me-

deri?”

(g) L. 63 L. 45 de don. int.

vir. (24. 1.), L. 43 § 1 de leg. 1

(30. un.). — In L. 63 cit. muß

mit der Vulgata geleſen werden:

quamvis nulla actio est …

quia Decemviros … Die Flo-

rentina hat beide Partikeln irri-

gerweiſe umgeſtellt. — Das Ganze

iſt jedoch nur eine Begünſtigung

des Gebers, ſo daß er gewiß auch

den Werth condiciren kann, wenn

er es vorzieht.

(h) L. 6 de don. int. vir. (24. 1.).

|0191 : 177|

§. 163. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe. (Fortſetzung.)

her kein juriſtiſches Daſeyn (sine causa). Sie geht auf

die in dem Vermögen des Empfängers fortwährend vor-

handene Bereicherung (Note f). Wie dieſe Bereicherung

zu beurtheilen iſt, insbeſondere wenn ein wiederholter Um-

ſatz von Vermögensſtücken Statt gefunden hat, iſt oben

(§ 149 — 151) beſtimmt worden. Iſt entweder das Da-

ſeyn, oder der Umfang der fortwährenden Bereicherung

ſtreitig, ſo trifft die Beweislaſt den Beklagten. Denn die

urſprüngliche Bereicherung iſt ſtets unzweifelhaft, der Be-

klagte aber behauptet die Aufhebung oder Verminderung

derſelben durch eine ſpätere Thatſache, welche er daher

beweiſen muß. — In wiefern die Klage auch auf die

Früchte der geſchenkten Sache gerichtet werden kann, iſt

ſchon oben unterſucht worden (§ 147).

Die Klage gilt unter den Ehegatten ſelbſt, nur wenn

unter ihnen auch die Schenkung vorgekommen war. Hatte

dieſe unter anderen Perſonen Statt gefunden, deren per-

ſönliches Verhältniß zu den Ehegatten dieſelbe unzuläſſig

machte (§ 162), ſo gilt die Klage zwiſchen dem Geber

und dem Empfänger (i). Das Geſchenk alſo, das der

Mann ſeinem Schwiegervater gab, hat er von dieſem zu-

rück zu fordern, nicht von der Frau.

 

Eine beſondere Begünſtigung der Rückforderung gilt

für den Fall, wenn das geſchenkte Geld zum Ankauf einer

noch jetzt vorräthigen Sache verwendet wurde, der Em-

pfänger aber inſolvent geworden iſt. Hier kann die ge-

 

(i) L. 32 § 16. 20 de don. int. vir. (24. 1.).

IV. 12

|0192 : 178|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

kaufte Sache mit einer utilis vindicatio eingeklagt wer-

den (k).

Außer dieſen Klagen hatte der ſchenkende Ehemann im

älteren Recht noch ein beſonderes Rechtsmittel. Er konnte

am Ende der Ehe, wenn ihm die Dos abgefordert wurde,

dieſe als Pfand zurück behalten bis ihm die an die Frau

gemachten Geſchenke zurückgegeben waren (l). Juſtinian

hat dieſe Retention, ſo wie alle übrigen, aufgehoben (m).

 

Es giebt jedoch eine Anzahl von Fällen, worin aus-

nahmsweiſe die Schenkung unter Ehegatten aufrecht er-

halten wird: bald indem ſie gleich Anfangs als gültig an-

zuſehen iſt, bald indem ſie durch ſpätere Thatſachen be-

ſtätigt wird (n).

 

So iſt von dem Verbot im Römiſchen Recht ganz aus-

genommen jede Schenkung zwiſchen dem Kaiſer und der

 

(k) L. 55 in f. de don. int.

vir. (24. 1.). „.. Sed nihil pro-

hibet, etiam in rem utilem mu-

lieri in ipsas res accommoda-

re.” Hieraus erklärt ſich die in

L. un. § 5 C. de rei ux. act.

erwähnte utilis in rem actio

(Note f).

(l) Ulpian. VI. § 9. „Reten-

tiones ex dote fiunt … aut

propter res donatas.” Hieran

ſchließt ſich, als Erklärung und

weitere Ausführung jener Worte,

VII. § 1.

(m) L. un. § 5 C. de rei ux.

act. (5. 13.). Die Aufhebung be-

zieht ſich hier, wie in den ande-

ren Fällen, nur auf die retentio

pignoris loco. Wo die gewöhn-

liche Compenſation eintreten kann,

durch Abrechnung von Geld ge-

gen Geld, iſt durch jenes Geſetz

Nichts geändert.

(n) Unter dieſe Fälle wahrer

Ausnahmen von dem Schenkungs-

verbot gehört nicht die Schenkung

eines Sklaven manumissionis

causa, weil es keine wahre Schen-

kung iſt (§ 150 Note d bis h).

Eben ſo nicht die mortis causa

und divortii causa donatio

(§ 162), weil dieſe zwar wahre

Schenkungen ſind, aber erſt nach

aufgelöſter Ehe gültig und wirk-

ſam werden.

|0193 : 179|

§. 163. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe. (Fortſetzung.)

Kaiſerin (o). — Ferner die Schenkung, wodurch die Wie-

derherſtellung eines abgebrannten Hauſes bewirkt werden

ſoll (p). — Dann die Schenkung der Frau an den Mann,

damit dieſer gewiſſe Ehrenrechte zu erlangen fähig werde:

namentlich um ihm den Cenſus der Ritter oder der Se-

natoren zu verſchaffen, oder damit er die mit gewiſſen

Magiſtraturen verknüpften öffentlichen Spiele beſorgen

könne (q). — Erlaubt iſt ferner die Schenkung, die einem

zur Deportation verurtheilten Ehegatten gemacht wird,

oder umgekehrt (r). Im erſten Fall zwar kann dieſes be-

trachtet werden als eine, erſt nach aufgelöſter Civilehe

zu erfüllende Schenkung, die ſchon an ſich gültig iſt (s);

im zweyten Fall aber hat es die beſondere Bedeutung,

daß nicht der Fiscus, an der Stelle des Gebers, das Ge-

ſchenk ſoll zurück fordern können (t).

(o) L. 26 C. de don. int. vir.

(5. 16.).

(p) L. 14 de don. int. vir.

(24. 1.). Genannt iſt hier nur

die Schenkung des Mannes an

die Frau; gewiß aber iſt die um-

gekehrte Schenkung nicht weni-

ger gültig.

(q) Ulpian. VII. § 1, L. 40.

41. 42 de don. int. vir. (24. 1.).

Als Ausnahme tritt es nur her-

vor, ſo lange das Geſchenk vor-

räthig iſt, ſo z. B. bey dem für

den Ritterſtand nöthigen Vermö-

gen, oder bey dem Geld für die

Spiele vor deſſen wirklicher Ver-

wendung. Iſt das Geld ausge-

geben, ſo fällt ohnehin die Klage

weg durch Conſumtion. Auf ei-

nen ſolchen Fall geht L. 21 C.

de don. int. vir. (5. 16).

(r) L. 43 de don. int. vir.

(24. 1.), L. 13 § 1 eod. In die-

ſer letzten Stelle werden Fälle

von beiderley Art erwähnt.

(s) Vgl. oben § 162. m. n. —

Nämlich der Deportirte wurde

Peregrinus, wodurch die Ehe zu

einer ſolchen wurde, auf welche

das Verbot überhaupt nicht mehr

paßte. § 162. d.

(t) Der Fiscus ſuccedirt dem

Deportirten per universitatem,

kann alſo in der Regel alle Kla-

gen anſtellen, die Jener vor der

Deportation ſelbſt anſtellen konn-

12*

|0194 : 180|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Emſtehung und Untergang.

Eine beſonders wichtige Ausnahme des Verbots be-

ruht auf einer eigenen Art von Compenſation. Wenn der

Mann ein Geſchenk der Frau verſchwendet, ſo fällt da-

für jede Rückforderung weg, weil er nicht reicher iſt.

Schenkt er ihr nun wieder, und ſie behält das Geſchenk,

ſo müßte er es zurück fordern können, weil ſie durch daſ-

ſelbe reicher iſt. Hier aber wird die Rückforderung durch

Compenſation mit der gegenſeitigen Schenkung ausgeſchloſ-

ſen, obgleich dieſe nicht mehr zurück gefordert werden

konnte (u).

 

§. 164.

V. Schenkung. — Einſchränkungen. 1. Verbot unter

Ehegatten. (Fortſetzung.)

Die wichtigſte Ausnahme endlich von dem Verbot ei-

ner ſolchen Schenkung iſt durch den Senatsſchluß vom

J. 206 eingeführt worden (§ 150). Dieſer wird bald dem

K. Severus zugeſchrieben, weil dieſer damals der Haupt-

kaiſer war (a), bald dem K. Caracalla, welcher, als Mit-

regent, den Antrag dazu in den Senat brachte (b), bald

 

te; alſo auch die Vindication oder

Coudiction auf das dem Ehegat-

ten gemachte Geſchenk, wenn nicht

dieſe Klagen durch die beſondere

Ausnahme ausgeſchloſſen wären.

(u) L 7 § 2 de don. int. vir.

(24. 1.).

(a) „oratio D. Severi.” L. 23

de don. int. vir. (24. 1.) von

Papinian; L. 10 C. eod. (5. 16.)

von K. Gordian; Fragm. Vat.

§ 276 von K. Diocletian.

(b) L. 32 pr. de don. int. vir.

(24. 1.) von Ulpian: „Cum hic

status esset donationum inter

virum et uxorem, quem antea

retulimus, Imp. noster Antoni-

nus Augustus, ante excessum

D. Severi patris sui, auctor fuit

Senatui censendi, Fulvio Aemi-

|0195 : 181|

§. 164. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe. (Fortſetzung.)

beiden Kaiſern gemeinſchaftlich (c); jede dieſer Bezeichnun-

gen konnte als richtig gelten, und keine derſelben deutet

auf zwey verſchiedene Senatsſchlüſſe.

Nach dieſem Senatsſchluß wird die Schenkung unter

Ehegatten gültig und wirkſam, ſobald der Geber in der

Ehe ſtirbt, ohne einen Widerruf ausgeſprochen zu haben.

Man ſieht es nun ſo an, als hätte der Geber eine mor-

tis causa donatio im Sinn gehabt, das heißt in beſtimm-

ter Hinſicht auf ſeinen künftigen Tod in der Ehe geſchenkt;

da nun eine ſolche Schenkung unter Ehegatten ſchon in

früherer Zeit als gültig anerkannt wurde, jedoch ſo daß

ſie erſt im Augenblick des Todes wirken ſollte (§ 162. m),

ſo wurde nunmehr dieſelbe Behandlung auf jede, auch

ohne Erwähnung des Todes vorgenommene, Schenkung

unter Ehegatten angewendet, wenn nur der Geber in der

Ehe ſtarb, ohne ſeinen Willen geändert zu haben. Dieſe

Aufrechthaltung der erwähnten Schenkung durch die Fiction

einer (ohnehin gültigen) mortis causa donatio erhellt zu-

nächſt aus einigen Stellen, worin geradezu von der m. c.

donatio auf unſren Fall der Schenkung Folgerungen an-

gewendet werden (d); außerdem auch noch aus einer Stelle

 

liano et Nummio Coss., ut ali-

quid laxaret ex juris rigore.”

Eben ſo (or. Imp. nostri, Imp.

nostri Antonini Aug.) L. 32 § 1

L. 3 pr. eod.

(c) L. 3 C. de don. int. vir.

(24. 1.) von Caracalla: „et ex

mea et ex D. Severi patris mei

constitutione.” Fragm. Vatic.

§ 294 von Papinian: „.. quod

vir uxori dedit, morte soluto

matrimonio, si voluntas perse-

veravit, fini decimarum auferre

non oportere maximi princi-

pes nostri suaserunt, et ita

Senatus censuit.”

(d) L. 32 § 7. 8 de don. int.

vir. (24. 1.). — Es liegt alſo da-

|0196 : 182|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

des Papinian, nach welcher dieſe Schenkung ſoll unan-

fechtbar ſeyn fini decimarum (Note c). Das will ſagen,

vor dem Senatsſchluß konnten die Erben das ganze Ge-

ſchenk zurückfordern, weil es nichtig gegeben war. Jetzt

haben zwar die Erben gar kein Recht mehr, darum wird

aber doch nicht gerade das ganze Geſchenk aufrecht erhal-

ten. Denn indem nun die Schenkung, um gültig zu ſeyn,

die Natur einer m. c. donatio annimmt, wird ſie auch

allen Beſchränkungen derſelben unterworfen. So wie alſo

die m. c. donatio überhaupt, einem Legate ähnlich, von

der Capacität des Empfängers abhängt (e), muß dieſes

auch von der durch den Tod beſtätigten Schenkung unter

Ehegatten gelten. Sie iſt daher nur gültig innerhalb der

von der L. Julia vorgeſchriebenen Gränze der decimae (f)

Dieſe Beſtätigung wird aber unmöglich, wenn die Ehe

 

bey die natürliche Annahme zum

Grunde, der Geber möchte wohl

die Schenkung gemacht haben, um,

für den Fall ſeines eigenen To-

des, die Verſorgung des Empfän-

gers vollſtändiger zu ſichern. Ein

ſolcher vorſorglicher Gedanke iſt

gewiß der Natur des ehelichen

Verhältniſſes ſehr angemeſſen.

(e) Vgl. unten § 173. b.

(f) Ulpian. XV. — Das fini

decimarum auferre non opor-

tere (Note c) heißt alſo: bis an

die durch die decimae beſtimmte

Gränze ſoll dem überlebenden

Ehegatten das Geſchenk Niemand

entziehen können. Was dieſe

Gränze überſchreitet, wird ihm

zwar nicht mehr als nichtige Schen-

kung von den Erben entriſſen,

wohl aber als caducum von den

liberos habentes oder dem Fis-

cus. — Denſelben Sinn, wie je-

nes fini decimarum, hatten ur-

ſprünglich die Worte der L. 32

§ 24 de don. int. vir. (24. 1.)

„quae tamen in commune te-

nuerunt, fine praestituto revo-

canda non sunt.” In Juſtini-

ans Digeſten haben dieſe Worte

den trivialen Sinn: „nach den

in dem Societätscontract enthal-

tenen Beſtimmungen.“ (Vergl.

§ 154. k).

|0197 : 183|

§. 164. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe. (Fortſetzung.)

auf andere Weiſe, als durch des Gebers Tod, getrennt

wird, nämlich durch den früheren Tod des Empfängers

oder durch Scheidung; nun wirkt die Nichtigkeit in aller

Strenge des früheren Rechts, und es iſt höchſtens eine

neue Schenkung möglich (g). Der gleichzeitige Tod bei-

der Ehegatten gilt jedoch als Beſtätigung ihrer wechſelſei-

tigen Schenkungen (h).

Die Beſtätigung wird auch verhindert, wenn der Ge-

ber vor ſeinem Tod die Schenkung widerrufen hat. Dazu

iſt nicht etwa die Anſtellung einer Klage erforderlich, jede

formloſe Willenserklärung genügt, wird jedoch auch durch

eine neue Willensänderung entkräftet. Es entſcheidet alſo

derjenige Wille, der als zuletzt vorhanden nachgewieſen

werden kann (i).

 

Tritt die Beſtätigung ein, ſo wird die Wirkung zu-

rückgeführt auf die Zeit des gegebenen Geſchenks, ſo daß

nunmehr Alles ſo behandelt wird, als ob die Schenkung

gleich Anfangs gültig geweſen wäre (i¹).

 

Bey dieſer Beſtätigung der Schenkung durch den Tod

des Gebers hat ſich folgende Streitfrage von der Zeit der

 

(g) L. 32 § 10 de don. int.

vir. (24. 1.). Bey der ungülti-

gen Schenkung der Schwiegerel-

tern u. ſ. w. iſt bald der Tod des

Gebers allein, bald auch der des

einen Ehegatten zur Beſtätigung

erforderlich. L. 32 § 16. 20 de

don. int. vir. (24. 1.).

(h) L. 32 § 14 de don. int.

vir. (24. 1.), L. 8 de reb. dub.

(34. 5.).

(i) L. 32 § 2. 3. 4 de don. int.

vir. (24. 1.), L. 18 C. eod. (5. 16.).

(i¹) L. 25 C. de don. int. vir.

(5. 16.). Auch dieſes iſt eine Folge

der Gleichſtellung mit der m. c.

donatio, da bey dieſer in der

Regel eine gleiche Zurückführung

der Gültigkeit eintritt (§ 170).

|0198 : 184|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Gloſſatoren an bis auf unſere Tage fortgepflanzt. Die

Einen laſſen ſie allgemein gelten, ohne Unterſchied der

Schenkungsmittel: die Anderen nur für die durch Tradi-

tion einer Sache bewirkte Schenkung, nicht für andere

Fälle, namentlich nicht für die Schenkung durch obliga-

toriſchen Vertrag (k).

Die allgemeine Anwendbarkeit, die ich für richtig halte,

iſt in folgenden Stellen des Ulpian auf ſo beſtimmte Weiſe,

ohne Zuſatz irgend eines Zweifels, anerkannt, daß ſie

völlig herrſchend geworden ſeyn muß, wenn auch früher

irgend ein Widerſpruch verſucht ſeyn ſollte.

 

L. 32 § 1 de don. int. vir. (24. 1.). (Ulp. lib. 33 ad Sab.).

Oratio .. pertinet … ad omnes donationes inter vi-

rum et uxorem factas: ut et ipso jure res fiant ejus

cui donatae sunt, et obligatio sit civilis(l).

Noch beſtimmter im § 23 derſelben Stelle: Sive autem

res fuit, quae donata est, sive obligatio remissa, po-

test dici donationem effectum habere … et genera-

(k) Die älteren Schriftſteller

finden ſich angegeben bey Glück

B. 25 S 431 — 435 B. 26 S. 105

— 122 S. 214 — 216 und Schul-

ting notae ad Digesta T. 4

p. 300. 304. — Neuere Schriftſtel-

ler: Wächter, Archiv für civil.

Praxis B. 16 S. 107 — 124 (ge-

gen die allgemeine Anwendung),

Löhr ebendaſelbſt S. 233—242,

Puchta, Rhein. Muſeum B. 6

S. 370—385 (Beide für die all-

gemeine Anwendung).

(l) Für den unbefangenen Le-

ſer können dieſe Worte unmög-

lich etwas Anderes heißen, als:

ſo daß ſowohl die Tradition, als

die Stipulation ipso jure Gül-

tigkeit erlangen, die bis zum Au-

genblick des Todes nichtig waren.

Es iſt unglaublich, welche ge-

zwungene Erklärungen verſucht

worden ſind, um den in den

Worten obligatio sit civilis lie-

genden entſcheidenden Beweis zu

beſeitigen.

|0199 : 185|

§. 164. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe. (Fortſetzung.)

liter universae donationes, quas impediri diximus, ex

oratione valebunt.

Dieſes Letzte ſagt derſelbe Ulpian, welcher kurz zuvor

in demſelben Werk geſagt hatte, unter Ehegatten ſeyen

alle Schenkungen nichtig, ſie möchten durch Traditionen

verſucht ſeyn, oder durch Stipulationen, oder durch Ac-

ceptilationen (§ 163. a); durch dieſe kurz vorhergehende

Stelle erhalten die Worte: universae donationes quas im-

pediri diximus ihren unzweifelhaften Sinn. — Unmittel-

bar auf die zuletzt angeführte Stelle folgt die Erwähnung

der societas und der emtio donationis causa contracta (m);

hier, heißt es, hindere meiſt ſchon die Natur der Socie-

tät oder des Kaufs die Gültigkeit des Geſchäfts, ohne

Rückſicht auf die Ehe, und dagegen könne auch der Se-

natsſchluß nicht ſchützen; wo aber jener allgemeinere Grund

nicht im Wege ſtehe, da wirke allerdings auch der Se-

natsſchluß beſtätigend ein. Hierin liegt ein entſcheidender

Beweis, daß der Senatsſchluß an ſich auf obligatoriſche

Verträge eben ſo anwendbar war, als auf Traditionen.

— In der folgenden Stelle (L. 33 eod.) macht Ulpian

eine Anwendung dieſer Regeln auf den beſonderen Fall,

wenn der Mann ſeiner Frau ein Jahrgeld durch Stipula-

tion verſpreche, oder umgekehrt die Frau dem Mann.

Auch dieſe Schenkung, ſagt er, wird durch den Senats-

ſchluß beſtätigt. Durch dieſe Anwendung werden die vor-

her angeführten allgemeinen Ausſprüche nur noch unzwei-

 

(m) Sehr gut hat dieſen Punkt hervorgehoben Puchta S. 375.

|0200 : 186|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

felhafter gemacht. Die Gegner der allgemeinen Anwen-

dung haben oft ſeltſamerweiſe die letzte Stelle als das

einzige vorhandene Zeugniß angeſehen, und nun die will-

kührlichſten Behauptungen aufgeſtellt um zu erklären,

warum gerade die Stipulation eines Jahrgeldes ein ganz

beſonderes Recht haben müſſe. Hätten ſie den hier dar-

geſtellten inneren Zuſammenhang beider Stellen des Ulpian

erwogen, ſo würde ihnen die Fruchtloſigkeit dieſer ihrer

Bemühung nicht entgangen ſeyn, da ſelbſt die gelungenſte

Beſeitigung der L. 33 cit. ihre Meynung um Nichts wei-

ter bringen konnte.

In einem Reſcript des K. Alexander (n) wird der Fall

beurtheilt, da ein Mann ſeine Frau dadurch beſchenken

wollte, daß er die Summe der urſprünglich empfangnen

Dos in einer ſpäterhin, während der Ehe, ausgeſtellten

Urkunde höher angab als ſie wirklich war (Quod de suo

.. in dotem adscripsit). Der Kaiſer ſagt, dieſe Schen-

kung, wenn ſie nicht widerrufen ſey, werde durch den

Tod beſtätigt, vorausgeſetzt nur daß ſie durch irgend ein

bindendes Rechtsgeſchäft perfect geworden ſey (donationem

legitime confectam … quatenus liberalitas interposita mu-

nita est). Er fordert alſo nicht Tradition (welches nach

der Meynung der Gegner geſchehen mußte), ſondern irgend

eine nach allgemeinen Regeln gültige Perfection, indem

das bloße adscribere allerdings nicht hinreichen konnte.

Die Form der Stipulation war alſo in dem vorliegenden

 

(n) L. 2 C. de dote cauta (5. 15.).

|0201 : 187|

§. 164. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe. (Fortſetzung.)

Fall nicht ausgeſchloſſen, ja ſie war ſo ſehr die natür-

lichſte und angemeſſenſte, daß ſie vor allen hier als an-

gewendet vorausgeſetzt werden kann (o).

Dieſen Zeugniſſen ſteht nun allerdings folgende bedenk-

liche, gleichfalls von Ulpian herrührende, Stelle entgegen.

 

L. 23 de don. int. vir. (24. 1.). (Ulpian. lib. 6 ad Sab.).

Papinianus recte putabat, orationem D. Severi ad

rerum donationem pertinere: denique si stipulanti

spopondisset uxori suae, non putabat conveniri posse

heredem mariti, licet durante voluntate maritus de-

cesserit(p).

Stände nicht das recte, als Zuſtimmung des Ulpian,

dabey, ſo wäre Alles ganz einfach. Es wäre die blos

hiſtoriſche Erwähnung, daß einmal Papinian die Anwend-

barkeit des Senatsſchluſſes auf Stipulationen bezweifelt

habe, die jedoch bald nachher allgemeine Anerkennung erhielt.

Betrachten wir zuerſt die inneren Gründe für beide entge-

genſtehende Meynungen, indem wir auf einen Augenblick

jene Zuſtimmung auf ſich beruhen laſſen. Papinian konnte

zu der beſchränkteren Anwendung beſtimmt werden durch

die im Senatsſchluß gebrauchten Worte: heredem vero

 

(o) Man müßte außerdem ſehr

gezwungnerweiſe annehmen, die

Sachen ſeyen zuerſt der Frau

tradirt, und dann von ihr an

den Mann zurückgegeben worden.

Viel einfacher war es, die ur-

ſprüngliche dotis stipulatio, auf

dem Weg einer Novation, durch

eine neue zu erſetzen, und dieſe

ſogleich auf eine höhere Summe

zu richten. Vgl. Puchta S. 377.

(p) Ganz auf ähnliche Weiſe,

nur weniger ſcharf beſtimmt, ſagt

anderwärts derſelbe Papinian:

quod vir uxori dedit (ſ. oben

Note c).

|0202 : 188|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

eripere … durum et avarum esse (q), die allerdings,

buchſtäblich genommen, auf das Entreißen eines ſchon in

Beſitz genommenen Gutes zu deuten ſchienen. Weit ent-

ſcheidender jedoch für die entgegengeſetzte Meynung war

die Zurückführung des ganzen Falles auf die Fiction ei-

ner mortis causa donatio. Dieſe aber bezweifelte ſelbſt

Papinian nicht, da er die Gränzen der Capacität in An-

wendung brachte (Note c. f). Da nun die mortis causa do-

natio durch Stipulation ſo gut, als durch Tradition be-

wirkt werden konnte, welches ſelbſt Papinian anerkann-

te (r), ſo war es conſequent, auch die gewöhnliche Schen-

kung unter Ehegatten durch den Tod des Gebers beſtäti-

gen zu laſſen, ohne Unterſchied ob ſie durch Stipulation

oder durch Tradition bewirkt werde.

Inſofern kann man alſo ſagen, Papinian habe mehr

auf den Buchſtaben, Ulpian auf den Geiſt des Senats-

ſchluſſes geſehen, wie es auch in der That manche Ver-

theidiger der richtigen Meynung aufgefaßt haben. Man

hat ſogar verſucht, dieſen Gegenſatz in die Zuſtimmung

Ulpians (recte putabat) hinein zu tragen, gleich als wollte

dieſer ſagen: dem Buchſtaben nach iſt Papinians Mey-

nung richtig, ich behalte mir aber vor, anderwärts zu

bemerken, daß es dem Geiſt nach anders verſtanden wer-

 

(q) L. 32 § 2 de don. int. vir.

(24. 1.), wo die Worte des Se-

natsſchluſſes ſelbſt angeführt wer-

den. Bey Papinian heißt es,

zwar mit deſſen eigenen Worten,

aber in gleichem Sinn mit jenen

Worten des Senatsſchluſſes: au-

ferre non oportere (Note c).

(r) L. 52 § 1 de don. int. vir.

(24. 1.), ſ. o. § 157 Note s1.

|0203 : 189|

§. 164. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe. (Fortſetzung.)

den muß (s); dadurch wird jedoch Ulpians Worten Ge-

walt angethan. Wie ſteht es alſo mit dieſem recte, das

ohne Zweifel mehr Schwierigkeit in die Sache bringt, als

alles Andere? A. Faber, nach ſeiner wenig ängſtlichen

Weiſe, will das Wort recte wegſtreichen (t), dieſer be-

quemen Aushülfe widerſpricht aber die Leſeart aller be-

kannten Handſchriften; doch hat es einigen Schein, daß

in den Handſchriften der Gloſſatoren das Wort gefehlt

habe (u). — Eine andere Meynung nimmt zwey Senats-

ſchlüſſe an: der ältere (von Severus) habe die beſchränkte

Anwendung geboten, und davon rede Papinian: der neuere

(von Antoninus) habe das Recht weiter ausgedehnt, und

davon rede, in den ſpäteren Stellen, Ulpian. Dieſe Ver-

einigung findet ſich ſchon in der Gloſſe, und ſie iſt neuer-

lich auf ſehr ſcheinbare Weiſe ausgeführt worden (v). Es

ſteht ihr aber zuerſt der Umſtand entgegen, daß ſchwerlich

über eine ſo iſolirte Rechtsfrage innerhalb weniger Jahre

(s) So nimmt es Noodt Comm.

ad Pand. XXIV. 1.

(t) A. Faber conject. II. 8.

Ihm ſtimmt bey Löhr S. 241,

indem er noch bemerkt, die Am-

ſterdamer Octavausgaben von

1663 und 1700 hätten das recte

nicht. Allein die Druckfehler ſo

höchſt nachläſſiger Abdrücke, wie

dieſe, ſind völlig ohne Bedeutung.

(u) Die Gloſſe zu dem erſten

putabat lautet ſo: „Et male se-

cundum quosdam, ut statim di-

ces.” Faber bemerkt, dieſe Gloſſe

ſey ganz paſſend zu einem Text

ohne recte, bey welchem das et

male die Natur einer näheren

Beſtimmung der in der Stelle

enthaltenen hiſtoriſchen Erwäh-

nung habe. Bey einem Text mit

recte putabat hätte die Gloſſe

den Character eines Widerſpruchs

gegen Ulpians Stelle, müßte alſo

heißen: immo male.

(v) Glossa in v. heredem ma-

riti: „Hodie Papinianus per

D. Severi et Antonini orationem

corrigitur ut J. eod. L. Cum

hic status.” — Puchta S. 383.

|0204 : 190|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

zwey Senatsſchlüſſe erlaſſen ſeyn möchten (w). Ferner,

daß ſich in den nicht wenigen Stellen, die davon reden,

doch wohl irgend eine Spur von zwey Beſchlüſſen erhal-

ten haben müßte; dieſes iſt aber ſo wenig der Fall, daß

vielmehr die Juriſten und die Kaiſer willkührlich und ſorg-

los ganz abwechſelnde Bezeichnungen gebrauchen, welches

nur unter der Vorausſetzung eines einzigen Beſchluſſes ge-

fahrlos geſchehen konnte (x). Ganz beſonders aber ſpricht

gegen jene Annahme die hiſtoriſche Einleitung, womit

Ulpian die Hauptſtelle über dieſen Gegenſtand eröffnet

(Note b). Er ſetzt hier entgegen den älteren Zuſtand der

Schenkungen (nach jus civile) und den Senatsbeſchluß

„ut aliquid laxaret ex juris rigore.” Der Beſchluß, von

dem er hier redet, iſt (nach Puchta’s Meynung) der neuere,

und er konnte unmöglich als das Eigenthümliche deſſelben

die Milderung des juris rigor angeben, wenn eine ſolche

Milderung (nur in einem etwas geringeren Grade) ſchon

früher vorgenommen worden war. — Sehen wir aber ge-

nauer zu, ſo referirt Ulpian zwey verſchiedene Behaup-

tungen des Papinian: die Anwendung des Senatsſchluſſes

auf die Traditionen, die Nichtanwendung auf Stipulatio-

nen. Nur die erſte Behauptung billigt er (wenn das recte

ächt iſt), über die zweyte erklärt er ſich wörtlich gar nicht,

denn er ſagt: recte putabat .. ad rerum donationem per-

(w) Der neuere Beſchluß fiele

ſicher in das J. 206 (L. 32 pr.

cit.). Der ältere wäre aber auch

ſchon zur Zeit der Mitregierung

erlaſſen (Fragm. Vat. § 294, ſ. o.

Note c), alſo nicht vor dem J. 198.

(x) Vergl. die Stellen in den

Noten a. b. c.

|0205 : 191|

§. 164. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe. (Fortſetzung.)

tinere: denique … non putabat etc. Hätten wir nun

dieſe Stelle allein, ſo würden wir unbedenklich die Billi-

gung, als ſtillſchweigend wiederholt, in die zweyte Behaup-

tung hinein tragen. Bey dem entſchiedenen Widerſpruch

der übrigen Stellen Ulpians ſteht es anders. Allerdings

dürfte man, von dieſem Geſichtspunkt die Sache anſehend,

erwarten, daß Ulpian der zweyten Behauptung Papi-

nians einen ausdrücklichen Widerſpruch hinzugefügt haben

möchte; es iſt aber auch nicht unwahrſcheinlich, daß er

dieſes wirklich gethan hat (y), und daß nur die Compila-

toren den Widerſpruch weggeſtrichen haben. Dazu konnte

ſie veranlaſſen die alte geſetzliche Vorſchrift, welche den

berichtigenden Noten des Ulpian und des Paulus zu Pa-

pinians Werken die Anwendbarkeit entzog (z). Allerdings

paßte dieſe Vorſchrift nicht unmittelbar auf den vorliegen-

den Fall, auch waren ſie, die Geſetzverfaſſer, daran nicht

gebunden; dennoch konnten ſie ſehr wohl glauben im Geiſt

jener Vorſchrift zu handeln, indem ſie Worte wegſtrichen,

worin Ulpian eine Meynung Papinians geradezu tadelte.

— Man könnte einwenden, ein ſolches Verfahren wäre

unvorſichtig geweſen, weil es das Verhältniß dieſer Stelle

(y) Etwa in den Ausdrücken:

denique non recte putabat, oder

mit dem Zuſatz: ego contra puto,

oder: quo jure non utimur. Vgl.

L. 54 de cond. (35. 1.), L. 76

§ 1 de furtis (47. 2.), worin ähn-

liche Formen des Widerſpruchs ge-

gen eine referirte Meynung vor-

kommen.

(z) L. 3 (vormals L. un.) C.

Th. de resp. prud. (1. 4.). „.. No-

tas etiam Pauli atque Ulpiani

in Papiniani corpus factas, si-

cut dudum statutum est, prae-

cipimus infirmari.”

|0206 : 192|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

zu den übrigen erſt recht zweifelhaft machen mußte. Allein

eine Unvorſichtigkeit in der gemeinſchaftlichen Aufnahme der

angeführten Stellen muß Jeder annehmen, welcher Mey-

nung er übrigens zugethan ſey, folglich erhält durch dieſe

Annahme keine mögliche Meynung Vortheil oder Nachtheil.

Ohne Zweifel waren die Compilatoren, hier wie in ande-

ren Fällen, nicht gewahr geworden, daß die L. 23, in

ihrer gegenwärtigen Geſtalt, mit L. 32 und 33 cit. nicht

zu vereinigen iſt.

Wir aber ſind durchaus genöthigt jene Stellen zu ver-

einigen, ein praktiſches Reſultat iſt uns unentbehrlich, auf

welchem Punkt haben wir dieſes zu finden? Ohne Zwei-

fel in den Stellen Ulpians (L. 32. 33 cit.), welche mit der

größten Entſchiedenheit und in mannichfaltigen Anwendun-

gen den ausgedehnteſten Gebrauch des Senatsſchluſſes be-

haupten. Daneben müſſen wir es nun als eine blos hi-

ſtoriſche Notiz anſehen, daß Papinian eine beſchränktere

Anwendung machen wollte: ſey es nun, daß wir zu die-

ſem Zweck das Wort recte wegſtreichen, oder daß wir es

blos auf die erſte (unzweifelhaft richtige) Behauptung Pa-

pinians beziehen, nicht auf die zweyte, wodurch eben dieſe

eine blos hiſtoriſche Bedeutung erhält (aa).

 

Zu dieſem Allen kommt nun noch ein merkwürdiger

Umſtand hinzu, den beide Parteyen für ſich zu benutzen

verſucht haben. Schon unter Juſtinians Regierung war

 

(aa) So iſt die Sache, in Hin-

ſicht auf das Reſultat, auch ſchon

richtig aufgefaßt von Löhr S. 241

und von Puchta S. 385.

|0207 : 193|

§. 164. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe. (Fortſetzung.)

es zweifelhaft geworden, ob auch die auf obligatoriſchen

Verträgen beruhenden Schenkungen durch den Tod beſtä-

tigt werden möchten, und er ſelbſt bejahte dieſe Frage in

der Novelle 162. Sicherlich war der Zweifel entſtanden

eben aus der L. 23 cit., denn die Juriſten jener Zeit hat-

ten ja dieſelben Digeſten, wie wir, als Geſetzbuch vor

ſich. — Man könnte glauben, dadurch ſey aller Streit

geſchlichtet, allein unglücklicherweiſe iſt jene Novelle un-

gloſſirt. Nun ſagen die Gegner, da Juſtinian nöthig ge-

funden habe, dieſes durch ein neues Geſetz einzuführen,

ſo ſey das gerade ein Zeichen, daß bis dahin, alſo nach

unſren Digeſten, das entgegengeſetzte Recht gegolten ha-

ben müſſe. Dieſes würde richtig ſeyn, wenn jene Novelle

als neues Geſetz aufträte. Allein Juſtinian will darin

blos belehren, er argumentirt blos aus den ſchon beſte-

henden Geſetzen, und ſo iſt die Novelle ganz entſcheidend

für die hier vertheidigte Meynung, zwar nicht als Geſetz

(da ſie nicht gloſſirt iſt), wohl aber als die vollwichtigſte

Autorität.

Sehr merkwürdig iſt das Benehmen der praktiſchen

Schriftſteller bey dieſer Streitfrage. Dieſe ſind ganz ent-

ſchieden für die unbeſchränkteſte Ausdehnung des Senats-

ſchluſſes, und zwar berufen ſie ſich dabey auf die No-

velle 162 (bb). Gewiß nicht, als ob ſie überhaupt den

ungloſſirten Novellen Geſetzeskraft beylegen wollten, ſon-

 

(bb) Lauterbach h. t. § 14. Huber h. t. § 5. Struy. Exerc. 30

§ 30. Cocceji h. t. quaest. 2.

IV. 13

|0208 : 194|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

dern weil, bey einer zweifelhaften Vereinigung wider-

ſprechender Stellen der Digeſten, jene Autorität große

Beachtung verdient; alſo ganz nach dem hier entwickelten

Zuſammenhang, wenngleich ſie dieſen nicht vollſtändig dar-

gelegt haben.

§. 165.

V. Schenkung. — Einſchränkungen. 2. Erſchwerende

Formen.

Die zweyte poſitive Einſchränkung der Schenkung be-

ſteht in erſchwerenden Formen. Um das neueſte hierin

geltende Recht in ſeiner ganzen Eigenthümlichkeit darſtel-

len zu können, iſt es nöthig, auf das ältere Recht zurück

zu gehen, namentlich auf das der Lex Cincia (a).

 

In der älteren Zeit können wir folgende zwey Ein-

ſchränkungen der Schenkung annehmen:

 

1) Ein Verbot großer Schenkungen, deren Gränze aber

wir nicht kennen.

 

2) Beſondere Formen vollgültiger Schenkung. Dieſe

 

(a) Eine ſelbſtſtändige Unter-

ſuchung dieſes ſchwierigen Gegen-

ſtandes liegt außer dem Zweck des

gegenwärtigen Werks. Folgende

Schriftſteller ſind zu bemerken:

Savigny, Zeitſchrift für ge-

ſchichtl. Rechtswiſſenſch. B 4 S. 1

(geſchrieben vor der Entdeckung

der Vaticaniſchen Fragmente).

Rudorff de L. Cincia Berol.

1825. 8. Franke civiliſtiſche Ab-

handlungen S. 1 — 64. Klinkha-

mer de donationibus Amstel.

1826. 8. Haſſe Rhein. Muſeum

B. 1 S. 185 — 248. Unterholz-

ner Rhein. Muſeum B. 2 S. 436.

B. 3 S. 153. Wenck praef. in

Hauboldi opuscula Vol. 1 p. 37

— 61. — Die älteren Schriftſtel-

ler (wie Brummer) ſind durch die

in neuerer Zeit entdeckten Quel-

len unbrauchbar geworden.

|0209 : 195|

§. 165. Schenkung. Einſchränkungen. 2. Erſchwerende Formen.

ſchließen ſich an die natürliche Forderung der Perfection

jeder wirkſamen Schenkung an (§ 155), jedoch ſo daß hier

dieſe Perfection durch poſitive Zuſätze erſchwert worden

iſt. Namentlich ſollten mancipi res nicht anders vollgül-

tig verſchenkt werden können, als durch Mancipation oder

in jure cessio (b), wozu jedoch noch hinzutreten ſollte ein

ſolcher Beſitz, der ſicheren Anſpruch auf den Interdicten-

ſchutz gewähren konnte.

Daneben aber gab es eine Anzahl von personae ex-

ceptae, wohin beſonders die nahen Verwandten des Ge-

bers gehörten, desgleichen der Ehegatte deſſelben (c). Dieſe

begünſtigten Perſonen waren von der natürlichen Noth-

wendigkeit der Perfection nicht befreyt, wohl aber von

den erwähnten poſitiven Erſchwerungen derſelben (d).

 

(b) In den meiſten Stellen

wird nur die Mancipation er-

wähnt, weil dieſe überhaupt die

üblichere Form war. Die in jure

cessio aber war hier, wie in an-

deren Fällen, eben ſo wirkſam als

jene. Cod. Hermog. VII. 1 (vor-

mals VI. 1).

(c) Fragm. Vat. § 302. „Ex-

cipiuntur … vir et uxor, spon-

sus, sponsa.” Es iſt auffallend,

daß hier als begünſtigte Perſo-

nen die Ehegatten genannt wer-

den, denen gerade die Schenkung

überhaupt unterſagt iſt. Es wäre

irrig, deshalb annehmen zu wol-

len, das Verbot der Schenkung

in der Ehe ſey neuer als die Lex

Cincia. Auch die ſpeciellen Aus-

nahmen des Verbots (§ 163) er-

klären die Sache nicht, da ſie zu

unbedeutend, zum Theil auch zu

neu ſind, als daß ſie dieſe Art

ſehr alter Berückſichtigung hätten

auf ſich ziehen können. Wahr-

ſcheinlich waren es die in der Ehe

erlaubten Schenkungen mortis

causa und divortii causa (§ 162),

die auf dieſe Weiſe erleichtert und

begünſtigt werden ſollten, und ge-

wiß mit vollem Recht. Zur Recht-

fertigung der Annahme, daß in

der L. Cincia an eine Ausnahme

zum Vortheil der m. c. donatio

gedacht ſeyn könne, vergl. unten

Note f, und § 174. a.

(d) Fragm. Vat. § 310. 311.

293. 266. Für manche Fälle war

alſo gar kein Unterſchied ſichtbar,

z. B. wer ein Provinzialgrundſtück

13*

|0210 : 196|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

In dieſem Allen ſind es beſonders zwey Fragen, wor-

auf bis jetzt eine ſichere Antwort nicht hat gefunden wer-

den können. Erſtlich, wie viel von jenen Beſtimmungen

aus der L. Cincia ſelbſt, wie viel aus anderen Rechts-

quellen, und aus welchen, abzuleiten iſt. Zweytens, wie

ſich die Unterſcheidung großer und kleiner Schenkungen zu

jenen erſchwerenden Formen verhielt. Es ſcheint, daß, in

Beziehung auf dieſe letzte Frage, eines von folgenden zwey

denkbaren Verhältniſſen beſtanden haben müſſe. Entweder

waren die großen Schenkungen ſchlechthin verboten, ſo daß

nur die kleinen, um vollgültig zu ſeyn, jenen erſchweren-

den Formen unterworfen ſeyn ſollten (d¹). Oder es wa-

ren die kleinen Schenkungen, auch in Anſehung der Form,

ganz frey gegeben, das heißt nur an die natürlichen Re-

geln der Perfection gebunden, und nur bey den großen

ſollte die Gültigkeit von der Beobachtung jener poſitiv

vorgeſchriebenen Formen abhängig ſeyn.

 

Dagegen ſcheinen, inmitten dieſer Ungewißheit, folgende

 

verſchenken wollte, hatte dazu die

Tradition anzuwenden, ohne Un-

terſchied ob der Empfänger ex-

cepta oder non excepta persona

war (l. c. § 293).

(d¹) Dieſe Meynung ließe ſich

noch dahin ergänzen, daß vielleicht

große Schenkungen, wenn ſie auch

wirklich erfüllt waren, durch eine

Condiction zurückgefordert werden

konnten, unabhängig von den

ſonſt bey Condictionen geltenden

Bedingungen, das heißt unab-

hängig vom Daſeyn eines Irr-

thums, wie es ja noch jetzt bey

der Schenkung unter Ehegatten

unzweifelhaft gilt. Darauf ſchei-

nen hinzudeuten L. 21 § 1 de

don. (39. 5.), L. 5 § 5 de doli

exc. (44. 4.), vielleicht auch Fragm.

Vat. § 266, welche letzte Stelle

jedoch auch von der gewöhnlichen

indebiti condictio verſtanden wer-

den kann, indem der Empfänger

irrig für einen exceptus gehal-

ten worden war.

|0211 : 197|

§. 165. Schenkung. Einſchränkungen. 2. Erſchwerende Formen.

wichtige Punkte als unzweifelhaft angenommen werden zu

dürfen. Erſtlich war die Folge der Verletzung jener Vor-

ſchriften keinesweges die Nichtigkeit der Handlung (ſo wie

bey der Schenkung unter Ehegatten), ſondern vorzüglich

der Schutz des Gebers, wenn dieſer die Schenkung be-

reuen mochte, gegen die Klage des Empfängers, durch

jedes dazu dienliche Rechtsmittel. War z. B. ein Haus

durch Mancipation verſchenkt worden, ohne Übertragung

des Interdictenbeſitzes, ſo hatte allerdings der Empfänger

das Eigenthum und deshalb eine Vindication, aber dieſe

wurde durch eine exceptio L. Cinciae entkräftet. Dieſer

Zuſtand der Sache hatte die wichtige Folge, daß, wenn

umgekehrt der Beſitz des Hauſes übergeben, und nur die

Mancipation verſäumt war, dieſer Mangel binnen kurzer

Zeit durch Uſucapion gehoben werden konnte, ſo daß nun

nach zwey Jahren die Schenkung von ſelbſt unanfechtbar

wurde (e). — Zweytens ſollte dieſes Recht, die Schen-

kung, wegen Verletzung jener poſitiven Regeln, willkühr-

lich zu entkräften, ein perſönliches Recht des Gebers ſeyn;

hatte er bey ſeinem Leben die Abſicht der Schenkung nicht

widerrufen, ſo war der Erbe dazu nicht befugt (f). Faſ-

(e) Fragm. Vat. § 293 „quae

mancipi sunt, usucapta vel man-

cipata … avocari non possunt.”

Hierin lag vielleicht im alten Recht

die wichtigſte Anwendung der usu-

capio pro donato. Bey der Schen-

kung unter Ehegatten war dieſe

Art der Beſtätigung unzuläſſig

(§ 163. b).

(f) Fragm. Vat. § 259 „morte

Cincia removetur.” ib. § 266

„nisi forte durante voluntate

decesserit donator.” (Nach § 266

möchte man folgenden hiſtoriſchen

Zuſammenhang annehmen. Die

Sabinianer gaben dem Erben die

Exception nicht, wohl aber die

Proculianer; aber auch dieſe müſ-

|0212 : 198|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ſen wir dieſe ſicheren Beſtimmungen zuſammen, ſo erſcheint

uns jenes alte Recht, welches die Römiſchen Juriſten ſo

ſehr beſchäftigte, in ſeinen Zwecken und Wirkungen mäßi-

ger, als man auf den erſten Blick glauben möchte. Es

lag darin blos ein Schutz für den gutmüthigen Leichtſinn,

indem der Geber in vielen Fällen die Scheukung bereuen

und entkräften konnte; jedoch konnte dieſe Reue ausge-

ſchloſſen werden, bald durch die Beobachtung ſtrenger

Formen, bald durch den Ablauf ſehr kurzer Zeit, bald

durch des Gebers Tod bey unverändertem Willen (g).

Dieſe Regeln und Formen des älteren Rechts ſind

ſpäterhin durch andere verdrängt worden, es ſcheint aber

 

ſen den Erben, wenn der Geber

mit unverändertem Willen geſtor-

ben iſt, durch doli replicatio

ausſchließen laſſen, und zwar ver-

möge eines Reſcripts des Kaiſer

Alexander). ib. § 294 „excep-

tionem, voluntatis perseveran-

tia, doli replicatio perimit.”

ib. § 312. — Dieſer Rechtsſatz

diente augenſcheinlich zum Vor-

bild bey dem Senatsſchluß, wel-

cher die Schenkung unter Ehe-

gatten, bey dem Tod des Gebers

aufrecht hielt (§ 164).

(g) Augenſcheinlich war hierin

die Stipulation zurückgeſetzt ge-

gen die Mancipation und Tra-

dition, ohne Zweifel deswegen,

weil für die leichtſinnige Schwäche

jene gefährlicher iſt als dieſe.

Der Promittent hatte die excep-

tio L. Cinciae, und hatte er ge-

zahlt, ſo konnte er das Gezahlte

mit einer Condiction (vielleicht

nur im Fall des Irrthums) zu-

rückfordern (Note d1). Freylich

fiel auch dieſes Alles weg, wenn

das Geſchenk einer persona ex-

cepta gegeben war. Fragm. Vat.

§ 266. — Noch augenſcheinlicher

iſt dieſe Zurückſetzung bey dem

Erlaß einer Schuld, der doch ſo

ſehr einer geſchenkten Geldſumme

ähnlich ſieht; dennoch wurde er

entkräftet, ohne Zweifel durch eine

replicatio L. Cinciae gegen die

pacti exceptio des Schuldners.

Davon hat ſich eine merkwürdige

Spur erhalten in L. 1 § 1 quib.

mod. pign. (20. 6.), vgl. Zeitſchr.

für geſchichtl Rechtswiſſenſch. B. 4

S. 44. Bey der Acceptilation war

es vielleicht anders, weil hier Alles

abgemacht war, alſo keine Ver-

anlaſſung übrig blieb zu einer Ex-

ception oder Replication.

|0213 : 199|

§. 165. Schenkung. Einſchränkungen. 2. Erſchwerende Formen.

nicht, daß ſie jemals durch ein beſonderes Geſetz geradezu

aufgehoben wurden. Es erklärt ſich dieſer ſtillſchweigende

Untergang aus dem Umſtand, daß die eigenthümlichſte un-

ter jenen Formen, die Mancipation, in allen Anwendun-

gen verſchwand, alſo auch in dieſer einzelnen nicht fort-

dauern konnte (g¹). Als neue Form trat nun die gericht-

liche Inſinuation ein (§ 130), zuerſt blos aus freyem Ent-

ſchluß der Parteyen, ſeit Conſtantius Chlorus für alle

Schenkungen geſetzlich vorgeſchrieben, endlich auf große

Schenkungen eingeſchränkt. Lange Zeit aber erſcheinen

auch noch andere Formen daneben, zum Theil aus jenem

älteren Recht herüber genommen. Um nun deren Verhält-

niß zum neueſten Recht gründlich beurtheilen zu können,

iſt es nöthig, die wichtigſten hier einſchlagenden Kaiſerge-

ſetze der Reihe nach darzuſtellen.

Das älteſte derſelben, welches Conſtantin im J. 316

erließ, kennen wir in drey verſchiedenen Geſtalten (h). Es

war ein Edict von der ſchwülſtigſten Faſſung, gerichtet

an den Stadtpräfecten Maximus. Im Eingang klagt der

 

(g¹) Nachdem längſt die Man-

cipation verſchwunden war, be-

hielt man doch in den Schenkungs-

urkunden gedankenlos Worte bey,

die nur aus ihr herſtammten (se-

stertii numi unius, assium qua-

tuor). Das unterſagte Juſtinian

als unnütz. L. 37 C. de don.

(8. 54.).

(h) Die urſprüngliche Geſtalt,

aber am Schluß lückenhaft, fin-

det ſich in Fragm. Vat. § 249.

Im Theodoſiſchen Codex ſteht es

als L. 1 C. Th. de don. (8. 12.).

Im Juſtinianiſchen als L. 25 C.

de don. (8. 54.). — Das J. 316

iſt durch die Handſchrift des Theo-

doſiſchen Codex ſicher, das J. 323

muß verworfen werden. Vergl.

Wenck zu L. 2 C. Th. de admi-

nistr. 3. 19. (oder 30.), Hänel

ibid.

|0214 : 200|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Kaiſer, daß bey Schenkungen oft ſorglos, oft unredlich

verfahren werde, und daß daraus viele Prozeſſe und wi-

derſprechende Urtheile hervorgiengen. Dieſem Übel vor-

zubeugen, erläßt derſelbe nicht ſowohl ein Geſetz, als eine

belehrende Inſtruction, wie man ſichere Schenkungen vor-

zunehmen habe. Er fordert dreyerley: Eine ſchriftliche

Urkunde vor Zeugen, worin alle Bedingungen der Schen-

kung, dann der Name des Gebers, und der Gegenſtand

der Schenkung genau anzugeben ſey; Ferner die Tradi-

tion, gleichfalls vor Zeugen (i); Endlich die gerichtliche

Inſinuation (k). Man konnte glauben, dieſes Alles wäre

als unerläßliche Form vorgeſchrieben, in deren Ermang-

lung das Geſchäft nichtig ſeyn ſollte. Daß es ſo nicht

gemeynt war, zeigt deutlich folgende Stelle: Quod si. [ – 1 Zeichen fehlt]

orba publico testimonio liberalitas caecam gratiam ob-

scurosque coetus prodiderit, quoniam sola fraus cognita

est, eorum quae donata dicuntur temere non erit fides

accipienda. Alſo, wenn jene Formen verſäumt ſind, ſoll

nicht etwa das Geſchäft ſchon deshalb wirkungslos ſeyn,

ſondern der Richter ſoll nun nicht leicht die angebliche

Schenkung als wahr annehmen, folglich die Thatſachen

ſtrenger prüfen, als er außerdem thun würde. Dieſes

paßt in eine Inſtruction, mehr als in ein Geſetz.

(i) „advocata vicinitate, om-

nibusque arbitris quorum post

fide uti liceat.” Die Tradition

war als nothwendig beybehalten

aus dem älteren Recht.

(k) Die Inſinuation war ſchon

von Conſtantins Vater eingeführt,

wie ſich ſogleich zeigen wird; ſie

wird alſo hier nur in Erinnerung

gebracht.

|0215 : 201|

§. 165. Schenkung. Einſchränkungen. 2. Erſchwerende Formen.

Etwa Hundert Jahre nach jenem Edict wurde die

ſchriftliche Abfaſſung der Schenkungen für gleichgültig er-

klärt (l). Darin lag nicht etwa eine Abänderung deſſel-

ben, ſondern nur die Erklärung, daß die in dem Edict

erwähnte ſchriftliche Urkunde nicht als eine nothwendige

Form, ſondern nur als etwas Räthliches, angeſehen wer-

den ſolle. Ganz in dieſem Sinn (welcher ja auch in

Wahrheit der Sinn des Edicts ſelbſt war) wird jetzt hin-

zugefügt: wenn nur andere hinreichende Beweismittel vor-

handen ſeyen, ſo ſollten auch dieſe als genügend gelten.

 

Dieſelben Kaiſer, von welchen dieſe letzte Verordnung

herrührt, publicirten Zehen Jahre ſpäter den Theodoſiſchen

Codex. In denſelben nahmen ſie denn auch einen gedräng-

ten Auszug aus dem Edict Conſtantins auf (Note h), wel-

ches hier weit mehr, als in ſeiner urſprünglichen Geſtalt,

einem Geſetze gleich ſieht Dafür, daß die Erwähnung der

ſchriftlichen Urkunde in dieſem Edict nicht misverſtanden

würde, hatten die Kaiſer ſelbſt durch die vorher erwähnte

Verordnung bereits geſorgt. Die beiden anderen Stücke

(Tradition und Inſinuation) ſollten allerdings als nothwen-

dige Formen (und nicht erſt ſeit jenem Edict) beobachtet

werden. Allein auch dabey iſt die Hauptfrage nicht berührt,

welche Folgen eintreten ſollten, wenn jene Formen ver-

ſäumt waren. Man könnte ſagen, nun verſtand ſich die

 

(l) L. 29 C. de don. (8. 54.)

vom J. 428: „.. et si sine scripto

donatum quid fuerit, adhibitis

aliis idoneis documentis, hoc

quod geritur comprobatur.”

|0216 : 202|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Nichtigkeit von ſelbſt. Nirgend konnte ſich dieſe weniger

von ſelbſt verſtehen, als gerade bey der Schenkung. Seit

vielen Jahrhunderten war man hier an ſehr poſitive For-

men gewöhnt, aber deren Vernachläſſigung hatte ſtets ganz

andere Folgen gehabt, als die Nichtigkeit. Ohne Zweifel

ſetzten die Verfaſſer des Theodoſiſchen Codex dieſe andere

Folgen als bekannt voraus, und rechneten darauf, daß

Jeder dieſelben an die hier aufgenommene Verordnung an-

knüpfen würde. Eine ſolche Vorausſetzung war nicht zu

tadeln, indem damals die Schriften der alten Juriſten,

woraus man ſich hierüber belehren konnte, in den Hän-

den aller Richter waren.

Vierzig Jahre nach der Erſcheinung des Theodoſiſchen

Codex wurde von Manchen, wie es ſcheint, zu ängſtlich

auf der Zuziehung von Zeugen bey Schenkungen beſtan-

den. Daher verordnete K. Zeno (m), durch die gericht-

liche Inſinuation werde die Zuziehung von Zeugen bey

der Tradition ganz entbehrlich (n). Auch wo die Inſinua-

tion erlaſſen ſey (o), brauche die Urkunde nicht von Zeu-

gen unterſchrieben zu werden; ohnehin aber bleibe es bey

der ſchon gegebenen Vorſchrift, daß auch ganz ohne Ur-

kunde gültig geſchenkt werden könne.

 

(m) L. 31 C. de don. (8. 54.)

vom J. 478.

(n) „non esse necessarium

… vicinos vel alios testes ad-

hibere.” Wörtliche Anſpielung

auf die von Conſtantin bey der

Tradition erforderten Zeugen

(Note i).

(o) Das heißt, nach dem da-

mals geltenden Recht, bey do-

natio ante nuptias, die nicht über

200 Solidos betrug. L. 8 C. Th.

de spons. (3. 5.).

|0217 : 203|

§. 165. Schenkung. Einſchränkungen. 2. Erſchwerende Formen.

Juſtinian hat die drey hier erwähnten Geſetze in ſei-

nen Codex aufgenommen; namentlich alſo auch das Edict

von Conſtantin, dieſes jedoch mit folgenden merkwürdigen

Änderungen. Bey der Vorſchrift der Inſinuation ſteht der

neue Zuſatz: ubi hoc leges expostulant, welcher darauf

hindeutet, daß Juſtinian die Inſinuation nur noch bey

Schenkungen von mehr als 500 Solidi fordert. Die Vor-

ſchrift der Tradition iſt ganz weggeblieben, ohne Zweifel

weil anderwärts Juſtinian verordnet hatte, das bloße,

ſelbſt formloſe, Verſprechen der Tradition ſolle eingeklagt

werden können (p). Endlich die Vorſchrift der ſchriftlichen

Urkunde iſt zwar geblieben, aber mit folgender merkwür-

digen Änderung. Conſtantin ſelbſt ſagt: tabulae .. scien-

tibus plurimis perscribantur. Darin liegt eine Hindeu-

tung auf die Zuziehung von Zeugen, wenn auch keine un-

bedingte Vorſchrift derſelben. Im Theodoſiſchen Codex

ſind die Worte scientibus plurimis beybehalten, im Juſti-

nianiſchen aber weggelaſſen worden (q). Das Eigenthüm-

liche alſo, was man aus dieſer Verordnung geneigt ſeyn

 

(p) L. 35 § 5 C. de don. (8. 54.).

(q) Etwas vorher ſtehen zwar

auch die Worte: neque id oc-

culte aut privatim, und dieſe

ſind beybehalten. Darin aber liegt

etwas ganz Anderes als die Vor-

ſchrift von Zeugen. Man kann

offen, ohne Heimlichkeit verfahren,

z. B. indem Freunde und Ver-

wandte die Schenkung wiſſen, ohne

daß deshalb bey der Abfaſſung der

Urkunde Zeugen zugezogen wer-

den. — Ja ſelbſt die Worte scien-

tibus plurimis enthalten zwar,

mehr als jene, eine Hindeutung

auf Zeugen, aber doch nicht ge-

radezu eine Vorſchrift derſelben;

denn Viele können um die Schen-

kung wiſſen, ohne gerade bey dem

Abſchluß des Geſchäfts als Zeu-

gen zugezogen zu werden.

|0218 : 204|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

könnte, noch in das neueſte Recht aufzunehmen, wäre die

Nothwendigkeit einer ſchriftlichen Urkunde, aber ohne nö-

thige Zuziehung von Zeugen. Allein gerade dieſe Forde-

rung war bereits durch die Conſtitution vom J. 428 für

überflüſſig erklärt worden (Note l), und da dieſe letzte in

unſren Codex aufgenommen wurde, ſo hat damit Juſtinian

ſeine Meynung über dieſen Punkt ganz beſtimmt ausge-

ſprochen.

Dadurch iſt alſo das Edict von Conſtantin wiederum

Das geworden, was es urſprünglich war: eine belehrende

Anweiſung zur vorſichtigen Abfaſſung von Schenkungsur-

kunden, wenn die Parteyen überhaupt Urkunden nöthig

finden. Und faſſen wir nun den ganzen bisher zuſammen-

geſtellten Inhalt des Juſtinianiſchen Codex über die Form

der Schenkungen zuſammen, ſo müſſen wir ſagen, es iſt

außer der Inſinuation gar keine Form vorgeſchrieben, we-

der Schrift, noch Zeugen, noch Tradition.

 

So würde es ſtehen, wenn wir über dieſe Frage gar

keine eigene Erklärungen von Juſtinian vor uns hätten.

Allein auch an dieſen fehlt es nicht. Nachdem er mehrere

genaue Beſtimmungen über die Inſinuation gegeben hatte,

beſtimmte er über die neben derſelben geltende Form der

Schenkung Folgendes (r). Der Vorbehalt des Niesbrauchs

gelte als Tradition, übertrage alſo ſogleich Eigenthum.

Die Stipulation gebe ein Klagerecht auf Erfüllung durch

Tradition. Ja ſelbſt ein Verſprechen durch formloſen Ver-

 

(r) L. 35 § 5 C. de don. (8. 54.).

|0219 : 205|

§. 165. Schenkung. Einſchränkungen. 2. Erſchwerende Formen.

trag ſolle ein ſolches Klagrecht ſchon begründen. Hier

war nun gewiß der Ort, die Zeugen zu erwähnen, wenn

auch dieſe zu der Tradition oder dem Vertrag, nach Ju-

ſtinians Willen, hinzugezogen werden mußten; davon aber

findet ſich hier kein Wort. Den Inhalt dieſes neuen Ge-

ſetzes ſtellen die Inſtitutionen in folgenden Worten dar:

§ 2 J. de donat. (2. 7.). .. Perficiuntur autem, cum

donator suam voluntatem scriptis aut sine scriptis

manifestaverit. Et ad exemplum venditionis nostra

constitutio eas etiam in se habere necessitatem tra-

ditionis voluit: ut etiam si non tradantur, habeant

plenissimum robur et perfectum, et traditionis ne-

cessitas incumbat donatori.

In dieſer Stelle iſt zweyerley entſcheidend. Erſtlich

das Stillſchweigen über die Zeugen, die doch gewiß hier

zu erwähnen waren, wenn ſie hätten zugezogen werden

müſſen. Zweytens die ausdrücklich angegebene Analogie

des Kaufcontracts. Es ſoll, heißt es, die Tradition ein-

geklagt werden können eben ſo wie bey einem Kauf-

contract. Das will ſagen nudo consensu, ſo daß es

keiner Stipulation zur Klage bedarf; allein eben darin

liegt auch die Entbehrlichkeit der Zeugen, die bey den

Conſenſualcontracten eben ſo wenig erfordert werden, als

irgend eine andere poſitive Form der Verträge.

 

Ich habe dieſe Frage deswegen ausführlicher, als es

nöthig ſcheint, behandelt, weil in neuerer Zeit ganz an-

dere Behauptungen aufgeſtellt worden ſind. Neben allen

 

|0220 : 206|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

hier angegebenen Veränderungen des Rechts ſoll ſich doch

Eine Form ſtets als nothwendig erhalten haben, die Zu-

ziehung von Drey Zeugen bey jeder Schenkung, ſie mag

durch Tradition oder durch obligatoriſchen Vertrag bewirkt

werden, nur mit Ausnahme der inſinuirten Schenkungen,

worin gar keine weitere Form nöthig ſey. Dieſe Regel

wird auch für das Juſtinianiſche Recht als wahr be-

hauptet (s).

Ein Grund dieſer Behauptung wird darin geſetzt, daß

es ſehr inconſequent geweſen wäre, für die ſchriftlichen

Schenkungen umſtändliche Formen, namentlich Zeugen, zu

fordern, für die mündlichen gar keine Formen. Allein

was kann die bloße Conſequenz beweiſen in einer Lehre,

die ſo voll von willkührlichen und wechſelnden Vorſchrif-

ten war? Auch bey Juſtinian iſt es nicht conſequent zu

nennen, daß er die Schenkung durch formloſen Vertrag

klagbar werden läßt, während die Darlehenszinſen nur in

Folge einer Stipulation eingeklagt werden können. —

Zweytens kommen in der Novelle 50. des K. Leo, und in

den Scholien der Baſiliken, drey Zeugen als nothwendig

bey der Schenkung vor; dieſe ſollen ſich aus der älteren

Zeit erhalten haben, alſo auch für dieſe beweiſen (t). Aus

dem angegebenen Grund iſt ein ſolcher Rückſchluß hier

noch weniger, als in den meiſten anderen Lehren, zuläſſig.

 

(s) Marezoll in: Grolman

und Löhr Magazin B. 4 S. 175

— 203. Schröter in: Linde

Zeitſchrift für Civilrecht und Pro-

zeß B. 2 S. 132.

(t) Marezoll S. 179. 184.

|0221 : 207|

§. 165. Schenkung. Einſchränkungen. 2. Erſchwerende Formen.

Beſonders aber wird doch Niemand annehmen wollen, Ju-

ſtinian habe ſich darauf verlaſſen, die von ihm gemeynten

aber nicht ausgeſprochenen Erforderniſſe der Schenkung

würden ſeinen Unterthanen Drey bis Vier Jahrhunderte

nach ihm offenbart werden. — Alles alſo kommt zuletzt

doch darauf an, ob wir aus der genauer angeſehenen Ju-

ſtinianiſchen Geſetzgebung Etwas über die Nothwendigkeit

der Zeugen lernen können. Dieſe ſoll nun verborgen ſeyn

in den Worten: adhibitis aliis idoneis documentis (Note l)

der Kaiſer Theodoſius II. und Valentinian III., welche ſo

verſtanden werden ſollen: wenn nur (bey der mündlichen

Schenkung) die übrigen bekannten documenta oder Förm-

lichkeiten angewendet ſind, und dieſe ſollen nun eben in

den (drey) Zeugen beſtehen (u). Allein die natürliche Be-

deutung von documentum iſt doch Beweismittel, worin

dieſes nun beſtehen möge; vorzugsweiſe oder gar aus-

ſchließend von Zeugen wird das Wort am wenigſten ge-

braucht werden. Doch wir wollen uns auch dieſes gefal-

len laſſen, beſonders da in jenen Worten nur auf etwas

anderwärts Geſagtes und Allbekanntes zurück verwieſen

werden ſoll. Allein dieſes Andere muß doch irgendwo zu

finden ſeyn, und wo ſollen wir es ſuchen? Nirgend als

in dem Edict von Conſtantin. Dieſes enthält nun aber,

in der Geſtalt wie wir es in Juſtinians Codex leſen, nicht

die geringſte Erwähnung von Zeugen, und ſo erfahren

wir alſo aus Juſtiniaus Geſetzen gar Nichts, wodurch

(u) Marezoll S. 187—189.

|0222 : 208|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Diejenigen, die mit aller Vorſicht Schenkungen vornehmen

wollen, veranlaßt werden könnten, Zeugen, beſonders aber

gerade drey Zeugen, zuzuziehen.

Aus dieſer Unterſuchung geht demnach hervor, daß,

ſeit dem Verſchwinden der Formen und Regeln des älte-

ren Rechts, Nichts dieſer Art beſteht, als allein die In-

ſinuation. Unter den Praktikern iſt dieſes von jeher un-

zweifelhaft geweſen (v); ſelbſt wenn alſo auch die hiſtori-

ſche Unterſuchung auf ein anderes Ziel geführt hätte, ſo

würde dieſes dennoch keinen Unterſchied für das heutige

Recht gemacht haben. Denn es handelt ſich hier nicht

um ein Rechtsinſtitut, welches durch neue wiſſenſchaftliche

Forſchung gereinigt, ergänzt, und ſo von der Entſtellung

durch bisher herrſchende Irrthümer befreyt werden könnte,

ſondern von einer ganz einzelnen, völlig willkührlichen

Förmlichkeit, welche durch den Nichtgebrauch ſo vieler

Jahrhunderte untergegangen ſeyn würde, ſelbſt wenn ſie

ſich aus den Quellen des Juſtinianiſchen Rechts rechtfer-

tigen ließe (w).

 

(v) Mühlenbruch § 442 not. 11.

(w) Ein ähnlicher Fall wird Die-

ſes erläutern. Es läßt ſich wohl

mit ziemlicher Sicherheit behaup-

ten, daß ein großer Theil der ſeit

dem Mittelalter bey Teſtamenten

angewendeten Formen auf hiſto-

riſchen Irrthümern beruht. (Sa-

vigny Geſchichte des R. R. im

Mittelalter B. 1 § 27, B. 2 § 67).

Auf die praktiſche Beurtheilung

heutiger Teſtamente aber kann

dieſe Überzeugung, auch da wo

Römiſches Recht gilt, keinen Ein-

fluß haben.

|0223 : 209|

§. 166. Schenkung. Einſchränk. 2. Erſchwerende Formen. (Fortſ.)

§. 166.

V. Schenkung. — Einſchränkungen. 2. Erſchwerende

Formen. (Fortſetzung).

Im neueſten Recht alſo finden wir bey Schenkungen

keine andere erſchwerende Form mehr, als die Inſinua-

tion, und auch deren genauere Darſtellung muß wieder

durch eine hiſtoriſche Einleitung vorbereitet werden (a).

 

Die älteſte Erwähnung derſelben geſchieht in dem Edict

des K. Conſtantin vom J. 316 (§ 165. h), wo ſie jedoch

ſchon als bekannt vorausgeſetzt wird.

 

Wichtiger iſt dafür die Verordnung deſſelben Kaiſers

vom J. 319 (b). Hier wird die Einführung der Inſinua-

tion dem K. Conſtantius Chlorus zugeſchrieben, und zwar

ſo daß dieſer die personae exceptae des älteren Rechts

(§ 165) auch von der Juſinuation dispenſirt habe. Con-

ſtantin hebt dieſe Befreyung auf, und macht dadurch die

Inſinuation allgemein nothwendig. — In mehreren nach-

folgenden Verordnungen wird dieſe Form nur beſtätigt,

ohne neue Beſtimmungen (c).

 

Die erſte Einſchränkung der Nothwendigkeit jener Form

wurde im J. 428 eingeführt. Die donatio ante nuptias

 

(a) Ausführlich und gründlich

handelt von der Inſinuation Ma-

rezoll in: Linde Zeitſchrift für

Civilrecht und Prozeß B. 1 S. 1

—46.

(b) L. 1 C. Th. de spons. (3.

5.). Das Zeitalter dieſer Ver-

ordnung iſt von Wenck gründlich

unterſucht und feſtgeſtellt worden,

im Widerſpruch mit J. Gothofreds

Vermuthungen.

(c) L. 3. 5. 6. 8 C. Th. de don.

(8. 12.).

IV. 14

|0224 : 210|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ſollte frey davon ſeyn, wenn ſie weniger als 200 Solidi

betrüge (d).

Juſtinian befreyte davon im J. 529 alle Schenkungen

bis zur Summe von 300 Solidi (e); dann, im J. 531,

alle bis zur Summe von 500 (f). Dieſe Beſtimmung iſt

die Grundlage des geltenden Rechts geblieben.

 

Der Inhalt der geſetzlichen Vorſchrift beſteht darin,

daß die gerichtliche Inſinuation angewendet werden ſoll

bey jeder Schenkung, deren Geldwerth mehr als 500 So-

lidi beträgt. — Es kommt dabey zunächſt auf den Werth

des Solidus, dann auf den Werth der Schenkung an, um

beide Größen mit einander vergleichen zu können.

 

Die neuere Praxis hat den heutigen Dukaten als Rö-

miſchen Solidus angenommen. Auch damit wäre noch

keine feſte Größe gewonnen, theils weil es verſchiedene

Sorten von Dukaten giebt, theils weil der Curs einer je-

den dieſer Sorten den Schwankungen unterworfen iſt, die

in dem Verhältniß des Silbers zum Golde einzutreten

pflegen. Allein glücklicherweiſe iſt die Praxis noch einen

Schritt weiter gegangen, und hat den Werth angenom-

men, in welchem der Ungriſche Dukat urſprünglich aus-

geprägt wurde, nämlich 2⅔ Thaler oder 4 Gulden im

Zwanzigguldenfuß (g). Hiernach betragen 500 Solidi ſo

viel als 2000 ſchwere Gulden, oder Hundert Mark fein

 

(d) L. 8 C Th. de spons. (3.

5.). L. Rom. Burgund. Tit. 22.

(e) L. 34 pr. C. de don. (8. 54.).

(f) L. 36 § 3 C. de don. (8.

54.), § 2 J. de don. (2. 7.).

(g) Carpzov II. 12 def. 12.

Voet ad Pand. XXXIX. 5 num.

18. Pufendorf Obss. I. 17.

|0225 : 211|

§. 166. Schenkung. Einſchränk. 2. Erſchwerende Formen. (Fortſ.)

in Silber, oder 1400 Preußiſche Thaler. Allerdings iſt

der wahre Werth des Juſtinianiſchen Solidus etwa Fünf

ſchwere Gulden (h); allein dieſe Abweichung von der hi-

ſtoriſchen Genauigkeit, bey einer an ſich willkührlichen und

gleichgültigen Summe, kann nicht in Betracht kommen im

Widerſpruch mit der übereinſtimmenden Praxis, und die

gleichförmige Anerkennung eines feſten Werthes muß als

wahrer Gewinn betrachtet werden.

Um den Werth des Geſchenks zu ermitteln, müſſen die

oben aufgeſtellten Regeln über Veräußerung, Bereicherung

des Empfängers, und Abſicht des Gebers zur Anwendung

kommen.

 

Iſt Eigenthum einer andern Sache als Geld Gegen-

ſtand der Schenkung, ſo iſt eine gerichtliche Schätzung des

Werthes nöthig, um die Anwendbarkeit der Inſinuation

zu beſtimmen. Iſt dieſes Eigenthum durch fremde Rechte

beſchränkt, ſo muß deren Werth in Abzug kommen (i).

Auch wenn das erweisliche Recht des Gebers nicht in

wahrem Eigenthum, ſondern nur in b. f. possessio be-

ſteht, iſt eine ſolche Schätzung vorzunehmen, das heißt es

iſt zu ermitteln, um welchen Preis die Sache gegenwär-

tig, mit Rückſicht auf die vorhandene Unſicherheit des Be-

ſitzes, verkauft werden könnte (k). Führt aber dieſes Ver-

 

(h) Zeitſchrift für geſchichtliche

Rechtswiſſenſch. B. 6 S. 392.

(i) Es tritt alſo hier daſſelbe

Verfahren ein, wie bey Ausmitt-

lung der Falcidiſchen Quart. L. 18

§ 3 de m. c. don. (39. 6.), L. 1

§ 16 ad Sc. Treb. (36. 1.).

(k) Alſo mit Verzichtleiſtung

auf den Regreß wegen Eviction,

weil es ſonſt noch kein reiner

Werth iſt.

14*

|0226 : 212|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

fahren zu keinem ſicheren Erfolg, ſo kann der Ablauf der

Uſucapionszeit abgewartet werden, da denn der Werth

des wahren Eigenthums als Gegenſtand der Schenkung

anzuſehen iſt (l). Die künftigen Früchte der geſchenkten

Sache dürfen niemals mit in Anſchlag gebracht werden

(§ 147).

Iſt ein Niesbrauch Gegenſtand des Geſchenks, ſo iſt

deſſen Werth nach der wahrſcheinlichen Lebensdauer des

Fructuars zu berechnen (m). Es kann jedoch auch der

wirkliche Tod Deſſelben abgewartet, und bis dahin, im

Fall eines Rechtsſtreits, Caution geſtellt werden, die dann

mit der allgemeinen Caution des Niesbrauchs zuſam-

men fällt.

 

Beſteht die Schenkung in einer verſprochenen jährli-

chen Rente, die für jedes Jahr 500 Solidi nicht über-

ſteigt, ſo können dabey folgende verſchiedene Fälle vor-

kommen.

 

Die Rente kann zuerſt auf eine beſtimmte Zahl von

 

(l) Vgl. oben § 156. Wird die

Sache vor Ablauf der Uſucapion

evincirt, ſo zeigt es ſich daß gar

Nichts geſchenkt war. Das an-

gegebene Verfahren wird auch ge-

rechtfertigt durch die Analogie der

bedingten Obligationen (Note t).

(m) Alſo nach den Regeln der

L. 68 pr. ad L. Falc. (35. 2.). —

Irrigerweiſe behauptet Meyer-

feld I. S. 136, der Werth des

Niesbrauchs betrage in der Re-

gel ſo viel als das halbe Eigen-

thum, weil einige Beyſpiele vor-

kommen, worin in der That ſo

getheilt wurde. L. 6 § 1 de usufr.

(7. 1.), L. 6 § 10 comm. div. (10.

3.), L. 16 § 1 fam. herc. (10. 2.).

In dieſen Fällen konnte darin ge-

rade der wahre Werth beſtehen,

entweder nach richterlichem Er-

meſſen, oder nach Übereinkunft

der Parteyen. Offenbar hat aber

das Alter des Fructuars den größ-

ten Einfluß auf die Werthſchätzung

des Niesbrauchs.

|0227 : 213|

§. 166. Schenkung. Einſchränk. 2. Erſchwerende Formen. (Fortſ.)

Jahren verſprochen ſeyn. Hier ſind ohne Zweifel alle

Zahlungen zuſammen zu rechnen um den Werth zu be-

ſtimmen. Daß ſie erſt allmälig entrichtet werden, macht

keinen Unterſchied, indem der allgemeine Grundſatz feſt-

ſteht, daß ein ſolches Verſprechen als eine einfache, un-

getheilte Obligation zu betrachten iſt, nicht als ein Ag-

gregat mehrerer, von einander unabhängiger Schulden

(§ 127. h). Dieſer unzweifelhafte Fall wird in unſren

Rechtsquellen nicht erwähnt. — Beſtritten dagegen waren

unter den alten Juriſten diejenigen Fälle, in welchen die

Rente nicht auf eine beſtimmte, überſehbare Geldſumme

zurückgeführt werden kann. Hierüber nun hat Juſtinian

folgende Vorſchriften gegeben mit Unterſcheidung der ein-

zelnen Fälle (n).

1) Soll die Rente mit dem Tode des Gebers, oder

auch mit dem Tode des Empfängers, aufhören, ſo iſt die

Inſinuation nicht nöthig, und es wird betrachtet, als ob

es mehrere abgeſonderte Schenkungen wären; der Grund

liegt in der gänzlichen Ungewißheit der Todeszeit (o).

 

2) Soll die Rente auf die Erben des Gebers und auf

die des Empfängers übergehen, ſo iſt ſtets Inſinuation

nöthig (p). Unter den Erben ſind nämlich ſtets auch de-

 

(n) L. 34 § 4 C. de don. (8. 54.)

(o) „Ut si hujusmodi … le-

gitimam quantitatem.” Das

heißt alſo, die Schenkung bleibt

gültig, wenngleich nachher die

wirklichen Zahlungen 500 Solidi

überſteigen.

(p) „Sin autem etiam here-

dum ex utraque parte fuerit

mentio, vel (non) adjiciatur

tempus vitae (heredum), vel

donatoris, vel ejus qui dona-

tionem accepit: tunc quasi per-

petuata donatione … excedere

|0228 : 214|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ren Erben, und ſo weiter fort, zu verſtehen, ſo daß Dieſes

alſo nur ein anderer Ausdruck für eine ewige Rente iſt (q).

3) Ganz Daſſelbe gilt auch, wenn die Rente mit dem

Tod der nächſten Erben des Gebers oder des Empfän-

gers aufhören ſoll (r); auch in dieſem Fall ſoll ſie, we-

 

legitimum modum, et omnimo-

do acta deposcere, et aliter

minime convalescere.” Die

curſiv gedruckten Worte enthal-

ten dieſen zweyten Fall. — Es

verſteht ſich aber von ſelbſt, daß

die Ungültigkeit erſt behauptet

werden kann, wenn die wirklich

geleiſteten Zahlungen bereits 500

Solidi betragen.

(q) L. 65 de V. S. (50. 16.),

L. 194 de R. J. (50. 17.).

(r) Die gewöhnliche Leſeart für

dieſen dritten Fall iſt: vel adji-

ciatur tempus vitae vel dona-

toris vel ejus qui donationem

accepit (Note p), welches aber

offenbar wieder in den erſten Fall

zurück geht, und darum hier un-

zuläſſig iſt. Man hat folgende ver-

ſchiedene Verſuche gemacht, dieſe

Leſeart zu retten, aber vergeblich.

(Roberti lectiones I. 26, ani-

madv. I. 25. Marezoll S. 21).

1) Es ſoll neben der Lebenszeit

noch eine beſtimmte Zahl von Jah-

ren bezeichnet ſeyn. Iſt dieſe ſo

gemeynt, daß die Rente nur durch

ſie begränzt iſt, auch wenn die

Jahre über die Lebenszeit hinaus

reichen ſollten, ſo iſt die Lebens-

zeit ganz unnützerweiſe erwähnt.

Sollen dagegen die Jahre nur

innerhalb der Lebenszeit gelten

(z. B. 20 Jahre lang, wenn nicht

der Geber früher ſterben ſollte),

ſo iſt die Begränzung ſogar noch

enger als im erſten Fall, die Rente

kann alſo unmöglich einer ewigen

gleich gelten. 2) Die Jahre ſol-

len noch nach dem Tode gelten,

z. B. „bis Ein Jahr nach mei-

nem Tode.“ Aber auch die Be-

handlung dieſes Falles gleich ei-

ner ewigen Rente wäre inconſe-

quent, weil derſelbe, bey einer

geringen Verlängerung, nur un-

bedeutend von dem erſten Fall

abweicht. — Daher emendirt Cu-

jacius vel non adjiciatur (oder

nec adjiciatur), welches nun die-

ſen guten Sinn giebt: „oder

wenn (ohne Erwähnung von Er-

ben) nur die Begränzung der

Rente auf die Lebenszeit der

Parteyen nicht ausgedrückt iſt.“

(Comm. in L. 16 de V. O., opp.

I. 1173, und observ. XV. 22).

Die Baſiliken (und deren Scho-

lien) ſind ſchwankend (T. 6 p. 187.

223. Cujac. l. c. Contius in L.

cit., ed. 1571). — Ich leſe: vel

adjiciatur tempus vitae here-

dum vel donatoris etc., welche

Leſeart ich in einer meiner zwey

Handſchriften des Codex finde.

Der Sinn iſt der: „wenn auch

nicht die heredes unbeſtimmt ge-

|0229 : 215|

§. 166. Schenkung. Einſchränk. 2. Erſchwerende Formen. ((Fortſ.)

gen der unbeſtimmten Verlängerung, in dieſer Beziehung

eben ſo beurtheilt werden, wie wenn es eine ewige Rente

wäre (s).

Wird eine bedingte Schuldforderung geſchenkt, ſo iſt

der Eintritt oder Ausfall der Bedingung abzuwarten, um

die Nothwendigkeit der Inſinuation zu beſtimmen; wenig-

ſtens iſt dieſe Behandlung ſicherer, als den Kaufwerth,

mit Rückſicht auf die Wahrſcheinlichkeit der Erfüllung, zu

ermitteln (t). Bey einer Forderung von zweifelhafter Si-

cherheit iſt deren Kaufwerth durch Schätzung zu beſtim-

men (u).

 

Der Erlaß einer Schuld iſt ſtets gleich einem Geldge-

 

nannt ſeyn ſollten (alſo mit ſtill-

ſchweigender Ausdehnung auf alle

fernere Erben), ſondern ſo daß

die Rente begränzt ſeyn ſoll durch

den Tod der nächſten Erben (tem-

pus vitae heredum).“ Nun liegt

darin wirklich ein neuer Fall, und

zu dieſem paſſen vortrefflich die

den Grund ausdrückende folgende

Worte (Note s). Denſelben Sinn

ſucht eine alte Interlineargloſſe in

die Stelle hinein zu legen auf

dem Wege bloßer Interpretation.

Nämlich im Cod. Berol. in fol.

N. 274 ſteht über den Worten

vel donatoris die erklärende

Gloſſe: s. (d. h. scilicet) here-

dum; und eben ſo nochmals über

den Worten vel ejus.

(s) „tunc, quasi perpetuata

donatione, et continuatione

ejus magnam et opulentiorem

eam efficiente .. omnimodo

acta deposcere.”

(t) Ein ähnliches Verfahren

nämlich gilt bey Ermittlung der

Falcidiſchen Quart. L. 45 § 1,

L. 73 § 1 ad L. Falc. (35. 2.).

(u) Ebenfalls nach der Analo-

gie der Falcidia. L. 82 L. 22

§ 4 ad L. Falc. (35. 2.). Der

Kaufwerth iſt nun ſo zu verſte-

hen, um wie viele Procente eine

ſolche Forderung verkauft werden

könnte, wenn nicht die L. Ana-

stasiana jeden Kauf dieſer Art

verhinderte. — Iſt ein Geldpa-

pier verſchenkt, welches einen Bör-

ſencurs hat, ſo kommt es auf den

Curswerth zur Zeit der Schen-

kung an.

|0230 : 216|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ſchenk um den Nominalbetrag derſelben, auch wenn der

Schuldner inſolvent ſeyn ſollte (§ 158. b).

Eine ſcharfe Entſcheidung iſt für ſolche zweifelhafte

Fälle nur nöthig, wenn der Geber die Schenkung bereut,

und auf den Grund der verſäumten Inſinuation anfechten

will. Wenn dagegen die Parteyen, bey der Schenkung

ſelbſt, durch irgend ein Auskunftsmittel zu der Uberzeu-

gung gelangen, daß der Fall einer Inſinuation nicht vor-

handen ſey, ſo iſt auch für die Folge die Anfechtung aus-

geſchloſſen, wenn nur nicht die Abſicht der Umgehung des

Geſetzes nachgewieſen werden kann.

 

Werden unter denſelben Perſonen mehrere Schenkun-

gen zu verſchiedenen Zeiten gemacht, ſo ſollen dieſe nie-

mals zuſammen gerechnet werden, um das Bedürfniß der

Inſinuation zu begründen, wenngleich es denkbar wäre,

daß man Eine Schenkung in Theile zerlegt hätte, um die

Vorſchrift der Inſinuation zu umgehen (v). War daher

die Schenkung durch eine Obligation von 800 Solidi ohne

Inſinuation bewirkt, welche nachher ausgezahlt werden, ſo

iſt dieſe Handlung, in Anſehung der 500, Zahlung einer

gültigen Schuld (§ 157. a. b), in Anſehung der 300, Zah-

lung einer nichtigen Schuld, alſo ſelbſt wieder eine neue

Schenkung, die aber, weil ſie für ſich allein die geſetzliche

Summe nicht überſteigt, gültig und unwiderruflich iſt.

 

(v) L. 34 § 3 C. de don. (8.

54.). Unter den alten Juriſten

war dieſe Frage, in Beziehung

auf die L. Cincia, beſtritten

worden.

|0231 : 217|

§. 167. Schenkung. Einſchränk. 2. Erſchwerende Formen. (Fortſ.)

Der Erfolg iſt alſo in dieſem beſonderen Fall verſchieden

von dem bey einem gleichartigen Geſchäft unter Ehegat-

ten (§ 163).

Wo nun, nach den hier aufgeſtellten Grundſätzen, die

Inſinuation nöthig iſt, da beſteht dieſelbe in einem, über

die gerichtliche Erklärung der Parteyen aufgenommenen,

Protokoll. In früherer Zeit ſollte ſie nur vor dem com-

petenten Richter geſchehen können (w); im neueſten Recht

iſt aber jeder Richter für fähig dazu erklärt worden(x).

Sein Geſchäft beſchränkt ſich auf feyerliche Beglaubigung;

von einer Genehmigung alſo, die nach Umſtänden auch

verweigert werden könnte, iſt dabey nicht die Rede. Iſt

jedoch in dem Geſchäft irgend eine rechtswidrige Abſicht

wahrzunehmen, ſo kann und ſoll der Richter ſeine Mit-

wirkung, wodurch dieſe Abſicht unterſtützt werden würde,

verweigern.

 

§. 167.

V. Schenkung. — Einſchränkungen. 2. Erſchwerende

Formen. (Fortſetzung.)

Die wichtigſte Frage iſt die nach der Wirkung der

verſäumten Inſinuation. Hier lag der Gedanke nahe, ſich

 

(w) L. 3 C. Th. de don. (8.

12.) vom J. 316. Es iſt hier die

Rede von dem Richter, in deſſen

Sprengel der Geber wohnt, und

die geſchenkte Sache gelegen iſt.

War nun aber Beides verſchie-

den, ſo ſollte bey Grundſtücken

wahrſcheinlich das forum rei si-

tae den Vorzug haben.

(x) L. 8 C. Th. de don. (8.

12.) vom J. 415. — L. 27. 30.

32 C. de don. (8. 54.). — Ma-

rezoll S. 6.

|0232 : 218|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

an das ältere, für die L. Cincia ausgebildete Recht an-

zuſchließen, nach welchem das Anſehen des Geſetzes durch

künſtliche Mittel aufrecht erhalten wurde (§ 165). Dieſes

iſt nicht geſchehen, und es würde ſehr irrig ſeyn, dieſe

Abweichung als einen gedankenloſen Zufall anzuſehen.

Wahrſcheinlich wirkte darauf die Erfahrung, daß eben je-

nes ältere Recht zu großen Verwicklungen und Contro-

verſen geführt hatte, anſtatt daß die Behandlung der

Schenkung unter Ehegatten ſtets einfach und leicht gewe-

ſen war.

Unzweifelhaft iſt wenigſtens der für jene Wirkung auf-

geſtellte Grundſatz. Iſt die Inſinuation verſäumt, ſo iſt

das Geſchäft voͤllig nichtig, ganz als wenn überhaupt

Nichts geſchehen wäre. Jedoch betrifft dieſe Nichtigkeit

nur denjenigen Werth, welcher 500 Solidi überſteigt; bis

zu dieſer Summe bleibt die Schenkung gültig (a). Es iſt

demnach auf das Übermaas dasjenige Recht angewendet,

welches von jeher bey der Schenkung in der Ehe aner-

kannt war (§ 163).

 

Eine Entwicklung dieſes Grundſatzes finden wir nur

in Einer Anwendung, aus welcher jedoch erhellt, daß man

ſich der Bedeutung deſſelben vollkommen bewußt war.

Wird die Schenkung durch Tradition einer nicht ver-

 

(a) L. 34 pr. C. de don. (8.

54.). „.. Si quid autem supra

legitimam definitionem fuerit,

hoc quod superfluum est tan-

tummodo non valere: reliquam

vero quantitatem, quae intra

legis terminos constituta est,

in suo robore perdurare: quasi

nullo penitus alio adjecto, sed

hoc pro non scripto, vel non

intellecto esse credatur.

|0233 : 219|

§. 167. Schenkung. Einſchränk. 2. Erſchwerende Formen. (Fortſ.)

brauchbaren Sache, z. B. eines Grundſtücks, bewirkt, ſo

entſteht durch die Anwendung jenes Grundſatzes ein ge-

meinſchaftliches Eigenthum zwiſchen dem Geber und Em-

pfänger, wobey die Quoten, im Fall eines Rechtsſtreits,

durch richterliche Schätzung zu beſtimmen ſind. Zur Ver-

hütung von Streitigkeiten ſind hier folgende eigenthümliche

Vorſchriften gegeben. Der Eigenthümer des größeren

Theils kann durch Zahlung der Tare den kleineren an

ſich kaufen. Will er es nicht, ſo ſoll die Sache reell ge-

theilt werden. Iſt eine ſolche Theilung, nach der Natur

des Gegenſtandes, nicht anwendbar, ſo kann der Eigen-

thümer des kleineren Theils den größeren nach der Taxe

an ſich kaufen (b). — Aus demſelben Grundſatz abſoluter

Nichtigkeit folgt auch, daß für das Übermaas die Schen-

kung kein Uſucapionstitel ſeyn kann, ſo daß die Folge der

verſäumten Inſinuation niemals durch Uſucapion beſeitigt

wird, anſtatt daß im älteren Recht die nachtheiligen Fol-

gen der L. Cincia allerdings durch Uſucapion abgewendet

werden konnten (§ 165. e). — Es folgt daraus ferner,

daß der Beſchenkte, in Anſehung des Übermaaßes, als ein

unredlicher Beſitzer inſofern angeſehen werden muß, als er

weiß, daran kein Eigenthum zu haben; jedoch inſofern auch

wieder nicht, als er Grund hat anzunehmen, daß er mit

dem Willen des Eigenthümers (welcher eben der Geber

iſt) beſitze, ſo lange dieſer die Abſicht eines Widerrufs

nicht ausgeſprochen hat (§ 150. 151). — Auch in Anſe-

(b) L. 34 § 2 C. de don. (8. 54.).

|0234 : 220|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

hung aller übrigen, von Juſtinian unbeſtimmt gelaſſenen,

Fragen iſt nun Dasjenige anzuwenden, was, bey völlig

gleichem Grundſatz, für die Schenkung in der Ehe mit ſo

großer Sorgfalt von den alten Juriſten ausgebildet wor-

den iſt (§ 163). Dieſes gilt namentlich von den Rechts-

mitteln. Wenn alſo der Geber, bey verſäumter Inſinua-

tion, die Schenkung bereut, ſo kann er den ungültigen

Theil derſelben zurück fordern entweder durch eine Vindi-

cation, oder durch eine Condiction, je nachdem die ge-

ſchenkte Sache ſelbſt, oder nur deren Werth, bey dem

Empfänger noch vorzufinden iſt. Es iſt nicht unmöglich,

daß die Compilatoren die Wirkungen der verſäumten In-

ſinuation genauer feſtzuſtellen gerade deswegen für über-

flüſſig gehalten haben, weil ſie darauf rechnen konnten,

daß die in den Digeſten bey der Schenkung in der Ehe

genau durchgeführten Regeln nun auch bey der verſäum-

ten Inſinuation in Anwendung kommen würden. In die-

ſer von Juſtinian ausgeſprochenen Gleichartigkeit beider

Rechtsinſtitute liegt denn auch eine Beſtätigung der oben

aufgeſtellten Behauptung, daß in Beziehung auf die In-

ſinuation das Daſeyn fortdauernder Bereicherung gerade

ſo zu beurtheilen iſt, wie in Beziehung auf die Schenkung

unter Ehegatten (§ 151). Denn man kann z. B. die Frage

nach der Einwirkung der Conſumtion betrachten als zur

genaueren Beſtimmung des Schenkungsbegriffs gehörend,

ſo wie ſie oben aufgefaßt worden iſt. Man kann ſie aber

auch, und nicht minder richtig, auf die Bedingungen und

|0235 : 221|

§. 167. Schenkung. Einſchränk. 2. Erſchwerende Formen. (Fortſ.)

Gränzen der Condiction beziehen; da nun die Condiction

gewiß auch für den Fall der verſäumten Inſinuation gilt,

und wir für ſie keine eigenthümlichen Vorſchriften beſitzen,

ſo bleibt uns Nichts übrig, als die für die Condiction

unter Ehegatten aufgeſtellten Regeln auch hier zur An-

wendung zu bringen.

Wenn eine große Schenkung, bey welcher die Inſinua-

tion verſäumt wurde, durch Mitwirkung fremder Perſo-

nen vollzogen worden iſt, z. B. durch Expromiſſion, ſo

entſteht die Frage, ob die Nichtigkeit auch das Geſchäft

mit dieſen fremden Perſonen (welches ſelbſt keine Schen-

kung iſt) umfaßt. Dieſe beſonders ſchwierige Frage iſt in

der Beylage X. unterſucht worden.

 

Es bleibt nur noch übrig, von den ausgenommenen

Fällen zu ſprechen, in welchen jede Schenkung, ohne Rück-

ſicht auf ihren Geldwerth, von der Form der Inſinuation

befreyt iſt.

 

Dahin gehört die Schenkung des Kaiſers an Privat-

perſonen, ſo wie die von ſolchen an den Kaiſer gemach-

ten Schenkungen (c).

 

Ferner die Schenkung zum Aufbau eines eingeſtürzten

oder abgebrannten Hauſes (d); die einzige Ausnahme, die

 

(c) L. 34 pr. C. de don. (8.

54.), Nov. 52 C. 2.

(d) L. 36 § 2 C. de don. (8.

54.). Es heißt hier „pecunias

.. praebentibus vel cautionem

conficientibus;” daher glaubt

Marezoll S. 26, es dürfe keine

andere Sache als Geld Gegen-

ſtand der Schenkung ſeyn. Ich

glaube, es heißt: Geld (oder Gel-

deswerth), und es ſollte nur aus-

gedrückt werden, daß ein Verſpre-

chen ſo gut von der Inſinuation

befreyt ſeyn ſollte, als die Tra-

|0236 : 222|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

dem Verbot in der Ehe und der verſäumten Inſinuation

gemeinſchaftlich angehört. Entſteht hinterher Streit über

die Verwendung, ſo ſoll dieſer durch des Empfängers Eid

entſchieden werden.

Dann die Schenkung zur eausa piissima, das heißt

zum Loskauf von Gefangenen. Auch hier ſoll über die

Verwendung der Eid des Empfängers genügen (e).

 

Blos hiſtoriſche Bedeutung hat die Befreyung der

Schenkungen beweglicher Sachen, welche ein Magister

militum an verdiente Soldaten giebt (f).

 

Ungleich wichtiger iſt die Ausnahme für den Fall ei-

ner gegebenen Dos. Giebt die Frau ſelbſt eine ſolche, ſo

iſt es gar nicht Schenkung (§ 152), und bedarf deshalb

keiner Inſinuation. Giebt aber ein Frrmder, ſo liegt darin

eine wahre Schenkung an die Frau, und daß dieſe von

der Inſinuation befreyt iſt, muß als poſitive Ausnahme

angeſehen, und aus der auch in anderen Beziehungen vor-

kommenden Begünſtigung der Dos erklärt werden (g).

 

dition. Pecuniae ſind genannt,

weil in dieſem Fall am Gewöhn-

lichſten Geld gegeben werden wird.

(e) L. 36 pr. C. de don. (8.

54.). Hier heißt es gleichfalls „pe-

cunias dederit, sive per cau-

tionem dare promiserit,” wes-

halb wiederum Marezoll S. 25

die Befreyung auf Geldſchenkun-

gen einſchränken will. Aus den

in Note d angeführten Gründen

halte ich dieſe Beſchränkung für

unrichtig, hier aber um ſo mehr,

als dieſelbe Befreyung auch ſchon

in L. 34 pr. C. eod. vorkommt,

und zwar ohne Angabe irgend ei-

nes Gegenſtandes.

(f) L. 36 § 1 C. de don. (8.

54.) „donationes rerum mobi-

lium vel sese moventium.” Dieſe

Bezeichnung des Gegenſtandes hat

augenſcheinlich eine beſchränkende

Bedeutung.

(g) L. 31 pr. C. de j. dot.

(5. 12.). Vgl. oben § 157. s. —

Anfangs galt dieſelbe Befreyung

|0237 : 223|

§. 167. Schenkung. Einſchränk. 2. Erſchwerende Formen. (Fortſ.)

Dagegen müſſen folgende Ausnahmen verworfen wer-

den. Zuerſt die von Manchen behauptete Ausnahme der

remuneratoriſchen Schenkungen. Dieſe ſind der gewöhnli-

chen Regel der Inſinuation unterworfen, mit Ausnahme

des Lohnes für Lebensrettung, welcher gar nicht als Schen-

kung betrachtet wird (§ 153). — Ferner die Schenkung

an eine pia causa. Dieſe war früher befreyt bis zu der

Summe von 500 Solidi (h); ſeitdem dieſe Summe zur

allgemeinen Regel erhoben worden iſt, hat jene Ausnahme

ihre Bedeutung verloren. — Ganz beſonders auch fällt

hier weg die Beſtaͤtigung der ungültigen Schenkung durch

den Tod, welche bey der Schenkung in der Ehe durch

den Senatsſchluß vom J. 206 eingeführt wurde (§ 164).

Denn dieſe beruht auf einer ganz poſitiven Vorſchrift, die

wir nicht willkührlich ausdehnen können; auch war ihre

Veranlaſſung dem ehelichen Verhältniß ganz eigenthümlich

(§ 164. d). Daher hat ſelbſt für Ehegatten Juſtinian

ausdrücklich vorgeſchrieben, daß ihre mehr als 500 Solidi

betragende Schenkungen durch den Tod nur dann beſtätigt

ſeyn ſollen, wenn die Form der Inſinuation dabey beob-

 

auch für die donatio propter

nuptias. Nov. 119 C. 1. Spä-

terhin wurde dieſe Befreyung für

den Fall aufgehoben, da der Mann

aus Eheverträgen die Dos lucri-

ren will. Nov. 127 C. 1. Die In-

ſinuation iſt hier etwas Beſonde-

res, von der bey der Schenkung

Verſchiedenes, denn eine wahre

Schenkung an die Frau liegt in

der Beſtellung der donatio pro-

pter nuptias von Seiten des Man-

nes nicht, ſo wenig als in der

Dos, die der Mann von der Frau

empfängt.

(h) L. 19 C. de SS. eccl. (1.

2.), L. 34 pr. § 1 C. de don.

(8. 54.).

|0238 : 224|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

achtet ſey (i); um ſo weniger kann unter Fremden der

Tod des Gebers die fehlende Inſinuation erſetzen. Auch

in dieſer Beziehung iſt daher die neuere Vorſchrift der

Inſinuation ſtrenger als die L. Cincia, indem nach dieſer

die Beſtätigung durch den Tod zugelaſſen wurde (§ 165. f),

anſtatt daß gegenwärtig die verſäumte Inſinuation auch

von dem Erben des Gegners geltend gemacht werden kann.

Vergleichen wir nunmehr das Verbot unter Ehegatten

mit der Vorſchrift der Inſinuation, ſo ergiebt ſich folgen-

der praktiſcher Zuſammenhang. Jede Schenkung, welche

den Werth von 500 Solidi überſteigt, und nicht inſinuirt

wird, iſt in der Regel nichtig. Unter Ehegatten iſt auch

eine geringere Schenkung nichtig, ſo wie eine mit Inſinua-

tion verſehene groͤßere; dieſe eigenthümliche, weiter gehende,

Beſchränkung in der Ehe wird jedoch beſeitigt, wenn der

Geber in der Ehe ſtirbt, ohne einen veränderten Willen

an den Tag zu legen (k).

 

§. 168.

V. Schenkung. — Einſchränkungen. 3. Widerruf aus

beſonderen Gründen.

Um die eigenthümliche Natur dieſes Widerrufs klar zu

 

(i) L. 25 C. de don. int. vir.

(5. 16.).

(k) Ganz ſo iſt das Verhält-

niß anerkannt in L. 25 C. de

don. int. vir. (5. 16.).

|0239 : 225|

§. 168. Schenkung. Einſchränkungen. 3. Widerruf.

machen, iſt es nöthig, die Vergleichung mit anderen Rechts-

verhältniſſen zum Grunde zu legen.

Wer Etwas giebt, um dadurch einen anderen juriſti-

ſchen Zweck, als welcher ſchon in dem Geben ſelbſt liegt,

zu erreichen (ob causam), der kann in der Regel das Ge-

gebene zurückfordern, wenn die causa eine irrige war.

Ausnahmsweiſe kann er es auch ohne Irrthum: nament-

lich geſtattet das Römiſche Recht bey den Innominatcon-

tracten eine Rückforderung wegen bloßer Reue des Ge-

bers. In allen dieſen Fällen gelten Condictionen, von

welchen jedoch bey der Schenkung keine Anwendung zu-

läſſig iſt (a), weil dieſe keinen außer dem Geben liegenden

juriſtiſchen Zweck hat, weshalb das Geben ob causam

einen ſcharfen Gegenſatz bildet gegen das Geben als

Schenkung.

 

Bey der Schenkung kann ein Widerruf aus folgenden

Gründen eintreten. Erſtlich wenn ein ſolcher beſonders

ausbedungen iſt, welcher Nebenvertrag die Natur eines

Modus annimmt (§ 175. d). Zweytens wenn die Schen-

kung nach poſitiven Rechtsregeln ungültig iſt, nämlich ent-

weder wegen des ehelichen Verhältniſſes, oder wegen der

verſäumten Inſinuation; in dieſen Fällen kann das Ge-

ſchenk bald durch Vindication, bald durch Condiction, zu-

rückgefordert werden (§ 163. 167).

 

Wenn nun gegenwärtig, unabhängig von dieſen Grün-

 

(a) L. 3. 4 de revocandis don. (8. 56.). L. 6. 7 C. de cond. ob

causam (4. 6.).

IV. 15

|0240 : 226|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

den (die eine allgemeinere Natur haben), noch von einem

beſonderen Widerruf die Rede iſt, ſo bezieht ſich dieſer

auf ſolche Schenkungen, die an ſich ſelbſt gültig ſind, ſo

daß er ſtets die Natur einer Ausnahme an ſich trägt.

Ich habe ihn deshalb als Widerruf aus beſonderen Grün-

den bezeichnet (b).

Der Widerruf ſelbſt iſt von ganz verſchiedener Art;

in einigen Fällen wird er von einem Dritten ausgeübt,

deſſen Rechte durch die Schenkung beeinträchtigt ſind, alſo

gegen den Willen des Gebers: in anderen Fällen von dem

Geber ſelbſt, alſo in Folge einer in dem Willen deſſelben

vorgegangenen Veränderung.

 

Der Widerruf eines Dritten kommt vor in zwey Fäl-

len: bey der inofficiosa donatio, und in der Pauliana actio.

 

Sind durch Schenkungen die Anſprüche naher Ver-

wandten auf den Pflichttheil verletzt, ſo können dieſe eine

Ergänzung des Pflichttheils verlangen, und zu dieſem

Zweck einen Theil der Schenkung zurück fordern (c). Die

 

(b) Eigenthümliche Quellen da-

für ſind: Cod. Theod. VIII. 13,

Cod. Just. VIII. 56. — Donellus

Lib. 14 C. 26—32 hat dieſen Ge-

genſtand ſehr ausführlich behan-

delt.

(c) Fragm. Vat. § 270. 271.

280. 281, Cod. Theod. II. 20, Cod.

Just. III. 29. Francke Nother-

benrecht § 42. 43. 44. — Allerdings

hat es nach L. 5. C. tit. cit. den

Schein, als könne der Geber ſelbſt,

wenn ihm nachher Kinder gebo-

ren werden, einen Theil des Ge-

ſchenks zurück fordern, um der

Verletzung des Pflichttheils ſchon

jetzt vorzubeugen; allein die da-

gegen von Donellus XIX. 11

§ 21. 22 aufgeſtellte Gründe ſind

doch überwiegend. Vorzüglich

bleibt es ja bis zu des Gebers

Tod ganz ungewiß, ob ihn Kin-

der überleben werden, denen durch

die Schenkung Etwas entzogen

wird. In der angeführten Stelle

hatte allerdings der Geber ſelbſt

|0241 : 227|

§. 168. Schenkung. Einſchränkungen. 3. Widerruf.

genauere Darſtellung dieſes Rechtsverhältniſſes iſt nur im

Erbrecht, in Verbindung mit dem Pflichttheil, möglich.

Hat ein Schuldner durch Schenkungen ſein Vermoͤgen

unredlicherweiſe inſolvent gemacht, oder deſſen Inſolvenz

vermehrt, ſo können die Glaubiger dieſe Schenkungen wi-

derrufen, ſelbſt wenn der Empfänger keine Kenntniß von

der Unredlichkeit des Gebers hatte (d). Die genauere Dar-

ſtellung dieſes Rechtsſatzes gehört in die Lehre von der

Inſolvenz der Schuldner.

 

Der Widerruf des Gebers kommt gleichfalls vor in

zwey Fällen (e), wovon jedoch nur einer noch im heuti-

 

bey den Kaiſern angefragt, und

dieſe antworten ihm: „id quod

.. liberis relinqui necesse est,

ex factis donationibus detrac-

tum, … ad patrimonium tuum

revertetur.” Allein dieſe Worte

können auch von der künftig, nach

dem Tode des Gebers, eintreten-

den Klage der nachgebornen Kin-

der verſtanden werden, ſo daß ſie

eine beruhigende Belehrung über

deren ſpäteres Schickſal enthal-

ten. Ad patrimonium tuum

heißt dann ſo viel als ad here-

ditatem tuam. Abweichender

Meynung iſt Francke S. 517

— 519, unter andern deswegen,

weil es zur Erziehung des posthu-

mus nöthig ſeyn könne; allein

dadurch geht man aus dem Be-

griff der Inofficioſität ganz her-

aus, und verirrt ſich in den Wi-

derruf wegen nachgeborner Kin-

der, der ganz andere Bedingun-

gen und Gründe hat (Note g. h).

(d) War der Erwerber mitwiſ-

ſend, ſo kommt es nicht einmal

auf deſſen Bereicherung an; nur

im Fall der Unwiſſenheit deſſel-

ben iſt daher die Schenkung als

eigenthümliche Bedingung des Wi-

derrufs zu betrachten. Vergl.

§ 145. d. — Manche rechnen da-

hin auch die actio Faviana, aber

mit Unrecht, weil dieſe weder Be-

reicherung, noch Mitwiſſen vor-

ausſetzt, ſo daß bey ihr die Schen-

kung gar keine eigenthümliche

Wirkung hat, ſondern mit allen

anderen Veräußerungen gleich

wirkt: Vgl. § 145. g.

(e) Man könnte dahin auch

noch rechnen den Widerruf der

Brautgeſchenke, wenn die Ehe

nicht zu Stande kommt; allein

dieſer wird vielmehr dadurch be-

gründet, daß man in jenem Fall

die urſprüngliche Schenkung als

ein datum ob causam (non se-

cutam) behandelt. Vgl. § 162. i.

15*

|0242 : 228|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

gen Recht übrig iſt: wegen nachgeborner Kinder des Ge-

bers, und wegen Undankbarkeit des Empfängers.

Die erſte Art des Widerrufs hatte folgenden Urſprung.

Wenn ein Patron ſeinem Freygelaſſenen Etwas ſchenkte,

ſo galt lange Zeit ein ganz willkührlicher Widerruf. Man

nahm an, der Patron werde dazu im Betragen des Frey-

gelaſſenen Gründe gefunden haben, die kein Richter prü-

fen dürfe; erſt mit dem Tode des Patrons ſollte dieſe

Willkühr aufhören (f). Späterhin gieng man von dieſem

ausgedehnten Recht des Patrons ab, und geſtattete ihm

den Widerruf nur in zwey Fällen: bey nachgebornen Kin-

dern, und bey erweislicher Undankbarkeit. Der erſte die-

ſer Fälle, der ſich in einer Conſtitution des K. Conſtantius

vom J. 355 erhalten hat (g), kann für uns nur noch hi-

ſtoriſche Bedeutung haben. Manche haben Dieſes bezwei-

felt, indem ſie daſſelbe Recht des Widerrufs auf jede

Schenkung überhaupt, nicht blos auf die von einem Pa-

tron ausgehende, anwenden wollten; ſie giengen davon

aus, daß die Reſcripte des Codex oft die Zufälligkeiten

des einzelnen Falles erwähnten, ohne daß wir dieſe als

 

(f) Fragm. Vaticana § 272.

313. — Ganz unrichtig würde man

damit in Verbindung bringen

wollen die ähnlich lautende Re-

gel, daß die Schenkung eines

Vaters an ſeinen Sohn in po-

testate erſt durch den Tod be-

ſtätigt wird. (Fragm. Vatic.

§ 274. 277. 278. 281. L. 25 C.

de don. int. vir. 5. 16.). Denn

dieſes gründet ſich nicht auf ein

beſonderes Revocationsrecht des

Vaters, ſondern auf die natür-

liche Nichtigkeit einer ſolchen

Schenkung, die nur durch die

Beſtätigung vermittelſt eines (ſtill-

ſchweigenden) letzten Willens be-

ſeitigt werden kann.

(g) L. 3 C. Th. de revoc. don.

(8. 13.), L. 8 C. Just. eod. (8. 56.).

|0243 : 229|

§. 168. Schenkung. Einſchränkungen. 3. Widerruf.

Bedingungen der ausgeſprochenen Rechtsregel anſehen dürf-

ten. Allein dieſe an ſich wahre Bemerkung paßt nicht auf

die angeführte Kaiſereonſtitution, die kein Reſcript, ſon-

dern ein Edict iſt, und die einen Widerruf, der immer

nur Ausnahme von der Regel iſt, lediglich dem Patron

im Fall nachgeborner Kinder geſtattet (h). Mußte nun die

Sache ſo angeſehen werden, ſchon bey unbefangener Be-

trachtung der angeführten Conſtitution für ſich, ſo blieb

vollends kein Zweifel, ſeitdem der oben bemerkte hiſtori-

ſche Zuſammenhang entdeckt war; denn nunmehr erſcheint

jenes im Codex anerkannte Recht des Patrons als ein

bloßer Überreſt ſeines früheren weit ausgedehnteren Rechts,

wodurch jede Veranlaſſung verſchwindet, auch fremden Per-

ſonen ein gleiches Recht einzuräumen.

Der Widerruf wegen Undankbarkeit hat folgende Ent-

wicklung gehabt. Anfangs beſtand er bey den Schenkun-

gen des Patrons, aber als bloße Folge des dieſem zu-

kommenden ganz willkührlichen Widerrufs (Note f). Dann

wurde er bey dem Patron durch das erweisliche Daſeyn

 

(h) Sehr gründlich iſt jene ir-

rige Meynung widerlegt ſchon von

J. Gothofred. in L. cit. Cod.

Theod., der zwar die Vaticani-

ſchen Fragmente noch nicht kannte.

— Von den Praktikern freylich

wird die entgegengeſetzte Mey-

nung vertheidigt. Lauterbach

XXXIX. 5 § 53—57. Da ſie

ſelbſt aber dieſen Widerruf doch

nicht für jede geringe Schenkung

geſtatten wollen, ſo ſind ſie nun

genöthigt, hierin Alles in des

Richters Willkühr zu ſtellen. Für

das wahre und dringende Be-

dürfniß genügt in ſolchen Fällen

der Widerruf der inofficiosa do-

natio (Note c), der allerdings

auch auf den Fall nachgeborner

Kinder anwendbar iſt. L. 5 C.

de inoff. don. (3. 29.).

|0244 : 230|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

wirklicher Undankbarkeit bedingt, alſo in dieſer Beziehung

das Recht des Patrons ſehr beſchränkt (i). In dieſer be-

ſchränkten Geſtalt aber wurde der Widerruf, wie es ſcheint

ſehr frühe, auch für die Schenkungen der Eltern an ihre

Kinder zugelaſſen (k). Endlich erhob Juſtinian den Wi-

derruf wegen Undankbarkeit zu einer allgemeinen Rechts-

regel, in welcher alſo die früheren beſonderen Befugniſſe

der Eltern und Patronen ſich verloren haben (l).

§. 169.

V. Schenkung. — Einſchränkungen. 3. Widerruf aus

beſonderen Gründen. (Fortſetzung.)

Der Widerruf wegen Undankbarkeit unterſcheidet ſich

von den früher dargeſtellten Einſchränkungen der Schen-

kung (§ 162—167) hauptſächlich darin, daß hier niemals

von einer Nichtigkeit des Rechtsgeſchäfts die Rede ſeyn

 

(i) Dieſe Veränderung wird

recht augenſcheinlich, wenn man

das Reſcript des Kaiſers Phi-

lippus, wie es in L. 1 C. de re-

voc. don. (8. 56.) erſcheint, mit

ſeiner urſprünglichen Geſtalt ver-

gleicht, die ſich in Fragm. Vat.

§ 272 erhalten hat. — Welchen

Punkt in der Entwicklung dieſes

Rechtsinſtituts Fragm. Vat. § 275

bezeichnet, iſt ungewiß; über die

Erklärung und über den Text

dieſer Stelle ſind ganz entgegen-

geſetzte Meynungen aufgeſtellt

worden. Haſſe Rheiniſch. Mu-

ſeum I. 229. Unterholzner

ebendaſ. III. 153. Buchholtz ad

§ 275 cit.

(k) L. 31 § 1 de don. (39. 5.),

L. 7 C. de revoc. don. (8. 56.)

(iſt L. 1 C. Th. eod.), L. 9 C.

eod. (iſt L. 6 C. Th. eod.), L. 2.

4 C. Th. eod. (8. 13.). — In der

angeführten Digeſtenſtelle wäre

es möglich, daß die Erwähnung

der Revocation auf einer Inter-

polation beruhte; nur kann Die-

ſes aus den wenigen in Fragm.

Vatic. § 254 erhaltenen Worten

nicht gefolgert werden.

(l) L. 10 C. de revoc. don.

(8. 56.).

|0245 : 231|

§. 169. Schenkung. Einſchränkungen. 3. Widerruf. (Fortſ.)

kann, ſondern nur von einem perſönlichen Anſpruch auf

Rückgabe des Geſchenks. Daher kann zu dieſem Zweck

niemals eine Vindication gebraucht werden, ſondern nur

eine perſönliche Klage. Bey der Schenkung in der Ehe

galt eine condictio sine causa oder ex injusta causa

(§ 163. h), und eben ſo im Fall der verſäumten Inſinua-

tion; denn in beiden Fällen ſtand die factiſch vorhandene

donationis causa im Widerſpruch mit abſoluten Rechtsre-

geln. Ein ſolcher Widerſpruch iſt hier nicht vorhanden,

ſondern es iſt nur dem Geber das Recht eingeräumt, die

an ſich gültige Schenkung zu entkräften. Donellus nimmt

an, jede Schenkung enthalte den ſtillſchweigenden Vertrag,

daß der Empfänger die Undankbarkeit meiden ſolle; bey

Verletzung dieſes Vertrags gelte die condictio ob causam

datorum (a). Dieſe Annahme iſt aber gezwungen und will-

kührlich, da in der Wirklichkeit faſt Niemand zur Zeit der

Schenkung an ein ſolches künftiges Misverhältniß denken

wird; wo zu ſolchen Gedanken Grund iſt, werden eher

andere Formen, als die der Schenkung, gewählt werden.

— Niemand zweifelt, daß aus der Natur der Schenkung

dieſe Art des Widerrufs durchaus nicht abgeleitet werden

könne, und daß wir ihn gar nicht zulaſſen würden, wenn

nicht ein beſtimmtes Geſetz von Juſtinian ihn eingeführt

hätte; daher habe ich kein Bedenken, die Klage eine con-

dictio ex lege zu nennen.

Das Recht zu dieſer Klage hat nur der Geber ſelbſt,

 

(a) Donellus XIV. 31 § 7—14.

|0246 : 232|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

nicht deſſen Erbe (b). Wollte man dieſes buchſtäblich neh-

men, ſo müßte der Geber ſchon wirklich die Klage ange-

ſtellt haben, um ſie vererben zu können. Allein auch der

bloße Wille des Widerrufs reicht dazu ſchon hin, ſo daß

die Klage nur wegfällt, wenn der Geber ſtirbt, ohne ſei-

nen veränderten Willen auf irgend eine Weiſe an den

Tag gelegt zu haben. Dafür ſpricht die Analogie der

Schenkung in der Ehe, die gleichfalls durch den Tod un-

widerruflich wird, und zwar auf die hier angegebene Weiſe

(§ 164). Daß aber in der That dieſe Analogie im Sinn

des Geſetzes liegt, zeigen deſſen Ausdrücke deutlich ge-

nug (c).

Eben ſo geht die Klage nur unmittelbar gegen den

Empfänger ſelbſt, nicht gegen deſſen Erben; das heißt, es

muß der Geber ſeinen veränderten Willen kund gegeben

haben, ſo lange der Empfänger noch lebte. Bey der

Schenkung der Mutter an ihre Kinder iſt dieſes ausdrück-

 

(b) L. 10 C. de revoc. don.

(8. 56.).

(c) L. 10 C. cit. „Etenim si

ipse, qui hoc passus est, ta-

cuerit; silentium ejus maneat

semper, et non a posteritate

ejus suscitari concedatur, vel

adversus eum qui ingratus esse

dicitur, vel adversus ejus suc-

cessores..” — Von demjenigen,

welcher ſeine Unzufriedenheit und

die Abſicht des Widerrufs aus-

geſprochen, nur aber noch nicht

die Klage angeſtellt hat, würden

die Ausdrücke tacuerit und si-

lentium unmöglich gebraucht wer-

den können. Dieſes führt auch

Donellus XIV. 29 § 7 — 12 ſehr

gut aus; nur behauptet er § 11

etwas Anderes für die ſchenkende

Mutter, weil in L. 7 C. eod.

ſteht: nec in heredem detur,

nec tribuatur heredi. Allein

dieſe unbeſtimmten Ausdrücke

müſſen aus den beſtimmteren der

L. 10 cit. erklärt werden, da nicht

die Abſicht erhellt, in dieſem Stück

für die Mutter etwas Abweichen-

des zu beſtimmen.

|0247 : 233|

§. 169. Schenkung. Einſchränkungen. 3. Widerruf. (Fortſ.)

lich geſagt, und daher auch unbeſtritten (d). Schon hier-

aus wird es wahrſcheinlich, daß dieſelbe Beſchränkung

auch in allen anderen Fällen gelten müſſe, indem die Ab-

ſicht, hierin etwas Beſonderes für die Mutter zu beſtim-

men, nicht angedeutet iſt; allein Juſtinian hat es auch im

Allgemeinen deutlich genug ausgeſprochen (e).

Die Bedingung der Klage iſt im Allgemeinen die Un-

dankbarkeit des Empfängers; allein Juſtinian hat Fünf

einzelne Fälle dieſer Undankbarkeit angegeben, und aus-

drücklich beſtimmt, in jedem derſelben ſolle der Widerruf

gelten, außer ihnen durchaus nicht (f). Die Fälle ſelbſt

ſind folgende:

 

1) Grobe wörtliche Beleidigungen (g).

2) Thätlichkeiten gegen die Perſon des Gebers (h).

(d) L. 7 C. de revoc. don. (8.

56.) „nec in heredem detur,

nec tribuatur heredi.”

(e) L. 10 C. cit. „Hoc ta-

men usque ad primas personas

tantummodo stare censemus.”

Die primae personae ſind der

Geber und der Empfänger, auf

welche alſo der Widerruf indivi-

duell beſchränkt ſeyn ſoll. Daß

in den folgenden Worten die Be-

ſchränkung in Beziehung auf die

Erben des Gebers noch beſon-

ders eingeſchärft wird (Note c),

kann jener an der Spitze ſtehen-

den Regel ihre Kraft nicht ent-

ziehen. Es iſt unglaublich, wel-

che Mühe Donellus XIV. 30

§ 1 — 15 aufwendet, um jenen

Satz zu widerlegen, indem er

ganz ohne Grund die oben ab-

gedruckten Worte für zweydeutig

ausgiebt. Er argumentirt ledig-

lich aus allgemeinen Gründen,

allein auch dieſe entſcheiden gegen

ihn, wenn man das Rechtsver-

hältniß in ſeiner wahren Natur

auffaßt. Denn dieſer Widerruf

hat eigentlich die Natur einer

Strafklage, und ſolche gehen über-

haupt nicht gegen den Erben.

(f) L. 10 C. cit. „Ex his enim

tantummodo causis .. donatio-

nes in eos factas everti con-

cedimus.” Donellus XIV. 27

§ 6—15 handelt ausführlich von

dieſen Fällen.

(g) „ita ut injurias atroces

in eum effundat.”

(h) „vel manus impias infe-

|0248 : 234|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

3) Bedeutender Vermögensverluſt, der dem Geber nicht

blos gedroht, ſondern wirklich zugezogen wird (i).

4) Lebensgefahr, in welche der Geber durch den Em-

pfänger gebracht wird.

5) Wenn der Empfänger die Verpflichtungen zu erfül-

len verweigert, die ihm bey der Schenkung auferlegt wur-

den. Hier hätte es dieſes beſonderen Rechts auf Wider-

ruf nicht einmal bedurft, da die gewöhnliche Regel der

donatio sub modo ſchon hinreichende Rechtsmittel dar-

bot (§ 175). Es hat alſo nunmehr für einen ſolchen Fall

der Geber die Wahl, ob er die Schenkung wegen Un-

dankbarkeit widerrufen, oder jene allgemeineren Rechtsmit-

tel gebrauchen will; auf dieſe letzten kann die Ausſchlie-

ßung der beiderſeitigen Erben nicht bezogen werden, die für

den Widerruf wegen Undankbarkeit vorgeſchrieben iſt (k).

rat.” In dieſen beiden Fällen

ſind offenbar die Verbal- und

Real-Injurien ausgedrückt. Die

Beurtheilung der Schwere iſt

dem Ermeſſen des Richters über-

laſſen, der dabey natürlich auch

das perſönliche Verhältniß zu er-

wägen hat. Dieſelben Worte, die

im Munde eines Sohnes gegen

den Vater injuriae atroces ſind,

werden es vielleicht nicht ſeyn,

wenn ſie ein Höherer gegen ei-

nen Niederen gebraucht.

(i) Die Größe des Verluſtes,

die zum Widerruf nöthig iſt („non

levem sensum substantiae do-

natoris imponat”), iſt dem richter-

lichen Ermeſſen überlaſſen. Ganz

willkührlich nimmt Donellus l. c.

§ 10 den dritten Theil des Ver-

mögens als Minimum an, weil

dieſes die geringſte Vermögens-

ſtrafe iſt, die als Folge eines

publicum judicium im R. R.

erwähnt wird.

(k) Sehr gut hat dieſes Ver-

hältniß entwickelt Donellus XIV.

27 § 12—15 und XIV. 30 § 16.

17.— Mühlenbruch § 443 not. 8

der vierten Ausg. nimmt hieran

ohne Grund Anſtoß, da doch ſonſt

Fälle genug vorkommen, worin ein

Kläger die Wahl hat zwiſchen meh-

reren Klagen von verſchiedenen

Bedingungen und Folgen.

|0249 : 235|

§. 169. Schenkung. Einſchränkungen. 3. Widerruf. (Fortſ.)

Giebt es nun etwa Ausnahmen von dieſer Klage auf

Rückgabe, ſelbſt wenn eine jener Bedingungen vorhanden

iſt? Man könnte eine ſolche Ausnahme annehmen wollen

für den Fall, da bey der Schenkung ſelbſt auf den Wi-

derruf verzichtet wird; ein ſolcher Verzicht aber muß für

unwirkſam gehalten werden, weil durch ihn die einer Un-

ſittlichkeit ſteuernde Rechtsregel entkräftet werden würde (l).

— Manche haben eine Ausnahme behauptet für die remu-

neratoriſchen Schenkungen. Setzt man, mit Donellus, den

Grund des Widerrufs in einen auf die Zukunft gerichte-

ten ſtillſchweigenden Vertrag (Note a), ſo könnte man die-

ſer Meynung geneigt ſeyn, weil der Geber bey der remu-

neratoriſchen Schenkung ſeinen Blick mehr nach der Ver-

gangenheit richtet als nach der Zukunft. Giebt man aber

dieſe Herleitung auf, und überzeugt man ſich zugleich da-

von, daß die remuneratoriſche Schenkung von jeder an-

deren juriſtiſch gar nicht verſchieden iſt, ſo muß man jene

Ausnahme verwerfen (§ 153. a. b). — Eine Ausnahme je-

doch iſt in der That anerkannt, und ſelbſt im neueſten

Recht theilweiſe beybehalten worden. Wenn eine Mutter

ihre Kinder beſchenkt, hinterher aber entweder zu einer

zweyten Ehe ſchreitet, oder gar einen offenbar ſittenloſen

 

(l) Alſo nach der Analogie von

L. 27 § 4 de pactis (2. 14.),

worin für ungültig erklärt wer-

den die Verträge ne furti agam,

vel injuriarum, si feceris, und

ne experiar interdicto unde vi.

Von dieſen heißt es turpem cau-

sam continent, was man gewiß

auch ſagen kann von einem Ver-

trag, der die Undankbarkeit von

einem geſetzlich angedrohten Nach-

theil befreyt. Vergl. auch L. 1

§ 7 depositi (16. 3.) und L. 23

de R. J. (50. 17.).

|0250 : 236|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Lebenswandel führt, ſo ſollte ſie jenen Widerruf nicht aus-

üben können (m). Den letzten dieſer Fälle hat Juſtinian

unverändert gelaſſen, ſo daß er noch jetzt gelten muß;

den erſten aber hat er auf folgende ganz willkührliche

Weiſe modificirt. Die ſchenkende Mutter, die zur zweyten

Ehe ſchreitet, ſoll zwar auch den Widerruf haben, jedoch

nicht ganz auf dieſelbe Weiſe wie andere Perſonen (n).

Der Fall der Verbalinjurien iſt weggelaſſen; Realinjurien

und zugezogene Lebensgefahr ſind geblieben; aus dem zu-

gezogenen Verluſt im Vermögen iſt gemacht eine bloße be-

drohende Unternehmung, die jedoch gegen das ganze Ver-

mögen gerichtet ſeyn ſoll (o); endlich die Verweigerung

übernommener Verpflichtungen iſt weggelaſſen, welches je-

doch ziemlich gleichgültig iſt, da für dieſen Fall ſchon an-

dere Klagen vorhanden ſind, die hier gewiß nicht verſagt

werden ſollten (p).

Es bleibt nun noch übrig, die Wirkungen des Wider-

rufs wegen Undankbarkeit feſtzuſtellen. Iſt das Geſchenk

noch unverändert im Vermoͤgen vorhanden, ſo hat die

 

(m) L. 7 C. de revoc. don.

(8. 56.).

(n) Nov. 22 C. 35, Auth. Quod

mater C. de revoc. don. (8. 56.).

(o) Donellus XIV. 27 § 24

nimmt an, die hierin liegende

Ausdehnung (des wirklichen Ver-

luſtes auf blos bedrohende Un-

ternehmungen) müſſe um ſo mehr

auch den Müttern, die nicht zur

zweyten Ehe ſchreiten, ſo wie den

ſchenkenden Vätern, zu gut kom-

men. Will man nicht Juſtinian

auf alle Conſequenz verzichten laſ-

ſen, ſo muß dieſes zugegeben wer-

den. Doch kann man allerdings

bey ſo willkührlichen Verordnun-

gen die bloße Conſequenz nicht

mit demſelben Vertrauen, wie

bey anderen Rechtsregeln, gel-

tend machen.

(p) Donellus XIV. 28 § 9.

|0251 : 237|

§. 169. Schenkung. Einſchränkungen. 3. Widerruf. (Fortſ.)

Rückforderung deſſelben keinen Zweifel. Hat daſſelbe ir-

gend eine Verwandlung erlitten durch Umtauſch, ſo daß

der Werth deſſelben als Bereicherung im Vermögen übrig

iſt, ſo kann die Klage auf dieſen vorhandenen Werth ge-

richtet werden (§ 149 — 151). Wie aber wenn das Ge-

ſchenk durch des Empfängers freye Handlung (Verſchwen-

dung oder Schenkung an Andere) untergegangen iſt? Hier

hat es wohl kein Bedenken, den Empfänger frey zu ſpre-

chen, wozu noch dringendere Gründe vorhanden ſind, als

bey der Schenkung unter Ehegatten. Denn der beſchenkte

Ehegatte weiß doch, daß die Sache nicht ihm gehört, und

er kann höchſtens annehmen (meiſt auch mit Grund), daß

ſeine Verfügung dem Willen des Eigenthümers nicht ent-

gegen ſey. In unſrem Fall aber iſt der Empfänger in

der That Eigenthümer, und ſeine willkührliche Handlung,

wodurch das Geſchenk aus ſeinem Vermögen kommt, iſt

daher eine rechtmäßige und tadelloſe. Freylich ſtellt ſich

die Sache anders, ſobald die Undankbarkeit vor der Con-

ſumtion Statt fand; denn nun mußte der Beſchenkte den

Widerruf erwarten, und wenn er dennoch die Sache con-

ſumirte, ſo konnte man von ihm ſagen: dolo fecit quo

minus restitueret (q). Ja es wäre unbedenklich Daſſelbe

anzunehmen, wenn zwar die undankbare Handlung erſt

nach der Conſumtion vorfiele, jedoch zugleich bewieſen

(q) Es entſcheidet hier die au-

genſcheinlich paſſende Analogie des

ſogen. beneficium competentiae,

welches auch Demjenigen verſagt

wird, qui dolo facit quo minus

facere possit. L. 63 § 7, L. 68

§ 1 pro socio (17. 2.).

|0252 : 238|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

werden könnte, daß der Entſchluß zu dieſer Handlung zur

Zeit der Conſumtion ſchon vorhanden war. — Dieſe, aus

der allgemeinen Natur des Rechtsverhältniſſes, verglichen

mit den Vorſchriften über die Schenkung in der Ehe, ab-

geleiteten Rechtsregeln werden durch folgende beſondere

Beſtimmung über die Schenkung der Mutter, vielmehr be-

ſtätigt, als zweifelhaft gemacht (r):

Ceterum ea, quae adhuc matre pacifica jure perfecta

sunt, et ante inchoatum coeptumque jurgium vendita,

donata, permutata, in dotem data, ceterisque causis

legitime alienata: minime revocamus. Actionem vero

matris ita personalem esse volumus, ut vindicationis

tantum habeat effectum: nec in heredem detur, nec

tribuatur heredi.

Der Sinn der Stelle iſt folgender: Die Mutter ſoll,

wenn die geſchenkten Sachen vor der Undankbarkeit rechts-

gültig veräußert ſind, keine Klage gegen die dritten Be-

ſitzer haben, alſo keine in rem actio. Ja ihre Klage ſoll

in dem Grade blos personalis ſeyn, daß ſie von keiner

Seite auf die Erben übergehen ſoll; ſie ſoll daher nur ge-

gen den Beſchenkten ſelbſt, wenn dieſer noch beſitzt, eine

ähnliche Wirkung wie die Vindication hervorbringen, näm-

lich die Reſtitution erzwingen. — In dieſer Verſagung

einer Klage gegen die dritten Beſitzer liegt aber keineswe-

ges auch die Verneinung einer Condiction gegen den Em-

 

(r) L. 7 C. de revoc. don. (8. 56.).

|0253 : 239|

§. 170. Schenkung auf den Todesfall.

pfänger, inſoweit dieſer durch den eingenommenen Kauf-

preis bereichert iſt (s).

Was endlich die Früchte der geſchenkten Sache be-

trifft, ſo iſt gleichfalls nach denſelben Regeln zu verfah-

ren, welche für die Früchte eines unter Ehegatten gege-

benen Geſchenks gelten (§ 147).

 

Auch bey dieſem Widerruf kann die Frage entſtehen,

wie er auf Dritte, mit der Schenkung in Verbindung ſte-

hende, Perſonen einwirke. Dieſe Frage wird in ihrem

vollſtändigen Zuſammenhang in der Beylage X. behandelt.

 

§. 170.

V. Schenkung. — Beſondere Arten. 1. Schenkung

auf den Todesfall.

Bey denjenigen Schenkungen, welche auf Verträgen

beruhen, iſt ſchon oben die Möglichkeit von Bedingungen

 

(s) Donellus XIV. 31 § 3 —6

behandelt dieſe Frage auf ſehr ein-

ſeitige Weiſe. Als Regel nimmt

er an, der Empfänger müſſe den

Werth der veräußerten Sache in

jedem Fall herauszahlen, er möge

durch die Veräußerung reicher ſeyn

oder nicht; damit tritt er dem

Empfänger zu nahe. Als Aus-

nahme ſoll gelten die Schenkung

der Mutter, bey welcher die Klage

gegen den Beſchenkten durch jede

Veräußerung ausgeſchloſſen wer-

de, wieder ohne Rückſicht darauf,

ob der Beſchenkte reicher iſt oder

nicht; damit kommt die ſchenkende

Mutter ganz ohne Grund in Nach-

theil. — Seinen erſten Satz leitet

er aus bloßen Gemeinplätzen ab;

zur Begründung des zweyten

nimmt er ganz ohne Noth an,

die oben im Text abgedruckten

Worte: Ceterum ea quae u. ſ. w.

giengen blos auf die Klage ge-

gen den Beſchenkten, nicht auf

die gegen den dritten Beſitzer, da

doch die nachfolgenden Worte ita

personalem deutlich genug dar-

auf hinweiſen, daß auch ſchon die

vorhergehenden Worte dazu be-

ſtimmt waren, der Meynung zu

begegnen, als könne die Klage in

rem angeſtellt werden.

|0254 : 240|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

überhaupt erwähnt worden, beſonders aber von derjenigen

einzelnen Art der Bedingung, wodurch eine Schenkung

auf den Todesfall, oder Mortis causa donatio, ent-

ſteht. Deren Natur ſoll hier nach allen Seiten dargeſtellt

werden (a).

Das Eigenthümliche dieſer Art bedingter Schenkung be-

ſteht darin, daß ſie durch ihren Zweck und Erfolg den

Legaten verwandt iſt. Deshalb iſt ſie allmälig auch vie-

len, für die Legate geltenden, Rechtsregeln unterworfen

worden, ohne darum die vorherrſchende Natur einer Schen-

kung abzulegen, unter deren Gattungsbegriff ſie, als ein-

zelne Art, fortwährend ſteht (b).

 

Die häufigſte Form dieſer Schenkung iſt die, welche

durch eine beſtimmte, gegenwärtige Lebensgefahr (wie

Krankheit, Feldzug, Seereiſe) dergeſtalt veranlaßt wird,

 

(a) Beſondere Quellen: § 1 J.

de don. (2. 7.), Dig. XXXIX. 6,

Cod. VIII. 57, Paulus III. 7. —

Schriftſteller: Haubold opusc. I.

489 (und Wenck praef. p. XXXVI

sq.). — Müller Natur der

Schenkung auf den Todesfall Gie-

ßen 1827. — Schröter in Lin-

de’s Zeitſchrift für Civilrecht und

Prozeß II. S. 97 fg. — Haſſe

Rhein. Muſeum II. 300 fg. III.

1 fg. und 371 fg. — Wieder-

hold in Linde’s Zeitſchrift XV.

Num. IV. S. 96 fg.

(b) pr. J. de don. (2. 7.). „Do-

nationum autem duo genera

sunt, mortis causa et non mor-

tis causa.” L. 67 § 1 de V. S.

(50. 16.). „Donationis verbum,

simpliciter loquendo, omnem

donationem comprehendisse vi-

detur, sive mortis causa, sive

non mortis causa.” Hieraus

folgt der wichtige Satz, daß jede

Vorſchrift, die unbeſtimmt für die

donatio überhaupt gegeben iſt,

auch auf die mortis causa do-

natio zu beziehen iſt, ſo lange

nicht aus ihrem Inhalt eine en-

gere Begränzung hervorgeht. —

Die non mortis causa donatio

heißt bey den Römern vera et

absoluta. L. 35 § 2 L. 42 § 1

de m. c. don. (39. 6.), auch inter

vivos. L. 25 pr. de inoff. test.

(5. 2.).

|0255 : 241|

§ 170. Schenkung auf den Todesfall.

daß durch das Verſchwinden dieſer Gefahr die Schenkung

ſelbſt ungültig werden ſoll (c). Doch iſt dieſer Umſtand

keinesweges nothwendig, vielmehr kann dabey eben ſo gut

der allgemeine Gedanke an den ohnehin unausbleiblichen

Tod des Gebers zum Grunde liegen (d).

Ferner iſt es Regel, daß in beiden angegebenen Fäl-

len der Geber den willkührlichen Widerruf bis zum Tode

ſtillſchweigend vorbehält (e). Aber auch dieſer Vorbehalt

iſt nicht weſentlich, vielmehr kann auf dieſe Willkühr be-

ſonders verzichtet werden (f).

 

Demnach bleibt als allgemeines Weſen dieſer Art der

Schenkung übrig, daß ſie nur gültig ſeyn ſoll, wenn der

Geber vor dem Empfänger, oder auch gleichzeitig mit

demſelben (g), ſterben wird (h). Innerhalb dieſes Grund-

 

(c) L. 3 — 6, L. 8 § 1 de m.

c. don. (39. 6.), § 1 J. de don.

(2. 7.), Paulus III. 7.

(d) L. 2 de m. c. don. (39.6.) (im

erſten der zuſammengeſtellten Fäl-

le), L. 31 § 2 in f., L. 35 § 4 eod.

(e) L. 16. 30 de m. c. don.

(39. 6.), § 1 J. de don. (2. 7.),

Paulus III. 7. Dieſer Vorbehalt

verſteht ſich als Regel von ſelbſt,

braucht alſo nicht ausgedrückt zu

werden.

(f) L. 13 § 1 L. 35 § 4 de m.

c. don. (39. 6.), Nov. 87 pr. C. 1.

Die in L. 35 cit. aus dem wirk-

lichen Gebrauch angeführte ver-

ſchiedene Formeln bezeichnen nicht

auch eben ſo viele verſchiedene

Fälle; mehrere ſind gleichbedeu-

tend. — Nur ſcheinbar widerſpre-

chend ſagen L. 27 L. 35 § 2 de

m. c. don., dieſe Art der Schen-

kung ſey nicht verträglich mit der

Beſtimmung: ut nullo casu re-

vocetur. Denn durch einen ſol-

chen Zuſatz würde auch ſelbſt die

Rückforderung bey dem früheren

Tode des Empfängers ausge-

ſchloſſen ſeyn, welches mit der

m. c. donatio allerdings unver-

träglich iſt. Verträglich damit

aber iſt die Clauſel: ut ex ar-

bitrio donatoris non revocetur.

(g) L. 26 de m. c. don. (39.

6.). Man kann alſo, ſtreng ge-

nommen, nicht ſagen, das Über-

leben des Empfängers ſey zur

Gültigkeit nöthig, ſondern nur

das Nichtüberleben des Gebers.

(h) Weſentlich iſt dieſe Bedin-

IV. 16

|0256 : 242|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

begriffs bleibt nun freyer Spielraum für folgende Modi-

ficationen: 1) Zugleich willkührlicher Widerruf (der ſich

ſtillſchweigend von ſelbſt verſteht) oder nicht. 2) Zugleich

Bedingung des Todes in Folge einer beſtimmten, gegen-

wärtigen Lebensgefahr, oder blos allgemeine Rückſicht auf

den jedem Menſchen beſchiedenen Tod überhaupt. — Dieſe

Modificationen können die Bedingung der Gültigkeit enger

begränzen, alſo die Fälle vermehren, worin eine ſolche

Schenkung ungültig wird. Der dieſer Schenkung zum

Grund liegende Gedanke läßt ſich demnach ſo ausdrücken,

daß der Geber das Geſchenk ſeinem Erben weniger gönnt,

als dem Beſchenkten, dieſem aber weniger als ſich ſelbſt (i).

Indem nun in dieſer Bedingung das Lebensende des

Gebers mit dem des Empfängers zuſammengeſtellt wird,

ſind noch folgende nähere Beſtimmungen nöthig. Steht

der Empfänger in fremder Gewalt, ſo hängt es von der

 

gung ſo ſehr, daß deren Erfül-

lung zur Perfection dieſer Art

von Schenkung gerechnet wird.

L. 32 de m. c. don. (39. 6.). Und

zwar iſt noch insbeſondere nöthig,

daß der Geber in einem ſolchen

Zuſtand ſterbe, daß er zur Zeit

des Todes über ſein Vermögen

verfügen könne. Durch eine Ka-

pitalſtrafe wird daher dieſe Schen-

kung vernichtet, wegen der allge-

meinen Confiscation. L. 7 de m.

c. don. (39. 6.), L. 32 § 7 de don.

int. vir. (24. 1.). — Man hat viel

unnöthigen Streit darüber ge-

führt, ob in einzelnen Fällen eine

ſo bedingte, oder vielmehr eine

gewöhnliche Schenkung zu ver-

muthen ſey; darüber können nicht

allgemeine Regeln, ſondern nur

die Umſtände des einzelnen Fal-

les entſcheiden. Die Diſſertation

von Haubold (Note a) behandelt

eigentlich dieſes Thema.

(i) Dieſe alte Rechtsformel

(vulgo dicitur) kommt vor in

L. 1 pr. L. 35 § 2 de m. c. don.

(39. 6.), § 1 J. de don (2. 7).

Es ſcheint ſogar, daß ſie in die

Urkunden über ſolche Schenkun-

gen aufgenommen worden iſt.

Interpretatio in Paulum II. 23.

|0257 : 243|

§. 170. Schenkung auf den Todesfall.

Abſicht des Gebers ab, ob der frühere Tod des unmittel-

baren Empfängers, oder vielmehr der des Vaters oder

Herrn, die Schenkung entkräften ſoll (k). Was aber den

Geber betrifft, ſo kommen Fälle vor, in welchen dieſer

die Vollgültigkeit der Schenkung nicht durch ſeinen eige-

nen Tod bedingt, ſondern durch den Tod eines Dritten;

allein dieſe Fälle haben mit der Schenkung auf den To-

desfall nur den Namen gemein; von dem eigenthümlichen,

hier dargeſtellten Rechtsinſtitut kann dabey nicht die Rede

ſeyn (l).

Man kann dieſe Art der Schenkung als ein gemiſchtes

Geſchäft bezeichnen; nicht in dem Sinn, wie es oben vor-

kam, daß hier Schenkung und ein obligatoriſches Geſchäft

gleichzeitig verbunden wären (§ 154), ſondern ſo daß, je

nach dem Ausfall der Bedingung, entweder ein reines Ge-

ſchenk, oder aber eine reine Obligation Statt findet; dieſe

nämlich in den Fällen (welche die gewöhnlichſten ſind),

worin der Empfänger ſogleich Etwas in ſeinen Beſitz be-

kommen hat. Hier geht die bedingte Obligation auf Rück-

 

(k) L. 23 L. 44 de m. c. don.

(39. 6.). Es ſcheint, daß man

die Rückſicht auf den unmittel-

baren Empfänger als das Ge-

wöhnliche anſah.

(l) Solche Fälle kommen vor

in L. 11 L. 18 pr. de m. c. don.

(39. 6.). Cramer dispunct. p. 72

hat ſich durch die Namenähnlich-

keit täuſchen laſſen, ſie für wahre

m. c. donationes zu halten. Allein

das Eigenthümliche dieſer letzten

beſteht darin, daß ſie in die Le-

gate hinüber ſpielen; wie könnte

man nun z. B. die Falcidia oder

die Capacität auf jene Fälle an-

wenden wollen? Jene Fälle ent-

halten gewöhnliche donationes in-

ter vivos, nur unter einer be-

ſonderen Bedingung.

16*

|0258 : 244|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

gabe des Empfangnen (m). Die Bedingung ſelbſt, welche

ſtets die Schenkung entkräften ſoll, iſt das Überleben des

Gebers; es kann als zweyte, gleichfalls entkräftende, Be-

dingung hinzutreten die Abwendung einer beſtimmten, ge-

genwärtigen Lebensgefahr; es tritt endlich in der Regel

noch hinzu, als dritte entkräftende Bedingung, der verän-

derte Wille des Gebers. Für dieſen iſt keine beſondere

Form vorgeſchrieben; jede Offenbarung des veränderten

Willens alſo, wie formlos ſie auch ſey, iſt hinreichend

die Schenkung zu vernichten, wenn nicht der Geber auf

den Widerruf ausdrücklich verzichtet hatte. Wie ſich dieſe

verſchiedenen Bedingungen an die einzelnen, die Schen-

kung vermittlenden, Rechtsgeſchäfte anſchließen, ſoll nun-

mehr an den wichtigſten derſelben gezeigt werden.

Die häufigſte Art dieſer, wie jeder anderen, Schen-

kung iſt die, welche durch übertragenes Eigenthum be-

wirkt wird. Dazu konnte im alten Recht die Mancipa-

tion dienen; auch ſteht dem nicht im Wege, daß die Man-

cipation nicht unter Bedingungen geſtellt werden kann (n),

denn für den eigenthümlichen Zweck jener Schenkung ge-

nügte es, wenn der an ſich unbedingten Mancipation eine

 

(m) L. 35 § 3 de m. c. don.

(39. 6.). „Ergo qui mortis cau-

sa donat, qua parte se cogitat,

negotium gerit: scilicet ut, cum

convaluerit, reddatur sibi.” L. 19

pr. de reb. cred. (12. 1.). „.. qui

mortis causa pecuniam donat,

numerat pecuniam, sed non ali-

ter obligat accipientem, quam

si exstitisset casus in quem

obligatio collata fuisset: veluti

si donator convaluisset, aut is

qui accipiebat prior decessis-

set.”

(n) L. 77 de R. J. (50. 17.).

|0259 : 245|

§. 170. Schenkung auf den Todesfall.

bedingte Obligation auf Rückgabe hinzugefügt wurde, ſey

es durch fiducia, oder durch Stipulation, oder durch form-

loſe Willenserklärung, welche zur Begründung einer Con-

diction völlig ausreichte. Es konnte aber auch geſchehen

durch Tradition, dieſe Form war vielleicht ſchon im alten

Recht die häufigſte (o), im neueſten Recht iſt ſie die ein-

zige. Aus einer Stelle des Paulus entſteht der Schein,

als wäre die Tradition nicht einmal nöthig geweſen, in-

dem ſchon der bloße Wille das Eigenthum übertragen

hätte (p). Daß dem nicht ſo ſeyn kann, erhellt aber zu-

erſt aus den vielen anderen Stellen, welche die Tradition

(die ja unter jener Vorausſetzung juriſtiſch gleichgültig ge-

weſen wäre) als die gewöhnliche Form dieſer Schenkung

darſtellen, und beſonders auch ihre Wirkung, je nach ver-

ſchiedenen Umſtänden, genau zu beſtimmen ſuchen; ferner

am unwiderſprechlichſten aus dem Geſetz Juſtinians, wel-

(o) Nämlich bey einer nec

mancipi res war ſie ohnehin die

vollkommen paſſende und zugleich

üblichſte Form; aber auch bey

einer mancipi res konnte ſie ge-

braucht werden, und kam auch

gewiß oft vor, bald als bloßer

Zuſatz noch neben der Mancipa-

tion, bald auch allein, da ſie das

bloße in bonis übertrug, wel-

ches aber in kurzer Zeit durch

Uſucapion in das ex jure quiri-

tium übergieng.

(p) L. 1 § 2 de public. (6. 2.)

(Ulp.). „Sed cur traditionis

duntaxat et usucapionis fecit

mentionem, cum satis multae

sunt juris partes, quibus do-

minium quis nancisceretur, ut

puta legatum?” Daran ſchließt

L. 2 eod. von Paulus: „Vel

mortis causa donationes factae?

nam amissa possessione, com-

petit Publiciana, quia ad exem-

plum legatorum capiuntur.”

Durch dieſen Zuſammenhang wird

offenbar angenommen, die m. c.

donatio könne an ſich auch ohne

Tradition, ſo wie das Legat,

Eigenthum geben, alſo auch, ſo

wie jenes, bey verlornem Beſitz

die Publiciana begründen.

|0260 : 246|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ches dem formloſen Vertrag, als etwas Neues und Wich-

tiges, die Kraft einer Klage beylegt, da doch unter jener

Vorausſetzung von jeher der Beſchenkte in demſelben Fall

das Eigenthum, alſo ſogar eine Vindication gehabt hätte.

Ohne Zweifel bezieht ſich die Stelle des Paulus auf ei-

nen Fall, in welchem die Schenkung durch Mancipation

ohne Tradition vollzogen war, der Beſchenkte aber nach

des Gebers Tod einſeitig Beſitz ergriffen hatte (q). Nun

konnte man ſagen, er ſey ohne Tradition Eigenthümer ge-

worden; hatte zufällig der Geber das Eigenthum nicht, ſo

war der Beſchenkte zur Uſucapion, und alſo auch zur

Publiciana, befugt. Die Aufnahme der Stelle in die Di-

geſten geſchah dann allerdings gedankenlos, indem ſie nur

unter Vorausſetzung des älteren Rechts befriedigend er-

klärt werden kann (r).

Gerade bey der Tradition nun iſt eine zwiefache Ab-

 

(q) Das darf er, ohne daß ihm

auch nur das Interdict quod le-

gatorum den Beſitz wieder ent-

ziehen könnte. L. 1 § 5 quod

leg. (43. 3). Der vorhergehende

Fall eines Legats iſt ſo zu er-

klären, daß gleichfalls der Lega-

tar einſeitig Beſitz ergriff, aber

mit dem Willen des Erben. L. 1

§ 11 eod. Dieſer Wille macht

nicht die Beſitzergreifung zu ei-

ner Tradition, ſo lange der Erbe

ſelbſt noch keinen Beſitz ergriffen

hatte. Übrigens dachte allerdings

Ulpian an ein vindicationis le-

gatum, da nur dieſes unter die

juris partes gehörte, quibus do-

minium quis nanciscitur. Ob-

gleich nun aber das Vindications-

legat, zu ſeiner völligen Gültig-

keit, Römiſches Eigenthum des

Teſtators vorausſetzte (Ulpian.

XXIV. 7), ſo konnte es doch,

auch wo dieſes Eigenthum fehlte,

eine usucapio pro legato be-

gründen, alſo auch eine Publi-

ciana.

(r) Etwas anders iſt die Sache

gewendet bey Haſſe Rheiniſch.

Muſeum II. 348, deſſen Reſultat

jedoch mit dem meinigen überein-

ſtimmt.

|0261 : 247|

§. 170. Schenkung auf den Todesfall.

ſicht des Gebers denkbar. Dieſer kann erſtlich ſogleich

das Eigenthum übertragen, ſo daß daſſelbe, wenn der

Empfänger früher ſtirbt, durch Reſolutivbedingung wieder

zurück fallen ſoll. Er kann aber auch umgekehrt an die

Übertragung des Beſitzes eine Suspenſivbedingung knüpfen,

ſo daß erſt im Augenblick ſeines eigenen früheren Todes

das Eigenthum an den Empfänger kommen ſoll (s). Die

erſte Einrichtung iſt an ſich die einfachere und natürli-

chere, und ſie iſt daher im Zweifel anzunehmen, wenn

der Geber nicht die zweyte ausdrücklich angeordnet hat,

und dieſe Vermuthung wird auch durch die Analogie an-

derer Rechtsinſtitute beſtätigt (t). Sie bewährt ſich ins-

beſondere noch durch die Art, wie unter Ehegatten eine

ſolche Tradition auf den Todesfall behandelt wird. Hier

ſogleich das Eigenthum zu übertragen, iſt wegen des Ver-

bots unmöglich (u), ſo daß hier nur die Suspenſivbedin-

gung eintreten kann. Anſtatt jener unmöglichen augen-

blicklichen Übertragung kann aber der Geber beſtimmen,

daß die durch ſeinen Tod erfüllte Suspenſivbedingung eine

retroactive Wirkung haben, das heißt auf den Zeitpunkt

der Tradition bezogen werden ſoll, in welchem Fall denn

(s) L. 2 L. 29 de m. c. don.

(39. 6.).

(t) Haſſe Rhein. Muſeum II.

328. — Es ſpricht dafür auch die

Art des Ausdrucks in L. 15 in

f. de manum. (40. 1.), wo die

Tradition mit Suspenſivbedin-

gung augenſcheinlich als die be-

ſondere, minder gewöhnliche Form

der m. c. donatio erwähnt wird.

(u) L. 11 pr. de don. int. vir.

(24. 1.). „Sed interim res non

statim fiunt ejus cui donatae

sunt, sed tunc demum cum

mors insecuta est: medio igi-

tur tempore dominium rema-

net apud eum, qui donavit.”

|0262 : 248|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

alle in der Zwiſchenzeit eingetretene Veränderungen hier-

nach beurtheilt werden (v). Ja dieſe Beſtimmung verſteht

ſich in der Regel von ſelbſt (w), ſo daß vielmehr die ent-

gegengeſetzte einer ausdrücklichen Erklärung bedarf. Was

aber unter Ehegatten die mortis causa traditio mit retro-

activer Wirkung iſt, das iſt unter Fremden die Tradition

mit augenblicklicher Übertragung des Eigenthums. — Auch

liegt eine Beſtätigung der aufgeſtellten Vermuthung in dem

ſicheren Grundſatz, daß die Schenkung auf den Todesfall,

wenn der Geber nicht Eigenthümer iſt, in der Regel eine

Uſucapion begründet (x); denn dieſer Grundſatz iſt nur

(v) L. 11 § 1 de don. int. vir.

(24. 1.). „Sed quod dicitur,

mortis causa donationem inter

virum et uxorem valere, ita

verum est, ut non solum ea

donatio valeat secundum Ju-

lianum, quae hoc animo fit ut

tunc res fiat uxoris vel ma-

riti, cum mors insequetur, sed

omnis mortis causa donatio.”

(Das heißt: nicht blos diejenige,

die ſelbſt unter Fremden den Über-

gang des Eigenthums abſichtlich

verzögern würde, ſondern auch

jede gewöhnliche Schenkung, wo-

bey dieſe Verzögerung nicht be-

abſichtigt wird). Nun folgt § 2

die Betrachtung jenes erſten Falls

und ſeiner Folgen: „Quando

itaque non retro agatur do-

natio” bis § 9. Am Ende dieſes

§ 9 kehrt Ulpian zu dem zweyten

Fall zurück, der Schenkung mit

nicht beabſichtigter Verzögerung:

„Plane in quibus casibus pla-

ceat retro agi donationem,

etiam sequens traditio a mu-

liere facta in pendenti habe-

bitur.”

(w) L. 40 de m. c. don. (39.

6.). „Si mortis causa inter vi-

rum et uxorem donatio facta

sit, morte secuta reducitur ad

id tempus donatio, quo inter-

posita fuisset.” Ganz eben ſo

in L. 20 de don. int. vir. (24. 1.),

worin auch keine beſondere, aus-

drückliche Beſtimmung vorausge-

ſetzt iſt, ſondern nur eine allge-

meine m. c. donatio überhaupt,

und dennoch die Rückwirkung be-

hauptet wird. Ansdrücklich ſagt

daſſelbe L. 25 C. de don. int. vir.

(5. 16.) von allen Schenkungen

unter Ehegatten, die durch den

Tod Beſtätigung erhalten, alſo

auch von den mortis causa ge-

gebenen.

(x) L. 13 pr. L. 33 de m. c.

don. (39. 6.).

|0263 : 249|

§. 170. Schenkung auf den Todesfall.

unter der Vorausſetzung erklärlich, daß der Geber in der

Regel die augenblickliche Übertragung des Eigenthums be-

abſichtigt. — Eben ſo hatte der Beſchenkte, welchem ein

Sklave auf den Todesfall geſchenkt worden war, die Fä-

higkeit denſelben zu manumittiren (y), welches gleichfalls

nur unter Vorausſetzung eines ihm ſchon jetzt übertrage-

nen vollſtändigen Eigenthums denkbar war.

Außer der Tradition konnte beſonders auch die Stipu-

lation dazu gebraucht werden, eine Schenkung auf den

Todesfall zu begründen, indem nämlich der Geber irgend

eine Sache (am häufigſten eine Geldſumme) mortis causa,

das heißt auf den Fall ſeines eigenen Todes, verſprach.

Eine ſolche Stipulation wurde als unzweifelhaft gültig

angeſehen (z); es bedarf jedoch einer beſonderen Erklä-

rung, warum nicht die Römiſchen Juriſten Anſtoß daran

nahmen, daß dieſe erſt gegen den Erben eingeklagt werden

konnte, da ſie doch andere Stipulationen dieſer Art (post

mortem meam) durchaus für ungültig erklärten. Ohne

Zweifel betrachtete man es ſo, daß der Geber verſpreche,

im letzten Augenblick ſeines Lebens (cum moriar) Schuld-

ner ſeyn zu wollen, welches, wie in anderen Fällen (§ 125. e,

126. m), ſo auch hier, als gültig angeſehen wurde (aa).

 

(y) L. 39 de m. c. don. (39. 6.).

(z) L. 11 de dote praeleg.

(33. 4.), L. 34 L. 35 § 7 de m.

c. don. (39. 6.). Festus v. mor-

tis causa (nach dem Zeugniß des

Labeo). Ganz eben ſo auch eine

dos mortis causa promissa

(L. 76 de j. dot. 23. 3.), die

ganz ähnliche Natur hat, auch

da wo ſie nicht ſelbſt eine wahre

Schenkung in ſich ſchließt.

(aa) Dafür, daß man es wirk-

lich ſo anſah, beweiſen folgende

Stellen. L. 76 de j. dot. (23.

|0264 : 250|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Nun entſteht aber die Frage, ob hier derſelbe Zweck,

wie durch die Stipulation, auch durch einen formloſen

Vertrag erreicht werden könne, das heißt ob Juſtinians

Geſetz, welches dieſem Vertrag gleiche Wirkung mit der

Stipulation beylegt, auch für die Schenkung auf den To-

desfall gelte, nicht blos für die gewöhnliche Schenkung.

Die meiſten neueren Schriftſteller verneinen dieſe Frage,

nehmen alſo an, daß auf den Todesfall im Sinn von

Juſtinian nur durch Stipulation ein bindendes Verſpre-

chen gegeben werden könne (bb). Die Gründe für dieſe

Meynung beruhen hauptſächlich auf der Art, wie Juſti-

nian ſeine neue Vorſchrift zu rechtfertigen ſucht, indem er

(auf den häufigſten Fall vorzugsweiſe Rückſicht nehmend)

die Unredlichkeit des Gebers tadelnd hervorhebt, der das

 

3.). „Si pater mulieris mortis

suae causa dotem promiserit,

valet promissio: nam et si in

tempus quo ipse moreretur pro-

misisset, obligaretur.” Hier

werden dieſe beide Stipulations-

formeln als gleichbedeutend ange-

ſehen. Eben ſo hat in L. 15 de

manum. (40. 1.) die mortis causa

manumissio (inter amicos) die

Folge: „in extremum tempus

manumissoris vitae confertur

libertas.” In derſelben Stelle

wird die mortis causa traditio

mit ſuspenſiver Wirkung ſo be-

zeichnet: „ut moriente eo fieret

accipientis,” alſo im letzten Au-

genblick des Lebens. Ganz daſ-

ſelbe muß denn auch von der

Stipulation gelten, wo es von

ſelbſt alle Schwierigkeit löſt. Es

wird alſo hier folgende Stipula-

tionsformel gedacht: Cum, me

vivo, morieris, centum dare

spondes? Und daraus erklärt

ſich denn zugleich die Aufrechthal-

tung der Schenkung im Fall des

gleichzeitigen Todes (Note g). —

Die Art, wie Andere dieſe Löſung

verſucht haben, kann ich nicht für

befriedigend halten. Haubold

opusc. I. 459, Haſſe Rhein.

Muſeum II. 327.

(bb) Haubold opusc. I. 462,

Schröter Zeitſchrift II. 132,

Haſſe Rhein. Muſeum II. 310

Note 116.

|0265 : 251|

§. 170. Schenkung auf den Todesfall.

gegebene Verſprechen wegen der fehlenden Förmlichkeit zu

umgehen ſucht. Dieſer Grund paßt nicht auf die mortis

causa donatio, in welcher der Geber gewöhnlich den will-

kührlichen Widerruf vorbehält. Allein die Beſchränkung

eines Geſetzes aus ſeinem Grunde iſt überhaupt verwerf-

lich, wenn nicht eine innere Verſchiedenheit zwiſchen dem

Gedanken und Ausdruck nachgewieſen werden kann (§ 37.

50). Im vorliegenden Fall aber iſt das Geſetz allgemein

auf alle donationes gerichtet, unter welche Gattung die

einzelne Art der mortis causa donatio unzweifelhaft ge-

hört (Note b), ſo daß die Worte des Geſetzes jener Be-

ſchränkung entgegen ſind. Auch liegt in der beſonderen

Natur unſrer Schenkung kein Grund zur Annahme, daß

ſie in dem Gedanken des Geſetzgebers nicht gelegen haben

könne. Denn wenn es geſtattet iſt (wie Alle zugeben),

durch formloſen Vertrag eine gewöhnliche Schenkung zu

begründen, ſo hat dieſes noch weniger Bedenken bey der

m. c. donatio, die dem Geber, theils wegen der Bedin-

gung des Todes, theils wegen des vorbehaltenen Wider-

rufs, weniger gefährlich iſt als jene. — Übrigens ſcheint

mir dieſe Streitfrage von ſehr unerheblichem Intereſſe zu

ſeyn, da ſie eben nur auf den urſprünglichen Sinn des

Juſtinianiſchen Geſetzes beſchränkt iſt, auf das heutige

Recht aber unmöglich Einfluß haben kann. Denn Nie-

mand zweifelt, daß im heutigen Recht der formloſe Ver-

trag überall an die Stelle der Stipulation trete. Da

nun gleichfalls anerkannt wird, daß im Sinn von Juſti-

|0266 : 252|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

nian die Stipulation zur Schenkung auf den Todesfall

genüge, ſo müſſen wir daſſelbe jetzt für den formloſen

Vertrag behaupten, ja wir wären dazu genöthigt, ſelbſt

wenn Inſtinian niemals eine neue Verordnung über die

formloſen Verträge bey Schenkungen erlaſſen hätte.

Endlich kann auch eine Liberation zur mortis causa

donatio benutzt werden, ſobald ſie durch Acceptilation,

oder formloſen Vertrag, die Natur eines Rechtsgeſchäfts

angenommen hat. Die Stellen, worin ſie auch ohne Ac-

ceptation, z. B. durch bloßen Brief oder Auftrag, als

gültig anerkannt ſcheint, müſſen von Fideicommiſſen erklärt

werden, welche im früheren Recht durch ganz formloſen

Willen begründet werden konnten (cc); im neueſten Recht

würden ſie zu ihrer Aufrechthaltung der Codicillarform

bedürfen.

 

In dieſem Zuſammenhang muß noch ein merkwürdiger

Fall erwähnt werden, der nicht unter den Begriff der

 

(cc) So ſoll nach L. 28 de m.

c. don. (39. 6.) der Brief des

Glaubigers an den Schuldner,

worin er ihm, in der Abſicht ei-

ner m. c. donatio, Liberation an-

kündigt, dieſem Schuldner eine

doli exceptio geben. In L. 18

§ 2 eod. giebt die Glaubigerin,

zum Zweck einer m. c. donatio,

Schuldſcheine an einen Dritten

mit dem Auftrag, ſie im Fall ih-

res Todes den Schuldnern ein-

zuhändigen, welches auch geſchieht;

nun heißt es von der Erbin: „vel

pacti conventi, vel doli mali

exceptione summoveri posse.”

Nämlich pacti, im Fall die

Schuldner acceptirt hatten, au-

ßerdem doli, wegen eines Fidei-

commiſſes. Irrig alſo würden

dieſe Stellen zum Beweiſe der

falſchen Meynung angeführt wer-

den, nach welcher jeder Erlaß,

auch ohne Acceptation, als Schen-

kung gelten ſoll (§ 158. h). Daß

aber Abſicht und Ausdruck einer

m. c. donatio zu einem Fideicom-

miß hinreichen konnte, iſt auch aus

anderen Stellen gewiß (§ 172. g).

|0267 : 253|

§. 171. Schenkung auf den Todesfall. (Fortſetzung.)

m. c. donatio gehört, wohl aber derſelben nahe verwandt

iſt: die mortis causa manumissio. Bey einer gegenwär-

tigen, vorübergehenden Lebensgefahr konnte dieſe nicht vor-

kommen, wohl aber in der allgemeinen Erwartung des

Todes, und dann hatte ſie die Wirkung, daß der wirk-

liche Anfang und Genuß der Freyheit bis zum Tode des

Herrn aufgeſchoben wurde (dd).

§. 171.

V. Schenkung. — Beſondere Arten. 1. Schenkung auf

den Todesfall. (Fortſetzung.)

Die eigenthümliche Wirkung dieſer Art der Schenkung

zeigt ſich, im Fall der vereitelten Bedingung, in den Rechts-

mitteln, wodurch der Geber das Geſchenk wieder fordert;

dieſe ſollen nunmehr mit ihren Folgen dargeſtellt werden.

Es kommen hier drey Rechtsmittel in Betracht: Vindica-

tion, Condiction, und actio praescriptis verbis.

 

Die Vindication kann nur gebraucht werden, wenn

die Sache überhaupt noch vorhanden iſt: dann aber ohne

Unterſchied, ob der Empfänger oder ein Dritter ſie be-

ſitzt. Sie galt von jeher, und unbeſtritten, wenn unter

einer Suspenſivbedingung tradirt (§ 170), alſo das Ei-

genthum noch gar nicht aus dem Vermögen des Gebers

gekommen war (a). Dann aber wurde ſie auch im Fall

 

(dd) L. 15 de manumiss. (40.

1.), eine Stelle die wegen der

deutlichen Unterſcheidung der ma-

numissio per vindictam und in-

ter amicos, die hierin beide von

gleicher Wirkung ſeyn ſollen, merk-

würdig iſt.

(a) L. 29 de m. c. don. (39.

|0268 : 254|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

des unter Reſolutivbedingung gleich Anfangs übertragenen

Eigenthums zugelaſſen, und dieſer ausgedehntere Gebrauch

kann als die vollſtändigere Entwicklung des Rechtsinſtituts

angeſehen werden (b).

Die Condiction gründet ſich darauf, daß Etwas

gegeben war, damit der Empfänger es habe und genieße

nach dem früher eintretenden Tod des Gebers; wurde die-

ſer Zweck vereitelt, ſo hatte nach allgemeinen Grundſätzen

der Geber die condictio ob causam datorum, und über

das Recht zu derſelben war kein Streit, ſo ſehr auch

ſonſt die Meynungen der alten Juriſten über die m. c. do-

natio aus einander giengen (c). Sie iſt anwendbar, da

wo überhaupt keine Sache Gegenſtand der Schenkung war,

ſondern die Bereicherung auf andere Weiſe, etwa durch

Delegation oder Acceptilation, bewirkt wurde. Ferner

 

6.) (von Ulpian): „.. Et si qui-

dem quis sic donavit, ut, si

mors contigisset, tunc haberet

cui donatum est, sine dubio do-

nator poterit rem vindicare:

mortuo eo (alſo wenn die Be-

dingung erfüllt wird), tunc is

cui donatum est.”

(b) L. 29 de m. c. don. (39.

6.), unmittelbar nach den in

Note a abgedruckten Worten: „Si

vero sic, ut jam nunc haberet,

redderet si convaluisset, vel de

proelio vel peregre redisset:

potest defendi, in rem compe-

tere donatori, si quid horum

contigisset, interim autem ei

cui donatum est. Sed et si

morte praeventus sit is cui do-

natum est, adhuc quis dabit in

rem donatori.” Die beiden hier

unterſchiedenen Fälle beziehen ſich

auf die zwey verſchiedenen, bey

der m. c. donatio vorkommen-

den, Bedingungen (§ 170. c. d).

Für beide wird gleichmäßig die

Vindication zwar behauptet, aber

als etwas nicht allgemein und von

jeher Anerkanntes, hierin alſo

verſchieden von dem Fall der

Suspenſivbedingung (Note a).

(c) L. 35 § 3 de m. c. don.

(39. 6.). „.. Nec dubilaverunt

Cassiani quin condictione re-

peti possit, quasi re non se-

cuta …”

|0269 : 255|

§. 171. Schenkung auf den Todesfall. (Fortſetzung.)

wenn die geſchenkte Sache nicht mehr vorhanden, z. B.

das Geld ausgegeben war. Endlich auch, und ganz vor-

züglich, im Fall des unter Reſolutivbedingung gleich An-

fangs übertragenen Eigenthums, nämlich vom Standpunkt

Derjenigen aus, welche für dieſen Fall die unmittelbar

zurückkehrende Vindication (Note b) noch nicht anerkennen

wollten (d). Da wir dieſelbe jetzt anzunehmen haben, ſo

muß uns für dieſen Fall die Condiction als wegfallend er-

ſcheinen, indem ſie durch die vortheilhaftere Vindication

erſetzt iſt, und beide Klagen überhaupt in einem ausſchlie-

ßenden Verhältniß zu einander ſtehen.

Die actio praescriptis verbis endlich gründet ſich

auf den in jener Schenkung unläugbar enthaltenen Ver-

trag, den Innominatcontract do ut reddas, deſſen allge-

 

(d) Dieſe Anwendung der Con-

diction, die conſequenterweiſe nur

möglich iſt wenn man der Vin-

dication eine geringere Ausdeh-

nung zuſchreibt (Note b), findet

ſich in folgenden Stellen: L. 52

§ 1 de don. int. vir. (24. 1.)

von Papinian: „ut traditio, quae

mandante uxore mortis causa

facta est: nam quo cusu inter

exteros condictio nascitur (wel-

ches alſo in unſrem Fall ange-

nommen wird), inter maritos

nihil agitur.” — Ferner Paulus

in L. 12 de cond. causa data

(12. 4.). „Cum quis mortis

causa donationem, cum conva-

luisset donator, condicit, fruc-

tus quoque donatarum rerum,

et partus, et quod aderevit rei

donatae, repetere potest.” —

Eben ſo derſelbe Paulus in L. 38

§ 3 de usuris (22. 1.). „Idem-

que est (nämlich fructus repe-

tere debere), si mortis causa

fundus sit donatus, et reva-

luerit qui donavit, atque ita

condictio nascatur.” Hier iſt

nicht etwa von dem Verhältniß

eines älteren und neueren Juri-

ſten die Rede, ſondern Paulus

bleibt noch bey dem Buchſtaben

des älteren Rechts ſtehen, der

gleichzeitige Ulpian drückt die voll-

ſtändigere Entwicklung des Rechts-

inſtituts aus, und dieſe haben

wir daher als den Ausſpruch der

Juſtinianiſchen Geſetzgebung an-

zuſehen.

|0270 : 256|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

mein anerkannte Wirkſamkeit (e) ſich hier ſo gut, wie in

anderen Fällen der Anwendung, äußeren muß. Auch iſt

in der That dieſe Klage für die Rückforderung des Ge-

ſchenks anerkannt (f).

Über die beſonderen Wirkungen dieſer Klagen iſt noch

Folgendes zu bemerken. Iſt die tradirte Sache unterge-

gangen durch die freye Handlung des Empfängers, ſo

muß dieſer in jedem Fall dafür einſtehen, und er wird

nicht, wie der beſchenkte Ehegatte, durch die Conſumtion

befreyt. Hat er alſo die Sache vernichtet, verzehrt, ver-

ſchwendet, ſo muß er ihren Werth bezahlen, indem er

ſich wiſſentlich außer Stand ſetzte den Vertrag auf Rück-

gabe zu erfüllen (g). Iſt die Sache verkauft, ſo hat der

Geber die Wahl, durch die Condiction den erlöſten Kauf-

preis, oder den wahren Werth, einzufordern (h). Iſt die

 

(e) L. 5 pr. § 1 de praescr.

verbis (19 5.).

(f) L. 30 de m. c. don. (39.

6.). „Qui mortis causa dona-

vit, ipse ex poenitentia con-

dictionem vel utilem actionem

habet.” — L. 18 § 1 eod. „.. nam

et si convaluisset creditor idem-

que donator, condictione, aut

in factum actione, debitoris

obligationem dumtaxat recipe-

ret.” Es iſt hier die actio in

factum civilis, oder praescriptis

verbis, gemeynt.

(g) L. 39 de m. c. don. (29.

6.). „Si is, cui mortis causa

servus donatus est, eum manu-

misit, tenetur condictione in

pretium servi: quoniam scit

posse sibi condici, si convalue-

rit donator.”

(h) L. 37 § 1 de m. c. don.

(39. 6.). „.. si quis servum mor-

tis causa sibi donatum vendi-

derit … pretii condictionem

donator habebit, si convaluis-

set, et hoc donator elegerit:

alioquin et ipsum servum re-

stituere compellitur.” Pretium

iſt hier der wirklich eingenom-

mene Kaufpreis, ipsum servum

restituere heißt die richterliche

Schätzung des Sklaven bezahlen.

Geſchah der Verkauf unter dem

wahren Werth, ſo lag darin eine

partielle Verſchwendung, worun-

|0271 : 257|

§. 171. Schenkung auf den Todesfall. (Fortſetzung.)

Sache durch des Empfängers Culpa beſchädigt, zerſtört,

geſtohlen worden, ſo muß er dafür einſtehen nach den all-

gemeinen Grundſätzen der actio praescriptis verbis (i), die

für dieſen Fall wichtig iſt, weil die Condiction auf Erſatz

der Culpa nicht gerichtet werden kann. — Trug die ge-

ſchenkte Sache in der Zwiſchenzeit Früchte, ſo muß der

Empfänger dieſelben herausgeben oder in Geld vergüten.

Dieſer wichtige Satz wird anerkannt ſelbſt für die Con-

diction, alſo für das vollſtändig übertragene Eigenthum (k);

er muß alſo um ſo unzweifelhafter gelten für die Vindi-

cation, und namentlich für den Fall der Tradition unter

Suspenſivbedingung. — Hat der Empfänger Koſten auf

die Sache verwendet, ſo kann er deren Erſatz durch doli

exceptio bewirken (l).

War die Schenkung durch eine bloße Stipulation be-

wirkt, oder geſchah ſie durch Delegation, ſo hat in beiden

Fällen der Geber eine Condiction auf die erlangte Berei-

cherung (m); im zweyten Fall kann der Empfänger die

 

ter der Geber nicht leiden ſoll,

darum die Wahl. Der Gewinn

durch höheren Kaufpreis gebührt

gleichfalls dem Geber.

(i) L. 17 § 1. 2. 4 de praescr.

verbis (19. 5.).

(k) L. 12 de cond. causa data

(12. 4.), L. 38 § 3 de usuris

(22. 1.), ſ. o. Note d.

(l) L. 14 de m. c. don. (39. 6.).

(m) L. 76 de jure dot. (23. 3.),

L. 52 § 1 de don. int. vir. (24.

1.). „.. defuncto viro viva mu-

liere, stipulatio solvitur … nam

quo casu inter exteros condic-

tio nascitur, inter maritos ni-

hil agitur.” Alſo in der Regel

entſteht eine Condiction, und nur

in dem hier abgehandelten beſon-

deren Fall, da die Schenkung zu-

gleich unter Ehegatten vorfiel,

wird die Stipulation von ſelbſt

nichtig. (Vergl. § 157. s1, und

Beylage X. Num. III. a) — Man

könnte fragen, warum die ver-

eitelte Bedingung nur eine Con-

IV. 17

|0272 : 258|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ihm verſchaffte Forderung zurück übertragen; hat er ſie

eincaſſirt, und wegen Inſolvenz des Schuldners nur theil-

weiſe, ſo zahlt er nur das zurück, was er wirklich er-

hielt (n). — Beſtand die Schenkung in einer Acceptilation,

ſo geht die Condiction ſtets auf den vollen Nennwerth,

auch wenn der Empfänger inſolvent war (o).

Alle für die Schenkung auf den Todesfall bisher auf-

geſtellte Regeln beruhen durchaus auf der Natur eines

Vertrags, alſo eines unter Lebenden vorgehenden Rechts-

geſchäfts; von der Natur eines letzten Willens war darin

Nichts wahrzunehmen. Dieſe Grundverſchiedenheit von

dem letzten Willen zeigt ſich nun auch in folgenden Stük-

ken. Für das ältere Recht ſchon darin, daß eine ſolche

Schenkung auch von demjenigen gegeben werden konnte,

der kein Teſtament machte (p), anſtatt daß Erbeinſetzun-

gen und Legate nur in einem Teſtament gültig waren;

ſpäterhin, als Fideicommiſſe anerkannt wurden, lag hierin

ein unterſcheidender Character nicht mehr. Dagegen iſt

noch jetzt der Unterſchied übrig geblieben, daß die Gültig-

 

diction begründe, nicht die Sti-

pulation ſelbſt vernichte? Wäre

die Bedingung (des früheren To-

des) wörtlich ausgedrückt, ſo wür-

de gewiß die Stipulation ipso

jure zerfallen; die eingeſchalteten

Worte mortis causa reichten dazu

nicht aus, wohl aber zur Begrün-

dung einer condictio ob cau-

sam datorum.

(n) L. 18 § 1 L. 31 § 3 de

m. c. don. (39. 6.).

(o) L. 18 § 1 L. 31 § 1. 3. 4

de m. c. don. (39. 6.). Eben ſo

iſt es ſelbſt dann, wenn der

Schuldner, in Ermanglung der

Acceptilation, ohnehin eine Be-

freyung durch Zeitablauf erhalten

hätte. L. 24 eod.

(p) L. 25 pr. de m. c. don.

(39. 6.).

|0273 : 259|

§. 171. Schenkung auf den Todesfall. (Fortſetzung.)

keit jener Schenkung unabhängig iſt von dem Daſeyn ei-

nes Erben; ſie bleibt beſtehen auch wenn das Vermögen

erblos wird, anſtatt daß Legate und Fideicommiſſe nur

Gültigkeit haben können, inſofern ſie ſich auf ein wirklich

erworbenes Erbrecht beziehen (q). — Ferner iſt dieſe Schen-

kung ganz ſicher auch unter ſolchen Perſonen möglich, de-

nen das Recht der testamentifactio fehlt. Am unzweydeu-

tigſten zeigt ſich dieſes bey den Peregrinen, welchen dieſes

Recht entſchieden abgeht (r). Hatte nun ein Peregrine ei-

nem andern auf den Todesfall eine Sache tradirt, oder

durch Stipulation Etwas verſprochen, ſo iſt es eben ſo

unzweifelhaft, daß der Beſchenkte Eigenthum oder eine For-

derung erwarb (s), als daß das erworbene Recht mit der

beſchränkenden Bedingung des früheren Todes behaftet

war, welche allein das beſondere Weſen dieſer Schen-

kungsart ausmacht. Die Misverſtändniſſe neuerer Schrift-

ſteller über dieſen Punkt gründen ſich theils auf die Ver-

wechslung der testamentifactio mit der völlig verſchiede-

nen Capacität (von welcher ſogleich die Rede ſeyn wird),

theils darauf daß die Römer ſelbſt die techniſche Bedeu-

tung des Wortes testamentifactio (t) nicht immer ſtrenge

(q) Haſſe Rhein. Muſeum II.

346.

(r) Ulpian. XXII. 2.

(s) Über die Fähigkeit der Pe-

regrinen zum Eigenthum (nur

nicht ex jure Quiritium) vergl.

Gajus II. § 40; zu Stipulationen

(nur nicht mit spondes? spon-

deo) Gajus III. § 93.

(t) Am reinſten iſt der Sprach-

gebrauch bey Ulpian. XX. § 2.

8. 10. 14. XXII. § 3. Von Ga-

jus können wir nicht ſicher ur-

theilen, da die Hauptſtelle lücken-

haft iſt. In manchen anderen

Stellen wird das Wort gebraucht

für das Recht ein Teſtament zu

machen, welches Recht aber noch

17*

|0274 : 260|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

genug feſt halten (u).

Allein es iſt ſchon oben bemerkt worden, daß dieſe Art

der Schenkung in ihrem Zweck und Erfolg den Legaten

verwandt iſt (§ 170). Sobald nun die Legate poſitiven

Einſchränkungen unterworfen wurden, konnten die Schen-

kungen auf den Todesfall dazu misbraucht werden, ſolche

Einſchränkungen zu umgehen. Dieſes gab Veranlaſſung,

mehrere für die Legate geltende beſchränkende Regeln auch

auf jene Schenkungen anzuwenden. Wie weit man hierin

gehen ſolle, war unter den alten Juriſten ſtreitig; wir

kennen jedoch den Umfang ihres Streites nicht. Juſtinian

hat ſich für die ausgedehntere Gleichſtellung ausgeſprochen,

und zwar in Ausdrücken, die von Manchen unſrer Schrift-

 

manche andere Bedingungen, au-

ßer der testamentifactio, hat;

ſo z. B. hat ein filiusfamilias und

ein Latinus Junianus die testa-

mentifactio, dennoch können Bei-

de kein Teſtamrnt machen. Ul-

pian. l. c. Die eigentliche testa-

mentifactio iſt gleichbedeutend

mit commercium, das heißt

Mancipationsfähigkeit.

(u) So ſagt L. 7 § 6 de don.

(39. 5.), filiifamilias die ein ca-

strense peculium haben, könn-

ten mortis causa ſchenken „cum

testamentifactionem habeant,”

das heißt: da ſie ſogar ein Te-

ſtament darüber machen können;

die eigentliche testamentifactio

haben ſie auch ohne castrense pe-

culium (Note t). — L. 32 § 8

de don. int. vir. (24. 1.) „nam

et m. c. donare poterit cui te-

stari permissum est.” Hier iſt

von einem verurtheilten Solda-

ten die Rede, dem aus Gnade

die Verfügung über ſein Ver-

mögen geſtattet wird; das hat

mit dem regelmäßigen Recht kei-

nen Zuſammenhang. — L. 1 § 1

de tutelae (27. 3.) „sicuti te-

stamentifactio .. pupillis con-

cessa non est, ita nec mortis

quidem causa donationes per-

mittendae sunt.” Hier heißt wie-

der testamentifactio die Fähig-

keit ein Teſtament zu machen,

welche dem Pupillen wegen des

Alters fehlt; aus demſelben Grun-

de iſt er unfähig auch zu jeder

andern Veräußerung, die doch ge-

wiß nicht mit testamentifactio

zuſammen hängt.

|0275 : 261|

§. 172. Schenkung auf den Todesfall. (Fortſetzung.)

ſteller ſo verſtanden worden ſind, als hätte er jene Schen-

kung als ein eigenthümliches Rechtsinſtitut dadurch ganz

aufgehoben, daß er ſie mit den Legaten völlig verſchmol-

zen hätte (v). Dieſe wichtige Streitfrage iſt nun vollſtän-

dig zu unterſuchen.

§. 172.

V. Schenkung. — Beſondere Arten. 1. Schenkung auf

den Todesfall. (Fortſetzung.)

Die Gleichſtellung dieſer Art der Schenkung mit den

Legaten kann in einem doppelten Sinn aufgefaßt werden:

von Seiten der äußeren Form, oder der anzuwendenden

Rechtsregeln. Der Streit der alten Juriſten betraf, ſo

viel wir wiſſen, nur den zweyten Punkt: Juſtinian ſpricht

von beiden, und wir müſſen daher den Sinn ſeiner Vor-

ſchrift nach beiden Seiten feſtſtellen.

 

Zuerſt von der äußeren Form. Seitdem die Inſinua-

tion, erſt aller, dann der großen Schenkungen vorgeſchrie-

ben war, konnte man fragen, ob dieſelbe auch für die

Schenkung auf den Todesfall nöthig ſey. Juſtinian ent-

ſcheidet, ſie ſey nicht durchaus nöthig, ſondern es könne

ſie Jeder dadurch entbehrlich machen, daß er Fünf Zeugen

zuziehe, wodurch jede Schenkung dieſer Art vollgültig

werde. Ich ſehe in dieſer einfachen Beſtimmung nur fol-

 

(v) L. 4 C. de don. causa mortis (8. 57.), § 1 J. de don.

(2. 7.), Nov. 87 pr.

|0276 : 262|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

gende Vorſchrift: Jeder, der auf den Todesfall ſchenken

will, hat die Wahl, dafür entweder die alte Form einer

Schenkung, oder aber die Form eines Codicills anzuwen-

den. Im erſten Fall iſt dazu, wenn der Werth mehr als

500 Solidi beträgt, die Inſinnation erforderlich; im zwey-

ten Fall, ohne Unterſchied des Werths, die Zuziehung von

Fünf Zeugen wie bey jedem Codicill. — Dieſe Beſtim-

mung iſt jedoch auf zweyerley Weiſe misverſtanden wor-

den. Erſtlich haben Manche angenommen, Juſtinian habe

hierin die hergebrachte Form der Schenkung ganz abſchaf-

fen, und nur allein die Form der Fünf Zeugen gelten laſ-

ſen wollen. Daraus würde folgen, daß es überhaupt

keine Schenkungen auf den Todesfall mehr gebe, ſondern

nur noch Legate, bey welchen blos als untergeordnete Mo-

dification der Umſtand vorkäme, daß zuweilen der Ge-

genſtand des Legats noch bey Lebzeiten des Erblaſſers dem

Legatar eingehändigt würde. Zu dieſer Annahme kann

man verleitet werden, wenn man blos die Einleitungs-

worte des Juſtinianiſchen Geſetzes lieſt. Die Verordnung

ſelbſt enthält nur eine Erleichterung für den Geber, nicht

(wie es nach jener Annahme ſeyn würde) eine Beſchrän-

kung der bis dahin möglichen Formen der Zuwendung;

es wird nur geſagt, der Geber ſolle ſelbſt bey großen

Schenkungen die Inſinuation vermeiden können (durch

Zuziehung von Fünf Zeugen), wobey es ihm alſo unbe-

nommen bleibt, wenn er es vorzieht, mit Inſinuation eine

große Schenkung vorzunehmen, oder ſelbſt formlos zu

|0277 : 263|

§. 172. Schenkung auf den Todesfall. (Fortſetzung.)

ſchenken, wenn der Werth 500 Solidi nicht überſteigt (a).

Es iſt einleuchtend, welche Inconſequenz dem Geſetzgeber

durch die entgegengeſetzte Meynung aufgebürdet wird.

Wenn 300 Solidi durch bloße Tradition, oder 800 durch

Tradition mit Inſinuation mortis causa geſchenkt werden

(alſo ohne Fünf Zeugen), ſo wäre Das nach jener Mey-

nung ungültig. Allein Niemand bezweifelt, daß unter glei-

chen Vorausſetzungen eine Schenkung unter Lebenden voll-

gültig ſeyn würde. Es müßte alſo dieſelbe Form zur Be-

ſtätigung des gefährlicheren, bedenklicheren Geſchäfts hin-

reichen, die für das minder gefährliche und bedenkliche un-

genügend ſeyn würde. — Ein zweytes Misverſtändniß geht

dahin, die Fünf Zeugen ſeyen eine ganz ſpecielle Form für

die Schenkung auf den Todesfall, ohne Zuſammenhang

mit der allgemeinen Form der Codicille, deren übrige Be-

ſtimmungen daher auch hier nicht angewendet werden dürf-

ten (b). Eine ſolche Iſolirung poſitiver Formen iſt ſchon

an ſich ſehr bedenklich, da wo die Zurückführung einer

neu vorgeſchriebenen, und nur kurz angedeuteten Form,

auf eine ſchon bekannte, nahe liegt. Hier aber treten noch

folgende beſondere Gründe ein, die nur kurz erwähnten

Fünf Zeugen für nichts Anderes zu halten, als für die

(a) Die hier widerlegte Mey-

nung findet ſich, unter neueren

Schriftſtellern, bey Müller § 27.

28, und bey Wiederhold

S. 107—117. Die richtige Mey-

nung iſt ausführlich und gründ-

lich dargeſtellt von Schröter

S. 133 fg.

(b) Dieſes zweyte Misverſtänd-

niß findet ſich bey Schröter

S. 144. 150. Dagegen hat ſich

erklärt Haſſe Rhein. Muſeum

III. 410.

|0278 : 264|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

reine und ganze Codicillarform. Seit langer Zeit beſtand

die allgemeine Regel, Legate und Fideicommiſſe koͤnnten

nur in Codicillen, und zwar vor Fünf Zeugen, errichtet

werden (c). In dem Juſtinianiſchen Geſetz nun wird im

Eingang eine Annäherung der mortis causa donatio an

die Legate ausgeſprochen, und daran die Vorſchrift ge-

knüpft, nach welcher Fünf Zeugen jede andere Form ent-

behrlich machen ſollen. Was iſt wohl natürlicher, als

dieſe Fünf Zeugen für die kurze Bezeichnung der Codicil-

larform zu halten, wodurch ja eben Legate regelmäßig

ihre Gültigkeit erhalten? Hätte etwa Juſtinian bey die-

ſer Gelegenheit alles Dasjenige wiederholen ſollen, was

an anderen Orten ſeiner Rechtsbücher über die Form der

Codicille ausgeſprochen iſt? Es kommt hinzu, daß kurz

zuvor der Kaiſer für die großen Schenkungen unter Ehe-

gatten beſtimmt hatte, ſie könnten nicht durch den Tod

allein beſtätigt werden, ſondern nur entweder durch In-

ſinuation, oder durch suprema voluntas (d); dieſes letzte

aber heißt: entweder durch Teſtament, oder durch Codicill.

Was er nun hier als suprema voluntas, alternativ neben

der Inſinuation, ausdrückt, bezeichnet er in jenem Geſetz

durch die Fünf Zeugen; beide Beſtimmungen ſind in Wor-

ten verſchieden, in der Sache übereinſtimmend, und er-

läutern ſich wechſelſeitig. — Betrachtet man aus dieſen

Gründen die Fünf Zeugen lediglich als die kurze Verwei-

(c) L. 8 § 3 C. de codicillis

(6. 36.).

(d) L. 25 C. de don. int. vir.

(5. 16.).

|0279 : 265|

§. 172. Schenkung auf den Todesfall. (Fortſetzung.)

ſung auf die ſonſt ſchon bekannte Codicillarform, ſo folgt

daraus conſequenterweiſe, daß die Fünf Zeugen auch durch

jede privilegirte Codicillarform erſetzt werden können, na-

mentlich durch den mündlichen Auftrag an den gerade ge-

genwärtigen Erben (e). Wollte man auch (nach der hier

widerlegten Anſicht) läugnen, daß auf dieſe Weiſe eine

gültige mortis causa donatio zu Stande kommen könne

(wegen der fehlenden Fünf Zeugen), ſo müßte man den-

noch ein gültiges Fideicommiß zugeben, des Inhalts, daß

der Erbe alles Das geſchehen laſſe und bewirke, was in

der beabſichtigten mortis causa donatio enthalten war;

dann iſt aber der praktiſche Erfolg genau derſelbe, wie

wenn dieſe unmittelbar eine rechtsgültige Beſtätigung er-

halten hätte. Ja ſelbſt wenn der Erblaſſer in einem (förm-

lichen oder privilegirten) Codicill ſagt: „ich ſchenke hier-

durch dem Titius auf den Todesfall 1000,“ ſo iſt dieſes

zwar als Schenkung ungültig, da die Acceptation fehlt,

alſo überhaupt Nichts geſchehen iſt, was zur Perfection

einer ſolchen gehört; dennoch muß es als Legat oder Fi-

deicommiß gelten (f), da die Abſicht des Erblaſſers un-

zweifelhaft iſt, das Juſtinianiſche Recht aber, ſeinem Buch-

ſtaben und Geiſt nach, die angewendeten Ausdrücke für

ganz gleichgültig erklärt (g).

(e) Dieſes beſtreitet Schröter

S. 150.

(f) Auch dagegen erklärt ſich

Schröter S. 146.

(g) L. 21 C. de legatis (6. 37.),

L. 1. 2 C. communia de leg. (6.

43.), beſonders auch § 2. 3 J. de

leg. (2. 20.). — Im älteren Recht

legte man großes Gewicht auf die

Ausdrücke, ſelbſt bey den an ſich

|0280 : 266|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Ferner iſt das materielle Verhältniß der Schenkung

auf den Todesfall zu den Legaten zu beſtimmen; die Gleich-

heit oder Ungleichheit der auf beide anzuwendenden Rechts-

regeln. Einiges hatten hierüber ſchon die Kaiſer beſtimmt;

wie weit man hierin überhaupt gehen ſolle, war unter

den Juriſten ſtreitig; ſo fand die Sache Juſtinian. Er

entſchied ſich für die Meynung Derjenigen unter den alten

Juriſten, welche den höheren Grad der Gleichſtellung ver-

theidigten, und ſprach dieſen ſeinen Willen auf zwiefache

Weiſe aus. Erſtlich indem er in die Digeſten nur die

Stellen der von ihm gebilligten Partey der alten Juriſten

aufnahm, die der Gegenpartey wegließ; Zweytens indem

er im Codex und in den Inſtitutionen die höhere Gleich-

heit als allgemeines Reſultat ausſprach (h). Die Rechts-

 

formloſen Fideicommiſſen (Ul-

pian. XXV. 2). Dennoch wur-

den, ſelbſt damals, ähnliche Fälle

wie der hier beſchriebene als Fi-

deicommiſſe aufrecht erhalten;

dono galt für fideicommitto.

L. 75 pr. L. 77 § 26 de leg. 2

(31. un.) (§ 170. cc).

(h) Die unbefangene Betrach-

tung der Stellen ſelbſt ſetzt dieſe

Erklärung außer Zweifel. Die

L. 4 C. de don. causa mortis (8.

57.) geht aus von der Bemer-

kung, die alten Juriſten ſeyen im

Streit geweſen, ob jene Schen-

kungen die Natur der Legate oder

vielmehr der Schenkungen unter

Lebenden hätten. Daran knüpft Ju-

ſtinian lediglich die Entſcheidung,

die Inſinuation ſey dazu niemals

unentbehrlich, ſondern es könne Je-

der, anſtatt derſelben, Fünf Zeu-

gen zuziehen. — § 1 J. de don.

(2. 7.) ſagt zuerſt: „Hae m. c.

donationes ad exemplum lega-

torum redactae sunt per om-

nia,” welches gefährlich genug

ausſieht. Dann fährt aber die

Stelle fort: die alten Juriſten

ſeyen darüber im Streit gewe-

ſen; und nun folgt: „a nobis

constitutum est, ut per omnia

fere legatis connumeretur.”

Daraus geht dieſer Sinn im Gan-

zen hervor: Wir haben in allen,

unter den alten Juriſten

ſtreitigen, Fragen für die

Gleichheit entſchieden, ſo daß

daraus in den meiſten und

wichtigſten Punkten über-

|0281 : 267|

§. 173. Schenkung auf den Todesfall. (Fortſetzung.)

bücher erläutern ſich alſo hierin gegenſeitig; die unbe-

ſtimmte Gleichſtellung des Codex und der Inſtitutionen er-

hält durch die Digeſten ihren beſtimmten Inhalt und ihre

Gränzen. Dagegen haben ſich Viele durch die Form un-

ſrer Rechtsbücher zu der irrigen Meynung verleiten laſſen,

als enthielten die Digeſten blos eine anfangende, partielle

Gleichſtellung, die dann im Codex in eine abſolute ver-

wandelt worden wäre. Geht man nun von dem hier auf-

geſtellten Grundſatz aus, ſo folgt daraus, daß die Gleich-

heit nur in den einzelnen Fällen behauptet werden darf,

worin ſie durch die Digeſten und durch frühere Kaiſercon-

ſtitutionen anerkannt iſt; und dieſes Reſultat wird noch

dadurch beſtätigt, daß in unſren Rechtsquellen mehrere fort-

währende Verſchiedenheiten ausdrücklich anerkannt ſind (i).

— Es ſind daher jetzt die einzelnen Beziehungen ſelbſt

darzuſtellen, worin jene Schenkungen den Legaten in der

That gleichgeſtellt worden ſind.

§. 173.

V. Schenkung. — Beſondere Arten. 1. Schenkung auf

den Todesfall. (Fortſetzung.)

Der älteſte Fall, wie es ſcheint, worin dieſe Schen-

kungen den Legaten gleichgeſtellt wurden, war der der

 

haupt (fere) wirkliche Gleich-

heit hervorgegangen iſt. — Die

Nov. 87 pr. erwähnt die Gleich-

ſtellung in eben ſo unbeſtimmter

Allgemeinheit, wie es in den er-

ſten Worten der oben angeführ-

ten Inſtitutionenſtelle geſchieht.

(i) Die richtige Meynung iſt aus-

führlich vertheidigt von Schrö-

ter S. 139 fg. Derſelbe hat die

fortdauernden Verſchiedenheiten

zuſammengeſtellt S. 116 fg.

|0282 : 268|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Incapacität. Nämlich der Eheloſe ſollte nach der Lex

Julia die ihm hinterlaſſenen Erbſchaften oder Legate gar

nicht, der Kinderloſe nur zur Hälfte erwerben können; da

nun Richts leichter war, als dieſes Verbot unter der

Form eines Fideicommiſſes zu umgehen, ſo wurde daſſelbe

durch das Sc. Pegasianum auf die Fideicommiſſe erſtreckt (a).

Eben ſo nahe aber lag die Umgehung durch eine mortis

causa donatio, daher wurde durch einen Senatsſchluß auch

auf dieſe das Verbot ausgedehnt (b); darin lag die erſte

künſtliche Gleichſtellung mit den Legaten. Eben dieſe Gleich-

heit aber forderte, daß bey der Beurtheilung dieſer Un-

fähigkeit nicht auf den Zuſtand zur Zeit des gegebenen

Geſchenks geſehen werden durfte, ſondern zur Todeszeit

des Gebers (c). Oder, um es genauer auszudrücken, die

Schenkung war von dieſer Seite vollgültig, wenn der Be-

(a) Gajus II. § 286. — Auch

der Latinus Junianus hatte In-

capacität nach der Lex Junia

(Gajus I. § 23, II. § 275. Ul-

pian. XXII. § 3); da aber hier

kein ſolcher politiſcher Grund, wie

bey dem Cölibat, vorhanden war,

ſo wurde die Ausdehnung auf die

Fideicommiſſe nicht nöthig gefun-

den. Gajus II. § 275, Ulpian.

XXV. § 7.

(b) L. 35 pr. de m. c. don.

(39. 6). Vgl. L. 9. 10. 33 eod.

Daraus erklärt ſich auch die ſchein-

bar allgemeine L. 37 pr. eod.

„Illud generaliter meminisse

oportebit, donationes mortis

causa factas legatis compara-

tas: quodcunque igitur in le-

gatis juris est, id in mortis

causa donationibus erit acci-

piendum.” Die Stelle iſt aus

einem Commentar des Ulpian zur

Lex Julia genommen, enthält

alſo blos die auf die Incapaci-

tät des coelebs und orbus be-

zügliche Gleichſtellung. — Es iſt

merkwürdig, daß die Ausdehnung

der Incapacität auf die m. c. do-

natio auch den Latinus Junia-

nus mit umfaßte (Fragm. Vat.

§ 259), auf welchen die Incapa-

cität zu Fideicommiſſen nicht be-

zogen wurde (Note a).

(c) L. 22 de m. c. don. (39. 6.).

|0283 : 269|

§. 173. Schenkung auf den Todesfall. (Fortſetzung.)

ſchenkte entweder zur Zeit des Todes, oder auch nur in

den erſten Hundert Tagen nachher, in der Ehe lebte und

Kinder hatte (d). — Juſtinian hat dieſe Folgen der Orbi-

tät und des Cölibats in allen ihren Anwendungen allge-

mein aufgehoben (e), und es iſt als bloße Gedankenloſig-

keit zu betrachten, daß man die Erwähnung derſelben bey

der mortis causa donatio in die Digeſten aufgenommen

hat, wenn wir nicht etwa annehmen wollen, daß die Com-

pilatoren bey dieſer Aufnahme an die Kaiſergeſetze gedacht

haben, welche den Ketzern und Abtrünnigen den Erwerb

nicht nur von Erbſchaften, ſondern auch von Schenkun-

gen, unterſagen (§ 84). Für das heutige Recht würde

auch dieſe Anwendung wegfallen.

Eine zweyte Gleichſtellung betrifft die Falcidiſche

Quart. Die Lex Falcidia ſelbſt geſtattete dem Teſta-

mentserben, den auf ihn angewieſenen Legataren nöthigen-

falls ſo viel abzuziehen, daß ihm der vierte Theil ſeiner

Erbportion als reiner Gewinn übrig bliebe. Das Sc. Pe-

gasianum erſtreckte dieſe Einſchränkung auf Fideicommiſſe

(ſowohl der Erbſchaft, als einzelner Sachen) (f). Pius

dehnte ſie weiter aus auf ſolche Fideicommiſſe, die einem

Inteſtaterben auferlegt waren (g). Hieran ſchloß ſich die

 

(d) Ulpian. XVII. § 1, XXII.

§ 3.

(e) L. un. § 14 C. de cad. toll.

(6. 51.).

(f) Gajus II. § 254, § 5 J. de

fideic. hered. (2. 23.).

(g) L. 18 pr. ad L. Falc. (35.

2.). — Nur von Fideicommiſſen,

nicht von Legaten konnte dabey

die Rede ſeyn, indem nach dem

älteren Recht Legate nur entwe-

der in Teſtamenten, oder in co-

dicillis testamento confirmatis

gegeben werden konnten, bey In-

|0284 : 270|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Conſtitution von Severus, welche einer gleichen Beſchrän-

kung auch die Schenkungen auf den Todesfall unter-

warf (h); dadurch war alſo der teſtamentariſche, wie der

Inteſtaterbe, berechtigt worden, in die Maſſe der Erb-

ſchaft, woraus ſeine Erbportion und deren Quart berech-

net werden ſollte, auch jene Schenkungen mit herein zu

ziehen, und den Abzug auf ſie eben ſo, wie auf Legate

und Fideicommiſſe, zu richten. Es war dann eine bloße

Entwicklung dieſes Rechtsſatzes, daß man auch die durch

den Tod beſtätigten Schenkungen unter Ehegatten demſel-

ben Abzug unterwarf (i), indem dieſe überhaupt als mor-

tis causa donationes angeſehen wurden (§ 164).

Der Falcidiſchen Quart liegt zum Grunde eine höhere,

gar nicht aus poſitiven Vorſchriften abzuleitende, Regel,

daß nämlich ipso jure nichtig ſind alle Legate und Fidei-

commiſſe, ſoweit ſie den Werth der Erbſchaft ſelbſt über-

ſteigen (k). Dieſe Regel hatte auf m. c. donationes keine

Anwendung, ſo lange man dieſelben als außer den Grän-

 

teſtaterben alſo überhaupt unmög-

lich waren.

(h) L. 5 C. ad L. Falc. (6. 50),

L. 2 C. de don. causa mortis (8.

57.). Mit Beziehung auf dieſe

(damals neue) Conſtitution ſetzt

Papinian das jus antiquum der

constitutio entgegen. L. 42 § 1

de m. c. don. (39. 6.). — Erwäh-

nungen und Anwendungen dieſer

Gleichſtellung finden ſich in L. 77

§ 1 de leg. 2 (31. un.), L. 15

pr. L. 82 ad L. Falc. (35. 2.),

L. 1 § 5 quod legat. (43. 3.),

L. 27 de m. c. don. (39. 6.).

Fragm. Vat. § 281. — Cujac.

obss. XX. 6 glaubt, ohne hinrei-

chenden Grund, Severus habe das

nur für teſtamentariſche Erbſchaf-

ten verordnet, Gordian habe es

in L. 2 C. cit. auf Inteſtaterben

ausgedehnt.

(i) L. 32 § 1 de don. int. vir.

(24. 1.), L. 12 C. ad L. Falc.

(6. 50.).

(k) L. 73 § 5, L. 17 ad L.

Falc. (35. 2.), L. 18 § 1 de test.

mil. (29. 1.).

|0285 : 271|

§. 173. Schenkung auf den Todesfall. (Fortſetzung.)

zen der Erbſchaft liegend betrachtete. Seitdem man ſie

aber, um der Falcidia Willen, in die Erbſchaft herein

zog, war es unvermeidlich, jene höhere Regel gleichfalls

darauf anzuwenden. Das hat zugleich die Folge, daß

auch die Glaubiger des Verſtorbenen ſich darauf berufen

können, die mortis causa donatio ſey nichtig, ſoweit ſie

ihre Schuldforderungen gefährde. Dadurch wird ihnen die

Pauliana actio für dieſen Fall entbehrlich, und ſie gewin-

nen dadurch den Vortheil, daß ſie ſich auf den Beweis

der unredlichen Abſicht ihres Schuldners nicht einzulaſſen

brauchen (l).

Die Bonorum Possessio contra tabulas eines

präterirten Suus oder Emancipatus entkräftet von ſelbſt

alle Erbeinſetzungen und Legate, weil beide ihre Gültigkeit

nur aus dem Teſtament herleiten; beſonders ausgenommen

ſind die den Deſcendenten und Aſcendenten des Erblaſſers

gegebenen Erbtheile und Legate. Auf m. c. donationes

hat dieſes an ſich keine Anwendung, da dieſelben nicht auf

dem Teſtament beruhen. Dennoch iſt die Entkräftung, und

eben ſo die erwähnte Ausnahme derſelben, auch auf ſie

erſtreckt worden (m). Bey einer Inteſtaterbfolge kann keine

B. P. contra tabulas vorkommen, alſo auch nicht dieſe Ent-

 

(l) L. 17 de m. c. don. (39.

6.). „… nam cum legata ex

testamento ejus, qui solvendo

non fuit, omnimodo inutilia sint,

possunt videri etiam donationes

mortis causa factae rescindi de-

bere, quia legatorum instar ob-

tinent.” Die letzten Worte lau-

ten wieder ganz allgemein, haben

aber doch nur den Sinn, in die-

ſer beſonderen Beziehung

die Gleichheit anzuerkennen.

(m) L. 3 pr. L. 5 § 7 L. 20

pr. de leg. praest. (37. 5.).

|0286 : 272|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

kräftung (n). Hier bleibt alſo dem durch die m. c. dona-

tio beeinträchtigten Sohn nichts Anderes übrig, als der

Abzug der Falcidiſchen Quart (Note h). — Eine gleiche

Ausdehnung iſt gemacht worden bey der P. B. contra

tabulas liberti; daher entkräftete der Patron eine ſolche

Schenkung unbedingt, anſtatt daß er bey einer Schenkung

unter Lebenden die actio Faviana oder Calvisiana bedurfte,

zu deren Begründung der Dolus des Gebers bewieſen wer-

den mußte (o).

Jeder Fructuar muß dem Eigenthümer Caution ſtel-

len wegen gehöriger Behandlung und künftiger Rückgabe

der Sache. Dieſes gilt nicht blos von einem durch Legat

errichteten Niesbrauch, ſondern es iſt hierin die Schen-

kung auf den Todesfall den Legaten gleichgeſtellt wor-

den (p), das heißt wenn Jemand mortis causa einen Nies-

brauch beſtellt, ſo kann nach ſeinem Tod der Erbe die

Caution erzwingen. Dieſes ſcheint deswegen nichts Be-

ſonderes, weil ſelbſt bey einem durch irgend einen Vertrag

errichteten Niesbrauch eine ſolche Caution verlangt wer-

 

(n) L. 20 § 1 de leg. praest.

(37. 5.). „Intestato autem mor-

tuo patre, super donationibus

m. c. factis non poterit filius

queri: quoniam comparatio nul-

la legatorum occurrit.” Der

Grund iſt nicht gut gewählt, da

er auch die Ausdehnung auf die

Falcidia der Inteſtaterben aus-

ſchließen würde, wodurch ſich eben

Cujacius hat irre machen laſſen.

— Non poterit filius queri heißt:

der Sohn hat hier kein Mittel,

die Schenkung (ſo wie durch die

B. P. c. t.) zu entkräften.

(o) L. 1 § 1 si quid in fraud.

(38. 5.).

(p) L. 1 § 2 usufr. quemadm.

caveat (7. 9.). „Plane et si ex

mortis causa donatione usus-

fructus constituatur, exemplo

legatorum debebit haec cautio

praestari.”

|0287 : 273|

§. 173. Schenkung auf den Todesfall. (Fortſetzung.)

den kann (q). Das Beſondere aber liegt in der ganz po-

ſitiven Regel, daß die Caution des Legatars vom Erblaſ-

ſer nicht erlaſſen werden darf (r). Hierin alſo ſteht jene

Schenkung den Legaten gleich, anſtatt daß der Eigenthü-

mer, der durch anderen Vertrag den Niesbrauch beſtellt,

die Caution allerdings erlaſſen kann.

Wenn einer Erbeinſetzung oder einem Legat die Be-

dingung eines Eides hinzugefügt iſt, ſo wird der Eid

erlaſſen, der Wille des Erblaſſers aber durch zweckmäßi-

gere Rechtsformen geſchützt (§ 123). Dieſe Verwandlung

nun ſoll auch bey Schenkungen auf den Todesfall ange-

wendet werden, welches auf folgende Weiſe gedacht wer-

den muß. Der Geber hat ſich von dem Empfänger die

Rückgabe nicht blos unter der gewöhnlichen Bedingung

jener Schenkung verſprechen laſſen, ſondern auch noch für

den Fall, wenn es der Empfänger unterlaſſen würde, ir-

gend eine Handlung eidlich anzugeloben (s); der Eid wird

 

(q) L. 1 § 2 cit., L. 4 C. de

usufr. (3. 33).

(r) L. 7 C. ut in poss. (6. 54.).

Der Grund war folgender. Die

Lex Julia hatte für manche Fälle

geſtattet, in einem Teſtament zwar

den Niesbrauch, aber nicht die

Proprietät zu hinterlaſſen. (Ul-

pianus XV. 1). Dieſe Vorſchrift

konnte leicht umgangen werden,

wenn der Teſtator die Caution

erließ, und nun der Fructuar,

der kein anderes Vermögen hatte,

die Sachen aufzehrte. Dieſe Um-

gehung aber war bey einer Schen-

kung auf den Todesfall eben ſo

zu befürchten, wie bey einem Legat.

(s) L. 8 § 3 de cond. inst.

(28. 7.). „Et in mortis causa do-

nationibus dicendum est Edicto

locum esse: si forte quis ca-

verit, nisi jurasset se aliquid

facturum, restituturum quod ac-

cepit: oportebit itaque remitti

cautionem.”

IV 18

|0288 : 274|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

nunmehr erlaſſen, die Handlung ſelbſt aber als Modus

aufrecht erhalten.

Soldaten, die in väterlicher Gewalt ſtehen, haben das

Recht, über das castrense peculium zu teſtiren, alſo Er-

ben und Legatare zu ernennen. Dieſes iſt ſehr bald, und

ganz conſequent, auch auf mortis causa donationes aus-

gedehnt worden, obgleich es urſprünglich, dem Buchſtaben

nach, nur für Teſtamente beſtimmt geweſen war (t).

 

Dem Empfänger einer m. c. donatio kann ein Fidei-

commiß auferlegt werden (u). Streng genommen liegt

darin keine Gleichſtellung mit eigentlichen Legaten, denn

auch Derjenige kann ſo onerirt werden, der ein Fideicom-

miß, oder ſelbſt eine bloße m. c. capio empfängt (v).

Allein eine durch Todesfall, alſo durch den Willen eines

Verſtorbenen, bedingte Succeſſion iſt zu einer ſolchen Be-

laſtung allerdings erforderlich (w), und inſofern wird eben

dadurch die m. c. donatio in die Reihe ſolcher Succeſſio-

nen geſtellt, und von den reinen Verträgen in einer wich-

tigen Wirkung unterſchieden. Unrichtig iſt behauptet wor-

den, die Fähigkeit zu dieſer Belaſtung ſey die natürliche

 

(t) L. 15 de m. c. don. (39. 6.).

„.. hoc et constitutum est, et

ad exemplum legatorum mor-

tis causa donationes revocatae

sunt;” nämlich in dieſer beſon-

deren Beziehung, was das ca-

strense peculium betrifft. Nimmt

man dieſe Worte aus ihrem Zu-

ſammenhang, ſo geben ſie wieder

einen falſchen Schein abſoluter

Gleichſtellung.

(u) L. 11 de dote praeleg.

(33. 4.), L. 77 § 1 de leg. 2 (31.

un.), L. 8 § 2 de transact. (2.

15.), L. 1 C. de don. c. m. (8.

57.), L. un. § 8 C. de cad. toll.

(6. 51.).

(v) L. 96 § 4 de leg. 1 (30. un.).

(w) L. 1 § 6 de leg. 3 (32. un.),

L. 9 C. de fideic. (6. 42.).

|0289 : 275|

§. 173. Schenkung auf den Todesfall. (Fortſetzung.)

Folge der Widerruflichkeit der m. c. donatio, da das auf-

erlegte Fideicommiß nur ein partieller Widerruf ſey (x).

Allein der Widerruf iſt eine Handlung des Lebenden, und

daß hier der erſt nach dem Tod bekannt gewordene fidei-

commiſſariſche Wille bindend iſt, darin eben liegt das Be-

ſondere, aus der bloßen Natur des bedingten Vertrags

nicht zu Erklärende. Die Rechtsregeln zeigen hierin ge-

rade den umgekehrten Entwicklungsgang. Da man die

Belaſtung der m. c. donatio, wegen der Succeſſionenna-

tur derſelben, nicht verweigern konnte, ſo erſtreckte man

ſie nun auch auf die gewöhnliche Schenkung, wenn dieſe

durch Vertrag widerruflich gemacht war; dieſes jedoch erſt

ſpäter, und kraft einer Conſtitution von Pius (y). Eine

ſpätere Ausdehnung wird im § 175 vorkommen.

In allen dieſen Fällen alſo iſt die Gleichſtellung der

m. c. donatio mit den Legaten gewiß; in anderen Fällen

ſind wir zu ihrer Annahme nicht berechtigt, ungeachtet der

ſcheinbar allgemein lautenden Stellen des Codex und der

Inſtitutionen. Ja ſogar kommen Fälle vor, worin dieſe

Gleichheit ganz ausdrücklich verneint wird. Die Indigni-

tät wegen der Anfechtung des Teſtaments, welche auf

Erbſchaften und Legate geht, ſoll auf die m. c. donatio

nicht bezogen werden (z). — Ferner würde aus der abſo-

luten Gleichſtellung folgen, daß die m. c. donatio nie un-

 

(x) Schröter S. 116.

(y) L. 37 § 3 de leg. 3 (32. un.).

(z) L. 5 § 17 de his quae ut

ind. (34. 9.). „Qui mortis causa

donationem accepit a testatore,

non est similis in hac causa

legatario.”

18*

|0290 : 276|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

widerruflich gemacht werden könne, da Dieſes bey Lega-

ten gewiß der Fall iſt; dennoch iſt die Zuläſſigkeit einer

unwiderruflichen m. c. donatio nicht nur in den Digeſten,

ſondern ſogar noch in einer Novelle, ausdrücklich aner-

kannt (§ 170. f).

§. 174.

V. Schenkung. — Beſondere Arten. 1. Schenkung auf

den Todesfall. (Fortſetzung.)

Es iſt jetzt im Zuſammenhang die, ſchon theilweiſe be-

rührte, Frage zu beantworten, ob die poſitiven Einſchrän-

kungen der Schenkung auch auf die mortis causa donatio

Anwendung finden.

 

Das Verbot unter Ehegatten findet hier keine Anwen-

dung, und wir dürfen annehmen, daß Dieſes von jeher

ſo geweſen iſt (§ 162. m).

 

Sehr zweifelhaft iſt die Anwendung der Lex Cincia

und ihrer Zuſätze, alſo die Frage, ob auch die m. c. do-

natio dem Verbot größerer Summen, und der beſonderen

Form der Mancipation, verbunden mit Interdictenbeſitz,

unterworfen war. Zwar in Beziehung auf den Geber

ſelbſt hatte dieſe Frage meiſt kein Intereſſe, da dieſer ohne-

hin die m. c. donatio in der Regel ganz willkührlich wi-

derrufen kann (§ 170). Wichtig wurde die Frage, ſobald

durch den Tod des Gebers dieſe Willkühr weggefallen

war, ſo daß nur noch der Erbe des Gebers mit dem Em-

pfänger in Streit gerathen konnte, wenn etwa die geſetz-

 

|0291 : 277|

§. 174. Schenkung auf den Todesfall. (Fortſetzung.)

liche Summe überſchritten, oder die Mancipation ver-

ſäumt, und auch nicht durch Uſucapion erſetzt war. Nimmt

man nun an, daß die Regel: morte Cincia removetur

von jeher und unbeſtritten galt, ſo iſt es wieder unzwei-

felhaft, daß auch für den Erben die Lex Cincia keinen

Einfluß mehr haben konnte, daß alſo überhaupt die Schen-

kung auf den Todesfall von dem Einfluß der L. Cincia

völlig frey war; nur mit Ausnahme des ſeltnen Falles,

da der Geber dem willkührlichen Widerruf entſagt hatte,

in welchem Fall er ſich dennoch auf die Einwendungen

berufen konnte, die ihm die L. Cincia darbot. Wenn man

dagegen annimmt, daß jene Regel (morte Cincia remove-

tur) nur von einem Theil der alten Juriſten behauptet,

und erſt ſpäter allgemein anerkannt wurde, ſo konnte, nach

der entgegenſtehenden Meynung anderer Juriſten, auch der

Erbe die aus der L. Cincia entſpringenden Einwendungen

geltend machen (a).

Die Anwendbarkeit der nothwendigen Inſinuation auf

die m. c. donatio, wenn ihr Gegenſtand mehr als 500

Solidi werth iſt, hat durchaus keinen Zweifel. Sie muß

entweder inſinuirt, oder durch die Form eines Codicills

beſtätigt ſeyn; außerdem iſt ſie in Anſehung des Über-

maaßes nichtig, und dieſe Nichtigkeit kann von dem Erben

geltend gemacht werden (§ 172).

 

(a) Vgl. oben § 165. c und f.

— Für die Anwendung der Lex

Cincia auf die m. c. donatio iſt

Haubold opusc. I. 442, dagegen

ſind: Haſſe Rhein. Muſeum II.

313, und Schröter S. 100.

|0292 : 278|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Auch der Widerruf wegen Undankbarkeit kann keine

Zweifel erregen. Der Geber ſelbſt kann in der Regel aus

bloßer Willkühr widerrufen, alſo gewiß auch im Fall der

Undankbarkeit. Hat er dieſer Willkühr entſagt, ſo iſt da-

durch die Schenkung für ſeinen Willen nicht bindender ge-

worden, als jede Schenkung unter Lebenden, und der Wi-

derruf wegen Undankbarkeit kann ihm daher nicht verſagt

werden; er kann es um ſo weniger, als ſelbſt ein für die-

ſen beſonderen Fall ausdrücklich erklärter Verzicht ohne

Wirkung ſeyn würde (§ 169. l).

 

Bisher wurde die Schenkung auf den Todesfall als

ein ſolches Geſchäft abgehandelt, welchem ein Vertrag zum

Grunde liegt. Dieſe Natur hat ſie nun wirklich in den

allermeiſten Fällen, und es wird ſich dann ihre praktiſche

Behandlung am Einfachſten hieraus ableiten laſſen. Wenn

jedoch neuere Schriftſteller dieſe Geſtalt für die einzig mög-

liche halten, und alſo das Vorkommen einer m. c. dona-

tio ohne Vertrag gänzlich läugnen, ſo muß ich dieſer Mey-

nung beſtimmt widerſprechen. Es iſt alſo nun zu zeigen,

daß die oben nachgewieſenen Fälle der Schenkung ohne

Vertrag (§ 160) auch bey einer Schenkung auf den To-

desfall angewendet werden können.

 

Wenn Jemand die Schuld eines abweſenden Freundes,

ohne deſſen Wiſſen, durch baare Zahlung oder durch Ex-

promiſſion tilgt, ſo iſt dieſes, je nach der verſchiedenen

möglichen Abſicht, bald eine negotiorum gestio, bald eine

 

|0293 : 279|

§. 174. Schenkung auf den Todesfall. (Fortſetzung.)

Schenkung. Geſetzt nun, er erklärt ausdrücklich, vielleicht

bey der gerichtlichen Inſinuation einer hohen Summe, daß

er die Abſicht einer Schenkung habe, aber einer Schen-

kung auf den Todesfall, ſo muß ganz deren rechtliche Na-

tur zur Anwendung kommen. Eben ſo, wenn er, unter

gleicher Erklärung, auf dem Landgut des Abweſenden die

abgebrannten Gebäude auf eigene Koſten herſtellt. Geſetzt

nun, er ſtirbt vor ſeinem Freund, ohne ſeinen Willen zu

verändern, ſo iſt die Schenkung perfect geworden, und

ſein Erbe kann nicht gegen den Beſchenkten klagen, weil

die negotiorum gestorum actio durch die Abſicht der Schen-

kung ausgeſchloſſen iſt. Geſetzt aber umgekehrt, der Freund

ſterbe vor ihm, ſo iſt die mortis causa donatio durch Er-

füllung der ihr inwohnenden Bedingung der Rückgabe ver-

nichtet, der donandi animus iſt für dieſen Fall durch die

ausdrückliche Erklärung völlig ausgeſchloſſen, und er kann

den Erben ſeines Freundes auf Rückzahlung des ausge-

legten Geldes belangen. — Der einzige, nur die Form

betreffende, Unterſchied liegt in den Rechtsmitteln, wo-

durch die Rückzahlung bewirkt wird. Der Geber hat und

braucht keine Vindication, Condiction, oder actio prae-

scriptis verbis, es genügt ihm zur Erreichung ſeines Zwecks

die negotiorum gestorum actio. Und hierin liegt wieder

eine Beſtätigung der oben (§ 158) aufgeſtellten Anſicht,

daß in Fällen dieſer Art das eigentliche Schenkungsmittel

in der Befreyung von einer eigenen Forderung des Ge-

bers beſteht; von der Forderung nämlich, welche Dieſer

|0294 : 280|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

mit der negotiorum gestorum actio geltend machen koͤnnte,

wenn er nicht deren Entſtehung, durch die ausgeſprochene

Abſicht der Schenkung, gleich Anfangs verhindert hätte.

§. 175.

V. Schenkung. — Beſondere Arten. 2. Donatio

sub modo.

Der Modus, als beſondere Form einer auf einen Er-

werb gelegten Belaſtung kommt überhaupt nur vor bey

den durch einen Todesfall begründeten Succeſſionen, und

bey Schenkungen (§ 128). Durch dieſe letzte Verbindung

erhält die Schenkung eine eigenthümliche Natur, die nun-

mehr dargeſtellt werden ſoll. Da nämlich die in dem Mo-

dus enthaltene Verpflichtung einen Theil der urſprüngli-

chen Bereicherung wieder aufhebt, ſo entſteht dadurch ein

gemiſchtes Rechtsgeſchäft (§ 154), deſſen beide Hälften

(Verpflichtung und Schenkung) einzeln betrachtet werden

müſſen.

 

I. Verpflichtung. — Der Inhalt derſelben kann

beſtehen in einer Leiſtung an den Geber ſelbſt, einer Lei-

ſtung an einen Dritten, oder in einer Handlung, wodurch

kein Einzelner ein Recht erwirbt, wie die Errichtung ei-

nes Denkmals, oder die Gründung einer öffentlichen An-

ſtalt (§ 128). Auf dieſe verſchiedenen Verpflichtungen be-

ziehen ſich folgende Rechtsmittel.

 

A. Wenn der Modus eine Leiſtung an den Geber

 

|0295 : 281|

§. 175. Donatio sub modo.

ſelbſt enthält, ſo daß dieſer ein Geldintereſſe dabey hat,

ſo kann er auf deſſen Erfüllung klagen. Dazu diente die

Stipulationsklage, wenn mit der Schenkung eine Stipu-

lation auf den Modus verbunden worden war; außerdem

dient dazu immer eine actio praescriptis verbis, weil in

der donatio sub modo ſtets ein Contract nach der Form

do ut des oder do ut facias enthalten iſt. — Dieſer Rechts-

ſatz kommt in folgenden wichtigen Anwendungen vor. Dem

Empfänger kann auferlegt ſeyn, dem Geber Alimente zu

reichen (a), oder irgend eine andere Sache zu geben (b),

oder das Geſchenk ſelbſt zurück zu geben, ſey es unter ei-

ner beſtimmten Bedingung oder Zeitbeſtimmung, z. B. bey

dem Tode des Empfängers (c), oder nach freyer Willkühr

des Gebers (d). — Dieſe Erfüllungsklage kann aber der

Geber nicht anſtellen, wenn der Modus in einer Leiſtung

an einen Dritten beſteht, weil es ein allgemeiner Grund-

ſatz iſt, daß aus dem Vertrag zum Vortheil eines Drit-

ten, weder der Contrahent, noch jener Dritte, eine Klage

erwirbt (e).

B. Ganz allgemein, ohne Unterſchied der in dem Mo-

dus enthaltenen Leiſtung, hat der Geber eine condictio

ob causam datorum, womit er das ganze Geſchenk zurück

fordert, ſobald den Empfänger der Vorwurf trifft, daß

 

(a) L. 3 C. de contr. emt. (4.

38.), L. 8 C. de rer. permut.

(4. 64.).

(b) L. 9. 22 C. de don. (8. 54.).

(c) L. 2 C. de don. quae sub

modo (8. 55.).

(d) L. 37 § 3 de leg. 3 (32. un.).

(e) L. 11 de O. et A. (44. 7.),

L. 9 § 4 de reb. cred. (12. 1.),

§ 4 J. de inut. stip. (3. 19.).

|0296 : 282|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

er ſeine Verpflichtung willkührlich unerfüllt gelaſſen habe (f).

Ob alſo der Geber ein Intereſſe bey der Erfüllung hat,

iſt gleichgültig, denn auch wo dieſes fehlt, iſt darum nicht

minder causa non secuta. Dagegen gilt die Klage nur

unter folgenden zwey wichtigen, bereits angedeuteten, Ein-

ſchränkungen. Erſtlich fällt die Condiction ganz weg, wenn

die Erfüllung unmöglich iſt (g); wobey natürlich voraus-

geſetzt wird, daß die Unmöglichkeit aus äußeren Urſachen

entſtanden ſey, nicht durch die Verſchuldung des Empfän-

gers. Zweytens kann ſie nicht angeſtellt werden, ſo lange

nach dem Inhalt des Modus die Verpflichtung noch nicht

angefangen hat, ſo daß vorläufig nur erſt die in dem gan-

zen Geſchäft enthaltene Schenkung wirkſam geworden iſt (h).

(f) Die entſcheidendſten Stel-

len ſind L. 3 L. 8 C. de cond.

ob causam (4. 6.); weniger be-

weiſend ſind L. 2 L. 6 eod.

(g) L. 8 C. de cond. ob cau-

sam (4. 6.), „Dictam legem

donationi, si non impossibilem

contineat causam.” Hierin iſt

alſo der Modus bey Schenkun-

gen dem bey Erbſchaften und Le-

gaten völlig gleich (§ 129. i).

Nur ſcheinbar widerſprechend iſt

L. 2 § 7 de don. (39. 5.). Wenn

Einem Geld gegeben wird, um

den Sklaven Stichus zu kaufen,

ſo kann es reine Schenkung ſeyn,

ſo daß dieſer Kauf nur die Ver-

anlaſſung gab, dann fällt natür-

lich, auch bey des Stichus Tod,

die Condiction weg; es kann aber

auch gar nicht Schenkung ſeyn,

wenn das Geld gegeben wird blos

um dem Stichus einen milden

Herrn zu verſchaffen, nicht um

den Empfänger zu bereichern:

dann gilt die Condiction wie bey

jedem gewöhnlichen Innominat-

contract.

(h) L. 18 pr. de don. (39 5.).

„Aristo ait, cum mixtum sit

negotium cum donatione, obli-

gationem non contrahi eo casu

quo donatio est.” Davon wird

nun im § 1 folgende Anwendung

gemacht: „si servum tibi tradi-

dero ad hoc, ut eum post

quinquennium manumittas, non

posse ante quinquennium agi,

quia donatio aliqua inesse vi-

detur. Aliter atque, inquit, si

ob hoc tibi tradidissem, ut con-

tinuo manumittas: hic enim nec

|0297 : 283|

§. 175. Donatio sub modo.

Hierin beſteht alſo eine merkwürdige Verſchiedenheit zwi-

ſchen dieſem Fall, und anderen Innominatcontracten, ne-

ben welchen die Condiction auch aus reiner Willkühr (jus

poenitendi) angeſtellt werden kann, ſelbſt wenn den Em-

pfänger kein Vorwurf trifft (i); dieſes jus poenitendi gilt

bey der donatio sub modo gar nicht (k). Der Grund

liegt wohl darin, daß bey der donatio sub modo der

Theil des Geſchäfts, welcher die Schenkung enthält, mit

dem Modus unzertrennlich verbunden iſt, ſo daß oft nicht

einmal unterſchieden werden kann, welche unter den bei-

den vereinigten Abſichten bey dem Geber die vorherrſchende

war (l). Wird nun die Condiction angeſtellt, ſo möchte

man erwarten, daß ſie nur auf den Werth des Modus

gienge, nicht auf den Werth der eigentlichen Schenkung;

wäre alſo ein Haus geſchenkt im Werth von 1000, und

betrügen die auferlegten Leiſtungen 200, ſo müßten dann

nur dieſe 200 wiedergefordert werden können, nicht die

800 die zur reinen Bereicherung beſtimmt waren. So iſt

donationi locum esse; et ideo

esse obligationem.”

(i) L. 3 § 2. 3, L. 5 pr. § 1.

2 de cond. causa data (12. 4.).

(k) Dieſes iſt unzweydeutig aus-

geſprochen in L. 18 de don. (No-

te h). Scheinbar widerſprechend

ſind L. 27 § 1 mand. (17. 1.) und

L. 5 § 1 de cond. causa data

(12. 4.). Allein in beiden Stel-

len muß vorausgeſetzt werden, daß

bey dem Geben des Sklaven, der

erſt nach einiger Zeit freygelaſ-

ſen werden ſoll, nicht die Abſicht

einer Schenkung zum Grund lag

(die auch gar nicht erwähnt wird);

auf Fälle ſolcher Art deutet auch

ſchon hin L. 18 § 1 de don. (39.

5.). Vgl. Meyerfeld I. 416.

(l) Es wirkt alſo hier das Prin-

cip der L. 5 § 2 de don. int. vir.

ſ. o. § 152. b. Daß man deswe-

gen hier das Ganze als Schen-

kung gelten läßt, liegt darin, daß

in den meiſten Fällen der dona-

tio sub modo der donandi ani-

mus überwiegend ſeyn wird.

|0298 : 284|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang

es aber nicht, vielmehr muß das ganze Haus zurückgege-

ben werden. Der Grund liegt wieder in der ſchon er-

wähnten Unzertrennlichkeit; dazu kommt aber, als Unter-

ſtützung, die offenbare Undankbarkeit des den Modus ver-

weigernden Empfängers (m). Daher hat auch Juſtinian

dieſen Fall unter die zur Revocation geeigneten Zeichen

der Undankbarkeit mit aufgenommen (§ 169); und es liegt

hierin, da es für den praktiſchen Zweck nicht eigentlich

nöthig war, eine Anerkennung, daß auch ſchon das ältere

Recht, bey der erwähnten Ausdehnung der Condiction,

von dem Princip der Undankbarkeit ausgieng. — In Ei-

nem Fall hat der Geber, der die Schenkung zurück for-

dern will, ſogar noch eine Vindication neben der perſön-

lichen Klage. Dieſes iſt beſtimmt für den Fall, da der

Modus auf Alimente geht, die dem Geber ſelbſt gereicht

werden ſollten, nun aber verweigert werden. Es wird

dieſes, den allgemeinen Grundſätzen nicht angemeſſene

Rechtsmittel ausdrücklich als eine ganz poſitive Anſtalt

anerkannt, und darf daher außer den Gränzen des an-

gegebenen einzelnen Falles nicht angewendet werden (n).

C. In den Fällen, worin der Modus auf die Leiſtung

 

(m) Ohne dieſe hinzutretende

Rückſicht könnte man geneigt ſeyn,

aus der Unzertrennlichkeit viel-

mehr die umgekehrte Folgerung

zu ziehen, das Ganze als Schen-

kung zu behandeln (Note l), und

daher die Condiction ganz zu ver-

ſagen. Die Sache iſt alſo, wie

billig, mehr mit praktiſchem Sinn,

als nach der ſtrengen Regel for-

meller Conſequenz, aufgefaßt wor-

den.

(n) L. 1 C. de don. quae sub

modo (8. 55.). Meyerfeld I.

S. 413.

|0299 : 285|

§. 175. Donatio sub modo.

an einen Dritten gerichtet iſt, würde dieſer nach dem äl-

teren Recht keine Klage gehabt haben (Note e), er müßte

denn bey dem Vertrag ſelbſt zugezogen worden ſeyn, und

den Modus für ſich ſtipulirt haben; das neuere Recht aber

geſtattet demſelben eine utilis actio (o). Daß darin eine

Neuerung liegt, iſt unverkennbar; es iſt aber nicht un-

wichtig zu beſtimmen, an welches ſchon beſtehende Rechts-

inſtitut dieſe Neuerung ſich dergeſtalt anſchließt, daß ſie

als eine Fortbildung deſſelben angeſehen werden kann.

Man hat geſagt, dieſe Klage ſey aus einer ſtillſchweigen-

den Ceſſion des Gebers an den begünſtigten Dritten ab-

zuleiten (p); dieſe Ableitung aber muß beſtimmt verworfen

werden. Denn der Geber könnte nur entweder die actio

praescriptis verbis oder die condictio cedirt haben. Das

erſte iſt unmöglich, weil er ſelbſt dieſe Klage in dem an-

gegebenen Fall (der Leiſtung an einen Dritten) gar nicht

hat (Note e). Das zweyte würde dahin führen, daß der

Dritte nicht auf Erfüllung des Modus klagen, ſondern

das Geſchenk ſelbſt abfordern dürfte; wäre alſo ein Land-

(o) L. 3 C. de don. quae sub

modo (8. 55.). Es iſt ein Re-

ſcript von Diocletian und Maxi-

mian, welches ſich nun auch als

Fragm. Vat. § 286 wiedergefun-

den hat. Die Einführung des

neuen Rechtsſatzes wird darin den

divi principes zugeſchrieben. Nur

ſcheinbare Ähnlichkeit hat damit

L. 8 C. ad exhib. (3. 42.); hier

hatte Einer die Sachen eines An-

dern in Commodat und Depoſi-

tum gegeben, und dabey die Rück-

gabe an den Eigenthümer aus-

bedungen: der Eigenthümer ſoll

nun die utilis depositi actio ha-

ben. Dieſes gründet ſich auf eine

erzwingbare, alſo fingirte Ceſſion;

denn der Deponent konnte als

Mandatar oder negotiorum ge-

stor gezwungen werden, ſeine

depositi actio dem Eigenthümer

zu cediren.

(p) Meyerfeld I. S. 422.

|0300 : 286|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

gut verſchenkt, mit dem Modus einen alten treuen Diener

zu verpflegen, ſo würde derſelbe nicht blos die verweiger-

ten Alimente, ſondern das ganze Landgut einklagen kön-

nen (q). Dieſes nun wird gewiß Niemand behaupten wol-

len, und ſo muß alſo überhaupt der Gedanke an jene

ſtillſchweigende Ceſſion aufgegeben werden. — Der wahre

Zuſammenhang der Gedanken ſcheint vielmehr folgender.

Im Fall der mortis causa donatio kann der Empfänger,

gleich einem Legatar, mit einem Fideicommiß belaſtet wer-

den (§ 173. u). Dieſes wurde durch eine Conſtitution von

Pius auf widerrufliche Schenkungen unter Lebenden über-

tragen (§ 173. y). Nun war es nur ein Schritt weiter

auf dieſem Wege, wenn nachfolgende Kaiſer (die divi

principes) eine ähnliche Wirkung auch bey derjenigen

Schenkung geſtatteten, bey welcher gleich Anfangs die

Leiſtung an einen Dritten dem Empfänger auferlegt war.

Es war alſo die Analogie der Fideicommiſſe, die hierbey

zum Grunde lag, obgleich der ſo gebildete Rechtsſatz ſelbſt,

über die wahre Natur der Fideicommiſſe weit hinaus geht.

II. Schenkung. Bey demjenigen Theil des ganzen

Geſchäfts, welcher die Natur der Schenkung an ſich trägt,

iſt nun noch zu beſtimmen, wie die poſitiven Einſchrän-

kungen der Schenkung dabey zur Anwendung gebracht

werden.

 

(q) In L. 3 C. cit. iſt dieſer

an ſich wichtige Gegenſatz unmerk-

lich, weil in dem Fall dieſes Re-

ſcripts der Modus gerade darin

beſtand, die geſchenkte Sache ſelbſt,

nach einiger Zeit, an den Drit-

ten heraus zu geben.

|0301 : 287|

§. 175. Donatio sub modo.

Die donatio sub modo unter Ehegatten iſt eine nich-

tige Handlung, ſo wie jede andere unter ihnen vorgenom-

mene Schenkung. Wird das Geſchenk zurückgefordert, ſo

hört auch jede Verpflichtung des Empfängers auf. Hat

derſelbe ſchon Aufopferungen zur Erfüllung des Modus

gemacht, ſo iſt die Bereicherung um ſo viel vermindert,

und der Empfänger kann dieſes in Abrechnung bringen:

hier um ſo unzweifelhafter, als dieſe Aufopferung aus dem

Willen des Gebers hervorgegangen iſt (§ 150. a).

 

Ganz ähnliche Grundſätze aber müſſen auch zur An-

wendung kommen in den übrigen Fällen poſitiver Ein-

ſchränkung. Überall alſo, wo die Schenkung entkräftet

wird, hört mit dem Gewinn auch die Verpflichtung zu

neuen Leiſtungen auf; ſind aber ſolche Leiſtungen ſchon ge-

macht, ſo iſt dadurch die durch die Schenkung bewirkte

Bereicherung theilweiſe aufgehoben, und zwar nach dem

eigenen Willen des Gebers. Dabey kann es keinen Un-

terſchied machen, ob die Schenkung an ſich nichtig iſt, wie

bey der verſäumten Inſinuation, oder ob ſie erſt durch

Klage widerrufen werden muß, wie im Fall der Un-

dankbarkeit.

 

Die meiſten dieſer Grundſätze treten unbedenklich auch

im heutigen Rechte ein. Nur die Condiction auf Rück-

gabe des Geſchenks, im Fall der verweigerten Erfüllung,

hängt mit der allgemeinen Natur der Innominatcontracte

zuſammen, und würde daher, eben ſo wie bey dieſen, im

 

|0302 : 288|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

heutigen Rechte wegfallen (r). Daher iſt es hier von

Wichtigkeit, daß Inſtinian auf dieſen Umſtand zugleich ei-

nen Widerruf wegen Undankbarkeit gegründet hat (§ 169),

an deſſen heutiger Anwendbarkeit nicht zu zweifeln iſt.

§. 176.

V. Schenkung. — Neuere Geſetzgebungen.

Das Preußiſche allgemeine Landrecht handelt von der

Schenkung Th. 1 Tit. 11 § 1037—1177; das Öſterreichi-

ſche Geſetzbuch § 938—956. Der Code civil faßt ſie in

Einem Titel zuſammen mit den Teſtamenten; die gemein-

ſchaftlichen Regeln beider Inſtitute ſtehen art. 893—930,

die beſonderen Regeln der Schenkung art. 931—966; ih-

nen liegt zum Grunde die vom Kanzler d’Aguesseau ver-

faßte Ordonnance von 1731.

 

Indem nun zum Schluß dieſer Lehre der Inhalt der

genannten Geſetzgebungen mit dem des Römiſchen Rechts

verglichen werden ſoll, iſt zunächſt auf die rein poſitiven

Beſtimmungen dieſes Rechts, alſo auf die dreyfache Ein-

ſchränkung der Schenkung, Rückſicht zu nehmen.

 

I. Das Verbot der Schenkung unter Ehegatten iſt

vom Preußiſchen Geſetz verworfen worden (a); eben ſo auch

 

(r) Glück B. 4 S. 294, B. 13

S. 48. Unbeſtritten iſt dieſer Satz

nicht.

(a) A. L. R. II. 1 § 310. Nur

im Concurs haben hier die Glau-

biger ein größeres Recht als bey

anderen Schenkungen. A. L. R. II.

1 § 312 und Anhang zum L. R.

§ 74, verglichen mit I. 11 § 1129 fg.

|0303 : 289|

§. 176. Schenkung. Neuere Geſetzgebungen.

vom Öſterreichiſchen (§ 1246). Das Franzöſiſche dagegen

ſchließt ſich ganz an das Römiſche Recht an, indem es

für jede in der Ehe vorgenommene Schenkung einen will-

kührlichen Widerruf zuläßt (art. 1096). Daß es an die

Stelle der Römiſchen Nichtigkeit ein bloßes Widerrufs-

recht ſetzt, iſt nicht von großer praktiſcher Erheblichkeit;

wichtiger iſt die Frage, ob dieſe Schenkung durch den

Tod des Gebers unwiderruflich wird. Ausdrücklich ſagt

darüber das Geſetz Nichts; die Praxis aber nimmt an,

daß in dieſer Hinſicht völlig die Regel des Römiſchen

Rechts gelte (b).

II. Die verſchiedenſten Maasregeln finden ſich bey

den für die Gültigkeit der Schenkung vorgeſchriebenen For-

men, in welchen überall eine gewiſſe Einſchränkung liegt,

dadurch veranlaßt, daß allerdings von der Schenkung mehr

als von den meiſten übrigen Verträgen Misbrauch zu be-

fürchten iſt. Hierin nun iſt die Vorſchrift des neueſten

Römiſchen Rechts beſonders mangelhaft; es fordert die

gerichtliche Inſinuation nur bey einer ſehr bedeutenden

Summe, und zwar ohne Rückſicht ob das Vermögen des

Gebers groß oder klein iſt: unter jener Summe aber läßt

es die Schenkungen nicht blos ganz frey von poſitiven

Formen, ſondern giebt ſogar noch größere Freyheit als

bey den meiſten anderen Verträgen, indem es die Stipu-

lation als Form des klagbaren Verſprechens erläßt. Von

dieſen Mängeln ſind die neueren Geſetzgebungen frey.

 

(b) Toullier droit civil T. 5 § 918.

IV. 19

|0304 : 290|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Das Öſterreichiſche Geſetz nimmt die Sache am Leich-

teſten; es fordert nur entweder ein ſchriftliches Verſpre-

chen, oder Tradition, keine andere Form (§ 943). Auf

dieſe Weiſe kann jeder Werth, ja das ganze gegenwär-

tige Vermögen, verſchenkt werden; nur von dem künftigen

Vermögen ſoll die Schenkung höchſtens die Hälfte umfaſ-

ſen (§ 944).

 

Schwieriger iſt das Franzöſiſche Geſetz. Mit ſchein-

barer Allgemeinheit fordert es erſtlich Acceptation (art. 894.

932), von welcher noch weiter unten die Rede ſeyn wird;

zweytens die Verhandlung vor einem Notar (art. 931).

Indeſſen iſt dieſes nicht gerade für alle donations vorge-

ſchrieben, ſondern nur für tous actes portant donation

entre-vifs, und auf dieſen Ausdruck hat man folgende

mildernde Erklärung, wie es ſcheint mit allgemeiner Zu-

ſtimmung, gegründet. Wenn bewegliche Sachen durch au-

genblickliche Tradition verſchenkt werden (dons manuels),

ſo iſt die Schenkung vollgültig, auch ohne Notar. Wenn

ferner die Schenkung zuerſt durch eine mangelhafte Wil-

lenserklärung verſucht war (ohne Notar, oder ohne Accep-

tation), und es kommt nachher der wirkliche Beſitz des

Beſchenkten hinzu (exécution volontaire), ſo iſt dadurch

jeder Mangel gehoben (c). Wegen des Umfangs der Schen-

 

(c) Maleville zu art. 931.

Toullier T. 5 § 172. 173. 177 —

179. 189. 190. — Nach art. 939

könnte man glauben, bey Immo-

bilien wäre die Eintragung in die

Hypothekenbücher zur Gültigkeit

der Schenkung erforderlich; es iſt

aber nur ſo gemeynt, daß der

nicht eingetragene Empfänger ge-

gen einen Dritten ſich nicht auf

das erworbene Eigenthum beru-

fen kann. art. 911.

|0305 : 291|

§. 176. Schenkung. Neuere Geſetzgebungen.

kung iſt nur die Einſchränkung gemacht, daß ſie nicht auf

das künftige Vermögen gerichtet ſeyn darf (art. 943) (d).

— Wenn nun aber die erwähnten Formen beobachtet wer-

den, ſo iſt dadurch Alles, was nöthig iſt, geſchehen; Tra-

dition wird nicht erfordert, und es geht auch ohne ſie das

Eigenthum der vor dem Notar verſchenkten Sache unmit-

telbar über (art. 938).

Das Preußiſche Geſetz hat unter allen die ſtrengſten

Formen. Jede Schenkung kann gerichtlich vorgenommen

werden; dann iſt auch das bloße Verſprechen klagbar

(§ 1063. 1064. 1069). Außerdem iſt die Tradition nöthig,

und bey Grundſtücken auch noch eine ſchriftliche Urkunde;

dennoch kann eine ſolche außergerichtliche Schenkung bin-

nen Sechs Monaten ganz willkührlich widerrufen werden

(§ 1065 — 1068. 1090). Unabhängig von dieſen Formen

kann ſelbſt die gerichtliche Schenkung drey Jahre lang wi-

derrufen werden, wenn ſie mehr als die Hälfte des Ver-

mögens zum Gegenſtand hat (§ 1091 fg.).

 

III. Der Widerruf aus beſonderen Gründen hat ſich

auf folgende Weiſe geſtaltet (e).

 

Grobe Undankbarkeit haben alle drey Geſetzbücher als

 

(d) Auch dieſes nicht eigentlich

wegen des gefährlichen Übermaa-

ßes, ſondern als eine Folge der

Regel des art. 944, welche Schen-

kungen für ungültig erklärt, wenn

ihre Bedingungen ganz in der

Willkühr des Gebers ſtehen; von

dieſer Willkühr aber hängt es ab,

künftiges Vermögen gar nicht zu

erwerben. Toullier T. 5 § 223.

224.

(e) Ich ſpreche hier abſichtlich

nur von dem Widerrufsrecht des

Gebers ſelbſt, nicht von dem der

Creditoren und Pflichttheilsberech-

tigten, da dieſe letzten nur im Zu-

ſammenhang anderer Rechtsinſti-

tute verſtanden werden können.

19*

|0306 : 292|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

einen ſolchen Grund anerkannt, obwohl ſie die Natur die-

ſes Undanks etwas verſchieden beſtimmen. — Das Öſter-

reichiſche Geſetz beſchränkt dieſen Widerruf durch eine drey-

jährige Verjährung, läßt ihn aber (innerhalb dieſes Zeit-

raums) unter den Erben beider Theile gelten (§ 948. 949.

1487). — Das Preußiſche geſtattet ihn nur ausnahmsweiſe

den Erben des Gebers, beſchränkt ihn aber durch keine be-

ſondere Verjährung (§ 1151 — 1161). — Das Franzöſiſche

Geſetz beſchränkt ihn durch einjährige Verjährung, und

läßt ihn auch, von beiden Seiten, auf die Erben nicht

übergehen (art. 955. 957).

Ein neuer Grund des (partiellen) Widerrufs liegt in

der ſpäteren Verarmung des Gebers. In dieſem Fall kann

er Zinſen des geſchenkten Geldwerths fordern: nach dem

Preußiſchen Geſetz Sechs Procente (§ 1123), nach dem

Öſterreichiſchen geſetzliche Zinſen (§ 947), das heißt Vier

Procente (§ 995). Das Franzöſiſche Geſetz kennt dieſen

Grund des Widerrufs nicht.

 

Wenn der Geber zur Zeit der Schenkung kinderlos

war, und nachher Kinder bekommt, kann er nach dem

Preußiſchen Geſetz diejenige Schenkung widerrufen, welche

durch bloßes Verſprechen, nicht durch Tradition, bewirkt

war (§ 1140 — 1150). — Das Öſterreichiſche Geſetz nimmt

dieſen Widerruf nicht an; nur wenn noch Verarmung hin-

zutritt, ſoll das Recht der geſetzlichen Zinſen auch auf die

Erben übergehen (§ 954). — Das Franzöſiſche Geſetz ge-

ſtattet nicht blos unbedingten Widerruf, ſondern es läßt

 

|0307 : 293|

§. 176. Schenkung. Neuere Geſetzgebungen.

ſogar in dieſem einzigen Fall die Schenkung de plein droit

nichtig werden, ohne daß es dazu eines Widerrufs bedarf

(art. 960). Dieſes letzte jedoch mit einer ſehr natürlichen

Ausnahme; wenn nämlich unter kinderloſen Ehegatten eine

Schenkung vorgenommen wird, und nachher aus derſelben

Ehe Kinder geboren werden, ſo wird dadurch die Schen-

kung nicht von ſelbſt nichtig; jedoch bleibt das allgemeine

Widerrufsrecht der Ehegatten vorbehalten (art. 1096).

Endlich hat das Franzöſiſche Geſetz allein aus dem

Römiſchen Recht den Widerruf wegen verweigerter Er-

füllung der bey der Schenkung auferlegten Verpflichtungen

aufgenommen (art. 954). Dieſe Aufnahme iſt den beiden

anderen Geſetzen fremd.

 

In dieſen poſitiven Beſtimmungen alſo findet ſich zwi-

ſchen dem Römiſchen Recht und den neueren Geſetzen theils

Übereinſtimmung, theils Verſchiedenheit. Dagegen enthal-

ten dieſe nur ſehr Weniges von den ſorgfältigen Beſtim-

mungen, die das Römiſche Recht theils über den Begriff

der Schenkung, theils über ihre Erſcheinung in einzelnen

Rechtsgeſchäften, giebt. Hierin alſo möchten ſie wohl aus

dem Römiſchen Recht ergänzt werden können; jedoch nur

inſofern nicht eine einzelne Beſtimmung derſelben mit einer

ſolchen Ergänzung im Widerſpruch ſtehen würde. Auch

ſolche Fälle kommen vor; nicht ſowohl, weil die neueren

Geſetzgeber eine Abweichung vom Römiſchen Recht räth-

lich gefunden hätten, als weil man ſich dieſe Verhältniſſe

 

|0308 : 294|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

nicht in ihrem wahren Verhältniſſe klar gedacht hat. Ich

will es verſuchen, Dasjenige zuſammen zu ſtellen, was

ich über die allgemeine Natur der Schenkung in den neue-

ren Geſetzgebungen gefunden habe.

Das Preußiſche Geſetz fordert im Allgemeinen zu je-

der Schenkung Acceptation (§ 1058). Damit ſcheint alſo

ausgeſchloſſen die einſeitige Schenkung, die nach Römi-

ſchem Recht Jeder dadurch vollziehen kann, daß er für

einen Schuldner ohne deſſen Willen baar zahlt, oder ex-

promittirt. Dieſe Ausſchließung ſcheint auch nicht aus ei-

nem blos unvorſichtig gefaßten Ausdruck hervorzugehen;

denn in anderen Stellen wird ausdrücklich geſagt, daß die

hier erwähnten Handlungen ſtets eine Regreßklage (aus

Mandat oder negotiorum gestio) zur Folge haben (f). Da-

bey wird alſo entweder vorausgeſetzt, es ſey unmöglich

daß dieſe Handlungen in der Abſicht zu ſchenken vorge-

nommen würden, oder es ſoll dieſer Abſicht, ſo lange ſie

nicht in einen Vertrag übergeht, jede rechtliche Folge ver-

ſagt werden. — Das Römiſche Recht nimmt an, daß die

unterlaſſene Erwerbung eines Rechts, weil ſie keine Ver-

äußerung iſt, auch keine Schenkung enthalte (ſ. o. § 145).

Das Preußiſche Geſetz enthält in der Lehre von der Schen-

kung denſelben Satz, obgleich anderwärts das Gegentheil

geſagt zu ſeyn ſcheint (g).

 

(f) A. L. R. I. 14 § 406, I. 16

§ 45.

(g) A. L. R. I. 11 § 1039. „Bloße

Verzichtleiſtungen auf ein zwar

angefallenes, aber noch

nicht wirklich übernomme-

nes … Recht ſind nach den Re-

geln von Schenkungen nicht zu

|0309 : 295|

§. 176. Schenkung. Neuere Geſetzgebungen.

Das Öſterreichiſche Geſetz kennt keine andere Schen-

kung, als die aus Vertrag oder Tradition hervorgeht

(§ 943). Der Zweifel wegen einſeitiger Handlungen zum

Zweck fremder Bereicherung hat hier weniger Raum, in-

dem es gar nicht zugelaſſen iſt, fremde Schulden ohne

Einwilligung des Schuldners zu zahlen (§ 1423). — Der

ausgeſchlagene Erwerb eines Rechts ſoll nicht als Schen-

kung gelten (§ 939).

 

Das Franzöſiſche Geſetz fordert zu jeder Schenkung

Acceptation, und verwebt dieſe ſogar mit der nothwendi-

gen Form gültiger Schenkung. Daraus ſcheint alſo zu

folgen, daß eine einſeitige Schenkung eben ſo wenig, als im

Preußiſchen Geſetz, für möglich gehalten werde, obgleich es

hier, wie im R. R. zugelaſſen wird, für einen Andern, ohne

deſſen Wiſſen, Schulden zu zahlen oder durch Expromiſ-

ſion zu tilgen (art. 1236. 1274). — Viel weiter, als der

 

beurtheilen.“ — Dagegen ſagt

I. 16 § 393: „Eine .. Entſagung

eines bereits erworbenen,

ingleichen eines zwar künfti-

gen aber doch ſo beſchaffenen

Rechts, daß der Anfall deſſelben

dem Entſagenden gewiß war, iſt

einer Schenkung gleich zu ach-

ten.“ Ich würde der erſten Stelle

den Vorzug geben, theils weil ſie

dem Weſen der Schenkung mehr

entſpricht, theils weil ſie im Ab-

ſchnitt von Schenkungen ſteht, bey

deſſen Ausarbeitung dieſe Lehre

wohl mehr in ihrem wahren Zu-

ſammenhang durchdacht wurde.

Man hat den Widerſpruch da-

durch zu entfernen geſucht, daß

man die erſte Stelle (mit Recht)

von angefallenen und ausgeſchla-

genen Erbſchaften verſtanden hat,

die zweyte von dem Verzicht auf

eine obligatio ex die (Schrö-

ter Syſtem des allg. Landrechts

B. 1 S. 43). Allein eine obli-

gatio ex die kann man unmög-

lich ein künftiges Recht nennen,

und einem bereits erworbenen ent-

gegen ſetzen, da es ſchon vollſtän-

dig erworben, und nur in der

Ausübung beſchränkt iſt.

|0310 : 296|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Buchſtaben des Geſetzes, geht die Lehre der Juriſten.

Dieſe nehmen an, indirecte Schenkungen unterlägen nicht

den Revocationen; unter indirecten aber ſollen auch die

Erlaßverträge verſtanden werden (h). Alſo geht die Mey-

nung eigentlich dahin, nur die Tradition und das nota-

rielle Verſprechen ſey eine wahre Schenkung, der Erlaß

einer Schuld ſey eine ſolche nicht, und ſey alſo eben ſo

wenig der notariellen Form, als den Revocationen unter-

worfen. Dieſe Anſicht iſt nur aus der Vorausſetzung zu

erklären, daß die Anhänger derſelben ſich begnügt haben

den Buchſtaben des Geſetzes feſt zu halten, ohne in das

Weſen der Sache einzudringen. Warum wird mehr Form

erfordert zu einem Schenkungsverſprechen, als zur Schen-

kung durch Tradition? Ohne Zweifel weil jenes mit blo-

ßen Worten abgemacht wird, ohne den ſinnlichen Eindruck

des Gegenſtandes, und daher für den Leichtſinn und die

Charaeterſchwäche gefährlicher iſt als die Tradition. Aber

dieſelbe Gefahr, wie bey dem Verſprechen, tritt bey dem

Erlaßvertrag ein, bey welchem daher dieſelbe Veranlaſ-

ſung iſt, eine notarielle Verhandlung zu fordern. Am

Wenigſten aber läßt ſich begreifen, warum bey dem Er-

laßvertrag die Revocationen nicht gelten ſollen. Wer eine

Geldſumme baar verſchenkt, oder vor einem Notar ver-

ſpricht, ſoll wegen Undankbarkeit, wegen der Ehe, und

wegen nachgeborner Kinder, widerrufen können; wer aber

eine gleiche Summe zu fordern hat, und aus Freygebig-

(h) Toullier T. 5 § 312. Er beruft ſich auf Pothier.

|0311 : 297|

§. 177. Zeit. Einleitung.

keit erläßt, hat doch auf ſolchen Widerruf dieſelben na-

türlichen Anſprüche, da der Erlaß einer Schuld auf bei-

den Seiten genau dieſelbe Veränderung im Vermoͤgen her-

vorbringt, wie wenn baares Geld aus einer Hand in die

andere gegeben wird: nicht zu gedenken, daß durch jene

willkührliche Unterſcheidung jede Umgehung des Geſetzes

(durch Darlehen und nachfolgenden Erlaß) ganz leicht ge-

macht wird. — In merkwürdiger Weiſe zeigt ſich die Gleich-

ſtellung der Schenkungen mit Teſtamenten bey den Bedin-

gungen. Sind dieſe unmöglich oder unſittlich, ſo werden

ſie bey der Schenkung, wie bey dem Teſtament, für nicht

geſchrieben erachtet, anſtatt daß bey anderen Verträgen die

Obligation ſelbſt durch ſolche Bedingungen vernichtet wird

(§ 124. k).

VI. Die Zeit, als Beſtandtheil juriſtiſcher Thatſachen.

§. 177.

Einleitung.

In vielen und wichtigen Rechtsinſtituten findet ſich ein

Zeitverhältniß als Beſtandtheil der durch eine allgemeine

Rechtsregel begründeten Thatſachen, ſo daß hier die Zeit

als eine der Bedingungen erſcheint, wovon der Erwerb

oder Verluſt eines Rechts abhängig gemacht wird. So

verſchieden nun theils dieſe Rechtsinſtitute ſelbſt unter ein-

ander ſind, theils auch die Art, wie die Zeit Einfluß auf

das Daſeyn derſelben ausübt, ſo iſt doch die Bedeutung

 

|0312 : 298|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

und Behandlung der Zeit ſelbſt ihnen allen gemeinſam,

und dieſes Gemeinſame ſoll hier in einer allgemeinen Be-

trachtung dargeſtellt werden.

Ich will damit anfangen, die Rechtsinſtitute, worin

ſich ein ſolcher Einfluß der Zeit äußert, in einer allgemei-

nen Überſicht zuſammen zu ſtellen.

 

Erſte Klaſſe, welche die häufigſten und wichtigſten

Fälle umfaßt. Das Daſeyn eines Rechts hängt davon

ab, daß menſchliche Thätigkeit oder Unthätigkeit, alſo

freyes Thun oder Laſſen, während eines beſtimmten Zeit-

raums, ununterbrochen fortdauert. Dahin gehört:

 

1) Das uralte Inſtitut der Uſucapion. In ihr wird

Eigenthum erworben durch die Thätigkeit des Beſitzes, die

einen ganzen Zeitraum hindurch ununterbrochen fortgeſetzt

worden iſt. Als unmittelbare Entwicklungen ſchließen ſich

ihr an: der nonusus der Servituten, und ſpäterhin bey

eben denſelben die longa possessio (a). Um dieſe ver-

wandte Inſtitute mit einzuſchließen, will ich den bey uns

ſchon eingebürgerten Namen der Erſitzung gebrauchen. —

 

(a) Gewiſſermaßen kann man

dahin auch rechnen den zwanzig-

jährigen redlichen, titulirten Beſitz

der Freyheit, wodurch der Sklave

die Freyheit erlangen ſollte. L. 2

C. de longi temp. praescr. quae

pro lib. (7. 22.). Zwar heißt es

hier Anfangs „praescriptio ad-

versus inquietudinem status eo-

rum prodesse debeat,” und dieſe

Worte könnten auf eine bloße Ex-

ception gegen die Vindication des

Herrn gedeutet werden; allein

ſehr entſcheidend ſcheinen doch die

darauf folgende Worte: „ut et

liberi et cives Romani fiant.”

— Die Zuſammenſtellung des non-

usus mit der Uſucapion beruht

übrigens auf meiner, im Sachen-

recht zu rechtfertigenden, Anſicht

von derſelben. Nach der gewöhn-

lichen Auffaſſung würde ſie un-

ter die Fälle Num. 3 zu ſtehen

kommen.

|0313 : 299|

§. 177. Zeit. Einleitung.

Durch eine willkührliche, grundloſe Abſtraction haben

neuere Juriſten aus der Uſucapion eine allgemeine Erwer-

bungsart der Rechte überhaupt, unter dem Namen der

erwerbenden Verjährung, zu machen verſucht, wovon noch

weiter die Rede ſeyn wird.

2) Die Klagverjährung, das heißt der Verluſt eines

Klagerechts durch ununterbrochene Unthätigkeit des Klag-

berechtigten. Lange Zeit war dieſelbe ganz unbekannt,

dann kam ſie in einzelnen Ausnahmen auf, die ſich all-

mälig vermehrten. So waren namentlich die prätoriſchen

Klagen in der Regel einer einjährigen Verjährung unter-

worfen (b). Endlich wurde ſie zu einem allgemeinen, durch-

greifenden Princip für alle Klagen ohne Ausnahme erho-

ben, und ſie iſt dadurch zu einem der wichtigſten und um-

faſſendſten Rechtsinſtitute geworden. — Auch auf ſie ha-

ben neuere Juriſten eine willkührliche Abſtraction ange-

wendet, indem ſie aus dieſem ſpeciellen, blos auf Klage-

rechte anwendbaren, Rechtsinſtitut, einen allgemeinen Un-

tergang der Rechte überhaupt, unter dem Namen der er-

löſchenden Verjährung, gebildet haben.

 

3) Eine Anzahl ganz einzeln ſtehender Fälle, die ſich

unter keinen gemeinſamen Namen zuſammen faſſen laſſen.

Sie haben mit der Klagverjährung das gemein, daß die

in einem beſtimmten Zeitraum fortdauernde Unthätigkeit

 

(b) Bey der einjährigen Klag-

verjährung iſt ſeltener, als bey

den längeren, von einer tempo-

ris praescriptio oder exceptio

die Rede; doch kommt allerdings

auch der Ausdruck annua excep-

tio vor. L. 30 § 5 de peculio

(15. 1.), L. 15 § 5 quod vi (43. 24.).

|0314 : 300|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

eines Berechtigten den Verluſt ſeines Rechts zur Folge

hat; dadurch ſind die neueren Juriſten veranlaßt worden,

ſie mit der Klagverjährung zu identificiren, worin nun

eben der bereits erwähnte abſtracte Ausdruck einer erlö-

ſchenden Verjährung ſeine wichtige, aber irrige und ver-

wirrende Anwendung fand. Es gehören dahin folgende

Fälle:

Die alte Prozeßverjährung der legitima judicia, an-

derthalb Jahre vom Anfang des Prozeſſes an (c).

 

Die Reſtitution, welche nur Vier Jahre (früher nur

Ein Jahr) lang geſucht werden kann. Früherhin von der

Klagverjährung ganz verſchieden; in wiefern im heutigen

Recht beide verſchmolzen ſind, kann erſt in der Lehre von

der Reſtitution feſtgeſtellt werden.

 

Die geſetzlich vorgeſchriebenen Prozeßtermine. A) Nach

den Zwoͤlf Tafeln die 30 Tage des judicatus, mit deren

Ablauf die Execution eintrat (d). B) Die Vier Monate

von dem Urtheil an, nach deren Ablauf im neueſten Recht

hohe Urtheilszinſen zu zahlen ſind (e). C) Die Appella-

tionsfriſt von Zehen Tagen. D) Die Drey Tage, binnen

 

(c) Gajus IV. § 104.

(d) Eine Verlängerung dieſer

Friſt war ſtets erlaubt. L. 31

L. 7 de re jud. (42. 1.). Bey

extraordinariis judiciis trat eine

von richterlichem Ermeſſen be-

ſtimmte Friſt an die Stelle. L. 2

eod.

(e) L. 2 L 3 pr. C. de us. rei

jud. (7. 51), L. 13 C. de usuris

(4. 32.). Früher waren es zwey

Monate. L. 3 § 1 C. cit., L. un-

C. Th. de usur. rei jud. (4. 19.).

Vielleicht ſind dieſe zwey Monate

entſtanden durch Zuſammenrech-

nung der 30 Tage der zwölf Ta-

feln mit den folgenden 30 Ta-

gen der proscriptio. Gajus IV.

§ 78. 79.

|0315 : 301|

§. 177. Zeit. Einleitung.

welchen eine Partey den Irrthum ihres Advocaten berich-

tigen darf (f).

Die Friſt zur Agnition der bonorum possessio, nach

Verſchiedenheit der Fälle Ein Jahr oder Hundert Tage.

 

Die Verjährung der exceptio non numeratae pecu-

niae (g).

 

Die Friſt von Zwey Jahren, nach welcher im alten

Recht die Verpflichtung eines sponsor oder fidepromissor

erloſch (h).

 

Die 50 Tage der Excuſation von einer Vormund-

ſchaft (i).

 

Das erbſchaftliche Inventarium, welches nach Ver-

ſchiedenheit der Fälle in Drey oder Zwölf Monaten voll-

endet werden muß (k).

 

Sechzig Tage, wenn ein Käufer das ſogenannte pac-

tum displicentiae geltend machen will (l).

 

Zwey Jahre nach der Kündigung, binnen welchen ein

Pfandſchuldner den Verkauf des Pfandes abwenden kann;

Zwey Jahre nach der Addiction des Pfandes an den

Glaubiger, binnen welchen der Schuldner das Pfand ein-

löſen darf.

 

(f) L. 3 C. de error. advoc.

(2. 10.).

(g) Bekanntlich mit ſehr ver-

ſchiedenen Friſten. Mit ihr kann

man (als Verjährung einer Ex-

ception) vergleichen die im cano-

niſchen Recht vorgeſchriebene Ver-

jährung der exceptio spolii von

Funfzehen Tagen.

(h) Gajus III. § 121.

(i) § 16 J. de excus. (1. 25.).

(k) L. 22 § 2. 3 C. de j. de-

lib. (6. 30.).

(l) L. 31 § 22 de aedil. ed.

(21. 1.).

|0316 : 302|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Endlich einige Fälle, worin der Verluſt des Rechts

den Character einer Strafe an ſich trägt.

 

So der Verluſt des Miteigenthums an einem Hauſe,

nachdem der Beytrag zu den Baukoſten Vier Monate lang

verſäumt worden iſt (m).

 

Verluſt der Emphytheuſe, des Mieth- und Pachtrechts,

wenn die Zahlung des Pachtgeldes beſtimmte Zeit hin-

durch unterlaſſen wird (n).

 

Verluſt des Erbrechts bey unerfülltem Willen des Ver-

ſtorbenen (o).

 

Verluſt des mütterlichen Erbrechts, wenn die Mutter

ein volles Jahr lang verſäumte, den Kindern Vormünder

zu erbitten (p).

 

Zweyte Klaſſe. Erwerb oder Verluſt eines Rechts

durch ununterbrochene Fortdauer eines von menſchlicher

Freyheit unabhängigen Zuſtandes innerhalb eines beſtimm-

ten Zeitraums.

 

Dahin gehören die Altersſtufen, durch deren Eintritt

der Menſch beſtimmte Rechte erwirbt (wie die Handlungs-

fähigkeit) oder verliert (wie den Anſpruch auf Reſtitution).

 

(m) L. 52 § 10 pro soc. (17.

2.), L. 4 C. de aedif. priv. (8. 10.)

(n) L. 2 C. de j. emph. (4. 66.).

— L. 54 § 1 L. 56 locati (19. 2.).

(o) Nov. 1 C. 4.

(p) L. 2 § 43 ad Sc. Tertull.

(38. 17.). Dieſe Regel beſtand

nur, ſo lange die Mutter das

durch das Senatusconſult verlie-

hene jus singulare in Anſpruch

zu nehmen hatte, um ein Erb-

recht vor den Agnaten zu erlan-

gen. Jetzt erbt ſie nach gemei-

nem Recht, ſo wie jeder andere

Aſcendent, alſo ohne jene Be-

ſchränkung.

|0317 : 303|

§. 177. Zeit. Einleitung.

Die Achtzehen Jahre nothwendiger Differenz im Le-

bensalter des Adoptivvaters und des Kindes.

 

Die Rückforderung mancher Theile einer Dos, welche

erſt möglich iſt, nachdem der Zuſtand aufgelöſter Ehe eine

beſtimmte Zeit gedauert hat (q).

 

Dritte Klaſſe. Verknüpfung der Rechte mit ganz

individuellen Zeitverhältniſſen, wobey alſo gar nicht von

der Erfüllung eines ganzen Zeitraums, ſey es durch menſch-

liches Thun oder Laſſen, ſey es durch zufällige Zuſtände,

die Rede iſt.

 

Dahin gehört die zweyfache Schadensrechnung bey der

actio Legis Aquiliae, indem es dem Kläger geſtattet iſt,

innerhalb des letzten Monats, in einigen Fällen innerhalb

des letzten Jahres, denjenigen Zeitpunkt auszuwählen,

welcher ſeine Anſprüche am Höchſten ſtellt.

 

Ferner die Präſumtion der Paternität, daran geknüpft

daß in einem beſtimmten Zeitraum vor der Geburt des

Kindes, aber nicht nothwendig in dieſem ganzen Zeitraum,

die Mutter in der Ehe gelebt hat.

 

Endlich auch folgende Fälle, die man mit Unrecht als

Klagverjährungen anzuſehen pflegt. Das Interdict de iti-

nere hängt davon ab, daß der Kläger im letzten Jahr

den Weg wenigſtens an Dreyßig Tagen gebraucht hat (r);

das Interdict de aqua iſt an den einmaligen Gebrauch

 

(q) Nach altem Recht annua,

bima, trima die bey fungiblen

Sachen; nach neuerem Recht vom

Ablauf Eines Jahres an bey der

ganzen Dos, mit Ausnahme der

Dotalgrundſtücke, die ſogleich zu-

rück zu geben ſind.

(r) L. 1 § 2. 9 de itin. (43. 19.).

|0318 : 304|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

der Waſſerleitung im letzten Jahr geknüpft (s); das alte

Interdict utrubi ſollte gelten, wenn der Kläger innerhalb

des letzten Jahres länger als ſein Gegner die Sache be-

ſeſſen hatte (t). Dieſe Zeitbeſtimmungen enthalten keine

Klagverjährung, da ſie nicht den Verluſt eines Klage-

rechts durch deſſen verſäumte Ausübung vorſchreiben,

worin das Weſen der Klagverjährung beſteht; vielmehr

iſt der Sinn der Regel der, daß nur unter Vorausſetzung

jener Zeitverhältniſſe ein wahrer, durch Interdicte zu

ſchützender, Beſitz angenommen werden ſoll.

Die hier nach drey Klaſſen dargeſtellten Fälle kommen

darin überein, daß eine allgemeine Rechtsregel das Da-

ſeyn eines Rechts mit irgend einem Zeitverhältniß in Ver-

bindung geſetzt hat. Etwas Ähnliches kann nun auch,

ohne allgemeine Rechtsregel, durch individuellen Willen

bewirkt werden; und zwar durch richterliches Ermeſſen,

bey denjenigen Prozeßfriſten die nicht ſchon geſetzlich vor-

geſchrieben ſind; durch den Willen des Souveräns bey er-

theilten Moratorien: eben ſo durch den in einem Teſta-

ment oder Vertrag ausgedrückten Parteywillen (u). Dieſe

Fälle ſind von den oben dargeſtellten in ihrem Weſen ver-

ſchieden, darin aber ihnen ähnlich, daß bey beiden das

 

(s) L. 1 § 4. 31. 34 de aqua

(43. 20.).

(t) L. 1 pr. de utrubi (43. 31.),

Gajus IV. § 150 — 152. Im neue-

ſten Recht iſt bekanntlich dieſe Re-

gel aufgehoben, und es tritt nun

dieſelbe reine Klagverjährung ein,

wie bei dem Interdict uti possi-

detis.

(u) Von dieſen letzten Fällen

iſt ſchon oben gehandelt worden

§ 125 — 127.

|0319 : 305|

§. 177. Zeit. Einleitung.

gleiche Bedürfniß einer genaueren Beſtimmung der ein-

ſchlagenden Zeitverhältniſſe eintritt (v).

Es ergiebt ſich aus dieſer Überſicht, daß die Fälle, die

hier als erſte Klaſſe bezeichnet wurden, bey Weitem die

wichtigſten ſind; über dieſe ſollen nun einige allgemeine

Betrachtungen hinzugefügt werden. Man kann zuerſt

die Frage aufwerfen, warum überhaupt an die fortge-

ſetzte Thätigkeit oder Unthätigkeit, der Erwerb und Ver-

luſt von Rechten geknüpft werde? Der allgemeinſte Be-

weggrund ſolcher Beſtimmungen liegt in dem Bedürfniß,

das Daſeyn der Rechtsverhältniſſe, insbeſondere den Um-

fang eines jeden Vermögens, auf eine ſichere, unzweifel-

hafte Weiſe feſtzuſtellen, welches dadurch geſchieht, daß

die an ſich unvermeidliche Ungewißheit in möglichſt enge

Zeitgränzen eingeſchloſſen wird. Dieſes iſt der wahre

Zweck der Uſucapion, der Klagverjährung, der Prozeß-

friſten, und aller anderen in der erſten Klaſſe zuſammen

gefaßten Vorſchriften. Zu dieſem Beweggrund, den man

als den poſitiven bezeichnen kann, tritt nun noch ein ne-

gativer hinzu, der gewöhnlich als Strafe der Nachläſſig-

keit ausgedrückt wird. Durch dieſen Ausdruck könnte man

verleitet werden, die hier eintretende Unthätigkeit als an

ſich widerrechtlich und ſtrafbar, oder wenigſtens als ſchäd-

lich zu betrachten, weshalb ſie durch künſtliche Mittel ver-

 

(v) Neuere Schriftſteller haben

die hier zuletzt erwähnten Fälle

durch die nicht glücklich gewähl-

ten Ausdrücke praescriptio ju-

dicialis, testamentaria, conven-

tionalis bezeichnet, um ſie unter

den allgemeinen Verjährungsbe-

griff zu ſubſumiren.

IV. 20

|0320 : 306|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

hütet werden müſſe. So iſt es in der That nicht, viel-

mehr liegt in dem ſo bezeichneten negativen Beweggrund

blos eine Rechtfertigung ſolcher Beſtimmungen gegen den

Vorwurf, daß ein nützlicher Zweck durch die willkührliche

Beeinträchtigung Derjenigen, die hier Etwas ohne ihren

Willen verlieren, erreicht werde. Denn indem durch Uſu-

capion ſicheres Eigenthum, durch Klagverjährung Sicher-

heit gegen fernere Anſprüche, bewirkt wird, kann aller-

dings einem bisherigen Eigenthümer oder Glaubiger ſein

Eigenthum oder ſeine klagbare Forderung entzogen wer-

den. Allein dieſes Verfahren wird dadurch gerechtfertigt,

daß es in der Macht des Berechtigten ſteht, den gedroh-

ten Verluſt durch ſeine freye Thätigkeit abzuwenden, wes-

halb er ſich den Verluſt ſelbſt zuzuſchreiben hat, wenn er

dieſes unterläßt; Das iſt es, was durch den Ausdruck:

Strafe der Nachläſſigkeit bezeichnet werden ſoll. Aller-

dings wird hierdurch ein indirecter Zwang zur Thätigkeit

gegen den Berechtigten ausgeübt; es iſt dieſes ein Opfer,

welches Jeder für den oben angegebenen gemeinnützigen

Zweck zu bringen hat.

Zu dieſen Beweggründen tritt noch ein ganz verſchie-

dener, der von großer praktiſcher Wichtigkeit, wiewohl

von etwas eingeſchränkterer Anwendbarkeit iſt. In vielen

Fällen der Uſucapion (nicht in allen) wird in der That

kein Eigenthum verändert, ſondern nur für die längſt ein-

getretene Veränderung der zufällig fehlende Beweis er-

ſetzt. Eben ſo liegt in vielen Fällen der Klagverjährung

 

|0321 : 307|

§. 177. Zeit. Einleitung.

kein wirklicher Verluſt des bis dahin fortdauernden Klag-

rechts, ſondern es war ſchon längſt auf andere Weiſe die

Schuld ſelbſt (alſo auch die Klage) getilgt, und die Klag-

verjährung dient jetzt blos dazu, den fehlenden Beweis

dieſer Tilgung zu erſetzen. Inſofern kann man die Uſu-

capion als ein präſumtives Eigenthum, die Klagverjäh-

rung als eine Präſumtion der Tilgung einer Schuld auf-

faſſen. Dieſe Anſicht iſt wahr und wichtig, nur muß man

ſich hüten, derſelben eine zu allgemeine Anwendung bey-

zulegen, da ſie auf viele einzelne Fälle, theils wegen der

individuellen Umſtände, theils wegen der allgemeinen Na-

tur vieler Klagen, gar nicht paßt. Außer der Uſucapion

und der Klagverjährung iſt davon gar keine Anwendung

zu machen; namentlich würde bey den Friſten der bono-

rum possessio und der Reſtitution, ſo wie bey den Pro-

zeßfriſten, die Annahme einer ſolchen Präſumtion eben ſo

grundlos als unfruchtbar ſeyn.

Endlich iſt auch von Manchen die Dereliction als Grund

der zur erſten Klaſſe gehörenden Rechtsregeln angegeben

worden (w). Darin kann nur die Behauptung liegen, daß

in dieſen Fällen der früher Berechtigte, der ein Recht ver-

liert, den wirklichen Willen gehabt habe ſein Recht auf-

zugeben. Die Annahme eines ſolchen Willens iſt jedoch

in den meiſten Fällen völlig willkührlich und grundlos;

 

(w) Die Dereliction wird ſchon

von Grotius II 4 § 7. 9 als Grund

aufgeſtellt, jedoch nur für die un-

vordenkliche Verjährung, und nur

unter ſouveränen Staaten. All-

gemein geſchieht es bey Hegel

§ 64 Zuſatz.

20*

|0322 : 308|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

vorzüglich bey dem Eigenthum, wobey allein der Aus-

druck Dereliction gebilligt werden könnte. In den weni-

gen Fällen aber, worin jene Annahme wirklich zugelaſſen

werden kann, wird ſie ſich auf den allgemeineren Grund

der präſumtiven Erwerbung oder Tilgung zurück führen

laſſen, indem ſie dann etwa eine Entſagung in ſich ſchlie-

ßen wird, die auch ſchon für ſich, unabhängig von dem

Zeitablauf, das Recht hätte aufheben können. Es iſt alſo

gerathener, dieſen Grund gar nicht geltend zu machen,

um ſo mehr als darin einem ganz beſtimmten juriſtiſchen

Kunſtausdruck eine ungehörige Ausdehnung gegeben wird.

Aus dieſen Betrachtungen ergiebt es ſich, daß für die

hier zuſammen geſtellten Fälle ein allgemeines Bedürfniß

ſolcher Zeitbeſtimmungen allerdings vorhanden iſt, wel-

ches jedoch nur in ganz poſitiven Rechtsregeln ſeine Er-

ledigung finden kann. Bey der Aufſtellung dieſer poſitiven

Regeln ſind von dem Geſetzgeber folgende Geſichtspunkte

zu beachten. Erſtlich ſind darin die Extreme zu vermei-

den, ſo daß die Friſten weder zu lang, noch zu kurz be-

ſtimmt werden dürfen; wobey ſich von ſelbſt verſteht, daß

ein ſehr freyer und weiter Spielraum für jede aufzuſtel-

lende Regel übrig bleibt. Zweytens ſind die Zeiträume

genau, klar und einfach zu beſtimmen, damit die Anwen-

dung auch dem Nichtjuriſten, auf deſſen freye Thätigkeit

es zunächſt ankommt, ſo viel möglich erleichtert werde.

 

|0323 : 309|

§. 178. Zeit. Einleitung. (Fortſetzung.)

§. 178.

VI. Zeit. Einleitung. (Fortſetzung.)

Die wichtige Rechtslehre, für welche im vorhergehen-

den Paragraphen die allgemeinen Geſichtspunkte aufge-

ſtellt worden ſind, hat bey den neueren Rechtslehrern eine

ſehr willkührliche Behandlung erfahren, deren nachtheilige

Folgen nur durch eine ſorgfältige kritiſche Unterſuchung

mit Sicherheit beſeitigt werden können.

 

Es iſt ſchon oben bemerkt worden, wie nahe es liegt,

die Uſucapion und die Klagverjährung durch willkührliche

Abſtraction in ganz allgemeine Begriffe zu verwandeln:

jene in einen Erwerb von Rechten überhaupt vermittelſt

der fortgeſetzten Ausübung; dieſe in einen Verluſt von

Rechten überhaupt vermittelſt der fortwährend verſäum-

ten Ausübung. Dieſer letzte Begriff erhielt ſogleich eine

umfaſſende Anwendung dadurch, daß er die übrigen Fälle,

welche oben in der erſten Klaſſe zuſammen geſtellt worden

ſind, in ſich unmittelbar aufzunehmen fähig war. Allein

es bedurfte nur eines kleinen Schrittes, um beide Begriffe

als Arten einer und derſelben Gattung aufzufaſſen. Denn

auch bey der Uſucapion findet ſich neben dem Erwerb des

Eigenthums zugleich der Verluſt deſſelben von Seiten des

früheren Eigenthümers (a). Legt man nun dieſen Verluſt

 

(a) Für das neueſte Recht, in

welchem nur noch die b. f. pos-

sessio Grundlage der Uſucapion

ſeyn kann, iſt dieſe Anſicht all-

gemein wahr, für das ältere Recht

keinesweges. Denn wenn das in

bonis durch Uſucapion in ein ex

jure Quiritium verwandelt wurde,

|0324 : 310|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

zum Grund der Betrachtung, ſo erſcheint auch die Uſu-

capion als gleichartig mit der Klagverjährung, und ſie

äußert nur dadurch eine höhere Wirkung, daß in ihr ne-

ben dem Verluſt durch Unthätigkeit auch noch ein Erwerb

durch Thätigkeit wahrgenommen wird.

Dieſe Auffaſſung iſt es, welche von unſren Juriſten

ſeit alter Zeit in folgender Weiſe ausgedrückt wird. Es

giebt eine Veränderung in Rechten überhaupt, gegründet

auf Zeitlauf, wenn nämlich der Berechtigte ſein Recht eine

Zeit lang auszuüben verſäumt; jede Veränderung dieſer

Art heißt praescriptio, Verjährung. Sie umfaßt zwey

Arten, je nachdem blos der Unthätige ſein Recht verliert,

oder ihm gegenüber ein Anderer daſſelbe Recht erwirbt;

die erſte heißt praescriptio exstinctiva, erlöſchende Ver-

jährung, die zweyte heißt adquisitiva, erwerbende Verjäh-

rung; und da die Uſucapion als eine Art der praescriptio

angeſehen wird, ſo iſt es ſehr natürlich, dieſelbe nun auch

als rei praescriptio, rem praescribere, zu bezeichnen (b).

Dieſe Zuſammenſtellung der Begriffe iſt dem Römiſchen

Recht eben ſo fremd, als die zu ihrer Bezeichnung ange-

wendeten Kunſtausdrücke, und auch das canoniſche Recht

 

ſo ſtand nicht dem Erwerber ein

bisheriger Eigenthümer gegen-

über, der ſein Eigenthum durch

Verſäumniß verlor, und durch

Thätigkeit erhalten konnte; denn

das nudum jus Quiritium konnte

durch keine wirkſame Klage ge-

gen die Folgen der Uſucapion ge-

ſchützt werden.

(b) Rave de praescriptioni-

bus § 1. 5. Höpfner § 393.

Thibaut Pandekten § 1002. 1003.

Mühlenbruch § 122. 123. —

Überall im Weſentlichen Daſſelbe,

und nur in einzelnen Ausdrücken

verſchieden.

|0325 : 311|

§. 178. Zeit. Einleitung. (Fortſetzung.)

enthält dieſes Alles nur in einem beſchränkten Anfang,

keinesweges in der hier dargeſtellten Ausbildung. Bevor

aber Dieſes deutlich gemacht werden kann, iſt es nöthig

die wichtigen Folgen anzugeben, welche aus jener irrigen

Auffaſſung hervor gehen.

Die erſte Folge beſteht darin, daß nunmehr alle Fälle,

welche oben in der erſten Klaſſe zuſammen geſtellt worden

ſind, nach ganz gleichen Rechtsregeln beurtheilt werden

müſſen; denn dieſe Rechtsregeln ſollen für die praescriptio

aufgeſtellt ſeyn, und unter die praescriptio ſollen eben alle

jene Fälle gehören. So lange dieſe praktiſche Identificirung

auf die Uſucapion im Verhältniß zur Klagverjährung be-

ſchränkt bleibt, iſt der Irrthum weniger merklich, da dieſe

ohnehin, hiſtoriſch und praktiſch, einander ſo nahe ver-

wandt ſind. Allein wenn nicht alle Conſequenz aufge-

opfert werden ſoll, müſſen auch die Prozeßfriſten, die Fri-

ſten der bonorum possessio u. ſ. w., nach derſelben Regel

der praescriptio, wie die Klagverjährung, behandelt wer-

den, und dabey wird freylich die Sache um Vieles be-

denklicher.

 

Eine zweyte, noch gefährlichere, Folge aber beſteht

darin, daß jener Begriff, ſeiner Allgemeinheit wegen, eine

Anwendung auf alle denkbaren Fälle ausgeübter oder ver-

ſäumter Rechte zuläßt, alſo auch auf ſolche Fälle, worin

unſer poſitives Recht überhaupt keine Veränderung als

Folge derſelben anerkannt, dem Zeitlauf alſo gar keinen

Einfluß eingeräumt hat. In dieſer Hinſicht jedoch iſt je-

 

|0326 : 312|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ner Begriff noch einer zweyfachen Auffaſſung empfänglich.

Man kann ihm eine blos formelle und hypothetiſche Natur

beylegen, ſeinen Inhalt alſo zunächſt unbeſtimmt laſſen,

ſo daß dann nur die ohnehin im poſitiven Recht aner-

kannten Fälle unter denſelben bezogen werden; man kann

ihm aber auch eine durchgreifende, abſolute Natur geben,

ſo daß in ihm der wichtige Satz ausgedrückt wäre, alle

Rechte überhaupt ſeyen fähig, durch fortgeſetzte Ausübung

erworben, durch Verſäumniß verloren zu werden. Es iſt

einleuchtend, daß nur mit dieſer letzten Auffaſſung die eben

erwähnte Gefahr eines praktiſch ſo wichtigen Irrthums

verbunden iſt. Die meiſten Schriftſteller ſcheinen ſich die

Natur dieſes Gegenſatzes nicht ganz klar gemacht zu ha-

ben, erklären ſich wenigſtens nicht deutlich darüber, welche

der beiden denkbaren Bedeutungen ſie dem Begriff beyle-

gen wollen; Thibaut ſagt ganz beſtimmt, daß er ihn in

dem erſten, ungefährlicheren Sinne nimmt, und daher trifft

ihn der eben aufgeſtellte Vorwurf nicht (c). — Folgende

Beyſpiele mögen dazu dienen, dieſen nicht unwichtigen

Punkt anſchaulicher zu machen. Im Römiſchen Recht fin-

det ſich keine Spur einer Begründung des Pfandrechts

durch Uſucapion, auch iſt dazu ein inneres Bedürfniß nicht

vorhanden; jener durchgreifende Begriff aber muß aller-

dings dazu führen, und in der That haben mehrere Schrift-

ſteller eine ſolche Uſucapion behauptet (d). — Eben ſo

(c) Thibaut a. a. O., und in

der Schrift über Beſitz und Ver-

jährung S. 63 fg.

(d) Glück B. 18 S. 195.

|0327 : 313|

§. 178. Zeit. Einleitung. (Fortſetzung.)

fehlt es an einem Bedürfniß zur Errichtung von Obliga-

tionen durch Uſucapion, die gleichfalls aus jenem abſtrac-

ten Begriff gefolgert werden könnte; das Preußiſche Land-

recht, welches den in unbeſtimmter Allgemeinheit gefaßten

Begriff einer Verjährung von unſren Schriftſtellern des

gemeinen Rechts angenommen hat (e), läßt nun in der

That auch eine Schuldforderung dadurch entſtehen, daß

ein vermeyntlicher Glaubiger dreyßig Jahre hindurch Zin-

ſen einer gar nicht vorhandenen Schuld bezogen hat (f).

Die Entſtehung, und beſonders die Befeſtigung dieſer

irrigen Begriffe ſteht im genauen Zuſammenhang mit den

in dieſer Lehre eingeführten unächten Kunſtausdrücken, die

nun noch beſonders zu betrachten ſind. Praescriptio näm-

lich ſoll heißen ein Erwerb oder Verluſt von Rechten, her-

beygeführt durch Zeitlauf. Es heißt aber in unſren Rechts-

quellen niemals Erwerb oder Verluſt, ſondern ſtets genau

ſo viel als exceptio, Einrede, mit welchem Ausdruck es

daher überall unbedenklich verwechſelt werden darf, ohne

daß der Sinn einer Rede dadurch verändert würde (g).

Eine Exception nun kann unter andern auch durch ver-

ſäumte Ausübung eines Klagerechts herbeygeführt werden,

und inſofern bezeichnet allerdings praescriptio die Einrede

aus einer Klagverjährung; jedoch (eben ſo wie exceptio)

niemals da wo der Ausdruck allein ſteht, ſondern immer

 

(e) A. L. R. I. 9 § 500 — 502.

(f) A. L R. I. 11 § 839.

(g) Dieſes iſt ſchlechthin zu be-

haupten für die Quellen des Ju-

ſtinianiſchen Rechts; wie ſich die-

ſer Sprachgebrauch gebildet hat,

und wie es damit früher ſtand,

ſagt Gajus IV. § 130 — 137.

|0328 : 314|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

nur vermittelſt eines Zuſatzes, der die beſondere Beziehung

auf Zeit ausdrückt, alſo temporis, temporalis, triginta

annorum praescriptio u. ſ. w., in welchen Fällen man

ſtets auch exceptio dafür ſetzen kann. Die Stellen des

Römiſchen Rechts, die man für einen anderen Sprachge-

brauch noch neuerlich geltend gemacht hat, beweiſen den-

ſelben in der That gar nicht (h). Nur Das muß zugege-

ben werden, daß in einer Conſtitution von Juſtinian tem-

poralis exceptio in einem ſo weiten Sinn gebraucht wird,

daß es auch die Uſucapion in ſich ſchließt (i). Allein theils

ſteht Dieſes mit der Bedeutung des ohne Zuſatz gebrauch-

ten Wortes praescriptio in gar keiner Verbindung, theils

kann eine ſolche einzelne Stelle nicht die totale Umände-

rung des geſammten Sprachgebrauchs darthun. Es ge-

hört zu der im neueren Recht ſtets fortſchreitenden mate-

riellen Annäherung der Uſucapion und der Klagverjäh-

(h) So z. B. ſagt L. 2 C. ne

de statu (7. 21.). „Si .. ante

quinque annos .. decessit, prae-

scriptioni locus erit;” das heißt:

dann iſt eine Einrede begründet.

Allerdings iſt nun dieſe Einrede

keine andere, als die der verjähr-

ten Klage, aber das liegt nicht

in dem Wort praescriptio, ſon-

dern in dem Zuſammenhang mit

den vorhergehenden Worten. Eben

ſo verhält es ſich mit L. 7 C. eod.,

L. 1 § 4 D. eod. (40. 15.), L. 1

in f. C. de bonis maternis (6. 60.).

(i) L. 30 C. de j. dot. (5. 12.).

„Omnis autem temporalis ex-

ceptio, sive per usucapionem

inducta, sive per X. vel XX.

annorum curricula … sit in-

troducta” .. Dieſer ungenauere

Sprachgebrauch erklärt ſich dar-

aus, daß ſeit Aufhebung des ordo

judiciorum das Intereſſe ſehr ver-

mindert war, das in der eigent-

lichen exceptio liegende beſon-

dere Schutzmittel eines Beklag-

ten von jeder anderen Verthei-

digung deſſelben ſtreng zu unter-

ſcheiden. Hieraus erklärt ſich denn

auch der etwas ſchwankende Aus-

druck in der oben (§ 177. a) an-

geführten L. 2 C. de l. t. pr.

quae pro lib. (7. 22.).

|0329 : 315|

§. 178. Zeit. Einleitung. (Fortſetzung.)

rung; bis zu welchem Punkte aber die Verſchmelzung in

der That anzunehmen iſt, gehört zu den ſpeciellen Unter-

ſuchungen, die nur im Zuſammenhang der Lehre von der

Uſucapion mit Erfolg angeſtellt werden können.

Der hier bekämpfte falſche Sprachgebrauch findet ſich,

ſeiner Grundlage nach, ſchon bey den Gloſſatoren des

zwölften Jahrhunderts (k). Aus ihnen iſt er in das cano-

niſche Recht übergegangen, jedoch iſt er auch hier nicht

weiter geführt, als um die Uſucapion mit der Klagver-

jährung unter einem gemeinſamen Gattungsbegriff zu ver-

einigen. Zwar iſt der Fehler dieſes Sprachgebrauchs im

ſechzehenten Jahrhundert auf das Gründlichſte nachgewie-

ſen worden (l); aber dieſe geſunde Kritik iſt ſo wenig

durchgedrungen, daß vielmehr erſt die ſpäteren Schrift-

ſteller die Begriffe zu der oben gerügten noch gefährliche-

ren Allgemeinheit ausgebildet haben, durch deren abſtracte

Geſtalt ſie ſich täuſchen ließen, ſie für eine fortſchreitende

wiſſenſchaftliche Entwicklung anzuſehen.

 

Erwägen wir mit unbefangenem Sinn dieſe ſicheren

Thatſachen, ſo müſſen wir uns überzeugen, daß es am

 

(k) Placentinus, SummaCod,

tit. de praescr. longi temporis:

„Praescriptio est exceptio ex

tempore causam trahens” und

nachher in demſelben Titel:

„praescribitur res immobilis,

non mobilis.” Azo ſtellt in der

Summa zu jenem Titel dieſelbe

Definition auf, wie Placentin,

doch ohne dieſen zu nennen.

(l) Muretus Comm. in Inst.,

ad rubr. tit. de usuc. — Donel-

lus Lib. 5 C. 4 § 14. — Cuja-

cius paratit. Dig. XLIV. 1, pa-

ratit. Cod. VIII. 35, prooem.

opusc. de diversis temp. praescr.

Anderwärts freylich ſchwankt er

wieder etwas. Notae ad Inst.,

pr. J. de usucap.

|0330 : 316|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Räthlichſten iſt, den reinen Sprachgebrauch der Quellen

des Römiſchen Rechts wieder herzuſtellen, in der Sache

ſelbſt aber den allgemeinen Verjährungsbegriff völlig auf-

zugeben, wodurch eine Einheit unter ſehr ungleichartigen

Rechtsinſtituten erkünſtelt werden ſoll. Allerdings haben

dieſe Inſtitute Berührungen unter einander, es kann auch

vielleicht bey manchem das Bedürfniß entſtehen, eine Rechts-

regel anzuwenden, die eigentlich für ein anderes derſelben

eingeführt iſt; dieſes mag dann auf dem Wege analogi-

ſcher Fortbildung des Rechts geſchehen, nur nicht auf dem

Wege der Subſumtion dieſer Inſtitute unter einen gemein-

ſamen Gattungsbegriff. Der wichtige Unterſchied dieſer

beiden Arten des Verfahrens beſteht darin, daß uns die

analogiſche Anwendung zu einer kritiſchen Rechtfertigung

für jeden einzelnen Fall nöthigt, anſtatt daß uns jene

Subſumtion einer ſolchen Mühe überhebt, indem ſie Alles

mit Einem Schlage abmacht, dabey aber freylich die

Wahrheit des Ergebniſſes dem Zufall überläßt. Zwar

könnte man verſuchen, die Darſtellung der neueren Schrift-

ſteller durch die Behauptung rechtfertigen zu wollen, das

canoniſche Recht habe den beſchränkten Geſichtspunkt des

Römiſchen Rechts durch einen weiteren erſetzt und verbeſ-

ſert, ſo daß jene Darſtellung in der That auf dem Bo-

den des poſitiven Rechts ruhe. Dieſe Rechtfertigung muß

jedoch aus zwey Gründen verworfen werden: Erſtlich

weil, wie gezeigt worden iſt, das canoniſche Recht nie-

mals den abſtracten Verjährungsbegriff, welcher bey neue-

|0331 : 317|

§. 178. Zeit. Einleitung. (Fortſetzung.)

ren Schriftſtellern erſcheint, und worin die eigentliche Ge-

fahr des Irrthums liegt, in ſich aufgenommen hat; zwey-

tens weil die Verfaſſer der Decretalen weit entfernt da-

von waren, eine neue Theorie aufſtellen zu wollen. Sie

gaben getreulich wieder, was ſie von ihren Lehrern, den

Legiſten, empfangen hatten, und wenn wir uns genöthigt

ſehen, deren Lehre zu berichtigen, ſo erſtreckt ſich dieſe

Berichtigung, ſo weit von theoretiſcher Anſicht die Rede

iſt, auch auf den Inhalt der Decretalen; was aber in

dieſen an praktiſchen Vorſchriften neu aufgeſtellt worden

iſt, das ſoll auch von uns als wirkſam anerkannt wer-

den. Durch ein ſolches Verfahren handeln wir gewiß im

Sinn der Verfaſſer des canoniſchen Rechts. — Neuerlich

iſt der Verſuch gemacht worden, den gewöhnlichen Ver-

jährungsbegriff durch eine Art von Vermittlung zu retten.

Man hat ihn nämlich durch willkührlich hinzugefügte Merk-

male etwas beſchränkt, wodurch einige der oben zuſam-

men geſtellten Rechtsinſtitute in ihm enthalten blieben, an-

dere ausgeſchloſſen wurden (m). Auch dieſer Verſuch muß

(m) Unterholzner Verjäh-

rungslehre § 1 ſtellt den Begriff

dahin auf: Verjährung ſey eine

Veränderung in Rechten, welche

hauptſächlich als Folge der

zeitlich fortgeſetzten Ausübung

oder Nichtausübung angeſehen

werden müſſe. Dadurch will er

ausſchließen die Verwirkung durch

Rechtswidrigkeit, wohin auch (als

contumacia) die Verſäumniß rich-

terlicher Friſten gehört: ferner die

Verſäumniß der Appellationsfriſt,

denn dadurch werde nur ein Hin-

derniß der Wirkſamkeit des Ur-

theils weggeräumt, ſo daß die-

ſes, und nicht der Zeitablauf, als

poſitiv wirkende Urſache einer

Rechtsänderung anzuſehen ſey. —

Es leuchtet ſogleich ein, wie we-

nig auf dieſem Wege eine ſichere

Gränze für die Anwendung des

Begriffs gewonnen werden kann,

ſelbſt wenn man von der völli-

|0332 : 318|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

verworfen werden, und zwar nicht blos wegen der ge-

zwungenen Ausführung, ſondern wegen der Natur des

Gedankens ſelbſt, welcher ganz den Character einer hal-

ben Maasregel hat, den Irrthum alſo zwar quantitativ

vermindert, aber nicht von Grund aus beſeitigt.

Es iſt jedoch noch zu bemerken, daß unter dem Ein-

fluß jener, im Allgemeinen verwerflichen, Anſichten ein

einzelnes Rechtsinſtitut ausgebildet worden iſt, deſſen Rea-

lität wir anerkennen müſſen, da es in der Praxis der

Gerichte längſt feſten Boden gewonnen hat: die unvor-

denkliche Zeit. Das Daſeyn dieſes Inſtituts iſt alſo durch

eine allgemeine Gewohnheit geſichert, welches uns jedoch

nicht hindern kann, die Bedingungen und Gränzen deſſel-

ben durch wiſſenſchaftliche Kritik feſtzuſtellen. Dazu wird,

wegen der ſehr umfaſſenden Natur dieſes Inſtituts, nur

hier die rechte Stelle gefunden werden können, weshalb

es am Ende der Lehre von der Zeit dargeſtellt werden ſoll.

 

§. 179.

VI. Die Zeit. 1. Der Kalender.

Die Behandlung der im § 177 zuſammen geſtellten

Rechtsinſtitute beruht auf der Meſſung der für ſie durch

Rechtsregeln beſtimmten Zeiträume, wozu ein ſicherer,

gleichfoͤrmiger Maasſtab erforderlich iſt. Wir entnehmen

denſelben aus dem, allen unſren Lebensverhältniſſen (auch

gen Willkührlichkeit dieſer Beſtimmung des Begriffs abſehen wollte.

 

|0333 : 319|

§. 179. Zeit. 1. Kalender.

den nicht juriſtiſchen) zum Grunde liegenden, chronologi-

ſchen Syſtem, welches auf aſtronomiſchen Geſetzen beruht,

und deſſen Darſtellung der Kalender genannt wird. Ha-

ben wir alſo ein von Zeitbeſtimmungen abhängiges Rechts-

verhältniß zu beurtheilen, ſo geſchieht dieſes dadurch, daß

wir die zeitliche Erſcheinung deſſelben mit den im Kalen-

der unabänderlich beſtimmten Zeiträumen vergleichen, und

darnach abmeſſen. Allein die Gränzpunkte der in Rechts-

verhältniſſen vorkommenden Zeiträume beruhen theils auf

freyen Handlungen, theils auf Naturereigniſſen, und es

geſchieht daher nur ſelten und zufällig, daß dieſe Zeit-

räume mit den im Kalender enthaltenen, in feſt beſtimmte

Gränzen eingeſchloſſenen, Zeiträumen unmittelbar zuſammen

fallen. Es bedarf demnach für jeden gegebenen Fall einer

künſtlichen Reouction des von einem zufälligen Anfang

ausgehenden Zeitraums auf die im Kalender enthaltenen

Zeitabſchnitte; für dieſe Reduction hat unſer poſitives

Recht theils allgemeinere Regeln vorgeſchrieben, theils eine

anomaliſche Behandlung, die in einigen beſonderen Fällen

ausnahmsweiſe eintreten ſoll. Ich nenne die im Kalender

enthaltenen Zeitabſchnitte die Kalenderzeit (Kalender-

jahr, Kalendertag u. ſ. w.), die in einzelnen Rechtsver-

hältniſſen vorkommenden Zeiträume die bewegliche Zeit

(bewegliches Jahr, Tag u. ſ. w.) (a). Es ergiebt ſich

(a) Neuere juriſtiſche Schrift-

ſteller haben dem Kalendertag den

Zeittag entgegen geſetzt, welche

Benennung mir ganz unpaſſend

ſcheint, da der Kalendertag glei-

chen Anſpruch auf dieſen Namen

hat. Ich halte die im Text an-

gegebene Bezeichnung für die an-

|0334 : 320|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

hieraus, daß die juriſtiſche Lehre von der Zeit auf fol-

gende Gegenſtände zu richten iſt:

1) Der Kalender.

2) Regelmäßige Reduction der beweglichen Zeit auf die

Kalenderzeit.

3) Civile Zeitrechnung.

4) Utile tempus.

5) Schalttag.

 Anomaliſche Reduction.

6) Unvordenkliche Zeit (§ 178).

1. Der Kalender.

 

L. Ideler Handbuch der mathematiſchen und techni-

ſchen Chronologie, zwey Bände, Berlin 1825. 1826. 8.

Zwey von einander unabhängige Gründe nöthigen uns,

von der Geſchichte des Römiſchen Kalenders auszugehen:

erſtens, weil ohne ihn unſre Rechtsquellen nicht verſtan-

den werden können, zweytens weil unſer heutiger Kalen-

der in der That der Römiſche iſt, nur mit einer Modi-

fication, die in der fortlaufenden Anwendung auf unſre

Lebensverhältniſſe völlig unmerklich iſt.

 

ſchaulichſte; ſonſt könnte man den

Gegenſatz auch durch die Aus-

drücke: feſte, und willkührliche

Zeit bezeichnen. — Die Aſtrono-

men nehmen den Ausdruck be-

wegliches Jahr in einem an-

deren Sinn, nämlich für ein Jahr

von genau 365 Tagen ohne alle

Einſchaltung, weil daſſelbe in ei-

ner gewiſſen Zeit durch alle un-

ſre Jahreszeiten ſich hindurch be-

wegt. Ideler I. 67. 68.

|0335 : 321|

§. 179. Zeit. 1. Kalender.

Der älteſte Kalender der Römer wird auf ein Jahr

von Zehen Monaten, oder 304 Tagen gegründet, wel-

ches man das Romuliſche nennt. Wir können die ſchwie-

rige Unterſuchung über daſſelbe hier auf ſich beruhen laſ-

ſen, da ſich in den Quellen des Juſtinianiſchen Rechts

keine Spuren davon erhalten haben.

 

Das Jahr, welches dem König Numa zugeſchrieben wird,

und bis auf Cäſars Zeit in ſteter Anwendung geblieben iſt,

beſtand aus Zwölf Monaten, welche 355 Tage enthielten.

Ein Jahr um das andere wurde ein ganzer Monat, Mer-

cedonius genannt, eingeſchaltet, welcher abwechslend 22

und 23 Tage enthielt. Die Einſchaltung geſchah hinter

dem Tag, den wir den 23. Februar nennen, und auf wel-

chen das Feſt der Terminalia fiel, alſo vor dem 24. Fe-

bruar, an welchem das Feſt Regifugium gefeyert wurde.

Dadurch wurden dem Februar Fünf Tage abgeſchnitten,

ſo daß dieſer in einem Schaltjahr nur 23 Tage hatte.

Jene Fünf Tage wurden als Fortſetzung des Mercedonius

angeſehen, welcher dadurch abwechslend 27 oder 28 Tage

erhielt. Durch dieſe Einrichtung bekam das Jahr durch-

ſchnittlich eine Länge von 366¼ Tagen, und da dieſe in

Vergleichung mit dem aſtronomiſchen Jahr zu groß war,

ſo wurden, je nach Ablauf von 24 Jahren, mit einemmal

24 Tage aus dem laufenden Jahre weggelaſſen, wodurch

ſich alſo die Jahreslänge im größeren Durchſchnitt auf

365¼ Tage ſtellte (b). — Dieſes Jahr war nicht nur für

 

(b) Ideler I. 67. II. 31. 56. 59. — Die Hauptſtellen der Al-

IV. 21

|0336 : 322|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

die Anwendung höchſt unbequem, ſondern es wurde auch

noch in der Ausführung oft verdorben; theils aus Nach-

läſſigkeit der Pontifices, denen die Aufſicht auf den Ka-

lender zuſtand, theils aus parteyiſcher Willkühr, indem

die obrigkeitlichen Würden einjährig waren, und alſo

durch Verlängerung eines Jahres die Regierungszeit der

Conſuln, die man gerade begünſtigen wollte, erweitert wer-

den konnte. Die Verwirrung wurde ſo groß, daß die

Jahreszeiten zuletzt in ganz andere Monate fielen, als

welche dafür beſtimmt geweſen waren.

Durch die Wahrnehmung dieſer Üebel wurde Cäſar zu

einer durchgreifenden Reform des Kalenders veranlaßt,

welche noch jetzt die Grundlage des Kalenders aller chriſt-

lichen Nationen bildet (c). Die Vorbereitung dazu geſchah

im J. 708, welches dazu benutzt wurde, die allmälig an-

gehäufte Verwirrung zu abſorbiren, zu welchem Zweck ihm

445 Tage in Fünfzehen Monaten zugetheilt wurden. Die

Einführung des neuen Kalenders ſelbſt fällt in das J. 709,

das Jahr vor Cäſars Tod.

 

Dabey lag die Vorausſetzung zum Grund, daß das

aſtronomiſche Jahr genau aus 365 Tagen 6 Stunden be-

ſtehe. Cäſar beſtimmte nun das Kalenderjahr auf 365

Tage und verordnete für jede vierjährige Periode die Ein-

 

ten ſind Censorinus de die na-

tali C. 20, und Macroeius Sa-

turnal. I. 13. — Die eben dahin

einſchlagende L. 98 § 1. 2 de V.

S. (50. 16.) kann erſt weiter un-

ten erklärt werden (§ 192).

(c) In der Franzöſiſchen Revo-

lution wurde bekanntlich ein ganz

neuer Kalender eingeführt, nach

wenigen Jahren aber ſtellte Na-

poleon den früheren wieder her

|0337 : 323|

§. 179. Zeit. 1. Kalender.

ſchaltung Eines Tages, welcher die oben erwähnten über-

ſchießenden Sechs Stunden in ſich aufnehmen ſollte. Die

Stelle dieſes Schalttages blieb dieſelbe, an welcher früher

ein ganzer Monat eingeſchaltet worden war, zwiſchen Ter-

minalia und Regifugium. Das ſo begränzte Jahr wurde

in Zwölf Monate von ungleicher Länge getheilt (d).

Allein auch dieſe Zeitrechnung trug einen weſentlichen

Fehler in ſich, indem ſie den Überſchuß des aſtronomiſchen

Jahres über das Kalenderjahr zu Sechs Stunden an-

nahm, anſtatt daß er in der That nur 5 St. 48′ 48″

beträgt. Indem nun hieraus ein jährlicher Fehler von

Eilf Minuten und Zwölf Secunden hervorgieng, wurde

die zur Ausgleichung beſtimmte Einſchaltung Eines Tages

zu oft vorgenommen, und dieſer Fehler war im Sechzehen-

ten Jahrhundert bereits auf volle Zehen Tage angewach-

ſen (e).

 

Der Pabſt Gregor XIII. wurde durch die Feſtſtellung

des Oſterfeſtes veranlaßt, eine Prüfung und Berichtigung

des Julianiſchen Kalenders anzuordnen (f). Man nahm

jetzt das Jahr zu 365 T. 5 St. 49′ 12″ an, ließ mit

einemmal die allmälig fehlerhaft eingeſchlichenen Zehen

 

(d) Die genauere Beſchreibung

bey Ideler II. 118. fg. Die

Hauptſtellen ſind Censorinus C.

20 und Macrobius Saturn. I. 14.

(e) Ideler I. 35. 66. 67.

(f) Ideler I. 74. II. 301 —

303. 322—325. An der Spitze

der Unternehmung ſtand Aloyſius

Lilius. — Das Oſterfeſt, deſſen

Beſtimmung mit dem chronolo-

giſchen Syſtem nicht zuſammen-

hängt, fällt früheſtens den 22.

März, ſpäteſtens den 25. April,

ſo daß es zwiſchen dieſen beiden

Tagen ſchwankt. Ideler H.

199. 317.

21*

|0338 : 324|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Tage aus dem Kalender hinweg, und beſtimmte, um die

Rückkehr des Fehlers zu verhüten, daß alle 400 Jahre

Drey Einſchaltungen überſprungen, alſo auf Hundert Ein-

ſchaltungen ſtets Drey weggelaſſen, werden ſollten (g).

Dieſe Verbeſſerung des Kalenders wurde 1581 verordnet,

im folgenden Jahre in Rom eingeführt, und innerhalb der

nächſten Zehen Jahre von dem Kaiſer, dem katholiſchen

Theil von Deutſchland, Schweiz und Niederlanden, ſo

wie in Italien, Spanien, Polen und Ungarn angenom-

men. Dagegen fand ſie, als von Rom ausgehend, lange

Zeit keinen Eingang in denjenigen Ländern, welche ſich

zum proteſtantiſchen oder zum griechiſchen Glauben beken-

nen. Endlich wurde ſie 1700 und 1701 im proteſtanti-

ſchen Theil von Deutſchland, Schweiz und Niederlanden,

ſo wie in Dänemark, 1752 in England, 1753 in Schwe-

den anerkannt. Die Ruſſen, ſo wie die übrigen, der grie-

chiſchen Kirche angehörenden, Länder ſind bey dem unver-

änderten Kalender Cäſars geblieben. Hierin liegt der Un-

terſchied des alten und neuen Styls, oder des Juliani-

(g) Die Säcularjahre 1600,

2000, 2400 u. ſ. w. ſollten Schalt-

jahre bleiben, die jedesmal dazwi-

ſchen liegenden Drey Säcular-

jahre, wie 1700. 1800. 1900, dann

2100. 2200. 2300. u. ſ. w., welche

nach dem Julianiſchen Kalender

gleichfalls Schaltjahre wären, ſoll-

ten ausfallen. — Noch immer war

hier das Jahr um 24 Secunden

zu groß angenommen, indeſſen iſt

dieſer Fehler ſo gering, daß er

erſt nach Ablauf von 3600 Jah-

ren zu einem ganzen Tag ange-

wachſen ſeyn wird. Um ihn völ-

lig zu vermeiden, müßte man alle

Neun Jahrhunderte Sieben Ein-

ſchaltungen ausfallen laſſen, an-

ſtatt daß jetzt in Vier Jahrhun-

derten Drey ausfallen. (Ich darf

mich wegen dieſer Außerung auf

Idelers brieflich ausgeſprochene

Zuſtimmung berufen).

|0339 : 325|

§. 180. Zeit. 1. Kalender. (Fortſetzung.)

ſchen und Gregorianiſchen Kalenders, und es ergiebt ſich

aus dieſer Überſicht, daß die Differenz faſt mit jedem Jahr-

hundert wachſen muß (h). Es iſt jedoch gleich hier wohl

zu bemerken, worauf ſich dieſer Unterſchied beſchränkt. Er

beſteht lediglich in den mehr oder weniger häufig eintre-

tenden Schaltjahren; in allem Übrigen iſt gar Nichts ge-

ändert, folglich der frühere Julianiſche Kalender, auch da

wo er ganz willkührliche Beſtimmungen enthält, völlig bey-

behalten worden. Von dieſer Bemerkung wird weiter un-

ten eine praktiſche Anwendung gemacht werden.

§. 180.

VI. Die Zeit. 1. Der Kalender. (Fortſetzung.)

Nach dieſer hiſtoriſchen Überſicht ſollen nunmehr die

weſentlichen Theile unſres Kalenders einzeln betrachtet wer-

den; ſie beſtehen in dem Tag, dem Monat, und dem Jahr.

 

Der Tag iſt der Zeitraum, in welchem eine vollſtän-

dige Umdrehung der Erde um ihre eigene Achſe Statt

findet. Die Länge dieſes Zeitraums iſt nach Jahreszeiten

wechslend, indem ſie im Februar und November nach zwey

verſchiedenen Seiten von dem mittleren Durchſchnitt um

mehr als Fünfzehen Minuten abweicht, ſo daß die größte

 

(h) Über die Geſchichte der Ka-

lenderverbeſſerung ſind die in der

Note f angeführten Stellen von

Ideler zu vergleichen. — Wenn

die Ruſſen auch ferner an dem

reinen Julianiſchen Kalender feſt

halten, ſo werden ſie etwa um

das Jahr Chriſti 24000 im Ja-

nuar die Erndte halten, und im

Julius auf Schlitten fahren.

|0340 : 326|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Differenz unter zwey wirklich vorkommenden Tageslängen

mehr als Dreyßig Minuten beträgt (a). — Der Anfangs-

punkt des Tages iſt an ſich willkührlich, weshalb er auch

bey verſchiedenen Völkern ganz abweichend angenommen

worden iſt. Die Römer haben ihn auf Mitternacht ge-

ſetzt, und wir haben dieſe Beſtimmung beybehalten; an

ſich iſt ſie die unbequemſte von allen, weil ſie mit keiner

unmittelbaren Beobachtung des Himmels zuſammenhängt.

Der Tag beſteht aus zwey natürlichen Abſchnitten von

meiſt ungleicher, und zwar ſtets wechslender Länge: dem

Lichttag (lux, dies naturalis), und der Nacht (nox). Der

ganze Zeitraum von Mitternacht zu Mitternacht heißt dies

civilis (b).

Das Jahr beſteht genau aus 365 Tagen, da der

kleine Überſchuß von wenigen Stunden zunächſt unbeach-

tet bleibt, und erſt, wenn er ſich zu einem vollen Tage

angeſammelt hat, unter der Form eines Schalttages be-

rückſichtigt wird. Dieſer Zeitabſchnitt kommt mit dem des

Tages darin überein, daß er einen allgemeinen aſtronomi-

ſchen Grund hat, zugleich aber Gegenſtand der allgemein-

ſten Wahrnehmung und von dem größten Einfluß auf die

Verhältniſſe des menſchlichen Lebens iſt. — Der Anfangs-

punkt deſſelben iſt an ſich gleichgültig, und könnte, neben

 

(a) Ideler I. 36 — 38. Dar-

auf gründet ſich der Unterſchied

der mittleren und der wahren Zeit.

(b) L. 8 de feriis (2. 12.) von

Paulus. — Censorinus C. 23.

Macrobius Saturn. I. 3. Vergl.

Gellius III. 2, Plinius hist. nat.

II. 79. Bey Varro de re rust.

I. 28 ſcheint dies eiviles die Tage

nach der Eintheilung und Bezeich-

nung des Römiſchen Kalenders

zu bedeuten.

|0341 : 327|

§. 180. Zeit. 1. Kalender. (Fortſetzung.)

dem hier dargeſtellten Kalender, auf die verſchiedenſte

Weiſe beſtimmt werden. In der That finden ſich hierin,

vom Mittelalter her, in verſchiedenen Ländern folgende

ganz abweichende Einrichtungen. Der Anfang wurde näm-

lich geſetzt bald auf den 1. Januar (Beſchneidung), bald

auf den 1. März, den 25. März (Empfängniß), auf das

ſtets wechſelnde Oſterfeſt, oder auf den 25. December

(Chriſti Geburt) (c). In neueren Jahrhunderten iſt man

ſehr allgemein zu dem 1. Januar als Anfang des Jahres

zurück gekehrt, und dieſe allgemeine Übereinſtimmung iſt

auch in der That von Wichtigkeit, weil nur durch ſie die

ſonſt unvermeidliche Verwirrung in der Zeitrechnung ver-

hütet werden kann.

Der Monat ſteht, als Zeitabſchnitt, in der Mitte

zwiſchen dem Tag und dem Jahr. Er beruht auf einer

Eintheilung des Jahres in Zwölf Theile, die jedoch von

ungleicher Laͤnge ſind. Sieben derſelben haben 31, Vier

haben 30, Einer in gewöhnlichen Jahren 28, in Schalt-

jahren 29 Tage. Daß man gerade Zwölf Theile, alſo

auch den daraus hervorgehenden Umfang der Monate, an-

genommen hat, beruht allerdings nicht auf bloßer Will-

kühr, ſondern auf der Beachtung des Mondwechſels; je-

doch iſt die Übereinſtimmung mit dieſem nur eine ſehr all-

gemeine und ungenane (d). Bey der Begränzung unſrer

 

(c) Ideler II. 325—343.

(d) Der aſtronomiſche Monds-

Monat beträgt nämlich genau

29 Tage 12 St. 44′ 3″, trifft

alſo mit keinem unſrer Kalender-

monate genau zuſammen, mit dem

Februar am Wenigſten. Ideler

I. 42 — 44. Eine unveränderte

|0342 : 328|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Monate liegt überhaupt kein durchgreifendes Princip zum

Grunde; ohne Zweifel wollte Cäſar die aus dem früheren

Kalender herſtammenden Gewohnheiten (theilweiſe auf re-

ligiöſen Gründen beruhend) ſo wenig als möglich ſtören,

und er änderte daher an den Monaten nur ſo viel ab,

als nöthig war, um die neue Jahresgränze, worauf ihm

Alles ankam, durchzuführen. In neueren Zeiten aber hat

man kein dringendes Bedürfniß empfunden, hierin Etwas

zu ändern; nur mit Ausnahme des vorübergehenden Ver-

ſuchs in dem republikaniſchen Frankreich, worin gerade

die Monate am meiſten geändert, und auf die gleiche Länge

von Dreyßig Tagen, mit Fünf Ergänzungstagen, gebracht

wurden. — Eine beſondere Beachtung verdient noch die

Bezeichnung der einzelnen Tage im Verhältniß zu dem

Monat, dem ſie angehören; dabey iſt jedoch ſogleich zu

bemerken, daß dieſe dem eigentlichen Kalender völlig fremd

iſt, ſo daß die Reformen von Cäſar und Gregor XIII.

daran gar Nichts geändert haben, alle wirklich eingetre-

tene Veränderungen aber ganz unvermerkt und blos durch

die Sitte bewirkt worden ſind. Die Römer zerlegten den

Monat in Drey ungleiche Theile, deren Gränzen durch die

Kalendä, Nonä, Idus bezeichnet waren. Von dieſen Gränz-

tagen ab wurden die einzelnen dazwiſchen fallenden Tage

gezählt, jedoch nicht vorwärts, ſondern rückwärts. Die

Aufnahme jenes aſtronomiſch be-

ſtimmten Monats, wenn man

ihn auch genau kannte, war nicht

möglich, weil für das wirkliche

Leben nur Zeitabſchnitte, die aus

ganzen Tagen beſtehen, brauch-

bar ſind.

|0343 : 329|

§. 180. Zeit. 1. Kalender. (Fortſetzung.)

genaue Bezeichnung eines Tages wäre alſo z. B. gewe-

ſen: die X. ante Kalendas Januarias (für den 23. De-

cember). Allein es war üblich, die Präpoſition zu ver-

ſetzen, indem man ſagte: ante diem X. Kal. Jan., welcher

Ausdruck genau dieſelbe Bedeutung hat wie jener. Wenn

man dieſe Laune des Römiſchen Sprachgebrauchs über-

ſieht, und die voranſtehende Präpoſition buchſtäblich nimmt,

ſo kommt man zu dem Irrthum, als ob ante diem X.

Kal. irgend eine dem dies X. Kal. vorhergehende Zeit be-

zeichnen ſollte, da doch immer nur dieſer Tag ſelbſt ge-

meynt iſt (e). Eine Stelle des Römiſchen Rechts warnt

ausdrücklich gegen dieſes Misverſtändniß (f). Die eben

(e) Die entſcheidenden Stellen

über dieſen Sprachgebrauch ſind

geſammelt bey Ideler II. 127.

128. Die Präpoſition war da-

durch gewiſſermaaßen ein nichts-

ſagender Zuſatz zu der Tagesbe-

zeichnung geworden, ſo daß man

ſie nun ſogar in ſolchen Fällen

gedankenlos anwendete, wo gar

nicht zurück gerechnet werden ſollte.

L. 13 de V. O. „Qui ante Ka-

lendas proximas stipulatur, si-

milis est ei qui Kalendis sti-

pulatur.” Eben ſo entſcheidend

dafür, daß ante völlig bedeu-

tungslos geworden war, iſt die

Zuſammenſtellung mit anderen

Präpoſitionen, z. B. in ante diem

IV. für in diem IV., eben ſo ex

ante diem für ex die.

(f) L. 132 pr. de V.S. (50. 16.).

„Anniculus amittitur qui extre-

mo die anni moritur: et con-

suetudo loquendi id ita esse de-

clarat, ante diem X. Kalenda-

rum, post diem X. Kalenda-

rum. Neque utro enim ser-

mone undecim dies significan-

tur.” Ich bleibe zunächſt bey dem

ante ſtehen, das allein hierher ge-

hört. Unter dem ante d. X. Kal.

(ſagt der Juriſt) iſt nicht etwa

ein Tag jenſeits des dies X. zu

verſtehen, ſo daß damit Eilf (oder

noch mehr) Tage bezeichnet wä-

ren, ſondern gerade der dies X.

ſelbſt. Auf ähnliche Weiſe ſteht

nun auch das post diem X. für

die X. post Kalendas, es iſt alſo

der zehente Januar, nicht ein Tag

jenſeits des zehenten, welches wie-

der Eilf Tage geben würde. Die-

ſes letzte iſt alſo eine individuelle,

willkührliche, außer der gewöhn-

lichen Kalenderſprache liegende

Bezeichnung, etwa ſo wie wenn

|0344 : 330|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

erklärte Römiſche Bezeichnung der Monatstage hatte einen

mannichfaltigen Zuſammenhang mit der Volksſitte und mit

der alten Religion. Dieſe ihre lebendige Bedeutung war

im Mittelalter ſpurlos verſchwunden, die Bezeichnung ſelbſt

erhielt ſich aber, gleich als eine gelehrte Sprache, durch

die Lehre und den Gebrauch der Notare. Da jedoch bey

Vielen derſelben die Gelehrſamkeit nicht ſo weit reichte,

entſtanden nun, nicht aus freyer Wahl, ſondern aus Noth,

folgende Varietäten. Entweder wurden die Tage durch

Angabe der Heiligenfeſte völlig individualiſirt. Oder es

wurden die Tage jedes Monats mit durchlaufenden Zah-

len, von 1 bis 30 oder 31 (oder 28) bezeichnet. Da-

neben führte man in dieſer letzten Bezeichnung noch die

Veränderung ein, daß die Tage in der erſten Hälfte des

Monats vorwärts, in der zweyten Hälfte rückwärts, vom

Ende des Monats an, gezählt wurden (ingrediente, exe-

unte mense).

Es würde vergeblich ſeyn, dieſe verſchiedene Verfah-

rungsarten nach Jahrhunderten, oder gar nach noch klei-

 

Jemand bey uns einen Wechſel

ausſtellte, zahlbar Drey Tage vor

dem nächſten Neujahr, anſtatt in

unſrer Kalenderſprache zu ſagen:

am 29. December. Daß nun in

der That das post dieſe Bedeu-

tung hat, zeigt L. 233 § 1 de

V. S. (50. 16.). „Post Kal. Jan.

d. tertio pro salute principis

vota suscipiuntur,” wo es eben

ſo gut heißen könnte: post d. III.

Kalendarum. Die vota aber ge-

ſchahen am dritten Januar, die

III. Non. Jan. Vgl. Lipsius ex-

curs. ad Tac. ann. XVI. — Erb

im civ. Mag. B. 5 S. 244 hat das

post in der L. 132 cit. misver-

ſtanden, und daher eine Emen-

dation vorgeſchlagen, die eben ſo

überflüſſig, als auch ſonſt unzu-

läſſig iſt.

|0345 : 331|

§. 180. Zeit. 1. Kalender. (Fortſetzung.)

neren Zeiträumen, gegen einander begränzen zu wollen,

da ſie viele Jahrhunderte lang neben einander angewendet

wurden, regellos, wie es gerade die Kenntniß oder die

Gewohnheit der einzelnen Notare mit ſich brachte. In

neueren Jahrhunderten, und beſonders ſeitdem die Urkun-

den in den Landesſprachen abgefaßt wurden, iſt die Rö-

miſche Weiſe immer mehr verlaſſen, die Bezeichnung nach

durchlaufenden Zahlen aber endlich ausſchließend angewen-

det worden. Dieſe iſt indeſſen ſchon ſehr alt, und ſie fin-

det ſich ſchon recht häufig in Urkunden des ſiebenten und

achten Jahrhunderts (f¹). In den Kanzleyen des Rö-

miſchen Hofs hat ſich die altrömiſche Bezeichnung bis auf

den heutigen Tag erhalten.

Schon aus dieſer zufälligen, allmäligen, ſchwankenden

Entſtehung unſrer Weiſe, die Tage jedes Monats mit

durchlaufenden Zahlen zu bezeichnen, muß es einleuchten,

 

(f¹) Um ſich davon zu über-

zeugen, genügt ein flüchtiger Über-

blick reichhaltiger, chronologiſch ge-

ordneter, Urkundenſammlungen.

Ich will beyſpielsweiſe auf fol-

gende Urkunden des ſechſten und

ſiebenten Jahrhunderts mit durch-

gezählten Monatstagen aufmerk-

ſam machen; mehrere derſelben

reichen in die zweyte Hälfte des

Monats hinein, enthalten alſo

größere Zahlen. Historiae pa-

triae monumenta, Chartarum

Tom. 1, Aug. Taurinorum 1836

fol. Num. 2. 6. 7. 9. 13. Fuma-

galli codice diplomatico Sant-

Ambrosiano, Milano 1805. 4.

Num. 1. 10. 12. 15. 16. 18. 21. 23.

24. Grundfalſch iſt die Darſtel-

lung von Gatterer Abriß der

Diplomatik S. 369. 370. Bis ge-

gen das große Interregnum ſey

die altrömiſche Bezeichnung all-

gemein geweſen, dann ſeyen die

Heiligentage ausgedrückt worden;

die durchgezählten Tage erwähnt

er gar nicht. Dieſe Unvollſtän-

digkeit findet ihre Erklärung (nicht

Rechtfertigung) darin, daß in

Deutſchland freylich der Gebrauch

der Heiligennamen weit überwie-

gend vor anderen Bezeichnungen

war.

|0346 : 332|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

daß dieſem Verfahren auf die Anwendung der die Zeit be-

treffenden Rechtsregeln kein Einfluß zugeſchrieben wer-

den kann.

Außer den hier erklärten Zeitabſchnitten, welche allein

als weſentliche Stücke unſres Kalenders betrachtet werden

dürfen, ſind nun noch einige andere zu erwähnen.

 

Zuerſt die Theile des Tages, alſo die Stunde mit

ihren Unterabtheilungen. Wir theilen den Kalendertag in

Vier und zwanzig gleiche Theile und nennen jeden derſel-

ben eine Stunde. Wie nun oben erwähnt worden iſt, daß

der Umfang des Kalendertags je nach Jahreszeiten verän-

derlich iſt, ſo müſſen auch an verſchiedenen Kalendertagen

die Stunden von ungleicher Länge ſeyn, nur daß hier die

Verſchiedenheit faſt als unmerklich verſchwindet. Der

ganze Begriff der Stunde iſt aber ein völlig willkührlicher

und ohne allen Zuſammenhang mit irgend einer Naturbe-

obachtung, ſo daß man den Tag eben ſo gut in Zehen

oder Hundert Stunden hätte zerlegen können. Die Will-

kührlichkeit dieſes Begriffs wird dadurch recht klar, daß

die Römer (übereinſtimmend mit anderen Völkern des Al-

terthums) einen zwar äußerlich ähnlichen, in der That

aber völlig verſchiedenen Begriff der Stunde haben. Sie

theilen jedesmal den Lichttag in Zwölf gleiche Theile, die

ſie durchzählen; eben ſo auch die Nacht in Zwölf gleiche

Theile, die ſie gleichfalls von Eins bis Zwölf durchzäh-

len. Dabey mußten alſo die Tages- und Nachtſtunden

 

|0347 : 333|

§. 180. Zeit. 1. Kalender. (Fortſetzung.)

unter einander faſt immer (nämlich nur mit Ausnahme

der Äquinoctien) von ungleicher Länge ſeyn, und eben ſo

mußte von Tag zu Tag die Länge der Stunden wachſen

und abnehmen. Um ſich von der Unbequemlichkeit dieſer

Einrichtung eine vollſtändige Vorſtellung zu machen, muß

man noch die Unvollkommenheit ihrer Sonnen-, Waſſer-

und Sand-Uhren hinzudenken (g). Glücklicherweiſe pflegt

aber die Stunde als Zeitabſchnitt in Rechtsregeln gar

nicht vorzukommen. — Was nun hier von der Stunde

geſagt worden iſt, gilt eben ſo, und theilweiſe in noch

höherem Grade, von den kleineren Abſchnitten, der Mi-

nute, Secunde u. ſ. w.

Die Woche endlich liegt ganz außer dem Kalender,

indem ſie kein integrirender Theil des Monats oder des

 

(g) Censorinus C. 23. Vergl.

Ideler I. 84. II. 14. 617. Doch

kannten die Römer im aſtrono-

miſchen Gebrauch auch das, was

wir Stunde nennen. Ideler

I. 86. Etwas vermindert wurde

für die Römer jene Unbequem-

lichkeit, in Vergleichung mit un-

ſrem Norden, durch den Umſtand,

daß in Italien die Verſchieden-

heit zwiſchen Tag und Nacht, alſo

auch die zwiſchen Sommer- und

Wintertagen, ſehr merklich gerin-

ger iſt als in den nördlichen Län-

dern. — Man würde irren, wenn

man die Einrichtung des neueren

Italiens mit der alt Römiſchen

für gleich halten wollte. Die Ita-

liener haben denſelben Begriff der

Stunde wie wir, und ſie unter-

ſcheiden ſich nur in dem Anfangs-

punkt und in der Art der Zäh-

lung. Wir fangen an von Mit-

ternacht und zählen zwölf Stun-

den fort bis Mittag; von da ab

zählen wir abermals zwölf Stun-

den bis Mitternacht. Die Ita-

liener fangen an mit Sonnenun-

tergang, und zählen von da un-

unterbrochen Vier und zwanzig

Stunden; die Thurmuhren jedoch

zeigen und ſchlagen häufig nur

Sechs Stunden, und fangen dann

wieder mit Eins an. Indeſſen

weicht in den Städten dieſe Weiſe

immer mehr der allgemeinen Eu-

ropäiſchen Einrichtung, die dort

ora Francese heißt. Vgl. auch

Ideler I. 84.

|0348 : 334|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Jahres iſt, ſondern aus einer beſtimmten Zahl auf einan-

der folgender Tage beſteht, welche, ſich ſtets wiederho-

lend, durch die Reihe der Monate und Jahre mitten hin-

durch zieht. Die Römer hatten ſolche Aggregate von Acht

Tagen, mit dem Tag der Nundinä endigend. Viele an-

dere Völker, und namentlich die Juden (h), hatten Wo-

chen von Sieben Tagen; dieſe wurden auch ſchon den

Römern frühe bekannt, von den Chriſten aber bald allge-

mein angenommen, und ſie haben bey allen chriſtlichen

Völkern durch den an der Spitze ſtehenden Sonntag An-

erkennung und Wichtigkeit erlangt (i). Sowohl die Woche

von Sieben, als die von Acht Tagen hat einen allgemei-

nen Grund in einer Naturbeobachtung, die ſich Jedem im

gewöhnlichen Leben aufdringt. Die verſchiedenen Erſchei-

nungen des Mondes nämlich führen ganz von ſelbſt auf

die Annahme von Vier gleichen Abſchnitten des zwiſchen

Zwey Vollmonden liegenden Zeitraums. Der vierte Theil

aber dieſes Mondsmonats fällt in die Mitte zwiſchen Sie-

ben und Acht Tagen, und wollte man hierauf einen Zeit-

raum in einer ganzen Zahl von Tagen gründen, ſo konnte

nur zwiſchen Sieben und Acht gewählt werden. Es iſt

alſo hierin, wie in unſrem Kalendermonat; es liegt eine

Naturbeobachtung zum Grunde, ſie konnte aber in der

(h) Bey dieſen hatte die Woche

von Sieben Tagen zugleich eine

religiöſe Bedeutung durch ihre Be-

ziehung auf die Schöpfungsge-

ſchichte, mit welcher der Sabbath

als Schluß der Woche zuſammen

hängt.

(i) Ideler I. 60. 87. II. 136.

175.

|0349 : 335|

§. 181. Zeit. 2. Regelmäßige Reduction.

Ausführung nicht genau feſtgehalten werden, weil für das

wirkliche Leben nur ein Aggregat von ganzen Tagen brauch-

bar war. — In Regeln des Römiſchen Rechts kommt die

Woche gar nicht vor; wohl aber erſcheint ſie ſchon frühe

im Germaniſchen Recht, dann aber noch häufiger in neue-

ren Prozeßordnungen, ſo wie in den von Richtern vorge-

ſchriebenen Prozeßfriſten, und in Rechtsgeſchäften unter

Privatperſonen. — Die Bezeichnung der einzelnen Tage

im Verhältniß zur Woche, der ſie angehören, geſchieht auf

andere Weiſe als bey dem Monat, nämlich nicht durch

Zahlen, ſondern durch individuelle Namen, die ſich in je-

der Woche gleichförmig wiederholen.

§. 181.

VI. Die Zeit. 2. Regelmäßige Reduction.

Wenn der Ablauf eines Zeitraums als Bedingung ei-

ner Rechtsänderung aufgeſtellt wird, ſo wird der Umfang

deſſelben bezeichnet durch Verweiſung auf die Kalenderzeit,

das heißt durch den Ausdruck einer beſtimmten Zahl von

Tagen, Wochen, Monaten, Jahren, alſo von ſolchen Zeit-

abſchnitten, wie ſie mit feſtem Anfang und Ende im Ka-

lender vorkommen. Da aber der Anfang des wirklichen

Zeitraums mit dem Anfang einer entſprechenden Kalender-

zeit nur zufällig und in den ſeltenſten Fällen zuſammen

trifft, ſo muß die Anwendung durch eine Reduction ver-

mittelt werden (§ 179), wofür nunmehr die Regeln auf-

 

|0350 : 336|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

zuſtellen ſind. Dieſe Regeln ſelbſt ſind für die meiſten

Zeiträume einfach und unzweifelhaft, nur für den Monat

ſehr beſtritten; allein die Ausführung der Regeln führt

allgemein auf große Schwierigkeiten. Wir haben alſo zu-

nächſt zu unterſuchen, was unter einem beweglichen Tag,

Jahr, Woche, Monat zu verſtehen iſt.

Der bewegliche Tag iſt ein Zeitraum von gleichem

Umfang mit dem Kalendertag; das heißt, es wird von

irgend einem zufälligen Zeitpunkt an (z. B. von der Ent-

ſtehung eines Klagrechts durch Rechtsverletzung) ſo weit

vorwärts gerechnet, daß der Zeitraum gleich groß iſt mit

dem zwiſchen einer Mitternacht und der folgenden Mitter-

nacht liegenden Zeitraum. Dabey wird alſo eine gleiche

Länge der Kalendertage vorausgeſetzt, und obgleich dieſe

Vorausſetzung falſch iſt (§ 180), ſo bleibt dennoch der

Irrthum aus mehreren Gründen juriſtiſch unberückſichtigt;

theils weil der Unterſchied ſehr gering iſt, und die Aus-

gleichung unüberſteigliche Schwierigkeiten haben würde:

theils weil ohnehin ſchon aus anderen Gründen eine be-

ſondere Maasregel des poſitiven Rechts nöthig wird, worin

zugleich dieſer kleine Irrthum ſeine Erledigung findet.

Davon wird noch am Schluß des gegenwärtigen § die

Rede ſein.

 

Das bewegliche Jahr iſt ein zuſammenhängender Zeit-

raum von genau 365 beweglichen Tagen (a). Der kleine

Überſchuß des wahren Sonnenjahrs über 365 Tage wird

 

(a) L. 51 § 2 ad L. Aquil. (9. 2.), L. 4 § 5 de statulib. (40. 7.).

|0351 : 337|

§. 181. Zeit. 2. Regelmäßige Reduction.

hier deswegen mit Recht vollſtändig ignorirt, weil der-

ſelbe in dem Schalttag ſeine Erledigung findet, von deſſen

anomaliſcher Behandlung weiter unten gehandelt wer-

den wird.

Die bewegliche Woche iſt ein zuſammenhängender Zeit-

raum von Sieben beweglichen Tagen. Hier wird die An-

wendung dadurch erleichtert, daß man nur auf den wie-

derkehrenden gleichnamigen Wochentag zu achten hat, um

den Ablauf der Woche zu erkennen.

 

Die Bedeutung des beweglichen Monats wird da-

durch zweifelhaft, daß die Kalendermonate jedes Jahres

Drey verſchiedene Längen haben (§ 180). Wollte man

nun eine Normalzahl von Monatstagen beſtimmen, um

ſie bey Rechtsregeln, worin Monate vorkommen, anzu-

wenden, ſo hatte man zunächſt die Wahl zwiſchen 31 und

30. Für 31 ſprach der Umſtand, daß in der That die

meiſten Monate dieſe Zahl von Tagen haben; für 30 aber

waren überwiegende Gründe vorhanden. Erſtlich kommt

unter allen ganzen Zahlen die Zahl von 30 Tagen am

nächſten dem zwölften Theil des Jahres, welcher genau

30 5/12 beträgt, ſo wie dem aſtronomiſchen Monat (§ 180. d).

Dazu kommt aber zweytens die mehr praktiſche Rückſicht,

daß die Zahl 30 als runde Zahl dem Gedächtniß leichter

einzuprägen iſt, und daß ſie durch ihre mannichfaltige

Theilbarkeit für die Anwendung im täglichen Leben grö-

ßere Bequemlichkeit darbietet, als die Primzahl 31. Ohne

Zweifel durch dieſe Gründe ſind die Römer bewogen wor-

 

IV. 22

|0352 : 338|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

den, den beweglichen Monat als eine Zeit von Dreyßig

Tagen anzuſehen. Zwar eine geſetzliche Vorſchrift iſt dar-

über nicht vorhanden, aber in folgenden, aus ganz ver-

ſchiedenen Zeiten herrührenden Stellen, iſt jene Zahl als

Monatslänge unzweifelhaft vorausgeſetzt:

1) Bey der Anklage wegen adulterium kamen zwey

Friſten vor, eine von 60 Tagen, eine andere (worin jene

mit eingeſchloſſen iſt) von Sechs Monaten. Hierbey wer-

den nun 60 Tage mit den folgenden Vier Monaten zu-

ſammen genau als Sechs Monate gerechnet (b).

 

2) Paulus ſpricht von einer Zahl von 210 Tagen,

und nennt dieſe den septimus plenus mensis (c).

 

3) Juſtinian verordnet, daß der Erbe ein Inventarium

in den erſten 30 Tagen anfangen, und in den folgenden

60 Tagen endigen ſolle. Die Summe dieſer beiden Zeit-

räume bezeichnet er nachher als eine Zeit von Drey Mo-

naten (d).

 

4) Bey der Appellation beſtimmt Juſtinian Drey Fri-

ſten, von 30 Tagen, einem Monat, und abermals einem

Monat; die Summe dieſer Drey Friſten giebt er dann zu

 

(b) L. 11 § 6 L. 29 § 5 ad

L. Jul. de adult. (48. 5.), L. 1

§ 10 ad Sc. Turp. (48. 16.). —

Weniger beweiſend ſind die Stel-

len über das Ädilenedict, worin

allerdings auch bald 60 Tage, bald

zwey Monate, erwähnt werden,

aber nicht gerade für einen und

denſelben Fall. L. 28 L. 31 § 22

L. 38 pr. de aedil. ed. (21. 1.).

(c) Paulus IV. 9 § 5, vergl.

mit Censorinus de die nat. C. 9.

— Ausführlich wird von dieſer

Stelle in der Beylage III. (über

die Vitalität) gehandelt, ſ. oben

B. 2 S. 403 fg.

(d) L. 22 § 2 C. de j. delib.

(6. 30.), verglichen mit § 11 der-

ſelben Stelle.

|0353 : 339|

§. 181. Zeit. 2. Regelmäßige Reduction.

Drey Monaten an, ſo daß er die erſten 30 Tage als ei-

nen Monat anſieht (e).

Dagegen kommen allerdings in einer älteren Vorſchrift

über die Appellation Drey Friſten, jede von 31 Tagen,

vor, die Juſtinian ſelbſt als Drey Monate bezeichnet (f);

allein dieſe Beſtimmung ſteht ſo einzeln, daß durch ſie die

vielfach bezeugte Zahl von 30 Tagen, als auf die zu al-

len Zeiten vorherrſchende Anſicht gegründet, nicht zweifel-

haft gemacht werden kann (g). — Einige andere Stellen

ſind mit Unrecht als abweichende Zeugniſſe angeſehen wor-

den. So die L. 101 de R. J. (50. 17.), welche ſcheinbar

61 Tage als Inhalt von zwey Monaten angiebt, in der

That aber (wie im § 185 gezeigt werden wird) 60 Tage

vorausſetzt, alſo vielmehr zu den Zeugniſſen für 30 Tage

gehört. — Ferner die 182 Tage als kürzeſter Zeitraum

möglicher Schwangerſchaft. Sie ſind in das Römiſche

Recht aus einem nicht voͤllig genau befolgten Ausſpruch

des Hippocrates herüber genommen, und gründen ſich gar

nicht auf eine Multiplication der Monatstage durch Sechs,

ſondern vielmehr auf eine Halbirung der im Jahr enthal-

tenen Tagezahl; dieſe giebt 182 Tage und einen Bruch,

den Bruch aber haben die Römiſchen Juriſten der Kürze

wegen weggelaſſen (h). — Endlich die Berechnung der

 

(e) Nov. 115 C. 2.

(f) L. 2 und L. 5 pr. C. de

temp. appell. (7 63.) „aliis trium

mensum spatiis, id est nona-

ginta et tribus diebus, simili

modo sequentibus.”

(g) Dieſelbe Meynung wird

vertheidigt von Reinfelder an-

nus civilis S. 116 fg. und Un-

terholzner Verjährungslehre I.

S. 281.

(h) L. 3 § 12 de suis (38. 16.),

22*

|0354 : 340|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Dotalfrüchte in L. 7 sol. matrim. (24. 3.), welche gar nicht

eine beſtimmte Zahl von Tagen für den beweglichen Monat

angiebt, ſondern in mehreren Beyſpielen (allerdings etwas

ungenau) die Kalendermonate als Zwölftheile des Jahres,

folglich als gleich lang, vorausſetzt (i).

Faſſen wir dieſes Alles zu einem einfachen Reſultat

zuſammen, ſo läßt ſich daſſelbe in folgender Regel aus-

drücken: Überall, wo das Römiſche Recht eine juriſtiſche

Thatſache auf den Ablauf einer Anzahl von Monaten grün-

det, iſt unter Monat eine Zeit von genau 30 Tagen zu

verſtehen. — Viele Anwendungen dieſer Regel ſind für

das heutige Recht verſchwunden (k); folgende Fälle ſind

noch jetzt nach derſelben zu beurtheilen:

 

worin nur aus der Vergleichung

mit dem unbeſtimmten Ausdruck

septimo mense in L. 12 de statu

hom. (1. 5.) der falſche Schein ent-

ſteht, als ſollten die 182 Tage

genau das Sechsfache einer Mo-

natslänge ausdrücken. Vgl. Hip-

pocrates de partu septimestri

C. 1 in opp. ed. Charterius T. 5

p. 342 Paris. 1679 fol.

(i) Durch die wirklichen und

ſcheinbaren Abweichungen iſt

Schrader civil. Abhandl. S. 198

fg. zu folgender Lehre veranlaßt

worden. Die Römer hätten den

Monat verſchieden berechnet, zu-

letzt aber ſey die Anſicht herrſchend

geworden, man müſſe den zwölf-

ten Theil des Jahres (30 5/12) mit

der jedesmal vorgeſchriebenen An-

zahl von Monaten multipliciren,

und dann die dem Product zu-

nächſt liegende ganze Zahl anneh-

men. Dieſe Regel giebt für zwey

Monate 61, weshalb auch die

L. 101 de R. J. als Hauptbe-

weis angeſehen wird. Dieſe Stelle

nun wird unten (§ 185) auf an-

dere Weiſe erklärt werden; aber

ſollte wohl überhaupt angenom-

men werden dürfen, daß die Rö-

mer, die ſo wenig Neigung und

Geſchick zu künſtlichen Rechnun-

gen zeigen, hier ohne alles ſicht-

bare Bedürfniß eine ſolche ange-

wendet haben ſollten?

(k) Dahin rechne ich die oben

angeführten Friſten für die Ap-

pellation und für die Anklage we-

gen adulterium (Note b. e. f);

gleichgültig iſt auch die Beſtim-

mung über das Inventarium (No-

te g): denn da hier die Zahl der

Tage neben der Zahl der Monate

|0355 : 341|

§. 181. Zeit. 2. Regelmäßige Reduction.

Zwey Monate bey dem Verkauf einer Emphyteuſe (l).

Zwey Monate für den Beweis einer Schuld, die gegen

den Fiscus als Compenſation gelten ſoll (m).

Drey Monate bey der exceptio non numeratae dotis (n).

Vier Monate wenn ein Miteigenthümer das zerſtörte

Haus nicht aufbauen will (o).

Vier Monate bey den Urtheilszinſen (p).

Sechs Monate als Verjährung der redhibitoriſchen

Klage (q).

Zehen Monate als längſter Zeitraum legitimer Geburt

eines Kindes nach aufgelöſter Ehe (r).

Allein es giebt andere Fälle, worin Monate von Ein-

fluß ſind, und die nicht unter dieſe Regel fallen, weil in

ihnen ein ſolcher Einfluß gar nicht aus dem Römiſchen

Recht hervorgeht; und gerade dieſe Fälle ſind für die An-

wendung weit häufiger und darum wichtiger, als die eben

genannten. Dahin gehören die Prozeßfriſten, ſowohl ge-

ſetzliche als richterliche; ferner die auf Monate geſtellten

Verträge, welcher Fall beſonders in Wechſelbriefen häufig

vorkommt. Die bey den Römern herrſchende Anſicht bin-

 

geradezu ausgeſprochen wird, ſo

iſt es für die Erklärung dieſer

Stelle gleichgültig, welche Zahl

von Tagen nach einer allgemei-

neren Regel auf den Monat ge-

rechnet werden ſoll.

(l) L. 3 C. de j. emph. (1. 66.).

(m) L. 46 § 4 de j. fisci (49.

14.).

(n) Nov. 100.

(o) L. 52 § 10 pro socio (17. 2.).

(p) L. 2. 3 C. de usuris rei

jud. (7. 54.).

(q) L. 19 § 6 L. 38 pr. de

aedil. ed. (21. 1.).

(r) L. 3 § 11 de suis (38. 16.).

— Ich will jedoch die hier ver-

ſuchte Aufzählung von Fällen kei-

nesweges für vollſtändig aus-

geben.

|0356 : 342|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

det uns hier nicht, und wir haben freye Hand Das zu

thun, was an ſich das Zweckmäßige iſt, und was dann

auch als die wahrſcheinliche Meynung neuerer Geſetzgeber,

ſo wie der Richter und der Contrahenten, zu vertheidigen

ſeyn wird. Hier beſteht nun, nach unſrer Weiſe die Tage in

jedem Monat mit fortlaufenden Zahlen zu bezeichnen, das

leichteſte Verfahren darin, daß der Ablauf einer monatli-

chen Friſt ſtets an demjenigen Tage angenommen wird,

deſſen Zahl der Zahl des Anfangstages entſpricht. Wird

alſo eine Monatsfriſt am 17. Januar angeſetzt, ſo fällt

ihr Ende auf den 17. Februar, wird ſie am 17. Februar

angeſetzt, ſo fällt es auf den 17. März, ohne Rückſicht

auf die kleine Ungleichheit die nun entſteht, indem der erſte

Zeitraum in der That 31, der zweyte nur 28 Tage ent-

hält. Dieſe wenig merkliche Ungleichheit iſt ein geringeres

Übel als das mühſame Nachzählen von 30 Tagen, wel-

ches leicht zu Irrungen führt. Das hier angegebene be-

queme Verfahren hat bey den Prozeßfriſten die bedeutend-

ſten Autoritäten, ſchon vom vierzehenten Jahrhundert an,

für ſich (s), und in unſren heutigen Gerichten wird es ſich

meiſt auch durch die wirkliche Übung beſtätigt finden (t).

(s) Joan. Andreae glossa in

C. 6 de elect. in VI. (1. 6.). —

Bartolus in L. 98 de verb.

sign. — J. Gothofredus in L. 101

de reg. juris. — Mevius in De-

cis. I. 231. — Mühlenbruch I.

§ 85. — Struben Bedenken I.

47 giebt beide Rechnungsweiſen

als in verſchiedenen Gerichten

üblich an.

(t) Die Reichsgeſetze ſchwanten.

Das Conc. Ord. Cam. II. 33 § 3

rechnet in einem einzelnen Fall

den Monat zu 30 Tagen, der R.

A. 1548 § 53 zu vier Wochen. —

Auch die ältere Franzöſiſche Praxis

nahm häufig vier Wochen an

|0357 : 343|

§. 181. Zeit. 2. Regelmäßige Reduction.

Eben ſo iſt bey Verträgen, namentlich bey Wechſeln,

der Monat nach der dem Anfangstag entſprechenden Zahl

des Monatstages zu beſtimmen. Dieſes iſt ausdrücklich

anerkannt im Preußiſchen Recht (u), und eben ſo im Fran-

zöſiſchen (v).

 

Die einzige Schwierigkeit bey dieſem Verfahren tritt

ein, wenn der Anfang des Zeitraums auf einen der letz-

ten Tage eines langen Monats fällt, der Monat aber, in

welchem die Zeit abläuft, nicht ſo viele Tage zählt. Die

einfachſte Abhülfe beſteht darin, daß man den Ablauf auf

den letzten Monatstag eintreten läßt. Wird alſo z. B.

ein Wechſel auf zwey Monate a dato am 31. December

ausgeſtellt, ſo wird er fällig am 28. Februar, und der-

ſelbe Erfolg muß unverändert eintreten, wenn der Wech-

 

Merlin répertoire v. mois T. 8

p. 320. — Daß den Römern die

Zählung nach entſprechenden Mo-

natstagen (z. B. von ante V. Kal.

Jan. bis ante V. Kal. Febr.) nicht

ganz unbekannt war, zeigt L. 2

C. Th. de decur. (12. 1.) (vergl.

§ 185. I), wo der Zweifel er-

wähnt aber nicht entſchieden iſt.

Daß die 30 Tage herrſchend blie-

ben, zeigen die oben angegebenen

Stellen, auch war bey den Rö-

mern die andere Weiſe viel be-

denklicher als bey uns, weil zwar

die Kalendä, aber nicht die Nonä

und Idus, ſtets dieſelbe Stelle

im Monat einnahmen.

(u) A. L. R. II. 8 855 „Lau-

tet der Wechſel auf Monate, ſo

wird jeder Monat, ohne Rück-

ſicht auf die Zahl ſeiner Tage,

mit dem Monatstage geendigt,

an welchem die Ausſtellung ge-

ſchehen iſt.“ — Bey einer auf Mo-

nate geſtellten Verjährung ſchließt

ſich dagegen das Preußiſche Ge-

ſetz an das R. R. an, und rech-

net den Monat zu 30 Tagen.

A. L. R. I. 9 § 550.

(v) Code de commerce art.

132 „Les mois sont tels qu’ils

sont fixés par le calendrier gré-

gorien.” Ich verſtehe das ſo,

daß der monatliche Wechſel nicht

gerade 30 Tage laufen ſoll, ſon-

dern bald länger bald kürzer, je

nachdem der Kalendermonat der

Ausſtellung mehr oder weniger

Tage zählt.

|0358 : 344|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ſel am 28., 29. oder 30. December ausgeſtellt wird. Das

Preußiſche Geſetz hat dieſe natürlichſte Auskunft ausdrück-

lich anerkannt (w).

Suchen wir die bisher aufgeſtellten Regeln in einem

gemeinſamen Überblick zu vereinigen, ſo zeigt es ſich, daß

unter allen hier betrachteten Zeitabſchnitten der Tag die

größte Wichtigkeit hat, indem die übrigen immer nur auf

ihn zurück führen. Denn wenn wir irgend eine in Jah-

ren, Monaten, Wochen ausgedrückte Zeit, als Grundlage

einer Rechtsänderung, anwenden ſollen, ſo geſchieht dieſes

ſtets dadurch, daß wir, durch Auflöſung dieſer Zeiten in

Tage, einen beſtimmten Tag finden, in deſſen Umfang das

wahre Ende des beweglichen Zeitraums fällt. Dieſes

wahre Ende iſt nämlich derjenige Zeitpunkt im Lauf jenes

gefundenen Tages, welcher genau übereinſtimmt mit dem

Zeitpunkt des Ereigniſſes, von welchem der ganze Zeit-

raum ſeinen Anfang nahm. Wenn alſo bey einer Uſuca-

pion der Beſitz in einer frühen oder ſpäten Tageszeit er-

 

(w) A. L. R. II. 8 § 856 „Iſt

ein ſolcher Wechſel am letzten Tage

eines Monats ausgeſtellt, und der

Monat, worin die Zahlung ge-

ſchehen ſolle, hat weniger Tage:

ſo tritt die Verfallzeit am letzten

Tage des Zahlungsmonats ein.“

Damit wäre nun wohl vereinbar,

daß vom vorletzten Monatstag

wieder auf den vorletzten vor-

wärts gerechnet würde u. ſ. w.

Allein dieſes würde zu der un-

leidlichen Inconſequenz führen,

daß ein zweymonatlicher Wechſel

vom 30. December am 27. Februar

fällig würde, dagegen ein am 28.

December (alſo früher) ausgeſtell-

ter erſt am 28. Februar, da bey

dieſem die reine Regel anwend-

bar wäre. Dieſe Inconſequenz

wird durch das im Text angege-

bene Verfahren abgewendet.

|0359 : 345|

§. 181. Zeit. 2. Regelmäßige Reduction.

worben worden war, ſo muß auch das Ende der Uſuca-

pion in eine genau entſprechende Tageszeit fallen. Nen-

nen wir dieſes wahre Ende den mathematiſchen End-

punkt, die Zeit aber, in welcher die Rechtsänderung ein-

tritt, den juriſtiſchen Endpunkt, ſo läßt ſich das bisher

Geſagte auch ſo ausdrücken: der juriſtiſche Endpunkt muß

mit dem mathematiſchen genau zuſammen fallen.

Allein bey der Anwendung dieſer Regel zeigen ſich

Schwierigkeiten, die zwar bey den Römern größer waren

als bey uns, aber auch für uns noch ſo groß ſind, daß

wir ſie ohne Übertreibung faſt unüberſteiglich nennen können.

 

Erſtlich fehlt es an Werkzeugen, um die kleineren Zeit-

theile mit völliger Genauigkeit zu beſtimmen. Dieſer Man-

gel war überaus groß bey den Römern (§ 180. g), bey

uns iſt er zwar vermindert, aber immer noch fühlbar ge-

nug. Allerdings wird hierin bey aſtronomiſchen Beobach-

tungen Bewundernswürdiges geleiſtet, aber wie wäre es

denkbar, in den drängenden und oft geringfügigen Ge-

ſchäften des bürgerlichen Lebens eine irgend genügende

Sicherheit in die Beſtimmung von Stunden, Minuten u.

ſ. w. zu bringen? — Eine Folge dieſer augenſcheinlichen

Unmöglichkeit iſt die, daß ſelbſt bey ſorgfältiger Geſchäfts-

führung, zwar der Tag, an welchem ein Geſchäft vor-

genommen wird, genau angemerkt zu werden pflegt, da-

gegen die Tageszeit ganz unbemerkt bleibt. Da nun der

mathematiſche Endpunkt ſtets von einem entſprechen-

den Anfangspunkt abhängig iſt, ſo wird für dieſen, und

 

|0360 : 346|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

alſo auch für jenen, die Tageszeit meiſt gar nicht aus-

zumitteln ſeyn. — Dieſe Schwierigkeit wird noch ver-

mehrt durch die wechſelnde Länge der Tage und Stunden

(§ 180), welche ſelbſt neben den vollkommenſten Uhren noch

immer eine künſtliche Reduction nöthig macht. — In weit

höherem Grade aber wurde ſie bey den Römern vermehrt

durch ihre von der unſrigen ganz abweichende Einrichtung

der Stunden (§ 180) (x).

Wenn wir uns das vereinigte Gewicht dieſer Umſtände

anſchaulich machen, ſo muß es einleuchten, daß ein ge-

naues Zuſammenfallen des juriſtiſchen Endpunks mit dem

mathematiſchen zu bewirken in den meiſten Fällen kaum

möglich iſt, daß wir uns vielmehr für die wirkliche An-

wendung mit einer annäherndern Genauigkeit begnügen

müſſen. Wollten wir nun bey dieſem blos negativen Re-

ſultat ſtehen bleiben, ſo würde das nicht unbedenklich ſeyn;

denn auf der einen Seite könnte die zugegebene Ungenauig-

keit zu Übertreibung und Misbrauch verleiten, auf der an-

dern Seite aber würde der ſtets wiederkehrende Verſuch,

im einzelnen Fall jene Schwierigkeiten zu überwinden, zu

einer Verſchwendung von Kräften führen, die ganz außer

 

(x) Dieſe letzte Schwierigkeit

verſchwindet bey den in ganzen

Jahren beſtehenden Zeiträumen

(wie bey der Uſucapion), ſie fin-

det ſich aber bey den im R. R.

vorkommenden Zeiträumen von

60 oder 100 Tagen, von Drey

oder Sechs Monaten u. ſ. w., ja

ſie war hier faſt unüberſteiglich

zu nennen. Denn ſie konnte nur

beſeitigt werden durch ſo künſtli-

che Reductionstabellen, wie ſie bey

den Römern ſchwerlich hätten ent-

ſtehen, gewiß aber niemals in

allgemeine Anwendung kommen

können.

|0361 : 347|

§. 182. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung.

Verhältniß zur Erheblichkeit des Zwecks ſtehen würde. Um

dieſen Nachtheilen zu begegnen, würde die Aufgabe darin

beſtehen, das Zuſammentreffen des juriſtiſchen Endpunkts

mit dem mathematiſchen geradezu aufzugeben, zugleich aber

die zugelaſſene Abweichung in feſte und möglichſt enge

Gränzen einzuſchließen. Durch eine ſolche Einrichtung hätte

das praktiſche Bedürfniß ſeine Befriedigung gefunden, in-

dem der unbequeme Einfluß der dargeſtellten Schwierig-

keiten völlig beſeitigt ſeyn würde.

§. 182.

VI. Die Zeit. 3. Civile Zeitrechnung.

Donellus V. 19.

Rücker de civili et naturali temporis computatione

Lugd. Bat. 1749.

Koch Belehrungen über Mündigkeit zum Teſtiren ꝛc.

Gießen 1796. — Beſtätigung der Belehrungen ꝛc. 1798.

Hagemeiſter über die Mündigkeit zum Teſtiren, Civil.

Mag. B. 3 Num. 1 (1798) mit Vorerinnerung von

Hugo.

Erb über den annus civilis, Civil. Mag. B. 5 Num. 8

(1814).

Unterholzner Verjährungslehre I. § 90 (1828).

Löhr über civilis computatio, Archiv B. 11 (1828)

S. 411 — 424.

Reinfelder der annus civilis. Stuttgart 1829.

|0362 : 348|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Die am Schluß des vorigen §. aufgeſtellte Aufgabe

gieng dahin, einen juriſtiſchen Endpunkt beweglicher Zeit-

räume zu finden, der in jedem gegebenen Fall leicht und

ſicher anzuwenden wäre, und zugleich ſo wenig als mög-

lich von dem mathematiſchen Endpunkt abwiche. Für

dieſe Aufgabe giebt es zwey mögliche Auflöſungen, die je-

doch auf demſelben Grundbegriff beruhen. Man kann

nämlich den juriſtiſchen Endpunkt entweder in die dem

mathematiſchen vorhergehende, oder in die nachfolgende

Mitternacht legen; durch beide Einrichtungen wird der

Zweck gleich vollſtändig erreicht. Denn indem nun der

bewegliche Tag mit dem Kalendertag zuſammenfällt, ver-

ſchwindet das Bedürfniß einer künſtlichen Reduction, und

die Ermittlung kleinerer Zeitabſchnitte, die den Grund der

Schwierigkeit enthielt, wird überflüſſig. Zwey Kalender-

tage aber von einander zu unterſcheiden, iſt auch dem

Ungebildeten leicht, da zwiſchen beiden ſtets eine merkliche

Zeit der Finſterniß und der Geſchäftsruhe in der Mitte

liegt. Das angegebene Verfahren läßt ſich auch ſo be-

zeichnen: der Kalendertag wird behandelt, als ob er nicht

(wie er in Wahrheit iſt) ein ausgedehnter Zeitraum, ſon-

dern ein untheilbares Zeitſtück, ein Zeitelement, wäre.

Nur darf nicht vergeſſen werden, daß dieſe Auffaſſung le-

diglich ein anderer Ausdruck iſt für die Entfernung der

oben bemerkten Schwierigkeit. Viele Irrthümer ſind nur

dadurch entſtanden, daß man die aufgeſtellte Formel als

etwas Selbſtſtändiges, von dieſer Schwierigkeit und ihrer

 

|0363 : 349|

§. 182. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung.

Beſeitigung Unabhängiges, betrachtet, und dann für ſich

weiter entwickelt hat, durch welches grundloſe und will-

kührliche Verfahren große Verwirrung in dieſe Unterſu-

chung gebracht worden iſt. — Der Erfolg des angegebe-

nen Verfahrens beſteht nun darin, daß die Wirkungen des

Zeitablaufs etwas früher oder ſpäter eintreten, als es

nach der ſtrengen Anwendung der Rechtsregel (wenn dieſe

ausführbar wäre) geſchehen würde, ſo daß der vorgeſchrie-

bene Zeitraum in der That etwas erweitert oder verkürzt

wird; die Abweichung beträgt bald mehr bald weniger,

nur niemals volle 24 Stunden, ſo daß ſie alſo, wie oben

verlangt wurde, in feſte und enge Gränzen eingeſchloſſen

iſt, und beynahe als unmerklich verſchwindet. Allerdings

wird dadurch, in Vergleichung mit der ſtreng ausgeführten

Rechtsregel, Ein Theil einige Zeit gewinnen, der Andere

eben ſo viel verlieren; aber dieſer Gewinn und Verluſt

iſt keinesweges Zweck des Verfahrens, er iſt nur ein un-

vermeidliches Übel, das wir abſichtlich zulaſſen, um einem

größeren Übel zu entgehen.

Ich ſagte, die zwey angegebenen Löſungen der Aufgabe

ſeyen die einzigen überhaupt; und welche andere könnte

man noch daneben verſuchen? Man könnte etwa nicht

bey der nächſten Mitternacht ſtehen bleiben, ſondern auf

die zweyte zurück oder vorwärts gehen, um in dieſelbe

den juriſtiſchen Endpunkt zu legen. Auch dadurch wäre

die Schwierigkeit beſeitigt, aber wir würden ganz ohne

Grund über den Zweck hinaus gehen. Indem wir um

 

|0364 : 350|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

einen Kalendertag mehr von der Wahrheit abwichen, wür-

den wir uns in dem Gebiet reiner Willkühr befinden, und

wir hätten eben ſo viel Grund, um zwey, drey, oder noch

mehr Tage zurück oder vorwärts zu ſchreiten. — Endlich

könnte man noch darauf fallen, von dem mathematiſchen

Endpunkt um einen vollen beweglichen Tag zurück oder

vorwärts zu gehen, alſo, wenn etwa das mathematiſche

Ende in den Mittag eines 2. Januars fiele, anſtatt deſſen

den Mittag des 1. oder des 3. Januars als juriſtiſchen

Endpunkt zu ſetzen. Dieſer Verſuch aber erſcheint ſogleich

als völlig verwerflich, da durch ihn die Schwierigkeit,

wovon die ganze Aufgabe ausgeht, gar nicht vermindert

wird; es wäre eine völlig zweckloſe, durch Nichts ge-

rechtfertigte, Abweichung von der Wahrheit.

Da nun zwey gleich zweckmäßige Löſungen der Auf-

gabe nachgewieſen worden ſind, ſo bleibt noch die Wahl

zwiſchen beiden übrig: entweder indem wir die eine aus-

ſchließend annehmen, oder indem wir beide gelten laſſen,

je nach Verſchiedenheit der Fälle. Um hierin nicht will-

kührlich zu verfahren, haben wir ein auf dieſen Fall an-

wendbares, ſchon anderwärts bewährtes, Princip aufzu-

ſuchen. Wir haben hier zu thun mit einer partiellen Un-

beſtimmtheit, die nothwendig Einem von beiden Theilen

zu gut kommen muß; eine ſolche Unbeſtimmtheit erſcheint

auch in anderen Rechtsverhältniſſen nicht ſelten, und ſie

kommt dabey ſtets Demjenigen zu gut, von deſſen Hand-

lung (als einer zuläſſigen oder nothwendigen) zunächſt die

 

|0365 : 351|

§. 182. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung.

Rede iſt. So hat bey einer alternativen oder generiſchen

Obligation der Schuldner die Wahl, welches Individuum

oder welche Qualität er geben will (a). Umgekehrt hat

bey einer nach Zeit oder Ort ganz unbeſtimmten Obliga-

tion der Glaubiger die Wahl, wann oder wo er klagen

will, weil ſein im Allgemeinen anerkanntes Klagrecht in

dieſen Beziehungen unbeſchränkt geblieben iſt (b). — Wen-

den wir dieſes Princip auf den vorliegenden Fall an, ſo

führt es auf folgende Behandlung. Soll durch den Ab-

lauf des Zeitraums ein Recht erworben werden, wie bey

der Uſucapion, ſo iſt die vorhergehende Mitternacht als

juriſtiſcher Endpunkt anzunehmen, weil, bey der angege-

benen Unbeſtimmtheit, der Erwerber befugt iſt, in jedem

Moment des ganzen Kalendertags den Erwerb als vollen-

det anzuſehen. Soll dagegen durch den abgelaufenen Zeit-

raum ein Recht verloren werden, wie bey der Klagver-

jährung, ſo muß die nachfolgende Mitternacht angenom-

men werden, weil der Klagberechtigte, gleichfalls wegen

jener Unbeſtimmtheit, in jedem Moment des Kalendertags

(a) L. 138 § 1 de V. O. (45.

1.), L. 52 mandati (17. 1.). —

Eben ſo hat Der, welcher ſich ver-

pflichtet, innerhalb eines beſtimm-

ten Jahres zu zahlen, die Wahl

des Tages, an welchem er zahlen

will. L. 50 de O. et A. (44. 7.).

(b) L. 41 § 1 de V. O. (45. 1.),

§ 33 J. de act. (4. 6.), welche

letzte Stelle blos bey einem aus-

drücklich beſtimmten Zahlungsort

die Willkühr des Klägers be-

ſchränkt, für andere Fälle alſo

unbeſchränkt läßt. — Wollte man

bey der ganz unbeſtimmt gelaſſe-

nen Zeit den Schuldner als den

zum Handeln Berufenen betrach-

ten, alſo Ihm die Wahl der Zeit

laſſen, ſo würde das den Grund-

begriff der Obligation, als einer

Nothwendigkeit, aufheben, in-

dem dieſe illuſoriſch werden würde.

|0366 : 352|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

behaupten kann, daß er noch zu rechter Zeit klage (c). —

So iſt es in den gewöhnlichen Fällen, worin eine Rechts-

regel den Ablauf eines Zeitraums als Bedingung einer

Rechtsänderung ausdrückt; iſt dagegen die Bedingung aus-

drücklich auf die Überſchreitung des Zeitraums geſtellt,

ſo muß ſtets die nachfolgende Mitternacht angenommen

werden (auch wo vom Erwerb eines Rechts die Rede iſt),

weil, eben wegen der Untheilbarkeit des Kalendertags,

erſt am folgenden Tag die Überſchreitung des Zeitraums

behauptet werden kann (d).

Von der hier verſuchten Grundlegung der civilen Zeit-

rechnung weicht die gewöhnliche gänzlich ab. Dieſe läßt

ſich auf folgende Sätze zurück führen, worin wenigſtens

 

(c) Man könnte in beiden Fäl-

len die Regel umkehren wollen,

indem bey der Uſucapion der bis-

herige Eigenthümer ſein Recht ver-

liert, bey der Klagverjährung der

Schuldner eine Exception erwirbt.

Allein die Rückſicht auf dieſe Per-

ſonen iſt offenbar eine unterge-

ordnete, ſo daß die Rechtsregel

unmittelbar nicht an ſie gerichtet

iſt, ſondern an ihre Gegner, de-

ren Thätigkeit oder Unthätig-

keit Grund einer Rechtsänderung

ſeyn ſoll.

(d) Auf den erſten Blick möchte

man geneigt ſeyn, dieſe letzte Un-

terſcheidung als allzu ſubtil zu ver-

werfen; allein gerade hierüber ſind

die Stellen der alten Juriſten am

wenigſten zweifelhaft. L. 1 de

manumiss. (40. 1.) „non enim

majori XX. annis permitti ma-

numittere, sed minorem manu-

mittere vetari: jam autem mi-

nor non est, qui diem supre-

mum agit anni vicesimi.” (Hätte

alſo die lex von einem major ge-

ſprochen, ſo würde der folgende

Tag gefordert worden ſeyn). L. 66

de V. O. (45. 1.) „quia de mi-

nore lex loquitur.” L. 3 de j.

immun. (50. 6.). „Majores LXX.

annis a tutelis et muneribus va-

cant .. non videtur major esse

LXX. annis, qui annum agit

septuagesimum.” Vergl. L. un.

C. qui aetate (5. 68.), L. 3 C.

qui aetate (10. 49.), L. 2 pr.

de excus. (27. 1.).

|0367 : 353|

§. 182. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung.

die Meiſten übereinſtimmen, wenngleich auch mancherley

Abweichungen vorkommen. In vielen Fällen, ſagt man,

wird die Zeit auf die beſondere Weiſe berechnet, daß der

letzte Zeittheil, wenn er nur angefangen iſt, ſchon als

vollendet angeſehen wird. Dieſe anomaliſche Zeitrechnung

heißt civilis computatio, die regelmäßige naturalis. —

Über die Begränzung der Fälle, worin die eine oder die

andere Rechnung gelten ſoll, ſind die Meynungen ſo ab-

weichend, daß ſich etwas Gemeinſames hierin nicht ange-

ben läßt.

Aus dieſer Aufſtellung der Begriffe iſt es einleuchtend,

daß nur zweyerley Rechnungsarten als wirklich vorkom-

mend vorausgeſetzt werden: die, worin der juriſtiſche End-

punkt mit dem mathematiſchen zuſammen trifft, und die

worin er rückwärts gelegt, der Zeitraum ſelbſt alſo ab-

gekürzt wird. Schon hier aber, und vor der Prüfung

der über die Sache ſelbſt entſcheidenden Quellenzeugniſſe,

ſind dieſer Auffaſſung folgende Bemerkungen entgegen zu

ſtellen. Indem der Begriff der civilis computatio ſo ab-

ſtract aufgeſtellt wird (e), ſcheint ſie eben ſowohl auf das

letzte Jahr und den letzten Monat, als auf den letzten

Tag, anwendbar zu ſeyn, und in der That iſt dieſes von

Manchen behauptet worden, obgleich die Meiſten ſich doch

auf den letzten Tag beſchränken (f). Schon dadurch aber

 

(e) In dieſer abſtracten Weiſe

wird der Begriff namentlich an-

gegeben von Koch S. 21.

(f) Bey den Ehrenſtellen in

Municipien galt die Regel, daß

der Eintritt in das 25ſte Le-

bensjahr, nicht deſſen Vollen-

dung, erfordert werde. L. 8 de

IV. 23

|0368 : 354|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

verſchwindet aller feſte Boden für dieſe Anomalie, indem

die oben als einzige Veranlaſſung aufgeſtellte Schwierig-

keit in der Ermittlung der kleineren Zeittheile nun als Er-

klärungsgrund ganz wegfällt. Und in der That ſcheinen

auch die Meiſten in der ganzen Sache etwas blos Will-

kührliches zu ſehen, eine Art von Milde und Großmuth

gegen Den, welchem ein Theil der vorgeſchriebenen Zeit

erlaſſen werden ſoll. Da aber dieſe Milde augenſcheinlich

auf Koſten des Gegners ausgeübt wird, welcher dabey

eben ſo viel verliert, als der Beſchenkte gewinnt, ſo iſt

dieſer Erklärungsgrund ganz unhaltbar, ja es muß jede

Erklärung überhaupt verworfen werden, die über die Be-

trachtung der letzten Tage hinausgeht. Wollte man auch

die Wendung verſuchen, daß die Abkürzung nicht als groß-

müthige Begünſtigung Eines Theils gelten ſolle, ſondern

als Verbeſſerung eines durch frühere Rechtsregeln zu lang

beſtimmten Zeitraums, ſo wäre auch damit wenig gewon-

nen. Denn die Abkürzung um einen halben Tag, oder

auch (wie die Meiſten wollen) um anderthalb Tage, iſt

eine ſo kleinliche, daß man den Geſetzgebern oder Juriſten

wenig Ehre anthut, indem man ihnen die Abſicht einer

ſolchen Verbeſſerung zuſchreibt.

Beſondere Aufmerkſamkeit aber verdienen gleich hier die

 

muner. (50. 4.), L. 74 § 1 ad

Sc. Treb. (36. 1.). Das war eine

ganz iſolirte Regel, die mit der

Frage von der civilen Zeitrech-

nung durchaus keinen inneren Zu-

ſammenhang hatte. Es war die

Folge des Ausdrucks, deſſen ſich

gerade eine beſtimmte Lex be-

diente.

|0369 : 355|

§. 182. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung.

angewendeten Kunſtausdrücke, an welchen bisher faſt gar

kein Anſtoß genommen worden iſt. Wir haben überhaupt

nur folgende Stellen, die zur Bildung einer quellenmäßi-

gen Terminologie benutzt werden können:

L. 3 § 3 de minor. (4. 4.). „Minorem .. videndum

an .. dicimus ante horam qua natus est … ita erit

dicendum, ut a momento in momentum tempus

spectetur.”

L. 6 de usurp. (41. 3.). „In usucapionibus non a mo-

mento ad momentum, sed totum postremum diem

computamus.”

L. 134 de V. S. (50. 16.) quia annum civiliter, non

ad momenta temporum, sed ad dies numeramus.”

Die einzige beſtimmte und ziemlich gleichförmige Ter-

minologie in dieſen Stellen iſt die a momento in (ad) mo-

mentum tempus spectare (computare), oder ad momenta

temporum annum numerare, welche Rechnungsart in dem

Fall der erſten Stelle gebilligt, in den zwey folgenden

Fällen verworfen wird. Die Bedeutung dieſes Kunſtaus-

drucks kann nicht bezweifelt werden: es iſt die Zeitrech-

nung mit Beachtung der kleinſten Zeittheile, ſo daß (wie

die erſte Stelle ausdrücklich ſagt) auf die einzelne Stunde

im Tag geſehen wird; alſo das was ich das Zuſammen-

fallen des juriſtiſchen Endpunktes mit dem mathematiſchen

genannt habe. Der Gegenſatz davon heißt totum postre-

mum diem computare, oder ad dies annum numerare,

alſo die kleineren Zeittheile unbeachtet laſſen, und nur

 

23*

|0370 : 356|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

nach ganzen Tagen rechnen, als ob die Tage untheilbare Zeit-

ſtücke wären: bey welchem Ausdruck es vorläufig noch un-

beſtimmt bleibt, ob durch dieſes Verfahren der Zeitraum

verkürzt oder ausgedehnt werden ſoll. — Offenbar alſo

kommen die Ausdrücke civilis und naturalis computatio

gar nicht vor, und blos in dem Ausdruck civiliter nume-

rare liegt Etwas, das ihnen einigermaßen ähnlich ſieht,

und das unſre Schriftſteller ſehr willkührlich zu jener Ter-

minologie ausgebildet haben (g). Dieſe aber iſt wichtiger,

als ſie auf den erſten Blick ſcheint, und hat von jeher die

unbefangene Kritik ſehr zurück gedrängt. Denn aus die-

ſen beiden Theilungsgliedern ſchien von ſelbſt hervorzuge-

hen, daß es außer der Rechnung ad momenta nur noch

die einzige gebe, die man ſich einmal gewöhnt hatte als

civilis computatio anzuſehen, und die durch dieſen ver-

meyntlichen Kunſtausdruck als ein einfacher, ausſchließen-

der Begriff fixirt worden war, nämlich diejenige Rech-

nungsart, wodurch der Zeitraum verkürzt wird; ferner

(g) Der Ausdruck annus civi-

lis bey Macrob. saturn. I. 14

bezeichnet das von Cäſar neu ein-

gerichtete Kalenderjahr, und ge-

hört alſo eben ſo wenig hierher,

als der Ausdruck dies civilis

(§ 180.b). Dagegen ſteht aller-

dings civilis annus in der Über-

ſchrift von Gellius III. 2 in Be-

ziehung auf die beſondere Zeit-

rechnung, wovon hier die Rede

iſt; allein dieſe Überſchriften kön-

nen nicht als quellenmäßige Zeug-

niſſe gelten, und identiſch mit der

Terminologie unſrer juriſtiſchen

Schriftſteller iſt dieſer Ausdruck

ohnehin nicht. — Ich habe den

Ausdruck civile Zeitrech-

nung gewählt, um auf der ei-

nen Seite für die an den bisher

herrſchenden Sprachgebrauch Ge-

wöhnten verſtändlich zu bleiben,

auf der anderen Seite aber durch

Vermeidung der lateiniſchen Form

nicht mehr dem Irrthum Nah-

rung zu geben, als ob dieſe Form

in den Quellen als Kunſtausdruck

vorkäme.

|0371 : 357|

§. 182. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung.

führte der Name naturalis computatio unvermerkt dahin,

dieſe Rechnungsart als die regelmäßige anzuſehen, die

überall eintreten müſſe, wo nicht eine Ausnahme beſonders

nachgewieſen werden könne. Alle dieſe Anſichten alſo hat-

ten ſich auf die angegebene unkritiſche Weiſe vor aller

Unterſuchung feſtgeſetzt, und ſo konnte eine unbefangene

Auslegung der entſcheidenden Stellen, worauf am Ende

Alles ankommt, kaum erwartet werden.

Der hier angegebene ächte Kunſtausdruck iſt auch noch

in folgender Beziehung von Wichtigkeit. Offenbar wird

hier der Ausdruck non a momento völlig gleichbedeutend

gebraucht mit civiliter. Dieſes aber deutet darauf hin,

daß der Begriff des civiliter durch die bloße Negation

der Momentenrechnung erſchoͤpft wird. Schon daraus

folgt aber, daß die civile Berechnung nur auf die nächſt-

liegende Mitternacht führen kann, nicht auf eine entfern-

tere, weil die Annahme dieſer letzteren über die Negation

des momentum weit hinaus gehen würde.

 

Dieſe Betrachtungen können über die hier vorkommen-

den Fragen nicht entſcheiden, ſondern nur die Entſcheidung

vorbereiten, welche ſelbſt aus einer ſorgfältigen Betrach-

tung der dieſen Gegenſtand betreffenden Stellen des Rö-

miſchen Rechts hervorgehen muß. Damit aber deren Aus-

legung eine kritiſche Grundlage erhalte, muß noch die Er-

örterung von zwey weſentlichen Vorfragen unternommen

werden. In mehreren, und gerade den wichtigſten Stellen

 

|0372 : 358|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

werden wir verwieſen bald auf den letzten Tag eines

Zeitraums, bald auf Tage die durch Ordinalzahlen be-

zeichnet werden; dabey entſtehen nun folgende Fragen:

Erſtlich, welcherley Tage ſind in ſolchen Stellen gemeynt,

bewegliche oder Kalendertage? Zweytens, wie iſt in den-

jenigen Stellen, worin Ordinalzahlen vorkommen, die Zäh-

lung zu verſtehen?

Was nun die erſte Frage betrifft, die ſowohl bey dem

(in mehreren Stellen erwähuten) letzten Tag, als bey

den (in anderen Stellen) mit Zahlen bezeichneten Ta-

gen, vorkommt, ſo könnten an ſich unter dem Ausdruck

dies eben ſo wohl bewegliche als Kalendertage verſtanden

ſeyn. So bey der Erwähnung des letzten Tages (h). Fiele

alſo z. B. der mathematiſche Endpunkt in den Mittag eines

2. Januars, ſo wäre postremus dies die Zeit vom Mittag

des 1. bis zum Mittag des 2. Januars. Daß nun aber

dieſe Zeit nicht gemeynt iſt, folgt unwiderſprechlich aus

einigen der angeführten Stellen, worin geradezu eine Mit-

ternacht (und zwar die vorhergehende) als Anfangspunkt

des letzten Tages angegeben wird, welches den Gedanken

an den beweglichen Tag ausſchließt (i). Daſſelbe ſind wir

 

(h) Die Stellen, worin der

letzte Tag vorkommt, ſind über-

haupt folgende: supremus dies.

L. 1 de manumiss. (40. 1.). —

postremus. L. 6 de usurp. (41.

3). — novissimus. L. 15 pr. de

div. temp. praescr. (44. 3.) und

L. 6 de O. et A. (44. 7.). — ex-

tremus. L. 132 pr. de V. S.

(50. 16.).

(i) Dieſes gilt von den drey

erſten der in der vorigen Note

angeführten Stellen; die erſte

(L. 1 de manum.) erwähnt ſelbſt

unmittelbar vorher die Mitter-

nacht, für die zwey folgenden iſt

|0373 : 359|

§. 182. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung.

berechtigt auf die übrigen, in dieſer Hinſicht weniger be-

ſtimmten Stellen zu übertragen. Auch wird dieſe Ausle-

gung für alle Stellen durch die innere Wahrſcheinlichkeit

beſtätigt. Denn auf dieſem Wege allein iſt der oben dar-

geſtellten praktiſchen Schwierigkeit zu begegnen, die der

einzige begreifliche Grund iſt, den Ablauf eines Zeitraums

durch poſitives Recht zu modificiren. Auch ſind ja alle

ſolche Stellen Anweiſungen für unſer Verfahren; es iſt

aber gewiß natürlicher anzunehmen, daß wir für die Beur-

theilung einzelner Fälle auf die Beachtung von Kalender-

tagen verwieſen werden, welche Gegenſtände unmittelbarer,

ſinnlicher Wahrnehmung ſind, als von beweglichen Tagen,

die erſt künſtlich und durch ſchwierige Beweiſe unterſucht

und begränzt werden müſſen. Iſt nun alſo der postremus

dies ein Kalendertag, ſo kann es kein anderer ſeyn als

der, in welchen der mathematiſche Endpunkt fällt, welcher

alſo nur noch theilweiſe dem vorgeſchriebenen Zeitraum

angehört, indem er theils vor theils hinter dem mathema-

tiſchen Endpunkt liegt. Dieſe Erklärung des extremus

dies wird nun noch ſehr unterſtützt durch die ganz ähn-

liche Bedeutung, worin bei einer andern Rechtslehre der

extremus annus vorkommt. Bey der Dos iſt es Regel,

daß die in der Ehe entſtandenen Früchte dem Mann ge-

hören, die ſpäteren der Frau oder ihren Erben. Zur An-

wendung dieſer Regel auf Feldfrüchte werden, von dem

es durch die Vergleichung mit

L. 7 de ursurp. (41. 3.) unzwei-

felhaft. (Die Stellen ſelbſt ſind

im § 183 abgedruckt).

|0374 : 360|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Anfangstag der Ehe an, Ehejahre gerechnet; wird dieſe

Rechnung weit genug fortgeſetzt, ſo kommt man zuletzt auf

ein ſolches Jahr, in deſſen Lauf die Trennung eintrat,

dieſes Jahr heißt extremus oder novissimus annus, und

deſſen Fruchtertrag ſoll unter dem Mann und der Frau

nach Verhältniß der Zeit getheilt werden (k). Wie nun

hier extremus annus das nur noch theilweiſe der Ehe ange-

hörende Jahr heißt, in deſſen Umfang die Trennung der Ehe

liegt, ſo heißt in unſrer Lehre extremus dies der Kalender-

tag, der nur noch theilweiſe dem vorgeſchriebenen, bis zu

ſeinem mathematiſchen Endpunkte (ad momentum) fortge-

führten Zeitraum angehört.

Daſſelbe nun, was hier für den letzten Tag ausgeführt

worden iſt, muß auch für die mit Zahlen bezeichneten Tage

gelten, ſo daß auch ſie als Kalendertage, nicht als beweg-

liche, zu verſtehen ſind (l). Dafür ſpricht theils die Ana-

logie der Stellen vom postremus dies (m), theils die eben

nachgewieſene innere Wahrſcheinlichkeit, die hier wie dort

 

(k) L. 31 de pactis dot. (23.4.),

L. un. § 9 C. de r. u. a. (5. 13);

anderwärts heißt es der annus

quo divortium factum est. L. 5

L. 7 § 3 L. 11 sol. matr. (24. 3.),

Paulus. II. 22 § 1.

(l) Dahin gehören folgende

Stellen: L. 30 § 1 ad L. J. de

adult. (48. 5.) sexagesimus. —

L. 101 de R. J. (50. 17.) sexa-

gesimo et primo. — L. 1 § 8. 9.

de succ. ed. (38. 9.) und L. 2

§ 4 quis ordo (38. 15.) cen-

tesimus. — L. 134 de V. S.

(50. 16.) trecentesimo sexage-

simo quinto.

(m) Dieſe Analogie iſt nicht

blos im Allgemeinen einleuchtend,

ſondern in einem der angeführ-

ten Fälle unabweisbar. Denn

derſelbe Tag, welcher in L. 132

de V. S. extremus genannt wird,

heißt in L. 134 de V. S. trecen-

tesimus sexagesimus quintus,

und beide Stellen haben ſogar

denſelben Verfaſſer.

|0375 : 361|

§. 182. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung.

gleiches Gewicht hat; noch weit entſcheidender aber der

Umſtand, daß in einer der Stellen, worin gezählte Tage

vorkommen, zugleich die Rechnung ad momenta ausdrück-

lich abgewieſen, und die nach Kalendertagen anerkannt

wird (n). Und ſo können wir alſo ſchon hier, in dieſer

allgemeinen Vorbetrachtung, mit Beſtimmtheit behaupten:

überall, wo von der genauen mathematiſchen Wahrheit

eines Zeitraums abgewichen wird, iſt ſtets eine Mitternacht,

alſo die Gränze eines Kalendertags, als juriſtiſcher End-

punkt anzuſehen (o).

Ganz verſchieden von der bisher abgehandelten Frage

iſt die andere, wie in den Stellen, die den Ablauf eines

Zeitraums nach Zahlen beſtimmen (Note l), die Zählung

verſtanden werden ſoll (p). Es giebt nämlich eine zwey-

fache Art, wie Ordinalzahlen überhaupt, und beſonders

bey Zeiträumen, von den Römern angewendet werden, in-

dem dasjenige Stück (z. B. der Tag), von welchem die

 

(n) L. 134 de V. S. (50. 16.),

vgl. unten § 184. — Da in die-

ſer Stelle die Momentenrechnung

ausdrücklich abgewieſen wird, ſo

kann das incipiente die unmög-

lich anders als von dem Anbruch

eines Kalendertags verſtanden

werden, woraus aber unmittelbar

folgt, daß auch der durch die Zahl

bezeichnete Tag ein Kalendertag

ſeyn muß.

(o) Die Stellen, welche auf

Mitternacht verweiſen, ſind über-

haupt folgende: Gellius. III. 2,

L. 7 de usurp. (41. 3), L. 1 de

manumiss. (40. 1.), L. 5 qui test.

(28. 1.). — Alle dieſe Stellen übri-

gens, die hier nur unter beſon-

deren Geſichtspunkten zuſammen

geſtellt worden ſind, werden an

ihrem Ort nochmals und ausführ-

licher erwogen werden.

(p) Über dieſe ſchwierige Frage

werden hier nur kurz die Reſul-

tate angegeben; die Unterſuchung

ſelbſt, die den Zuſammenhang an

dieſer Stelle zu ſehr unterbrochen

haben würde, findet ſich in der

Beylage XI.

|0376 : 362|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Zählung ausgeht, bald mitgezählt wird, bald auch nicht.

Da nun hierin erweislich der Sprachgebrauch der Römer

ſchwankend iſt, ſo ſind wir berechtigt, in jeder Stelle,

worin eine ſolche Zählung vorkommt, denjenigen Sprach-

gebrauch anzuwenden, wodurch ſie den durch andere Gründe

gerechtfertigten Regeln accommodirt wird; alle dieſe Stel-

len alſo ſind als neutrales Gebiet zu betrachten, und mit

keiner derſelben für ſich kann der Beweis für irgend eine

Anſicht geführt werden. Insbeſondere dürfen wir dieſe

Zweydeutigkeit des Sprachgebrauchs zu dem Zweck gel-

tend machen, um ſcheinbare. Widerſprüche zwiſchen Stellen

der alten Juriſten aufzulöſen.

Bevor ich zur Unterſuchung der einzelnen Fälle über-

gehe, worin die civile Zeitrechnung vorkommt, will ich

noch folgende Betrachtung vorausſchicken. Es iſt nicht

durchaus nothwendig, daß die Römer bey der Behandlung

dieſes Gegenſtandes verſtändig zu Werk gegangen ſind;

ihr Verfahren kann gedankenlos, willkührlich, voll von Wi-

derſprüchen geweſen ſeyn, ſie können ſich in eine unnütze

Speculation über einen Gegenſtand des täglichen Lebens,

des praktiſchen Bedürfniſſes, verwickelt haben: das Alles

iſt möglich. Wenn es uns aber gelingt, ihre Ausſprüche

ſo auszulegen, daß dieſe Vorwürfe von ihnen entfernt wer-

den, daß Zuſammenhang, Einfachheit, Zweckmäßigkeit in

ihrem Verfahren erſcheint, ſo iſt dieſes Ergebniß nicht nur

an ſich wünſchenswerth, ſondern auch dem Geiſt ent-

 

|0377 : 363|

§. 182. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung.

ſprechend, den wir in ihrer Behandlung ſo vieler anderen

Rechtslehren wahrnehmen.

Ich will noch die Überſicht der folgenden einzelnen Un-

terſuchungen dadurch zu erleichtern ſuchen, daß ich die Re-

ſultate derſelben gleich hier in wenigen Worten zuſammen

ſtelle. Es ergiebt ſich, wie ich glaube, daß faſt überall

der juriſtiſche Endpunkt eines Zeitraums von dem mathe-

matiſchen getrennt worden iſt; man hat denſelben bald in

die vorhergehende, bald in die nachfolgende Mitternacht

gelegt, ganz nach den Gründen, die oben durch allgemeine

Betrachtung für eine ſolche verſchiedene Behandlung dar-

gelegt worden ſind. In einem einzigen Fall iſt der mathe-

matiſche Endpunkt (das momentum temporis) zugleich als

juriſtiſcher beybehalten worden, bey der Minderjährigkeit

als Bedingung der Reſtitution.

 

Von dieſer Lehre nun weicht die bisher von unſren

Schriftſtellern aufgeſtellte mehr oder weniger ab. Etwas

Gleichförmiges läßt ſich hier nicht angeben, doch ſtimmen

die Meiſten in folgenden Punkten überein. Sie gehen bey

der civilen Zeitrechnung großentheils nicht blos auf die

nächſte Mitternacht vor dem mathematiſchen Endpunkt zu-

rück, ſondern auf die zweyte. In anderen Fällen, worin

ich die nachfolgende Mitternacht als Endpunkt annehme,

ſetzen ſie an deren Stelle den mathematiſchen Endpunkt

ſelbſt, ſo daß ſie der Rechnung ad momenta eine weit

größere Ausdehnung geben, als von mir geſchieht. Dage-

gen iſt mir kein Schriftſteller bekannt, der den juriſtiſchen

 

|0378 : 364|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Endpunkt um volle 24 Stunden vor den mathematiſchen

legte, obgleich dieſes Verfahren nach den von Vielen aus-

geſprochnen allgemeinen Begriffen und Grundſätzen aller-

dings conſequent wäre (q).

§. 183.

VI. Die Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung).

Unter den einzelnen Fällen treten zuerſt ſolche hervor,

in welchen durch Zeitlauf ein Recht erworben wird.

 

A. Uſucapion.

Dasjenige Rechtsverhältniß, bey welchem wir die reich-

haltigſten Nachrichten über die Zeitberechnung haben, iſt

die Uſucapion. Wir beſitzen darüber eine, von ſpäte-

ren Schriftſtellern aufbewahrte, Stelle des alten Q. Mucius

Scävola, eine von Venulejus, zwey von Ulpian.

 

Die Stelle des Scävola iſt erhalten bey Gellius (III. 2)

und bey Macrobius (Saturn. I. 3). Der letzte hat ſie

wahrſcheinlich nur aus dem erſten genommen, ſo daß er

blos zur Berichtigung des Textes von Gellius benutzt wer-

den kann. Sie lautet nun bey Gellius in berichtigtem

Text (a) alſo.

 

(q) Koch S. 26. 91 hat die

eigenthümliche Anſicht, die wahre

civilis computatio müſſe eigent-

lich um 24 Stunden vor dem ma-

thematiſchen Endpunkt zurückge-

hen; er fügt aber hinzu, die Rö-

miſchen Juriſten hätten dieſe nie

anerkannt, ſondern irrigerweiſe

zuerſt die auf dieſen (eigentlich

richtigen) Endpunkt folgende Mit-

ternacht, dann die vorhergehende,

angenommen. Dieſe letzte An-

nahme ſey das neueſte, allein gel-

tende Recht.

(a) Ich will hier nicht durch

ſolche kritiſche Zweifel zerſtreuen,

die bey dieſer Stelle auf die hier

vorliegende Frage gar keinen Ein-

|0379 : 365|

§. 183. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

Q. quoque Mucium Ic. dicere solitum legi, Lege non

isse usurpatum mulierem, quae Kalendis Januariis apud

virum causa matrimonii esse coepisset, et ante diem

quartum Kalendas Januarias sequentes usurpatum isset.

Non enim posse impleri trinoctium, quod abesse a viro

usurpandi causa ex XII tabulis deberet: quoniam ter-

tiae noctis posteriores sex horae alterius anni essent,

qui inciperet ex Kalendis.

 

Nach den Zwölf Tafeln ſollte durch jede gewöhnliche

Ehe, wenn ſie Ein Jahr lang ununterbrochen fortdauerte,

die Frau in die manus des Mannes kommen, und dieſes

wird ausdrücklich auf den Grundſatz der einjährigen Uſu-

capion beweglicher Sachen zurück geführt. Eine Unter-

brechung dieſer Uſucapion ſollte nur dann angenommen

werden, wenn die Frau wenigſtens drey vollſtändige Nächte

jedes Jahres außer dem Hauſe des Mannes zubrächte (b).

Scävola nun beurtheilt einen Rechtsfall, der durch fol-

gende Tafel anſchaulich werden wird:

 

28. Dec.          29. Dec.          30. Dec.          31. Dec.          1. Jan.

V. Kal.

Jan.      IV. Kal.

Jan.      III. Kal.

Jan.      pridie Kal.

Jan.      Kal. Jan.

Die Frau war an einem 1 Januar in die Ehe getreten

und am 29 December (c) deſſelben Jahres aus dem Hauſe

 

fluß haben. Das Material findet

ſich theils in den Noten zu Gel-

lius, theils bey Erb S. 213 fg.

(b) Gajus I. § 111, wo es ins-

beſondere heißt: „velut annua

possessione usucapiebatur.”

(c) Allerdings hatte Scävola

das ältere Jahr von 355 Tagen,

und einen December von 29 Ta-

gen (Macrob. Sat. I. 13. 14.)

|0380 : 366|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

gegangen, in der Meynung, dadurch das trinoctium zu

beobachten, und die Entſtehung der manus zu verhindern.

Darin aber irrt ſie, ſagt Scävola, denn das Uſucapions-

jahr iſt ſchon vollendet mit der Mitternacht, womit der

nachfolgende 1. Januar anfängt, alſo gehört die zweite

Hälfte der dritten Nacht nicht mehr dem erſten Jahr der

Ehe an, ſo daß ſie nur drittehalb Nächte deſſelben abwe-

ſend war, welches nach dem Geſetz nicht hinreicht. Sie

hätte alſo (will Scävola ſagen) ſchon den 28. December

ausziehen müſſen, um ihren Zweck zu erreichen.

Dieſe Stelle nun iſt die einzige, unter allen die wir

beſitzen, welche durchaus unzweydeutig iſt, alſo keinem

ſcheinbaren (d) Zweifel Raum läßt. Sie ſagt ganz klar,

 

vor Augen, ſo daß für ihn der

d. IV. Kal. Jan. nicht, wie bey

uns, der 29., ſondern der 27. De-

cember war. Das macht aber

hierin keinen Unterſchied, denn

die Stellung des von ihm bezeich-

neten Tages gegen die folgenden

Kalendae bleibt bey dieſer Ver-

ſchiedenheit unverändert, ſo daß

ſein Ausſpruch für den Juliani-

ſchen Kalender, ſowohl im Sinn

als im Ausdruck, ganz derſelbe

ſeyn mußte, wie unter der Herr-

ſchaft des früheren Kalenders.

(d) Zwar meynt Reinfelder

S. 170, der Ausdruck ante diem

IV. könne auch wohl eine dem

d. IV. (29. Dec.) vorherge-

hende Zeit, nicht dieſen Tag

ſelbſt, bezeichnen; allein dieſe Ein-

wendung iſt völlig unhaltbar. Denn

theils iſt die Römiſche Bedeutung

des ante diem IV. für ipso

die IV. völlig zweifellos (§ 180. e),

theils würde Reinfelder Nichts

gewinnen, wenn man auch an-

nehmen wollte, das ante ſey hier

nicht in dem eigenthümlich Rö-

miſchen Sinn, ſondern nach der

allgemeinen Wortbedeutung ge-

braucht. Denn nun würde Scä-

vola ſagen, es helfe der Frau

Nichts, wenn ſie in irgend

einer Zeit vor dem 29. Dec.

ausziehe, welches doch widerſinnig

wäre; zu Reinfelders Meynung

würde es nur paſſen, wenn Scä-

vola das Ausziehen gerade am

nächſtvorhergehenden Tage (alſo

am 28. Dec.) für ungenügend er-

|0381 : 367|

§. 183. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

daß das Ende der Uſucapion nicht mit dem mathemati-

ſchen Endpunkt (ad momenta) eintritt, welches irgend ein

Zeitpunkt im Lauf des 1. Januars ſeyn würde, ſondern

genau in der unmittelbar vorhergehenden Mitternacht: alſo

weder in der nachfolgenden Mitternacht, noch in der vor-

letzten Mitternacht, durch welche die Uſucapion mit dem

Schluß des 30. Decembers ablaufen würde. Es wird alſo

hier ganz unzweydeutig diejenige Bedeutung der civilen

Zeitrechnung anerkannt, welche oben (§ 182) nach allgemei-

ner Betrachtung für alle Fälle dargelegt worden iſt, worin

der Ablauf eines Zeitraums die Rechtserwerbung an fort-

geſetzte Thätigkeit knüpft; gerade dieſe Rechtsänderung aber

iſt es, die bey jeder Uſucapion eintritt, indem der fortge-

ſetzte Beſitz dem Beſitzer das Eigenthum (hier die ma-

nus) giebt.

L. 15 pr. de div. temp. praescr. (44. 3.). (Venulejus

lib. V. Interd.) In usucapione ita servatur, ut, etiamsi

minimo momento novissimi diei possessa sit res, ni-

hilominus repleatur usucapio, nec totus dies exigitur

ad explendum constitutum tempus.

Novissimus dies heißt derjenige Kalendertag, in welchen

der mathematiſche Endpunkt der Uſucapion fällt (§ 182);

alſo, bey einer am 1. Januar angefangenen Uſucapion,

irgend ein künftiger 1. Januar, je nach der kürzeren

 

klärte, dieſen Sinn aber kann doch das ante auf keine Weiſe

ausdrücken.

|0382 : 368|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

oder längeren Dauer der Uſucapion. Daher will Venule-

jus ſagen: die Uſucapion gilt als vollendet gleich im er-

ſten Anfang des letzten Kalendertages, nicht erſt am Ende

deſſelben. Dieſe Negation geht alſo auf die nachfolgende

Mitternacht, an die man etwa denken könnte, nicht auf

das momentum (den mathematiſchen Endpunkt), das hier

gar nicht erwähnt wird, aber durch den erſten affirmati-

ven Satz völlig und unzweifelhaft ausgeſchloſſen iſt.

L. 6 de usurp. (41. 3.). Ulp. lib. XI. ad. Ed.

L. 7 de usurp. (41. 3.). Ulp. lib. XXVII. ad Sab. In

usucapionibus non a momento ad momentum, sed

totum postremum diem computamus. — Ideoque qui

hora sexta diei Kalendarum Januariarum possidere

coepit, hora sexta noctis pridie Kalendas Januarias

implet usucapionem.

Es iſt zuvörderſt zu bemerken, daß das erſte dieſer

Fragmente zur Edictsmaſſe, das zweyte zur Sabinusmaſſe

gehört, und daß das zweyte nach der allgemeinen Verthei-

lung der Maſſen gar nicht an dieſer Stelle ſtehen ſollte,

ſondern, offenbar ſeines Inhalts wegen, ausnahmsweiſe

dahin geſetzt worden iſt (e). Daraus, ſo wie aus dem

verbindenden Ideoque, folgt daß beide Stellen in einem

inneren Zuſammenhang ſtehen, und gerade ſo anzuſehen

 

(e) Bluhme über die Ord-

nung der Fragmente in den Pan-

decten, Zeitſchrift für geſchichtl.

Rechtswiſſ. B. 3 S. 465 mit der

dazu gehörenden dritten Tabelle.

|0383 : 369|

§. 183. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

ſind, als ob es zuſammenhängende Sätze einer und derſel-

ben Stelle wären.

Die erſte Stelle nun ſagt: Bei der Uſucapion rechnen

wir nicht mit Beachtung der (in den letzten Kalendertag

fallenden) kleineren Zeittheile, ſondern wir nehmen den letz-

ten Kalendertag als ein (untheilbares) Ganzes, welches

daher in jedem ſeiner wirklichen einzelnen Theile ſchon als

vollendet gelten muß (f).

 

Wer alſo (fährt die zweyte Stelle fort) in der ſechſten

Tagesſtunde eines 1. Januars zu beſitzen anfängt, vollendet

(in einem folgenden Jahr) die Uſucapion in einer dem

31. December angehörenden ſechſten Nachtſtunde.

 

Die hora sexta noctis iſt die der Mitternacht unmittel-

bar vorhergehende Stunde (g). Hier muß nun offenbar im

Sinn Ulpians hinzugedacht werden: completa oder exacta,

ſo daß die Uſucapion zu Ende geht nicht etwa am Anfang,

oder in der Mitte, ſondern genau am Schluß der erwähn-

ten Stunde (h). Es iſt alſo nur eine umſchreibende Be-

 

(f) Mit dieſer Erklärung des

totum postremum diem ſtimmen

überein Donellus § 2, Rücker

p. 20, Unterholzner S. 303.

— Erb S. 199 (der außerdem

die von der Uſucapion handelnden

Stellen richtig anſieht) erklärt das

totum postremum ſo: den letz-

ten Tag, der noch als ein gan-

zer in die Uſucapionszeit fällt,

alſo den 31. Dec.; deſſen Ablauf

ſey hier bezeichnet. Das Reſul-

tat iſt bey ihm daſſelbe wie das

meinige, aber ſeine Worterklärung

iſt gezwungen und verwerflich.

(g) Es iſt die Stunde, die an

den Äquinoctien genau unſrer

Mitternachtsſtunde (von 11 — 12

Uhr) entſpricht. In der Neujahrs-

nacht hat dieſe hora sexta der

Römer eine merklich größere Aus-

dehnung, ſo wie die folgende hora

sexta diei eine merklich kleinere.

(h) In demſelben Sinn ſagt

Gellius III. 2 „diem .. civi-

lem .. a sexta noctis hora oriri,”

IV. 24

|0384 : 370|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

zeichnung derjenigen Mitternacht, die den 31. December vom

1. Januar ſcheidet, und da zur Bezeichnung dieſer Mitter-

nacht die derſelben vorhergehende, durch ſie begränzte,

Stunde gebraucht iſt, ſo mußte wohl geſagt werden pridie,

indem dieſe Stunde, als ein ausgedehntes Zeitſtück, ganz

dem 31. December angehört (i). Ulpian will alſo ſagen:

die Uſucapion iſt zu Ende mit derjenigen Mitternacht,

durch welche die letzte Stunde des 31. Decembers (und ſo-

mit dieſer 31. December ſelbſt) geendigt wird. Er hätte

eben ſo gut ſagen können: ſie iſt zu Ende im erſten Augen-

blick des 1. Januars — und durch dieſe Art des Ausdrucks

würde er auch wörtlich mit Vennlejus übereingeſtimmt

haben. Der Gedanke beider Juriſten iſt voͤllig derſelbe.

Nach der hier gegebenen Erklärung ſtehen alle einzelne

Stellen über die Berechnung der Uſucapionszeit in voll-

 

wo auch completa hinzugedacht

werden muß. Vgl. Donellus

§ 3. Unterholzner S. 303.

(i) Man könnte unmittelbar

verbinden wollen noctis pridie

Kal., ſo daß ſchlechthin als nox

pridie Kal. diejenige Nacht, die

halb dem 31. Dec., halb dem 1. Jan.

angehört, bezeichnet würde, indem

ſie in dem 31. Dec. ihren Anfang

nimmt; etwa ſo wie wir das

Winterſemeſter 1839 dasjenige

Semeſter nennen, welches 1839

anfängt und 1840 endigt. Für

dieſe Bezeichnung ſpricht der Um-

ſtand, daß ganz gewöhnlich das

Geſchäft oder die Geſelligkeit eines

Tages bis weit in die Nacht fort-

geſetzt wird, ſo daß alſo die Nacht

als Fortſetzung und Theil des

vorhergehenden Tages betrachtet

werden kann. — Allein es iſt nicht

nöthig, zu dieſer Behauptung Zu-

flucht zu nehmen, da wenigſtens

die hora sexta noctis ganz und

unzweifelhaft dem pridie ange-

hört, wenn darauf die Kalendae

folgen. Noch anſchaulicher wird

Dieſes durch folgende Paraphraſe

der Stelle des Ulpian: „Die Uſu-

capion iſt vollendet mit dem Ab-

lauf der dem 31. December ange-

hörenden Nachtſtunde von 11 —

12 Uhr.”

|0385 : 371|

§. 183. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

kommner Üebereinſtimmung. Sie iſt auch nicht neu, ſon-

dern mehrere Schriftſteller haben ſie bereits auf befriedi-

gende Weiſe vorgetragen (k). Abweichend davon nehmen

Andere an, der Inhalt dieſer Stellen ſey verſchieden. So

ſagt Koch, der die Stelle des Scävola nicht kennt, die

aͤlteren Juriſten, wozu er den Venulejus rechnet, wären

auf die nächſtvorhergehende Mitternacht zurückgegangen,

Marcian und Ulpian noch um 24 Stunden weiter zurück,

Beides eigentlich irrig; aber dieſe letzte Meynung, ſey als

die geltende zu betrachten, weil ſie die neueſte ſey (l). Dieſe

Grundanſicht von einer fortſchreitenden Entwicklung der

ganzen Lehre iſt nachher in folgender Weiſe weiter aus-

gebildet worden. Das praktiſche Bedürfniß ſey allerdings

völlig befriedigt, wenn man nur bis auf die nächſte Mit-

ternacht zurück gehe, führe alſo nicht weiter. Die feinere

Wiſſenſchaft aber ſey mit tieferem Gedanken in die Sache

eingedrungen, und dadurch um volle 24 Stunden weiter

zurück geführt worden. Denn wenn man den Grundge-

danken der Behandlung des Kalendertages als eines un-

theilbaren Zeitelements conſequent durchführe, ſo müſſe

man annehmen, der im Lauf des 1. Januars erworbene

Beſitz ſey ſchon mit deſſen Anfang erworben. Dann fange

die Uſucapion an mit dem Anbruch des 1. Januars, und

ihr letzter Tag ſey der 31. December. Da aber dieſer

gleichfalls untheilbar ſey, folglich alle in denſelben fallende

(k) So Erb S. 191 fg. S. 213

fg. und Unterholzner S. 301 fg.

(l) Koch S. 78—94, vgl. oben

§ 182. q.

24*

|0386 : 372|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Zeitpunkte einander gleich ſtänden, ſo werde die Uſucapion

geendigt mit dem Anbruch des 31. Decembers, und dieſer

ſey der postremus oder novissimus dies. Scävola’s Be-

rechnung des trinoctium ſey keine Widerlegung, denn erſt-

lich könne er das ante diem anders verſtanden haben, als

man es gewöhnlich nehme, und zweytens ſey er noch nicht

von dem erwähnten tiefen Gedanken feinerer Wiſſenſchaft

durchdrungen geweſen (m). — Der Fehler dieſer Anſicht

iſt ſchon oben (§ 182) angedeutet worden. Es wird hier

ganz ohne Grund dasjenige, was bloße Aushülfe für ein

rein praktiſches Bedürfniß iſt, in einen tiefen wiſſenſchaftli-

chen Gedanken verwandelt, aus dieſem dann weiter gefol-

gert, und das daraus hervorgehende Reſultat den Römiſchen

Juriſten untergeſchoben. Dieſe ſind weit entfernt, die

künſtliche Behandlung des Kalendertages auch auf den

Anfang eines juriſtiſchen Zeitraums anzuwenden, wo ſie

nicht nöthig iſt; ſie erwähnen ſie nur bey dem novissimus

dies. Wäre nicht mit der Berechnung ad momenta eine

ſehr läſtige Schwierigkeit der Ausführung verbunden, ſo

würden ſie nie daran gedacht haben, ſie zu verlaſſen; eben

deshalb aber konnte es ihnen auch nicht einfallen, ſich

weiter von ihr zu entfernen, als für die Entfernung jener

Schwierigkeit durchaus nöthig war.

(m) Reinfelder S. 11 — 16

S. 166 — 170. — In dieſer Ab-

weiſung des Scävola, als eines

älteren Juriſten dem kein Gewicht

beyzulegen ſey, ſtimmt mit ihm

überein Löhr, Archiv B. 11

S. 422. 423.

|0387 : 373|

§. 183. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

B. Manumiſſionsfähigkeit.

L. 1 de manumiss. (40. 1.). (Ulpian. lib. VI. ad Sab.).

Placuit eum, qui Kalendis Januariis natus, post (ho-

ram) sextam noctis pridie Kalendas quasi annum

vicesimum compleverit, posse manumittere: non enim

majori XX. annis permitti manumittere, sed mino-

rem manumittere vetari: jam autem minor non est,

qui diem supremum agit anni vicesimi.

Die Lex Aelia Sentia hatte Jedem, der noch nicht

Zwanzig Jahre alt war, die uneingeſchränkte Freylaſſung

ſeiner Sklaven unterſagt; es fragte ſich nun, mit welchem

Tage dieſes Verbot aufhöre. Von der Beantwortung die-

ſer Frage konnte die Gültigkeit einer wirklich vorgenom-

menen Freylaſſung, folglich die Freyheit und das Bürger-

recht eines Menſchen, abhängen. Ulpians Ausſpruch läßt

ſich ſo wieder geben:

Es iſt anerkannt worden, daß der an einem erſten Ja-

nuar Geborene gleich nach Ablauf der dem 31. Decem-

ber angehörenden ſechſten Nachtſtunde gültig freylaſſen

kann, wie wenn er in dieſer Zeit das zwanzigſte Jahr

ſchon vollendet hätte: denn das Geſetz fordert nicht, daß

der, welcher frey laſſen will, älter als zwanzig Jahre,

ſondern nur daß er nicht jünger ſey (n): jünger aber

als zwanzig Jahre kann Derjenige nicht genannt wer-

 

 

(n) Dieſer Theil der Stelle wird noch wörtlich beſtätigt durch

L. 66 de V. O. (45. 1.).

|0388 : 374|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

den, der ſchon in dem letzten zu ſeinem zwanzigſten Jahr

gehörenden Kalendertag ſteht.

Ulpian will alſo eigentlich ſagen: er kann manumitti-

ren an ſeinem Geburtstage ſelbſt, und zwar gleich nach

deſſen Anbruch, das heißt nachdem die Mitternacht vor-

über iſt, die ihm vorhergeht. Er beſtimmt alſo für die

Manumiſſionsfähigkeit genau daſſelbe, welches oben für

den Ablauf der Uſucapion nachgewieſen worden iſt. Zur

Rechtfertigung dieſer Erklärung mögen folgende Bemer-

kungen dienen. Die Bedeutung der hora sexta noctis pri-

die Kal. Jan. iſt ſchon oben bey L. 7 de usurp. nachge-

wieſen worden. Der Unterſchied beider Stellen liegt nur

darin, daß L. 7 ſagt: hora sexta, und hinzu denkt exacta,

anſtatt daß es in unſrer L. 1 heißt: post sextam. Dieſer

Unterſchied iſt auch nicht ganz zufällig und bedeutungslos.

Denn von der Uſucapion kann man ſagen, daß genau der

Augenblick der Mitternacht ſie vollendet, und das Eigen-

thum giebt. Die Manumiſſion aber, als eine Handlung,

erfordert eine gewiſſe Zeit, und kann daher nicht in dem

Moment der Mitternacht, ſondern nur nach demſelben, ge-

ſchehen. Allein das iſt einleuchtend, daß die hora sexta

noctis pridie Kal. Jan. immer derſelbe Zeitraum bleibt,

es mag nun die Beziehung zu demſelben durch das hinzu-

gedachte exacta, oder durch ein vorangeſetztes post oder

auch ante ausgedrückt werden (o). — Das quasi comple-

 

(o) Erb S. 197. 198 erklärt

die L. 1 de manum. vom Anfang

des 31. Decembers, ohne Zweifel

indem er die Worte pridie Kal.

|0389 : 375|

§. 183. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

verit drückt das Weſen der civilen Zeitrechnung aus, in-

dem eigentlich vor der Geburtsſtunde das zwanzigſte Jahr

noch nicht vollendet iſt. — Die Worte non enim majori etc.

wollen ſagen: wenn das Geſetz wörtlich einen major XX

annis, alſo die Überſchreitung dieſes Lebensjahres erfor-

derte, nicht die bloße Vollendung, ſo würde die Manu-

miſſion erſt am folgenden Tage (den 2. Januar) zuläſſig

ſeyn (§ 182); ſo ſpricht aber das Geſetz nicht. — Dies

supremus iſt derſelbe, welcher in L. 15 de div. temp.

praescr. der novissimus dies hieß (p), hier alſo der Ge-

burtstag.

Daß nach dieſer Erklärung, die auch ſchon von An-

deren gegeben iſt (q), die Manumiſſionsfähigkeit auf die-

ſelbe Weiſe berechnet wird, wie die Uſucapion, ſehe ich

als eine wichtige Beſtätigung derſelben an. Denn in bei-

den Rechtsinſtituten iſt die Rede von dem Erwerb eines

 

Jan. ſtillſchweigend von post sex-

tam noctis trennt, und unmit-

telbar mit posse manumittere

verbindet, welches folgenden Sinn

giebt: nach Mitternacht, und zwar

im Lauf des 31. Decembers. Al-

lein dieſe Trennung iſt willkühr-

lich, da die Worte post sextam

noctis pridie Kal. eine untrenn-

bar zuſammenhängende Zeitbe-

ſtimmung enthalten: ſie iſt in-

conſequent, da er die vollkommen

ähnlich redende L. 7 de usurp.

anders und richtig erklärt. In

dieſer L. 7 freylich war eine an-

dere Conſtruction ganz unmöglich

durch das unmittelbar vorherge-

hende parallele hora VI. diei Kal.

Jan.

(p) Erb erklärt S. 200. 201

den novissimus dies in L. 15 de

div. temp. pr. richtig, S. 207 den

supremus falſch, ohneeinen Grund

dieſer Verſchiedenheit der Erklä-

rung anzugeben.

(q) So von Unterholzner

S. 209. — Donellus § 3 hat die-

ſelbe Meynung, deutet ſie aber

nur an, ohne Ausführung.

|0390 : 376|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Rechts durch Ablauf eines Zeitraums, und die Gleichar-

tigkeit dieſer Rechtsänderung macht eine gleiche Behand-

lung nöthig, wenn nicht Willkühr und Inconſequenz vor-

ausgeſetzt werden ſoll (r).

Juſtinian hat dieſe Zwanzig Jahre auf Siebenzehen ge-

ſetzt, aber ohne die Art der Berechnung zu ändern (s).

 

§. 184.

VI. Die Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

C. Anniculus.

Wenn ein Latinus eine Römiſche Bürgerin oder eine

Latina heurathete, und mit ihr ein Kind erzeugte, wel-

ches ein volles Jahr hindurch am Leben blieb, oder anni-

culus wurde, ſo ſollten alle dieſe Perſonen die Civität er-

halten (a). Geſetzt nun das Kind war um den Schluß

 

(r) Erb S. 226. 233 fg. will

die praktiſche Verſchiedenheit dar-

aus erklären, daß die Handlung

der Manumiſſion Zeit erfordere,

der Eigenthumserwerb durch Uſu-

capion nicht. Daraus erklärt ſich

allerdings, warum jene nach,

dieſe in der Mitternacht Statt

findet, aber nicht daß jene um 24

Stunden früher zuläſſig ſeyn ſoll.

(s) § 6 J. qui et quib. ex c.

(1. 6.) „nisi XVII. annum im-

pleverit, et XVIII. annum teti-

gerit.” Rücker p. 54 meynt,

durch dieſe Vorſchrift ſey ein Über-

ſchreiten gefordert, alſo die frü-

here Vorſchrift geändert. Allein

tangere heißt nur berühren, nicht

überſchreiten, es iſt alſo in der

That nur eine müßige Wiederho-

lung der vorhergehenden Worte,

und nichts Neues für die Art der

Berechnung.

(a) Nach vielen übereinſtim-

menden Stellen war dieſe Regel

durch die L. Aelia Sentia einge-

führt worden. Gajus I. § 29. 31.

66. 68. 70. 71. 80. Ulpian. VII.

§ 4. Daher ſcheint es, daß die

einzige Stelle, worin die L. Junia

als Quelle angegeben wird (Ul-

pian. III. § 3), emendirt werden

muß. Ganz ohne Grund haben

Manche der L. Julia dieſe Regel

|0391 : 377|

§. 184. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

des erſten Jahres geſtorben, ſo kam es darauf an, genau

den Zeitpunkt des vollendeten Lebensjahres zu ermitteln,

weil es davon abhängen konnte, ob die Eltern jenes wich-

tige Vorrecht (das ihnen durch des Kindes Tod nicht ver-

loren gieng) erworben haben ſollten oder nicht. Darüber

nun ſagt Paulus in zwey Stellen Folgendes:

L. 132 pr. de V. S. (50. 16.). (Paul. lib. III. ad L. Jul.

et Pap.)

L. 134 de V. S. (50. 16.). (Paul. lib. II. ad L. Jul. et Pap.)

Anniculus amittitur, qui extremo anni die moritur:

et consuetudo loquendi id ita esse declarat, ante d.

X. Kal., post d. X. Kal.: neque utro enim sermone

undecim dies significantur.

Anniculus non statim ut natus est, sed trecente-

simo sexagesimo quinto die dicitur, incipiente plane

non exacto die: quia annum civiliter, non ad mo-

menta temporum, sed ad dies numeramus.

 

Die erſte Stelle erklärt ſich aus dem, was oben (§ 182)

über die Bedeutung des extremus dies geſagt worden iſt.

War alſo das Kind am 1. Januar geboren, ſo iſt der

folgende 1. Januar, das heißt ſein Geburtstag, der ex-

tremus dies des erſten Lebensjahres; wenn daher das Kind

in irgend einem Theil dieſes Tages ſtirbt, ſo iſt es als

 

zugeſchrieben, hauptſächlich weil

die beiden oben im Text abge-

druckten Stellen des Paulus,

worin die Regel erwähnt und er-

klärt wird, aus einem Commen-

tar über die L. Julia herrühren.

Allein in einem ſolchen Commen-

tar wurden ja unfehlbar viele ver-

wandte Gegenſtände abgehandelt,

wenn ſie auch in anderen Geſetzen

ihren Urſprung haben mochten.

|0392 : 378|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

anniculus geſtorben, und die Eltern haben das in der L.

Aelia Sentia eingeführte Recht erworben (b). — Der hin-

zugefügte etwas dunkle Grund erklärt ſich aus dem, was

oben (§ 182. 183) über den Unterſchied der in einem Ge-

ſetz erforderten Überſchreitung oder Erfüllung eines Zeit-

raums geſagt worden iſt. Paulus will ſagen: Es würde

anders ſeyn, wenn das Geſetz einen anniculo major ge-

fordert hätte, dann müßte das Kind am 2. Januar ge-

ſtorben ſeyn um den Eltern das Recht zu verſchaffen, das

Geſetz fordert aber in der That nur einen anniculus, und

ein ſolcher iſt ſchon mit dem Anbruch des Geburtstags

vorhanden. Dieſen Satz ſucht er zu beſtätigen durch die

Analogie anderer Ausdrücke, die nach ihrem wörtlichen

Schein gleichfalls auf die Überſchreitung eines gewiſſen

Zeitraums gedeutet werden könnten, in der That aber nicht

ſo zu verſtehen ſind. Dieſer Theil der Stelle iſt ſchon

oben (§ 180. f) ausführlich erklärt worden.

Die zweyte Stelle ſagt, Anniculus heiße ein Kind nicht

gleich nach ſeiner Geburt, ſondern erſt am 365ſten Tag

ſeines Lebens, und zwar am Anfang, nicht am Ende die-

ſes Tages: denn das Jahr werde auf juriſtiſche Weiſe

gerechnet, das heißt blos nach ganzen Tagen, ohne Rück-

ſicht auf kleinere Zeittheile. — Daß der hier mit einer

Zahl bezeichnete Tag ein Kalendertag iſt, nicht ein beweg-

 

(b) Auch hier erklärt wieder

Erb S. 207 den extremus ganz

anders als er vorher S. 200. 201

den novissimus erklärt hatte, mit

augenſcheinlicher Inconſequenz;

vgl. § 183. p.

|0393 : 379|

§. 184. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

licher Tag, folgt nicht blos aus den oben (§ 182) ange-

gebenen allgemeinen Gründen, ſondern ganz unmittelbar

aus den Schlußworten, worin die Beachtung der momenta,

auf welcher das Weſen des beweglichen Tags beruht,

ausdrücklich verworfen wird. — Die Bedeutung der an-

gegebenen Zahl hängt davon ab, ob Paulus den Anfangs-

tag mitgezählt hat oder nicht; im erſten Fall läßt er das

Kind anniculus werden am 31. December, im zweyten am

1. Januar. Da wir nun die Wahl haben, die eine oder

die andere Zählungsart voraus zu ſetzen (§ 182), ſo müſ-

ſen wir uns für die zweyte entſcheiden, weil dadurch die

Stelle ſowohl mit der unmittelbar vorher erklärten, als

mit den Stellen über die Uſucapion und Manumiſſion in

Übereinſtimmung gebracht wird, anſtatt daß außerdem Al-

les unzuſammenhängend und widerſprechend bleiben würde.

Es folgt aber auch unmittelbar aus den Schlußworten,

welche den Grund der Entſcheidung darin ſetzen, daß ad

dies, nicht ad momenta, gerechnet werde; denn dieſer Grund

kann durchaus nur auf den Anfang des 1. Januars, nicht

auf den des 31. Decembers, zurückführen. — Nach der

aufgeſtellten Anſicht hätte Paulus, um ſeine Meynung aus-

zudrücken, eben ſowohl die andere Zählungsart anwenden,

alſo die Zahl 366 angeben können; er hatte aber einen

beſonderen Grund, dieſes hier nicht zu thun. Denn ſeit

Cäſars Reform des Kalenders wußte Jeder, auch der Un-

gelehrte, daß das Jahr 365 Tage habe; bey dem Aus-

druck anniculus kam alſo Jedem von ſelbſt dieſe Zahl von

|0394 : 380|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Tagen in den Sinn. Nannte er nun die Zahl 366, ſo

entſtand ein wörtlicher, ſcheinbarer Widerſpruch zwiſchen

dieſer Zahl und dem Ausdruck anniculus, welcher erſt durch

eine künſtliche Erklärung aufgelöſt werden mußte; dieſen

Anſtoß verhütete die Zahl 365, und da ſie die Sache eben

ſo richtig ausdrückte (nämlich unter Vorausſetzung einer

andern Zählungsart), ſo war es räthlich, ihr den Vorzug

zu geben. — Der am Schluß der Stelle ausgedrückte

Grund der Entſcheidung führt noch einige Dunkelheit mit

ſich. An ſich waren drey Zeitpunkte denkbar: der Anfang

des 1. Januar (incipiente die), das momentum temporis

im Lauf deſſelben, und das Ende des Tages (exacto die).

Paulus nun entſcheidet für den Anfang des Tages, wo-

durch ſchon von ſelbſt die zwey anderen denkbaren Zeit-

punkte ausgeſchloſſen ſind; er verneint dann das exacto

die noch ausdrücklich, und bezeichnet endlich als Grund

die hier geltende Art der Zeitrechnung, welche blos auf

dies, nicht auf momenta achtet. Dieſer Grund paßt aller-

dings nicht auf die unmittelbar vorhergehende Worte non

exacto, ſondern auf das weiter entfernte incipiente, ſo

daß man ſich das non exacto, das eigentlich auch ganz

wegbleiben konnte, als blos parenthetiſch eingeſchoben den-

ken muß.

Das Weſentliche der hier gegebenen Erklärung iſt auch

ſchon anderwärts im Weſentlichen aufgeſtellt (c). Die

Meiſten nehmen hier, wie bey der Manumiſſion, den An-

 

(c) Nämlich bey Unterholzner S. 310.

|0395 : 381|

§. 184. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

fang des 31. Decembers an, und unter dieſen ſind Dieje-

nigen am Meiſten in Verlegenheit, welche für die Uſuca-

pion den Anfang des 1. Januars als Vollendung anſe-

hen (d). Eine beſondere Widerlegung derſelben liegt noch

in einer anderen Stelle des Paulus, worin gerade auch

bey der Uſucapion eines Sklavenkindes der Ausdruck an-

niculus gebraucht wird, um das Lebensalter des Kindes

auszudrücken, mit welchem die einjährige Uſucapion voll-

endet, und alſo die bis dahin geltende publiciana als ent-

behrlich geworden ausgeſchloſſen iſt (e): Publiciana actione

etiam de infante servo nondum anniculo uti possumus.

Durch die Bezeichnung beider Rechtsverhältniſſe mit dem-

ſelben Wort anniculus wird anerkannt, daß das Kind in

demſelben Zeitpunkt uſucapirt wird, worin es den Eltern

das Recht der L. Aelia Sentia erwirbt.

D. Teſtamentsfähigkeit.

L. 5 qui test. (28. 1.). (Ulp. lib. VI. ad Sab.).

A qua aetate testamentum vel masculi vel feminae

facere possunt, videamus. Et verius est, in mascu-

lis quidem quartumdecimum annum spectandum, in

feminis vero duodecimum completum. Utrum autem

excessisse debeat quis quartumdecimum annum, ut

testamentum facere possit, an sufficit complesse?

 

(d) So Erb S. 226. 234, der

hier die angebliche Verſchiedenheit

zwiſchen der Uſucapion und dem

anniculus noch weit gezwungener

erklärt, als bey der Manumiſ-

ſion (§ 183. r).

(e) L. 12 § 5 de public. (6. 2.).

|0396 : 382|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Propone aliquem Kalendis Januariis natum testamen-

tum ipso natali suo fecisse quartodecimo anno, an

valeat testamentum? Dico valere. Plus arbitror,

etiamsi pridie Kalendarum fecerit post sextam ho-

ram noctis, valere testamentum: jam enim complesse

videtur annum quartumdecimum, ut Marciano videtur.

 

Der Gang des Gedankens iſt folgender. Iſt die Über-

ſchreitung des vierzehenten Lebensjahres nöthig, oder die

bloße Vollendung (f)? Das heißt, muß der am 1. Januar

Geborene, um ein Teſtament zu machen, den 2. Januar

abwarten, oder kann er es ſchon am 1. Januar, alſo am

Geburtstag ſelbſt? Auch dieſes Letzte iſt gültig. Aber

noch mehr: nicht blos der 2. Januar braucht nicht abge-

wartet zu werden, ſondern auch nicht einmal innerhalb

des Geburtstags die Geburtsſtunde; vielmehr iſt zuläſſig

die Abfaſſung des Teſtaments vom Anbruch des 1. Ja-

nuars an. Wenn er alſo am 31. December die Nacht

abwartet, und zwar die ſechſte Stunde dieſer Nacht, ſo

 

(f) Wenn man ad momenta

rechnet, ſo iſt dieſe Frage wider-

ſinnig, denn eine Handlung kann

nicht in dem Augenblick des com-

plesse geſchehen, ſondern nur ent-

weder vorher, oder nachher, oder

zwiſchen beiden Zeiträumen ge-

theilt. Nach der Rechnung ad

dies hat die Frage einen guten

Sinn, und daß dieſer Sinn in

der Stelle enthalten iſt, zeigt die

Folge der Stelle unwiderſprech-

lich. Als untheilbarer Punkt des

complesse gilt nun juriſtiſch der

ganze 1. Januar, und dieſer iſt in

der Wirklichkeit ausgedehnt ge-

nug, um viele Teſtamente in ſich

entſtehen zu laſſen. — Es iſt alſo

hier derſelbe Gegenſatz der Über-

ſchreitung und bloßen Vollendung

gedacht, der oben ſchon mehrmals

erwähnt worden iſt. § 182. d,

ferner in L. 1 de manumiss.

(§ 183), und in L. 132 de V. S.

(§ 184).

|0397 : 383|

§. 184. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

kann er zwar im Lauf derſelben noch kein Teſtament ma-

chen, wohl aber iſt es unmittelbar nach ihrem Ablauf

(post sextam) gültig, alſo gleich nach der Mitternacht,

die den 31. December vom 1. Januar ſcheidet, oder mit

anderen Worten, gleich im Anfang des 1. Januars (g).

Dieſe Stelle nun hat mehr als alle andere die Mey-

nung veranlaßt, daß die Civilcomputation auf den An-

fang des vorhergehenden Tages zurück gehe, ja man kann

annehmen, daß ohne ſie ſchwerlich eine ſolche Meynung

jemals entſtanden ſeyn würde. Auch iſt nicht zu läugnen,

daß dieſe Meynung mit vielem Schein aus unſrer Stelle

hergeleitet werden kann, wozu beſonders zwey Umſtände

zuſammen wirken. Erſtlich das voran ſtehende pridie, wel-

ches ſogleich die Vorſtellung erzeugt, jede folgende Zeitbe-

ſtimmung, alſo auch die gültige Abfaſſung des Teſtaments,

müſſe ganz in den Zeitraum des 31. Decembers fallen.

Zweytens das plus arbitror, welches leicht zu folgender

Stufenfolge führt: nicht blos der 2. Januar iſt nicht nö-

thig, ſondern ſelbſt nicht der 1. Januar, indem ſchon der

31. December hinreicht. Für das plus arbitror iſt jedoch

ſchon oben eine andere, eben ſo natürliche, Erklärung ge-

geben worden (h). Aber auch für das voran geſetzte pridie

 

(g) Im Weſentlichen dieſelbe

Erklärung findet ſich ſchon bey

Unterholzner S. 307 fg. —

Donellus § 3 hat dieſelbe Mey-

nung, aber ohne ſie zu entwickeln.

— Schon die Gloſſe hat beide

Meynungen klar aufgefaßt und

dargeſtellt, und ſie giebt der hier

vertheidigten den Vorzug.

(h) Die Gloſſe bezieht das plus

arbitror auf die erſten, der Nacht

angehörenden, Stunden des Ka-

lendertags, im Gegenſatz des Licht-

tags. Dafür läßt ſich ſagen, daß

|0398 : 384|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

läßt ſich folgende ungezwungene Entwicklung des Gedan-

kens annehmen. Niemand erhebt ſich um Mitternacht, um

den nun folgenden Tag anzufangen, wohl aber iſt Nichts

gewöhnlicher, als daß die Thätigkeit eines Tages bis weit

in die Nacht, und über deren Mitte hinaus, fortgeſetzt

werde (§ 183. i). Im vorliegenden Fall nun wird ein

Vierzehenjähriger gedacht, der Beweggründe hat, mit der

Abfaſſung eines Teſtaments ſo viel als möglich zu eilen.

Natürlich wird er dazu alle Anſtalten ſchon vorher ma-

chen, um keine Zeit zu verſäumen. Er wird alſo ſchon

am 31. December (pridie) die Fünf Zeugen, den Libripens

und den Emtor bey ſich verſammeln, die Urkunde, nebſt

der Wage und dem Erz bereit halten, und ſo wie die

Mitternacht vorüber iſt (post sextam h. n.) wird er au-

genblicklich die Formalität vollziehen, wozu ja eine ſehr

kurze Zeit hinreicht. Das pridie iſt alſo voran geſtellt,

um uns den natürlichen Hergang der Begebenheit deutlich

vor Augen zu bringen.

Dieſe Bemerkungen ſollten mehr dazu dienen, die

Gründe der Gegner zu entkräften, als die eigene Mey-

nung poſitiv zu begründen. Für dieſe Begründung aber

 

Ulpian zuerſt das am natalis dies

gemachte Teſtament für gültig er-

klärt. Dieſer Begriff gehört nicht

der Rechtswiſſenſchaft, ſondern der

geſelligen Sitte, alſo dem gewöhn-

lichen Leben an, und daher konnte

durch dieſen Ausdruck der Blick

ausſchließend auf den Theil des

Kalendertags gelenkt werden, deſ-

ſen man ſich als Geburtstag be-

wußt zu werden pflegt, woran

Glückwünſche und Geſchenke kom-

men; dagegen ſollte durch das

plus arbitror gewarnt werden.

Doch halte ich die oben im Text

gegebene Erklärung für beſſer.

|0399 : 385|

§. 184. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

muß ich zuerſt wieder geltend machen die große Unwahr-

ſcheinlichkeit, daß die ganze Frage ſollte anders behandelt

worden ſeyn bey den Teſtamenten als bey der Uſucapion,

der Manumiſſion, und dem anniculus (i). Das Gewicht

dieſes Grundes wird verſtärkt durch den Umſtand, daß

Ulpian hier augenſcheinlich von demſelben Gegenſatz der

Überſchreitung und der bloßen Vollendung ausgeht, der

auch in mehreren der vorher erklärten Stellen zum Grunde

lag, und der alſo hier völlig gleiche Reſultate, nicht, wie

manche Gegner wollen, verſchiedene, erwarten läßt. Für

noch entſcheidender aber halte ich endlich folgenden Um-

ſtand. Derſelbe Ulpian bedient ſich in drey Stellen fol-

gender Ausdrücke:

hora sexta noctis pridie Kal. Jan. (Uſucapion.)

post (horam) sextam noctis pridie Kal. (Manumiſſion.)

pridie Kal. .. post sextam horam noctis (Teſtament.)

Iſt es nun wohl denkbar, daß derſelbe Schriftſteller

ſo ganz ähnlich lautende Ausdrücke, blos mit veränderter

Wortfolge, gebraucht haben ſollte, um ganz verſchiedene

Begriffe zu bezeichnen, hier wo die Verwechslung ſo nahe

lag, daß ihm die Gefahr derſelben unmöglich entgehen

konnte, und wo er alſo dringende Veranlaſſung hatte, den

Gegenſatz, wenn ein ſolcher in ſeinem Gedanken lag, ſo

ſcharf als möglich hervor zu heben?

 

(i) Dieſe Zuſammenſtellung kann

alſo nur gegen Diejenigen als Be-

weis gelten, welche (wie Erb) ſelbſt

ſchon bey der Uſucapion dieſelbe

Rechnung vertheidigen, oder etwa

durch die oben bey der Uſucapion für

dieſe Rechnung aufgeſtellten Grün-

de überzeugt werden möchten.

IV. 25

|0400 : 386|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Was nun noch zu bemerken übrig bleibt, iſt von ge-

ringerer Bedeutung. Die Worte: plus arbitror, und: ut

Marciano videtur, haben Viele zu der Annahme verleitet,

es müſſe entweder Streit unter den alten Juriſten gewe-

ſen ſeyn, oder Ulpian müſſe durch neue Erfindung eine

Änderung in dieſe Berechnung gebracht haben. Offenbar

finden ſie es unwahrſcheinlich, wenn nur eine und dieſelbe

Civilcomputation (ſo wie ich es annehme) in allen ange-

führten Stellen enthalten wäre, daß davon Ulpian ſo zwei-

felnd rede, und eine ältere Autorität für ſeine Meynung

anzuführen nöthig finde. Sie finden es alſo unbegreiflich,

daß Ulpian viel Umſtände machen ſollte mit einem Rechts-

begriff, der ja in allen unſren Compendien ſteht, und je-

dem Zuhörer in den Pandekten, vielen ſchon in den In-

ſtitutionen, vorgetragen wird. Sie vergeſſen dabey, daß

die Römer auf andere Weiſe als wir zu ihrer Rechts-

kenntniß zu kommen pflegten, und daß ſich namentlich bey

ihnen niemals eine ſolche traditionelle Maſſe von Defini-

tionen, Diſtinctionen, und anderem theoretiſchen Apparat,

wie bey uns, anhäufen und fortpflanzen konnte. Der Fall

von dem Teſtament eines genau Vierzehenjährigen war

vielleicht niemals, vielleicht nur höchſt ſelten vorgekommen,

und etwa gerade einmal von Marcian zufällig erwähnt

worden. Die Lehre von der Civilcomputation ſtand in

dieſer abſtracten Geſtalt, alle verſchiedene Fälle umfaſſend,

vielleicht in keinem einzigen juriſtiſchen Buch, und es wa-

ren nur gelegentlich die einzelnen Anwendungen derſelben,

 

|0401 : 387|

§. 185. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung (Fortſetzung.)

jede an ihrem beſonderen Orte, erwähnt worden. Wenn

man dieſe Lage der Sache unbefangen erwägt, ſo wird

man die dem Ulpian hier zugeſchriebene Auffaſſung und

Ausdrucksweiſe wohl nicht mehr auffallend und unwahr-

ſcheinlich finden.

Faſſen wir das Reſultat der bisherigen Unterſuchung

zuſammen, ſo geht es dahin. In vier verſchiedenen Rechts-

verhältniſſen werden Rechte erworben in Folge eines ab-

gelaufenen Zeitraums, und in allen dieſen Fällen iſt der

Erwerb vollendet mit dem Eintritt der dem mathemati-

ſchen Endpunkt vorhergehenden Mitternacht. Daraus kön-

nen wir eine allgemeine Regel bilden, anwendbar auf je-

den an einen Zeitlauf geknüpften Rechtserwerb. Es kann

auch kein Unterſchied gemacht werden, ob von einer fort-

geſetzten perſönlichen Thätigkeit, oder von einem willenlo-

ſen Zuſtand die Rede iſt; denn in dem erſten jener vier

Fälle iſt eine Thätigkeit als Inhalt des Zeitlaufs gemeynt

(Beſitz), in den drey anderen Fällen ein von dem Willen

unabhängiger Zuſtand (Lebensdauer).

 

§. 185.

VI. Die Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

Ich gehe jetzt über zur Betrachtung ſolcher Fälle,

worin durch fortgeſetzte Unthätigkeit, alſo durch Verſaͤum-

niß, ein Recht verloren wird. Hier war nach allgemei-

 

25*

|0402 : 388|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

nen Anſichten der juriſtiſche Endpunkt auf die dem mathe-

matiſchen Endpunkt nachfolgende Mitternacht geſetzt

worden (§ 182). Dadurch wird der Zeitraum, in Ver-

gleichung mit dem ſtreng (ad momenta) berechneten etwas

erweitert, und der Unthätige erhält dadurch auf ſeiner

Seite einen kleinen Gewinn (a), in ähnlicher Weiſe wie

bey der Uſucapion der Beſitzer Etwas an Zeit gewann.

Indeſſen iſt zu bemerken, daß in den Fällen des Verluſtes

dieſer Gewinn aus natürlichen Gründen noch geringer iſt,

als bey dem Erwerb, ja in vielen Fällen ganz verſchwin-

det, wodurch hier die Zulaſſung dieſer bequemen Berech-

nungsart noch unbedenklicher wird. Denn wenn z. B. eine

Klagverjährung, ſtreng berechnet, am Mittag eines Ta-

ges ablaufen würde, ſo wird zwar durch unſere Regel

die zuläſſige Anſtellung der Klage bis zur folgenden Mit-

ternacht ausgedehnt, allein von dieſem Vortheil kann doch

nur auf beſchränkte Weiſe wirklicher Gebrauch gemacht

werden: bey den Römern nur ſo lange der Prätor auf

dem Forum verweilte, bey uns nur ſo lange eine Kanzley

offen iſt, in welcher der Klaglibell übergeben werden kann.

Die hier vorgetragene Lehre iſt ſchon von Mehreren

vertheidigt worden (b). Andere haben in dieſen Fällen

 

(a) Man kann alſo hier den

Ausdruck gebrauchen, der bey der

stipulatio in diem gebraucht wird:

„totus is dies arbitrio solven-

tis (hier actoris) tribui debet.”

§ 2 J. de V. O. (3. 15.).

(b) Schon die Gloſſe zu L. 6

de O. et A. (44. 7.) trägt un-

ter mehreren Meynungen auch

dieſe vor, und neigt am meiſten

zu ihr. Entſchieden wird ſie ver-

theidigt von Donellus § 5. 6,

und am befriedigendſten von Un-

terholzner S. 297.

|0403 : 389|

§. 185. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

auf den Anfang des letzten Tages zurück gehen wol-

len (c); noch Andere nehmen hier die Rechnung ad momenta

an (d). Dieſe letzte Meynung hat am wenigſten Veran-

laſſung in den Ausſprüchen der alten Juriſten; ſie gründet

ſich ohne Zweifel nur auf die oben (§ 182) gerügte will-

kührliche Bildung der Begriffe und Kunſtausdrücke; denn

indem man davon ausgieng, daß es nur zweyerley com-

putatio gebe, eine civilis, welche den ſtreng berechneten

Zeitraum verkürzt, und eine naturalis, welche ihn unver-

ändert läßt, ſo konnte man eine Ausdehnung deſſelben

überhaupt nicht zulaſſen, und ſo führte die unkritiſch an-

genommene Terminologie unvermerkt zu einem Irrthum in

der Sache ſelbſt.

Doch der Beweis der aufgeſtellten Behauptung, und

die Widerlegung der entgegen ſtehenden, beruht auch hier

auf der Erklärung der Stellen, welche von dem Verluſt

durch Verſäumniß, und der dabey geltenden Zeitrechnung,

handeln. Dieſe Stellen beziehen ſich auf vier verſchiedene

Fälle: die Klagverjährung, einen ungenannten Fall, die

Anklage wegen Ehebruch, und den Erwerb der Bonorum

possessio.

 

A. Klagverjährung.

L. 6 de O. et A. (44. 7.). (Paul. lib. VII. ad Sab.). In

(c) Anſtatt daß hier auf das

Ende deſſelben die Zeit erſtreckt

wird; ſie unterſcheiden alſo von

dieſen Fällen die Teſtamentsfä-

higkeit dadurch, daß ſie bey die-

ſer letzten noch um einen Tag

weiter zurück gehen. So Erb

S. 201. 202. Reinfelder S. 111.

(d) Rücker p. 56. Göſchen

Vorleſungen I. S. 593

|0404 : 390|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

omnibus temporalibus actionibus, nisi novissimus to-

tus dies compleatur, non finit obligationem (Vulg.

non finitur obligatio).

Daß novissimus dies der Kalendertag iſt, in welchen

der mathematiſche Endpunkt fällt, iſt oben gezeigt worden.

Dieſes nun vorausgeſetzt, ſagt die Stelle unzweifelhaft,

die Obligation ſey erſt dann (per exceptionem) aufgeho-

ben, wenn der erwähnte Kalendertag ganz abgelaufen ſey,

daß heißt bis zu dieſer Zeit könne ſtets die Klage ange-

ſtellt werden, ohne Rückſicht auf das momentum tempo-

ris, welches genau dem Anfang des Klagrechts entſpricht.

Schon die Wortfaſſung zeigt, daß Paulus einen denkbaren

früheren Ablauf der Klagverjährung ausſchließen will;

dieſes iſt nun ſowohl der Anfang des Kalendertags, als

das momentum temporis, an welches letzte wohl zunächſt

und hauptſächlich gedacht ſeyn mag (e). Zwey Einwen-

dungen ſind gegen dieſe Erklärung vorgebracht worden (f).

Erſtlich ſoll in den Worten totus dies compleatur ein un-

geſchickter Pleonaſmus liegen. Zweytens ſoll es widerſin-

nig ſeyn, den ſtreng berechneten Zeitraum ſogar noch aus-

dehnen zu wollen. Der Pleonaſmus iſt in der That nicht

vorhanden, denn auch bey der Rechnung ad momentum

kann man ſagen: completur dies usque ad momentum, und

dagegen bildet das totus completur einen präciſen und

 

(e) Die in den Noten b. c. d.

über die Frage im Allgemeinen

angeführten Schriftſteller handeln

insgeſammt auch von dieſer Stelle

beſonders.

(f) Erb S. 202.

|0405 : 391|

§. 185. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

gar nicht müßigen Gegenſatz. Beſonders aber iſt hierüber

gar nicht zu ſtreiten, da in einer anderen Stelle Ulpian

geradezu ſagt: minorem annis XVII., qui eos non in to-

tum complevit (g). Der Ausdruck nun, welchen hier Ul-

pian gut genug findet, wird wohl auch für Paulus nicht

zu ſchlecht ſeyn. — Was aber die zweyte Einwendung be-

trifft, ſo kann der Widerſinn nur von Dem behauptet wer-

den, der ſich zuvor einen willkührlichen Begriff von civilis

computatio als einer Abkürzung des natürlichen Zeit-

raums gebildet hat, und ſo zerfällt denn auch dieſer Ein-

wurf in Nichts.

Diejenigen, welche die Stelle richtig erklären, wollen

die Regel doch nur bey der Verjährung perſönlicher Kla-

gen gelten laſſen, nicht bey der longi temporis praescriptio

gegen die Eigenthumsklage (h). Daß Paulus zunächſt an

jene dachte, iſt wegen der am Schluß erwähnten obligatio

unverkennbar. Dennoch iſt der Ausdruck temporales actio-

nes ſo allgemein, daß er auch die in rem actiones mit

umfaßt, auch liegt in dem Verhältniß der l. t. praescrip-

tio zur Uſucapion kein Hinderniß, beide auf verſchiedene

Weiſe zu berechnen. Ein praktiſcher Widerſpruch kann

daraus nicht erfolgen, da beide Rechtsinſtitute nie in einem

und demſelben Fall zuſammen treffen können: denn wo die

Uſucapion wirklich begründet iſt, wird dadurch ſtets die

l. t. praescriptio abſorbirt, ſo daß dieſe letzte zu allen

 

(g) L. 1 § 3 de postul (3. 1.).

(h) Donellus § 5. 6. Unter-

holzner S. 298.

|0406 : 392|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Zeiten nur als Surrogat der Uſucapion, wo deren Bedin-

gungen fehlten, eintreten konnte.

B. Ungenannter Fall.

L. 101 de R. J. (50. 17.). (Paul. lib. sing. de cogni-

tionibus). Ubi lex duorum mensum facit mentionem,

et qui sexagesimo et primo die venerit audiendus

est: ita enim et Imp. Antoninus cum Divo patre

(vulg. fratre) suo rescripsit.

Wie die Stelle hier lautet, enthält ſie eine allgemeine

Interpretationsregel für alle Geſetze, vergangene und künf-

tige, die etwa eine juriſtiſche Handlung an die Beobach-

tung einer Zeit von duo menses, und zwar genan mit

Anwendung dieſes Ausdrucks (facit mentionem), binden

möchten. Niemand wird im Ernſt behaupten wollen, daß

Paulus eine ſolche abſtracte Regel aufgeſtellt habe, beſon-

ders über Volksſchlüſſe, die ja ſchon längſt, als wirkliche

Mittel zur Fortbildung des Rechts, nicht mehr gebraucht

wurden. Es wäre alſo eine Anweiſung geweſen, wie man

ſolche alte leges, in denen etwa der Ausdruck duo menses

vorkam, verſtehen und anwenden möge; dieſe aber iſt nicht

nur an ſich ſelbſt unwahrſcheinlich, ſondern vollends in

einem ganz praktiſchen Werk, dem liber sing. de cogni-

tionibus, wahrſcheinlich einer Sammlung merkwürdiger

Entſcheidungen des kaiſerlichen Gerichtshofs. In den Di-

geſten allerdings hat die Stelle jene abſtracte Bedeutung,

und zwar nun gar nicht mehr in beſonderer Beziehung auf

 

|0407 : 393|

§. 185. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

Volksſchlüſſe; davon wird auch noch unten Gebrauch ge-

macht werden. Paulus aber ſprach ohne allen Zweifel

von einer einzelnen Stelle einer beſtimmten Lex, die er

vorher angeführt haben muß; dieſe nun müſſen wir aus-

zufinden ſuchen. Man könnte denken an die 60 Tage in

manchen Fällen der ädiliciſchen Klagen; allein das Edict

der Ädilen konnte unmöglich eine Lex genannt werden.

Oder an die 60 Tage in der Lex Julia de adulteriis;

allein hier war der Ausdruck sexaginta dies gebraucht

(§ 186. a.), und die Lex, die Paulus vor ſich hatte, ent-

hielt gerade den Ausdruck duo menses (facit mentionem).

Oder an die duo menses, durch deren Ablauf eine nicht

ſchriftlich geleiſtete Bürgſchaft ihre Kraft verlor; allein

Dieſes war wiederum nicht in einer Lex, ſondern in dem

Edict eines Präfectus Prätorio vorgeſchrieben (i), und

wahrſcheinlich erſt nach dem Zeitalter des Paulus. Eben

ſo gründeten ſich die zwey Monate bey dem Verkauf der

Emphyteuſe, bey der Compenſation gegen den Fiſcus

(§ 181. l. m.), und bey dem Verkauf einer vom Richter

abgepfändeten Sache (k), gewiß nicht auf Volksſchlüſſe.

Sehr wahrſcheinlich ſprach Paulus von der Regel, nach

welcher Jeder, der zu einem ſtädtiſchen Amt gewählt war,

und dagegen reclamiren wollte, dieſes nothwendig intra

duos menses thun mußte. Hier kam in der That der

Ausdruck duo menses in demjenigen Stück der alten Rechts-

(i) L. 27 C. de fidejuss. (8. 41.).

(k) L. 31 de re jud. (42. 1.).

|0408 : 394|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

quellen vor, worin die Regel ſelbſt enthalten war (l); daß

dieſes gerade eine Lex war, kein Edict oder Senatuscon-

ſult, wird zwar nicht dabey bemerkt, es läßt ſich aber

mit großer Wahrſcheinlichkeit annehmen, daß es die Lex

Julia municipalis war, dieſe allgemeine Städteordnung für

alle Römiſche Bürgergemeinden (m). Zu dem Werk des

Paulus de cognitionibus, woraus die Digeſtenſtelle genom-

men iſt, paßt dieſe Vorausſetzung vollkommen, denn faſt

alle andere Stellen, die wir aus demſelben Werk in den

Digeſten haben, handeln gleichfalls von Excuſationen, theils

von der Tutel (n), theils ſogar geradezu von ſtädtiſchen

Laſten (o), worauf die aufgeſtellte Vermuthung auch unſere

Stelle bezieht. So können wir alſo mit vieler Wahr-

ſcheinlichkeit den urſprünglichen Sinn der Stelle in fol-

genden Worten angeben:

Die Vorſchrift der Lex (Julia), durch welche die Recla-

 

(l) L. 1 C. de temp. et repar.

(7. 63.). „Si quis per absen-

tiam nominatus .. ad duumvi-

ratus .. infulas .. ex eo die in-

terponendae appellationis duo-

rum mensium spatia ei com-

putanda sunt, ex quo .. nomi-

nationem didicisse monstrave-

rit” rel. (Es iſt L. 10 C. Th. de

appell. 11. 30.). — L. 2. C. Th. de

decur. (12. 1.). „Quoniam du-

bitasti, utrum ex numero die-

rum, an ex nominatione Kalen-

darum computari duum men-

sum spatia debeant” rel. (vgl.

oben § 181. t.). — L. 19 C. Th.

de apell. (11. 30.). „Si ad cu-

riam nominati .. putaverint ap-

pellandum, intra duos menses

negotia perorentur.”

(m) Zeitſchrift für geſchichtl.

Rechtswiſſ. B. 9 S. 377. Es iſt

dieſelbe Lex, aus welcher wir ein

großes Stück unter dem bisher

üblichen Namen der tabula He-

racleensis beſitzen.

(n) L. 29 de tut. et cur.

(26. 5.), L. 42. 46 de excus.

(27. 1.).

(o) L. 5 de veteranis (49. 18.).

— L. 228 de V. S. (50. 16.)

ſpricht wenigſtens auch von dem

Municipalrecht.

|0409 : 395|

§. 185. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

mationen gegen ſtädtiſche Wahlen an die Friſt von duo

menses gebunden werden, iſt ſo anzuwenden, daß auch

die am 61 ten Tage erhobene Reclamation noch ange-

nommen werden muß (p).

Unter dem dies dieſer Stelle iſt, nach den oben (§ 182)

dargelegten Gründen, ein Kalendertag zu verſtehen. Den

größten Anſtoß aber erregte von jeher ſehr natürlich die

Zahl 61, die weder mit der gewöhnlichen Berechnung des

Monats zu 30 Tagen vereinbar ſchien, noch mit der an-

derwärts vorkommenden Beſtimmung, daß die Anklage

wegen Ehebruchs nothwendig am ſechzigſten Tage erhoben

werden müſſe (q). Die Meiſten nahmen von jeher an, es

werde hier aus beſonderer Milde ein Tag zugegeben, und

da doch die Stelle ſo allgemein gefaßt, und mit der Vor-

ſchrift über den Ehebruch ſchwer vereinbar war, ſo wurde

hinzugefügt, die Milde gelte nur da, wo menses, nicht

wo dies in einem Geſetz erwähnt würden (r). Daß dieſe,

 

(p) Die Beziehung unſrer Stelle

auf die Reclamationen gegen

ſtädtiſche Wahlen iſt ſehr alt.

Schon die Gloſſe deutet ſie an,

indem ſie als Parallelſtelle die

L. 1 C. de temp. et repar. an-

führt, jedoch nur als eine unter

mehreren. Bulgarus im Com-

mentar zum tit. de R. J. hat

dieſe Parallele noch nicht angege-

ben. — J. Gothofredus im

Commentar hat dieſe Beziehung

nicht nur beſtimmt behauptet, ſon-

dern auch auf überzeugende Weiſe

dargethan. Nur darin bleibt er

völlig unbefriedigend, daß er ſich

mit der Bedeutung von lex als

einer geſetzlichen Vorſchrift über-

haupt begnügt („haec reg. uti

dixi est nominatim de legali

praescriptione per menses”),

ohne einen beſtimmten Römiſchen

Volksſchluß, woran doch Paulus

nothwendig gedacht haben muß,

anzugeben, oder auch nur darnach

zu ſuchen.

(q) L. 30 § 1 ad L. J. de

adult. (48. 5.).

(r) Die Milde macht ſchon die

Gloſſe geltend, nach ihr viele An-

|0410 : 396|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

auf eben ſo blinde, als kleinliche, Willkühr hinführende,

Anſicht widerlegt werde, wird wohl Niemand verlangen.

— Andere haben die Stelle daraus erklärt, daß die Mo-

nate von verſchiedener Länge ſind, ſo daß 61 Tage für

zwey Monate als eine Art von mittlerem Durchſchnitt

gelten können (s). Dieſe Annahme paßt jedoch nicht zu

den vielen anderen Stellen, die den Monat beſtimmt zu

30 Tagen angeben, und würde daher ganz vereinzelt in

der angeführten Stelle erſcheinen, wodurch ſie die höchſte

Wahrſcheinlichkeit gegen ſich hat. — Endlich hat man auch

geſucht, durch Emendation des Textes zu helfen, indem

das primo weggelaſſen und blos sexagesimo geleſen wer-

den ſollte. Dieſem Verſuch aber widerſpricht eine ſo voll-

ſtändige Übereinſtimmung der Handſchriften und alten Aus-

gaben, wie ſie ſich ſonſt bey ſchwierigen Stellen nur ſelten

findet (t); ja ſelbſt wenn die Handſchriften ſchwankend

dere; ſehr ausführlich, und mit

Unterſcheidung der (milden) men-

ses von den (nicht milden) dies,

thut es auch J. Gothofredus

im Commentar.

(s) Dieſe Aushülfe zur Erklä-

rung unſrer Stelle iſt alt, und

findet ſich namentlich ſchon bey

J. Gothofredus. Zu einem

allgemeinen Grundſatz über die

Berechnung des Monats hat ſie

Schrader ausgebildet (§ 181. i.).

(t) Die Leſeart sexagesimo

vertheidigt Reinfelder S. 150

— 161, er hat aber dafür nur

eine Stuttgarter Handſchrift auf-

treiben können, und zwar nur

nach erſter Hand, denn auch hier

hatte ſchon ein alter Corrector

primo an den Rand geſchrieben.

Zwar ſchienen nach früheren Aus-

gaben die Baſiliken und Euſta-

thius für 60 zu ſprechen, allein

nach neueren berichtigten Texten

findet ſich auch in ihnen 61. Ba-

silica ed. Fabrot. I. p. 78 vergl.

mit ed. Heimbach I. p. 71. Eu-

stathius hinter Cujacii Comm.

in III. libros Lugd. 1562 p. 91

vergl. mit ed. Zachariae p. 149.

Schon Schrader S. 207 hat

auf überzeugende Weiſe die Leſe-

art sexagesimo et primo ver-

theidigt. Daß in mehreren Hand-

|0411 : 397|

§. 185. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

wären, müßte die ſchwerere Leſeart 61 der leichteren 60

vorgezogen werden, da wohl zu begreifen iſt, wie ein an-

maßender Abſchreiber das ſchwere 61 in das leichtere 60

verwandeln konnte, nicht aber das Umgekehrte.

Um nun zur eigentlichen Löſung der Schwierigkeit zu

gelangen, müſſen wir zuerſt erwägen, daß Paulus augen-

ſcheinlich die Abſicht hat, eine größere Ausdehnung des

Zeitraums geltend zu machen im Gegenſatz irgend einer

kleineren, an die man auch wohl denken könnte (u). —

Den dies müſſen wir, nach dem was ſchon öfter darüber

bemerkt worden iſt, durchaus für einen Kalendertag hal-

ten. — Bey Erklärung der Zahl haben wir die Wahl,

die eine oder die andere Zählungsweiſe voraus zu ſetzen.

Ich nehme nun an, Paulus hat hier den erſten Tag, das

heißt den Tag an welchem der erwählte Duumvir die auf

ihn gefallene Wahl erfahren hatte, mitgezählt; dann iſt

der 61 te Kalendertag der novissimus, das heißt der, in

welchen das momentum temporis fällt; wenn nun Paulus

an dieſem Tage die Reclamation ohne alle Einſchränkung

zuläßt, ſo liegt darin die Zulaſſung bis zur Mitternacht,

und er ſagt dann für die Berechnung dieſer Reclamations-

friſt genau daſſelbe, was er in der L. 6 de O. et A. für

die Berechnung der Klagverjährungen geſagt hatte (v). —

 

ſchriften das et vor primo fehlt,

iſt in der That ganz unbedeutend.

(u) Dieſer Sinn liegt ganz

deutlich in den Worten: et qui

.. venerit, audiendus est, wo-

durch der möglichen Meynung

widerſprochen wird, als ſey ein

Solcher ſeines Rechts bereits ver-

luſtig geworden.

(v) Göſchen Vorleſungen

S. 593 erklärt die der Zahl 61

zum Grund liegende Zählungsart

|0412 : 398|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Daß nun Paulus die hier vorausgeſetzte Zählungsweiſe

anwendete, erklärt ſich ſchon daraus, daß dieſe überhaupt

die üblichere geweſen zu ſeyn ſcheint; daß er aber hier

anders zählte, als in der L. 134 de V. S. (§ 184), be-

darf noch einer beſonderen Erklärung. In dieſer letzten

Stelle ſprach er vom anniculus, und da Jeder wußte,

daß annus genau ſo viel heiße, als 365 Tage, ſo konnte

es auf den erſten Blick Anſtoß erregen, wenn daneben die

Zahl 366 angegeben wurde. Dieſen Anſtoß zu vermeiden,

zog Paulus die auch zuläſſige Zählungsweiſe vor, welche

den Anfangstag nicht mit rechnet; ein ſolcher Anſtoß war

aber in unſrer Stelle nicht zu befürchten. Zwar könnte

man einwenden, mensis bedeute ja auch eine Zeit von

30 Tagen, alſo duo menses 60 Tage; allein Dieſes war

doch nur eine als Nothhülfe angenommene juriſtiſche Fic-

tion, in der Wirklichkeit hatten die Monate verſchiedenen

Umfang, und daher iſt mensis gar nicht ſo wie annus

ganz richtig, aber ſein vorgefaß-

ter Begriff von naturalis und

civilis computatio hindert ihn,

davon den rechten Gebrauch zu

machen. Er ſetzt nämlich den

Ablauf des Zeitraums in das

momentum temporis, und ver-

einigt dieſen Sinn mit dem Aus-

ſpruch des Paulus dadurch, daß

der, welcher vor dem momen-

tum erſcheine, doch auch ein ſol-

cher ſey, qui sexagesimo et

primo die venerit. Allein wenn

Paulus das momentum als

Gränze im Sinn hatte, ſo konnte

er dieſes nicht ohne die größte

Unvorſichtigkeit unausgedrückt laſ-

ſen. Die Unbeſtimmtheit ſeines

Ausdrucks ſchließt wahre Allge-

meinheit in ſich; er will ſagen,

man könne erſcheinen in jedem

Theil des 61 ten Tages, alſo

bis zur Mitternacht. — Unter-

holzner S. 297 faßt das Re-

ſultat unſrer Stelle eben ſo auf

wie ich, läßt ſich jedoch auf die

Rechtfertigung dieſer Anſicht und

auf die Beſeitigung der Schwie-

rigkeiten gar nicht ein.

|0413 : 399|

§ 186. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

dazu geeignet, ſchon durch den bloßen Wortlaut die Vor-

ſtellung einer beſtimmten Zahl von Tagen in jedem Leſer

unmittelbar zu erregen. — Das Reſultat alſo iſt dieſes.

Paulus will gar nicht etwa die Länge der Monate be-

ſtimmen, dieſe ſetzt er vielmehr als bekannt voraus; er

will den Satz ausdrücken, daß derjenige, dem eine Friſt

zum Handeln vorgeſchrieben ſey, den ganzen letzten Tag

zum Handeln frey habe, alſo nicht etwa von dem momen-

tum temporis, oder gar ſchon von dem Anfang des Tages

an, die Befugniß zum Handeln verloren habe. Dieſer

Satz aber wird erſt recht wichtig durch die abſtracte Ge-

ſtalt, worin wir die Stelle in den Digeſten leſen, indem

ſie hier gar nicht mehr (wie in ihrer urſprünglichen Ge-

ſtalt) auf ein einzelnes Rechtsverhältniß, ſondern auf vor-

geſchriebene Friſten und Verſäumniſſe überhaupt geht.

Denn das wird wohl kein Unbefangner behaupten wollen,

daß die hier als Inhalt der Stelle entwickelte Regel auf

zweymonatliche Friſten beſchränkt ſey, und auf Friſten von

anderem Umfang keine Anwendung finde.

§. 186.

VI. Die Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

C. Anklage wegen Ehebruch.

L. 30 § 1 ad L. J. de adult. (48. 5.). (Paul. lib. 1.

de adulteriis). Sexaginta dies a divortio numerantur:

in diebus autem sexaginta et ipse sexagesimus est.

|0414 : 400|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Die Lex Julia de adulteriis hatte dem Ehemann und

dem Vater der Ehebrecherin das Recht gegeben, eine Zeit

lang mit Ausſchließung aller Fremden die Anklage zu er-

heben, nach Ablauf derſelben ſollten auch Fremde klagen

können. Dieſe Zeit war wörtlich auf sexaginta dies feſt-

geſtellt (a), und nun ſagt Paulus in unſrer Stelle, auch

der sexagesimus ſelbſt ſey in den sexaginta mit enthalten.

Damit will er offenbar Denjenigen widerſprechen, die etwa

an dem sexagesimus nicht mehr jenes Vorrecht zulaſſen

möchten. Daß er einen Kalendertag meynt, kann nach

den oben angegebenen Gründen nicht bezweifelt werden;

wollte man gerade bey dieſer Stelle an einen beweglichen

Tag denken, ſo hätte ſie den unerträglich trivialen Sinn:

unter den geſtatteten 60 Tagen ſind nicht etwa nur 59 zu

verſtehen. — Welchen Tag meynt nun aber Paulus? So

ſonderbar dieſes auf den erſten Blick ſcheinen mag, muß

ich dennoch behaupten, daß er auch hier wieder den no-

vissimus dies meynt, alſo genau denſelben, welchen er in

L. 101 de R. J. sexagesimus et primus nannte; dort hatte

er nämlich den erſten Tag mitgezählt, hier zählt er ihn

nicht mit. Hier aber ſo zu zählen, hatte er einen guten

Grund in dem Ausdruck der Lex, welcher geradezu auf

sexaginta dies lautete, und mit welchem er einen wört-

lichen Widerſpruch in ſeiner Bezeichnung des novissimus

 

(a) L. 4 § 1 L. 11 § 6 L. 15

pr. L. 29 § 5 L. 30 § 1 ad L.

Jul. de adult. (48. 5.). Die ſo

häufige, wörtlich gleich lautende

Wiederholung der Ausdrücke läßt

keinen Zweifel, daß dieſelben ge-

rade ſo auch in der Lex ſtanden.

|0415 : 401|

§. 186. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

dies vermeiden wollte; es war alſo derſelbe Grund, der

ihn beſtimmte, in der Stelle über den anniculus (§ 184)

eben ſo zu zählen. Auch hätte es in der That allzu ſon-

derbar gelautet, wenn er hätte ſagen wollen: in diebus

sexaginta et ipse sexagesimus et primus est. Nimmt man

dieſe, wie ich glaube ſehr natürliche, Vereinigung unſrer

Stelle mit L. 101 de R. J. nicht an, ſo daß ein weſent-

licher Unterſchied in der Beurtheilung der beiden Fälle

übrig bleiben müßte, ſo iſt es unmöglich, eine irgend be-

friedigende Erklärung dieſes Unterſchieds zu finden; man

verliert ſich dann unvermeidlich in die Annahme einer ge-

dankenloſen, inconſequenten Willkühr, die durch eine an-

gebliche Milde u. ſ. w. nur ſchlecht verhüllt wird.

D. Friſt der Bonorum possessio.

Im prätoriſchen Edict waren kurze Friſten gegeben, in

welchen die Bonorum possessio von dem Prätor erbeten

werden mußte; den Aſcendenten und Deſcendenten Ein

Jahr, den Seitenverwandten und Nichtverwandten Hun-

dert Tage; der Ausdruck des Edicts war intra annum,

intra centum dies (b). Wenn nun der Berufene am

 

(b) Ulpian XXVIII. § 10. „B.

P. datur parentibus et liberis

intra annum .. ceteris intra

centum dies.” — L. 5 pr. quis

ordo (38. 15.) „nen cedent dies

centum .. praeteritis autem cen-

tum diebus.” … — Beſonders

aber die im Text abgedruckte

Stelle. — Wenn es daher ander-

wärts heißt: intra centesimum

diem, ſo iſt darin nur die An-

gabe des Inhalts, nicht der Worte

des Edicts zu ſuchen. L. 2 § 4

quis ordo (38. 15.), L. 1 § 8 de

succ. ed. (38. 9.).

IV. 26

|0416 : 402|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Schluß dieſer Friſt erſchien, ſo konnte es zweifelhaft ſchei-

nen, ob er dieſelbe gewahrt habe. Darauf bezieht ſich

folgende Stelle.

L. 1 § 9 de succ. ed. (38. 9.). (Ulp. lib. 49 ad Ed.).

Quod discimus, intra dies centum bonorum posses-

sionem peti posse, ita intelligendum est, ut et ipso

die centesimo bonorum possessio peti possit: quem-

admodum intra Kalendas etiam ipsae Kalendae sint.

Idem est, et si in diebus centum dicatur.

Dieſe Stelle hat die größte Ähnlichkeit mit der vorher-

gehenden (L. 30 ad L. J. de adult.), ſo daß faſt blos auf

deren genauere Erklärung verwieſen zu werden braucht.

Auch hier will der Juriſt einer denkbaren kürzeren Beendi-

gung der Friſt widerſprechen. Er zählt auch hier ſo, daß

er den Tag, an welchem der Berufene die angefallene Bo-

norum possessio erfahren hat, nicht mitzählt, und er

nennt deswegen centesimus den Tag, den er auch novis-

simus oder centesimus et primus hätte nennen können.

Er wählt dieſe Zählung und überhaupt die Zahlbezeich-

nung, um den Zuſammenhang ſeines Ausſpruchs mit den

Worten des Edicts (intra dies centum) unmittelbar an-

ſchaulich zu machen, und um nicht in einen ſcheinbaren

Widerſpruch mit dieſen Worten zu gerathen. Indem er

nun ſagt, der novissimus (oder centesimus) dies gehöre

noch zu der geſtatteten Friſt, ſo heißt das (da es unbe-

ſchränkt geſagt iſt) von ſelbſt ſo viel, als: dieſer ganze

Tag, bis zur Mitternacht, gehört dazu, ſo daß dieſe Stelle

 

|0417 : 403|

§. 186. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

mit den drey vorhergehenden vollkommen übereinſtimmt.

Ihr eigenthümlich iſt noch ein Einwurf, dem hier Ulpian

zu begegnen nöthig findet. Das intra dies centum, ſagt

er, dürfe nicht ſo verſtanden werden, als ob die verſtattete

Zeit weniger betrage als 100 Tage, ſo daß etwa ſchon

mit dem vorletzten Tage die Friſt abliefe; es heiße viel-

mehr, daß ſie bis an die Gränze (und zwar die juriſtiſch be-

rechnete) Gränze derſelben fortgehe. Dieſes beſtätigt er noch

durch die Analogie von intra Kalendas, welches auch nicht

heiße: dieſſeits der Kalenden (alſo nur bis zu pridie), ſon-

dern mit Einſchluß der ganzen Kalenden ſelbſt, bis zu de-

ren völligem Ablauf.

Es muß hier noch eine gemeinſchaftliche Bemerkung

über alle hier erklärte Stellen, worin Zahlen vorkommen,

hinzugefügt werden. Man könnte einwenden, die willkühr-

lich abwechſelnde Art der Zahlenbezeichnung von Seiten

der Roͤmiſchen Juriſten ſey durch ihre Zweydeutigkeit un-

vorſichtig geweſen, und eben darum könne ſie nicht mit

Wahrſcheinlichkeit vorausgeſetzt werden. Dieſe Einwen-

dung würde Grund haben, wenn den Verfaſſern der Stelle

die Bezeichnung des Tages als eigentlicher Gegenſtand

des Zweifels und der Entſcheidung vorgeſchwebt hätte,

wenn es ihnen darauf angekommen wäre, zu beſtimmen,

ob gerade dieſer Tag, oder etwa der vorhergehende oder

nachfolgende, die Friſt endige. Dieſes aber ſtand gar

nicht in Frage; ſie ſetzen überall als gewiß und bekannt

voraus, daß ſtets nur von dem novissimus dies die Rede

 

26*

|0418 : 404|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ſeyn könne, und ſie finden nur nöthig, nach Verſchiedenheit

der Fälle zu beſtimmen, ob deſſen Anfang, oder deſſen

Ende, oder das zwiſchen beiden Zeitpunkten liegende mo-

mentum temporis, als juriſtiſcher Endpunkt der ganzen

Friſt zu betrachten ſey. Daher durften ſie ſich erlauben,

in der Bezeichnung jenes bekannten und gewiſſen Tages

minder ſorgfältig zu verfahren, und dabey in jedem ein-

zelnen Fall diejenigen Ausdrücke zu wählen, die ſich recht

anſchaulich an die Worte der Lex oder des Edicts an-

ſchloſſen, worin gerade die Friſt beſtimmt worden war.

Nach den Vier zuletzt erklärten Stellen (§ 185. 186.)

iſt in ſolchen Fällen, worin ein Recht durch Verſäumniß

einer Friſt verloren werden kann, als juriſtiſcher Endpunkt

diejenige Mitternacht anzuſehen, welche auf das momen-

tum temporis folgt. Hieraus eine allgemeine Regel zu

bilden für alle Fälle, worin durch verſäumte Friſt ein

Recht verloren werden kann, ſind wir um ſo mehr berech-

tigt, als die eine der erklärten Stellen (L. 101 de R. J.)

in den Juſtinianiſchen Digeſten gar nicht auf ein einzelnes

Rechtsverhältniß bezogen wird, ſondern vielmehr die Na-

tur eines allgemeinen Grundſatzes für alle Fälle der hier

bezeichneten Art angenommen hat.

 

|0419 : 405|

§. 187. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

§. 187.

VI. Die Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

Ganz anders, als alle bisher betrachtete Fälle, wird

die Minderjährigkeit behandelt, inſofern dieſelbe Grund

einer Reſtitution iſt. Wenn nämlich ein Minderjähriger

an dem Geburtstage, an welchem er 25 Jahre alt wird,

ein Geſchäft vornimmt, und nun die Frage entſteht, ob

er dagegen zu reſtituiren ſey, dann ſoll weder auf den

Anfang des Tages geſehen werden (wie bey der Uſuca-

pion), noch auf deſſen Ende (wie bey der Klagverjährung),

ſondern auf das momentum temporis, das heißt auf die-

jenige Tageszeit, welche dem genau ermittelten Zeitpunkt

ſeiner Geburt entſpricht. Die merkwürdige Stelle, welche

dieſen Ausſpruch auf ganz unzweifelhafte Weiſe enthält,

iſt folgende.

 

L. 3 § 3 de minor. (4. 4.). (Ulpian. lib. XI. ad Ed.)

Minorem autem XXV. annis natu, videndum, an etiam

die (a) natalis sui adhuc dicimus, ante horam qua

natus est, ut si captus sit restituatur: et, cum non-

(a) Die Florentina las ur-

ſprünglich an etia diem, jedoch

iſt ſchon in alter Zeit ein m hin-

ter etia eingeſchoben worden, ſo

daß es nun heißt: an etiam

diem. Unterläßt man dieſe Ein-

ſchiebung eines neuen Buchſtaben,

und verſetzt blos das hinter die

ſtehende m hinter etia, ſo ent-

ſteht die einfache, befriedigende

Leſeart, welche hier im Text ab-

gedruckt und ſchon von Cujacius

vorgeſchlagen worden iſt. Sehr

abweichend iſt die Leſeart von

Haloander, und noch mehr die

von Wenk (Vacarius p. 205 sq.)

vorgeſchlagene, bey welchem ſich

auch reichliches Material zu die-

ſer kritiſchen Frage findet. Für

unſren Zweck iſt dieſelbe gleich-

gültig.

|0420 : 406|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

dum compleverit, ita dicendum, ut a momento in

momentum tempus spectetur.

Bey dieſer Stelle kann kein Zweifel über den Sinn

ſeyn; ſchwieriger iſt es den Grund dieſer Entſcheidung zu

finden, welcher zugleich Aufſchluß über das Verhältniß

derſelben zu den bisher dargeſtellten abweichenden Regeln

geben muß. Man könnte zuerſt geneigt ſeyn, den Ablaut

der Minderjährigkeit als eine Rechtserwerbung anzuſehen,

indem der Volljährige fähig wird, Verträge mit voller

Sicherheit für den Gegner zu ſchließen, anſtatt daß ihm

dieſer ſolche Verträge vielleicht verweigern wird, ſo lange

die Minderjährigkeit die Gefahr künftiger Reſtitution mit

ſich führt. Von dieſem Standpunkt aus betrachtet ſtände

die Volljährigkeit auf gleicher Linie mit der Uſucapion

und der Teſtamentsmündigkeit, nach deren Analogie die

vorhergehende Mitternacht als Gränzpunkt gelten müßte,

wodurch alſo der Zeitraum etwas verkürzt werden würde.

— Von einer andern Seite könnte man es als einen

Rechtsverluſt anſehen, da der bisher Minderjährige nun-

mehr den Schutz verliert, den ihm die Reſtitution gegen

die Folgen unüberlegter Handlungen gewährte. Dann

würde nach der Analogie der Klagverjährung die nachfol-

gende Mitternacht als Gränzpunkt anzuſehen ſeyn, die

Zeit der Minderjährigkeit alſo etwas ausgedehnt werden.

— Allein rein und vollſtändig würde auch dieſe Analogie

nicht behauptet werden können, da die Klagverjährung

eben ſo wie die mit ihr zuſammen geſtellten anderen Fälle,

 

|0421 : 407|

§. 187. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

auf einem Verluſt durch Verſäumniß beruht, anſtatt daß

der durch Volljährigkeit herbeygeführte Verluſt auf einem

unfreywilligen Naturereigniß beruhen würde. Auch konnte

gegen jede Ausdehnung des Zeitraums der Grund geltend

gemacht werden, daß die Reſtitution überhaupt, als ein

ſehr anomaliſches Recht, zu einer ſo freyen Behandlung

weniger geeignet ſcheine. — Vielleicht waren es dieſe

widerſtreitende Gründe, wodurch die Römiſchen Juri-

ſten bewogen wurden, beide Arten der civilen Zeitrech-

nung, die erweiternde wie die abkürzende, in dem er-

wähnten Fall aufzugeben, und bey dem mathematiſchen

Endpunkt als Gränze des reſtituirbaren Alters ſtehen zu

bleiben. Als Folge davon treten nun allerdings alle die

Schwierigkeiten ein, welche oben (§ 181) dargeſtellt wor-

den ſind. In der wirklichen Anwendung ſtellt ſich Dieſes

auf folgende Weiſe. Die Frage kann nur vorkommen,

wenn der vormals Minderjährige Reſtitution begehrt. Nun

iſt es ſeine Sache, den Richter zu überzeugen, daß das

ſtreitige Rechtsgeſchäft vor derjenigen Tageszeit geſchloſſen

wurde, welche der Tageszeit ſeiner Geburt entſprach. Ge-

lingt es ihm mit dieſem Beweiſe nicht, bleibt alſo die eine oder

die andere Tageszeit ungewiß, ſo iſt die Bedingung der Reſti-

tution nicht vorhanden, das am Geburtstag geſchloſſene Ge-

ſchäft iſt dann der Reſtitution nicht unterworfen, und für

ſolche Fälle iſt der letzte Erfolg derſelbe, wie wenn überhaupt

die Volljährigkeit mit der vorhergehenden Mitternacht, alſo

auf gleiche Weiſe wie die Teſtamentsmündigkeit, anfienge.

|0422 : 408|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Es verdient ſehr hervorgehoben zu werden, daß Dieſes

der einzige Fall iſt, in welchem die ſtrenge Zeitrechnung

(a momento in momentum) in unſren Rechtsquellen an-

gewendet wird (b), während diejenige Rechnung, welche

auf die vorhergehende oder nachfolgende Mitternacht das

Ende eines Zeitraums überträgt, dieſen alſo etwas ver-

kürzt oder erweitert, in einer nicht geringen Zahl verſchie-

denartiger Fälle nachgewieſen worden iſt. Dabey liegt

unverkennbar die Anſicht zum Grunde, nach welcher dieſe

ſtrenge Zeitrechnung als eine unerwünſchte Aushülfe in

möglichſt enge Gränzen der Anwendung einzuſchließen iſt.

— Auch iſt wohl zu bemerken, daß dieſer einzige ſichere

Fall der Momentenrechnung ein ſolcher iſt, worin der vor-

geſchriebene Zeitraum in ganzen Jahren beſteht; bey Zeit-

räumen, die auf eine Anzahl von Tagen oder Monaten

beſtimmt waren, alſo nicht in ganzen Jahren beſtanden,

wäre es für die Römer faſt unmöglich geweſen, nach Mo-

menten zu rechnen (§ 181. x.).

 

§. 188.

VI. Die Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung).

Die Art, wie der Endpunkt juriſtiſch wichtiger Zeit-

 

(b) Nämlich ganz gewiß der

einzige Fall, worin Dieſes mit kla-

ren Worten ausgeſprochen iſt, nach

der von mir verſuchten Erklärung

der übrigen Stellen in der That

auch der einzige Fall überhaupt.

Andere Schriftſteller freylich haben

auch in die Stellen, welche von

dem Rechtsverluſt durch Verſäum-

niß handeln, eine ſolche Zeitrech-

nung durch gezwungene Inter-

pretation hinein zu tragen ge-

ſucht § 185. d. v.

|0423 : 409|

§. 188. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

räume beſtimmt werden ſoll, iſt bisher in einer Reihe ein-

zelner Rechtsinſtitute unterſucht worden; es bleibt nun

übrig, Regeln für die Beurtheilung derjenigen Inſtitute

aufzuſtellen, worüber ſich unſre Rechtsquellen nicht beſon-

ders ausſprechen.

Die hierüber von Anderen aufgeſtellten Regeln kann

ich nicht als befriedigend anerkennen. Man hat geſagt, die

naturalis computatio bilde die Regel, die überall eintreten

müſſe, wo nicht die civilis als Ausnahme beſonders aner-

kannt ſey. Dieſe Meynung beruht auf der ganz irrigen

Annahme, die civilis habe die Begünſtigung gewiſſer Per-

ſonen zum Zweck, ſie ſey alſo eine Art von Privilegium;

ſie iſt aber in der That nur dazu beſtimmt, eine für alle

Theile läſtige Erſchwerung der Rechtsverfolgung zu beſei-

tigen. Auch ſteht damit die Wahrnehmung im Wider-

ſpruch, daß die Römer in ſo zahlreichen Fällen die Erleich-

terung der civilen Zeitrechnung anerkennen, anſtatt daß

nur in einem einzigen die ſtrenge Rechnung ad momenta

vorkommt.

 

Andere haben geſagt, die civilis gelte in den Inſtituten

des jus civile, die naturalis in denen des jus gentium (a).

Auf dieſe Behauptung hat blos der Wortlaut geführt,

wobey noch beſonders zu bedenken iſt, daß die Ausdrücke

civilis und naturalis computatio ſelbſt unächt ſind (§ 182.).

Man ſetzt dabey ſtillſchweigend voraus, Das was man ci-

 

(a) Noodt Comm. in Pand. tit. de minoribus. Reinfelder

S. 16.

|0424 : 410|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

vilis computatio nennt, beruhe auf einer Subtilität des jus

civile, da es doch nur die Befriedigung eines ganz prak-

tiſchen Bedürfniſſes durch etwas freye Behandlung der

Rechtsverhältniſſe iſt. Eine ſolche Behandlung aber iſt

der Natur des jus gentium ſogar vorzugsweiſe angemeſſen.

Näher der Wahrheit kommt die Anſicht, nach welcher

die civilis oder naturalis computatio angewendet werden

ſoll, je nachdem die eine oder die andere der Perſon vor-

theilhafter iſt, deren Rechte hier zunächſt in Betracht kom-

men (b). Nur mußte man mit dieſer Unterſcheidung nicht

bey der Berechnung ad momenta ſtehen bleiben, ſondern

den Endpunkt noch weiter vorrücken.

 

Der einzig ſichere Weg beſteht darin, daß wir aus den

in unſren Rechtsquellen entſchiedenen Fällen Regeln bilden,

wozu ſchon oben der Anfang gemacht worden iſt (c), und

dann die nicht entſchiedenen Fälle nach dieſen Regeln

beurtheilen. Auf dieſem Wege kommen wir zuerſt auf

Zwey einfache Regeln, woraus die meiſten Fälle eine

ſichere Entſcheidung erhalten können; es bleiben dann nur

noch wenige Fälle zu weiterer Unterſuchung übrig.

 

Erſte Regel. Wer durch den Ablauf eines Zeitraums

ein Recht erwirbt, kann dieſes in Anſpruch nehmen ſchon

von dem Anfang des letzten Kalendertages an. Es iſt

Dieſes die Regel, welche wir oben in Anwendung fanden

bey der Uſucapion, der Manumiſſion, dem anniculus, und

 

(b) Rücker p. 70.

(c) § 184. 186, jedesmal am

Ende des §.

|0425 : 411|

§. 188. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

der Teſtamentsmündigkeit. Dieſelbe iſt nun ferner anzu-

wenden in folgenden Fällen.

1. Bey der Fähigkeit zur Ehe, die in demſelben Zeit-

punkt eintritt, wie die Fähigkeit zur Errichtung eines Te-

ſtaments, und nach unſrer Regel gleichfalls von dem

Anfang des Geburtstages an behauptet werden muß (d).

Das praktiſche Intereſſe der Regel würde ſich hier zeigen,

wenn etwa in der erſten Hälfte des Tages, und vor dem

momentum der Geburtszeit, die Ehe geſchloſſen wäre, und

noch in demſelben Zeitraum eine Schenkung unter den Ehe-

gatten vorkäme; dieſe würde eine nichtige Handlung ſeyn.

Eben ſo wenn in demſelben Zeitraum, bald nach geſchloſ-

ſener Ehe, der eine Ehegatte das Leben verlöre; die ehe-

lichen Rechte, namentlich in Beziehung auf die Dos, wür-

den hier ſchon völlig erworben ſeyn.

 

2. Bey dem Ablauf des Trauerjahrs. Wenn alſo

die Wittwe an dem wiederkehrenden Todestag des erſten

Mannes, und zwar vor der Todesſtunde, eine neue Ehe

ſchließt, ſo wird ſie von den auf das verletzte Trauerjahr

geſetzten Strafen nicht mehr betroffen.

 

3. Die Rückforderung der in baarem Gelde und ähn-

 

(d) L. 4 de ritu nupt. (23. 2.)

„cum apud virum explesset duo-

decim annos.” — L. 24 C. de

nupt. (5. 4.) „.. tempus .. in

quo nuptiarum aetas, vel fe-

minis post duodecimum annum

accesserit, vel maribus post

quartum decimum annum com-

pletum.” .. Dieſe Ausdrücke kön-

nen über die Frage nicht entſchei-

den, da ſie in Stellen gebraucht

ſind, worin von der ſcharfen

Gränzbeſtimmung, je nach ver-

ſchiedenen Arten denkbarer Be-

rechnung, gar nicht die Rede iſt.

— Rücker p. 54 will hier ad

momenta rechnen.

|0426 : 412|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

lichen Vermögensſtücken beſtehenden Dos ſollte nach altem

Recht annua, bima, trima die geſchehen dürfen (e); die

Befugniß fieng alſo an mit Anbruch des Tages, ohne

Rückſicht auf die Tageszeit des Todes oder der Scheidung.

Das praktiſche Intereſſe dieſer Anwendung war nicht er-

heblich.

4) Nur Derjenige ſollte poſtuliren dürfen, welcher das

ſiebenzehente Jahr zurückgelegt hatte (f). Dieſe Befugniß

fieng alſo an mit dem Anbruch des Geburtstags, ohne

Rückſicht auf die Stunde der Geburt.

 

Eine Ausnahme der Regel ſollte eintreten, wenn ein

Geſetz den Erwerb des Rechts ausdrücklich an die Über-

ſchreitung eines Zeitraums geknüpft hatte; ſo war die

Freyheit von ſtädtiſchen Ämtern und von Vormundſchaften

nur dem major septuaginta annis zugeſagt (§ 182. d).

Wird alſo einem Siebenzigjährigen eine Vormundſchaft

deferirt an ſeinem Geburtstage, ſo genießt er jene Be-

freyung nicht, wohl aber wenn es am folgenden Tage

geſchieht (g).

 

Zweyte Regel. Wer durch Unthätigkeit nach Ab-

 

(e) Ulpian. VI. § 8.

(f) L. 1 § 3 de postul. (3. 1.)

„minorem annis decem et sep-

tem, qui eos non in totum com-

plevit, prohibet postulare.” Die-

ſe Worte gehen hier nicht auf die

genaue Gränzbeſtimmung im letz-

ten Tage (wozu das Intereſſe all-

zu geringfügig war), ſondern ſie

fordern nur überhaupt den Ab-

lauf des Jahres, und ſollen alſo

Diejenigen ausſchließen, die ſchon

nahe an 17 Jahren ſind, und die

man nach der Analogie des im-

pubes pubertati proximus zu-

zulaſſen verſucht ſeyn konnte.

Rücker p. 53 rechnet auch hier

ad momenta, welches in dieſer

Anwendung überaus kleinlich iſt.

(g) L. 2 pr. de excus. (27. 1.).

|0427 : 413|

§. 188. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

lauf eines beſtimmten Zeitraums ein Recht verlieren ſoll,

kann noch am ganzen letzten Kalendertag handeln, ſo daß

der Verluſt erſt mit dem Ablauf dieſes Tages eintritt. Es

iſt Dieſes die Regel, die wir oben angewendet fanden bey

der Klagverjährung, der Anklage wegen Ehebruch, und

bey der bonorum possessio; außerdem noch in einer Stelle,

die im Juſtinianiſchen Recht eine ganz allgemeine Geſtalt

angenommen hat. Dieſe Regel iſt nun ferner in folgen-

den Fällen anzuwenden.

1) Bey der im alten Recht vorgeſchriebenen Prozeß-

verjährung von 18 Monaten für die legitima judicia (h).

Am letzten Kalendertage alſo konnte noch der Judex ein

gültiges Urtheil fällen.

 

2) Bey der Reſtitution, deren Vier Jahre hierin ganz

die Natur der Klagverjährung haben.

 

3) Bey der Excuſation von der Vormundſchaft, die

an eine Friſt von 50 Tagen gebunden iſt.

 

4) Bey dem Inventarium einer Erbſchaft, welches bin-

nen 30 Tagen angefangen und binnen den folgenden 60

Tagen geendigt werden ſoll. Beides kann noch im Lauf

des ganzen letzten Kalendertages geſchehen, und iſt als-

dann hinreichend um den Verluſt des Rechts abzuwenden.

 

5) Bey Prozeßfriſten, mögen nun dieſe in Geſetzen

oder in richterlichen Verfügungen ihren Grund haben. Un-

ter allen Anwendungen der für den Endpunkt juriſtiſcher

Zeiträume aufgeſtellten Regeln iſt keine ſo häufig und

 

(h) Gajus IV. § 104.

|0428 : 414|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

darum ſo wichtig als dieſe, welche in größeren Gerichten

faſt täglich vorkommt. Und gerade für dieſe Anwendung

finden ſich unerwarteter Weiſe die ſtärkſten und mannich-

faltigſten Beſtätigungen der hier aufgeſtellten Anſicht (i).

Sie wird beſtätigt durch die Autorität ſehr angeſehe-

ner praktiſchen Juriſten, nur freylich in einer Geſtalt,

worin man leicht überſieht, daß es in der That die hier

aufgeſtellte, und in wichtigen Anwendungen des Römiſchen

Rechts nachgewieſene Regel iſt. Jene lehren nämlich, in

den Prozeßfriſten müßte nicht ſchon von dem Tage, woran

die Friſt gegeben wird, ſondern erſt vom folgenden Tage

an, gezählt werden (k). So ausgedrückt, ſieht es aus

wie eine willkührliche, grundloſe Begünſtigung der Partey,

welcher die Friſt vorgeſchrieben wird, und es haben da-

her andere Schriftſteller, von dem Standpunkt einer ver-

meyntlichen ſtrengen Theorie aus, Widerſpruch dagegen

erhoben (l); in der That aber iſt es nur die oben darge-

 

(i) Nicht ſelten führt man die

L. 1 si quis caut. (2. 11.) zur

Beſtätigung dieſer Anwendung

an, die doch in der That keine

Verbindung damit hat. Der Prä-

tor ließ einen entfernt wohnen-

den Beklagten in der Art die Er-

ſcheinung vor Gericht verſprechen,

daß ihm auf jede 20 Römiſche

Meilen Entfernung ein Reiſetag

geſtattet wurde; dabey ſollte noch

der Tag der Stipulation und der

Tag des Gerichts ſelbſt außer

Rechnung bleiben. Das heißt aber

nur, der Beklagte ſolle nicht ge-

nöthigt ſeyn, noch am Abend des

letzten Reiſetages vor dem Rich-

ter aufzutreten. Mit der Berech-

nung des Endpunkts eines gan-

zen Zeitraums hat Das keinen Zu-

ſammenhang.

(k) Böhmer Jus eccl. Prot.

Lib. 2 T. 14 § 5 „post diem in-

sinnationis dilatio praescripta

currere incipit.” Voetius II. 12

§ 14. Gensler Archiv B. 4

S. 197.

(l) Glück hatte in früherer

Zeit blos die gewöhnliche Lehre

der Praktiker vorgetragen (B. 3

|0429 : 415|

§. 188. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

ſtellte Lehre des Römiſchen Rechts, nach welcher bey den

Klagverjährungen u. ſ. w. der letzte Kalendertag dem Be-

rechtigten bis an ſeinen Ablauf offen ſtehen ſoll. Denn

es iſt im Erfolg ganz einerley, ob man ſagt, eine Friſt

werde gleich von dem Zeitpunkt an gerechnet, woran ſie

angeſetzt wurde, jedoch ſo daß der ganze letzte Kalender-

tag zum Handeln frey ſtehe, oder ob man es ſo aus-

drückt: die Zählung der vorgeſchriebenen Tage ſolle erſt

von dem folgenden Kalendertage anheben.

Dieſelbe Lehre findet endlich aber auch ihre Beſtäti-

gung in der Praxis aller Gerichte. Wenn eine einmonat-

liche Friſt zur Einreichung einer Prozeßſchrift am 5. Sep-

tember gegeben iſt, ſo wird der erkennende Richter nur

darauf ſehen, ob die Schrift ſpäteſtens am 5. Oktober

eingereicht worden iſt, und er wird Dieſes für genügend

halten, ohne zu prüfen, ob dieſes vielleicht in einer ſpä-

teren Tagesſtunde geſchah, als an welcher die Friſt ge-

geben worden war; gerade Das aber iſt der Sinn und

Erfolg der hier für die Prozeßfriſten (übereinſtimmend mit

den Klagverjährungen) aufgeſtellten Regel. Nur allein

bey der Appellationsfriſt von Zehen Tagen nimmt man

an, daß dieſelbe ad momenta zu berechnen ſey (m), jedoch

 

§ 267). Späterhin, bey der Lehre

von den Excuſationen (B. 32 S.

101—103), erkennt er dieſelbe

zwar auch noch, als in der Praxis

herrſchend, an, verwirft ſie aber

von Seiten der Theorie.

(m) Man gründet dieſes auf

die Worte der Nov. 23 C. 1 „in-

tra decem dierum spatium, a

recitatione sententiae nume-

randum.” In der That aber

ſind dieſe Worte eben ſo verein-

bar mit einer Berechnung ad

dies, als ad momenta.

|0430 : 416|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

nur unter der Vorausſetzung, daß die Tageszeit der In-

ſinuation des Urtheils bemerkt und beglaubigt worden

iſt, welches in früheren Zeiten ſehr gewöhnlich beobach-

tet wurde; wenn dagegen dieſe genaue Zeitangabe fehlt,

und nur der Tag der Inſinuation in den Akten bemerkt

iſt (welches heutzutage der häufigere Fall in Gerichten

ſeyn wird), ſo giebt man auch für die Appellation zu,

daß ſie zehen Tage nach der Inſinuation, ohne Rückſicht

auf die Tageszeit, eingelegt werden darf (n), worin denn

wiederum eine Anerkennung der hier aufgeſtellten Re-

gel liegt.

Es bleibt nun noch zu unterſuchen übrig, ob es nicht

Fälle gebe, welche nach keiner der aufgeſtellten beiden Re-

geln zu beurtheilen ſeyen, ſondern vielmehr nach der Re-

gel der Berechnung ad momenta, alſo nach der Analogie

der Minderjährigkeit als Bedingung der Reſtitution.

 

Dahin gehört nun vor Allem die Minderjährigkeit als

Grund und Bedingung einer Curatel. Das praktiſche In-

tereſſe dieſer Frage liegt nicht etwa darin, daß gezweifelt

werden könnte, ob der Minderjährige einen Tag früher

oder ſpäter die Auslieferung des Vermoͤgens verlangen

könne; denn ehe der Rechtsſtreit hierüber entſchieden wer-

den könnte, würde unfehlbar jener zweifelhafte Tag ab-

gelaufen ſeyn. Das Intereſſe liegt vielmehr darin, daß

an dem Geburtstage einſeitige Veräußerungen von dem

Curanden, oder auch von dem Curator, vorgenommen

 

(n) Böhmer Jus eccl. Prot. Lib. 2 T. 48 § 48.

|0431 : 417|

§. 188. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

ſeyn können. Die Gültigkeit jener und dieſer Handlun-

gen hängt von dem genau beſtimmten Endpunkt der Cu-

ratel ab; vor dieſem Ende kann der Minderjährige, nach

demſelben der Curator, nicht gültig handeln. Hier nun

glaube ich, daß es ganz unnatürlich ſeyn würde, für die

Curatel einen andern Endpunkt eintreten zu laſſen, als für

die Reſtitution, da beide Rechtsinſtitute den gemeinſchaft-

lichen Zweck haben, den Minderjährigen gegen ſeine nach-

theilige Handlungen zu ſchützen, und dieſen Zweck nur

durch verſchiedene Mittel und Formen verfolgen. Daher

iſt das Ende der Curatel genau nach der Tageszeit der

Geburt (ad momentum) zu beſtimmen; wird dieſe Zeit

bezweifelt, ſo hat jedesmal Derjenige den Beweis zu füh-

ren, der nach den vorliegenden Umſtänden als Kläger auf-

tritt, und der mislingende Beweis muß Dieſem zum Nach-

theil gereichen.

Ganz dieſelbe Frage, gegründet auf daſſelbe Intereſſe,

trat ein bey der Mündigkeit, von welcher die eigene Hand-

lungsfähigkeit des Mündels, zugleich aber das Ende der

Tutel und der Rechte des Vormundes abhingen (o). Hier

ſcheint es auf den erſten Blick natürlich, dieſelbe Regel

 

(o) Man könnte hier verſuchen,

die Frage vor Allem nach den ge-

ſetzlichen Beſtimmungen über das

Ende der Tutel zu entſcheiden.

pr. J. quib. modis tut. (1. 22.)

„post annum XIV. completum.”

L. 3 C. quando tut. (5. 6.) „post

excessum XIV. annorum … post

impletos XII, annos.” Allein da

in dieſen Stellen nicht unſre be-

ſtimmte Frage zur Entſcheidung

vorlag, alſo der Gegenſatz ver-

ſchiedener Zeitpunkte im letzten

Tage nicht beſtimmt in’s Auge

gefaßt war, ſo läßt ſich auf jene

Ausdrücke kein Gewicht legen.

Vergl. Koch S. 71 — 73. Erb

S. 239.

IV. 27

|0432 : 418|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

gelten zu laſſen wie bey der Teſtamentsmündigkeit, alſo

auf die vorhergehende Mitternacht (nach Anderen um ei-

nen Tag weiter) zurück zu gehen. Allein bey genauerer

Betrachtung erſcheinen doch die Verhältniſſe etwas ver-

ſchieden, indem die Tutel eine Schutzanſtalt gegen Gefah-

ren in ſich ſchließt, von welchen bey der Unfähigkeit zum

letzten Willen nicht die Rede iſt. Dagegen iſt die Gleich-

artigkeit der Tutel mit der Curatel hierin ſo unverkenn-

bar, daß ich es für richtiger halte, auch bey dem Ende

der Tutel die Rechnung ad momenta im Römiſchen Recht

anzunehmen. — Übrigens verſchwindet dieſe letzte Frage

völlig für unſer heutiges Recht, in welchem die Tutel der

Unmündigen mit der Curatel der Minderjährigen zuſam-

men fällt, alſo ein beſonderes Ende der Tutel nicht mehr

eintritt. Auch bey den Römern war das Intereſſe der

Frage in Beziehung auf die Tutel geringer. Erſtlich weil

der Unmündige unmittelbar in die Minderjährigkeit ein-

trat, nun alſo gegen ſeine eigene Unvorſichtigkeit durch

Reſtitution, ſpäterhin auch durch die Curatel, geſchützt

war. Zweytens weil in der alten Zeit, wie ich glaube,

das Ende der Tutel meiſt nicht an das beſtimmte Alter,

ſondern an die Anlegung der männlichen Toga, alſo an

eine willkührliche und feyerliche Handlung, geknüpft war

(§ 109).

In denjenigen Fällen, worin gar nicht von dem Ab-

lauf eines ganzen, gleichmäßig erfüllten Zeitraums, ſon-

 

|0433 : 419|

§. 188. Zeit. 3. Civile Zeitrechnung. (Fortſetzung.)

dern von der Benutzung eines einzelnen in denſelben fal-

lenden Zeitpunktes, die Rede iſt (§ 177), müſſen die auf-

geſtellten Regeln nach ihrem allgemeinen Sinn dergeſtalt

angewendet werden, daß Derjenige, der aus einem ſolchen

Zeitpunkte ein Recht ableiten will, innerhalb des äußer-

ſten Tages frey wählen kann, ſo wie es ihm am Vor-

theilhafteſten iſt. Wer alſo die Legitimität eines Kindes

deswegen behauptet, weil 182 Tage vor der Geburt eine

Ehe geſchloſſen worden iſt, wird dieſe Behauptung auch

dann begründet haben, wenn die Ehe am Abend geſchloſ-

ſen, die Geburt aber am Morgen erfolgt war. Umge-

kehrt wird Derjenige, dem ein Pferd am Abend getödtet

iſt, wenn er ein Jahr vorher den höheren Werth ausmit-

teln will, bis auf den Morgen des der Tödtung entſpre-

chenden Kalendertages zurückgehen dürfen. Durch eine

ſolche Berechnung wird alſo der mathematiſch begränzte

Zeitraum der 182 Tage oder des Jahres im erſten Fall

um Etwas verkürzt, im zweyten um Etwas verlängert ſeyn.

Zuletzt ſoll noch gefragt werden, was über den End-

punkt juriſtiſcher Zeiträume außer dem Römiſchen Recht

vorkommen mag.

 

Im alten Deutſchen Recht finden ſich nicht ſelten Zu-

gabetage (p). Dieſe könnte man wohl auf eine ähnliche

Anſicht zurück führen, wie die welche bey Berechnung der

 

(p) Grimm Rechtsalterthümer S. 221.

27*

|0434 : 420|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Römiſchen Klagverjährung zum Grunde liegt; doch wage

ich nicht, etwas Beſtimmtes darüber zu behaupten.

Das Preußiſche Landrecht hat ganz die Grundſätze an-

genommen, die ich hier in dem Römiſchen Recht nachzu-

weiſen geſucht habe, nur noch in größerer Allgemeinheit.

Jeder Zeitraum ſoll, wenn durch ſeinen Ablauf ein Recht

erworben wird, mit dem Anfang des letzten Tages been-

digt werden (q), wenn dadurch ein Recht verloren wird,

mit dem Ende des Tages (r). Eine Berechnung ad mo-

menta kommt daneben gar nicht vor; die Handlungsfähig-

keit des Minderjährigen fängt insbeſondere mit dem An-

bruch des Geburtstages an (s), ſo daß dieſe Veränderung

als reiner Erwerb eines Rechts behandelt wird.

 

Das Franzöſiſche Geſetzbuch hat die Regel, welche im

Römiſchen Recht für den Verluſt durch Verſäumniß gilt,

allgemein gemacht, ſo daß jeder juriſtiſche Zeitraum ge-

endigt wird mit dem Ablauf des letzten Tages, alſo mit

der nachfolgenden Mitternacht (t). Daher werden hier alle

Zeiträume in der That bald mehr bald weniger verlän-

 

(q) A. L. R. I. 3 § 46.

(r) A. L. R. I. 3 § 47, I. 9

§ 547. 549.

(s) A. L. R. I. 5 § 18.

(t) Code civil art. 2260. 2261.

„La prescription se compte

par jours, et non par heures.

— Elle est acquise lorsque le

dernier jour du terme est ac-

compli.” — Dernier jour könnte

an ſich zweydeutig ſcheinen; in

Verbindung mit dem vorherge-

henden Artikel kann es nur der

Kalendertag ſeyn. — Dieſe Be-

ſtimmungen ſind die dispositions

générales für die Zeit der Ver-

jährung, ſo daß ſie die Uſucapion

und Klagverjährung zugleich um-

faſſen. Es iſt wohl unbedenklich,

ſie auch auf den Ablauf aller an-

deren juriſtiſchen Zeiträume an-

zuwenden, da die Abſicht der Sim-

plification zum Grunde liegt.

|0435 : 421|

§. 189. Zeit. 4. Utile tempus.

gert, mit Ausnahme der ſeltenen Fälle, worin der beweg-

liche Tag mit einem Kalendertag zufällig zuſammen trifft.

Es iſt aber dieſe Beſtimmung als abſichtliche Änderung

des früher geltenden Rechts getroffen worden, welches

durch die Vorſchriften des Römiſchen Rechts beſtimmt wor-

den war; dieſe Vorſchriften ſelbſt hatte man bey der Ab-

faſſung des neuen Geſetzbuchs ganz richtig aufgefaßt (u).

§. 189.

VI. Die Zeit. 4. Utile tempus.

Hauptſtellen:

 

L. 1 de div. temp. praescr. (44. 3.).

L. 2 quis ordo (38. 15.).

Schriftſteller:

 

Donellus XVI. 8 § 17.

Haubold opuscula T. 1 p. 397 — 438 (von 1791); vgl.

Wenck praefatio p. XXX.

Chr. G. Gmelin über die ſtete und zuſammengeſetzte

Zeit, in: Danz, Gmelin und Tafinger critiſches Ar-

chiv der jur. Lit. Tübingen 1802 B. 2 S. 193 — 244.

Die civile Zeitrechnung, von welcher bisher als von

einer Modification der regelmäßigen Berechnung die Rede

war, konnte bey Zeiträumen aller Art in Frage geſtellt

 

(u) Code civil suivi des mo-

tifs T. 7 p. 148 (Rede von Bi-

got-Préameneu). Maleville

T. 4 p. 148.

|0436 : 422|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

werden: das utile tempus, von welchem nunmehr, als ei-

ner zweyten möglichen Modification, die Rede ſeyn ſoll,

iſt ſchon durch ſeinen Begriff auf ſolche Zeiträume be-

ſchränkt, in welchen die Unthätigkeit eines Berechtigten den

Verluſt des Rechts nach ſich zieht (§ 177). Wenn näm-

lich dieſe Unthätigkeit in einzelnen Fällen ihren Grund hat

in einem unüberwindlichen Hinderniß, ſo kann hierauf bil-

lige Rückſicht in der Art genommen werden, daß diejeni-

gen Zeittheile, worin das Hinderniß Statt fand, gar nicht

als abgelaufen oder verſäumt mitgerechnet werden (a), ſo

daß der Zeitraum um eben ſo viele Zeittheile in der That

erweitert wird, als durch das Hinderniß aus der Berech-

nung ausgefallen ſind. Wo dieſe Modification zur An-

wendung kommt, heißt die Zeit utile tempus, wo ſie nicht

gilt, alſo die Zählung der Zeittheile ohne Rückſicht auf

Hinderniſſe durchgeführt wird, continuum (b). Die Zeit-

theile, die auf dieſe Weiſe dem Handelnden zu gut ge-

rechnet werden, ſind ſtets einzelne, aber ganze Tage, auch

da wo der Zeitraum ſelbſt nicht in einer Zahl von Ta-

(a) Der techniſche Ausdruck iſt:

dies cedunt, non cedunt. Vgl.

die angeführten Hauptſtellen.

(b) Tempus utile, continuum.

L. 2 quis ordo (38. 15.). — Dies

utiles, in beiden Hauptſtellen, auch

in § 16 J. de excus. (1. 25.). —

Menses. L. 19 § 6 de aedil. ed.

(21. 1.), L. 29 § 5 ad L. Jul.

de adult. (48. 5.). — Annus L. 19

§ 6 de aedil. ed. (21. 1.), L. 8

C. de dolo (2. 21.). — Biennium

continuum. L. 8 C. de dolo (2.

21.). — Quadriennium L. 7 C.

de temp. in int. rest. (2. 53.). —

Quinquennium L. 29 § 5 L. 31

ad L. Jul. de adult. (48. 5.). —

Auch kommt für dieſe Behand-

lung der Zeit das Subſtantivum

utilitas temporis vor L. 2 § 3

quis ordo (8. 15.); eben ſo für

die entgegengeſetzte: continuatio

temporis. L. 7 pr. C. de temp.

in int. rest. (2. 53.).

|0437 : 423|

§. 189. Zeit. 4. Utile tempus.

gen, ſondern in größeren Zeitabſchnitten (Jahr oder Mo-

nat) ausgedrückt iſt (c). Das Eigenthümliche dieſer billi-

gen Begünſtigung beſteht nun darin, daß dieſelbe ganz von

ſelbſt, in Folge einer allgemeinen Rechtsregel (ipso jure)

eintritt, nicht durch eine Reſtitution, welche ſtets die freye

Einwirkung der Obrigkeit auf ein einzelnes Rechtsverhält-

niß vorausſetzt, und daher von dem utile tempus durch-

aus verſchieden iſt.

Es würde irrig ſeyn, wenn man dieſen zur vorläufi-

gen Überſicht aufgeſtellten formellen Begriff des utile tem-

pus ſo auffaſſen wollte, als ob daſſelbe in allen Fällen

der hier beſchriebenen Art wirklich zur Anwendung käme.

Zwar negativ läßt ſich auch ſchon dieſer blos formelle

Begriff mit Sicherheit gebrauchen, um alle darunter nicht

enthaltene Fälle entſchieden auszuſchließen. So dauerte

 

(c) L. 2 pr. quis ordo (8. 15.).

„Utile tempus est bonorum pos-

sessionum admittendarum. Ita

autem utile tempus est, ut sin-

guli dies utiles sint: scilicet

ut per singulos dies et scierit

et potuerit admittere. Ceterum

quacunque die nescierit, aut

non potuerit, nulla dubitatio

est, quin dies ei non cedat.”

Dieſe Zeitbeſtimmung nun gieng,

nach Verſchiedenheit der Fälle, auf

Ein Jahr oder 100 Tage. Un-

bedenklich aber iſt die hier für die

B. P. ausgeſprochene Regel auch

auf die Klagverjährungen anzu-

wenden. — Tritt das Hinderniß

mitten in einem Tage ein, ſo muß

dieſer ganze Tag als ausfallend

gelten, weil die Rechtsregel ſtets

eine Anzahl vollſtändiger

Tage zum Handeln geſtattet, die-

ſer Tag aber kein vollſtändiger

iſt. Reinfelder S. 16. 17 will

hier Stunden und Minuten ein-

zeln zählen; das würde nicht nur

ſehr kleinlich ſeyn, auch dem Aus-

druck der angeführten Stelle nicht

entſprechen, ſondern es wäre über-

dem an ſich irrig. Denn die Ge-

ſchäftszeit jedes Tages beträgt

ſtets ſehr viel weniger als 24 Stun-

den, und läßt ſich gar nicht auf

eine beſtimmte Stundenzahl be-

ſchränken.

|0438 : 424|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

die alte Uſucapion beweglicher Sachen nur Ein Jahr, und

dieſer kurze Zeitraum konnte dazu verleiten, ein utile tem-

pus anzunehmen; dennoch galt dieſes hier niemals (d), aus

dem einfachen Grunde, weil die Uſucapion weſentlich auf

dem Beſitz des Erwerbers beruht, nicht auf der Unthätig-

keit des früheren Eigenthümers, die hier bloße Nebenſache

iſt, und im alten Recht großentheils gar nicht vorhanden

war (e). Aber ein poſitiver Gebrauch läßt ſich von je-

nem Begriff nur mit großer Vorſicht machen. Das utile

tempus gilt nämlich ſelbſt in dem oben bezeichneten Fall

doch nur unter folgenden beſonderen Bedingungen, welche

vereinigt vorhanden ſeyn müſſen, wenn daſſelbe zur An-

wendung kommen ſoll.

1) Das utile tempus kommt nur bey ſolchen Hand-

lungen vor, die vor einer richterlichen Obrigkeit vorzuneh-

men ſind. Dadurch ſind folgende Fälle allgemein ausge-

ſchloſſen: die einjährige Deliberationsfriſt (f), der Anfang

 

(d) L. 31 § 1 de usurp. (41.

3.). „In usucapionibus mobi-

lium continuum tempus nume-

ratur.” Dieſes iſt geſchrieben un-

ter Vorausſetzung der alten ein-

jährigen Uſucapion, und als War-

nung, das utile tempus der ein-

jährigen Klagen nicht auf die ein-

jährige Uſucapion anzuwenden.

(e) War die uſucapirte Sache

vorher in bonis, ſo war von ei-

nem Gegner oft gar nicht die Rede;

aber auch bey der Uſucapion des

b. f. possessor (heutzutage der

einzigen), die ſtets einen Gegner

vorausſetzt, iſt deſſen Unthätigkeit

ein ſo untergeordnetes, für das

Weſen der Uſucapion gleichgülti-

ges Moment, daß ſelbſt ſeine Thä-

tigkeit, nämlich die Anſtellung ei-

ner Vindication, den Ablauf der

Uſucapion nicht hindert.

(f) L. 19 C. de jure delib.

(6. 30.). Eigentlich nicht die De-

liberationsfriſt ſelbſt (denn dieſe

gehört als eine richterliche, nicht

geſetzliche, ohnehin nicht zu dem

utile tempus), ſondern das daraus

entſtandene Transmiſſionsrecht.

|0439 : 425|

§. 189. Zeit. 4. Utile tempus.

eines erbſchaftlichen Inventars, ſo wie die Beendigung

deſſelben (g); ferner die 30 Tage, binnen welchen eine

geſchiedene Frau ihre Schwangerſchaft dem Mann anzu-

zeigen hat (h).

Aber ſelbſt bey den oben bemerkten Handlungen iſt es

nicht allgemein; namentlich ſind die 50 Tage, in welchen

die Excuſation von einer Vormundſchaft vor Gericht an-

gebracht werden muß, continui (i). Eigentlich bleiben nur

Zwey Hauptfälle für die Anwendung des utile tempus

übrig, worauf eben die oben angeführten Hauptſtellen ſich

beziehen: der Erwerb der Bonorum possessio, und

die Klagverjährung. Dieſer letzten ſind jedoch noch

einige andere Fälle, als mit ihr verwandt oder zuſam-

menhängend, hinzuzurechnen: die 60 Tage und die Vier

Monate bey der Anklage wegen Ehebruch (k); desgleichen

die Zwey und Drey Tage bey der alten Appellations-

friſt (l); ferner die ältere Verjährung der Reſtitution, ob-

 

(g) L. 22 C. de j. delib. (6. 30.).

(h) L. 1 § 9 de agnoscendis

(25. 3.). „Dies autem triginta

continuos accipere debemus ex

die divortii, non utiles.” Die

Bedeutung dieſer 30 Tage wird

in den §§ 1. 3. 4 eod. näher an-

gegeben.

(i) § 16 J. de excus. (1. 25.)

„intra dies quinquaginta conti-

nuos, ex quo cognoverunt se

tutores datos, excusare se de-

bent.” L. 13 § 9 eod.

(k) L. 11 § 5, 6 L. 29 § 5 ad

L. Jul. de adult. (48. 5.).

(l) Es waren zwey Tage (mit

Einſchluß des Urtheilstages) vor-

geſchrieben, wenn die Partey ihre

Sache ſelbſt führte, drey Tage

wenn ein Procurator auftrat. L. 1

§ 5. 6. 11 — 15 quando appellan-

dum sit (49. 4.). Hier heißt es

nun im § 6: „Dies autem istos,

quibus appellandum est, ad ali-

quid utiles esse oratio D. Marci

voluit, si forte ejus a quo pro-

vocatur copia non fuerit” (doch

mußte nach § 10 auch der höhere

Richter unzugänglich ſeyn). Die

Worte ad aliquid werden noch

|0440 : 426|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

gleich dieſelbe keine eigentliche Klagverjährung iſt (m);

endlich die von Juſtinian abgeſchaffte annalis exceptio

Italici contractus (n). Alle dieſe Fälle ſind für das heu-

tige Recht nicht mehr vorhanden, ſo daß wir alſo nur

auf die angegebenen Zwey Hauptfälle Rückſicht zu neh-

men haben.

2) Das utile tempus iſt nur anwendbar auf ſolche

Zeiträume, die durch eine allgemeine Rechtsregel, nicht

durch individuellen Willen, beſtimmt ſind: alſo namentlich

nicht auf die von einem Richter angeſetzten Prozeßfriſten (o).

 

3) Das utile tempus gilt in den hier bezeichneten

Rechtsinſtituten nicht allgemein, ſondern nur wenn der

vorgeſchriebene Zeitraum Ein Jahr oder weniger, nie

wenn er mehr als Ein Jahr beträgt.

 

Dieſe Regel bedarf bey der Bonorum possessio keines

beſonderen Beweiſes, denn bey dieſer kommen überhaupt

 

weiter unten erklärt werden. —

Man könnte nun dieſe Regel über-

tragen wollen auf die neuere Ap-

pellationsfriſt von zehen Tagen;

ich würde dieſes jedoch für be-

denklich halten, beſonders da bey

der Verwandlung jener zwey bis

drey Tage in zehen dieſelbe Mul-

tiplication zum Grunde liegt, wie

bey dem utilis annus der Reſti-

tution, der in ein quadriennium

continuum verwandelt worden iſt.

Freylich würde in einem ſolchen

Fall die Reſtitution dem Appel-

lanten ſchwerlich verſagt werden.

(m) Nämlich Ein annus uti-

lis, der im neueren Recht in ein

quadriennium continuum ver-

wandelt wurde. L. 7 C. de temp.

in int. rest. (2. 53.).

(n) L. 1 pr. C. de annali ex-

cept. (7. 40.). Allerdings ſteht

hier nicht der Name utilis annus,

aber unverkennbar deuten darauf

dieſe Worte: „illud spatium an-

nale alii quidem ita effuse in-

terpretabantur, ut possit usque

ad decennium extendi” …

(o) Dieſes folgt ſchon daraus,

daß bey richterlichen Prozeßfriſten

auch die Gerichtsferien in die vor-

geſchriebene Zeit eingerechnet wer-

den. L. 3 C. de dilat. (3. 11.),

L. 2 C. de temp. et repar. (7. 63.).

|0441 : 427|

§. 189. Zeit. 4. Utile tempus.

nur Zwey Zeiträume vor, Ein Jahr und 100 Tage, und

für beide iſt unſtreitig das utile tempus anwendbar. Da-

gegen iſt dieſelbe um ſo wichtiger bey der Klagverjäh-

rung, welche mit den verſchiedenſten Zeiträumen vorkommt.

Daß nun die längeren Klagverjährungen ein continuum

tempus haben, iſt unbeſtritten. Bey denen von 30 und

40 Jahren iſt es ausdrücklich geſagt (p), es iſt aber eben

ſo bey den Verjährungen von 20, 10, 5 und 4 Jahren

nicht zu bezweifeln. Daß aber die einjährigen und kürze-

ren Verjährungen ſtets das utile tempus mit ſich führen,

und daß dieſes als durchgehende Regel ſtillſchweigend vor-

ausgeſetzt wird, erhellt aus der im Ausdruck wenig ſorg-

fältigen Art, mit welcher die Zeitbeſtimmung derſelben im

Edict, in Reſcripten, und bey den alten Juriſten behan-

delt zu werden pflegt, ohne daß jemals ein Zweifel hier-

über entſtanden zu ſeyn ſcheint (q). So war zwar bey

dem Int. uti possidetis das utile tempus ſchon im Edict

ſelbſt unmittelbar ausgedrückt (r), bey dem Int. de vi

nicht (s), ſo daß dieſes Schweigen zur Annahme eines

continuum tempus hätte verleiten können; dennoch wurde

auch hier das utile unbedenklich angenommen (t). Die

 

(p) L. 3 C. de praesc. XXX.

(7. 39.) „triginta annorum jugi

silentio.” Eben ſo in L. 4 eod.

bey der vierzigjährigen.

(q) Donellus XVI. 8. § 17.

(r) L. 1 pr. uti poss. (43. 17.)

„intra annum quo primum ex-

periundi potestas fuerit.” Die-

ſes war der eigentliche Ausdruck

des utile tempus. L. 1 de div.

temp. praescr. (44. 3).

(s) L. 1 pr. de vi (43. 16.)

„intra annum.”

(t) L. 1 § 39 de vi (43. 16.)

„annus in hoc interdicto utilis

est;” dieſes wird nicht als etwas

|0442 : 428|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Injurienklage wird in einer Stelle des Codex ganz unbe-

ſtimmt als einjährig bezeichnet (u), und wir erfahren nur

beyläufig, an einem ganz entlegenen Orte, daß dieſes

Jahr ein utile tempus iſt (v). Die ädiliciſchen Klagen

werden eben ſo mit den bloßen Zeiträumen von Einem

Jahr und Sechs Monaten bezeichnet (w), anderwärts aber

wird dieſe Zeit als utile tempus näher beſtimmt (x). Aus

dieſem Allen ergiebt es ſich mit der größten Wahrſchein-

lichkeit, daß die Römiſchen Juriſten das utile tempus als

unzertrennlich verbunden mit den einjährigen oder noch

kürzeren Klagverjährungen anſahen, ohne Unterſchied ob

dieſe Nebenbeſtimmung im Edict jedesmal ausgedrückt war

oder nicht.

4) Die wichtigſte Bedingung endlich, und die bisher

am wenigſten Anerkennung gefunden hat, betrifft die Be-

ſchaffenheit des Hinderniſſes der Thätigkeit, gegen deſſen

nachtheilige Folgen die in dem utile tempus enthaltene

künſtliche Zeitrechnung ſchützen ſoll. Nämlich nur ſolche

Hinderniſſe werden hier beachtet, und bringen das utile

tempus zur Anwendung, welche auf vorübergehenden, meiſt

ganz zufälligen, Umſtänden beruhen, nicht diejenigen, welche

an einen dauernden Zuſtand der Perſon geknüpft ſind.

Dieſe Regel wird zugleich erklärt und bewieſen werden

 

Beſonderes oder gar Zweifelhaf-

tes bemerkt, ſondern nur um dem

möglichen Misverſtändniß vorzu-

beugen, welches aus dem Schwei-

gen des Edicts über dieſen Punkt

hätte entſtehen können.

(u) L. 5 C. de injuriis (9. 35.).

(v) L. 14 § 2 quod metus (4. 2.).

(w) L. 2 C. de aedil. act.

(2. 58.)

(x) L. 19 § 6 de aedil. ed.

(21. 1.).

|0443 : 429|

§. 189. Zeit. 4. Utile tempus.

durch die Darlegung der einzelnen zu dieſen beiden Arten

gehörenden Hinderniſſe.

Diejenigen, welche in der That für die Anwendung

des utile tempus geeignet ſind, und ſämmtlich den eben

erwähnten Charakter an ſich tragen, betreffen theils die

Perſon des Unthätigen ſelbſt, theils die Perſon ſeines Geg-

ners, theils das Verhältniß zu der richterlichen Obrigkeit,

vor welcher die Handlung vorgenommen werden ſoll (y).

 

Die Hinderniſſe in der Perſon des Unthätigen können

ſowohl bey der Klagverjährung, als bey der Bonorum

possessio vorkommen. Es gehören dahin die Fälle, wenn

der Klagberechtigte in Kriegsgefangenſchaft, oder im Staats-

dienſt abweſend, oder in einem Gefängniß iſt (z), oder

wenn er durch Stürme oder durch Krankheit zu erſcheinen

verhindert wird, und zwar in allen dieſen Fällen ſo daß

er auch keinen Stellvertreter ſenden kann (aa). Alles die-

 

(y) Die nun folgende Angabe

der einzelnen Hinderniſſe gründet

ſich auf L. 1 de div. temp. prae-

scr. (44. 3.).

(z) L. 1 cit. „in vinculis.” —

L. 11 § 5 ad L. Jul. de adult.

(48. 5.) „in custodia.” Es ſcheint

wohl zunächſt gedacht an das Ge-

fängniß eines Verbrechers oder

Inquiſiten, doch könnte zugleich

auch das Schuldgefängniß im Fall

der Inſolvenz gemeynt ſeyn.

(aa) L. 1 cit. „ut neque ex-

periri neque mandare possit.”

Gleich nachher heißt es: „Plane

is, qui valetudine impeditur,

ut mandare possit, in ea causa

est ut experiundi habeat potes-

tatem.” Das heißt ſo viel als:

qui valetudine ita impeditur ut

mandare tamen possit. Auf

denſelben Sinn führt das in der

Vulg. vor valetudine eingeſcho-

bene ea. — A. Faber conject.

V. 18 erklärt zuerſt das impe-

ditur ut, gegen den üblichen

Sprachgebrauch, durch impeditur

ne, und ſieht ſich nun freylich zu

der gefährlichſten aller Emenda-

tionen genöthigt, indem er ließt:

non habeat potestatem.

|0444 : 430|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ſes ſind augenſcheinlich Hinderniſſe der oben beſchriebenen,

zufälligen, wechslenden Beſchaffenheit.

Hinderniſſe in der Perſon des Gegners ſind nur denk-

bar bey der Klagverjährung; denn bey der Bonorum pos-

sessio kommt ein Gegner überhaupt nicht vor, und auch

bey der Appellation des älteren Rechts war von dem Geg-

ner wenigſtens nicht die Rede, da derſelbe bey Einwendung

der Appellation nicht mitzuwirken hat (bb). Durch den

Beklagten nun kann die Anſtellung der Klage verhindert

werden, wenn derſelbe unbekannt, verſteckt, entflohen, oder

überhaupt abweſend und unvertreten iſt (cc).

 

Das Verhältniß zur Obrigkeit kann gleichfalls ein Hin-

derniß der Thätigkeit begründen (dd), und zwar auf zweyer-

 

(bb) Der Zuſatz ad aliquid

utiles esse in L. 1 § 6 quando

appell. (Note l) will nicht ſagen,

daß hier die utilitas im Princip

beſchränkter ſey, ſondern nur in

der Anwendung, verglichen mit

der Klagverjährung. Denn bey

der Appellation kann nicht nur

der Gegner gar keine Hinderniſſe

machen, ſondern auch bey dem

Kläger werden ſie, wegen der

Kürze der Friſt, faſt nie eintreten

können. Wenn nämlich in Ge-

genwart des Appellanten (wie

hier vorausgeſetzt wird) das Ur-

theil geſprochen iſt, ſo läßt es

ſich nicht wohl denken, daß dieſer

an demſelben oder dem folgen-

den Tage in Kriegsgefangenſchaft

gerathe, oder durch ſtürmende

Meere von dem Gerichtsort ge-

trennt werde. Jene Worte ſol-

len alſo einen factiſchen Unter-

ſchied ausdrücken, keinen juriſti-

ſchen. Für die gewöhnlichen Irr-

thümer, wovon unten die Rede

ſeyn wird, iſt dieſer Umſtand nicht

unwichtig.

(cc) Dieſes wird z. B. ein ſehr

gewöhnlicher Fall ſeyn bey der

einjährigen actio vi bonorum

raptorum. Noch häufiger würde

es ſeyn bey der furti actio, wenn

dieſe nicht perpetua wäre, und

daher continuum tempus hätte.

(dd) L. 1 de div. temp. prae-

scr. (44. 3.). „Illud utique ne-

minem fugit, experiundi potes-

tatem non habere eum, qui

Praetoris copiam non habuit:

proinde hi dies cedunt, quibus

jus Praetor reddit.” Daſſelbe

|0445 : 431|

§. 189. Zeit. 4. Utile tempus.

ley Weiſe. Erſtlich wenn zufällig die obrigkeitliche Perſon

an dem öffentlichen Gerichtsort nicht anzutreffen iſt (ee).

Die Römer unterſchieden hierin noch die Handlungen, wo-

bey die richterliche Mitwirkung eine bloße Form blieb,

von denen die an richterliche Prüfung gebunden waren,

und daher nur vor dem Tribunal vorgehen konnten (ff).

In den Provinzen wurde nicht gerade die örtliche Anwe-

ſenheit des Statthalters für nöthig gehalten, ſondern ſein

nicht allzu entfernter Aufenthalt galt als Gegenwart, jedoch

ſo daß für jede 20 Römiſche Meilen Entfernung der vor-

geſchriebene Zeitraum um Einen Tag verlängert ſeyn

ſollte (gg). — Zweytens aber lag ein allgemeineres Hin-

derniß in folgender Einrichtung des Römiſchen Gerichts-

weſens (hh). Die Römer hatten dies fasti in nicht großer

Zahl, die unbedingt zu gerichtlichen Geſchäften angewen-

det wurden, und nefasti, die dazu nicht gebraucht werden

durften; zwiſchen beiden aber lagen viele unbeſtimmte Tage

in der Mitte, wie namentlich die ſehr zahlreichen comitia-

les, die man, wo es nöthig war, zu Gerichtsgeſchäften

gebrauchte, wenn an ihnen gerade keine Comitien gehalten

wurden. Als ſich die gerichtlichen Geſchäfte häuften, fand

gilt bey der B. P. L. 2 § 1 quis

ordo (38. 15.).

(ee) Es ſollte alſo keine Partey

genöthigt ſeyn, den Prätor in ſei-

ner Wohnung aufzuſuchen. L. 1

§ 7. 8. 9 quando appell. (49. 4.).

(ff) L. 2 § 1. 2 quis ordo

(38. 15.). Zu der erſten Art ge-

hörte die edictalis B. P., die de

plano gegeben wurde; zu der

zweyten die decretalis B. P.,

und eben ſo jede angeſtellte Klage.

(gg) L. 2 § 3 quis ordo. (38. 15.).

(hh) Sehr befriedigend handelt

von dieſem ſchwierigen Gegen-

ſtand Hollweg Geſchichte des

Prozeſſes B. 1 § 19.

|0446 : 432|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

man es nöthig, die regelmäßigen Gerichtstage zu vermeh-

ren; Auguſt legte 30 Tage hinzu, und M. Aurel brachte

die Geſammtzahl auf 230 (ii); ohnehin waren unter den

Kaiſern die alten Comitialtage bald ganz disponibel ge-

worden. Im J. 389 wurden die Gerichtstage, mit Rück-

ſicht auf die Einrichtungen der chriſtlichen Kirche, neu

geordnet, und nun betrug die Geſammtzahl etwa 240 (kk).

Durch die Beachtung dieſes Hinderniſſes der Rechtsverfol-

gung, des regelmäßigſten und daher wichtigſten unter allen,

wird daher der utilis annus auf etwa anderthalb Jahre

erweitert.

Dieſe letzte Art des Hinderniſſes, wodurch das utile

tempus anwendbar werden konnte, war wichtiger als alle

übrigen; denn dieſe beruhten doch nur auf zufälligen, zum

Theil ſehr ſeltenen Ereigniſſen: jenes kam regelmäßig und

in ſo bedeutender Ausdehnung vor, daß dadurch etwa der

dritte Theil jedes Jahres abſorbirt wurde. Ja es iſt nicht

unwahrſcheinlich, daß Dieſes allein zur Ausbildung des utile

tempus Anlaß gegeben hat, und daß daneben die übrigen

Fälle der Verhinderung nur gelegentlich, und der Conſe-

quenz wegen, mit hinzu gezogen wurden. Um ſo mehr

muß gleich hier bemerkt werden, daß dieſes letzte, für die

Römer wichtigſte, Hinderniß aus unſrem heutigen Rechte

verſchwunden iſt. Nach unſren Einrichtungen kann eine

 

(ii) Sueton. Octavianus C. 32.

Capitolin. Marcus C. 10.

(kk) L. 19 C. Th. de feriis

(2. 8); in früheren Ausgaben iſt

es L. 2.

|0447 : 433|

§. 190. Zeit. 4. Utile tempus. (Fortſetzung.)

juriſtiſche Handlung, für welche ein Zeitraum geſetzlich

vorgeſchrieben iſt, faſt zu allen Zeiten durch Einreichung

eines ſchriftlichen Antrags vorgenommen werden; die Seſ-

ſionstage der Gerichte haben darauf keinen Einfluß, und

ſelbſt die Gerichtsferien können in der Regel eine ſolche

Beobachtung vorgeſchriebener Zeiträume nicht hindern (ll).

§. 190.

VI. Die Zeit. 4. Utile tempus. (Fortſetzung.)

Nachdem diejenigen Hinderniſſe der Thätigkeit darge-

ſtellt worden ſind, welche die Anwendung des utile tempus

wirklich begründen, iſt es nöthig, auch noch von denen zu

handeln, welchen eine ſolche Wirkung nicht beygelegt wer-

den darf; denn gerade dieſe Seite der ganzen Lehre iſt es,

woran die meiſten Irrthümer neuerer Schriftſteller ſich an-

knüpfen.

 

Der erſte und beſonders wichtige Fall dieſer Art iſt die

Unwiſſenheit des zum Handeln Berufenen über ſein Recht.

Hierin möchte man geneigt ſeyn, allgemein das entſchie-

denſte Hinderniß der Thätigkeit zu ſetzen, alſo die unzwei-

felhafteſte Veranlaſſung zur Anwendung des utile tempus,

 

(ll) Dieſes Letzte galt ja in

manchen Fällen ſchon in Rom,

namentlich bey den 50 dies con-

tinui der Excuſation. Fragm.

Vat. § 156 „si sint sessiones ..

debet ., adire praetorem .. Si

feriae sint, libellos det contes-

tatorios.” Nur waren hier die

libelli dem Gegner zu übergeben

(adversario, id est ei qui eum

petit), dem er außer der Ferien-

zeit denuntiiren mußte, daß er

mit ihm vor dem Prätor er-

ſcheine.

IV. 28

|0448 : 434|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

auch iſt dieſes die herrſchende Meynung der Schriftſteller;

in der That aber verhält es ſich damit anders, und zwar

auf folgende Weiſe (a). Bey der Bonorum possessio al-

lerdings war ſchon durch den Ausdruck des Edicts die

Unwiſſenheit mit der Unmöglichkeit der Agnition ganz auf

gleiche Linie geſtellt (b). Daher wurde es hier als natür-

liche Folge des utile tempus angeſehen, daß jeder Tag

der Unwiſſenheit dem Berufenen nicht angerechnet werden

dürfe (c). Ganz anders bey der Klagverjährung, bey

welcher nur allein von der Abweſenheit äußerer Hinder-

niſſe die Rede iſt (d); die Unwiſſenheit des Berechtigten

(a) Dieſe Unterſuchung iſt aus-

führlich ſchon oben angeſtellt in

der Beylage VIII Num. XXIV —

XXVIII. Hier werden daher blos

die Reſultate in wenigen Worten

zuſammen geſtellt.

(b) Jedoch nur die facti, nicht

die juris ignorantia. Vgl. Bey-

lage VIII Num. XXIV.

(c) L. 2 pr. quis ordo (38. 15.).

„Ita autem utile tempus est,

ut singuli dies in eo utiles

sint: scilicet ut per singulos

dies et scierit et potuerit ad-

mittere: ceterum quacunque

die nescierit aut non potuerit,

nulla dubitatio est, quin dies

ei non cedat.” Offenbar iſt hier

folgender Gedanke ausgedrückt:

das nescire iſt dem Begriff nach

von dem non posse unterſchie-

den, nicht ſchon in ihm enthal-

ten, aber beide ſollen in Bezie-

hung auf die B. P. praktiſch gleich

behandelt werden, ſo daß hier

die Beachtung des einen wie des

andern Moments durch die Vor-

ſchrift des utile tempus begrün-

det wird.

(d) L. 1 de div. temp. praescr.

(44. 3.). „Quia tractatus de

utilibus diebus frequens est,

videamus quid sit, experiundi

potestatem habere.” In dem

bloßen posse experiri iſt das

scire keinesweges ſchon mit als

Bedingung eingeſchloſſen (vgl. die

vorhergehende Note), da der über

ſein Klagrecht Unwiſſende in der

Regel dieſe Unwiſſenheit über-

winden kann und ſoll. Daß es

auch wirklich ſo gemeynt iſt, zeigt

die nachfolgende Aufzählung der

Fälle fehlender experiundi po-

testas; unter dieſen ſteht die Un-

wiſſenheit nicht, die doch häufiger

vorkommt, als die meiſten hier

genannten Fälle, alſo vorzugs-

|0449 : 435|

§. 190. Zeit. 4. Utile tempus. (Fortſetzung.)

über ſein Klagrecht iſt im Edict nicht erwähnt, und ſie

wird in der Anwendung (höchſt ſeltene Ausnahmen abge-

rechnet) nicht beachtet. Dieſer Unterſchied iſt aber nicht

die Folge der im Edict zufällig gebrauchten Ausdrücke,

ſondern dieſe waren ſo gewählt, um dem aus inneren

Gründen räthlichen Unterſchied Anerkennung zu verſchaffen.

Denn wer über ſein Klagrecht unwiſſend iſt, wird in der

Regel dem Vorwurf einer nachläſſigen Aufſicht auf ſeine

Rechte unterliegen, anſtatt daß Keiner den Beruf hat, den

Erbſchaften nachzuſpüren, die ihm etwa zufallen möchten.

Ferner liegt der gemeinſchaftliche Zweck der für die B. P.

und die Klagen vorgeſchriebenen Zeiträume darin, daß die

Rechtsverhältniſſe ſchnell zur Entſcheidung kommen; die-

ſem Zweck würde es völlig widerſprechen, wenn man bey

der Klagverjährung den Vorwand der Unwiſſenheit zulaſ-

ſen wollte: bey der B. P. iſt derſelbe unſchädlich, da der

zunächſt nach dem Unwiſſenden Berufene durch eigenes In-

tereſſe angetrieben wird, Jenen von der Delation zu un-

terrichten, wodurch die Unwiſſenheit augenblicklich aufge-

hoben wird.

Dagegen giebt es umgekehrt mehrere Fälle, worin

continuum tempus gilt, und dennoch die Unwiſſenheit den

Lauf des vorgeſchriebenen Zeitraums hindert. Dahin ge-

hört die Excuſation von der Vormundſchaft (e), die Fri-

 

weiſe bemerkt werden mußte,

wenn ſie wirklich zu beachten

wäre.

(e) § 16 J. de excus. (1. 25.),

L. 13 § 9 eod. (27. 1.), L. 6

C. eod. (5. 62.), Fragm. Vatic.

§ 156.

28*

|0450 : 436|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ſten für die Deliberation und das Inventarium (f), und

endlich alle Prozeßfriſten.

Hieraus folgt alſo, daß die Beachtung oder Nichtbeach-

tung der Unwiſſenheit von dem Gegenſatz des utile und

continuum tempus völlig unabhängig iſt und in denſelben

gar nicht herein gezogen werden darf; ja dieſe weſentliche

Verſchiedenheit beider Gegenſätze hat ſogar eine wörtliche

Anerkennung im Römiſchen Recht gefunden (g).

 

Ferner ſind nicht dazu geeignet, die Anwendung des utile

tempus hervor zu rufen, alle diejenigen Hinderniſſe, welche

nicht in ſchnell vorübergehenden, oder doch ganz von wechs-

lenden Zufällen abhängigen Umſtänden, ſondern in einem

dauernden Zuſtand der unthätigen Perſon beſtehen. In einem

Zuſtand ſolcher Art befinden ſich Unmündige, Minderjährige,

Kinder in väterlicher Gewalt, Wahnſinnige, Verſchwender,

und juriſtiſche Perſonen. Dieſe alle ſind mehr oder weniger

verhindert, ihre Rechte durch Thätigkeit ſelbſt wahrzuneh-

 

(f) L. 19. 22 C. de j. delib.

(6. 30.).

(g) L. 8 C. de dolo (2. 21.),

d. h. L. un. C. Th. de dolo

(2. 15.). „Optimum duximus,

non ex eo die, quo se quis-

que admissum dolum didicisse

commemoraverit, neque intra

anni utilis tempus, sed potius

ex eo die etc. Die Berechnung

von der Zeit der Kenntniß an

liegt alſo außer der Berechnung

des annus utilis. — Der einzige

ſcheinbare Zweifel könnte erho-

ben werden aus L. 8 de his qui

not. (3. 2.). „Sed cum tempus

luctus continuum est, merito

et ignoranti cedit ex die mor-

tis mariti.” Wollte man den

ganz einzeln ſtehenden gelegent-

lichen Ausdruck dieſer Stelle als

Grund einer Regel behandeln, ſo

würde dieſe doch nur ſo lauten

können: omne continuum tem-

pus ignoranti cedit; davon iſt

aber ſo eben das Gegentheil dar-

gethan worden.

|0451 : 437|

§. 190. Zeit. 4. Utile tempus. (Fortſetzung.)

men, und man könnte daher geneigt ſeyn, den in dem utile

tempus liegenden Schutz auch auf ſie anzuwenden; den-

noch muß dieſe Anwendung gänzlich verworfen werden,

und es wird vielmehr für das Intereſſe dieſer Perſonen

auf andere Weiſe geſorgt, ſo daß die für ſie wirklich ein-

tretende Schutzanſtalten von dem Unterſchied des utile

und continuum tempus völlig unabhängig ſind. Dieſes ſoll

nunmehr zuerſt bey der Klagverjährung, dann bey der

Bonorum possessio, nachgewieſen werden.

I. Klagverjährung.

Die Unmündigen und Minderjährigen hatten im älteren

Recht gar keine Befreyung, auch nicht bey den Klagen,

deren Verjährung in einem utile tempus beſtand, da bey

ihnen nie die experiundi potestas fehlte; denn für den

Unmündigen konnte der Tutor klagen (h), der Minderjäh-

rige aber konnte ſeine Klagen ſelbſt anſtellen. Der Schutz

alſo beſtand: für den Unmündigen in dem Regreß gegen

den nachläſſigen Vormund; für beide in der Reſtitution

wegen Minderjährigkeit. — Das neuere Recht hat fol-

gende ganz abweichende Beſtimmungen getroffen: der Un-

mündige iſt ipso jure frey von allen Klagverjährungen,

der Minderjährige iſt eben ſo frey von allen die weniger

als 30 Jahre dauern, gegen dieſe letzte ſchützt ihn nicht

 

(h) Eine merkwürdige Analo-

gie für dieſen Satz findet ſich in

der Tab. Heracl. Vers. 4. 5. 6.

Daſelbſt ſind gewiſſe Profeſſionen

innerhalb einer beſtimmten Zahl

von Tagen vorgeſchrieben. Wenn

nun die Profeſſion einen Unmün-

digen betrifft, ſo iſt der Vormund

an die Beobachtung der Friſt ge-

bunden; das heißt, das Recht

geht verloren, wenn der Vormund

die Friſt verſäumt.

|0452 : 438|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

einmal Reſtitution. Dabey iſt es ganz gleichgültig, ob die

Verjährung ein utile oder ein continuum tempus hat (i).

Der Sohn in väterlicher Gewalt, welcher ſogenannte

Adventitien beſitzt, wovon erſt ſeit Conſtantin die Rede

ſeyn konnte, iſt unfähig, die zu dieſem Vermögen gehörende

Klagrechte ſelbſt auszuüben und gegen Verjährung zu

ſchützen, weil der Vater das ſehr freye Verwaltungsrecht

darüber hat. Daher iſt er auch eben ſo unbedingt von

allem Verluſt durch Klagverjährung ausgenommen, wie

es ſo eben von dem Unmündigen bemerkt worden iſt (k).

 

Für den Wahnſinnigen und den Verſchwender finden

ſich gar keine beſondere Beſtimmungen über die Verjäh-

rung ihrer Klagen; der Schutz alſo beſteht in dem allge-

meinen Regreß, den ſie und ihre Erben gegen den nach-

läſſigen Curator haben. An ſich wäre es nicht unnatürlich

geweſen, den Wahnſinnigen dem Unmündigen gleich zu

ſtellen; daß es nicht geſchah, iſt zunächſt aus der Selten-

heit des Falles zu erklären, außerdem aber hätte darin

auch eine unbegründete Härte gegen den Beklagten liegen

können, wenn man alle Klagverjährung hätte ruhen laſſen

wollen. Denn der Wahnſinn kann ein langes Leben hin-

durch dauern, anſtatt daß die Unmündigkeit ſtets eine

nothwendige, nicht entfernte Gränze mit ſich führt.

 

Auch für juriſtiſche Perſonen finden ſich keine ab-

weichende Beſtimmungen über die Klagverjährung, ſo daß

 

(i) Vgl. Beylage VIII. Num.

XXVII.

(k) Beylage VIII. Num. XXVII.

|0453 : 439|

§ 190. Zeit. 4. Utile tempus. (Fortſetzung.)

ſie im Fall eines ſolchen Verluſtes nur den Regreß gegen

ihre nachläſſige Beamte haben. Für Einen Fall, nämlich

für die longi temporis praescriptio, iſt dieſes ſogar aus-

drücklich anerkannt (l).

II. Bonorum possessio.

Bey dem Unmündigen iſt es als Regel anerkannt, daß

die Friſt, ungeachtet der Unmündigkeit, in ihrem Lauf nicht

gehemmt iſt (m), ſo daß nur der Regreß gegen den nach-

läſſigen Vormund, oder die Reſtitution, zum regelmäßigen

Schutz dienen kann.

 

Der Minderjährige kann gegen die verſäumte Friſt

reſtituirt werden (n), woraus alſo folgt, daß an ſich zu

ſeinem Nachtheil die Friſt läuft. Ohnehin iſt es undenk-

bar, daß er in dieſer Hinſicht mehr als der Unmündige

begünſtigt ſeyn ſollte.

 

Anders iſt es mit dem Wahnſinnigen; zu deſſen Nach-

theil ſoll die Friſt gar nicht laufen, weshalb dem Nachfol-

ger die B. P. nur gegen Caution geſtattet wird (o).

 

Über den Verſchwender findet ſich keine abweichende

Beſtimmung; ohne Zweifel läuft alſo die Friſt, und er

hat blos den Regreß gegen ſeinen Curator.

 

(l) Paulus V. 2 § 4, L 1 in

f. C. de praescr. longi temp.

(7. 33.).

(m) L. 7 § 2 de B. P. (37. 1.).

„Dies, quibus tutor aut pater

scit, cedere placet.” Noch zu

Papinians Zeit war dieſer Satz

nicht für alle Fälle anerkannt.

L. 1 de B. P. fur. (37. 3.).

Späterhin ſind Ausnahmen da-

von gemacht worden, doch nicht

von Bedeutung; für die meiſten

Fälle iſt er unverändert geblie-

ben. L. 18 C. de j. delib. (6. 30.).

(n) L. 2 C. si ut omissam

(2. 40.).

(o) L. 1 de B. P. fur. (37.

3.), L. 1 § 5 de succ. ed. (38. 9.).

|0454 : 440|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Bey juriſtiſchen Perſonen (wenigſtens bey Stadtgemein-

den) ſoll die B. P. auch ohne Agnition erworben werden,

ſo daß hier von einer laufenden Friſt gar nicht die Rede

iſt (p).

 

Es ergiebt ſich hieraus, daß alle dieſe dauernde Zu-

ſtände der Perſon gar nicht als ſolche Hinderniſſe betrach-

tet werden, wodurch eine regelmäßige Anwendung des utile

tempus veranlaßt wird; in den meiſten und wichtigſten

Fällen gilt gar keine Beſchränkung des regelmäßig ablau-

fenden Zeitraums, und in den wenigen Fällen, worin eine

ſolche Beſchränkung, zum Schutz ſolcher Perſonen, wirklich

eintritt, kann ſie daher nur als beſondere Ausnahme, und

nicht als natürliche Folge des utile tempus angeſehen

werden.

 

Unter den oben dargeſtellten Vorausſetzungen hat das

utile tempus die Wirkung, daß die einzelnen Tage der

Verhinderung bey der Frage, ob ein vorgeſchriebener Zeit-

raum verſäumt iſt, nicht in Rechnung kommen, oder, was

daſſelbe ſagt, daß in jedem vorliegenden Fall der Zeitraum

um ſo viele Tage verlängert werden muß, als darin Tage

der Verhinderung angetroffen werden. Dieſe Wirkung

tritt ſtets ipso jure ein, ohne eine hinzu tretende Reſtitu-

tion, ja man kann ſagen, daß dieſe und das utile tempus

einander gegenſeitig ausſchließen. Wo alſo das utile tem-

pus gilt, da iſt Reſtitution kein Bedürfniß, alſo unmöglich,

 

(p) L. 3 § 4 de B. P. (37. 1.).

|0455 : 441|

§. 190. Zeit. 4. Utile tempus. (Fortſetzung.)

und wo ausdrücklich eine Reſtitution gegen Friſtverſäum-

niß erwähnt wird, da können wir annehmen, daß ein utile

tempus nicht vorhanden iſt. An der Wahrheit dieſes

Satzes könnte man dadurch zweifelhaft werden, daß das

Edict, im Fall der Abweſenheit, unter andern auch gegen

abgelaufene Klagverjährungen Reſtitution zuſagt, und zwar

ſowohl dem Abweſenden ſelbſt, wenn er als Klagberech-

tigter ſeine Klage durch Verſäumniß der Zeit verlor (q),

als dem Gegner deſſelben, der die Klage verlor, weil er

den Abweſenden nicht verklagen konnte (r). Gerade dieſe

beide Fälle aber ſind durch das utile tempus gegen Ver-

luſt geſchützt (§ 189), und ſo möchte man glauben, das

utile tempus ſey dennoch mit der Reſtitution vereinbar.

Allein jene Edictſtelle muß vielmehr auf ſolche Fälle bezo-

gen werden, in welchen die verſäumte Zeit ein tempus

continuum iſt, alſo der Reſtitution allerdings bedarf. Da-

hin gehörten ſchon in der älteren Zeit, in welcher jenes

Edict entſtanden iſt, manche einzelne Klagen (s); außerdem

aber gehörte dahin die durch die Lex Julia für alle legi-

(q) L. 1 § 1 ex quib. causis

maj. (4. 6.). „Sive cujus actio-

nis eorum cui dies exisse di-

cetur.”

(r) L. 1 § 1 ex quib. causis

maj. (4. 6.). „Item si quis ..

actione qua solutus ob id, quod

dies ejus exierit, cum absens

non defenderetur.” ..

(s) Der Sponſor und der Fi-

depromiſſor verloren nach der L.

Furia ihre Klage, wenn ſie in

zwey Jahren nicht klagten. Ga-

jus III § 121. — Die Fünf Jahre

der Anklage wegen Ehebruchs rüh-

ren her aus der L. Julia (L. 29

§ 6 ad L. J. de adult.), mögen

alſo vielleicht älter ſeyn als jenes

Edict. — Eben ſo die Fünf Jahre

der querela inofficiosi. — Unge-

wiſſer iſt es für die longi tem-

poris praescriptio, deren Ent-

ſtehungszeit wir nicht kennen.

|0456 : 442|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

tima judicia vorgeſchriebene anderthalbjährige Prozeßver-

jährung (t). In den Fällen des continuum tempus nun

hat die Anwendung der Reſtitution ohnehin keinen Zwei-

fel, und ſie bewirkt hier, nach freyem Ermeſſen und mit

Rückſicht auf individuelle Umſtände, Daſſelbe was in den

Fällen des utile tempus ſchon durch eine allgemeine Re-

gel bewirkt wird. Eine ſolche Reſtitution wird auch in

unſren Rechtsquellen erwähnt (u); beſonders aber bey ver-

ſäumten Prozeßfriſten, war im Römiſchen Prozeß die Re-

ſtitution eben ſo häufig, als ſie in unſren heutigen Gerich-

ten iſt. Nur gegen die dreyßigjährige Klagverjährung

iſt jede Reſtitution, alſo auch die der Abweſenden, allge-

mein verboten (v).

Man kann noch fragen, in welchem Verhältniß das

utile tempus zur civilen Zeitrechnung ſtehe. Manche ha-

ben behauptet, dieſe ſey auf das utile tempus gar nicht

anwendbar, ſondern nur auf das continuum (w); zu die-

ſer Behauptung aber iſt gar kein Grund vorhanden. Das

utile tempus beſteht darin, daß die Tage der Verhinde-

 

(t) Gajus IV. § 104.

(u) L. 31 ad L. Jul. de adult.

(18. 5) „aequum est computa-

tioni quinquennii eximi id tem-

pus, quod per postulationem

praecedentem consumtum sit.”

In dieſen Worten liegt eine un-

verkennbare Hinweiſung auf Re-

ſtitution, die gegen alle Verjäh-

rungen, mit Ausnahme der drey-

ßigjährigen, gilt; daher kann ich

es nicht billigen, wenn Haubold

p. 411 den Inhalt dieſer Stelle

für eine ganz ſinguläre Beſtim-

mung erklärt.

(v) L. 3 C. de praeser. XXX.

(7. 39.).

(w) Löhr S. 418. 419. Rein-

felder S. 16.

|0457 : 443|

§. 190. Zeit. 4. Utile tempus. (Fortſetzung.)

rung aus der Rechnung ausfallen. Dadurch gelangt man

ſtets auf irgend einen letzten Tag, in welchem keine Ver-

hinderung Statt fand, und der daher von der Modifica-

tion des utile tempus nicht berührt wird; denn wenn in

dem Tage ſelbſt, den man für den letzten halten möchte,

eine Verhinderung eintritt, ſo darf er eben deshalb in den

Zeitraum gar nicht eingerechnet werden, iſt alſo nicht der

letzte dieſes Zeitraums, ſondern es muß irgend ein folgen-

der, nämlich der nächſte unverhinderte, als letzter aner-

kannt werden. Bey dieſem letzten Tage nun entſteht die

Frage nach dem juriſtiſchen Endpunkt, worauf ſich die

civile Zeitrechnung bezieht. Dieſer letzte Tag kann nach

Verſchiedenheit der Rechtsverhältniſſe bald ſo, bald an-

ders behandelt werden; der Umſtand aber, daß einige

vorhergehende Tage wegen Verhinderung ausgefallen ſind,

kann darauf keinen Einfluß haben. Beide anomaliſche

Rechnungsarten ſtehen alſo neben einander und berühren

ſich nicht. So würde es ſeyn nach allgemeiner Betrach-

tung, welche Meynung man auch von der civilen Zeitrech-

nung faſſen möge; doppelt einleuchtend aber muß es ſeyn

nach der oben vorgetragenen Lehre über die civile Zeit-

rechnung bey Verſäumniſſen (§ 185. 186). Nach dieſer

Lehre endigt der Zeitraum erſt am Schluß des letzten Ta-

ges, und darin liegt ein Vortheil für den zum Handeln

berufenen Berechtigten. Es wäre aber ganz unnatürlich,

ihm dieſen Vortheil deshalb entziehen zu wollen, weil ihm

vorher ein anderer Vortheil zugeſtanden werden mußte,

|0458 : 444|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

indem der ganze Zeitraum, wegen eingetretener ſchuldloſer

Verhindrungen, um eine Anzahl von Tagen erweitert

wurde.

§. 191.

VI. Die Zeit. 4. Utile tempus. (Fortſetzung.)

Die hier dargeſtellte Lehre hatte ſchon im Juſtiniani-

ſchen Recht einen Theil ihrer Anwendbarkeit, oder doch

ihrer Wichtigkeit, verloren. Für einzelne Fälle war das

frühere utile tempus in ein continuum von größerer Aus-

dehnung verwandelt worden. So für die doli actio der

annus utilis in Zwey anni continui (a); und, was wich-

tiger war, für alle Reſtitutionen, der annus utilis in ein

quadriennium continuum (b). Dieſes Letzte haben Manche

als eine allgemeine Verwandlung für alles utile tempus

behandeln wollen, welche Meynung aber aus mehreren

Gründen verwerflich iſt (c). Das für die Reſtitution er-

laſſene Geſetz ſelbſt enthält keine Spur einer ſolchen All-

gemeinheit; die bloße Verdopplung bey der doli actio ſteht

derſelben entgegen; endlich würde dieſe Annahme nur

dann innere Wahrſcheinlichkeit haben, wenn in der That

die durchſchnittliche Reduction des utilis annus, nach der

Zahl der Römiſchen Gerichtstage, auf Vier gewöhnliche

 

(a) L. 8 C. de dolo (2. 21.),

d. h. L. un. C. Th. de dolo

(2. 15.).

(b) L. 7 C. de temp. in int.

rest. (2. 53.).

(c) Glück B. 3 § 269. a.

|0459 : 445|

§. 191. Zeit. 4. Utile tempus. (Fortſetzung.)

Jahre führte, da ſie doch in der That nur auf anderthalb

Jahre führt (§ 189). Es erhellt hieraus, daß die neue

Beſtimmung für die Reſtitution nicht blos eine Verwand-

lung, ſondern zugleich auch eine wahre Verlängerung des

Zeitraums ſeyn ſollte; dieſe aber auf alle andere ähnliche

Zeiträume, von ſo mannichfaltiger Art und Beſtimmung,

anwenden zu wollen, würde ein höchſt willkührliches und

grundloſes Verfahren ſeyn. — Auch die Wichtigkeit des

utile tempus für die Klagverjährung war dadurch ver-

mindert, daß man ſchon längſt vielen einjährigen Klagen

immerwährende (jetzt dreyßigjaͤhrige) mit ähnlicher, nur

etwas beſchränkterer, Wirkung beygegeben hatte (d); dieſe

traten nun ſehr häufig in der wirklichen Anwendung an

die Stelle von jenen, und dann wurde nicht mehr nach

utile tempus gerechnet. — Noch mehr hatte ſich die An-

wendbarkeit des utile tempus vermindert bey der Bono-

rum possessio, deren beſonderer Erwerb, neben dem Civil-

erbrecht, in Folge der Juſtinianiſchen Geſetzgebung nur

noch ſelten Bedürfniß ſeyn konnte.

Weit größer aber ſind die Veränderungen, die bey dem

Übergang des Römiſchen Rechts in die neuere Zeit einge-

treten ſind. Viele einjährige Klagen des Römiſchen Rechts

ſind wegen ihrer polizeylichen Natur, oder wegen ihres

Verhältniſſes zu dem veränderten Strafrecht, ganz außer

 

(d) So z. B. die in factum

actio neben der doli und quod

metus actio; eben ſo neben dem

int. de vi. Vgl. L. 1 pr. § 48

L. 3 § 1 de vi (43. 16.).

|0460 : 446|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Gebrauch gekommen. Noch wichtiger aber iſt der Umſtand,

daß der Unterſchied gerichtlicher und nicht gerichtlicher

Tage, welcher für die Römer die häufigſte Veranlaſſung

zur Anwendung des utile tempus darbot, in dieſem Sinn

für uns nicht mehr vorhanden iſt (§ 189). Daher kommt

im heutigen Recht das utile tempus nur noch bey wenigen

Klagen vor, und nur bey ſeltneren Veranlaſſungen, haupt-

ſächlich wenn die Abweſenheit des Klägers oder des Be-

klagten die ſchleunige Ausübung des Klagerechts verhindert.

Der häufigſte Gebrauch möchte davon etwa noch bey den

ädiliciſchen Klagen gemacht werden können; unter andern

wenn ein umherziehender Verkäufer bald nach dem Verkauf

ſich entfernt, und nun nach entdecktem Mangel der gekauf-

ten Sache, längere Zeit nicht wieder aufgefunden wer-

den kann.

Von der hier verſuchten Darſtellung des utile und

continuum tempus iſt die bey unſren Schriftſtellern herr-

ſchende Lehre ſehr abweichend (e). Sie geht davon aus,

daß jener Gegenſatz eine zweyfache Bedeutung habe, in-

dem er ſowohl auf den Anfang als auf die Fort-

ſetzung der in einen Zeitraum fallenden Unthätigkeit be-

zogen werden könne. Hieraus ergaben ſich Vier mögliche

Combinationen, und man nahm ganz conſequent vier Re-

 

(e) Ich will als Repräſentan-

ten dieſer Anſicht nur folgende an-

führen: Höpfner § 666, Glück

B. 3 § 269. a. Haubold l. c.

p. 405. Es könnten aber eben

ſowohl andere und neuere ge-

nannt werden.

|0461 : 447|

§. 191. Zeit. 4. Utile tempus. (Fortſetzung.)

geln an, deren eine auf jedes Rechtsverhältniß, worin von

einem Zeitraum die Rede ſey, nothwendig angewendet wer-

den müſſe:

1) utile tempus utraque ratione.

2) utile ratione initii, continuum ratione cursus.

3) continuum ratione initii, utile ratione cursus.

4) continuum utraque ratione.

In der Bildung und Bezeichnung dieſer Begriffe herrſcht

große Übereinſtimmung, und nur darüber wird eigentlich

geſtritten, ob alle dieſe Combinationen, oder nur einige

derſelben, in einzelnen Rechtsverhältniſſen wirklich durch

unſre Rechtsquellen anerkannt ſeyen (f).

 

Daß nun die hier angewendete Terminologie nicht in

unſren Quellen vorkommt, iſt noch der geringſte Vorwurf,

der ſie trifft, obgleich dieſer Umſtand wohl geeignet war,

Zweifel und Prüfung zu erregen (g); ſchlimmer iſt es, daß

jene Ausdrücke etwas ganz Anderes ſagen, als was in

der That von den Schriftſtellern, welche ſie brauchen, ge-

meynt iſt. Wollte man dieſelben in ihrem wahren Sinn

anwenden, ſo müßte es z. B. einen Unterſchied machen,

ob ein Klagberechtigter zur Zeit der Entſtehung ſeines

 

(f) Thibaut I. § 97 (Braun

Erörterungen S. 151.) behauptet,

der Fall welcher hier im Text un-

ter Num. 3 bezeichnet iſt, komme

bey keinem Rechtsverhältniß vor.

(g) Bey den alten Juriſten iſt

ſehr oft die Rede davon, ob in

einem gegebenen Fall utile oder

continuum tempus gelte, aber

ſtets werden dieſe Ausdrücke als

abſolute Bezeichnungen einfacher

Begriffe gebraucht, ohne Hindeu-

tung auf ein halbes utile oder

ein halbes continuum. Als eine

ſolche Hindeutung darf insbeſon-

dere nicht verſtanden werden das

ad aliquid utiles, ſ. o. § 189.

l und bb.

|0462 : 448|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Klagrechts gefangen, ſpäterhin frey wäre, oder umge-

kehrt; ein ſolcher Unterſchied wäre aber völlig grundlos,

wird auch von Keinem behauptet. Was Jene mit den

angegebenen Ausdrücken ſagen wollen, iſt eigentlich Fol-

gendes. Die Handlung kann unterbleiben entweder wegen

äußerer Hinderniſſe (wie Gefangenſchaft), oder wegen der

Unwiſſenheit des Berechtigten über ſein Recht. Da nun

bey einzelnen Rechtsverhältniſſen in unſren Rechtsquellen

bald dieſe beide Momente beachtet werden, bald eines der-

ſelben, bald keines, ſo ergeben ſich folgende Vier Combi-

nationen:

1) Beachtung beider Momente.

2) Beachtung der Unwiſſenheit, Nichtbeachtung der äu-

ßeren Hinderniſſe.

3) Nichtbeachtung der Unwiſſenheit, Beachtung der äu-

ßeren Hinderniſſe.

4) Nichtbeachtung beider Momente.

Dieſes iſt der wirkliche Gedanke unſrer Schriftſteller;

die ſeltſame Wahl jener Ausdrücke zur Bezeichnung deſſel-

ben erklärt ſich aus folgendem Umſtand. Wo überhaupt

Unwiſſenheit vorkommt, wird dieſe meiſtens im Anfang

des Zeitraums Statt finden, in der Folge aber durch Wiſ-

ſen verdrängt werden; dennoch liegt hierin nur eine ſchwache

Entſchuldigung für die Wahl jener Terminologie. Denn

augenſcheinlich können die äußeren Hinderniſſe eben ſowohl

im Anfang als im Verlauf eines Zeitraums eintreten, und

doch denkt Niemand daran, auf dieſe Verſchiedenheit ir-

 

|0463 : 449|

§. 191. Zeit. 4. Utile tempus. (Fortſetzung.)

gend ein praktiſches Gewicht zu legen. Aber ſelbſt die

Unwiſſenheit iſt ganz ungenau bezeichnet, indem man ſie

als ein im Anfang des Zeitraums vorkommendes Hin-

derniß auffaßt, da zuweilen ihr Verhältniß ein gerade um-

gekehrtes iſt. Wenn z. B. bey dem Tode eines Menſchen

kein Teſtament vorgefunden wird, auch der nächſte Agnat

anweſend iſt, ſo weiß dieſer augenblicklich, daß ihm die

B. P. unde legitimi angefallen iſt, und der Lauf ſeiner

100 Tage fängt ſogleich an. Wenn er nun 60 Tage

lang unthätig iſt, dann aber durch ein vorgebrachtes er-

dichtetes Teſtament getäuſcht wird, und den darin Einge-

ſetzten als wahren Erben ein Jahr lang anerkennt, ſo iſt

der Zuſtand ſeines Wiſſens durch Unwiſſenheit unterbro-

chen. Wenn endlich jetzt die Unächtheit des Teſtaments

anerkannt wird, ſo weiß der Verwandte von Neuem, daß

er zur B. P. berufen iſt. Zu den Anfangs abgelaufenen

60 Tagen hat er nun noch 40, in welchen er die B. P.

agnoſciren kann, da ihm das in der Mitte liegende Jahr

wegen der Unwiſſenheit nicht angerechnet wird (h). So

(h) Das hier Geſagte iſt nicht

mein Gedanke, ſondern der Ge-

danke Ulpians. L. 2 pr. quis

ordo (38. 15.). „Fieri autem

potest, ut qui initio scierit vel

potuerit bonorum possessionem

admittere, hic incipiat nescire,

vel non posse admittere: sci-

licet si, cum initio cognovis-

set eum intestatum decessisse,

postea quasi certiore nuntio

allato dubitare coeperit, num-

quid testatus decesserit, vel

numquid vivat, quia hic rumor

postea perrepserat. Idem et in

contrarium accipi potest, ut

qui ignoravit initio, postea scire

incipiat.” Dieſer letzte Fall, der

freylich der häufigſte iſt, wird

fälſchlich als der einzige voraus-

geſetzt, und bildet in dieſer Vor-

ausſetzung die Grundlage der

herrſchenden falſchen Terminolo-

gie. Ulpian nun ſagt ganz deut-

IV. 29

|0464 : 450|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

iſt es alſo auch für das in der Unwiſſenheit liegende Hin-

derniß ganz unpaſſend, wenn man es als ein Hinderniß

ratione initii bezeichnen will.

Dieſe Betrachtung war lediglich gegen die allgemein

verbreiteten Kunſtausdrücke gerichtet, und ich bin über-

zeugt, daß unbefangene Bekenner der herrſchenden Lehre

in den von mir an die Stelle geſetzten Ausdrücken ihre

wahre Meynung erkennen werden; daneben ließe ſich alſo

eine völlige Übereinſtimmung in der Sache ſelbſt ſehr wohl

denken. Allein hinter dieſen ungeſchickten Ausdrücken, die

über das ganze Verhältniß eine große Unklarheit verbrei-

teten, hat ſich der wichtigſte, die Sache ſelbſt betreffende,

Irrthum verſteckt, der ſich eben unter dem Schutz jener

Unklarheit nicht blos der Widerlegung, ſondern ſelbſt ei-

ner eigentlichen Prüfung, ſtets entzogen hat. Gehen wir

nun auf die Sache ein, ſo findet ſich daß bey der Bono-

rum possessio, wegen der deutlichen Ausſprüche unſrer

Rechtsquellen, keine Meynungsverſchiedenheit möglich iſt;

die Unwiſſenheit des Berufenen und das äußere Hinderniß

ſtehen hier auf gleicher Linie. Bey der Klagverjährung

aber geht die herrſchende Meynung dahin, daß es ſich

hier in der Regel eben ſo verhalte, wie bey der Bonorum

possessio, daß alſo (mit Vorbehalt weniger Ausnahmen)

die Anwendung des utile tempus durch die Unwiſſenheit

des Klägers über ſein Klagrecht eben ſo hervorgerufen

 

lich, daß der eine wie der andere

Fall völlig gleichen Anſpruch auf

die Berechnung nach utile tem-

pus bey der B. P. gebe.

|0465 : 451|

§. 191. Zeit. 4. Utile tempus. (Fortſetzung.)

werde, wie durch deſſen Gefangenſchaft oder die Abweſen-

heit des Beklagten; das iſt es, was man ſagen will, wenn

man das tempus omni ratione utile als die Regel, das

continuum ratione initii, utile ratione cursus als ſeltene

Ausnahme darſtellt, und es haben ohne Zweifel dieſe her-

gebrachten Kunſtausdrücke ſehr dazu beygetragen, die un-

kritiſche Annahme des erwähnten wichtigen Rechtsſatzes in

ungeſtörter Anerkennung zu erhalten (i). Hierüber nun iſt

an dieſer Stelle nichts Neues zu ſagen; die Gründe für

meine ganz entgegengeſetzte Anſicht ſind oben (§ 190) dar-

geſtellt worden, und wer durch ſie überzeugt wird, muß

eben deshalb die erwähnte abweichende Meynung verwerfen.

Unabhängig von der ſo eben dargeſtellten, ſehr allge-

meinen, Auffaſſung iſt die abweichende ganz einzelne Mey-

nung eines neueren Schriftſtellers (k). Dieſer unterſchei-

det die dies von den anni utiles. Jene werden auch von

ihm ſo erklärt, wie es hier, übereinſtimmend mit allen an-

deren Schriftſtellern, geſchehen iſt. Wenn dagegen der

 

(i) Gewöhnlich wird es ſo aus-

gedrückt: wo nur überhaupt die

Beſchaffenheit eines Zeitraums als

utile tempus gewiß iſt, da müſ-

ſen wir ihn auch für omni ra-

tione utile halten, weil wir ſonſt

eine willkührliche Diſtinction in

das Geſetz hinein tragen würden.

Glück B. 3 S. 507. Haubold

l. c. p. 434. Göſchen Vorleſun-

gen B. 1 S. 583. 585. Damit iſt

denn für die kurzen Klagverjäh-

rungen, deren utile tempus über-

haupt nicht zu bezweifeln iſt, der

Einfluß der Unwiſſenheit vorweg

entſchieden. Zugleich iſt es au-

genſcheinlich, daß dieſer praktiſche

Rechtsſatz eine bloße Folgerung

aus dem angenommenen Begriff

des tempus omni ratione utile iſt.

(k) Elvers über den annus

utilis der actiones honorariae,

in: Elvers Themis, neue Folge,

B. 1. Göttingen 1838, S. 125

— 184.

29*

|0466 : 452|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Prätor ſagt: intra annum actionem (oder bonorum pos-

sessionem) dabo, ſo ſoll das heißen: ſo lange mein Amts-

jahr dauern wird, welches alſo viel oder wenig ſeyn

konnte, je nachdem die Veranlaſſung der Klage oder der

Anfall der Erbſchaft in eine frühe oder ſpäte Zeit jenes

Jahres fiel. Selbſt die menses utiles bey den ädiliciſchen

Klagen ſollen ſo zu verſtehen ſeyn, welches mit einem

zweymonatlichen Wechſel in der Verwaltung der beiden

Ädilen in Verbindung gebracht wird. — Schon im Allge-

meinen muß es ſehr bedenklich erſcheinen, für die ganz

gleichartige Zuſammenſtellung von dies und annus utilis

eine völlig verſchiedene Bedeutung anzunehmen, beſonders

weil noch daneben die generiſche Bezeichnung durch tem-

pus utile und utilitas temporis vorkommt, die offenbar

auf Gleichartigkeit hindeutet; eben ſo bedenklich, in dem

augenſcheinlichen Gegenſatz des intra annum und post an-

num, den erſten Ausdruck in einer ganz anderen Beziehung

als den zweyten zu denken; höchſt bedenklich auch ſchon

die Annahme, daß der Prätor ganz überflüſſigerweiſe er-

klärt haben ſollte, er werde nach Beendigung ſeines Amts

keine Amtshandlungen mehr vornehmen. Sucht man aber

dieſe Meynung durch Anwendung auf einzelne Fälle klar

zu machen, ſo erſcheint ſie vollkommen unhaltbar. War

Jemand im letzten Monat des Amtsjahrs beraubt wor-

den, ſo hätte derſelbe zur Anſtellung der actio vi bono-

rum raptorum nur wenige Wochen übrig gehabt; daher

wäre es ſehr räthlich geweſen, nicht anders als im De-

|0467 : 453|

§. 192. Zeit. 5. Schalttag.

cember zu rauben, weil dann die Klage leicht durch Ver-

jährung verloren gieng. Eben ſo konnte es kommen, daß

ein Minderjähriger, nach erlangter Volljährigkeit, nur

wenige Tage zur Reſtitution übrig hatte, wenn gerade

ſein Geburtstag in die letzten Tage des Jahres fiel.

Wurde das Teſtament eines Verſtorbenen kurz vor dem

Schluß des Jahres eröffnet, und waren darin Drey Er-

ben ernannt, der Sohn, die Mutter des Verſtorbenen,

und ein Fremder, ſo hätten der Sohn und die Mutter nur

einige Tage gehabt um die B. P. zu agnoſciren, der

Fremde aber 100 Tage, da doch ausdrücklich geſagt wird,

daß der Unterſchied der Friſten zum Vortheil der Kinder

und Eltern beſtimmt ſey (l). Vieler anderer Gründe nicht

zu gedenken (m).

§. 192.

VI. Die Zeit. 5. Schalttag.

Quellen:

 

L. 3 § 3 de minoribus (4. 4.). Ulpianus.

L. 2 de div. temp. praescr. (44. 3.). Marcellus.

L. 98 de V. S. (50. 16.). Celsus.

Censorinus de die natali C. 20.

Macrobius Saturnal. I. C. 13. 14.

(l) L. 1 § 12 de succ. ed. (38.

9.). Largius tempus parentibus

liberisque petendae B.P. tribui-

tur, in honorem sanguinis vi-

delicet.” Hier wäre es offenbar

arctius tempus geweſen.

(m) Ausführlicher und erſchö-

pfender, als es hier der Raum

zuließ, iſt dieſe neue Meynung wi-

derlegt worden von Arndts zur

Lehre von der Zeitberechnung, in

Linde’s Zeitſchr. B. 14 S. 1 — 32.

|0468 : 454|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Schriftſteller:

 

Breuning Diss. ad Celsum in L. 98 de V. S. Lips. 1757.

Majansius ad XXX. Ictorum fragmenta Genevae 1764

T. 1 p. 101 — 110.

Schneidt de utilitate studii chronologici in jurispru-

dentia Wirceb. 1782.

Koch Belehrungen (ſ. o. § 182).

Unterholzner Verjährungslehre I. § 86.

In allen bisher aufgeſtellten Regeln iſt das Kalender-

jahr als ein gleichförmiger Zeitraum von 365 Kalender-

tagen angenommen worden, welches zum Maasſtab der

beweglichen Jahre dienen ſoll. Da nun aber alle Vier

Jahre zu jener Zahl Ein Tag als Schalttag hinzutritt,

ſo ſind poſitive Modificationen der gewöhnlichen Meſſung

der Zeiträume für den Fall eingeführt, daß der zu meſ-

ſende Zeitraum einen oder mehrere Schalttage berührt.

 

Ehe aber dieſe Modificationen erſchöpfend beſtimmt

werden können, iſt es nöthig, genauer als es oben (§ 179)

in einer allgemeinen hiſtoriſchen Überſicht geſchehen konnte,

den Schalttag ſelbſt, ſo wie er in unſer chronologiſches

Syſtem eintritt, feſtzuſtellen. Und auch dieſes iſt nur da-

durch möglich, daß auf das ältere Römiſche Jahr zurück

gegangen wird. In dieſem hatte, wenn es ein gewöhnli-

ches Jahr war, der Februar 28 Tage; der 23ſte derſel-

ben hieß Terminalia, der 24ſte Regifugium. Alle Zwey

Jahre aber wurde dieſes Normalmaaß des Februars ge-

 

|0469 : 455|

§. 192. Zeit. 5. Schalttag.

ſtört, ſo daß er nur 23 Tage hatte; zwiſchen Terminalia

und Regifugium wurde ein ganzer mensis interkalaris ein-

geſchoben, abwechslend von 22 und 23 Tagen, dem dann

noch die Fünf abgeſchnittenen Tage des Februars (von

Regifugium an) angehängt wurden, ſo daß er überhaupt

bald aus 27, bald aus 28 Tagen beſtand. Er wurde

übrigens wie jeder andere Monat behandelt, hatte alſo

ſeine Kalenden, Nonä und Idus, von welchen aus die

einzelnen Tage rückwärts gezählt wurden. Cäſar ließ die-

ſen gewiß ſehr unbequemen Schaltmonat ganz fallen (a),

ſetzte aber an denſelben Ort, zwiſchen Terminalia und Re-

gifugium, einen Schalttag, der nur alle Vier Jahre ein-

treten ſollte, keine eigene Zahl bekam, alſo auch die ge-

wöhnliche Zählung der Tage des Februars nicht ſtörte,

obgleich dieſe durch ihn auf 29 vermehrt wurden. Das

Weſen dieſer Einrichtung, die wir noch jetzt befolgen, und

ihr Zuſammenhang mit der vorhergehenden, wird durch die

Zeugniſſe des Macrobius und Cenſorinus klar und ge-

wiß (b). Folgende Überſicht der Sieben letzten Tage des

(a) Sueton. Julius C. 40 „in-

terkalario mense sublato.”

(b) Macrobius Saturn. I. C.

13. „Romani non confecto Fe-

bruario, sed post vicesimum

tertium diem ejus interkala-

bant.” Dieſes geht auf das ältere

Jahr; vom Julianiſchen ſpricht

C. 14 „statuit ut .. unum inter-

kalarent diem, eo scilicet mense

ac loco quo etiam apud vete-

res interkalabatur, id est ante

quinque ultimos Februarii men-

sis dies, idque bissextum cen-

suit nominandum.” — Censori-

nus C. 20 ſagt von der alten Ein-

ſchaltung: „in mense potissi-

mum Februario, inter Termi-

nalia et Regifugium, interka-

latum est,” und nachher von der

neuen: „ut .. ubi mensis quon-

dam solebat, post Terminalia

interkalaretur, quod nunc Bi-

sextum vocatur.” — Mehrere

|0470 : 456|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Februars in einem Schaltjahr wird es anſchaulich ma-

chen, wie jeder dieſer Tage von den Römern bezeichnet

wurde, und wie er von uns bezeichnet zu werden pflegt.

VII. ante Kal. Mart. (Terminalia) _ _ 23. Febr.

VI. ante Kal. Mart. (posterior) (interkalaris) _ _ 24. Febr.

VI. ante Kal. Mart. (prior) (Regifugium) _ _ 25. Febr.

(Matthias)(c).

V. ante Kal. Mart. _ _ 26. Febr.

IV. ante Kal. Mart. _ _ 27. Febr.

III. ante Kal. Mart. _ _ 28. Febr.

pridie Kal. Mart. _ _ 29. Febr.

Daß in den beiden Tagen, die hier als dies sextus

bezeichnet werden, der Schalttag der Römer ſich findet,

iſt unbeſtritten, folgt auch aus der wiederholten Zahl; es

fragt ſich nur, welcher von beiden es eigentlich iſt. Un-

ſre Rechtsquellen ſagen ausdrücklich, der posterior ſey der

Schalttag, nicht der prior (d); damit allein aber iſt die

Sache noch nicht abgethan. Dieſer Ausdruck iſt an ſich

zweydeutig, indem er ſich eben ſowohl auf die natürliche

Zeitfolge beziehen könnte, als auf die rückwärts gehende

Römiſche Zählung; im erſten Fall würde der 25. Februar

 

Stellen über die Kalendae und

Idus interkalares ſind geſammelt

bey Majans. l. c. p. 106.

(c) Der Name Matthias, und

das Feſt dieſes Apoſtels, iſt ſtets

bey dem 24ſten des Gemeinjahrs

(dem 25ſten des Schaltjahrs) ge-

blieben, während viele andere Ka-

lendertage ihre individuelle Na-

men verändert haben; ſo z. B.

hieß der 23. Februar früher Se-

renus, in modernen Kalendern

heißt er Reinhard.

(d) L. 3 § 3 de minor. (4. 4.)

„et posterior dies Kalendarum

intercalatur. — L. 98 § 1 de V.

S. (50. 16.) „sed posterior dies

intercalatur, non prior.”

|0471 : 457|

§. 192. Zeit. 5. Schalttag.

der Schalttag ſeyn, und dieſes haben viele neuere Schrift-

ſteller angenommen (e); im zweyten Fall wäre es der 24ſte.

Daß nun die zweyte Meynung die richtige iſt, beweiſt

ſchon der Ausdruck Ulpians: posterior dies Kalendarum

(Note d), das heißt der von den Kalenden an (rückwärts)

gerechnet der ſpätere iſt; ganz unzweifelhaft aber wird es

durch Macrobius und Cenſorinus (Note b), welche aus-

drücklich ſagen, die neue Einſchaltung geſchehe an derſel-

ben Stelle wie die alte, nämlich nach den Terminalien,

oder nach dem 23ſten Tage des Februar, ſo daß von

dieſem Monat Fünf Tage abgeſchnitten würden.

Allein auch damit iſt noch nicht aller Zweifel beſeitigt.

Viele nämlich behaupten, jener unzweifelhaft Römiſche

Schalttag ſey nicht mehr der unſrige, denn nach unſrer

heutigen Sitte, die Monatstage mit fortlaufenden Zahlen

zu verſehen, ſey der 29. Februar zum Schalttag gewor-

den (f), und dieſe Meynung hat einigen Schein für ſich;

denn wenn man den gedruckten Kalender eines Schaltjah-

res mit dem eines Gemeinjahres vergleicht, ſo beſteht der

ſichtbarſte Unterſchied darin, daß jener einen 29. Februar

hat, welcher dieſem fehlt, und daher in dem Schaltjahr

neu hinzugefügt ſcheint. Dennoch muß dieſe Meynung

ſchlechthin verworfen werden. Die Stellung des Schalt-

 

(e) So z. B. Cocceji jus con-

troversum IV. 4 § 1. Andere

Schriftſteller ſ. bey Koch S. 46,

welcher ſelbſt die richtige Mey-

nung vorträgt.

(f) Lauterbach XLIV. 3 § 4.

Voet. XLIV. 3 § 2. Cocceji IV. 4

§ 1. Schneidt p. 17. 22. — Koch

S. 57 hat die richtige Meynung.

|0472 : 458|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

tags war gar nicht durch die den Römern eigenthümliche

Art, die Monatstage zu zählen, beſtimmt, denn ſo gut

man einen doppelten sextus annahm, hätte man auch ei-

nen doppelten quintus oder septimus annehmen können;

war ſie nun von dieſer Zählungsart unabhängig, ſo hat

auch die hierin eingetretene Veränderung keinen Einfluß

auf ſie ausüben können. Jene Stellung gehört zu den Ei-

genthümlichkeiten des Julianiſchen Kalenders, der auch

noch der unſrige iſt, da die einzige durch Gregor XIII.

bewirkte Veränderung auf die Stellung des Schalttages

gar keinen Einfluß hat. Eine Beſtätigung dieſer Anſicht

liegt auch noch darin, daß der Matthiastag, der in einem

Gemeinjahr auf den 24. Februar fällt, in einem Schalt-

jahre auf den 25. Februar übergeht, da doch, wenn der

25ſte der Schalttag wäre, kein Grund vorhanden ſeyn

würde, den Matthiastag von dem 24ſten zu entfernen (f¹).

Erwägt man vollends die ſehr allmälige und unbeſtimmte

Weiſe, in welcher unſre neuere Zählungsart in Gebrauch

gekommen iſt, ſo kann ihr unmöglich ein ſolcher Einfluß

(f¹) Im zwölften Jahrhundert

war es beſtritten, ob das Mat-

thiasfeſt am 24. oder 25. Februar

zu feyern ſey. Der Pabſt Alexan-

der III. erklärte, da dieſe beiden

Tage für Einen zu halten ſeyen,

ſo ſolle jede einzelne Kirche hierin

bey ihrer bisherigen Gewohnheit

bleiben, und es ſolle weder die

Wahl des einen, noch die des an-

dern Tages, als Irrthum ange-

ſehen werden. Nur müſſe in je-

dem Fall die Vigilia dem Feſt

ſelbſt unmittelbar vorhergehen,

und dürfe alſo niemals durch ei-

nen Zwiſchentag getrennt werden.

C. 14 X. de V. S. (5. 40.). —

Späterhin ſcheint ſich jener Zwei-

fel verloren zu haben, indem in

den gedruckten Kalendern der

Matthiastag bey dem 25. Februar

angezeichnet iſt.

|0473 : 459|

§. 192. Zeit. 5. Schalttag.

auf veränderte Anwendung von Rechtsregeln beygelegt

werden. Da nämlich die alte und neue Bezeichnung der

Tage viele Jahrhunderte lang neben einander angewendet

wurden (§ 180), ſo müßte man, nach der Meynung der

Gegner, annehmen, Diejenigen, welche nach Kalenden und

Idus datirten, hätten einen andern Schalttag gehabt, als

Die, welche ſchon unſre Weiſe angenommen hatten; jene

den 24., dieſe den 29. Februar. Jenen aber müßten noch

Die zugezählt werden, welche ſich der Heiligentage für

das Datum bedienten. Etwas ſo Unausführbares wird

aber Niemand behaupten wollen.

Der eigentliche Grund, der für jene irrige Meynung

zu ſprechen ſcheint, liegt in der kleinen Unbequemlichkeit,

die aus der Combination des Schalttags mit unſrer Art

die Tage zu zählen hervorgeht, und in den Irrungen, die

hierdurch veranlaßt werden können. Dieſe Rückſicht könnte

höchſtens einen Geſetzgeber beſtimmen, den Schalttag zu

verlegen, die Rechtsgelehrten ſind dazu gewiß nicht be-

fugt; aber auch für den Geſetzgeber würde eine ſolche Än-

derung des Kalenders, deſſen Feſtigkeit und allgemeine

Gleichförmigkeit wichtiger iſt, als die hier erwähnte Schwie-

rigkeit, nicht räthlich ſeyn. Dieſe Schwierigkeit iſt durch

eine mäßige Aufmerkſamkeit wohl zu überwinden; wollte

man aber ein beſonderes Gewicht darauf legen, ſo gäbe

es ein ſehr einfaches Mittel ſie zu beſeitigen, ohne den ei-

gentlichen, nun ſchon weit über 1800 Jahre beſtehenden,

Kalender zu berühren. Man brauchte nur in einem Schalt-

 

|0474 : 460|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

jahr die Tage, wie in einem Gemeinjahr, bis 28 zu zäh-

len, indem man den Schalttag ganz ohne Zahl ließe, und

blos als Schalttag bezeichnete, ſo daß der Matthiastag

die Zahl 24 behielte. Damit wäre das wahre Sachver-

hältniß am genaueſten ausgedrückt, und es läge darin gar

kein Eingriff in die weſentlichen Beſtandtheile des Kalen-

ders, zu welchen unſre den Monatstagen beygefügte Zah-

len keinesweges gehören.

Dieſes Alles ſollte nur als Grundlage dienen zu der

juriſtiſchen Behandlung des Schalttags, zu welcher ich

mich jetzt wende. Der Grundſatz geht dahin, daß die zur

Einſchaltung angewendete Zeit gar nicht als Zeit berück-

ſichtigt werden ſoll. Dieſer Grundſatz beſtand ſchon im

älteren Kalender, und wurde hier auf die Weiſe ausge-

führt, daß der ganze Schaltmonat als ein einziger Augen-

blick angeſehen, und zwar zu dem Endpunkt des unmit-

telbar vorhergehenden Tages (23. Februar), gerechnet

wurde, wie dieſes aus der folgenden merkwürdigen Stelle

hervorgeht.

 

L. 98 § 1. 2 de V. S. (50. 16.).

§ 1. Cato putat, mensem intercalarem additicium

esse, omnesque ejus dies pro momento temporis ob-

servat, extremoque diei mensis Februarii attribuit

Quintus Mucius.

§ 2. Mensis autem intercalaris constat ex diebus

viginti octo.

Der § 1 iſt die einfache Beſtätigung des oben Geſag-

 

|0475 : 461|

§. 192. Zeit. 5. Schalttag.

ten, und bedarf keiner weiteren Erklärung (g). Der § 2

aber hat folgende Schickſale gehabt. Anſtatt der hier ab-

gedruckten Florentiniſchen Leſeart hat die Vulgata, wie es

ſcheint ganz allgemein, XXIX. Dieſes iſt eine vermeynt-

liche Emendation, welche aus folgender, in der Gloſſe an-

gedeuteter, Betrachtung entſprungen iſt (h). Mensis inter-

calaris, dachte man, iſt der Februar eines Schaltjahrs,

weil derſelbe einen Schalttag in ſich ſchließt; da nun die-

ſer 29 Tage hat, ſo muß die Zahl in XXIX. verändert

werden. — Als nun ſpäter der Florentiniſche Text entdeckt

wurde, ſuchte man dieſen dadurch zu rechtfertigen, daß

der Schalttag für Nichts gelte, und daher im juriſtiſchen

Sinn doch nur 28 Tage in einem ſolchen Februar enthal-

ten ſeyen (i). Allein beide Erklärungen, zuſammt der auf

die eine gebauten Zahl XXIX., ſind durchaus verwerflich.

Ob jemals mensis interkalaris von dem Februar eines

Julianiſchen Schaltjahrs geſagt worden iſt, will ich dahin

geſtellt ſeyn laſſen, ich kenne keine ſolche Stelle; dagegen

iſt mensis interkalaris oder interkalarius der ganz ge-

wöhnliche Name des alten Schaltmonats (k). Geſetzt aber

auch, dieſer Ausdruck hätte in der That beide Bedeutun-

(g) Die Gloſſe macht hier die

Bemerkung: „Cato et Quintus

duo stulta dixerunt;” hierauf

folgt ein ganzes Gewebe von

Verworrenheit und Irrthum.

(h) Glossa in § cit. „Vigin-

tinovem. Alias Februarius ha-

bet tantum XXVIII.” Mit die-

ſer Auffaſſung des § 2, unter

Vorausſetzung der Leſeart XXIX.,

ſtimmen alle ältere Interpreten

überein.

(i) So z. B. Breuning p. 11.

12. Schneidt p. 17.

(k) Vgl. die Stelle des Sueton

(Note a), und die bey Majans.

p. 106 geſammelte Stellen.

|0476 : 462|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

gen (l), ſo wäre wenigſtens in jener Digeſtenſtelle durch-

aus nur an den alten Schaltmonat zu denken, welcher in

den unmittelbar vorhergehenden Worten mit jenem Aus-

druck bezeichnet worden war, da es völlig undenkbar iſt,

daß der Schriftſteller in wenigen Zeilen daſſelbe Wort in

zwey durchaus verſchiedenen Bedeutungen, ohne alle War-

nung, gebraucht haben ſollte. Der § 2 ſpricht daher, eben

ſo wie der § 1, von dem Schaltmonat des älteren Jah-

res, und dazu paßt die Zahl XXVIII. ſehr gut, indem,

wie oben bemerkt, jener Schaltmonat, mit Inbegriff der

ihm zugeſchlagenen Fünf letzten Tage des Februar, ab-

wechslend 27 oder 28 Tage hatte. Entweder hatte nun

Celſus, im Vorübergehen von dieſer Sache handelnd, nur

die größte unter den beiden vorkommenden Zahlen (alſo

das äußerſte Maaß des Schaltmonats) nennen wollen, oder

er hatte wirklich geſagt: XXVII. vel XXVIII., und ſein

genauer Ausdruck iſt erſt bey der Aufnahme in die Dige-

ſten abgekürzt worden, da ohnehin der Gegenſtand nur

noch antiquariſches, kein praktiſches, Intereſſe hatte (m).

(l) Dieſes behauptet Budaeus,

notae poster. in Dig., in L. 98

de V. S. „Quare scire nos opor-

tet, mensem intercalarem dici

non modo eum qui intercala-

tur, sed etiam in quo interca-

latur.” Beweiſe für die zweyte

Bedeutung führt er nicht an.

(m) Cujacius in L. cit., opp.

T. 8 p. 559 iſt ganz auf dem rich-

tigen Wege, indem er die Stelle

auf den alten Schaltmonat be-

zieht, kommt aber dann in Ver-

wirrungen, die faſt unbegreiflich

ſind, da er doch die deutliche Stelle

des Macrobius vor ſich hatte. —

Ideler Chronologie II. S. 58.

59 hat zuerſt die Stelle auf ſo

befriedigende Weiſe erklärt, daß

ich mich im Weſentlichen auf die

bloße Wiederholung ſeiner Dar-

ſtellung beſchränken durfte.

|0477 : 463|

§. 193. Zeit. 5. Schalttag. (Fortſetzung.).

Auf die Einſchaltung des Julianiſchen Jahres wird

der aufgeſtellte Grundſatz dadurch angewendet, daß der

Schalttag als mit dem darauf folgenden Tag gänz-

lich zuſammen fallend angeſehen wird, nach welcher Fiction

dieſe zwey wirkliche Tage im juriſtiſchen Sinn nur für

Einen Tag gelten (n); dieſes aus zwey Tagen beſtehende

Ganze iſt es, was von den Römern Bisextum genannt

wird (Note b). Wie dieſer für den Schalttag aufgeſtellte

Grundſatz auf einzelne Rechtsverhältniſſe angewendet wird,

ſoll nunmehr angegeben werden.

 

§. 193.

VI. Die Zeit. 5. Schalttag. (Fortſetzung.)

Der Schalttag kann in Rechtsverhältniſſen auf zweyer-

ley Weiſe in Betracht kommen: erſtlich wenn er in den

Lauf eines Zeitraums fällt; zweytens wenn er mit den

Gränzpunkten deſſelben in Berührung kommt, nämlich ent-

weder mit dem Anfang, oder mit dem Endpunkt, oder mit

beiden Gränzen zugleich.

 

Das erſte Verhältniß des Schalttags iſt im Allgemei-

nen weder ſchwierig noch beſtritten. Wenn in dem Lauf

eines Zeitraums Ein Schalttag oder mehrere gefunden

werden, ſo wird der ganze Zeitraum um eben ſo viele

 

(n) L. 3 § 3 de minor. (4. 4.)

„nam id biduum pro uno die

habetur.” — L. 98 pr. de V. S.

(50. 16.) „nam id biduum pro

uno die habetur.” — Eben ſo

C. 14 X. de V..S. „qui duo quasi

pro uno reputantur.”

|0478 : 464|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

wirkliche Tage verlängert, da die einfallenden Schalttage

gar nicht als Zeiträume angeſehen werden ſollen. Wenn

alſo vor Juſtinian die Uſucapion einer beweglichen Sache

im Januar eines Schaltjahrs angefangen hatte, ſo wurde

ſie erſt mit 366 Tagen vollendet, und der Beſitzer erlitt

dadurch einen kleinen Nachtheil. Eben ſo beträgt die drey-

ßigjährige Klagverjährung, wegen der einfallenden Sieben

oder Acht Schalttage, nicht dreyßigmal 365 Tage, ſondern

bald Sieben, bald Acht Tage mehr, und der Klagberech-

tigte hat den kleinen Vortheil, daß er einige Tage länger

nachläſſig ſeyn darf, ohne etwas zu verlieren. Dieſe Re-

gel ſelbſt iſt unbeſtritten, auch in der Anwendung nicht

ſchwierig; es fragt ſich nur, welche Fälle etwa von ihrer

Anwendung ausgenommen ſeyn möchten, und dabey kommt

Alles auf die Auslegung folgender Stelle an.

L. 2 de div. temp. praescr. (44. 3). Marcellus.

In tempore constituto judicatis, an intercalaris dies

proficere judicato, necne, debeat, quaeritur: item de

tempore quo lis perit. Sic sine dubio existimandum

est, ut auctum litis tempus intercalari die existime-

tur: veluti si de usucapione sit quaestio, quae tem-

pore constituto expleri solet: aut de actionibus quae

certo tempore finiuntur, ut aediliciae pleraeque

(a)

(a) An dem Wort pleraeque

hat Bynkershoek obss. IV. 8

Anſtoß genommen, weil nicht die

meiſten, ſondern alle ädiliciſche

Klagen verjährbar ſeyen; deswe-

gen emendirt er peraeque. Allein

erſtlich kann pleraeque auch meh-

rere heißen, ohne Beziehung auf

den Gegenſatz einer Minderzahl,

ſo daß es dann den Begriff von

omnes zwar nicht ausdrückt, aber

auch nicht ausſchließt. Zweytens

|0479 : 465|

§. 193. Zeit. 5. Schalttag. (Fortſetzung.)

actiones. Et(b)si quis fundum ita vendiderit, ut

nisi in diebus triginta pretium esset solutum, inem-

ptus esset fundus, dies intercalaris proficiet em-

ptori(c). Mihi contra videtur.

 

Der allgemeine Gang der Gedanken iſt dieſer. Zuerſt

werden zwey Fälle als Fragen aufgeſtellt, wörtlich wird

nur der zweyte mit großer Beſtimmtheit entſchieden, aber

die Entſcheidung ſoll augenſcheinlich auch für den erſten

gelten. Darauf folgen zwey andere Fälle, ohne ausdrück-

liche Entſcheidung, aber durch die Verbindungsworte der

vorhergehenden Entſcheidung angeſchloſſen. Dann kommt

ein fünfter Fall, in ungewiſſer Verbindung mit den vori-

gen ausgedrückt. Endlich ein allgemein lautender Wider-

 

iſt es möglich, daß es unverjähr-

bare ädiliciſche Klagen gab, die

wir nur nicht kennen. Vgl.

Püttmann opusc. p. 145.

(b) Anſtatt Et ſchlägt Byn-

kershoek l. c. mit gutem Grund

vor, durch Hinzuziehung des vor-

hergehenden s zu leſen Set, wel-

ches kaum eine Emendation ge-

nannt werden kann, da es auf

einer bloßen Gemination beruht.

Durch eine Wiederholung dieſes

Verfahrens entſteht Set et, wel-

ches jedoch weniger nöthig iſt.

Die Rechtfertigung der erſten

Gemination wird ſogleich im Texte

folgen.

(c) Die Florentina ließt pro-

ficietempori, woraus, durch Ge-

mination des t, gemacht worden

iſt tempori. Aber eben ſo gut

kann man das ausgefallene t

hinter p einſetzen, woraus empto-

ri entſteht, übereinſtimmend mit

der Vulgata. Dieſes Letzte iſt

offenbar das Beſſere, da proficit

tempori, für Erweiterung der

Zeit, gezwungener iſt, als profi-

cit emptori, für den perſönlichen

Vortheil des Käufers, der einen

Tag gewinnt; außerdem ſpricht

dafür die augenſcheinliche Analo-

gie des proficere judicato im

Anfang der Stelle, worin gleich-

falls proficere auf die Perſon

bezogen wird. Vgl. Dirkſen

Abhandlungen I. 456.

IV. 30

|0480 : 466|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ſpruch gegen die Meynung, die allgemein in Frage geſtellt,

und für Einen Fall entſchieden behauptet worden war.

Zuvörderſt iſt nun einleuchtend, daß nicht derſelbe

Schriftſteller Dasjenige, was er zuerſt sine dubio als

wahr aufgeſtellt hatte, zuletzt eben ſo beſtimmt verneinen

kann. Dieſen Widerſpruch aus den Gedanken des Mar-

cellus zu entfernen, für uns aber nur um ſo beſchwerlicher

zu machen, haben Manche behauptet, die Schlußworte

mihi contra videtur enthielten eine berichtigende Note des

Ulpian zu der Schrift des Marcellus (d). Dieſe Aushülfe

iſt verwerflich, weil man die Thatſache erſt in den Text

hinein tragen müßte, das Verfahren der Compilatoren

höchſt unvorſichtig, alſo nicht ohne Noth anzunehmen wäre,

eine befriedigende Auflöſung aber doch nicht gewonnen

ſeyn würde. Daher haben denn von jeher die Meiſten an-

genommen, Marcellus behaupte für die Vier erſten Fälle

die Regel, für die fünfte die Ausnahme. Um dieſes auch

mit dem Ausdruck in befriedigenden Zuſammenhang zu

bringen, hat man (ſchon von der Gloſſe an) den letzten

Satz, von Et si quis fundum an, als Frage aufgefaßt,

worauf dann das mihi contra videtur die verneinende Ant-

wort giebt, in welcher die praktiſche Verſchiedenheit des

fünften Falls von den vier erſten ausgeſprochen wird.

Dieſe Erklärung gewinnt noch ſehr an Wahrſcheinlichkeit

durch die Leſeart Sed (Set, set et), (Note b), wodurch

 

(d) Merillius obss. VII. 18. Schulting Jurispr. antejust.

p. 553.

|0481 : 467|

§. 193. Zeit. 5. Schalttag. (Fortſetzung.)

der Gegenſatz des fünften Falls gegen die vier erſten gleich

im Eingang bemerklich gemacht wird.

Damit iſt indeſſen nur erſt der Weg gebahnt, die

Schwierigkeit ſelbſt aber noch nicht gelöſt. Die Fünf

Fälle können nur als Repräſentanten von Gattungen die-

nen, und ſo bleibt noch immer die Frage zu beantworten

übrig: In welchen Fällen ſoll die Regel gelten, daß der

Schalttag nicht als ein Tag berückſichtigt werde, in wel-

chen ſoll ſie nicht gelten? Dazu iſt es nöthig, die Fälle

einzeln durchzugehen.

 

1) Tempus constitutum judicatis. Die Zwölf Tafeln

gaben jedem verurtheilten Schuldner 30 Tage Zeit zur

Zahlung (e), und dieſe Regel war noch zur Zeit der claſ-

ſiſchen Juriſten in voller Übung (f). Daher will hier Mar-

cellus ſagen: wenn in dieſe Zeit von 30 Tagen ein Schalt-

tag fällt, ſo werden es in der That 31, weil der Schalt-

tag mit dem folgenden Regifugium nur für Einen Tag

 

(e) Gellius XV. 3 und XX.

1. „triginta dies justi sunto.”

(f) Gajus IV. § 78 „Bona

autem veneunt … judicatorum

post tempus quod eis partim

L. XII. tab., partim edicto

Praetoris .. tribuitur.” (Das

Edict hatte wahrſcheinlich die 30

Tage auf andere Klagen ausge-

dehnt, als woran die 12 Tafeln

dachten; die fortwährende An-

wendung dieſer letzten aber iſt

hier deutlich anerkannt). L. 4

§ 5 de re jud. (42. 1) von Ul-

pian: „si .. minorem diem sta-

tuerit judex tempore legitimo,

repleatur ex lege.” L. 7 eod.

von Gajus: „constitutorum die-

rum spatium pro judicato, non

contra judicatum, per legem

constitutum est.” Die Sache

ſelbſt, doch ohne wörtliche Bezie-

hung auf die Lex (d. h. die 12 Ta-

feln) kommt noch vor in L. 29

eod. und in L. 16 § 1 de com-

pens. (16. 2).

30*

|0482 : 468|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

zählt; daher gewinnt der Schuldner Einen Tag, interca-

laris dies proficit judicato.

2) Tempus quo lis perit. Dieſes iſt keine Klagver-

jährung, wie man früher wohl angenommen hat, ſon-

dern es iſt die von der L. Julia für die legitima judi-

cia beſtimmte Zeit von anderthalb Jahren, worin der Ju-

der ein Urtheil geſprochen haben muß, wenn nicht der

Prozeß für den Kläger verloren ſeyn ſoll (g). Von dieſer

Zeit nun ſagt Marcellus ausdrücklich, daß ſie durch den

einfallenden Schalttag erweitert werde.

 

3) Si de usucapione sit questio. Hier macht einige

Schwierigkeit das einleitende veluti, welches dazu verleiten

könnte, die Uſucapion als ein einzelnes Beiſpiel des tem-

pus quo lis perit anzuſehen; dieſes iſt aber ganz unmög-

lich, und könnte höchſtens in den ſehr verbreiteten irrigen

Begriffen von Verjährung einige Nahrung finden, die je-

doch den Römiſchen Juriſten vollkommen fremd ſind. In-

deſſen iſt es auch gar nicht nöthig, das veluti ſo zu

verſtehen, es iſt vielmehr hinzu zu denken das vorange-

hende existimandum est, und es ſoll daher nur die gleiche

Entſcheidung auch für die Uſucapion durch veluti ausge-

drückt werden. Marcellus will daher ſagen: ſo wie es

auch angeſehen werden muß, da wo der Zeitraum einer

Uſucapion in Frage kommt — nämlich ſo, daß deren Zeit-

raum (damals Ein Jahr oder Zwey Jahre) durch den

einfallenden Schalttag verlängert wird.

 

(g) Gajus IV § 104.

|0483 : 469|

§. 193. Zeit. 5. Schalttag. (Fortſetzung.)

4) Aut (sit quaestio) de actionibus, quae certo tem-

pore finiuntur. Auch die Zeit einer Klagverjährung ſoll

durch den Schalttag verlängert ſeyn, wofür mehrere ädi-

liciſche Klagen als Beyſpiele angeführt werden. Bey die-

ſen iſt wohl zu bemerken, daß ihre Verjährung auf Zwey

Monate, Sechs Monate, Ein Jahr beſtimmt iſt (h).

 

5) Si quis fundum etc. Es iſt der Fall der lex com-

missoria neben einem Kaufcontract, geſtellt auf 30 Tage;

und in dieſem Fall ſoll der Schalttag die Zeit nicht ver-

längern.

 

Nun entſteht alſo die Frage, auf welchen allgemeinen

Charakter dieſe Verſchiedenheit der vier erſten Fälle von

dem vierten zurück zu führen iſt, wovon die Beurtheilung

aller anderen, hier nicht genannten, Fälle abhängen muß.

Die Meiſten haben von jeher die Verſchiedenheit darin ge-

ſetzt, daß in den vier erſten Fällen von Jahren oder Mo-

naten, im fünften von Tagen die Rede ſey; hiernach ſoll

alſo auch in anderen Fällen unterſchieden werden (i). Allein

wenn man von dem Grundſatz ausgeht, daß der Schalt-

tag kein Tag iſt, ſo darf er nicht mitgezählt werden, der

Zeitraum mag nun in einer Zahl von Tagen oder von

Jahren ausgedrückt ſeyn. Was aber völlig gegen dieſe

Meynung entſcheidet, iſt der Umſtand, daß der erſte unter

den Vier Fällen gleichfalls auf einen in Tagen ausgedrück-

 

(h) L. 19 § 6 L. 28 L. 55 de

aedil. ed. (21. 1).

(i) Alciatus in L. 98 de V. S.

Lauterbach XLIV. 3 § 4. Voe-

tius XLIV. 3. § 2. Bynkershoek

obss. IV. 8. Glück B. 3 S. 526.

|0484 : 470|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ten Zeitraum geht, ja daß in ihm ſogar dieſelben triginta

dies vorkommen, wie in dem fünften Fall (k). — Muß

nun die Unterſcheidung der Jahre und Tage verworfen

werden, ſo bleibt nur noch der Unterſchied übrig, daß die

vier erſten Zeiträume auf Geſetzen beruhen (Lex oder Edict),

der fünfte auf einem Vertrag, und dieſer Unterſchied iſt

denn auch in der That der entſcheidende, auch für alle

übrige, in unſrer Stelle nicht berührte Fälle. Dafür aber

läßt ſich ein voͤllig befriedigender innerer Grund angeben.

Die Fiction, daß der Schalttag kein Tag ſey, beruht auf

einer geſetzlichen Regel, ſo wie der Schalttag ſelbſt auf

einer geſetzlichen Einrichtung. Bey jedem Geſetz nun,

welches einen Zeitraum vorſchreibt, muß angenommen wer-

den, daß der Geſetzgeber die Anwendung ſeiner Vorſchrift

mit Berückſichtigung aller übrigen Geſetze, alſo auch des

Geſetzes über den Schalttag, gewollt hat. Daſſelbe muß

angenommen werden, wenn der Richter eine Friſt beſtimmt,

da er ein Organ der Staatsgewalt, ſeine Handlung alſo

eine Staatshandlung iſt. Dieſes iſt alſo auch auf alle

geſetzliche und richterliche Prozeßfriſten anzuwenden, ſo daß

die zehentägige Appellationsfriſt durch den einfallenden

(k) Bynkershoek ſucht dieſe

Einwendung auf ſehr unbefriedi-

gende Weiſe zu beſeitigen. Er

meynt, die 30 Tage der 12 Tafeln

könnten auch wohl collectiv als

Ein Monat gedacht werden; das

gilt ja aber eben ſo gut von den

30 Tagen im letzten Fall unſrer

Stelle, erklärt alſo nicht den Un-

terſchied. — Ferner könnte viel-

leicht damals ſchon die andere

Friſt von 2 Monaten eingeführt

geweſen ſeyn; aber Gajus und

Ulpian erkennen ausdrücklich die

Friſt der Lex als geltendes Recht

an (Note f).

|0485 : 471|

§. 193. Zeit. 5. Schalttag. (Fortſetzung.)

Schalttag auf Eilf Tage verlängert wird (l). Nur bey

den in Wochen ausgedrückten Friſten muß es anders ge-

halten werden, da die Wochenrechnung ganz außer dem

Kalender liegt (§ 180), alſo auch von dem Schalttag nicht

berührt wird. Wer alſo eine Friſt in Wochen vorſchreibt,

denkt dabey nur an den wiederkehrenden gleichnamigen

Wochentag (Montag, Dienſtag u. ſ. w.), auf welchen ein

Schalttag gar keinen Einfluß hat.

Ganz anders verhält es ſich bey einer durch Vertrag

in einer Zahl von Tagen beſtimmten Friſt, wobey Alles

auf die Interpretation des wahrſcheinlichen Willens an-

kommt. Sind nun hier 30 Tage feſtgeſetzt, ſo haben die

Partheien wahrſcheinlich dreyßigmal 24 Stunden gemeynt,

und wir haben keinen Grund anzunehmen, daß ſie an den

einfallenden Schalttag dachten, und zugleich die Rechtsre-

gel kannten, welche den Schalttag als nicht vorhanden

anſieht. Haben ſie dagegen den Zeitraum in Jahren aus-

gedrückt, ſo dachten ſie ohne Zweifel an den wiederkehren-

den Kalendertag eines folgenden Jahres, ſo daß dann der

Zeitraum von ſelbſt durch den einfallenden Schalttag ver-

längert wird; eben ſo, wenn ſie auf Monate contrahirten,

welches ſtets von der in einem künftigen Monat wie-

derkehrenden gleichen Zahl eines Tages zu verſtehen iſt

(§ 181).

 

(l) Dieſe Anwendung wird ge-

rade am Beſtimmteſten verneint,

aber ohne beſonderen Grund.

Glück B. 3 S. 526. Koch

S. 43.

|0486 : 472|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Es verdient bemerkt zu werden, daß ſchon die Gloſſe

die verſchiedenen möglichen Erklärungen klar und beſtimmt

aufgeſtellt hat, alſo auch die richtige, die daſelbſt als die

Meynung des Bulgarus und Johannes angegeben wird (m).

 

§. 194.

VI. Die Zeit. 5. Schalttag. (Fortſetzung).

Es iſt nun noch die Behandlung des Schalttags für

die Fälle zu beſtimmen, wo derſelbe mit den Gränzpunk-

ten eines Zeitraums in Berührung kommt.

 

I. Fällt der Anfang des Zeitraums in den 24. Febr.

eines Gemeinjahrs, das Ende aber in ein Schaltjahr, ſo

liegt der Endpunkt in dem 25. Februar, alſo in dem auf

den Schalttag folgenden Tag. Man kann das in der

Sprache des Römiſchen Kalenders ſo ausdrücken: der Zeit-

raum, der im Regifugium anfieng, endigt im Regifugium.

Oder in der Sprache unſrer Kalender: die Zeit, die im

Matthiastag anfieng, endigt im Matthiastag. Wer alſo

am 24. Februar 1775 geboren war, wurde am 25. Febr.

1800 volljährig (a) und zwar genau in der Stunde nnd

Minute, die dem Zeitpunkt ſeiner Geburt entſprach. Hatte

 

(m) Die richtige Unterſcheidung

der geſetzlichen und vertrags-

mäßigen Zeiträume wird auch

anerkannt von Cujacius de div.

temp. praescript. C. 3 und

Schneidt p. 26.

(a) Dieſes Stück der hier auf-

geſtellten Regeln iſt ausdrücklich

anerkannt in L. 98 pr. de V. S.

(50. 16) „quo anno intercala-

tum non est, sexto Kalendas

natus, cum bisextum Kalendis

est, priorem diem natalem ha-

bet.”

|0487 : 473|

§. 194. Zeit. 5. Schalttag. (Fortſetzung.)

die Uſucapion einer beweglichen Sache am 24. Febr. 1797

angefangen, ſo iſt ſie eigentlich vollendet im Lauf des

25. Febr. 1800, aber nach den Regeln der civilen Zeit-

rechnung mit dem Anbruch dieſes Tages, und, da der

Schalttag mit demſelben identificirt wird, gleich bey An-

bruch des Schalttages (b). Wer etwa dieſes Letzte be-

zweifeln möchte, wird ſich am leichteſten überzeugen kön-

nen durch folgenden Ausdruck des Römiſchen Kalenders:

da die Uſucapion anfieng im Laufe des Regifugium, ſo

muß ſie endigen mit dem Ablauf der hora sexta noctis

der Terminalia, gerade ſo wie es gewiß geſchehen ſeyn

würde, wenn das Ende des Zeitraums in ein Gemein-

jahr gefallen wäre; der dazwiſchenliegende Schalttag kann

hierin Nichts ändern.

II. Fällt der Anfang des Zeitraums in den 25. Febr.

eines Schaltjahrs und das Ende fällt:

 

a) in ein Gemeinjahr, ſo liegt der Endpunkt im 24. Fe-

bruar, der hier der Matthiastag iſt (c);

b) fällt das Ende wieder in ein Schaltjahr, ſo liegt der

Endpunkt im 25. Febr., ſo daß wiederum von Mat-

thias zu Matthias gerechnet wird (d). — Dieſe Fälle

(b) Unterholzner Verjäh-

rungslehre I. S. 280. Eben ſo

iſt es mit der Teſtamentsfähig-

keit Desjenigen, der am 24 Febr.

1786 geboren war. Koch S. 87

verwirrt Alles, indem er ſeine

falſche Anſicht von der civilis

computatio einmiſcht.

(c) Beyſpiel: die Uſucapion

eines Hauſes inter praesentes

fieng am 25. Februar 1800 an;

ſie endigte am 24. Februar 1810,

und zwar mit dem Anbruch die-

ſes Tages.

(d) Beyſpiel: die Uſucapion

eines Hauſes inter absentes

fieng am 25. Frbr. 1800 an; ſie

endigte eigentlich am 25. Febr.

|0488 : 474|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

verſtehen ſich eigentlich von ſelbſt, und werden von

Keinem bezweifelt werden; ſie ſind hierher geſetzt

worden, um als Grundlage für die Beurtheilung des

folgenden Falls zu dienen.

III. Fällt der Anfang in einen Schalttag, ſo liegt der

Endpunkt:

 

a) in einem Gemeinjahr in dem 24. Februar, weil es

ganz eben ſo zu betrachten iſt, als wäre der Anfang

im 25. Februar eingetreten (mit dem der Schalttag

identiſch iſt), ſo daß dieſer Fall genau ſo beurtheilt

werden muß, wie der unter Num. II. a angeführte.

b) In einem Schaltjahr liegt der Endpunkt im 25. Fe-

bruar, wiederum wegen der Gleichſtellung mit dem

unter Num. II. b angeführten Fall (e).

Wie der Schalttag behandelt wird, da wo er mit der

 

1820, aber wegen der civilen Zeit-

rechnung doch wieder mit Anbruch

des 24. Febr.

(e) L. 98 pr. de V. S. (50. 16).

„Cum bisextum Kalendis est:

nihil refert, utrum priore an

posteriore die quis natus sit,

et deinceps sextum Kalendas

ejus natalis dies est.” L. 3

§ 3 de minor. (4. 4). „Proin-

de et si bisexto natus est, sive

priore sive posteriore die, Cel-

sus scripsit nihil referre: nam

id biduum pro uno die habe-

tur, et posterior dies Kalen-

darum intercalatur.” — Das ni-

hil referre führt unfehlbar auf

folgendes Reſultat. Wenn von

zwey Menſchen Einer am 24.,

der Andere am 25. Febr. eines

Schaltjahrs geboren iſt, ſo haben

ſie, ihr ganzes Leben hindurch,

ſtets einen und denſelben Ge-

burtstag; auch werden ſie voll-

jährig in der ihrer Geburtszeit

entſprechenden Tageszeit des 25.

Februar. Dieſes Letzte iſt augen-

ſcheinlich Ulpian’s Meynung in

L. 3 § 3 cit., da der Satz vom

Schalttag unmittelbar anſchließt

an den ſchon oben abgedruckten

Satz von der Momentenrechnung

(§ 187).

|0489 : 475|

§. 194. Zeit. 5. Schalttag. (Fortſetzung.)

civilen Zeitrechnung zuſammentrifft, iſt ſo eben ſchon be-

merkt worden. Sein Zuſammentreffen mit dem utile tem-

pus kann nie zu einer Schwierigkeit führen. Denn das

Weſen dieſes letzten beſteht nur darin, daß diejenigen Tage,

worin das Handeln gehindert war, nicht als verſäumte

Tage angerechnet werden ſollen. Fällt nun die Verhinde-

rung in einen Schalttag, ſo wird auch dieſer nicht ange-

rechnet: aber die Wirkung des utile tempus iſt nicht fühl-

bar, indem ohnehin der Zeitraum um den einfallenden

Schalttag erweitert wird, ſo daß, mit und ohne Verhin-

derung an dieſem Tage, die Rechnung ſtets dieſelbe bleibt.

Manche haben behauptet, die hier aufgeſtellten Regeln

ſeyen im heutigen Recht gar nicht, oder doch nur auf be-

ſchränkte Weiſe, anzuwenden, weil in unſren gedruckten

Kalendern der Schalttag mit einer eigenen Zahl bezeich-

net, mithin als ein beſonderer Tag anerkannt ſey (f).

Daß dieſer Umſtand gleichgültig, und dem Weſen des Ka-

lenders fremd iſt, wurde ſchon oben dargethan. Bey jener

Meynung liegt aber wohl noch im Hintergrund die Vor-

ausſetzung, daß die ganze Sache eine ſogenannte Römiſche

Subtilität ſey, von welcher wir uns befreyen müßten. Es

ſind aber vielmehr jene Regeln die conſequente Folge der

Einſchaltung, die wir von den Römern angenommen haben,

ja auch gar nicht entbehren können, indem es nur gleich-

 

(f) Weſtphal Arten der Sachen S. 469. Glück B. 3 S.

526. 528.

|0490 : 476|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

gültig iſt, daß ſie gerade im Februar, anſtatt in irgend

einem andern Monat, angebracht wird. Wollten wir nun

jene juriſtiſche Behandlung des Schalttags aufgeben, ſo

würden wir, anſtatt von einer Subtilität frey zu werden,

vielmehr in große Verwirrung gerathen. Der Ablauf einer

dreyßigjährigen Klagverjährung wäre nicht, wie es jetzt

eben ſo richtig als bequem geſchieht, nach dem bloßen Ka-

lendertag des Anfangs zu beſtimmen, ſondern es müßten

ſtets mehrere Tage abgerechnet werden, und zwar, nach

Verſchiedenheit der Fälle, bald Sieben bald Acht Tage,

weil in der That um ſo viel früher die dreyßigmal 365

Tage vollendet ſind. Wo der Schalttag in den Anfang

oder das Ende eines Zeitraums fällt, würde zwar nicht

dieſelbe Schwierigkeit eintreten, aber was könnten wir da-

bey gewinnen, dieſe Fälle anders als jene, alſo mit offen-

barer Inconſequenz, zu behandeln?

Eine neuere Geſetzgebung hat, in einzelnen Anwendun-

gen, Regeln aufgeſtellt, die mit den hier vorgetragenen

allgemeinen Grundſätzen übereinſtimmen, und es läßt ſich

darin eine Anerkennung dieſer, aus dem früheren Recht

herſtammenden, Grundſätze ſelbſt annehmen. Das Preußi-

ſche Landrecht ſagt von der dreyßigjährigen Verjährung

durch Nichtgebrauch (I. 9. § 548): „Durch die bey Schalt-

„jahren zutretenden Tage wird die Verjährungszeit nicht

„geändert;“ das heißt, der Ablauf der Verjährung ſoll

nach dem Datum des Anfangs beſtimmt werden, nicht um

Sieben oder Acht Tage früher wegen der einfallenden

 

|0491 : 477|

§. 194. Zeit. 5. Schalttag. (Fortſetzung.)

Schalttage; oder mit anderen Worten: die Schalttage

gelten nicht als Zeiträume. — Dann ſagt der § 549, die

Verjährung, die in einem Schaltjahr mit dem 29. Februar

anfange, endige ſtets mit dem letzten Februar (alſo nach

30 Jahren mit dem 28. Februar, weil dieſes kein Schalt-

jahr ſeyn kann). — Übereinſtimmend mit dieſer letzten Vor-

ſchrift ſagt eine andere Stelle (II. 8 § 859), der am 29. Fe-

bruar eines Schaltjahrs ausgeſtellte, auf Jahre lautende

Wechſel ſey in einem Gemeinjahr am 28. Februar verfal-

len. — In dieſen beiden letzten Beſtimmungen liegt die

deutliche Anerkennung, daß, wo ein Schalttag in Betracht

kommt, die Identität der Tage nicht durch die in unſren

gedruckten Kalendern beygefügten Zahlen beſtimmt werde;

gerade Dieſes aber iſt es, was hier durch alle einzelne

Anwendungen durchgeführt worden iſt.

Im Franzöſiſchen Geſetzbuch hat dieſer Gegenſtand

folgende ſonderbare Wendung genommen. Urſprünglich

lautete der Text ſo:

 

2260. La prescription se compte par jours, et non

par heures. Elle est acquise lorsque le dernier

jour du terme est accompli.

2261. Dans les prescriptions qui s’accomplissent dans

un certain nombre de jours, les jours complémen-

taires sont comptés. Dans celles qui s’accomplis-

sent par mois, celui de fructidor comprend les jours

complémentaires.

Über den Schalttag war hier gar Nichts geſagt; der

 

|0492 : 478|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Art. 2261 betrifft die Fünf Ergänzungstage des republi-

kaniſchen Kalenders (von 1793), die mit dem Schalttag

gar Nichts gemein hatten, indem ſie nur dazu dienten, die

Zwölf Monate von 30 Tagen mit dem Jahr von 365 Ta-

gen auszugleichen, anſtatt daß der Schalttag zur Ausglei-

chung dieſes Jahrs mit dem Sonnenjahr beſtimmt iſt.

Durch ein Senatusconſult wurde mit dem 1. Januar 1806

der Gregorianiſche Kalender wieder eingeführt, und nun

hatte der Art. 2261 alle Bedeutung verloren. Das Geſetz

vom 3. September 1807 gab dem bisherigen Code civil

den Namen Code Napoléon, indem es zugleich eine An-

zahl einzelner Abänderungen darin vornahm. Unter dieſe

Abänderungen gehörte denn auch die Weglaſſung des

Art. 2261 (g). Damit aber die Zahlenreihe nicht geſtört

würde, machte man den zweyten Satz des alten Art. 2260

zu einem beſonderen Art. 2261, und dieſes iſt ſeitdem die

Geſtalt der angeführten Beſtimmungen geblieben, ſo daß

jetzt über den Schalttag nicht einmal eine ſcheinbare Vor-

ſchrift zu finden iſt. Maleville, der während der alten

Geſtalt des Code ſchrieb, glaubt daß man den (alten)

Art. 2261 auch auf den Schalttag anwenden könne, wo-

durch alſo hier die Meynung vieler Civiliſten, nach wel-

cher zwiſchen Jahren und Tagen unterſchieden werden ſoll,

für Frankreich eine Beſtätigung erhalten würde (h). Er

(g) Sirey Jurisprudence de

la cour de cassation, an 1807,

Additions p. 350. 354.

(h) Maleville T. 4 p. 391

der zweyten Ausgabe; dieſe iſt

erſchienen 1807, nach der Herſtel-

lung des Gregorianiſchen Kalen-

ders, aber vor dem Geſetz vom

|0493 : 479|

§. 194. Zeit. 5. Schalttag. (Fortſetzung.)

bekennt jedoch, daß nach ſehr gewichtigen Autoritäten (Du-

nod und Cujas) vielmehr zwiſchen geſetzlichen und ver-

tragsmäßigen Zeiträumen unterſchieden werden müſſe. Seit-

dem iſt durch Weglaſſung des alten Art. 2261 auch der

Schein verſchwunden, der daraus für jene Meynung ent-

ſtehen konnte, und ſo iſt wohl in Frankreich der Schalt-

tag ganz nach den Regeln zu beurtheilen, die hier für

das Römiſche Recht aufgeſtellt worden ſind.

Merkwürdig iſt noch die monſtröſe Geſtalt, welche je-

nes Geſetz im Napoleoniſchen Königreich Italien angenom-

men hat. Hier wurde der Art. 2261 nicht, wie in Frank-

reich, unterdrückt, ſondern durch folgende ganz andere

Beſtimmung erſetzt:

Nelle prescrizioni le quali si compiono in un dato nu-

mero di giorni, si computa qualunque giorno feriato.

In quelle che si compiono a mesi, si ritengono eguali

tutti i mesi, quantunque composti di numero diseguale

di giorni.

 

Schon in dieſen Worten, noch mehr aber in dem hin-

zugefügten Commentar, erſcheint eine ſo vollſtändige Con-

fuſion, des utile tempus, der Monatslänge, der civilen

Zeitrechnung, und des Schalttags, wie man ſie in dem

Umfang weniger Zeilen hervorzubringen kaum für möglich

hätte halten ſollen (i).

 

3. Sept. 1807, das man nicht vor-

herſehen konnte. Damals hatte

die Meynung den guten Grund

für ſich, daß dadurch dem alten

Art. 2261, wenn er blieb, einige

praktiſche Bedeutung erhalten

wurde.

(i) Codice civile di Napoleo-

|0494 : 480|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

§. 195.

VI. Die Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Einleitung.

Böhmer Jus Eccl. Prot. Lib. 2 T. 26 § 35—45.

Wernher observ. for. T. 1 P. 4 Obs. 5 (urſprünglich

eine Disputation. Viteberg. 1718).

Kress de natura vetustatis Helmstad. 1734.

Pufendorf Observ. I. 151 und II. 54. 55.

Neller opuscula Vol. 2 P. 1 Colon. 1788. Op. II.—V.

Thibaut Beſitz und Verjährung S. 178—202.

F. G. F. comes de Ahlefeldt-Laurvig de praescrip-

tione immemoriali Havniae 1821. 8.

Unterholzner Verjährungslehre I. § 140—150.

Pfeiffer Practiſche Ausführungen B. 2 Hannover 1828

S. 3—147.

P. H. J. Schelling die Lehre von der unvordenklichen

Zeit München 1835.

Arndts Beyträge Bonn 1837. N. III.

In der bis hierher angeſtellten juriſtiſchen Betrachtung

der Zeit wurde dieſelbe ſtets als eine beſtimmte Größe ge-

dacht, und alle aufgeſtellte Regeln bezogen ſich lediglich

auf die Meſſung dieſer Größe (§ 179). Nun findet ſich

aber daneben noch ein Rechtsinſtitut von ganz verſchiede-

 

ne il grande col confronto delle

leggi Romane (3 Bände Milano

1809. 1810. 1811 in 16°), T. 3

p. 1638; Alles zum Gebrauch der

Univerſitäten, mit Genehmigung

der Generaldirection des öffent-

lichen Unterrichts, ſo wie des Ju-

ſtizminiſters.

|0495 : 481|

§. 195. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Einleitung.

ner Natur; in ihm erſcheint die Zeit ohne ein feſt be-

ſtimmtes Maaß, zugleich aber in einer Ausdehnung, die

über die meiſten beſtimmten Zeiträume weit hinausreicht.

Auch durch ſeinen allgemeineren Character unterſcheidet

ſich dieſes Inſtitut von anderen, die auf die Zeit gegrün-

det ſind. Die Uſucapion, die Klagverjährung u. ſ. w. ha-

ben ihren beſtimmten Zuſammenhang mit einzelnen Theilen

des Rechtsſyſtems, und in dieſem Zuſammenhang allein

können ſie befriedigend dargeſtellt werden; hier war nur

das Zeitelement darzuſtellen, welches ihnen gemeinſchaft-

lich zum Grunde liegt. Das nunmehr angedeutete Inſti-

tut hat dagegen eine ſo allgemeine, in die verſchiedenſten

Rechtsverhältniſſe eingreifende, Natur, daß auch für die

vollſtändige Darſtellung deſſelben keine andere als die ge-

genwärtige Stelle gefunden werden kann.

Die Namen, womit dieſes Inſtitut bezeichnet zu wer-

den pflegt, ſind mannichfaltig: unvordenkliche Zeit, unvor-

denklicher Beſitz, unvordenkliche Verjährung; eben ſo im-

memoriale tempus, possessio oder praescriptio immemo-

rialis. Es wird durch die Darſtellung ſelbſt klar werden,

warum von mir der erſte dieſer Namen vorgezogen worden

iſt. Die hier angegebenen lateiniſchen Kunſtausdrücke ſind

ſprachlich zu tadeln, in der Sache iſt Nichts dagegen ein-

zuwenden, da die in den Quellen vorkommenden Umſchrei-

bungen: quod memoriam excedit, und cujus memoria

non exstat, weſentlich daſſelbe ſagen.

 

Es leuchtet auf den erſten Blick ein, daß die unvor-

 

IV. 31

|0496 : 482|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

denkliche Zeit, in ihrer Wirkung, der Erſitzung (§ 177)

verwandt iſt. Wo nun dieſe letzte wirklich begründet iſt,

da kann von der unvordenklichen Zeit, welche ſchwerer zu

erfüllende Bedingungen hat, nicht die Rede ſeyn. Und ſo

erſcheint ſogleich die unvordenkliche Zeit im Verhältniß ei-

nes Surrogats, als Aushülfe für ſolche Fälle, worin die

Erſitzung nicht ausreicht, ſo daß die erſte Aufgabe darauf

gerichtet ſeyn muß, die Fälle des Bedürfniſſes und der

Anwendung dieſes ergänzenden Inſtituts genau zu beſtim-

men. Ein ſolches Bedürfniß aber iſt auf zweyerley Weiſe

denkbar: erſtens für Fälle, worin die Bedingungen der

Erſitzung fehlen: zweytens für Gegenſtände, worauf

die Erſitzung überhaupt nicht anwendbar iſt.

Bevor aber dieſe Fälle ſelbſt angegeben werden, iſt es

nöthig den Blick auf ein außer dem Privatrecht liegendes

Gebiet zu richten. Auch im Staatsrecht kommen nicht ſel-

ten Fälle vor, worin die ſichere Erledigung ſchwankender,

zweifelhafter Verhältniſſe, welche im Privatrecht auf ſo

wohlthätige Weiſe durch Uſucapion oder Klagverjährung

bewirkt wird, als ein eben ſo unabweisliches Bedürfniß

erſcheint. Da aber hier kein Geſetzgeber ordnend eingreift,

ſo bricht ſich zwar auch das Bedürfniß ſeine Bahn, jedoch

ſo daß wir die feſten Zeitgränzen vermiſſen, die ſich im

Privatrecht überall finden. In England konnte es nach

der Revolution von 1688 auch einem ſtrengen Gewiſſen

lange Zeit zweifelhaft bleiben, ob eine rechtmäßige Ver-

änderung vorgegangen, oder bloße Gewalt geübt worden

 

|0497 : 483|

§. 195. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Einleitung.

ſey; und wenn die Stuarte ſiegreich zurückgekehrt wären,

ſo würde ihnen die Anerkennung ihres fortdauernden Rechts

nicht gefehlt haben. Als aber in der Perſon des Kardi-

nals von York der Stuartſche Königsſtamm erloſch (1806),

da hatte England und Europa längſt aufgehört, an dem

rechtmäßigen Thronbeſitz des Hauſes Braunſchweig zu zwei-

feln. Niemand kann hier und in ähnlichen Fällen ein Jahr

angeben, worin der Zweifel in Gewißheit übergeht; wohl

aber läßt ſich die Bedingung dieſes Übergangs durch all-

gemeine Charactere bezeichnen. Wenn der gegenwärtige

Zuſtand ſchon ſo lange beſteht, daß die jetztlebende Gene-

ration keinen andern gekannt, ja ſelbſt von ihren nächſten

Vorfahren keinen andern, als von dieſen ſelbſt erlebt, er-

fahren hat, dann kann man annehmen, daß dieſer Zuſtand

mit den Überzeugungen, Gefühlen und Intereſſen der Na-

tion gänzlich verſchmolzen iſt, und ſo iſt dann Dasjenige

vollendet, was man die publiciſtiſche Verjährung nennen

könnte. Da nun dieſes gerade der Character iſt, welchen

unſre Schriftſteller der unvordenklichen Zeit zuſchreiben,

ſo haben wir das Urbild derſelben im öffentlichen Recht

aufgefunden.

Damit aber iſt zugleich auch der Weg gebahnt, um

die Fälle ihrer Anwendung im Privatrecht zu beſtimmen.

Es giebt in dieſem manche Rechte, die nicht unmittelbar

auf dem Boden deſſelben entſprungen ſind, ſondern aus

einer publiciſtiſchen Einwirkung auf das Privatrecht her-

rühren. Der Natur ſolcher Rechte iſt es angemeſſen, auch

 

31*

|0498 : 484|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ihre Erwerbung im Einzelnen auf publiciſtiſche Regeln

zurückzuführen. Wo daher die zweifelhafte Entſtehung ei-

nes ſolchen Rechts auf das Bedürfniß führt, eine Ent-

ſcheidung durch Zeitlauf eintreten zu laſſen, da wird nicht

die privatrechtliche Erſitzung, ſondern die eben beſchriebene

publiciſtiſche Verjährung, das angemeſſene Mittel für die-

ſen Zweck ſeyn. Und dieſes iſt in der That der Geſichts-

punkt, von welchem aus die unvordenkliche Zeit in unſrem

Privatrecht betrachtet werden muß, weshalb wir ihren

Begriff vorläufig ſo beſtimmen koͤnnen:

Sie iſt das Surrogat der Erſitzung bey ſolchen Rech-

ten, auf welche, nach ihrer publiciſtiſchen Natur und

Entſtehungsart, die Erſitzung ſelbſt nicht anwendbar iſt.

 

Die Wahrheit dieſer Behauptung muß aus den Be-

ſtimmungen unſrer Rechtsquellen über die unvordenkliche

Zeit hervorgehen. Hierbey müſſen wir vor Allem die

größte Sorgfalt auf die Stellen des Römiſchen Rechts

wenden, da es ganz irrig ſeyn würde, dieſes nur als die

zufällige Veranlaſſung, nicht als die wahre Grundlage des

genannten Rechtsinſtituts anzuſehen. Alle ältere Schrift-

ſteller behandeln es als eigentliche Grundlage, ja die ganze

praktiſche Ausbildung der unvordenklichen Zeit iſt lediglich

aus einzelnen Stellen des Römiſchen Rechts hervorge-

gangen.

 

|0499 : 485|

§. 196. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Römiſches Recht.

§. 196.

IV. Die Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Römiſches Recht.

Wir finden drey Rechtsinſtitute, worin das Römiſche

Recht die unvordenkliche Zeit als Entſtehungsgrund recht-

licher Verhältniſſe anerkennt: die Gemeindewege, Schutz-

anſtalten gegen das Regenwaſſer, und Waſſerleitungen (a).

 

I. Gemeindewege.

Es giebt dreyerley Wege (b):

Heerſtraßen (publicae viae), Privatwege (privatae), die

ganz im Eigenthum eines Einzelnen ſtehen, und Gemeinde-

wege (vicinales) (c). Die rechtliche Beſchaffenheit dieſer

letzten iſt verſchieden. Sind ſie auf öffentlichem Boden

angelegt, ſo haben ſie die Natur der publicae; ſind ſie

 

(a) Man könnte dahin auch noch

rechnen wollen die rechtliche Na-

tur des Schatzes: L. 31 § 1 de

adqu. rer. dom. (41. 1.). „The-

saurus est vetus quaedam de-

positio pecuniae, cujus non ex-

stat memoria.” Hier iſt der

Ausdruck genau derſelbe, wie bey

der unvordenklichen Zeit, aber

nicht nur die Wirkung iſt ganz

ungleichartig, ſondern, genau be-

trachtet, ſelbſt die factiſche Vor-

ausſetzung. Bey dem Schatz iſt

es ganz gleichgültig, ob aus den

zwey letzten Menſchenaltern alle

Erinnerung verſchwunden iſt.

Wenn aus irgend einer alten

Zeit ein gegenwärtiges Eigen-

thum durch eine ununterbrochene

Reihe von Vererbungen darge-

than werden kann, ſo kommt das

beſondere Recht des Schatzes nicht

zur Anwendung, welches daher

nur eintritt, wenn die Sache fac-

tiſch als herrenlos gelten muß,

weil kein erweislicher Eigenthü-

mer vorhanden iſt, alſo Niemand

durch jene Behandlung verletzt

wird.

(b) L. 2 § 22 ne quid in loco

publ. (43. 8.). (Ulpian.)

(c) L. 2 cit. „Vicinales sunt

viae, quae in vicis sunt, vel

quae in vicos ducunt.” Man

könnte fragen, warum hier nur

die Communalwege der unwichti-

gen vici erwähnt werden, nicht

die der weit wichtigeren Muni-

cipien und Colonieen; ohne Zwei-

fel deswegen, weil bey dieſen oh-

nehin Niemand zweifelte, daß ſie

insgeſammt, ohne die angegebene

Unterſcheidung, publicae viae

ſeyen.

|0500 : 486|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

entſtanden aus Privatboden, welchen die Eigenthümer dazu

hergegeben haben (d), ſo ſind ſie privatae, das heißt ſie

ſind im gemeinſchaftlichen Eigenthum dieſer Einzelnen,

welche daher befugt ſind, ſie wieder aufzuheben oder auch

für Fremde zu verſchließen. Jedoch leidet dieſes Letzte eine

Ausnahme; auch die auf Privatboden urſprünglich ange-

legten Gemeindewege ſind publicae, alſo der Privatwill-

kühr entzogen, wenn ſie ſeit unvordenklicher Zeit, über

Menſchengedenken hinaus, als Wege beſtehen (e); ſie ha-

ben dadurch die rechtliche Natur öffentlicher Straßen an-

genommen. — Hier hat alſo die unvordenkliche Zeit die

Wirkung, daß dadurch ein Weg eben ſo zum Gemeingut

Aller wird, wie wenn er durch die Staatsgewalt und auf

Staatsboden angelegt worden wäre, was er in der That

nicht iſt. Ein Privatbeſitz liegt dabey nicht zum Grunde,

und irgend ein Privatrecht wird dadurch nicht begründet.

— Eine Anwendung dieſes Grundſatzes im heutigen Recht

würde wohl möglich ſeyn, wenngleich die Aufſicht auf

öffentliche Anſtalten dieſer Art bey uns anders als bey

den Römern eingerichtet iſt.

(d) Ulpian bemerkt in L. 2 cit.,

die bloße Erhaltung aus Privat-

mitteln beweiſe Nichts gegen die

Natur einer publica via, da auch

bey einer ſolchen die Erhaltung

aus den Beyträgen derjenigen

Einzelnen geſchehen könne, die

davon vorzugsweiſe Nutzen zie-

hen. Vorher ſagt er, die öffent-

liche Natur der Vicinalwege werde

von Manchen ganz allgemein be-

hauptet; er beſchränkt nun dieſe

Behauptung durch die im Text

dargeſtellte Unterſcheidung.

(e) L. 3 pr. de locis et itin.

publ. (43. 7.). (Ulpian.) „Viae

vicinales, quae ex agris priva-

torum collatis factae sunt (die

alſo nach der vorigen Stelle eigent-

lich privatae ſeyn müßten), qua-

rum memoria non exstat, publi-

carum viarum numero sunt.”

|0501 : 487|

§. 196. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Römiſches Recht.

II. Schutzanſtalten gegen das Regenwaſſer.

Auf die Gefahren, die das Regenwaſſer unſren Grund-

ſtücken bereiten kann (f) bezieht ſich ein uraltes Rechtsin-

ſtitut, welches auf folgendem Grundſatz beruht. Niemand

darf den Normalzuſtand eines Grundſtücks eigenmächtig

dergeſtalt ändern, daß der Ablauf des Regenwaſſers zum

Nachtheil meines Grundſtücks verſtärkt oder vermindert

werde (g).

 

Worin beſteht nun dieſer Normalzuſtand? Zunächſt

in der natürlichen, ohne menſchliches Zuthun entſtandenen,

Beſchaffenheit des Bodens (h), welche dem höheren Grund-

ſtück den Vortheil giebt, das von dem Boden nicht einge-

ſogene Regenwaſſer auf das niedere zu entlaſſen; einen

Vortheil, der durch die dem niederen zugeführte Beſſerung

compenſirt wird (i). — Dann aber in rechtmäßig angeleg-

ten künſtlichen Anſtalten, Dämmen, Wällen, Abzugsgrä-

 

(f) Blos von dieſen Gefahren

und ihrer Abwehr iſt hier die Rede,

gar nicht von dem Vortheil, der

uns durch das befruchtende Re-

genwaſſer entſtehen, und alſo viel-

leicht auch von unſeren Nachba-

ren vermindert werden kann. Auf

dieſen Vortheil haben wir gar kein

Recht. L. 1 § 11. 12. 21 de aqua

pluv. (39. 3.).

(g) L. 1 § 1. 10. 13 de aqua

pluv. (39. 3.), L. 11 § 6 eod.

(in der erſten Hälfte). Vergl.

Cicero top. C. 9.

(h) L. 1 § 1. 13. 23 de aqua

pluv. (39. 3.) „agrinaturam esse

servandam.” L. 2 pr. eod. „na-

tura loci.”

(i) L. 1 § 22 de aqua pluv.

(39. 3.) „hanc esse servitutem

inferiorum praediorum.” L. 1

§ 23 eod. „et semper inferiorem

superiori servire.” L. 2 pr. eod.

„per quae inferior locus supe-

riori servit.” — Es ſind dieſes

durchaus nur bildliche Bezeichnun-

gen des Verhältniſſes, an eine

Servitut oder auch nur etwas

ihr Nachgebildetes (etwa servi-

tus non jure constituta, sed

tuitione) iſt hier nicht zu denken.

|0502 : 488|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ben, welche durch die Art ihrer Entſtehung gleichen An-

ſpruch auf Unverletzlichkeit haben, wie die natürliche Be-

ſchaffenheit. Die rechtmäßige Anlage kann geſchehen gleich

bey Gründung einer Stadt, durch die Obrigkeit, welcher

dieſe Gründung übertragen iſt, alſo vermittelſt der lex

colonica; in der Folge aber, nicht durch Anordnungen

der verwaltenden Stadtobrigkeiten, ſondern durch die höch-

ſten Staatsgewalten, den Kaiſer oder den Senat (k). Fin-

det ſich eine ſolche Anſtalt, deren rechtmäßige Gründung

nicht erweislich iſt, ſo kann in der Regel Jeder deren

Wegräumung, das heißt die Herſtellung des urſprüngli-

chen Zuſtandes, fordern (l). Wenn jedoch die Anſtalt

ſchon über Menſchengedenken beſteht, das heißt ſo lange

daß die Jetztlebenden keinen andern Zuſtand kannten, auch

keinen von ihren Vorfahren vernommen haben (m), dann

iſt ihr Alter ſo gut wie die Ler, das heißt es wird nun

die rechtmäßige Gründung angenommen (n). So kann dem-

nach der zu erhaltende Normalzuſtand durch drey verſchie-

dene Gründe beſtimmt werden: lex (publica auctoritas),

(k) L. 1 § 23 L. 2 pr. de aqua

pluv. (39. 3.) „lex.” — L. 23 pr.

eod. „Principis aut Senatus

jussu, aut ab his qui primi

agros constituerunt, opus fac-

tum.” — L. 2 § 3 eod. „publica

auctoritate facta.” — L. 2 § 7

eod. „fossam jure factam.”

(l) Nur nicht Derjenige, der

um die Anlage wußte, und ſie ge-

ſchehen ließ, denn das gilt als ſtill-

ſchweigende Einwilligung. L. 19.

20 de aqua pluv. (39. 3.).

(m) Dieſe nähere Beſtimmung,

gegründet auf L. 2 § 8 de aqua

pluv. (39. 3.) und L. 28 de prob.

(22. 3.), wird unten, bey der prac-

tiſchen Ausführung dieſer Lehre,

genauer erwogen werden.

(n) L. 1 § 23 de aqua pluv.

(39. 3.) „vetustatem vicem le-

gis tenere.” — L. 2 pr. eod. „ve-

tustas, quae semper pro lege

habetur.”

|0503 : 489|

§. 196. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Römiſches Recht.

vetustas (quae pro lege habetur), und, in Ermanglung von

beiden, natura loci (o). Die vetustas alſo, gleichbedeutend

mit der unvordenklichen Zeit (p), iſt blos ein Surrogat

der lex oder publica auctoritas, ihr gleich wirkend, wo

dieſe ſelbſt in Vergeſſenheit gerathen iſt, vielleicht auch nie

vorhanden war.

Dieſe Einwirkung der unvordenklichen Zeit iſt alſo ganz

ähnlich derjenigen, welche oben bey den öffentlichen We-

gen nachgewieſen worden iſt. Kein Privatbeſitz liegt da-

bey zum Grunde, kein Privatrecht wird erworben, ſon-

dern die lange Dauer dient als Erſatz der wahren publi-

ciſtiſchen Entſtehung der Anſtalt, und nun hat jeder Be-

theiligte das Recht, dieſen Zuſtand als unantaſtbar für

ſich geltend zu machen. Weil es kein Privatrecht iſt, ſo

 

(o) L. 1 § 23 de aqua pluv.

(39. 3.), L. 2 pr. eod. „In sum-

ma tria sunt, per quae inferior

locus superiori servit: lex, na-

tura loci, vetustas.”

(p) Das, was in L. 2 pr. de

aqua pluv. (39. 3.) vetustas heißt,

wird gleich darauf, im § 1, er-

klärt durch: „nec memoriam ex-

stare quando facta est.” Un-

mittelbar verbunden ſind beide

Ausdrücke in L. 2 § 3 eod. „quo-

rum memoriam vetustas exce-

dit.” (Vgl. auch L. 2 § 7 L. 23

§ 2 eod). An ihrer gleichen Be-

deutung iſt daher nicht zu zwei-

feln. — Es hat alſo damit kei-

nen unmittelbaren Zuſammen-

hang, wenn in einigen Stellen

aus viel ſpäterer Zeit vetustas

eine Zeit von 40 Jahren bedeu-

tet. L. 2 C. Th. de longi temp.

praescr. (4. 13.) „annorum XL.

quam vetustatem leges ac jura

nuncupare voluerunt,” und in

demſelben Sinn L. 7 C. de fun-

dis rei priv. (11. 65) „excepto

vetustatis auxilio,” welche Stelle

interpolirt iſt aus der, die 40 J.

vorſchreibenden, L. 14 C. de fun-

dis patrim. (11. 61.), indem jene

Worte in dem Original (Nov.

Theod. tit. 28) nicht vorkommen.

Inwiefern dennoch dieſer andere

Sprachgebrauch für die unvor-

denkliche Zeit zu benutzen iſt,

wird im § 199 gezeigt werden.

|0504 : 490|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

konnte nicht die Erſitzung eingreifen; da aber doch ein

ähnliches Bedürfniß vorhanden iſt (q), ſo wird dieſem auf

ähnliche Weiſe wie durch Erſitzung abgeholfen, nur erſt

in längerer und weniger beſtimmter Zeit. Daneben kann

aber auch ein Einzelner auf privatrechtlichem Wege einen

ähnlichen oder ſtärkeren Schutz für ſein Grundſtück erwer-

ben, namentlich durch eine Servitut; wo alſo dieſe er-

worben iſt, durch Vertrag (cessio), Teſtament, oder die

ihr eigenthümliche Erſitzung, da geht deren Einwirkung

jenen allgemeinen Regeln gerade ſo vor, wie in anderen

Fällen die Servitut dem Grundeigenthum vorgeht (r). Un-

gegründet würde die Einwendung ſeyn, daß in einem ſol-

chen Fall die privatrechtliche Servitut dem jus publicum

vorgezogen wäre, gegen die oben (§ 16) aufgeſtellte Re-

gel. Die Servitut wirkt nur zwiſchen zwey einzelnen

Grundſtücken, und entzieht dem einen die Vortheile, die

es ſonſt aus dem Normalzuſtand, alſo vielleicht auch aus

der öffentlichen Anſtalt (die juris publici iſt), ziehen könnte;

dieſe Anſtalt ſelbſt aber, inſofern ſie eine allgemeine poli-

zeyliche Natur hat, oder einem dritten Grundſtück Vor-

theil bringt, kann dadurch nicht eingeſchränkt werden (s).

(q) L. 2 pr. de aqua pluv.

(39. 3.) „minuendarum scilicet

litium causa,” ganz ſo wie es in

L. 1 de usurp. (41. 3.) heißt:

„ne .. diu et fere semper in-

certa dominia essent.” Vergl.

Gajus II. § 44.

(r) Die Ähnlichkeit und Un-

ähnlichkeit unſres Grundſatzes mit

den Servituten, ſo wie die mög-

liche Concurrenz wirklicher Ser-

vituten, die dann ſtets den Vor-

zug haben, wird anerkannt in

L. 2 § 10 L. 1 § 17. 23 de aqua

pluv. (39. 3.).

(s) Es tritt alſo hier ein ähn-

liches Verhältniß ein, wie wenn

in Rom eine servitus altius tol-

|0505 : 491|

§. 197. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Römiſches Recht. (Fortſ.)

Eine buchſtäbliche Anwendung dieſes Grundſatzes würde

im heutigen Recht deswegen nicht möglich ſeyn, weil bey

uns niemals Städte auf Römiſche Weiſe (durch dazu be-

ſtellte Magiſtrate) gegründet werden, auch die höchſten

Staatsgewalten (Kaiſer und Senat) ſchwerlich ſolche Be-

ſtimmungen unmittelbar erlaſſen möchten. Aber dem Sinn

nach iſt eine Anwendung allerdings moͤglich, da ſich ge-

wiß überall irgend eine Obrigkeit finden wird, die zu ſol-

chen Einrichtungen beauftragt iſt, und deren Anordnun-

gen, wo ſie im einzelnen Fall nicht erweislich ſind, durch

unvordenkliche Dauer der Anſtalt erſetzt werden können.

 

§. 197.

VI. Die Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Römiſches Recht.

(Fortſetzung.)

III. Waſſerleitungen.

In folgenden zwey Stellen wird die unvordenkliche Zeit

als Erwerbungsgrund eines Rechts auf Waſſerleitung be-

zeichnet.

 

lendi gegeben wurde gegen die

Geſetze, wodurch die Höhe der

Gebäude beſchränkt war. — Ich

habe übrigens hier die actio aquae

pluviae nur erwähnt in ihrer rei-

nen, urſprünglichen Geſtalt. Da-

neben wurden noch manche Aus-

dehnungen auf ähnliche Verhält-

niſſe verſucht und von Anderen

beſtritten, wobey denn gleichfalls

die vetustas, zum Theil auf eine

zweifelhaftere Weiſe, erwähnt

wird, wie in L. 2 § 4. 5. 7 de

aqua pluv. (39. 3.). Dieſes Alles

würde hier zu weit vom Haupt-

zweck abgeführt haben, und muß

der beſonderen Darſtellung jener

Klage im ſpeciellen Rechtsſyſtem

vorbehalten bleiben.

|0506 : 492|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

L. 3 § 4 de aqua quot. (43. 20.). (Pomponius.)

Ductus aquae, cujus origo memoriam excessit, jure

constituti loco habetur.

L. 26 de aqua pluv. (39. 3.). (Scaevola.)

Scaevola respondit, solere eos qui juri dicundo prae-

sunt, tueri ductus aquae, quibus auctoritatem vetu-

stas daret, tametsi jus non probaretur.

Dieſer Fall der Anwendung iſt der ſchwierigſte in der

Lehre von der unvordenklichen Zeit: zugleich iſt aber auch

keiner durch häufige Anwendung in Gerichten ſo wichtig

geworden als dieſer. Für eine erſchöpfende Behandlung

der Frage iſt es nöthig, etwas weit auszuholen.

 

Bey dem Eigenthum kommt ſchon frühe eine longi

temporis praescriptio gegen die Vindication vor, und zwar

ſo daß darin longum tempus nicht etwa eine unbeſtimmt

lange Zeit, ſondern ganz genau 10 oder 20 Jahre (nach

dem Unterſchied zwiſchen praesentia und absentia) bezeich-

net (a). Es iſt möglich, daß noch früher die Zeit unbe-

ſtimmt, alſo dem richterlichen Ermeſſen überlaſſen war,

und daß erſt kaiſerliche Conſtitutionen ſie feſtgeſtellt haben;

doch iſt es wahrſcheinlicher, daß gleich Anfangs ein be-

ſtimmter Zeitraum angenommen wurde, und daß die Con-

ſtitutionen nur, wie in ſo vielen anderen Fällen, als An-

 

(a) Paulus V. 2 § 3 und V. 5

A. § 8, L. 7 C. quibus non ob-

jicitur (7. 35.), L. 11. 12 C. de

praescr. longi temp. (7. 33.). —

Deutlich vorausgeſetzt erſcheint

derſelbe Rechtsſatz auch in L. 1

C. de praescr. l. t. (7. 33.) von

Severus, beſonders wenn man

damit die Stellen des Paulus

vergleicht.

|0507 : 493|

§. 197. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Römiſches Recht. (Fortſ.)

erkennung und Beſtätigung des ohnehin geltenden Rechts-

ſatzes angeführt werden (b).

Servituten konnten in älterer Zeit durch Uſucapion,

alſo in Einem oder Zwey Jahren, erworben werden; eine

Lex Scribonia hob dieſe Erwerbungsart auf (c). Da aber

das praktiſche Bedürfniß einer Erledigung zweifelhafter

Verhältniſſe durch Zeit auch bey ihnen unverkennbar war,

ſo bildete ſich, nach der Analogie der eben erwähnten

longi temporis praescriptio, folgender Rechtsſatz aus, den

wir ſchon bey den alten Juriſten als unzweifelhaft aner-

kannt finden. Wer eine Servitut während eines longum

tempus, alſo 10 oder 20 Jahre lang, ausübt (d), wird ſo

 

(b) L. 76 § 1 de contr. emt.

(18. 1.) (Paulus) „longae pos-

sessionis praescriptione, si ..

impleat tempora constitutioni-

bus statuta.” — Folgende Stel-

len ſetzen bereits einen feſten Zeit-

raum voraus: L. 54 de evict.

(21. 2.) (Gajus), L. 13 § 1 de

jurejur. (12. 2.) (Ulpian und Ju-

lian), L. 21 de usurp. (41. 3.)

(Javolenus), L. 14 pro emt.

(41. 4.) (Scävola, mit Erwäh-

nung von praesens und absens).

(c) L. 4 § 29 de usurp. (41.3).

(d) L. 10 pr. si serv. (8. 5).

„Diuturno usu et longa quasi

possessione.” Nachher heißt es:

per annos forte tot; das geht

auf die beſtimmte Zahl von Jah-

ren, die in jedem einzelnen Fall

anzugeben und zu beweiſen iſt,

und die ſehr verſchieden ſeyn kann,

wenn ſie nur nicht weniger be-

trägt, als 10 (oder 20) Jahre. —

L. 1 C. de serv. (3. 34) „longi

temporis consuetudinem.” —

L. 2 C. eod. „exemplo rerum

immobilium tempore quaesisti.

Quod si ante id spatium” etc.

Ohne Zweifel war dieſes Reſcript

in eine Provinz erlaſſen, an Pro-

vinzialſtücken aber vertrat die l. t.

praescriptio ganz allgemein die

Stelle der Uſucapion. Die Worte:

exemplo rer. immob. ſind alſo

nur eine Umſchreibung der be-

ſtimmten Zeit von 10 oder 20

Jahren, welches auch durch die

folgenden, blos wiederholenden,

Worte: id spatium unzweifelhaft

wird. — L. 5 § 3 de itin. (43.

19) „velut longi temporis pos-

sessionis praerogativam” (das

velut geht auf die bloße quasi

possessio bey Servituten). —

L. 1 § 23 de aqua (39. 3) „et

|0508 : 494|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

angeſehen und geſchützt, als wenn er das Recht derſelben

wirklich erworben hätte (e); er bekommt nicht blos eine

temporalis praescriptio gegen die Klage des Eigenthü-

mers, ſondern ſelbſt eine Klage (f). Anſtatt des poſitiven

Rechtstitels, der zur Uſucapion und zur longi temporis

praescriptio nöthig iſt, wird hier nur gleichſam ein nega-

tiver Titel gefordert; der Beſitz ſoll weder mit Gewalt,

noch heimlich, noch bittweiſe angefangen haben (g). Dieſe

Erſitzung ſollte gewiß bey allen Arten der Prädialſervitu-

ten gelten, und wir finden ſie namentlich anerkannt bey

in servitutibus … qui diu usus

est servitute .. habuisse longa

consuetudine.” — Die Überein-

ſtimmung dieſer Stellen hebt je-

den Zweifel, der etwa noch bey

den Ausdrücken einer einzelnen

übrig bleiben könnte. — Ein Be-

denken könnte man finden in

L. 10 § 1 de usurp. (41. 3)

„Hoc jure utimur, ut servitu-

tes per se nusquam longo tem-

pore capi possint.” Allein es

iſt dieſes hier nur die auch ſonſt

öfter wiederkehrende und über-

flüſſige Interpolation: longo tem-

pore capi für: usucapi, über-

all wo von Immobilien die Re-

de iſt.

(e) L. 1 C. de serv. (3. 34)

„vicem servitutis obtinere. —

L. 1 § 23 de aqua pluv. (39. 3)

„habuisse longa consuetudine

velut jure impositam servitu-

tem videatur.”

(f) L. 10 pr. si serv. (8. 5)

„sed utilem habet actionem.”

(g) L. 10 pr. si serv. (8. 5)

„non vi non clam non preca-

rio.” Eben ſo in L. 1 C. de serv.

(3. 34) „nec vi nec clam

nec precario,” L. 1 § 23 de

aqua pluv. (39. 3) „neque

vi neque precario neque

clam.” — Dieſelbe Bedeutung

hat L. 2 C. si serv. (3. 34) „Si

aquam per possessionem Mar-

tialis eo sciente duxisti” etc.,

das heißt: Wenn du die Waſſer-

leitung, (ſo wie du anführſt) mit

Wiſſen des Martialis benutzt

haſt.“ Das eo sciente war aus

den von dem Anfragenden vor-

getragenen Thatſachen entnom-

men, und wurde hier als Bedin-

gung wiederholt, weil, wenn es

wahr war, daraus von ſelbſt die

(eigentlich nothwendige) Abwe-

ſenheit des vi, clam, precario

hervorgieng. Mit Unrecht ha-

ben daraus Manche die scientia

ſchlechthin zu einer Bedingung der

Servitutenerſitzung machen wollen.

|0509 : 495|

§. 197. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Römiſches Recht. (Fortſ.)

altius tollendi (h), bey Waſſerleitungen (i), und bey We-

gen (k); auf die an ſich ſehr vergänglichen perſönlichen

Servituten iſt ihre Anwendung weniger häufig und wich-

tig, wir haben aber keinen Grund zu bezweifeln, daß das

Princip auch bey dieſen ſtets anerkannt war (l).

Hier nun iſt der Sitz der ganzen Schwierigkeit, die bis

auf unſere Zeit eine ſo große praktiſche Wichtigkeit behauptet

hat. Nach den im Anfang dieſes § mitgetheilten Stellen

ſcheint der Erwerb einer Waſſerleitung an die unvordenkliche

Zeit geknüpft; nach den oben erwähnten Stellen werden

Servituten (darunter auch ſelbſt die der Waſſerleitung),

ſchon in 10 oder 20 Jahren, alſo in ungleich kürzerer Zeit,

erworben. Die Löſung dieſes ſcheinbaren Widerſpruchs (m),

die ſchon ſeit Jahrhunderten unſre Juriſten beſchäftigt hat,

 

(h) L. 2 C. de serv. (3. 34).

Der Kläger verlangt hier, daß

nicht gebaut werde, und der Be-

klagte (is qui pulsatur) erſcheint

als der, welcher wohl die Ser-

vitut durch Zeit erworben haben

könnte; alſo iſt von der servitus

altius tollendi die Rede, nicht

von altius non tollendi.

(i) L. 10 pr. si serv. (8. 5),

L. 2 C. de serv. (3. 34).

(k) L. 5 § 3 de itin. (43. 19).

(l) Die Sache wird hier nur

beyläufig erwähnt, und nur in

einer Verordnung von Juſtinian,

welches ſich aus dem im Text

erwähnten Umſtand erklärt. L. 12

in f. C. de praescr. longi temp.

(7. 33) „Eodem observando, et

si res non soli sint, sed incor-

porales, quae in jure consis-

tunt, veluti ususfructus, et ce-

terae servitutes.”

(m) Man könnte ſagen, es ſey

kein Widerſpruch vorhanden, denn

wer unvordenkliche Zeit als Grund

des Erwerbs bezeichne, läugne

damit noch nicht die Zulänglich-

keit von 10 Jahren (Braun zu

Thibaut S. 895). Allein wer

ſchon dieſe für zulänglich hält,

würde ſich auf unverantwortliche

Weiſe ſchlecht ausdrücken, wenn

er den Erwerb als Folge des un-

vordenklichen Beſitzes bezeichnen

wollte; hier alſo, wenn irgend-

wo, iſt gewiß das Argument a

contrario an ſeiner Stelle.

|0510 : 496|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ſoll nunmehr verſucht werden; zuvor aber iſt in kurzer

Überſicht zu zeigen, daß die bisher angeſtellten Verſuche

größtentheils ungenügend geblieben ſind.

Ich will zuerſt ſolche Verſuche erwähnen, wodurch die

unvordenkliche Zeit bey den Servituten als praktiſches

Moment ganz ausſcheiden würde. So ſagt Cujacius (n),

durch longum tempus werde nur erſt eine utilis actio er-

worben, durch unvordenkliche Zeit auch eine directa; wel-

cher Unterſchied praktiſch ganz unerheblich ſeyn würde.

Er iſt aber auch in der Theorie nicht haltbar; allerdings

kommt anderwärts ein Unterſchied vor zwiſchen servitus

ure (civili) constitua, und per tuitionem praetoris (o):

aber gerade Bezeichnungen dieſer letzten Art werden bey

der unvordenklichen Zeit gebraucht (p), auch iſt es kaum

denkbar, daß etwas ſo Unbeſtimmtes, wie die vetustas, ein

ſtrenges Recht nach jus civile, etwa der Uſucapion gleich,

gegeben haben ſollte. — Unterholzner erklärt den aquae

ductus der beiden oben mitgetheilten Stellen von Abzugs-

gräben, bezieht alſo die Stellen ſelbſt nicht auf die Ser-

vitut der Waſſerleitung, ſondern auf die actio aquae plu-

viae, wobey ohnehin die Einwirkung der vetustas ganz

unzweifelhaft iſt (q). Allein in den ſehr vielen Stellen,

worin aquae ductus und aquam ducere vorkommt, wird

 

(n) Cujacius observ. XVIII.

28. Ihm folgt Schelling S. 16.

(o) L. 1 pr. quib. mod. usus-

fr. (7. 4), L. 1 § 2 de S. P.

R. (8. 3), L. 2 comm. praed.

(8. 4), L. 11 § 1 de public. (6.

2), und ähnlich in mehreren an-

deren Stellen.

(p) Nämlich in den beiden, am

Anfang dieſes §, im Text abge-

druckten Stellen.

(q) Unterholzner § 142.

|0511 : 497|

§. 197. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Römiſches Recht. (Fortſ.)

darunter ſtets die Zuleitung des Waſſers, zum Zweck

eigener Benutzung, verſtanden, die Ableitung könnte nur

etwa durch abducere bezeichnet werden (ſo wie die servi-

tus stillicidii avertendi), und für die Abzugsgräben kom-

men in der That völlig verſchiedene Ausdrücke in unſren

Rechtsquellen vor (r).

Folgende Meynungen dagegen kommen darin überein,

daß ſie, nach Verſchiedenheit der Fälle, bald 10 oder

20 Jahre, bald aber die unvordenkliche Zeit, bey dem Er-

werb der Servituten annehmen, wodurch alſo die unvor-

denkliche Zeit zu einem wichtigen praktiſchen Moment für

die Servituten werden würde.

 

a) 10 oder 20 Jahre ſollen nach Einer Meynung hin-

reichen, wenn der Beſitz nec vi, nec clam, nec precario an-

gefangen hat; außerdem ſoll unvordenkliche Zeit nöthigſeyn (s).

Dieſe Meynung iſt völlig verwerflich, weil der unvordenk-

liche Beſitz ein Beſitz von unbekanntem Anfang iſt, hier

aber vorausgeſetzt wird, daß er mit Gewalt, oder heim-

lich, oder bittweiſe angefangen habe, welche Vorausſetzung

nur bey einem bekannten Anfang denkbar iſt.

 

b) Nach Anderen ſollen 10 oder 20 Jahre hinreichen,

wenn ein poſitiver Rechtstitel, z. B. Kauf, dem Anfang

des Beſitzes zum Grunde liegt, außerdem ſoll unvordenk-

liche Zeit nöthig ſeyn (t). Auch dieſe Meynung muß ver-

 

(r) L. 2 § 1 de aqua pluv.

(39. 3) „fossa vetus .. agrorum

siccandorum causa,” eben ſo L. 2

§ 2. 4. 7 L. 1 § 23 eod.

(s) Donellus XI. 11 § 17.

(t) van de Water observ. II.

18. Thibaut Beſitz und Ver-

jährung S. 111. 181. Späterhin

IV. 32

|0512 : 498|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

worfen werden, weil die oben angeführten Stellen, bey

dem Erwerb durch longi temporis possessio, nicht nur

von einem Rechtstitel ſchweigen, ſondern für den Anfang

des Beſitzes eine ganz andere Eigenſchaft fordern (das nec

vi u. ſ. w.), welche offenbar Surrogat des Titels ſeyn

ſoll, da es widerſinnig ſeyn würde, beide Bedingungen

zugleich, neben einander, aufzuſtellen.

c) Scheinbarer iſt folgende Meynung, die ſich mehr

als alle andere in Gerichten geltend gemacht hat. 10 oder

20 Jahre ſollen hinreichen bey einer continua servitus

(z. B. tigni immittendi), unvordenkliche Zeit ſoll nöthig ſeyn

bey einer discontinua (z. B. via) (u). — Die höchſt wich-

tigen Folgen dieſer Meynung leuchten ſogleich ein, wenn

man erwägt, daß gerade die bedeutendſten Prädialſervitu-

ten, wie Weiderecht und Holzungsrecht, discontinuae ſind,

ſo daß die Anwendung der unvordenklichen Zeit weit häu-

figer und wichtiger ſeyn würde, als die der 10 und 20 Jahre.

Prüft man nun dieſe Meynung nach den Quellenzeugniſſen,

 

hat Thibaut dieſe Meynung auf-

gegeben. Pandekten § 1017 der

8ten Ausg. Vgl. auch Braun

Zuſätze zu Thibaut S. 896 zu

§ 1054.

(u) Glossa quaesisti in L. 2

C. de serv. (3. 34), und forte

tot in L. 10 si serv. (8. 5), wo

die continua servitus unter dem

Namen der perpetua causa vor-

kommt. Neben dieſer Meynung

aber wird in beiden Gloſſen noch

eine andere vorgetragen, von wel-

cher noch unten die Rede ſeyn

ſoll. — Neuere Schriftſteller für

dieſe Meynung werden in großer

Zahl angeführt von Glück B. 9

S. 148. — Freylich kommt es nun

noch auf den Begriff der serv.

discontinua an, der natürlich ſehr

verſchieden angegeben wird, da

die Sache dem Römiſchen Recht

ganz fremd iſt. Pfeiffer S. 115

ſchließt jenen Begriff in ſehr enge

Gränzen ein.

|0513 : 499|

§ 197. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Römiſches Recht. (Fortſ.)

ſo zeigt ſie ſich bald als unhaltbar. Die zwey oben mitge-

theilten Stellen über die unvordenkliche Zeit reden vom

aquaeductus, eben ſo aber auch zwey der Stellen, welche

die longa possessio für genügend erklären (Note i). Nun

iſt allerdings die Waſſerleitung darin eigenthümlich, daß

ſie bald continua iſt (wie bey einer Brunnenröhre), bald

discontinua (wie bey der Wieſenwäſſerung); man müßte

alſo die angeführten vier Stellen ſo erklären, daß man in

zwey derſelben den Fall einer continua, in zwey andere

den einer discontinua ſtillſchweigend hinein interpretirte.

Allein ein ſo gewaltſames Verfahren muß als ſehr be-

denklich verworfen werden, da es weder durch eine An-

deutung in den Stellen ſelbſt, noch durch irgend eine an-

derwärts begründete Analogie unterſtützt wird (v). Völlig

entſcheidend aber gegen die angeführte Meynung iſt der

Umſtand, daß in einer andern Stelle die longa possessio

für den Erwerb der Wegeſervitut als hinreichend erklärt

wird (Note k), welche Servitut doch ſtets discontinua iſt,

alſo nach jener Meynung nur durch unvordenkliche Zeit

erworben werden müßte.

Folgende Betrachtung ſoll die Auslegung unſrer Stel-

len vorbereiten, die ich für befriedigend halte. Servituten

entſtehen regelmäßig durch Vertrag mit dem Eigenthümer

 

(v) Die Stellen, die den 10

oder 20 jährigen Beſitz für hin-

reichend zum Erwerb eines aquae-

ductus erklären (Note i), ſpre-

chen ganz allgemein, ohne dieſen

Ausſpruch auf den continuus

aquaeductus zu beſchränken, wel-

ches unmöglich verſchwiegen wer-

den konnte, wenn es wirklich Be-

dingung jenes Erwerbs geweſen

wäre.

32*

|0514 : 500|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

(in jure cessio), deſſen Surrogat war (ſo wie bey dem

Eigenthum) die Uſucapion, an deren Stelle ſpäter der Be-

ſitz von 10 oder 20 Jahren getreten iſt. Nun findet ſich

aber eine Art von Waſſerleitungen, die in ihrer äußeren

Erſcheinung und in dem Nutzen den ſie uns gewährt, ganz

gleich ſteht mit der Servitut dieſes Namens, in ihrem ju-

riſtiſchen Character aber weſentlich verſchieden davon iſt.

Aus einer öffentlichen Waſſerleitung nämlich kann ein Ein-

zelner für ſich Waſſer gewinnen wollen; eine Servitut iſt

unmöglich, weil ihm kein Eigenthümer gegenüber ſteht.

Allein der Kaiſer konnte einen ſolchen Privatgenuß als

Gnade gewähren, und wenn dieſes geſchehen war, behan-

delte es der Prätor als Privatrecht, indem er den Inhaber

gegen jede Störung durch ein Interdict ſchützte (w). Ge-

ſetzt nun, das kaiſerliche Reſcript war verloren, die Con-

ceſſion konnte alſo nicht mehr bewieſen werden, ſo gab

ſelbſt der zehenjährige Beſitz keine Hülfe, weil dieſer nur

das Surrogat der regelmäßigen Errichtung einer wahren

Servitut ſeyn ſollte, das hier ausgeübte Recht aber keine

Servitut iſt, ja überhaupt keine privatrechtliche Entſtehung

haben kann. Was hier helfen kann, iſt allein der unvor-

denkliche Beſitz, der ja auch in ähnlichen Fällen, bey den

(w) L. 1 § 38 — 45 de aqua

quot. (43. 20). Nur der Kaiſer

konnte das Recht geben (§ 42).

Das Interdict war nicht poſſeſ-

ſoriſch, ſondern entſchied über das

Recht ſelbſt (§ 45). Von dieſen

Conceſſionen, ihrer Form, zum

Theil auch von ihrer Aufhebung

ſprechen L. 2. 3. 5. 6. 7. 9. 11

C. de aquaeductu (11. 42), un-

ter welchen die L. 6 cit. den Aus-

druck servitus, offenbar nur im

uneigentlichen Sinn, gebraucht.

|0515 : 501|

§. 197. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Römiſches Recht. (Fortſ.)

öffentlichen Wegen, und den Anſtalten gegen Regenwaſſer,

als Surrogat der regelmäßigen, publiciſtiſchen Entſtehung

eines Rechtsverhältniſſes von uns anerkannt worden iſt

(§ 196). Nun verſchwindet aller Widerſpruch der im Ein-

gang dieſes §. mitgetheilten Stellen mit den Stellen, welche

den zehenjährigen Beſitz als Erwerbsgrund der Servituten

anerkennen, indem jene Stellen gar nicht von einer Ser-

vitut reden, ſondern von der Privatbenutzung einer öffent-

lichen Waſſerleitung. — Ich will nicht verſchweigen, was

man gegen dieſe Auslegung einwenden kann. Oben wurde

getadelt, daß die Vorausſetzung einer continua oder dis-

continua servitus in Stellen hinein getragen wurde, die

davon Nichts erwähnen; hier aber, ſo ſcheint es, tragen

wir eben ſo die Vorausſetzung der publica aqua hinein.

Allein dieſes Verfahren wird hier durch folgende beſon-

dere Gründe gerechtfertigt. Wir tragen in die Stellen,

die den 10 und 20 jährigen Beſitz geſtatten (Note i) gar

Nichts hinein, ſondern laſſen ihnen ihren vollen wörtlichen

Umfang, anſtatt daß ihnen nach der gewöhnlichen Erklä-

rung die Vorausſetzung einer continua servitus aufgedrun-

gen wird. In die Stellen, welche die unvordenkliche Zeit

erwähnen, tragen wir allerdings das Merkmal der publica

aqua hinein, allein dieſe Annahme wird vor Allem unter-

ſtützt durch die augenſcheinliche Analogie der öffentlichen

Wege, und der Anſtalten gegen das Regenwaſſer (§ 196);

ferner dadurch, daß die eine dieſer Stellen unmittelbar

vorher ſelbſt von einer publica aqua redet, und daß ſie

|0516 : 502|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

faſt unmittelbar hinter der größeren Stelle ſteht, worin

die Conceſſion aus öffentlichen Waſſerleitungen ausführlich

abgehandelt wird (x); endlich durch einige Parallelſtellen

des Codex, welche unverkennbar denſelben Rechtsſatz, und

zwar gerade für die Benutzung öffentlicher Waſſerleitun-

gen, enthalten (y). — Das Gewicht dieſer Gründe wird

noch durch folgende Betrachtung verſtärkt. Das Wichtige

in den angeführten beiden Stellen iſt nicht ihr unmittelba-

rer Inhalt, ſondern der darin verſteckte Gegenſatz (§ 197. m),

und dieſer eigentlich iſt es, welcher von mir durch die

Vorausſetzung eines publicus aquaeductus beſchränkt wird.

Eine ſolche beſchränkende Vorausſetzung aber iſt minder

(x) L. 1 § 38 — 45 de aqua

quot. (43. 20) handelt von der

aqua ex castello (Note w); da-

rauf folgt die ganz kurze L. 2,

und dann die L. 3 eod., in wel-

cher § 1. 2 von dem aquaeduc-

tus ex flumine publico handeln.

Wenn ich nun den gleich darauf

folgenden § 4 gleichfalls von einer

publica aqua erkläre, ſo dient

die eben erwähnte Nachbarſchaft

ſehr zur Unterſtützung dieſer Er-

klärung.

(y) L. 4 C. de aquaeductu

(11. 42.) „Usum aquae vete-

rem .. singulis civibus manere

censemus, nec ulla novatione

turbari” etc. Daß hier von einer

öffentlichen Waſſerleitung die Rede

iſt, folgt theils aus dem Inhalt

des ganzen Titels, theils aus dem

Ausdruck ſelbſt, der auf eine kai-

ſerliche Erlaubniß für die Unter-

thanen geht, theils aus der nach-

folgenden Strafdrohung gegen

heimliche Erweiterung des alten

Beſitzes. — L. 7 C. de serv. (3.

34.) „Si manifeste doceri pos-

sit, jus aquae ex vetere more

atque observatione .. utilitatem

certis fundis irrigandi causa

exhibere: procurator noster,

ne quid contra veterem for-

mam .. innovetur, providebit.”

Da die Stelle im Titel de ser-

vitutibus ſteht, könnte man glau-

ben, es ſey von einer eigentlichen

Servitut die Rede; daß aber ein

Anſpruch einzelner Privatperſo-

nen an eine öffentliche Waſſerlei-

tung gemeynt iſt, zeigt theils der

procurator noster, der bey einer

gewöhnlichen confessoria actio

Nichts zu thun hätte, theils der

Ausdruck certis fundis. Es iſt

daher eine lex fugitiva.

|0517 : 503|

§. 197. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Römiſches Recht (Fortſ.)

bedenklich bey einer Regel, die nicht unmittelbar ausgeſpro-

chen, ſondern nur durch das argumentum a contrario er-

kennbar iſt.

Dieſe Erklärung der Stellen iſt, dem Grundgedanken

nach, nicht neu. Sie findet ſich, neben einer anderen,

oben verworfenen Erklärung, ſchon in der Gloſſe (z), dann

auch, in verſchiedenen Zeiten, bey ſpäteren Schriftſtel-

lern (aa). Dieſe Alle aber haben ſie theils nur vorüber-

gehend vorgetragen, theils nicht in den nöthigen Zuſam-

menhang mit verwandten Rechtsſätzen gebracht, und ſo iſt

ſie bis jetzt nicht zu der ihr gebührenden Anerkennung ge-

kommen.

 

Fragen wir nach den Reſultaten der hier angeſtellten

Unterſuchung über das Römiſche Recht, ſo iſt allerdings

der unmittelbare poſitive Gewinn nicht groß. Denn von

den drey Rechtsſätzen, worin die Anwendung der unvor-

denklichen Zeit nachgewieſen worden iſt, möchte in unſrem

Recht, bey ganz veränderten öffentlichen Einrichtungen,

kaum noch Gebrauch gemacht werden können. Öffentliche

 

(z) Glossa Quaesisti L. 2 C.

de serv. (3. 34.) „ibi de aqua

ex flumine publico dicit vel

fiscali, hic privato.” Eben ſo

in Glossa forte tot L. 10 si

serv. (8. 5). Vgl. oben Note u.

(aa) Connanus comment. IV.

12. Num. 17. 18. Pufendorf

observ. I. 32 § 16. Nfller p. 69.

85. 92. Ahlefeldt p. 77 — 79.

Beſondere Anerkennung verdient

der Ernſt, womit Neller in ſei-

nen zu verſchiedenen Zeiten ge-

ſchriebenen Abhandlungen den

Gegenſtand behandelt hat. Nach-

dem er früher auf zwey anderen

Wegen die Löſung des Wider-

ſpruchs verſucht hatte, iſt er end-

lich zu dieſer Meynung gekom-

men.

|0518 : 504|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Waſſerleitungen, die bey den Römern in ſo coloſſalem

Umfang vorkamen, finden ſich jetzt nicht leicht in ſolcher

Geſtalt, daß daraus eine Privatbenutzung verliehen wer-

den könnte. Wichtiger iſt der allgemeine Geſichtspunkt des

Rechtsinſtituts, der aus dieſen einzelnen Regeln hervor-

geht, und wovon noch bey der neueren Geſetzgebung Ge-

brauch gemacht werden wird. Aber das wichtigſte Reſultat

für das praktiſche Recht iſt das negative, indem durch den

hier geführten Beweis die Servitutenlehre von jeder An-

wendung der unvordenklichen Zeit gänzlich befreyt wird.

Ja nicht einmal auf die Servituten bleibt dieſer Gewinn

beſchränkt, vielmehr kommt er auch den Germaniſchen

Reallaſten zu gut, deren Verjährung großentheils nach den

Römiſchen Regeln über die Servituten zu beurtheilen iſt.

Man könnte vielleicht glauben, die Anwendung der un-

vordenklichen Zeit auf die discontinuae servitutes, wenn

ſie auch nach Römiſchem Recht verworfen werden müſſe,

ſey doch durch allgemeines Gewohnheitsrecht in Deutſch-

land herrſchend geworden. Allerdings iſt ſie in manchen

Gerichten, wie in dem höchſten Gericht für Kurheſſen, ſtets

angewendet worden (bb), in anderen aber, wie in dem

höchſten Gericht für Hannover, wurde ſie eben ſo entſchie-

den verworfen (cc), und damit iſt jene Allgemeinheit voll-

ſtändig widerlegt. Aber ſelbſt das kann nicht zugegeben

werden, daß dieſe unrichtige Lehre wenigſtens in den Län-

 

(bb) Pfeiffer S. 116.

(cc) Pufendorf observ. I. 32 § 20.

|0519 : 505|

§. 198. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Neueres Recht.

dern, deren höchſte Gerichte ſie befolgt haben, die Na-

tur eines particulären Gewohnheitsrechts angenommen

habe (dd). Denn die Gerichte haben jene Lehre keineswe-

ges als ein Stück des beſonderen Landesrechts zur An-

wendung gebracht, ſondern lediglich als ein Stück des

Römiſchen Rechts, indem ſie ſich auf Stellen der Digeſten,

und auf die Autorität gemeinrechtlicher Schriftſteller ge-

gründet haben. Auch iſt hier keinesweges ein Fall vor-

handen, worin für ein wahrhaft empfundenes praktiſches

Bedürfniß blos zum Schein eine Rechtfertigung aus dem

Römiſchen Recht geſucht worden wäre, da gerade für das

praktiſche Bedürfniß durch jede beſtimmte Verjährungszeit

weit beſſer geſorgt wird, als durch die unvordenkliche Zeit.

Es iſt alſo hier vielmehr ein ſolcher Fall vorhanden,

worin ſelbſt jene Gerichte, wenn ſie ſich von dem bisher

gehegten theoretiſchen Irrthum überzeugen, denſelben auf-

zugeben, und den entgegen geſetzten Grundſatz für die Zu-

kunft anzuwenden haben (§ 20).

§. 198.

VI. Die Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Neueres Recht.

Im canoniſchen Recht finden ſich folgende zwey merk-

würdige Anwendungen der unvordenklichen Zeit.

 

Ein päbſtlicher Legat hatte dem Grafen von Toulouſe

die Ausübung gewiſſer nutzbarer Regalien (pedagia, gui-

 

(dd) So wird es aufgefaßt von Pfeiffer S. 114.

|0520 : 506|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

dagia, salinaria) unterſagt. Auf Anfrage des Grafen er-

klärt P. Innocenz III. das Verbot dahin, daß es ſich nur

auf willkührliche, nicht auf rechtmäßige Abgaben dieſer

Art beziehe. Rechtmäßig aber ſeyen diejenigen, deren Er-

hebung ſich auf Verleihungen der Kaiſer, Könige, oder der

Lateraniſchen Kirchenverſammlung gründen; außerdem aber

auch

vel ex antiqua consuetudine, a tempore cujus non ex-

stat memoria, introducta(a).

Dieſer Ausſpruch iſt ganz dem Sinn des Römiſchen

Rechts gemäß. Solche publiciſtiſche Rechte ſind an ſich

nicht Gegenſtände der Uſucapion, aber der unvordenkliche

Beſitz kann hier die Stelle der Uſucapion erſetzen.

 

Die zweyte Stelle (b) ſpricht von einem Biſchoff, welcher

in den Gränzen eines fremden biſchöfflichen Sprengels

Kirchen und Zehenten in Anſpruch nahm, und geht dabey

von folgender Anſicht aus. Gegen eine Privatperſon werde

uſucapirt, mit Titel in 3, 10, 20 Jahren, ohne Titel in

30 Jahren. Da aber Kirchen im allgemeinen auf 40 Jahre

für jede Verjährung privilegirt ſind, ſo ſey bey der ge-

wöhnlichen Uſucapion gegen Kirchen lediglich bona fides

erforderlich, das Daſeyn des Titels aber gleichgültig, weil

mit und ohne Titel dieſe Uſucapion ſtets in 40 Jahren

 

(a) C. 26 X. de V. S. (5. 40)

vom J. 1209.

(b) C. 1 de praescriptionibus

in VI. (2. 13) vom J. 1298. —

Man hat auch noch eine dritte

Stelle angeführt, C. 1 de con-

suet. in VI. (1. 4.) (Schelling

S. 54.). Dieſe ſpricht aber gar

nicht von der unvordenklichen Zeit,

ſondern von Gewohnheitsrecht.

|0521 : 507|

§. 198. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Neueres Recht.

vollendet wird. Im vorliegenden Fall aber ſtehe es des-

wegen anders, weil das behauptete Recht eine Ausnahme

von der Kirchenverfaſſung (jus commune), nämlich von

der in dieſer gegründeten Diöceſanbegränzung, enthalten

würde. In allen Fällen aber, worin ein durch Verjäh-

rung gegen eine Kirche zu begründendes Recht das jus

commune oder eine Präſumtion gegen ſich habe, ſey noch

neben den 40 Jahren ein Titel erforderlich, und der Man-

gel deſſelben könne nur durch unvordenkliche Zeit erſetzt

werden.

Ubi tamen est ei jus commune contrarium, vel habe-

tur praesumtio contra ipsum (c) , bona fides non suffi-

cit; sed est necessarius titulus, qui possessori caus-

 

 

(c) Wörtlich heißt das ſo viel,

daß in zwey verſchiedenen Fällen

der Titel erfordert werde: 1) ge-

gen jus commune, 2) gegen

eine Präſumtion. Natürlicher aber

iſt es wohl, das vel nicht dis-

junctiv, ſondern erklärend zu ver-

ſtehen, ſo daß die Erwähnung

der Präſumtion nur das jus com-

mune in anderen Worten wieder-

holt, und zugleich den Grund aus-

drückt, weshalb die Abweichung

vom jus commune hierin einen

Unterſchied macht. Für dieſe Er-

klärung ſpricht die unmittelbar

vorhergehende umgekehrte Con-

ſtruction: Nam licet ei .. si

sibi non est contrarium jus

commune, vel contra eum prae-

sumtio non habeatur, sufficiat

bona fides; denn wenn man die-

ſes ſtreng wörtlich nimmt, ſo iſt

der Beſitzer in jedem einzelnen

der zwey bezeichneten Fälle frey

vom Beweiſe des Titels; dann

aber würde der Satz dem oben

im Text abgedruckten widerſpre-

chen. Dieſer Widerſpruch wird be-

ſeitigt, wenn man vel für sive oder

id est nimmt. — Wie man aber

auch hierin erklären wolle, ſo iſt

es in jedem Fall verwerflich, aus

dieſer Stelle die Nothwendigkeit

des unvordenklichen Beſitzes für

alle Servituten abzuleiten, weil

dieſe die Präſumtion gegen ſich

hätten (Schelling S. 18). Der

Ausdruck einer Präſumtion (pro

libertate) paßt auf dieſes Ver-

hältniß gar nicht, und das cano-

niſche Recht hat daran gewiß nicht

gedacht.

|0522 : 508|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

sam tribuat praescribendi: nisi tanti temporis allege-

tur praescriptio (d) , cujus contrarii memoria non ex-

sistat.

Dieſe letzte Stelle hat darin den Geſichtspunkt des

Römiſchen Rechts feſtgehalten, daß ſie die unvordenkliche

Zeit lediglich erfordert, wo ein publiciſtiſches Hinderniß

des behaupteten Rechts aus dem Wege zu räumen iſt;

darin aber weicht ſie ab, daß ſie den unvordenklichen Beſitz

bey einem und demſelben Gegenſtand mit der Uſucapion

zuläßt, deren fehlende Bedingungen durch ihn erſetzt wer-

den ſollen. Wäre die Anſicht des Römiſchen Rechts völlig

feſtgehalten worden, ſo hätte in allen Fällen der Zehenten

in fremden Diöceſen der unvordenkliche Beſitz gefordert

werden müſſen, ohne Unterſchied des vorhandenen oder

nicht vorhandenen Titels. Die Abweichung liegt alſo nicht

ſowohl in der Zulaſſung der unvordenklichen Zeit, als viel-

mehr in dem zugelaſſenen 40jährigen Beſitz unter Voraus-

ſetzung eines Titels. Man kann daher auch nicht ſagen

(worauf hier das Meiſte ankommt), daß das canoniſche

Recht für die unvordenkliche Zeit überhaupt einen ganz

 

(d) Unterholzner § 143

läßt abdrucken probatio anſtatt

praescriptio, wahrſcheinlich in

Folge eines bloßen Schreibfeh-

lers. Schelling S. 3. 52 nennt

die Leſeart praescriptio neueres

Machwerk, probatio die ältere

und richtige Leſeart. Ich wünſchte,

er hätte ſeine Quellen angegeben,

nach meiner Unterſuchung kommt

nur praescriptio vor. So in

zwey Handſchriften (Berliner

Bibliothek und meine Samm-

lung), ferner in der Gloſſe me-

moria des Johannes Andreä, end-

lich in den Ausgaben von 1473.

1477. 1479. 1482. Auch der in-

nere Zuſammenhang der Stelle

deutet auf praescriptio.

|0523 : 509|

§. 198. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Neueres Recht.

neuen, vom Römiſchen Recht abweichenden, Geſichtspunkt

aufgeſtellt habe.

In den Reichsgeſetzen wird die unvordenkliche Zeit

mehrmals erwähnt, und zwar ſtets als ein Erwerbungs-

grund publiciſtiſcher Rechte. So kommt ſie vor in der

goldnen Bulle, neben den von früheren Kaiſern und Kö-

nigen ertheilten Privilegien, um die Immunität der Böh-

miſchen Unterthanen von allen nicht Böhmiſchen Gerichten

zu begründen (e).

 

Der Reichsabſchied von 1548 ſchützt die Reichsſtände

im Beſitz der Freyheit von Reichsſteuern, es möchte ihnen

denn bewieſen werden können, daß ſie ſeit Menſchen Ge-

denken wenigſtens einmal ſolche Steuern gezahlt hätten (f).

Dieſelbe Beſtimmung wird in einem ſpäteren Reichsgeſetz

wiederholt (g).

 

Faſſen wir dieſe Beſtimmungen neuerer Geſetzgebungen

mit denen des Römiſchen Rechts zuſammen, ſo ergiebt ſich

für die Anwendung der unvordenklichen Zeit folgender

Grundſatz:

 

(e) Aurea Bulla Cap. 8 § 1

„a tempore cujus contrarii ho-

die non existit memoria.” —

Deutſcher Text: „von der zit, da

wedir hut dis dagis kein ge-

denckin iſt.“

(f) R. A. 1548 § 56 „und da-

gegen wider ihn nicht darbracht

werden möcht, daß er je in Men-

ſchen Gedächtnüß … contribui-

ret, oder ein Anſchlag gereicht

und bezahlt habe.“ Eben ſo im

§ 59 und § 64: „innerhalb Men-

ſchen Gedencken.“

(g) Reichsabſchied von 1576

§ 105.

|0524 : 510|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Sie wird in allen, und nur in ſolchen, Fällen erfor-

dert, wo durch Zeit entweder ein Recht von publiciſti-

ſchem Character, oder die Befreyung Einzelner von ei-

nem Recht dieſer Art, erworben werden ſoll.

Es erklärt ſich aus dieſem Grundſatz, warum das er-

wähnte Inſtitut im Römiſchen Recht eine ſehr unterge-

ordnete Stellung einnimmt, vom Mittelalter her aber zu

einer wichtigen und häufigen Anwendung gelangt iſt. Denn

ſeit dieſer Zeit findet ſich oft eine Vermiſchung des Pri-

vatrechts mit dem öffentlichen, durch Übergang publiciſti-

ſcher Rechte in den Privatbeſitz; vorzüglich auch in Com-

munalverhältniſſen kommen ſolche Fälle häufig vor. — Im

Römiſchen Recht fanden ſich zwey Fälle, worin die un-

vordenkliche Zeit ohne allen Privatbeſitz wirkſam iſt (§ 196);

dagegen iſt ihre Wirkſamkeit in einem dritten Fall des

Römiſchen Rechts (§ 197), ſo wie in den weit wichtige-

ren Fällen des neueren Rechts (§ 198), allerdings an das

Daſeyn eines ſolchen Beſitzes geknüpft. Daher können wir

für die Anwendung des Inſtituts im heutigen Recht das

Daſeyn eines eigentlichen Beſitzes als erſte Bedingung an-

nehmen. Da jedoch die oben erwähnten Fälle des Römi-

ſchen Rechts, denen kein Beſitz zum Grund liegt, nicht

abzuläugnen ſind, ſo hat mich dieſes beſtimmt, den Aus-

druck des unvordenklichen Beſitzes, als allgemeiner Be-

zeichnung dieſes Inſtituts, zu verwerfen.

 

Mit dieſen Anſichten hat denn auch von jeher großen-

theils die Praxis übereingeſtimmt, obgleich darin Niemand

 

|0525 : 511|

§. 198. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Neueres Recht.

eine ſtreng durchgeführte Gleichheit erwarten wird (h). Die

größte Abweichung von der richtigen Auffaſſung beſtand

in der ſehr häufigen Anwendung der unvordenklichen Zeit

auf die Servituten (§ 197).

Was den inneren Werth dieſes Rechtsinſtituts betrifft,

ſo haben ſich von alter Zeit her praktiſche Schriftſteller

beſtimmt, und zum Theil in den ſtärkſten Ausdrücken, da-

gegen ausgeſprochen (i). Dagegen hat daſſelbe neuerlich

einen ſehr warmen Vertheidiger gefunden, der es überaus

hoch geſtellt hat (k). Vielleicht laſſen ſich dieſe ſtreitende

Meynungen auf folgende Weiſe vereinigen. Im öffentli-

chen Recht iſt die unvordenkliche Zeit durchaus nicht zu

entbehren (§ 195), und es iſt ganz gleichgültig, wie wir

Juriſten darüber urtheilen, ſie wird ſich unfehlbar Bahn

brechen, ſo oft eine Veranlaſſung dazu erſcheint. Auch

im Privatrecht würde ſie ſich geltend machen, wenn nicht

überall durch beſtimmte und kurze Verjährungen aller Art

für dieſelben Zwecke im poſitiven Recht auf weit heilſa-

mere Weiſe geſorgt wäre. Denn wer die unvordenkliche

Zeit aus Erfahrung kennt, ſey es durch eigene, perſön-

liche Rechtsverhältniſſe, oder durch richterliche Geſchäfte,

wird wohl darüber ſchwerlich im Zweifel ſeyn können,

daß ihr jede Verjährung von beſtimmter Zeit weit vorzu-

 

(h) Viele Fälle der Anwen-

dung, vom zwölften Jahrhundert

her, ſind zuſammen geſtellt bey

Kress p. 58—61.

(i) Ludewig opuscula mis-

cella T. 1 p. 508—511. Neller

p. 117. Beſonders aber die bey

Schelling S. 103 abgedruckte

heftige Stelle aus einer Diſſer-

tation von Senckenberg.

(k) Göſchel zerſtreute Blät-

ter Th. 1 S. 373—378.

|0526 : 512|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ziehen iſt; ja es wird aus der nachfolgenden praktiſchen

Darſtellung einleuchtend werden, daß ſie in der Anwen-

dung von einer großen Willkührlichkeit und Unſicherheit

nicht frey zu halten iſt. Wer ſie alſo für heilſam, oder

gar für unentbehrlich erklärt, kann Dieſes wohl nur thun

in Vergleichung mit einem Zuſtand, der ganz ohne Ver-

jährung wäre; ein ſolcher aber kommt in unſrem Privat-

recht nicht vor.

Dieſe Anſicht hat denn auch in dem Verfahren neuerer

Geſetzgeber ihre Beſtätigung gefunden. Das Franzöſiſche

Geſetzbuch hat die unvordenkliche Verjährung ganz abge-

ſchafft, indem es diejenigen Servituten, worin ſie durch

die frühere Praxis angewendet wurde, für ganz unver-

jährbar erklärt (l). Auch das Preußiſche Geſetz hat ſie

nicht in ſich aufgenommen. Daſſelbe hat aber in einigen

Fällen, worin ſie nach gemeinem Recht gelten würde, mit

augenſcheinlicher Rückſicht auf ſie, Verjährungen von be-

ſtimmter, nur ungewöhnlich langer Zeit vorgeſchrieben.

So ſoll der Beſitz der Steuerfreyheit nach 50 Jahren die

Vermuthung eines rechtmäßigen Erwerbs erzeugen (m).

Eben ſo der Beſitz des Adels, wenn derſelbe entweder im

Jahr 1740 beſtanden, oder durch einen Zeitraum von 44

Jahren fortgedauert hat (n).

 

(l) Code civil art. 691.

(m) A. L. R. I. 9 § 655—659.

(n) A. L. R. II. 9 § 18. 19.

|0527 : 513|

§. 199. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Anwendung.

§. 199.

VI. Die Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Anwendung.

Nachdem auf hiſtoriſchem Wege für dieſes Rechtsinſti-

tut eine Grundlage gefunden worden iſt, ſoll nunmehr deſ-

ſen praktiſche Natur im Einzelnen dargeſtellt werden. Dazu

iſt es nöthig, zwey Stücke genau zu beſtimmen: Erſtlich

die Fälle der Anwendung, zweytens die Art der An-

wendung.

 

Über die Fälle der Anwendung müſſen wir nach dem

aufgeſtellten Grundſatz (§ 198) behaupten, daß die unvor-

denkliche Zeit in rein privatrechtlichen Verhältniſſen nie-

mals zur Anwendung kommt. Alſo namentlich nicht bey

Servituten, wobey ſie durch die weit leichtere zehenjährige

Erſitzung überflüſſig wird. — Aber auch nicht bey dem

Pfandrecht und den Obligationen, worin ſie allerdings

nicht überflüſſig ſeyn würde, da in denſelben eine Erſitzung

überhaupt nicht vorkommt, aber auch nicht als Bedürfniß

anerkannt werden kann. Es iſt daher bey dieſen Rechts-

inſtituten die Zeit lediglich vermittelſt der Klagverjährung

wirkſam’ und die unvordenkliche Zeit greift nicht ergän-

zend ein. — Bey den zahlreichen und wichtigen Reallaſten

des Germaniſchen Rechts iſt folgender Unterſchied zu be-

obachten. Diejenigen, welche als bloße Modificationen des

Grundeigenthums zu betrachten ſind, werden, ſo wie die

Römiſchen Servituten, durch Erſitzung von 10 und 20

Jahren erworben, und bedürfen der unvordenklichen Zeit

 

IV. 33

|0528 : 514|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

nicht. Dagegen ſind die, welche auf einem Subjections-

verhältniß beruhen (welches ſtets dem öffentlichen Recht

angehört) nur durch unvordenklichen Beſitz zu erwerben (a).

Es beſchränkt ſich alſo die Anwendung der unvordenk-

lichen Zeit auf den Privatbeſitz ſolcher Rechte, die einen

publiciſtiſchen Character an ſich tragen. Hier aber iſt ſie

auch allgemein anzuwenden, vorausgeſetzt daß ſolche Rechte,

nach der beſonderen Verfaſſung gerade dieſes Staates,

durch einen Rechtstitel (Vertrag oder Privilegium) erwor-

ben werden können. Wo dieſes überhaupt möglich iſt, da

erſetzt der unvordenkliche Beſitz den im einzelnen Fall un-

erweislichen Titel; außerdem bleibt auch ein ſolcher Beſitz

ganz ohne Wirkung (b).

 

Schon oben wurde anerkannt, daß die unvordenkliche

Verjährung nur als Surrogat der (auf beſtimmte Zeit an-

gewieſenen) Erſitzung vorkommen könne, und es wurde da-

bey in Frage geſtellt, ob ſie ein Surrogat für fehlende

Bedingungen der Erſitzung, oder aber für die zur Erſitzung

ungeeignete Natur des Gegenſtandes ſeyn ſolle (§ 195).

Dieſe Frage können wir jetzt dahin beantworten, daß es

nicht der Mangel der Bedingungen, ſondern die Natur des

Gegenſtandes iſt, was die Anwendung der unvordenklichen

Zeit herbeyführt. Man kann daher als Regel annehmen,

daß es durch die Natur der Gegenſtände beſtimmt werde,

ob nur die gewöhnliche Erſitzung allein, oder nur die un-

 

(a) Eichhorn deutſches Pri-

patrecht § 163. 164.

(b) Neller p. 70. Pfeiffer

§ 21. 22. 23.

|0529 : 515|

§. 199. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Anwendung.

vordenkliche Zeit allein, zur Anwendung komme, ſo daß

nicht bey einem und demſelben Gegenſtand beide Inſtitute

(das eine als Surrogat des andern) angewendet werden.

Von dieſem letzten Satz giebt es eine einzige Ausnahme

im canoniſchen Recht, wenn gegen eine Kirche ein Recht

durch Zeitlauf erworben werden ſoll im Widerſpruch mit

den Regeln der Kirchenverfaſſung: in dieſem Fall ſoll,

wenn ein Titel vorhanden iſt, die gewöhnliche Erſitzung,

wenn ein ſolcher fehlt, die unvordenkliche Zeit als Surro-

gat in Anwendung kommen (§ 198).

Man hat insbeſondere die Frage aufgeworfen, ob eine

ſogenannte res merae facultatis durch unvordenkliche Zeit

erworben werden könne. Dieſe Frage muß nach den hier

aufgeſtellten Regeln ſchon deswegen verneint werden, weil

dabey rein privatrechtliche Verhältniſſe zum Grund liegen.

So iſt es, wenn ein gewöhnliches Pachtverhältniß durch

mehrere Geſchlechter ſtillſchweigend verlängert wird, und

nun der Pächter dem Eigenthümer das Recht der Kündi-

gung wegen unvordenklicher Verjährung beſtreitet. Eben

ſo, wenn über Menſchengedenken die Einwohner eines

Dorfes ihre Bedürfniſſe von einem benachbarten Handels-

haus, deſſen Firma unverändert geblieben iſt, ununterbro-

chen gekauft haben, und nun verhindert werden ſollen,

von einem andern Handelsmann zu kaufen. — Es kommt

aber in dieſen Fällen noch ein weit entſcheidenderer Grund

hinzu, welcher die Wirkung der unvordenklichen Zeit ſelbſt

dann ausſchließen würde, wenn dieſe auf Verhältniſſe des

 

33*

|0530 : 516|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

reinen Privatrechts anwendbar wäre. In allen Fällen

dieſer Art müßte Derjenige, welcher die unvordenkliche

Zeit geltend machen wollte, einen Beſitz während derſel-

ben behaupten (§ 198), das heißt einen Zuſtand, worin

der Genuß gewiſſer Vortheile nicht ein blos zufälliger und

willkührlicher Genuß war, ſondern als Ausübung eines

Rechts erſchien. Da nun dieſe Grundbedingung in allen

oben erwähnten Fällen durchaus fehlt, ſo kann von einer

Wirkung der unvordenklichen Zeit nicht die Rede ſeyn (c).

Eine ganz ähnliche Entſcheidung des Römiſchen Rechts

ſetzt dieſe Behauptung außer Zweifel. Das Interdict de

itinere hat Derjenige, welcher im letzten Jahr an 30 ver-

ſchiedenen Tagen den Weg gebraucht hat. Es wird aber

hinzugeſetzt, daß er nicht blos zufällig den Weg gebraucht

haben müſſe, ſondern ſo daß der Gebrauch als Ausübung

eines Rechts anzuſehen war, da der blos factiſche Ge-

brauch das Interdict nicht begründe (d). Derſelbe Unter-

ſchied iſt es, der in den oben angeführten Fällen die An-

wendung der unvordenklichen Zeit ausſchließt. — Liegt

nun alſo der Grund dieſer Ausſchließung in der Natur

der unvordenklichen Zeit ſelbſt, ſo iſt es irrig, wenn manche

Schriftſteller hierin eine ganz poſitive Ausnahme ſehen

wollen, ſo daß eigentlich auch die res merae facultatis

(c) Pufendorf I. 151 § 9. Thi-

baut S. 184. 185. Pfeiffer

§ 3. 4.

(d) L. 1 § 6 de itin. (43. 19.).

L. 7 eod. „Si .. commeavit ali-

quis, non tamen tamquam id

suo jure faceret, sed si pro-

hiberetur non facturus: inutile

est ei interdictum .. nam ut

hoc interdictum competat, jus

fundi possedisse oportet.”

|0531 : 517|

§. 199. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Anwendung.

der unvordenklichen Zeit, der ſie eine unbeſchränkte An-

wendung zuſchreiben, unterworfen ſeyn müßten.

Die Art der Anwendung wird beſtimmt durch eine

genauere Zergliederung des oben (§ 195) vorläufig ange-

gebenen Begriffs der unvordenklichen Zeit. Dieſelbe be-

ruht auf dem Bewußtſeyn von zwey Menſchenaltern; die

Jetztlebenden ſollen wiſſen, daß der gegenwärtige Zuſtand,

ſo lange ihre Erinnerung reicht, unverändert beſtanden

hat: es ſoll ihnen ferner von ihren unmittelbaren Vorfah-

ren nicht die Wahrnehmung eines entgegen geſetzten Zu-

ſtandes mitgetheilt worden ſeyn. Dadurch erhält die That-

ſache der unvordenklichen Zeit zwey Theile, einen poſitiven

und einen negativen. Auf beide Theile muß der Beweis

gerichtet werden, und für jeden Theil iſt die Entkräftung

durch Gegenbeweis zuläſſig (e). So hat ſich die Sache

in der neueren Praxis vollſtändig ausgebildet; allein die

Grundlage derſelben bilden folgende zwey Stellen des Rö-

miſchen Rechts, beide von der actio aquae pluviae handelnd.

 

L. 2 § 8 de aqua pluv. (39. 3.). (Paulus.)

Idem Labeo ait, cum quaeritur an memoria exstet

facto opere … sufficere .. si factum esse non am-

bigatur: nec utique necesse esse, superesse qui me-

minerint, verum etiam si qui audierint eos, qui me-

moria tenuerint.

Hier iſt Beweis und Gegenbeweis nicht genau unter-

 

(e) Pfeiffer § 5. 6. 9.

|0532 : 518|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ſchieden, worauf es auch weniger ankommt, wohl aber

ſind die entſcheidenden Thatſachen genau bezeichnet. Die

unvordenkliche Zeit iſt widerlegt, wenn ein Jetztlebender

entweder ſelbſt die Entſtehung der Anſtalt (durch Privat-

willkühr) wahrgenommen, oder wenn er dieſe Entſtehung

von dem, der ſie erlebte, ſelbſt vernommen hat. — Deut-

lich ausgedrückt ſind hier die zwey Generationen; wer

nicht eigene Erfahrung bezeugen kann, ſoll wenigſtens Den,

der eine ſolche hatte, ſelbſt geſprochen haben, ſo daß es

nicht genügt, wenn der Ältere unter dieſen Beiden blos

Das erzählte, was ihm wiederum ſeine Vorfahren mitge-

theilt hatten.

L. 28 de probat. (22. 3.) (f).

.... (g) sed cum omnium haec est opinio, nec au-

disse, nec vidisse, cum id opus fieret, neque ex eis

audisse, qui vidissent aut audissent (h): et hoc infi-

nite similiter sursum versum accidit: tum memoriam

operis facti non exstare

(i).

(f) Labeo lib. VII. Pithanon

a Paulo Epitomatorum. Dieſe

Überſchrift iſt deswegen nicht ganz

unwichtig, weil dadurch beide Stel-

len auf dieſelben Urheber (Pau-

lus aus Labeo) zurückgeführt wer-

den. Dadurch wird es beſonders

nöthig, beide Stellen als über-

einſtimmend, nicht als widerſpre-

chend, anzuſehen.

(g) Die größere erſte Hälfte

der Stelle iſt verworren, und

wohl theilweiſe corrupt. Vieles

Material darüber findet ſich bey

Glück B. 21 S. 405 — 422. Die

eigentliche Entſcheidung iſt in den

hier abgedruckten Worten ent-

halten.

(h) Das audisse geht hier, wie

in dem vorhergehenden Satz, nicht

auf eine, die Vergangenheit be-

treffende, Erzählung, ſondern auf

ein gleichzeitiges, ſelbſterlebtes Er-

eigniß, das der Zeuge nur nicht

mit eigenen Augen ſah, ſondern

aus ſicherer Erzählung vernahm.

(i) Die Florentina und Vul-

gata leſen, ohne guten Sinn:

|0533 : 519|

§. 200. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Anwendung. (Fortſ.)

Dieſe Stelle ſtimmt mit der vorhergehenden völlig

überein bis auf die Worte et hoc .. accidit, nach wel-

chen man annehmen könnte, die unvordenkliche Zeit könne

durch jede, wenngleich von den entfernteſten Vorfahren

herrührende, bis jetzt fortgepflanzte, Tradition widerlegt

werden. Davon wird noch bey dem Gegenbeweis die

Rede ſeyn (§ 201).

 

§. 200.

VI. Die Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Anwendung.

(Fortſetzung.)

Die aufgeſtellten Regeln über die Art der Anwendung

ſind nunmehr ſowohl bey dem Beweis, als bey dem Ge-

genbeweis durchzuführen, und dieſes wird am Anſchau-

lichſten nach der Ordnung der einzelnen Beweismittel ge-

ſchehen.

 

Als häufigſtes und angemeſſenſtes Beweismittel wer-

den Zeugen angewendet, deren Ausſage ſich ſowohl auf

ihre eigene Erinnerung, als auf die Vergangenheit be-

ziehen muß.

 

Aus eigener Erinnerung müſſen ſie bezeugen, daß der

 

cum memoria operis facti non

exstaret. Die hier aufgenom-

mene Leſeart, wodurch der Satz

zum entſcheidenden Nachſatz wird,

und erſt einen befriedigenden Zu-

ſammenhang in den letzten Theil

der Stelle bringt, gründet ſich auf

ed. Paris. Chevallon 1528 fol.,

in welcher Ausgabe Handſchrif-

ten benutzt ſind. Minder erheb-

lich ſind vorher die Varianten

accidet, accideret, acciderit.

Die hier vorgezogene Leſeart

ſcheint mir durch den Parallelis-

mus mit dem vorhergehenden

haec est opinio nothwendig.

|0534 : 520|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

gegenwärtige Zuſtand ſeit einem Menſchenalter ſtets vor-

handen geweſen iſt, und darin beſteht eben der poſitive

Gegenſtand des Beweiſes (§ 199). Über den Umfang der

Zeit, die hier als Menſchenalter gedacht wird, und welche

die Zeugen mit ihrer Ausſage umfaſſen müſſen, ſind die

Meynungen getheilt. Die richtige Meynung geht auf eine

Zeit von wenigſtens 40 Jahren (a). Dafür ſpricht erſt-

lich die Stelle des canoniſchen Rechts, welche neben ei-

nem Titel 40 Jahre, in Ermanglung deſſelben die unvor-

denkliche Zeit, fordert (b); weniger als 40 Jahre darf

dieſe alſo nicht betragen, das Mehr liegt in dem hinzutre-

tenden negativen Theil des Beweiſes. Zweytens ſprechen

dafür die Stellen des Römiſchen Rechts, worin vetustas

für 40 Jahre genommen wird (§ 196. p), indem da-

durch dieſe Stellen mit denen, worin vetustas die unvor-

denkliche Zeit bezeichnet, in Zuſammenhang gebracht wer-

den. Die Praxis der Sächſiſchen Gerichte erfordert eine

Sächſiſche Friſt, alſo 31 Jahre, 6 Monate und 3 Tage (c).

Dieſes iſt zu verwerfen, weil es weniger beträgt als die

im canoniſchen Recht ausgeſprochenen 40 Jahre. Nach

einer anderen Meynung ſoll die Zeit verſchieden ſeyn, und

nur für jeden einzelnen Fall mehr betragen, als in dem-

ſelben Fall die ordentliche Verjährung betragen würde,

alſo in gewöhnlichen Fällen mehr als 30 Jahre, gegen

(a) Neller p. 96 — 100.

(b) C. 1 de praescr. in Vl.

(ſ. o. § 198).

(c) Kind observ. forenses T.3

C. 62.

|0535 : 521|

§. 200. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Anwendung. (Fortſ.)

eine Kirche über 40, gegen den Pabſt mehr als 100

Jahre (d). Durch dieſe Meynung wird allerdings der

Einwurf aus der Stelle des canoniſchen Rechts (Note b)

beſeitigt, indem dieſe nun mehr als 40 Jahre nur deswe-

gen fordern würde, weil gerade von der Verjährung ge-

gen eine Kirche die Rede iſt, die eben in der Regel 40

Jahre beträgt. Dennoch iſt dieſe Meynung zu verwerfen:

erſtlich weil die unvordenkliche Zeit meiſt auf ſolche Rechts-

verhältniſſe geht, welche gar keine ordentliche Verjährung

haben (§ 199), ſo daß deren Zeit auch nicht zum Maaß-

ſtab dienen kann; zweytens weil die zur Bezeichnung der

unvordenklichen Zeit in den Rechtsquellen gebrauchte Aus-

drücke (vetustas und quod memoriam excedit) nicht auf

etwas Relatives, je nach der Verjährungszeit einzelner

Rechte Verſchiedenes, ſondern auf etwas Abſolutes, nur

durch menſchliche Erinnerung Begränztes, gehen; drittens

weil nun gegen die Römiſche Kirche mehr als 100 Jahre

nöthig ſeyn würden, da doch zwey Menſchenalter durch

die beſtimmte Zeit von 100 Jahren ſchon völlig abſorbirt

werden.

Mit dieſer Länge des Zeitraums hängt nun ferner das

nöthige Alter der zu einem ſolchen Beweis tauglichen Zeu-

gen zuſammen. Nach einer ſehr verbreiteten Meynung

werden 54 Jahre erfordert, indem vor der Pubertät kein

ſicheres Bewußtſeyn möglich ſeyn ſoll, ſo daß nach Ab-

rechnung der 14 bewußtloſen Lebensjahre noch 40 Jahre

 

(d) Unterholzner § 148. 150. Pfeiffer S. 22 — 24 S. 52.

|0536 : 522|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ſicherer Erinnerung übrig bleiben. Allein dieſe Voraus-

ſetzung iſt ganz willkührlich und grundlos, damit zerfällt

die Meynung ſelbſt, und ein Alter von 50 Jahren iſt für

jeden Zeugen ſchon ganz hinreichend (e). Sehr häufig ge-

ſchieht es, daß nicht alle Zeugen über den ganzen Zeit-

raum von 40 Jahren Etwas ausſagen können, ſondern

verſchiedene Theile des Zeitraums durch die Ausſagen ver-

ſchiedener Zeugen bewieſen werden; in ſolchen Fällen ſind

für die näher liegenden Theile des ganzen Zeitraums auch

jüngere Zeugen tauglich (f).

Wenn die Ausſage jedes Zeugen den ganzen Zeitraum

umfaßt, ſo iſt dafür, wie für jede andere Thatſache, die

gewöhnliche Zahl von Zwey Zeugen hinreichend. Irrig

haben Manche die Worte des Labeo: cum omnium haec

est opinio (§ 199) ſo verſtanden, als ſey von einem all-

gemeinen Gerücht, von einer öffentlichen Meynung, die

Rede, weshalb entweder viele Zeugen abgehört, oder die

Zwey Zeugen über das Daſeyn jenes Gerüchts befragt

werden müßten. In der That aber geht das omnium

nur auf die gerade vorgebrachte Zeugen, wie viele oder

wenige es ſeyn mögen, und die zu beweiſende Thatſache

iſt lediglich der fortdauernde Beſitzſtand, ohne Rückſicht

auf das Daſeyn einer öffentlichen Meynung (g).

 

Außerdem müſſen die Zeugen über das vorhergehende

Menſchenalter die blos negative Ausſage thun, daß ſie

 

(e) Pufendorf I. 151 § 4. 5.

6. Pfeiffer § 13.

(f) Pfeiffer § 9.

(g) Pfeiffer S. 47. 54.

|0537 : 523|

§. 200. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Anwendung. (Fortſ.)

von ihren Vorfahren nicht eine entgegengeſetzte Wahrneh-

mung derſelben gehört haben. Irrig haben Manche ge-

glaubt, dieſes gehöre blos zum möglichen Gegenbeweis (h);

wenn überhaupt Zeugen vorgebracht werden, ſo ſind dieſe

auch ſchon vom Beweisführer ſelbſt beſtimmt über dieſen

negativen Punkt zu befragen, damit der Beweis als voll-

ſtändig gelten könne (i). Noch irriger aber iſt es, wenn

Andere auch über dieſen entfernteren Zeitraum die poſitive

Ausſage verlangen, daß die Zeugen auch ſchon von ihren

Vorfahren das Daſeyn des ſtreitigen Zuſtandes in der

früheren Zeit erfahren haben (k), woraus dann fernere

Fragen über die Anzahl und Beſchaffenheit jener verſtor-

benen Zeugen entſtehen müßten, die nach der hier vorge-

tragenen Meynung als völlig überflüſſig erſcheinen (l).

Eine Ergänzung des Zeugenbeweiſes kann darin ent-

halten ſeyn, daß in einem früheren poſſeſſoriſchen Rechts-

ſtreit der Beſitz anerkannt und geſchützt worden iſt. Nicht

nur iſt dieſes Urtheil ſelbſt entſcheidend für den Beſitz der

damaligen und meiſt auch der nachfolgenden Zeit, ſondern

die demſelben zum Grund liegenden Zeugenausſagen kön-

nen, je nach ihrem Inhalt, für den vorhergehenden Zeit-

raum noch gegenwärtig benutzt werden (m).

 

Die Zuläſſigkeit von Urkunden zu dieſem Beweiſe iſt

 

(h) Pufendorf II. 54. Unter-

holzner § 150.

(i) Pfeiffer § 10.

(k) So Schelling S. 130

— 132.

(l) Die richtige Meynung ver-

theidigen Pufendorf I. 151 § 3.

7, und Pfeiffer § 11.

(m) Pfeiffer S. 53. 54.

|0538 : 524|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ſehr beſtritten (n). Zur Ergänzung des Zeugenbeweiſes,

wenn dieſer für einzelne Theile des Zeitraums unvollſtän-

dig geblieben iſt, können ſie ſehr häufig gebraucht werden,

indem ſie ſehr geeignet ſind, den Beſitz in einzelnen Zeit-

punkten darzuthun. Seltner werden ſie allein, als ſelbſt-

ſtändiges Beweismittel, tauglich ſeyn; dennoch können ſie

auch in dieſer Geſtalt vorkommen, wenn zum Beiſpiel aus

ſorgfältig geführten Heberegiſtern die Entrichtung einer ge-

wiſſen Abgabe in beſtimmtem Umfang für die Zeit von

zwey Menſchenaltern nachgewieſen wird. Der Conſequenz

wegen dürfte man dafür eine Zeit von 80 Jahren anneh-

men (o); für die entfernter liegenden Theile dieſes Zeit-

raums würde nicht einmal der ſtrenge Beweis ununter-

brochener Leiſtung zu fordern ſeyn, da ſelbſt lückenhafte

Urkunden dieſer Art mehr Überzeugung gewähren, als die

blos negative Zeugenausſage über die entferntere Zeit.

Auch der Eid als Beweismittel iſt ſehr ſtreitig (p).

Daß er zur bloßen Ergänzung gebraucht werden kann,

ſowohl bey halbem Beweis, als für einzelne, durch den

Zeugenbeweis nicht berührte Stücke der Zeit, iſt nicht zu

bezweifeln. Allein auch ſelbſtſtändig kann der Eid darüber

zugeſchoben werden, daß der Gegner die ununterbrochene

 

(n) Für den Urkundenbeweis

erklären ſich Struben Beden-

ken IV. 1, und Pfeiffer § 14.

(o) Bey dem Zeugenbeweis

kann von dem Umfang des ent-

fernteren Menſchenalters nicht die

Rede ſeyn, weil darauf eine blos

negative Ausſage gerichtet wird,

wofür keine Zeitgränzen nöthig

ſind.

(p) Für den Eid ſpricht Pu-

fendorf Observ. II. 55. —

Pfeiffer § 15 hält ihn für be-

denklicher.

|0539 : 525|

§. 200. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Anwendung. (Fortſ.)

Fortdauer des gegenwärtigen Zuſtandes während der letz-

ten zwey Menſchenalter weder wiſſe noch glaube. Der

Beſitz während dieſes Zeitraums iſt eine reine Thatſache,

kein Urtheil, alſo zur Eidesdelation wohl geeignet; aller-

dings aber iſt dieſes Beweismittel für den Beweisführer

gefährlich, indem ein ſolcher Eid in den meiſten Fällen

auch von einem gewiſſenhaften Gegner wird geleiſtet wer-

den können.

Auch bey der Erſitzung kommt es vor, daß ein Beſitz

durch mehrere Succeſſionen hindurch gegangen war, und

dann iſt die Reihe dieſer Succeſſionen für den, welcher

die Erſitzung geltend macht, ein beſonderer Gegenſtand des

Beweiſes, wenn nicht der Gegner dieſelben freywillig ein-

räumt. Die Nothwendigkeit dieſes Beweiſes tritt bey der

unvordenklichen Zeit nicht blos häufiger ein als bey der

Erſitzung, ſondern ſie kann hier (mit Ausnahme juriſtiſcher

Perſonen) nie fehlen, da es nicht wohl denkbar iſt, daß

der gegenwärtige Beſitzer ſeit zwey Menſchenaltern beſeſſen

haben ſollte. In dieſer Beziehung kann man ſagen, daß

auch der Beweis eines Rechtstitels bey der unvordenklichen

Zeit vorkommen kann, während es der Natur derſelben

widerſprechen würde, wenn man für den Urſprung des

Beſitzes die Angabe und den Beweis eines Titels fordern

wollte (q).

 

Der Gegenbeweis wird durch jede Widerlegung der

Thatſache geführt, in welcher das Weſen der unvordenk-

 

(q) Pfeiffer § 8.

|0540 : 526|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

lichen Zeit beſteht (r). Dieſes geſchieht durch den Beweis

eines beſtimmten Anfangs des Beſitzes innerhalb der letz-

ten zwey Menſchenalter; eben ſo ferner durch den Beweis

einer beſtimmten Unterbrechung, die während dieſer Zeit

Statt gefunden hat (s); endlich auch durch jeden Beweis

eines entgegengeſetzten Zuſtandes, der in jener Zeit irgend

einmal vorhanden geweſen iſt. Die Beweismittel erregen

hier weniger Zweifel als bey dem Hauptbeweiſe, da der

Gegenbeweis meiſt auf einzelne, vorübergehende Handlun-

gen gerichtet ſeyn wird. Es können alſo hier, wie in allen

anderen Fällen eines Beweiſes, gebraucht werden: Zeu-

gen (t), Urkunden, und Eid.

Mit Unrecht werden von Manchen auch folgende That-

ſachen für den Gegenbeweis zugelaſſen:

 

1) Die bloße Störung des ruhigen Beſitzes, die unter

andern auch in einzelnen Handlungen des Mitbeſitzes von

Seiten einer fremden Perſon beſtehen kann (u).

 

2) Die Anſtellung einer Klage während jener Zeit.

Iſt der Rechtsſtreit liegen geblieben, ſo ſtört er den Fort-

gang der unvordenklichen Zeit gar nicht; iſt er noch jetzt

 

(r) Sehr befriedigend handelt

von dem Gegenbeweis Pfeiffer

§ 16 — 18.

(s) Es liegt mehr in den Wor-

ten, als in der Sache, wenn

Wernher p. 753 eine interruptio

nicht zugeben will, weil die un-

vordenkliche Zeit keine wahre

Verjährung begründe. Zu be-

zweifeln iſt es doch nicht, daß

durch eine bewieſene Entſetzung

aus dem Beſitz die Thatſache

der Fortdauer deſſelben während

zweyer Menſchenalter widerlegt iſt.

(t) Pfeiffer S. 74, der mit

Recht die Meynung von Neller

p. 95 verwirft, nach welcher hier

ein einziger Zeuge zum vollen

Beweis hinreichen ſoll.

(u) Pfeiffer § 5.

|0541 : 527|

§. 201. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Anwendung. (Fortſ.)

im Gange, ſo wird durch deſſen Anfang (gerade wie bey

der Klagverjährung) nur der Zeitpunkt beſtimmt, von

welchem an die zwey Menſchenalter aufwärts zu berech-

nen ſind (v).

3) Die mala fides, die hier in der That nicht vorkom-

men kann, ſo daß die im canoniſchen Recht allgemein aus-

gedrückte Vorſchrift ihrer Beachtung hier ohne Anwendung

bleibt. Denn mala fides iſt das Bewußtſeyn eines wirk-

lich vorhandenen Unrechts. Iſt nun die Unrechtmäßigkeit des

Beſitzes erweislich, ſo muß deſſen Entſtehung bekannt ſeyn,

in welchem Fall er nicht ein unvordenklicher ſeyn kann.

Außerdem aber kann wohl aus Äußerungen des Beſitzers,

der ſich über die Natur ſeines Beſitzes täuſcht, hervorge-

hen, daß er ihn für einen unrechtmäßigen hält; eine ſolche

Meynung aber begründet die mala fides nicht (w).

 

Die zweifelhafteſte Frage iſt die, ob der Gegenbeweis

auch auf die den zwey letzten Menſchenaltern vorherge-

hende Zeit gerichtet werden darf. Darauf wird eine befriedi-

gende Antwort erſt möglich ſeyn, nachdem die eigenthüm-

liche Wirkung der unvordenklichen Zeit feſtgeſtellt ſeyn wird.

 

§. 201.

VI. Die Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Anwendung.

(Fortſetzung.)

Beſtrittener als irgend eine andere Frage iſt in der

 

(v) Thibaut S. 186. Pfeif-

fer S. 24—26. Arndts S. 158.

(w) Thibaut S. 187. Pfeif-

fer § 7. — Unrichtig iſt die Mey-

nung von Neller p. 109.

|0542 : 528|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Lehre von der unvordenklichen Zeit ihr praktiſches Weſen,

die eigenthümliche Art ihrer Wirkſamkeit. Hierüber haben

ſich folgende zwey Meynungen gebildet.

Nach Einigen iſt ſie eine wahre Verjährung, das heißt

es entſteht durch ihren Ablauf, eben ſo wie bey der Uſu-

capion und der Klagverjährung, eine wirkliche Verände-

rung des Rechtszuſtandes, eine Erweiterung des Vermö-

gens durch ein neu erworbenes Recht (a).

 

Nach Anderen begründet ſie blos die Vermuthung, daß

in einer längſt vergangenen Zeit ein Recht durch einen

wirklichen, nur in Vergeſſenheit gerathenen, Erwerbsgrund

entſtanden ſey, ſo daß ſie nicht gegenwärtig den Rechts-

zuſtand ändert, ſondern blos den Beweis einer früheren

Änderung darbietet (b).

 

Die Gründe für die erſte Meynung beſtehen darin, daß

erſtlich der allgemeine Verjährungsbegriff auf ſie paßt

(§ 178), zweytens das canoniſche Recht den Ausdruck prae-

scriptio dabey gebraucht (§ 198). Allein jener allgemeine

Verjährungsbegriff iſt ſelbſt grundlos und verwerflich, und

der Ausdruck des canoniſchen Rechts, der unter dem Ein-

fluß eines unächten Sprachgebrauchs gewählt worden iſt,

kann über die Natur des Rechtsinſtituts Nichts beweiſen.

 

Aus folgenden Gründen iſt die zweyte Meynung als

wahr anzunehmen. Das Römiſche Recht, in welchem die-

 

(a) Neller p. 114. 115. Un-

terholzner § 147. Pfeiffer

§ 2. 19.

(b) Wernher p. 746. Böhmer

§ 39. Thibaut S. 185. Arndts

S. 139 — 142.

|0543 : 529|

§. 201. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Anwendung. (Fortſ.)

ſes Inſtitut ſeinen Urſprung hat, kann es nicht als eine

Art von Erſitzung gedacht haben, da in mehreren Fällen

ſeiner Anwendung weder ein Beſitz zum Grund liegt, noch

ein Privatrecht erworben, ſondern nur ein öffentlicher Zu-

ſtand als rechtmäßig gegründet feſtgeſtellt wird (§ 196). —

Hätte man wirklich eine Art der Erſitzung in den Fällen

einführen wollen, worin jetzt die unvordenkliche Zeit gilt,

ſo wäre Nichts natürlicher geweſen, als eine beſtimmte,

nur hinreichend lange Zeit vorzuſchreiben, etwa 100 Jahre,

die man als Verjährungszeit im canoniſchen Recht ohne-

hin ſchon frühe angewendet hat. Daß man dieſes nicht

that, ſondern eine Zeit von unbeſtimmter Dauer, alſo ver-

ſchieden von allen bekannten Verjährungen, vorſchrieb, zeigt

deutlich, daß man zwar einen ähnlichen Vortheil wie durch

Erſitzung erreichen wollte, nämlich die Feſtſtellung ſchwan-

kender Rechtsverhältniſſe, aber auf einem ganz anderen

Wege. — Endlich, wenn wirklich eine gegenwärtige Ver-

änderung durch unvordenkliche Zeit bewirkt werden ſollte,

ſo müßte doch dafür irgend ein Zeitpunkt angegeben wer-

den können; ein ſolcher iſt aber hier gar nicht zu finden,

man möchte denn etwa den Tod des letzten Zeugen, der

den entgegen geſetzten Zuſtand gekannt hätte, als einen

ſolchen Zeitpunkt anſehen wollen (c). — Das wahre Ver-

hältniß zur Erſitzung iſt alſo dieſes. Die Erſitzung iſt

wirklich, ihrer Natur nach, dazu beſtimmt, ein neues Recht

zu begründen, obgleich ſie in vielen Fällen auch wohl da-

(c) Arndts S. 140.

IV. 34

|0544 : 530|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

zu dienen kann, einen längſt vollzogenen Erwerb, deſſen

Beweis nur verloren iſt, gegen Anfechtung zu ſichern. Um-

gekehrt ſoll die unvordenkliche Zeit, nach ihrer Natur,

einen früher vollendeten Erwerb gegen Anfechtung ſichern,

obgleich ſie in einzelnen Fällen durch ihre, allerdings nicht

unfehlbare, Vermuthung auf ähnliche Weiſe wie durch

eine Änderung des Rechtszuſtandes wirken kann. Wo ſie

auf dieſe Weiſe wirkt, hat ſie weniger innere Verwandt-

ſchaft mit der Erſitzung, als mit dem rechtskräftigen Ur-

theil. Denn auch dieſes iſt dazu beſtimmt, das wirklich

vorhandene Recht nicht zu ändern, ſondern gegen jede

künftige Anfechtung zu ſichern; dennoch bewirkt es in ein-

zelnen Fällen (wenn ihm ein Irrthum des Richters zum

Grund liegt,) eine wahre Änderung des Rechtszuſtandes (d).

Das praktiſche Intereſſe dieſer Streitfrage iſt nicht ſel-

ten unrichtig aufgefaßt worden. Es beſteht erſtlich darin,

daß ein neues Geſetz, welches für irgend ein Rechtsver-

hältniß alle Verjährung unterſagt, auf die unvordenkliche

Zeit, welche keine Verjährung iſt, nicht bezogen werden

darf (e). Indeſſen muß dieſe Regel doch mit Vorſicht an-

gewendet werden. Denn da es ſich in einem ſolchen Fall

lediglich um die Auslegung des neuen Geſetzes handelt,

 

(d) Arndts S. 142. 143.

(e) Wernher p. 752. Böhmer

§ 43. — Auch Pfeiffer § 21

behauptet dieſen Satz, wohl nicht

ganz conſequent, da er ſelbſt die

unvordenkliche Zeit als Verjäh-

rung anſteht (Note a). — Der

art. 691 des Franzöſiſchen Geſetz-

duchs, welcher bey gewiſſen Ser-

vituten die Verjährung unterſagt

(§ 198 l), erwähnt dabey aus-

drücklich den unvordenklichen Be-

ſitz, als gleichfalls unwirkſam.

|0545 : 531|

§. 201. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Anwendung. (Fortſ.)

ſo kommt es nicht ſowohl darauf an, ob die unvordenk-

liche Zeit in der That eine Verjährung iſt, als ob dieſer

Geſetzgeber ſie für eine Verjährung angeſehen hat. —

Zweytens folgt aus unſrer Anſicht, daß gegen den Ablauf

der unvordenklichen Zeit keine Reſtitution möglich iſt, da eine

ſolche überhaupt nur gegen Änderungen des Rechtszuſtan-

des, nicht gegen bloße Vermuthungen, nachgeſucht werden

kann. Von Erheblichkeit iſt indeſſen dieſe Folgerung nicht,

da auch ſchon gegen wirkliche Klagverjährungen, wenn ſie

nur wenigſtens 30 Jahre betragen, alle Reſtitution aus-

drücklich unterſagt iſt (f). — Die wichtigſte Folge liegt

aber darin, daß gegen die unvordenkliche Zeit, als eine

bloße Vermuthung, noch immer ein Beweis des Gegen-

theils zuläſſig iſt, anſtatt daß von einem ſolchen gegen

die vollendete Erſitzung oder Klagverjährung niemals die

Rede ſeyn kann. Dieſer wichtige Satz muß jedoch ge-

nauer beſtimmt werden, da er auf mancherley Weiſe mis-

verſtanden worden iſt.

Es iſt in dieſem Satz nicht die Rede von dem ſchon

oben (§ 200) erwähnten directen Gegenbeweis, darauf ge-

richtet, daß der ſtreitige Beſitz nicht in den beiden letzten

Menſchenaltern ununterbrochen vorhanden geweſen iſt. Denn

wenn dieſer geführt wird, ſo iſt der unvordenkliche Beſitz

gar nicht vorhanden, alſo auch nicht die durch ihn be-

 

(f) L. 3 C. de praescr. XXX.

(7. 39). Aus dieſem Grund ver-

wirft auch Pfeiffer § 20 ganz

conſequent die Reſtitution gegen

unvordenkliche Zeit.

34*

|0546 : 532|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

dingte Vermuthung, alſo kann auch nicht davon die Rede

ſeyn, dieſer Vermuthung durch Beweis ihre gewöhnliche

Kraft zu entziehen. Dieſer Gegenbeweis iſt auch gegen

das behauptete Daſeyn einer Tradition oder Uſucapion

zuläſſig, die doch gewiß wahre Rechtserwerbungen ſind (g).

— Noch weniger darf behauptet werden, daß dieſer di-

recte Gegenbeweis, wenn er jetzt mislang, und daher die

unvordenkliche Zeit mit ihren Folgen rechtskräftig aner-

kannt wurde, künftig von Neuem verſucht werden könnte,

weil doch nur eine Vermuthung vorhanden ſey. Durch

dieſe Behauptung wird die ſelbſtſtändige Wirkſamkeit des

rechtskräftigen Urtheils verkannt, bey welchem es nun

ganz gleichgültig iſt, ob es durch eine Vermuthung, durch

einen wahren Beweis, oder ſelbſt durch einen irrig ange-

nommenen Beweis, veranlaßt worden war (h). — Der

wahre Sinn jenes Satzes beſteht aber darin, daß der Ge-

genbeweis die aus den zwey letzten Menſchenaltern her-

vorgehende Vermuthung durch ſolche Thatſachen entkräften

darf, die aus einer noch früheren Zeit hergenommen ſind.

Es fragt ſich nun, worin dieſe ältere Thatſachen beſtehen

müſſen, um zu dem erwähnten Zweck tauglich zu ſeyn (i).

Aus dem ununterbrochenen Zuſtand der zwey letzten

Menſchenalter wurde die Vermuthung hergenommen, daß

 

(g) Pfeiffer § 19. 20.

(h) Unterholzner § 147.

Arndts S. 134.

(i) Hierüber ſind zu vergleichen

Wernher p. 747. Böhmer § 42.

Kress p. 35 — 37. p. 114. 115.

Neller p. 112—114. Unter-

holzner § 150. Pfeiffer S.

67 — 71. Arndts S. 160, die

insgeſammt, mehr oder weniger

vollſtändig, die hier vorgetragene

Lehre vertheidigen.

|0547 : 533|

§. 201. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Anwendung. (Fortſ.)

in irgend einer früheren unbekannten Zeit ein Rechtsgrund

dieſes Zuſtandes eingetreten ſey. Dieſe Vermuthung kann

nun zuvörderſt nicht durch den Beweis entkräftet werden,

daß in irgend einem früheren Zeitpunkt das Gegentheil

jenes Zuſtandes wirklich einmal Statt gefunden hat (alſo

durch das bloße contrarium), da der vermuthete Rechts-

grund nach jenem Zeitpunkt eingetreten ſeyn kann, ſo daß

deſſen Annahme mit jenem geführten Beweiſe gar nicht im

Widerſpruch ſteht. Ganz entſcheidend für dieſe Behaup-

tung iſt die oben angeführte Stelle des Römiſchen Rechts

(§ 196. e), nach welcher Gemeindewege als öffentliche

gelten, wenn ſie nur überhaupt als Wege über Menſchen-

gedenken beſtanden haben, obgleich man weiß, daß der

Boden derſelben in irgend einer älteren Zeit als Feld von

den einzelnen Eigenthümern benutzt wurde (k), folglich da-

mals nicht die Geſtalt eines Weges hatte. Leyſer führt

zur Beſtätigung noch folgendes Beyſpiel an; da nach Ta-

citus unſre Vorfahren nur ausdrücklich bewilligte Steuern

bezahlt hätten, ſo würde, wenn man das bloße contra-

rium als Widerlegung anſehen wollte, in Deutſchland nie-

mals ein Steuerrecht durch unvordenkliche Verjährung

erworben werden können, da durch Tacitus ſtets das frü-

here contrarium erwieſen ſey (l).

(k) L. 3 pr. de locis (43. 7)

„.. quae ex agris privatorum

collatis factae sunt.” Man muß

alſo wiſſen, daß der Weg, der es

jetzt iſt, und ſeit Menſchengeden-

ken war, früher einmal ager pri-

vatorum, alſo kein Weg, gewe-

ſen iſt.

(l) Leyser 460. 2.

|0548 : 534|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Aber auch wenn man nicht blos das Gegentheil des

jetzigen Zuſtandes, ſondern deſſen Entſtehung in jener

älteren Zeit beweiſt (das initium), ſo iſt auch dieſes an

ſich noch nicht hinreichend zur Widerlegung der aus der

unvordenklichen Zeit entſpringenden Vermuthung. Denn

iſt die bewieſene Entſtehung eine rechtmäßige, ſo iſt das

Recht gewiß, ſelbſt ohne unvordenkliche Zeit. Iſt ſie eine

unrechtmäßige, ſo iſt dadurch nicht die Möglichkeit ausge-

ſchloſſen, daß nachher ein Rechtsgrund hinzugetreten ſey,

und eben auf deſſen Annahme geht ja die in der unvor-

denklichen Zeit liegende Vermuthung. Daſſelbe muß um

ſo mehr gelten in den noch häufigeren Fällen, worin zwar

die Entſtehung bewieſen wird, aber ſo daß es dabey un-

gewiß bleibt, ob dieſelbe rechtmäßig war oder nicht. —

Daher wird ein ſolcher Beweis nur dann als Widerlegung

der Vermuthung gelten können, wenn durch ihn nicht nur

die unrechtmäßige Entſtehung ſelbſt gewiß iſt, ſondern auch

deren fortgehender, ununterbrochener Cauſalzuſammenhang

mit dem in die zwey letzten Menſchenalter fallenden Zu-

ſtand. Es leuchtet von ſelbſt ein, wie ſchwer ein ſolcher

Beweis iſt, und wie er um ſo ſchwerer werden muß, je

entfernter der Zeitpunkt jener bewieſenen Entſtehung in

der Vorzeit liegt.

 

Als Beweismittel für einen ſolchen unrechtmäßigen

Anfang werden beſonders Urkunden gebraucht werden kön-

nen; weniger brauchbar werden dazu Zeugen ſeyn. Daß

dieſe nicht aus eigener Wahrnehmung eine ſo alte Thatſache

 

|0549 : 535|

§. 201. Zeit. 6. Unvordenkliche Zeit. Anwendung. (Fortſ.)

bezeugen können, iſt einleuchtend. Sie müßten alſo etwa

ausſagen, daß ſie von ihren Vorfahren gehört hätten, die-

ſen ſey von ihren Vorfahren die unrechtmäßige Entſtehung

mitgetheilt worden, das heißt es würde nun der Beweis

durch bloße Tradition geführt. Dieſes ſcheint aber höchſt

bedenklich, theils wegen der Unſicherheit einer ſolchen Tra-

dition an ſich, theils weil durch ſie faſt niemals der oben

erwähnte Cauſalzuſammenhang klar werden wird. Hier

kommen wir nun zurück auf die oben (§ 199) ausgeſetzten

Worte der L. 28 de probat. (22. 3)

et hoc infinite similiter sursum versum accidit

 

welche allerdings auf die Zuläſſigkeit einer ſolchen endlo-

ſen Tradition zu deuten ſcheinen. Dem Misbrauch, der

davon gemacht werden könnte, wird nun allerdings ſchon

dadurch geſteuert werden, wenn der Richter ſtrenge auf

den erwähnten Cauſalzuſammenhang ſteht. Außerdem aber

iſt zu bedenken, daß die angeführte Stelle blos auf die

actio aquae pluviae geht, und zwar auf die in offenem

Feld gemachte, der allgemeinen Wahrnehmung zugängliche,

Anlage eines Dammes oder Grabens. Dabey wird eine

ſolche Tradition leichter, als bey gewöhnlichen, auf zwey

Perſonen beſchränkten, Beſitzverhältniſſen, ein ſicheres Re-

ſultat geben können, und auf Fälle ſolcher Art iſt daher

die in jener Stelle enthaltene Anweiſung zu beſchränken (m)

(m) So erklärt die Stelle auch Pfeiffer S. 75. 76.

|0550 : 536|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

§. 202.

Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen.

Es iſt ſchon oben (§ 104) darauf hingewieſen worden,

daß zuvörderſt eine Überſicht der wichtigſten unter den ju-

riſtiſchen Thatſachen gegeben, dann aber von den Hem-

mungen ihrer Wirkſamkeit, oder von den Arten und Gra-

den ihrer Ungültigkeit, gehandelt werden ſollte. Die Be-

trachtung dieſer negativen Seite der juriſtiſchen Thatſachen

muß jedoch auf eine ſehr allgemeine Angabe der dabey

vorkommenden Rechtsformen beſchränkt bleiben, indem Alles,

was darüber hinausgehen möchte, nur in dem Syſtem der

einzelnen Rechtsinſtitute ſein wahres Licht erhalten kann.

 

Bey der Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen

ſind Drey Gegenſätze bemerkenswerth, deren genaue Unter-

ſcheidung um ſo nothwendiger iſt, als ſie bey neueren

Schriftſtellern auf mancherley Weiſe verwechſelt zu wer-

den pflegen. Die Ungültigkeit kann nämlich ſeyn:

 

1) vollſtändig, oder unvollſtändig;

2) entſchieden, oder unentſchieden;

3) gleichzeitig oder ungleichzeitig mit derjenigen That-

ſache, die in ihrer Wirkſamkeit gehemmt werden ſoll.

1) Vollſtändig nenne ich diejenige Ungültigkeit, welche

in einer reinen Verneinung der Wirkſamkeit beſteht, alſo

an Kraft und Umfang der Thatſache ſelbſt, worauf ſie

ſich verneinend bezieht, völlig gleich ſteht. Der anerkannte

 

|0551 : 537|

§. 202. Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen.

Kunſtausdruck für dieſen Fall iſt Nichtigkeit. Was zur

genaueren Beſtimmung dieſes Rechtsbegriffs zu ſagen iſt,

wird erſt bey dem folgenden Gegenſatz deutlich gemacht

werden können.

Die unvollſtändige Ungültigkeit iſt ihrer Natur nach

höchſt mannichfaltig, da ſie in den verſchiedenſten Arten

und Graden der Gegenwirkung gegen eine juriſtiſche That-

ſache denkbar iſt. Sie kommt vor in Geſtalt einer Klage (a),

einer Exception (b), einer Obligation auf neue juriſtiſche

Handlung von einem, der früheren Thatſache entgegenge-

ſetzten, Erfolg (c); ferner durch den Antrag auf Reſtitu-

tion, oder auf Bonorum possessio contra tabulas. Ich

bezeichne dieſe höchſt mannichfaltigen Fälle mit dem ge-

meinſamen Namen der Anfechtbarkeit eines Rechtsver-

hältniſſes.

 

Anſtatt daß die Nichtigkeit des Rechtsverhältniſſes in

der bloßen Veneinung deſſelben beſtand, müſſen wir in der

 

(a) So z. B. die actio quod

metus caussa, Pauliana, u. ſ. w.

(b) Beſonders ausgebildet er-

ſcheint dieſes bey den Obligatio-

nen, welche bald ipso jure un-

gültig (nichtig) ſind, bald per

exceptionem; doch findet ſich die

Exception als Entkräftungsmittel

auch bey anderen Rechten als

Obligationen. Die umfaſſendſte

und wichtigſte Exception dieſer

Art iſt die doli exceptio.

(c) Wenn z. B. dem Ehemann

eine Dos gegeben, nachher aber

die Ehe getrennt wird, ſo hört

der Grund auf, um deſſen Wil-

len allein er die Dos beſaß, und

die Aufgabe geht dahin, den frü-

heren Zuſtand wieder herzuſtel-

len; dieſes geſchieht aber, nach

dem älteren Recht, lediglich durch

eine perſönliche Klage auf Rück-

übertragung der empfangenen

Dotalſachen. — Eben ſo, wenn

ein früherer Verkäufer das pac-

tum de retrovendendo geltend

machen will. L. 2 C. de pactis

inter emt. (4. 54.).

|0552 : 538|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Anfechtbarkeit ſtets ein eigenes, neues, entgegenwirkendes

Recht einer andern Perſon erkennen. Dieſes entgegenwir-

kende Recht hat eine ſelbſtſtändige Natur, und kann daher

auch wieder von beſonderen Schickſalen betroffen werden;

es kann ganz oder theilweiſe entkräftet werden (d), wo-

durch dann wieder das urſprüngliche Recht, von dieſer

Hemmung befreyt, ſeine volle Wirkſamkeit behauptet, wel-

ches im Fall der Nichtigkeit niemals vorkommen kann.

Die Römiſchen Juriſten pflegen den Gegenſatz der Nich-

tigkeit und Anfechtbarkeit mit großer Sicherheit zu behan-

deln, und es werden ſelten Fälle vorkommen, worin die

Anwendung des einen oder des andern Begriffs zweifel-

haft bleiben möchte; ſelbſt ihre Kunſtausdrücke ſind in den

wichtigſten Anwendungen beſtimmt und unzweydeutig, ob-

gleich es auch nicht an einzelnen Faͤllen eines ſchwanken-

den Sprachgebrauchs fehlt (e).

 

2) Unentſchieden oder ungewiß nenne ich diejenige Un-

gültigkeit, deren Eintritt von zukünftigen, ungewiſſen That-

 

(d) So z. B. die entgegen wir-

kende Klage durch Verjährung,

die B. P. c. t. durch Ablauf ihrer

Friſt, die Exception durch eine

entgegenſtehende Replication.

(e) In L. 22 quae in fraud.

(42. 8.) wird eine Veräußerung

nullius momenti genannt, ſo daß

man ſie für nichtig halten könnte,

da ſie doch nur mit der Pauliana

actio zurück gefordert werden

kann. — Eben ſo drückt rescin-

dere gewöhnlich die Nichtigkeit

aus, und zwar diejenige, welche

erſt in der Folge eintritt (die

ungleichzeitige). Nicht ſelten wird

aber das Wort auch von ande-

ren Fällen der Ungültigkeit ge-

braucht. Vgl. Brissonius v. re-

scindere. Bey Ulpian. tit. de

legibus § 1. 2 bezeichnet es die

anfängliche Nichtigkeit.

|0553 : 539|

§. 202. Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen.

ſachen abhängt, alſo entweder von zufälligen Ereigniſſen,

oder von menſchlicher Willkühr.

Wenn eine Suspenſivbedingung vereitelt, oder eine re-

ſolutive erfüllt wird, ſo iſt die vollſtändige Ungültigkeit,

alſo die Nichtigkeit, des Rechtsgeſchäfts die Folge eines

zufälligen Ereigniſſes.

 

Menſchliche Willkühr iſt der Grund der Ungültigkeit

in allen Fällen der bloßen Anfechtbarkeit. Denn eine Klage,

Exception, Reſtitution u. ſ. w. entkräftet ein Rechtsver-

hältniß nur, wenn eine beſtimmte, dazu berechtigte Perſon

dieſes will, und Etwas dazu thut; außerdem bleibt das

urſprüngliche Rechtsverhältniß in ſeiner ungeſchwächten

Kraft. Manche nennen eine ſolche, von perſönlicher Will-

kühr abhängige, Ungültigkeit, eine relative, im Gegenſatz

der abſoluten, bey welcher dieſe Abhängigkeit nicht vor-

handen ſeyn würde.

 

Es fragt ſich aber, ob die Nichtigkeit eben ſo von

menſchlicher Willkühr abhängig ſeyn kann, oder (nach dem

ſchon angegebenen Sprachgebrauch) ob es nicht nur eine

abſolute, ſondern neben dieſer, für andere Fälle, eine rela-

tive Nullität giebt; auch dieſes muß behauptet werden,

jedoch in ungleich geringerem Umfang, als es von neueren

Schriftſtellern angenommen zu werden pflegt. Da ſich

hieran oft nicht unbedeutende Misverſtändniſſe anknüpfen,

ſo iſt es nöthig, genauer auf dieſe Frage einzugehen. —

Nach einer ſehr verbreiteten Auffaſſung ſoll nämlich in

vielen und wichtigen Fällen Derjenige, welcher durch ein

 

|0554 : 540|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

nichtiges Rechtsgeſchäft in Nachtheil kommen würde, daſ-

ſelbe anzufechten und umzuſtoßen befugt ſeyn, und es wird

für dieſen Zweck eine eigene Klage, unter dem Namen

der querela nullitatis, angegeben (f). In der That aber

iſt es weder nöthig, noch möglich, Dasjenige, was ohne-

hin nichtig iſt, alſo nicht beſteht, durch eine Klage erſt

umzuſtoßen. Juriſtiſch betrachtet ſtehen folgende Fälle auf

gleicher Linie: ein Teſtament, welches gar nicht von dem

angeblichen Teſtator gemacht, ſondern untergeſchoben iſt;

das Teſtament eines Unmündigen; ein Teſtament vor Sechs

Zeugen; ein Teſtament, worin ein Sohn in väterlicher

Gewalt, oder ein Posthumus, präterirt iſt. In allen die-

ſen Fällen iſt etwas Rechtsgültiges gar nicht vorhanden,

eine Klage iſt zur Wegräumung des leeren Scheins nicht

nöthig, und auf den Willen und die Thätigkeit einer da-

durch gefährdeten Perſon kommt Nichts an (g). — Indeſ-

(f) G. L. Mencken de actio-

nibus Sect. 3 C. 2 membr. 2.

Höpfner Commentar § 344.

525. 535. Thibaut § 302.

966 — 968 der 8ten Ausg.

(g) Unter den hier zuſammen

geſtellten Fällen eines nichtigen

Teſtaments iſt es nur einer, der

Fall der Präterition, welcher in

neueren Zeiten die ſehr verbrei-

tete Anſicht veranlaßt hat, die

durch den Ausdruck querela nul-

litatis bezeichnet wird. Man wür-

de irren, wenn man für dieſe

Anſicht eine Unterſtützung ſuchen

wollte in der milderen Meynung

der Proculejaner Gajus II. § 123.

Denn theils iſt dieſe nachher all-

gemein verworfen worden (L. 7

de lib. 28. 2.), theils bezog ſie

ſich auch nur auf den Fall des

vor dem Teſtator verſtorbenen

Sohnes; ſtarb er nach dem Te-

ſtator, auch ohne geklagt zu ha-

ben, ſo war gar kein Streit.

Für den letzten praktiſchen Er-

folg freylich wurde der reine Be-

griff der Nichtigkeit in dieſem

Fall dadurch beſeitigt, daß der

Prätor die blos civile Nichtigkeit

ganz ignorirte (Ulpian. XXVIII.

6); das ändert aber den Begriff

|0555 : 541|

§. 202. Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen.

ſen giebt es allerdings auch im Römiſchen Recht einige

Fälle, worin die Nichtigkeit von der Willkühr einer be-

ſtimmten dabey betheiligten Perſon abhängt, ſo daß darauf

der oben erwähnte Ausdruck einer relativen Nichtigkeit an-

wendbar iſt. Wenn ein Unmündiger einen gegenſeitigen

Vertrag, z. B. einen Kauf, ſchließt, ſo hängt es von ihm,

oder von dem ihn vertretenden Vormund, ab, ob der Ver-

trag durchaus gültig, oder durchaus nichtig ſeyn ſoll; der

Wille des Gegners hat darauf keinen Einfluß (h). Wenn

ein Geſellſchafter den Societätsvertrag dem abweſenden

andern Geſellſchafter, entweder durch einen Brief, oder

durch den Procurator dieſes Andern, aufkündigt, ſo ver-

geht mehr oder weniger Zeit, ehe die ausgeſprochene Er-

klärung dem Anderen bekannt wird; ob nun in dieſer Zwi-

ſchenzeit die Societät für durchaus gültig, oder durchaus

nichtig, gehalten werden ſoll, hängt von der Willkühr des

Anderen ab, der die Kündigung erſt ſpäter erfahren hat (i).

— Der Unterſchied der hier aufgeſtellten Anſicht von der

bey vielen Schriftſtellern verbreiteten beſteht alſo erſtlich

darin, daß die relative Nichtigkeit in weit wenigeren Fäl-

len anzunehmen iſt, als von dieſen geſchieht (k); zweytens

der Nichtigkeit ſelbſt nicht. — In-

deſſen war dieſe Anwendung der

querela nullitatis bey neueren

Schriftſtellern, wenngleich die

häufigſte, doch keinesweges die

einzige. Vgl. Höpfner § 344.

Glück B. 33 S. 91.

(h) L. 13 § 29 de act. emti

(19. 1).

(i) L. 17 § 1 L. 65 § 8 pro

socio (17. 2.).

(k) Namentlich kommt im Rö-

miſchen Recht bey der Ehe nie-

mals eine relative Nichtigkeit vor.

Im heutigen Recht iſt dieſer Be-

griff freylich nicht wohl zu ent-

|0556 : 542|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

in der durchaus verwerflichen Annahme einer beſonderen

Klage, der querela nullitatis. Namentlich in den beiden

hier angeführten Fällen wird ſtets die gewöhnliche Con-

tractsklage ausreichen, und die Nichtigkeit wird blos als

ein Grund in Betracht kommen, der auf den Erfolg einer

ſolchen Klage Einfluß haben muß.

3) Endlich kann die Ungültigkeit bald ſchon urſprüng-

lich vorhanden ſeyn, bald erſt ſpäterhin eintreten; im er-

ſten Fall iſt ſie in ihrer Entſtehung gleichzeitig mit der

dadurch entkräfteten juriſtiſchen Thatſache, im zweyten

Fall ungleichzeitig. Dieſer Gegenſatz fällt mit keinem der

oben erklärten Gegenſätze zuſammen, vielmehr ſind dabey

die verſchiedenſten Combinationen denkbar.

 

Beyſpiele urſprünglicher oder gleichzeitiger Nichtigkeit

ſind: das Teſtament, worin ein lebender Sohn in väter-

licher Gewalt präterirt iſt; der Vertrag, worin ein Un-

mündiger ſich einſeitig verpflichtet. — Ungleichzeitige Nich-

tigkeit tritt ein, wenn nach gemachtem Teſtament dem Te-

ſtator ein Posthumus geboren, wenn die Urkunde des Te-

ſtaments von ihm zerſtört, wenn ein neues Teſtament

gemacht wird; desgleichen bey jeder Obligation durch de-

ren vollſtändige Erfüllung.

 

Gleichzeitige Anfechtbarkeit findet ſich bey jedem durch

 

behren, und in dieſer Anwen-

dung iſt auch gegen die Annahme

einer Nichtigkeitsklage Nichts ein-

zuwenden.

|0557 : 543|

§. 202. Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen.

Zwang oder Betrug bewirkten Vertrag. — Ungleichzeitige

bey jeder Obligation, welcher eine Klagverjährung, oder

ein rechtskräftiges Urtheil entgegen getreten iſt; desglei-

chen im älteren Recht bey einer durch bloßes Pactum auf-

gehobenen Stipulation.

Von den beiden oben angeführten Fällen relativer

Nichtigkeit iſt der erſte (Verſprechen des Unmündigen)

gleichzeitig, der zweyte (Aufkündigung der Societät) un-

gleichzeitig.

 

Über die Gründe der ungleichzeitigen oder nachfolgen-

den Ungültigkeit kann hier nur eine allgemeine Überſicht

gegeben werden, da alles tiefer Eindringende den einzel-

nen Rechtsverhältniſſen vorbehalten bleiben muß. — Dieſe

Art der Ungültigkeit kann ihren Grund haben ſchon in

der juriſtiſchen Thatſache ſelbſt, woraus das Rechtsver-

hältniß entſtanden iſt; namentlich bey einer Reſolutivbe-

dingung, welche nachher in Erfüllung geht. — Ferner in

einer allgemeinen Rechtsregel, wohin die Klagverjährung

gehört. — Ferner in einer richterlichen Handlung, wie das

rechtskräftige Urtheil und die Reſtitution.

 

Der häufigſte und wichtigſte Grund einer ſolchen nach-

folgenden Ungültigkeit beſteht aber in einer neuen juriſti-

ſchen Thatſache, welche der früheren entgegen wirken ſoll.

Die allgemeinſte Anwendung davon findet ſich bey Wil-

lenserklärungen, welche durch entgegengeſetzte Willenser-

klärungen aufgehoben werden. Damit dieſe Aufhebung

vollſtändig wirke, iſt die Regel aufgeſtellt, daß die auf-

 

|0558 : 544|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

hebende Erklärung gleiche Form haben müſſe mit derjeni-

gen, wodurch das aufzuhebende Rechtsverhältniß entſtan-

den ſey.

Nihil tam naturale est, quam eo genere quidque dis-

solvere, quo colligatum est: ideo verborum obligatio

verbis tollitur: nudi consensus obligatio contrario con-

sensu dissolvitur(l).

 

Es giebt jedoch von dieſer Regel mehrere ganz poſi-

tive Ausnahmen (m); außerdem aber hat ſie ſchon im

neueren Römiſchen Recht, noch mehr aber im heutigen

Recht, einen großen Theil ihrer Wichtigkeit verloren (n).

 

Man hat oft über die Frage geſtritten, ob ein Recht

ſchon durch die einſeitige Willenserklärung des Berechtig-

ten entkräftet werde, welche man renunciatio, Entſa-

gung, Verzicht nennt (o), oder ob dazu noch Etwas

 

(l) L. 35 de R. J. (50. 17.). —

Vgl. L. 100 L. 153 eod., L. 8

de adqu. poss. (41. 2.), L. 80 de

solut. (46. 3.).

(m) So z. B. wurde von je-

her die aus dem Diebſtahl oder

aus der Injurie entſtandene Obli-

gation durch nudum pactum den-

noch ipso jure aufgehoben, weil

nämlich das pactum dabey in den

Zwölf Tafeln erwähnt war. L. 17

§ 1 L. 27 § 2 de pactis (2. 14.),

L. 13 C. de furtis (6. 2.).

(n) Das Pactum ſollte die Sti-

pulation nur nicht ipso jure auf-

heben, wohl aber per exceptio-

nem; der Unterſchied beider Ar-

ten der Aufhebung iſt jedoch im

Juſtinianiſchen Recht weniger

wichtig als früher. — Im heuti-

gen Recht hingegen iſt der for-

melle Unterſchied zwiſchen Pactum

und Stipulation ganz verſchwun-

den. — Als ein praktiſcher Über-

reſt der alten Regel auch noch

im heutigen Recht kann der Satz

angeſehen werden, daß ein Te-

ſtament zwar durch ein neues

Teſtament aufgehoben wird, in

der Regel aber nicht durch blo-

ßen Widerruf, eben ſo auch nicht

durch einen Codicill. § 2. 7 J.

quib. modis test. (2. 17.), L. 21

§ 3 C. de testamentis (6. 23.).

(o) Das Schwankende dieſer

Ausdrücke hat auch zur Erhal-

|0559 : 545|

§. 202. Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen.

hinzutreten müſſe, namentlich der Wille eines Andern, das

heißt die Acceptation (p). Dieſer Streit iſt unter andern

dadurch über Gebühr verlängert worden, daß in jener

ſcheinbar einfachen Frage eigentlich zwey ganz verſchie-

dene Fragen enthalten ſind, deren genaue Sonderung

allein zu einer ſicheren Entſcheidung führen kann. Es iſt

nämlich zuerſt der Fall möglich, daß dem Berechtigten gar

kein Einzelner beſonders gegenüber ſteht (wie bey dem Ei-

genthum), oder auch daß ein ſolcher wirklich vorhandener

Einzelner (z. B. ſein Schuldner in einer Obligation) die

Erklärung noch nicht erfahren, oder durch eine Gegener-

klärung ſich darüber auszuſprechen unterlaſſen hat. In

allen dieſen Fällen kann die Frage entſtehen, ob jene ein-

ſeitige Erklärung für den Berechtigten, der ſie abgab, bin-

dend iſt, oder ob er, bey verändertem Willen, davon wie-

der abgehen kann. Dieſer Fall iſt es, woran man ge-

wöhnlich denkt, wenn man die Nothwendigkeit einer Ac-

ceptation in Frage ſtellt; die Frage hat hier eine formelle

Natur, indem es darauf ankommt, ob eine Handlung in

dieſer oder in einer andern Form dazu geeignet iſt, eine

tung des Streites beygetragen,

da in keinem derſelben das Mo-

ment der Einſeitigkeit, worauf

doch Alles ankommt, nothwendig

enthalten iſt. So z. B. ſagt L. 29

C. de pactis (2. 3.), nach einer

alten Rechtsregel könne Jeder ſei-

nen Rechten entſagen (renuncia-

re); zugleich ſpricht aber die ganze

Stelle lediglich von einer Entſa-

gung durch Vertrag, und führt

auch jene Rechtsregel nur an,

um die bindende Kraft eines ſol-

chen Vertrags außer Zweifel zu

ſetzen.

(p) Vergl. unter andern eine

eigene Abhandlung von Fritz,

Archiv für civiliſt. Praxis B. 8

Num. XV.

IV. 35

|0560 : 546|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

wahre Änderung in dem Rechtsverhältniß hervorzubrin-

gen. — Es iſt aber auch zweytens der Fall möglich, daß

Derjenige, welcher in einem Rechtsverhältniß ſteht, daſ-

ſelbe auflöſen will, während ein Anderer dieſer Auflöſung

widerſpricht. In dieſem Fall entſteht die Frage, wie weit

das Recht des Einzelnen, unter Vorausſetzung dieſes Strei-

tes, geht; es iſt die völlig materielle Frage nach der Macht

des einſeitigen Willens.

a) Die formelle Frage, ob die einſeitige Willenserklä-

rung bindet, oder wieder zurück genommen werden kann,

muß mit folgender Unterſcheidung beantwortet werden. Die

Rechte, welche uns aus dem Nachlaß eines Verſtorbenen

zur Erwerbung angeboten (deferirt) ſind, werden durch

unſre einſeitige Willenserklärung (repudiatio) unabänder-

lich ausgeſchlagen. Dieſes gilt nicht blos von der here-

ditas und bonorum possessio, bey welchen ohnehin Nie-

mand vorhanden iſt, welcher acceptiren könnte, ſondern

auch bey den Legaten (q), bey welchen allerdings die Noth-

wendigkeit einer Acceptation des Erben denkbar wäre. —

In allen übrigen Fällen dagegen iſt eine einſeitige Entſa-

gung für ſich ganz wirkungslos, kann alſo ſtets zurückge-

nommen, und dadurch der möglichen Beſtätigung durch

die Acceptation eines Andern entzogen werden. Dieſes gilt

alſo vor Allem von der hereditas, der bonorum possessio,

und dem Legat, welche wir durch unſre Erklärung bereits

 

(q) L. 38 § 1 L. 44 § 1 L. 86 § 2 de leg. 1 (30. un.), L. 59

de leg. 2 (31. un).

|0561 : 547|

§. 202. Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen.

erworben haben. Ferner bey dem Eigenthum, welches nie-

mals durch den bloßen Willen, ſondern nur durch den

zugleich aufgegebenen Beſitz (Dereliction) verloren wird.

Eben ſo bey jedem jus in re, von welchem der Eigenthü-

mer nur durch Vertrag, nicht durch die einſeitige Erklä-

rung des Inhabers, befreyt wird. Endlich auch bey den

Obligationen; dieſe werden durch einen Erlaßvertrag ſtets

aufgehoben, eben ſo auch durch die von einem Dritten

vorgenommene Expromiſſion (r), aber eine einſeitige Er-

klärung des Glaubigers bindet dieſen nicht.

b) Bey der materiellen Frage, ob ein Berechtigter ver-

hindert werden könne, durch ſeinen einſeitigen Willen aus

einem Rechtsverhältniß heraus zu treten, muß ſtets ein Ein-

zelner, ihm gegenüber Stehender, hinzugedacht werden, da ein

Einſpruch gegen die Dereliction des Eigenthums gar nicht

denkbar iſt. Es kann davon zunächſt die Rede ſeyn bey ei-

nem jus in re. Der Fructuar kann den Niesbrauch ſtets zu-

rück geben (s); denn obgleich mit demſelben auch poſitive

Verpflichtungen verbunden ſind (t), ſo können dieſe doch nur

als Bedingungen und Einſchränkungen des Genuſſes betrach-

tet werden, und verhindern alſo den Austritt aus dem Rechts-

verhältniß nicht. Wenn freylich der Niesbrauch aus einem

Kauf oder einem Pachtvertrag auf beſtimmte Zeit ent-

ſprungen iſt (u), ſo kann ſich der Fructuar von ſeinen

 

(r) L. 91 de solut. (46. 3.).

(s) L. 64 de usufructu (7. 1.).

(t) L. 13 § 2 L. 66 de usu-

fructu (7. 1.).

(u) L. 10 C. de usufructu

(3. 33.).

35*

|0562 : 548|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

(dem Niesbrauch ſelbſt fremden) Gegenleiſtungen aus die-

ſen Verträgen einſeitig nicht befreyen, ſo daß er das Kauf-

geld oder Pachtgeld ſtets zahlen muß, wenn ihn nicht der

Eigenthümer durch Vertrag frey giebt. — Hieraus erklärt

ſich zugleich, warum der Emphyteuta oder Superficiar

aus ſeinem Rechtsverhältniß nicht willkührlich austreten

kann. Denn die daneben ſtehende Verpflichtung zu poſiti-

ven Leiſtungen, die bey dem Niesbrauch etwas Zufälliges,

Fremdartiges war, iſt bey dieſen Rechten ein weſentlicher

Beſtandtheil des Rechtsverhältniſſes ſelbſt. — Bey den

Prädialſervituten und dem Pfandrecht treten keine ähnliche

Rückſichten ein, ſo daß hier ein einſeitiger Austritt des

Inhabers ſtets zuläſſig iſt. Bey dem Fauſtpfand kann ein

Intereſſe hierzu vorkommen, wenn etwa die Aufbewahrung

der verpfändeten Sache mit Koſten oder Gefahren für

den Beſitzer verbunden iſt.

Bey den Obligationen wird Niemand daran denken,

dem Schuldner den einſeitigen Rücktritt zu geſtatten. Bey

dem Glaubiger wird dieſe Befugniß nur in ſeltnen Fällen

zur Sprache kommen, wenn etwa bey einem Wettſtreit

der Grosmuth oder Delicateſſe, oder aus Hochmuth, der

Glaubiger die Schuld erlaſſen, der Schuldner dieſes Ge-

ſchenk nicht annehmen will. In dieſem Fall kann der

Glaubiger ohne Zweifel ſeinen Zweck erreichen durch die

Expromiſſion eines Dritten, dem er dann durch Vertrag

die Schuld erläßt (v); noch einfacher, indem er blos die

 

(v) L. 91 de solut. (46. 3.).

|0563 : 549|

§. 203. Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen. (Fortſetzung.)

Annahme der Schuld verweigert, da der Schuldner zwar

das Geld deponiren, aber nicht den Glaubiger zur Ab-

holung deſſelben zwingen kann. — Wichtiger iſt es, daß

bey mehreren Obligationen, die eine zuſammengeſetzte Na-

tur haben, eine Auflöſung für die Zukunft durch einſeitige

Aufkündigung zuläſſig iſt, wie bey der Societät, dem

Mandat, dem Miethvertrag; die eigenthümliche Natur die-

ſes Falles, und die beſondere Wirkſamkeit dieſer Kündi-

gung, kann jedoch erſt im Zuſammenhang des Obliga-

tionenrechts klar gemacht werden.

§. 203.

VI. Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen.

(Fortſetzung.)

Es ſind nun noch einige einzelne Fragen hervor zu

heben, welche ſich auf die Nichtigkeit der Rechtsgeſchäfte

beziehen.

 

Die Gründe der urſprünglichen Nichtigkeit ſind von

zweyerley Art. Sie können nämlich erſtens beſtehen in

einem Mangel der nothwendigen Bedingungen, alſo ent-

weder der erforderlichen perſönlichen Eigenſchaften, oder

des Weſens des Geſchäfts, wozu beſonders das Daſeyn

des Willens gehört, ſo wie der vorgeſchriebenen Form.

Sie können aber auch zweytens enthalten ſeyn in einem

poſitiven Geſetz, worin das Rechtsgeſchäft verboten iſt.

 

Wo überhaupt ein Geſetz die Abſicht hat, einem Rechts-

geſchäft verhütend entgegen zu wirken, da kann dieſes durch

 

|0564 : 550|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

verſchiedene Mittel geſchehen. Zuerſt durch erſchwerende

Formen, welches wahrſcheinlich die Bedeutung einer im-

perfecta Lex war: dann durch Strafdrohung, während

das Geſchäft ſelbſt gültig und wirkſam bleiben ſoll, wel-

ches minus quam perfecta Lex hieß: ferner durch Be-

ſtimmung irgend einer unvollſtändigen Ungültigkeit, beſon-

ders einer Exception, wohin das Sc. Macedonianum und

das Sc. Vellejanum gehört: endlich, am vollſtändigſten

und einfachſten, durch Vorſchrift der Nichtigkeit des Ge-

ſchäfts, welches die Bedeutung einer perfecta Lex iſt (a).

Wenn nun ein Geſetz ein Rechtsgeſchäft verbietet, ohne

die Folgen der Übertretung beſtimmt auszudrucken, ſo kann

über dieſe Folgen ein Zweifel entſtehen; es könnte nament-

lich behauptet werden, daß die ſchwere Folge der Nich-

tigkeit nur da angenommen werden dürfe, wo dieſelbe in

einem Geſetz ausdrücklich vorgeſchrieben ſey. Hierüber

haben wir ein allgemeines interpretirendes Geſetz von

Theodoſius II., worin beſtimmt wird, daß aus jedem ge-

ſetzlichen Verbot die Nichtigkeit der verbotenen Handlung

von ſelbſt folge, ohne Unterſchied ob dieſe Folge im Ge-

ſetz ausgedrückt ſey, oder nicht (b). Nach dem eben er-

(a) Ulpian. tit. de Legibus

§ 1. 2, großentheils lückenhaft.

(b) L. 5 C. de legibus (1. 14.),

vollſtändiger erhalten in Nov.

Theod. tit. 4. Die in dieſer ur-

ſprünglichen Geſtalt des Geſetzes

erhaltene höchſt ſpecielle Veran-

laſſung war die ältere Vorſchrift,

welche die procuratio fremder

Güter den Curialen verbot, von

dieſen aber durch eine conductio

der Güter umgangen zu werden

pflegte. Dieſe Veranlaſſung iſt

im Juſtinianiſchen Codex wegge-

laſſen, und nun tritt der allge-

meine Inhalt des Geſetzes, der

|0565 : 551|

§. 203. Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen. (Fortſetzung.)

klärten Sprachgebrauch läßt ſich dieſe Vorſchrift ſo aus-

drücken: jedes verbietende Geſetz iſt ſtets als eine perfecta

Lex anzuſehen. — Es wird noch hinzugeſetzt, daß die Nich-

tigkeit auch diejenige Handlung treffe, welche blos ſchein-

bar vorgenommen ſey, um die in dem Geſetz wörtlich

verbotene Handlung zu verſtecken. In dieſem Zuſatz liegt

jedoch keine neue Beſtimmung, ſondern nur eine Anwen-

dung der allgemeinen Natur der Simulation auf dieſen

beſonderen Fall (§ 134.).

Indeſſen muß zu dieſer, ſcheinbar ganz allgemeinen

Vorſchrift, doch die natürliche Ausnahme hinzu gedacht

werden, wenn das verbietende Geſetz ſelbſt eine andere

Folge als die Nichtigkeit ausdrücklich vorſchreibt, und zwar

eine ſolche, womit die Nichtigkeit unvereinbar iſt (c). Da-

hin gehört das Sc. Macedonianum, welchem alſo nicht

etwa wegen jenes neuen Geſetzes eine verſtärkte Wirkung

zuzuſchreiben iſt; denn die exceptio Sc. Macedoniani mit

ihren ſehr genau begränzten Wirkungen iſt in der That

unvereinbar mit der Nichtigkeit des Darlehens. Eben ſo

auch das Sc. Vellejanum, in den Fällen, worin es noch

unverändert zur Anwendung kommen ſoll (d). Ferner die

 

auch ſchon in jener urſprüngli-

chen Geſtalt vorhanden war, noch

ſchärfer hervor.

(c) Vgl. Vinnius quaest. se-

lectae Lib. 1 C. 1. Weber na-

türliche Verbindlichkeit § 74.

(d) Nämlich für die meiſten

Fälle hat Juſtinian ohnehin ſchon

die Nichtigkeit der Bürgſchaft

ausdrücklich vorgeſchrieben, und

da kommt das Senatusconſult

mit ſeiner Exception gar nicht

mehr zur Anwendung; wo es

aber überhaupt noch gilt, da iſt

es mit Nichtigkeit der Bürgſchaft

unvereinbar.

|0566 : 552|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

von einer Wittwe im Trauerjahr geſchloſſene Ehe. Denn

die geſetzlichen Strafen dieſer Ehe ſetzen das Daſeyn einer

wahren Dos, alſo auch einer gültigen Ehe, augenſcheinlich

voraus (e). Es war alſo dieſes Ehehinderniß, nach dem

Sprachgebrauch neuerer Juriſten, ein impediens, nicht di-

rimens (f). — Dagegen würde es ganz irrig ſeyn, eine

ſolche Ausnahme bey jedem verbietenden Geſetz anzuneh-

men, welches eine Strafe androht, ohne ſich über die Nich-

tigkeit auszuſprechen. Denn da mit einer Strafe die Nich-

tigkeit an ſich wohl vereinbar iſt, ſo fehlt es in einem

ſolchen Fall an einem hinreichenden Grund, die Anwendung

des angeführten allgemeinen Geſetzes auszuſchließen.

Wenn ein Rechtsgeſchäft auf vollgültige Weiſe geſchloſ-

ſen worden iſt, nachher aber eine ſolche Veränderung der

Umſtände eintritt, daß daſſelbe Geſchäft jetzt nicht mehr

möglich ſeyn würde, ſo fragt es ſich, ob dieſe Verände-

 

(e) Vgl. oben Beylage VII

Num. III. Der Grund dieſer

abweichenden Behandlung einer

ſolchen Ehe liegt am Tage. Die

ausgeſprochene Nichtigkeit würde

Nichts geholfen haben, theils weil

ſie die eigentliche Gefahr, die

seminis turbatio, doch nicht ver-

hindert hätte, theils weil die Ehe-

gatten in keinem Fall verhindert

werden konnten, nach Ablauf des

Trauerjahrs, alſo nach ſehr kur-

zer Zeit, eine neue Ehe zu ſchlie-

ßen. Die Abſicht bey jener Be-

handlung gieng alſo nicht auf

Milde und Schonung, ſondern

auf die Wahl ſolcher Drohungen,

deren reelle Fühlbarkeit der ver-

botenen Handlung wirkſamer vor-

beugen konnte.

(f) Solche Fälle ſind über-

haupt im Römiſchen Recht ſel-

ten, in neueren Partikularge-

ſetzen häufiger, z. B. bey den dis-

penſablen Verwandtſchaftsgraden,

bey dem Mangel der väterlichen

Einwilligung. Alle ſolche Fälle

gehören nun unter die Ausnah-

men von der Regel der L. 5 C.

de LL.

|0567 : 553|

§. 203. Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen. (Fortſetzung.)

rung auf den früheren Abſchluß dergeſtalt zurück wirkt,

daß das bisher gültige Geſchäft nunmehr vernichtet wird.

Mehrere Römiſche Juriſten haben dieſe Vernichtung als

Regel anerkannt, und dieſe Anerkennung iſt in die Dige-

ſten übergegangen (g); allgemein aber war bey ihnen dieſe

Anerkennung nicht (h). Auch finden ſich daneben andere

Stellen, welche gegen die unbedingte Annahme jener Re-

gel warnen (i), alſo auf zahlreiche und wichtige Ausnah-

men hindeuten.

Betrachten wir in dieſer Beziehung einzelne Rechtsver-

hältniſſe, ſo finden wir eben ſo viele und wichtige Fälle

der Anwendung jener angeblichen Regel, als der daneben

behaupteten Ausnahme. Eine gültig geſchloſſene Ehe wurde

dadurch vernichtet, daß ein Ehegatte ſpäterhin die Civität

oder die Freyheit verlor: der ſpätere Wahnſinn dagegen

ſtört die fortdauernde Gültigkeit nicht; beide Umſtände

aber, wenn ſie zur Zeit der geſchloſſenen Ehe vorhanden

geweſen wären, würden die Entſtehung derſelben unmög-

 

(g) L. 3 § 2 de his quae pro

non scriptis (34. 8.) „ .. Nam

quae in eam causam pervene-

runt, a qua incipere non po-

terant, pro non scriptis haben-

tur.” Vgl. L. 16 ad L. Aquil.

(9. 2.).

(h) L. 98 pr. de V. O. (45. 1.)

„ .. et maxime secundum illo-

rum opinionem, qui etiam ea,

quae recte constiterunt, resol-

vi putant, cum in eum casum

reciderunt, a quo non potuis-

sent consistere.”

(i) L. 85 § 1 de R. J. (50. 17.)

„Non est novum, ut, quae se-

mel utiliter constituta sunt, du-

rent, licet ille casus exstiterit,

a quo initium capere non po-

tuerunt.” L. 140 § 2 de V. O.

(45. 1.) „Etsi placeat, exstin-

gui obligationem, si in eum

casum inciderit, a quo incipere

non potest: non tamen hoc in

omnibus verum est.” § 14 J. de

leg. (2. 20.).

|0568 : 554|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

lich gemacht haben. Ganz eben ſo wird auch ein Teſta-

ment ungültig, wenn der Teſtator Civität oder Freyheit

verliert, nicht wenn er wahnſinnig wird.

Neuere Schriftſteller haben verſucht, genau die Bedin-

gungen aufzuſtellen, unter welchen die Regel oder die Aus-

nahme zur Anwendung komme; ſie haben ſich aber dabey

in ſo viele Subtilitäten und Willkührlichkeiten verwickelt,

daß die Entſcheidung zweifelhafter Fälle dadurch um gar

Nichts gefördert wird (k). Es ſcheint daher am gerathen-

ſten, auf die Aufſtellung allgemeiner Formeln über die an-

gegebene Frage ganz zu verzichten, und ſich auf die Beur-

theilung der einzelnen Fälle, worin ſie vorkommen mag,

zu beſchränken. Hier wird die eigenthümliche Natur jedes

Rechtsverhältniſſes, neben der Analogie der in unſren

Rechtsquellen enthaltenen einzelnen Entſcheidungen, mehr

Sicherheit geben, als es irgend eine aufzuſtellende Formel

vermag.

 

Wenn umgekehrt ein verſuchtes Rechtsgeſchäft durch

ein einzelnes Hinderniß ungültig iſt, dieſes aber ſpäterhin

wegfällt, ſo entſteht die Frage, ob nun das Geſchäft rück-

wärts gültig wird, wodurch Alles in die Lage kommen

würde, wie wenn gleich Anfangs das Hinderniß nicht vor-

handen geweſen wäre. Man nennt eine ſolche günſtige

 

(k) Vorzüglich gilt dieſes Ur-

theil von J. Gothofred. in tit.

de R. J., L. 85 § 1. Etwas

beſſer iſt Averanius interpret.

Lib. 4 C. 24 — 26, aber an ſiche-

ren Reſultaten iſt auch durch ihn

wenig gewonnen.

|0569 : 555|

§. 203. Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen. (Fortſetzung.)

Rückwirkung der veränderten Umſtände die Convales-

cenz, und drückt daher die aufgeworfene Frage auch ſo

aus: Iſt bey ungültigen Rechtsgeſchäften die Convales-

cenz zuläſſig? (l).

Nach einer ganz allgemein lautenden Stelle des Römi-

ſchen Rechts müßte man die Convalescenz durchaus ver-

werfen (m). Dieſe Regel wird noch für Teſtamente über-

haupt beſtätigt (n), und bey den Legaten iſt die alte regula

Catoniana eigentlich nur eine Wiederholung derſelben (o).

Zwar kommen auch neben dieſer Regel Ausnahmen vor,

und namentlich wird gleich bey der Mittheilung der regula

Catoniana gegen ihre zu allgemeine Anwendung gewarnt

(Note o). Wären dieſe Ausnahmen ſo zahlreich und man-

nichfaltig, wie bey der vorher erklärten entgegengeſetzten

Regel, ſo würde es auch hier gerathener ſeyn, eine ſo ge-

fährliche Regel lieber ganz aufzugeben; ſo iſt es aber in

der That nicht, die meiſten angeblichen Ausnahmen ſind

als ſolche nicht anzuerkennen, und wir müſſen daher jene

Regel allerdings gelten laſſen, daneben aber die einzelnen

 

(l) Vgl. Averanius interpret.

Lib. 4 C. 22.

(m) L. 29 de R. J. (50. 17.)

„Quod initio vitiosum est, non

potest tractu temporis conva-

lescere.”

(n) L. 201 de R. J. (50. 17.)

„Omnia, quae ex testamento

proficiscuntur, ita statum even-

tus capiunt, si initium quoque

sine vitio ceperint.”

(o) L. 1 pr. de reg. Catonia-

na (34. 7.) „Regula Catoniana

sic definit: quod si testamenti

facti tempore decessisset tes-

tator, inutile foret, id legatum,

quandocunque decesserit, non

valere. Quae definitio in qui-

busdam falsa est.”

|0570 : 556|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

Ausnahmen anerkennen, die in unſren Rechtsquellen aus-

drücklich angegeben werden.

Ich will zuerſt von ſolchen Fällen reden, worin man

Ausnahmen jener Regel fälſchlich anzunehmen pflegt. Wenn

bey Eingehung der Ehe ein Ehegatte noch unmündig iſt,

ſo tritt, wie man ſagt, mit der erreichten Pubertät Con-

valescenz ein (p); eben ſo, wenn der Senator, der mit

einer Freygelaſſenen eine nichtige Ehe ſchloß, nachher aus

dem Senat geſtoßen wurde (q), oder wenn der Römiſche

Provinzialbeamte eine Provinzialin zur Ehe nahm, dann

aber ſein Amt niederlegte (r). Desgleichen wenn der Va-

ter den nothwendigerweiſe vorhergehenden Conſens zur

Ehe (s) nicht ertheilt hat, dann aber nachträglich conſen-

tirt (t), oder auch nachher ſtirbt (u). Es iſt jedoch ganz

unrichtig, in dieſen Fällen Convalescenz der ungültigen

Ehe zu behaupten. Nach Römiſchem Recht wird die Ehe

geſchloſſen durch factiſches Zuſammenleben mit der auf

wahre Ehe gerichteten Abſicht; eine beſondere Form iſt

dazu gar nicht nöthig. Wenn alſo eine Unmündige als

Ehefrau in das Haus des Mannes gezogen iſt, und in

dieſem Hauſe die Pubertät erreicht, ſo entſteht in dieſem

Augenblick eine neue und wahre Ehe, weil alle Bedingun-

gen der Eingehung vorhanden ſind. Das vorhergehende

 

(p) L. 4 de ritu nupt. (23. 2.).

(q) L. 27 de ritu nupt. (23. 2.).

(r) L. 65 § 1 de ritu nupt.

(23. 2.).

(s) pr. J. de nupt. (1. 10)

„in tantum, ut jussus parentum

praecedere debeat.”

(t) L. 68 de j. dot. (23. 3.).

(u) L. 11 de statu hom. (1. 5.).

|0571 : 557|

§. 203. Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen. (Fortſetzung.).

nichtige Verhältniß convalescirt nicht, iſt aber auch kein

Hinderniß der gegenwärtigen Entſtehung einer gültigen

Ehe. So iſt es in allen hier angegebenen Fällen ohne

Ausnahme, und bey einigen derſelben wird ſogar aus-

drücklich bemerkt, daß es nur ſo anzuſehen ſey. Wenn

nämlich der Provinzialbeamte während der factiſch beſte-

henden Ehe ſein Amt niederlegt, ſo bleiben die früher er-

zeugten Kinder unehelich (v); eben ſo die Kinder, die in

einer Ehe erzeugt ſind, wozu der Vater eines Ehegatten

nicht conſentirt hatte, wenngleich dieſer Vater nachher ge-

ſtorben iſt (w); hat die Frau vor ihres Vaters Conſens

Ehebruch begangen, ſo hat der Mann in der Anklage

nicht die Vorrechte eines Ehemannes (x). Es entſteht alſo

gar nicht Convalescenz des früheren nichtigen Verhältniſ-

ſes, ſondern überall eine neue Ehe, durch das Vorherge-

gangene nur nicht verhindert. — Wenn ein Sohn in vä-

terlicher Gewalt oder ein Sklave oder ein Deportirter ein

Fideicommiß beſtellt, dann aber emancipirt, freygelaſſen,

in die Civität hergeſtellt wird, und nun erweislich die Ab-

ſicht, daß dieſes Fideicommiß beſtehe, fortdauert, ſo iſt

daſſelbe allerdings wirkſam; darin liegt aber nicht Conva-

(v) L. 65 § 1 de ritu nupt.

(23. 2.) „ .. post depositum

officium, si in eadem voluntate

perseverat, justas nuptias ef-

fici: et ideo postea liberos na-

tos ex justo matrimonio, legi-

timos esse.”

(w) L. 11 de statu hom. (1.5.)

„Paulus respondit, eum qui vi-

vente patre et ignorante de

conjunctione filiae conceptus

est, licet post mortem avi na-

tus sit, justum filium ei, ex

quo conceptus est, esse non vi-

deri.”

(x) L. 13 § 6 ad L. J. de

adult. (48. 5.).

|0572 : 558|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

lescenz der früheren Handlung, ſondern ein neues, mit

dem früheren im Inhalt übereinſtimmendes, Fideicommiß,

welches ja nach dem älteren Recht durch jeden formloſen

Willen errichtet werden kann (y). — Die Ausnahmen, die

neben der regula Catoniana behauptet werden, ſo wie die

Ausſchließung ihrer Anwendung auf die hereditas, und auf

die neuen Volksſchlüſſe (z), erklären ſich aus der an ſich

zweydeutigen Natur eines jeden letzten Willens, indem die

darin liegende Handlung ſo angeſehen werden kann, als

ob ſie zur Zeit der Errichtung, aber auch ſo als ob ſie

zur Zeit des Todes, vorgenommen worden wäre. — Wenn

ein Vertrag im Namen eines Andern ohne Auftrag ge-

ſchloſſen, dann aber von dem Andern genehmigt wird, ſo

wirkt dieſe Genehmigung allerdings rückwärts (aa); den-

noch iſt dieſes nicht als wahre Convalescenz zu betrachten,

ſondern der Genehmigende hat den Vertrag in allen Thei-

len zu dem Seinigen gemacht, alſo auch in Anſehung der

Zeit, von welcher an er zu wirken beſtimmt war. Die

Genehmigung wirkt wie ein neuer Vertrag, der die ge-

ſammten Wirkungen der Zwiſchenzeit mit in ſich aufnimmt.

— Wenn ein durch Zwang oder Betrug bewirkter Vertrag

hinterher frey genehmigt wird, ſo iſt er allerdings dadurch

rückwärts vollgültig geworden; allein dieſer Vertrag war

(y) L 1 § 1 de leg. III. (32.

un.) „ … fideicommissum re-

lictum videri quasi nunc da-

tum, cum mors ei contingit,

videlicet si duraverit voluntas

post manumissionem.” — L. 1

§ 5 eod. „ .. si modo in eadem

voluntate duravit.”

(z) L. 1 — 5 de reg. Cato-

niana (34. 7.).

(aa) L. 7 pr. ad Sc. Maced.

(4. 28.).

|0573 : 559|

§. 203. Ungültigkeit der juriſtiſchen Thatſachen. (Fortſetzung.)

auch zu keiner Zeit nichtig, fällt alſo gar nicht in das

Gebiet der bisher behandelten Frage.

Dagegen ſind allerdings folgende Fälle wahrer Couva-

lescenz anzuerkennen, welche daher Ausnahmen der oben

aufgeſtellten Regel bilden. Wenn ein Ehemann ein Do-

talgrundſtück veräußert, ſo iſt dieſes eine nichtige Hand-

lung; fällt ihm aber ſpäterhin die ganze Dos zu, ſo con-

valescirt jene Handlung von ſelbſt, und es braucht alſo die

frühere Tradition nicht wiederholt zu werden (bb). Wenn

ein Nichteigenthümer eine Sache veräußert, ſpäter aber

das Eigenthum erwirbt, ſo convalescirt eben ſo die Ver-

äußerung, und der Käufer wird jetzt von ſelbſt Eigen-

thümer, auch ohne neue Tradition (cc).

 

Dieſe ganze Frage iſt bisher nur in Beziehung auf

nichtige Rechtsgeſchäfte unterſucht worden; bey anfechtba-

ren kann es gar nicht bezweifelt werden, daß eine Ergän-

zung des früher mangelhaften Rechtsgeſchäfts ſtets möglich

iſt. Denn da bey der Anfechtbarkeit das Hinderniß die

ſelbſtſtändige Natur eines eigenen Rechts beſtimmter Per-

 

(bb) L. 42 de usurp. (41. 3.).

Hier ſteht venditio für aliena-

tio, und das confirmari bezieht

ſich zunächſt auf die Gültigkeit

des Uſucapionstitels, von welcher

in dieſer Anwendung nur im äl-

teren Recht die Rede ſeyn konnte.

Daneben aber, und beſonders im

Juſtinianiſchen Recht, liegt in dem

confirmari auch die unmittelbare

Convalescenz der Veräußerung,

alſo des Eigenthums, ohne alle

Uſucapion.

(cc) L. 42 de usurp. (41. 3.)

am Ende der Stelle; über die

Erklärung derſelben vgl. Note bb.

— L. 4 § 32 de doli exc. (44. 4.)

„ … ac per hoc intelligeret,

eum fundum rursum vendidisse,

quem in bonis non haberet.” —

Die genauere Ausführung dieſer

wichtigen und verwickelten Frage

iſt nur im Zuſammenhang der

Lehre vom Eigenthum möglich.

|0574 : 560|

Buch II. Rechtsverhältniſſe. Kap. III. Entſtehung und Untergang.

ſonen hat, ſo kann dieſes Recht auch aufgehoben werden,

wodurch dann das urſprüngliche Rechtsgeſchäft in ſeine

volle ungeſtoͤrte Wirkſamkeit von ſelbſt eintritt (§ 202.).

Dahin gehört der eben erwähnte Fall, wenn der Gezwun-

gene oder Betrogene, nachdem er von dieſen Einflüſſen

auf ſeinen Willen frey geworden iſt, den Vertrag geneh-

migt; es würde nicht genau ſeyn, dieſes als Convalescenz

des Vertrags auszudrücken, da es vielmehr blos eine Auf-

hebung der bis dahin geltenden Exceptionen (metus oder

doli) iſt.

|0575 : [561]|

Beylagen.

IX. X. XI.

IV. 36

|0576 : [562]|

|0577 : [563]|

Beylage IX.

Schenkung durch bloße Unterlaſſungen.

(Zu § 144.)

I.

Im Allgemeinen muß die Möglichkeit der in der Über-

ſchrift bezeichneten Schenkungen verneint werden. Die

poſitiven Einſchränkungen, welche das juriſtiſche Weſen

der Schenkung ausmachen, beziehen ſich ihrer Natur nach

auf Rechtsgeſchäfte, unter welchen Begriff eine bloße Un-

terlaſſung nicht bezogen werden kann. Die Formen der

Mancipation und der Inſinuation, die in dem poſitiven

Recht der Schenkungen eine ſo wichtige Stelle einnehmen,

ſind bey Unterlaſſungen gar nicht denkbar.

 

Es giebt jedoch zweyerley Umſtände, wodurch eine

Unterlaſſung die Natur einer Schenkung annehmen kann.

Erſtlich wenn dabey ein verborgenes Handeln zum Grunde

liegt, welches dann eigentlich die Schenkung ausmacht.

Zweytens wenn durch die Unterlaſſung allein und aus-

ſchließend eine unfehlbare Bereicherung bewirkt wird, in

welchem Fall ſie als ein indirectes oder verſtecktes Geld-

geſchenk betrachtet werden kann.

 

36*

|0578 : 564|

Beylage IX.

Dieſes Princip ſoll nunmehr durch eine Reihe von

Fällen durchgeführt werden. Ich will dabey zunächſt das

Verbot der Schenkung unter Ehegatten berückſichtigen, um

der Unterſuchung mehr Anſchaulichkeit zu geben; die An-

wendung auf die Inſinuation und den Widerruf wird

dann leicht hinzugefügt werden können.

 

II.

Ich ſtelle einen Fall voran, der ſich unter den übrigen

Unterlaſſungen durch die Einfachheit ſeiner Natur, ſo wie

durch die unzweifelhafte Entſcheidung, die wir darüber in

unſren Rechtsquellen finden, auszeichnet. Wenn der Ehe-

mann an einer Sache ſeiner Frau eine Servitut hat, und

dieſe abſichtlich durch Nichtgebrauch untergehen läßt,

ſo wird die Frau um den ganzen Werth der Servitut

reicher, und es geſchieht dieſes lediglich in Folge jener

Unterlaſſung, da unſtreitig eine einzige Ausübung der Ser-

vitut, kurz vor dem Ablauf des geſetzlichen Zeitraums, die-

ſen Verluſt von des Mannes Vermögen abgewendet hätte.

Wäre nun die angegebene Unterlaſſung gleich einem Rechts-

geſchäft zu behandeln, ſo müßte ſie nichtig ſeyn, das heißt

der Verluſt der Servitut müßte unterbleiben, die Servi-

tut müßte fortdauern. So iſt es jedoch nicht, vielmehr

wird die Servitut in der That verloren, ganz wie unter

fremden Perſonen; da aber die Frau bereichert iſt, und

da die Urſache dieſer Bereicherung entſchieden und aus-

ſchließend in der Liberalität des Mannes liegt, ſo hat die-

 

|0579 : 565|

Schenkung durch bloße Unterlaſſungen.

ſer gegen die Frau eine condictio, deren Gegenſtand ohne

Zweifel die Wiederherſtellung der Servitut, oder die Be-

zahlung des Geldwerths derſelben, iſt (a).

Ganz derſelbe Fall kommt bey der Pauliana actio vor.

Wenn der inſolvente Schuldner die Servitut abſichtlich

untergehen läßt, ſo iſt dieſes eine Veräußerung an den

Eigenthümer, und die Glaubiger haben gegen dieſen die

eben genannte Klage (b). Hier iſt ſogar ein noch drin-

genderer Grund zur Klage, als bey der Schenkung des

Ehegatten, vorhanden, nämlich die unredliche Abſicht des

veräußernden Schuldners.

 

Mit Rückſicht auf dieſe Fälle wird im Allgemeinen der

Satz aufgeſtellt, daß der Untergang der Servituten durch

Nichtgebrauch als eine Veräußerung anzuſehen ſey (c).

 

III.

Ungleich verwickelter ſtellt ſich die Frage in Beziehung

auf die Uſucapion. Iſt nun die Zulaſſung der Uſuca-

pion von Seiten des Eigenthümers, der ſie verhindern

könnte, als eine Schenkung zu betrachten? Dieſe Frage

 

(a) L. 5 § 6 de don. int. vir.

(24. 1.). „Si donationis causa

vir vel uxor servitute non uta-

tur, puto amitti servitutem:

verum post divortium condici

posse.” — Die Worte post di-

vortium ſind blos enunciativ, und

beziehen ſich darauf, daß bey dau-

erndem Einverſtändniß die Rück-

forderung überhaupt ſelten vor-

kommen wird; das Recht dazu

iſt ſtets auch während der Ehe

vorhanden.

(b) L. 3 § 1 L. 4 quae in

fraudem (42. 8.).

(c) L. 28 pr. de V. S. (50. 16.).

„.. Eum quoque alienare dici-

tur, qui non utendo amisit ser-

vitutes.”

|0580 : 566|

Beylage IX.

hängt zuſammen mit der allgemeineren, ob die Zulaſſung

der Uſucapion überhaupt eine Veräußerung iſt. Betrach-

ten wir dieſes zunächſt in Anwendung auf ein anderes,

aber verwandtes Rechtsverhältniß.

Der Ehemann ſoll Dotalgrundſtücke nicht veräußern,

und wenn er es verſucht, ſoll ſeine Handlung nichtig ſeyn.

Geſetzt nun, das Haus welches ihm als Dos gegeben

worden iſt, wird baufällig, der Nachbar fordert Caution

wegen des Einſturzes, und der Mann verweigert dieſe

Caution; hier bekommt in anderen Fällen der Nachbar zu-

erſt eine missio in possessionem, wenn aber die Verweige-

rung fortdauert, wird ihm durch ein zweytes Decret des

Prätors die possessio zugeſprochen. Unter dieſer war

aber die augenblickliche Übertragung des Eigenthums an

den bedrohten Nachbar verſtanden (a); jedoch nur ſoweit

der Prätor dieſes Eigenthum geben konnte, nämlich in bo-

nis, ſo daß es nun noch einer Uſucapion bedurfte, um in

vollſtändiges Eigenthum (ex jure quiritium) überzuge-

hen (b). Wendet man dieſen Hergang auf den die Cau-

 

(a) L. 15 § 23 de damno inf.

(39. 2.).

(b) L. 5 pr., L. 18 § 15, L. 12,

L. 15 § 16, L. 44 § 1 de dam-

no inf. (39. 2.). — Dieſe Stellen

paſſen in dem eben erklärten ur-

ſprünglichen Sinn nicht mehr zum

Juſtinianiſchen Recht, welches den

Unterſchied des bonitariſchen und

quiritariſchen Eigenthums nicht

kennt, und unter deſſen Herrſchaft

das zweyte Decret der Obrigkeit

gleich unmittelbar das volle Ei-

genthum überträgt. Sie müſſen

alſo hier unter der Vorausſetzung

verſtanden werden, daß der die

Caution verweigernde Beſitzer

nicht Eigenthümer iſt, in welchem

Fall freylich der Nachbar auch

durch das zweyte Decret nur die

b. f. possessio erhält, und das

Eigenthum erſt durch Uſucapion

erwerben muß.

|0581 : 567|

Schenkung durch bloße Unterlaſſungen.

tion verweigernden Ehemann an, ſo moͤchte man glauben,

hier werde die Übertragung des Eigenthums durch das

Veräußerungsverbot der Dotalgrundſtücke verhindert; denn

es iſt unzweifelhaft, daß dieſe Übertragung nur durch des

Mannes Willen herbeygeführt wurde, da er ſie entſchie-

den verhindern konnte, wenn er nur noch vor dem zwey-

ten Decret die verlangte Caution ſtellte. Und dennoch

wird ausdrücklich geſagt, daß in jenem Fall der Nachbar

wirklich das Eigenthum des baufälligen Hauſes erwerbe (c);

darin liegt aber der beſtimmte Ausſpruch, daß die bloße

Nichthinderung der Übertragung und der Uſucapion als

eine Verletzung des Veräußerungsverbots nicht betrachtet

werden könne.

IV.

Ganz dieſelbe Entſcheidung kommt vor in folgendem

verwandten Fall. Wenn zur Zeit des alten Rechts eine

Frau ihr Landgut, das gerade von einem Fremden beſeſ-

ſen wurde, dem Mann als Dos einbrachte, welches durch

Mancipation, auch bey fehlendem Beſitz, vollſtändig be-

wirkt werden konnte (a), ſo hatte der Mann das Recht,

 

(c) L. 1 pr. de fundo dot.

(23. 5.). „Interdum lex Julia

de fundo dotali cessat, si ob

id, quod maritus damni infecti

non cavebat, missus sit vici-

nus in possessionem dotalis

praedii, deinde jussus sit pos-

sidere: hic enim dominus vici-

nus fit, quia haec alienatio non

est voluntaria.” Die letzten

Worte wollen nicht ſagen, daß

des Mannes Wille keinen Ein-

fluß auf den eingetretenen Ver-

luſt gehabt habe (welches falſch

wäre), ſondern daß der Mann

nicht durch eine poſitive Hand-

lung denſelben herbeygeführt hat.

(a) Ulpian. XIX. § 6, worin

|0582 : 568|

Beylage IX.

und zugleich die Verpflichtung, das Landgut von dem drit-

ten Beſitzer zu vindiciren. Verſäumte er dieſes, ſo daß

durch Uſucapion jenes Beſitzers das Eigenthum verloren

gieng, ſo war der Mann ſeiner Frau für dieſen Verluſt

verantwortlich, es müßte denn die Uſucapion ſo kurz nach

der Mancipation vollendet geweſen ſeyn, daß die unter-

laſſene Vindication nicht als Nachläſſigkeit angerechnet wer-

den konnte. Man könnte einwenden, dieſer Verluſt ſey

unmöglich geweſen, da das Veräußerungsverbot auch den

Verluſt durch Uſucapion umfaſſe; allein Dieſes iſt falſch

für den angegebenen Fall, da die Uſucapion ſchon vor

der Beſtellung der Dos anfieng, ſo daß der Mann nur

durch Unterlaſſung zur Uſucapion mitwirkte (b). Es iſt

anerkannt iſt, daß Grundſtücke

auch in Abweſenheit, alſo auch

ohne Rückſicht auf den gegenwär-

tigen Beſitz des Eigenthümers,

mancipirt werden konnten.

(b) Die hier im Text entwik-

kelten Gedanken ſollen als Er-

klärung dienen für die ſehr be-

ſtrittene L. 16 de fundo dot.

(23. 5.). Für das ältere Recht

macht alſo dieſe Stelle keine

Schwierigkeit; allein im Juſti-

nianiſchen können freylich die Fälle

auf dieſelbe Weiſe nicht mehr vor-

kommen. Denn hier wird ein

Grundſtück dotal nur durch Tra-

dition (L. 5 sol. matr., welche

ohne Zweifel interpolirt iſt), ſo

daß ein von einem Dritten be-

ſeſſenes Grundſtück vorläufig gar

nicht dotal gemacht werden kann.

Da indeſſen die hier aus dem al-

ten Recht hergenommene Erklä-

rung (wie ſogleich gezeigt wer-

den wird) gar nicht den poſiti-

ven und praktiſchen Inhalt der

Stelle betrifft, ſondern nur ei-

nen Einwurf und deſſen Beſeiti-

gung, alſo lediglich die Deduc-

tion, ſo kann wohl die Anwen-

dung des alten Rechts zur Er-

klärung der Stelle auf keine Weiſe

bedenklich gefunden werden. —

Der poſitive und praktiſche In-

halt iſt allein die Verantwortlich-

keit des Mannes für die ver-

ſäumte Vindication; dieſe aber

läßt ſich auch noch im neueſten

Recht in folgender Weiſe den-

ken. Wenn die Frau ihr in frem-

dem Uſucapionsbeſitz befindliches

Grundſtück dem Mann als Dos

|0583 : 569|

Schenkung durch bloße Unterlaſſungen.

nur wahr für den Fall, da der Mann das Dotalgrund-

ſtück ſelbſt veräußert hat; in dieſem Fall ſollte nicht blos

ſeine Mancipation, als unmittelbare Übertragung des qui-

ritariſchen Eigenthums, wirkungslos ſeyn, ſondern auch

die Tradition ſollte nicht, wie in anderen Fällen, die

Wirkung der Uſucapion haben, da ſonſt das ganze Ver-

bot äußerſt leicht umgangen werden konnte (c). In die-

ſem letzten Fall alſo iſt es nicht die unterlaſſene Verhin-

derung, wodurch die Uſucapion zu einer (verbotenen) Ver-

äußerung wird, ſondern die eigene poſitive Handlung des

Mannes, die dazu den Grund legte (d).

In dieſem Sinn iſt es zu nehmen, wenn Paulus in

L. 28 pr. de V. S. (50. 16.) ſagt: „Alienationis verbum

etiam usucapionem continet: vix est enim ut non videa-

tur alienare, qui patitur usucapi.” Wollte man dieſe

Stelle in der unbedingten Allgemeinheit nehmen, deren die

 

verſpricht, und ihm zugleich ihre

Vindication cedirt, ſo iſt zwar

das Grundſtück noch nicht dotal,

und von dem Veräußerungsver-

bot kann dabey noch gar nicht die

Rede ſeyn; dennoch iſt der Mann

für die rechtzeitige Anwendung

der Vindication verantwortlich,

und er muß den Werth des ver-

lornen Grundſtücks erſetzen, wenn

er durch ſeine Nachläſſigkeit die

Uſucapion ablaufen läßt.

(c) Wenn der Mann das Do-

talgrundſtück verkauft, ſo iſt der

Verkauf ungültig (L. 42 de usurp.

41. 3. „venditio non valet”);

daher iſt die Tradition ohne ju-

sta causa, und kann nicht ein-

mal eine Uſucapion herbeyführen.

(d) In demſelben Sinn, ob-

gleich zu anderem Zweck, ſagt

L. 33 de m. c. don. (39. 6.),

wenn der mortis causa Beſchenkte

uſucapire, ſo ſey ſein Erwerb (das

capere) abzuleiten nicht von dem

bisherigen Eigenthümer, „sed ab

eo qui occasionem usucapionis

praestitisset.” Auch in unſrem

Fall iſt es nur die occasio prae-

stita, nicht die Unterlaſſung, wo-

durch das Ganze zu einer, Ver-

äußerung wird.

|0584 : 570|

Beylage IX.

Worte allerdings empfänglich ſind, ſo würde ſie mit den

oben angegebenen klaren Ausſprüchen in Widerſtreit treten.

Es muß alſo hinzugedacht werden: wenn er ſelbſt zu die-

ſer Uſucapion den Grund gelegt hatte. Eine ſolche ein-

ſchränkende Erklärung iſt in ſo vielen Stellen der zwey

letzten Digeſtentitel nothwendig, und auch ſtets angewen-

det worden, daß ſie in dieſem einzelnen Fall keiner beſon-

deren Rechtfertigung bedarf.

V.

Dieſes Alles ſollte nur als Vorbereitung dienen zu un-

ſrer eigentlichen Frage, ob der Ehemann, der von der

Frau ſeine Sache uſucapiren laſſe, dadurch eine uner-

laubte Schenkung vornehme. Der Fall muß demnach ſo

gedacht werden, daß ein Fremder die Sache beſitzt und

der Frau tradirt, ſey es in Folge eines Verkaufs oder

einer Schenkung. Hier könnte der Mann gegen die Frau

eine Vindication anſtellen, er thut es aber nicht, und ſo

läuft die Uſucapionszcit ab; liegt nun darin eine verbo-

tene, alſo unwirkſame, Schenkung unter Ehegatten? Die-

ſes iſt der Fall, welcher in der viel beſprochenen L. 44

pr. de don. int. vir. (24. 1.) beurtheilt wird (a). Der

Fall läßt ſich zuerſt in einer ganz unzweifelhaften Geſtalt

 

(a) Dieſe Stelle habe ich frü-

her zu erklären verſucht in der

Zeitſchrift für geſchichtl. Rechts-

wiſſenſch. B. 1 S. 270. 421; in

der Hauptſache halte ich noch jetzt

dieſe Erklärung für wahr, und

nur einige Nebenpunkte werde

ich hier zu berichtigen ſuchen. Die

älteren Meynungen ſind in der

angeführten Abhandlung zuſam-

|0585 : 571|

Schenkung durch bloße Unterlaſſungen.

denken, und davon redet der erſte Theil der Stelle: wenn

bis zur vollendeten Uſucapion kein Theil von dem Eigen-

thum des Mannes Etwas erfährt, ſo iſt ganz gewiß keine

Schenkung vorhanden. Rechnen wir dieſe Geſtalt des

Falles ab, ſo bleiben noch folgende drey Möglichkeiten

für die Beurtheilung übrig: der Mann allein kann das

Eigenthum entdecken; oder die Frau allein; oder endlich

beide gemeinſchaftlich. Dieſe drey Geſtalten, in welchen

der allgemeine Fall erſcheinen kann, ſollen nunmehr ein-

zeln erwogen werden; und zwar zuerſt nach allgemeinen

Gründen, wodurch zur Erklärung der angeführten Stelle

der Weg gebahnt werden ſoll.

VI.

1) Der Mann allein entdeckt, daß er Eigenthümer iſt,

verſchweigt es aber ſeiner Frau, und läßt die Uſucapion

ablaufen, um die Frau zu bereichern. Iſt das eine wahre

Schenkung, und wird alſo der gewöhnliche Erfolg dieſes

Verfahrens durch das Verbot einer ſolchen Schenkung

verhindert?

 

Man könnte zuerſt das Daſeyn der Schenkung aus

dem Grund verneinen, weil eine Schenkung nicht ohne

Vertrag gedacht werden könne, der aber hier, wegen der

 

mengeſtellt. Gegen meine Erklä-

rung hat ſich ausgeſprochen ein

Recenſent in den Heidelberger

Jahrbüchern 1816 S. 107 — 111;

deſſen Meynung ſoll hier berück-

ſichtigt werden.

|0586 : 572|

Beylage IX.

Unwiſſenheit der Frau, unmöglich iſt (a). Allein es iſt in

der Lehre von der Schenkung gezeigt worden, daß dazu

auch einſeitige Handlungen des Gebers tauglich ſind (§ 160),

ſo daß alſo dieſer Grund nicht als entſcheidend gelten kann.

Will man in dem angegebenen Fall eine verbotene

Schenkung annehmen, ſo läßt ſich das in einem zwiefachen

Sinn denken: erſtlich direct, ſo daß nun überhaupt keine

Uſucapion einträte; zweytens indirect, indem zwar die Uſu-

capion ihre gewöhnliche Wirkung äußerte, hinterher aber

der Mann den verlornen Werth der Sache durch eine

Condiction zurück fordern könnte.

 

Das erſte aber iſt völlig unmöglich. Denn das Ver-

bot der Schenkung kann in keinem Fall eine größere Wir-

kung hervorbringen, als wenn das Gegentheil der als

Schenkung angeſehenen Thatſache Statt gefunden hätte;

ſo z. B., bey einer Schenkung durch Mancipation, wird

Alles ſo behandelt, als ob gar nicht mancipirt worden

wäre. In unſrem Fall alſo könnte aus der verbotenen

Unterlaſſung des Mannes höchſtens Daſſelbe folgen, was

folgen würde, wenn er Nichts unterlaſſen, ſondern gehan-

delt hätte. Worin konnte nun dieſes Handeln beſtehen?

Dejection iſt verboten, alſo mußte der Mann gegen ſeine

Frau vindiciren. Allein die Vindication hindert den Ab-

lauf der früher angefangenen Uſucapion niemals, ſondern

giebt nur dem Kläger das Recht, wenn der Richter die

 

(a) Dieſen Grund, den ich jetzt

aufgebe, hatte ich in der Zeit-

ſchrift a. a. O., S. 276, geltend

gemacht.

|0587 : 573|

Schenkung durch bloße Unterlaſſungen.

Klage gegründet findet, die Rückgabe des einſtweilen wirk-

lich verlornen Eigenthums zu fordern (b). Was nun die

angeſtellte Vindication als ſolche (c) nicht bewirken kann,

wird doch unmöglich durch die unterlaſſene Vindication

bewirkt werden können. Bey dem Nichtgebrauch der Ser-

vituten war es ganz anders. Dabey wäre durch das Ge-

gentheil der Unterlaſſung, nämlich ſchon durch eine einzige

Ausübung vor Ablauf der Zeit, der Untergang unfehlbar

verhindert worden; und dennoch ſollte die Verſäumniß den

Untergang nicht abwenden (Num. II.). Wie viel weniger

wird dieſes bey der Uſucapion die Verſäumniß vermögen!

Was nun die zweyte (die indirecte) Wirkung der ver-

botenen Schenkung betrifft, nämlich die Rückforderung der

uſucapirten Sache durch eine Condiction, ſo ſcheint dieſe

nach derſelben Analogie der durch verſäumte Ausübung

verlornen Servitut, behauptet werden zu müſſen (Num. II.);

dennoch halte ich auch Dieſes für bedenklich. Der weſent-

liche Unterſchied liegt nämlich darin, daß bey der Servi-

tut der Untergang die nothwendige und ausſchließende

 

(b) L. 18 de rei vind. (6. 1.).

„Si post acceptum judicium pos-

sessor usu hominem cepit, de-

bet eum tradere, eoque nomine

de dolo cavere: periculum est

enim, ne eum vel pigneraverit

vel manumiserit.” Der Kläger

hat alſo lediglich einen obligato-

riſchen Anſpruch, gegründet auf

die Litisconteſtation. Wenn der

Beſitzer den Sklaven nach Ab-

lauf der Uſucapionszeit gültig ver-

pfänden, ja ſelbſt manumittiren

konnte, ſo mußte er gewiß wah-

res Eigenthum erworben haben.

— Anſtatt tradere mag wohl der

Verfaſſer der Stelle geſchrieben

haben mancipare.

(c) Nämlich abgeſehen von der

vielleicht folgenden Verurtheilung

und Execution, die aber theils

ungewiß, theils von dem Willen

des Mannes unabhängig iſt.

|0588 : 574|

Beylage IX.

Folge der Verſäumniß iſt, bey der Uſucapion nicht. Denn

bey der Servitut erfolgt der Untergang unfehlbar, wenn

die Ausübung unterbleibt, ſelbſt wenn der Eigenthümer

die Sache nicht beſitzen ſollte (d); umgekehrt wird eben ſo

unfehlbar der Untergang abgewendet durch jede Ausübung.

Die Uſucapion dagegen kann verhindert werden ungeachtet

der Verſäumniß, wenn nämlich die Frau durch Zufall den

Beſitz verliert; umgekehrt wird die Gefahr des Verluſtes

nicht nothwendig abgewendet durch die Vorſicht des Man-

nes: denn wenn er auch vindicirt, kann er dennoch den

Prozeß verlieren durch Mangel an Beweismitteln, ſo wie

durch Irrthum oder böſen Willen des Richters. Dieſe

Unterlaſſung des Mannes iſt alſo nicht ſo, wie der Nicht-

gebrauch der Servitut, unfehlbare Zuwendung eines Ver-

mögensvortheils, folglich iſt auch kein Grund zu einer

Condiction vorhanden (e).

(d) Nur bey den servitutes

praediorum urbanorum iſt Die-

ſes anders, weil zu deren Ver-

luſt außer dem nonusus auch noch

eine beſondere libertatis usuca-

pio gefordert wird. L. 32 § 1

de serv. praed. urb. (8. 2.).

(e) Man könnte einwenden,

daß nach L. 16 de fundo dot.

(23. 5.) der Mann mit der do-

tis actio für die unterlaſſene Vin-

dication verantwortlich gemacht

wird (rem periculi sui fecit,

ſ. o. Num. IV.). Allein dieſe Ver-

pflichtung gründet ſich auf Culpa,

und bey deren Beurtheilung

kommt ſtets die Wahrſcheinlich-

keit des Erfolgs in Betracht. Das

juriſtiſche Weſen der Schenkung

dagegen kann nur da angenom-

men werden, wo die Bereicherung

aus dem Thun oder Laſſen des

Gebers nothwendig und ausſchlie-

ßend folgt, ſo daß ſie unter der

Vorausſetzung eines entgegenge-

ſetzten Verfahrens unfehlbar un-

terblieben wäre.

|0589 : 575|

Schenkung durch bloße Unterlaſſungen.

VII.

2) Die zweyte Möglichkeit beſteht darin, daß die Frau

allein (die uſucapirende Beſitzerin) das Eigenthum des

Mannes entdeckt.

 

Daß hier keine Schenkung entgegen ſteht, iſt ganz un-

zweifelhaft, da das Bewußtſeyn des Gebers, die Grund-

bedingung aller Schenkung, gänzlich fehlt; nach Römi-

ſchem Recht würde in dieſem Fall überhaupt Nichts der

Uſucapion im Wege ſtehen. Allein der Beſitz der Frau

wird durch ihre Entdeckung des fremden Eigenthums ein

unredlicher; und da das canoniſche Recht, abweichend von

dem Römiſchen, nicht blos für den Anfang des Beſitzes,

ſondern für deſſen ganze Dauer, redliches Bewußtſeyn des

Beſitzers fordert, ſo wird durch jene Entdeckung die Mög-

lichkeit der Uſucapion ganz ausgeſchloſſen, welche Aus-

ſchließung alſo mit dem Verbot der Schenkung gar keinen

Zuſammenhang hat.

 

VIII.

3) Es bleibt endlich noch der Fall zu betrachten übrig,

da Mann und Frau zugleich das Eigenthum des Mannes

erfahren, und über die Fortſetzung des Beſitzes und der

Uſucapion einverſtanden ſind.

 

Auch hier könnte man zunächſt wieder an ein unred-

liches Bewußtſeyn der Frau denken, da ſie von dem frem-

den Eigenthum Kenntniß bekommt. Allein dieſer Umſtand

 

|0590 : 576|

Beylage IX.

allein würde ihr nicht im Wege ſtehen, da der Eigenthü-

mer in die Fortſetzung des Beſitzes einwilligt. Dagegen

tritt in dieſem Fall in der That die verbotene Schenkung

als Hinderniß ein, wodurch die Uſucapion ausgeſchloſ-

ſen wird.

Das Rechtsverhältniß iſt nämlich vollſtändig ſo zu den-

ken. Indem beide Theile von dem Eigenthum des Man-

nes überzeugt ſind, ſo daß es nur von ſeinem Willen ab-

hängen würde, den Beſitz ſogleich wieder zu erhalten, er

aber von dieſer Möglichkeit freywillig keinen Gebrauch

macht, ſo liegt darin eine wahre Schenkung. Es iſt hier

ſo zu betrachten, als hätte die Frau die Sache ihrem

Manne zurückgegeben, und unmittelbar aus ſeinen Hän-

den wieder empfangen. Völlig derſelbe Hergang kommt

auch unter anderen Umſtänden unzweifelhaft vor. Wenn

meine Sache in fremdem Beſitz iſt, und ich den Beſitzer

(in Folge eines Kaufs oder einer Schenkung) zum Eigen-

thümer machen will, ſo wird er es unmittelbar, ohne ſicht-

bar hervortretende Handlung (a); dieſes geſchieht durch ein

ſogenanntes constitutum possessorium mit unmittelbar

darauf folgender brevi manu traditio. In ſolchen Fällen

alſo kann man ſagen, was Ulpian von dem Fall ſagt,

da ich meinem Schuldner auftrage, das Geld, welches er

mir zahlen will, einem Dritten zu bezahlen: es ſey ſo an-

 

(a) L. 21 § 1 de adqu. rer.

dom. (41. 1.). „Si rem meam

possideas, et eam velim tuam

esse: fiet tua, quamvis posses-

sio apud me non fuerit.” Eben

ſo L. 46 de rei vind. „domini-

um statim ad possessorem

pertinet.”

|0591 : 577|

Schenkung durch bloße Unterlaſſungen.

zuſehen, als ſey das Geld zuerſt von dem Schuldner mir,

dann von mir dem Dritten übergeben worden; „nam ce-

leritate conjungendarum inter se actionum unam actio-

nem occultari” (b).

Alſo auch in unſrem Fall iſt es ganz ſo anzuſehen,

als hätte die Frau die Sache dem Mann, deſſen Eigen-

thum ſie anerkennt, wirklich zurück gegeben, und als ein

Geſchenk aus ſeiner Hand wieder empfangen; durch die

Rückgabe iſt die bisher laufende Uſucapion unterbrochen,

und mit dem neuen Empfang würde eine neue pro dona-

tio usucapio anfangen, wenn nicht dieſe Schenkung, als

nichtige Handlung, zur justa causa ganz untauglich wäre.

So muß alſo in dieſem Fall die Uſucapion der Frau un-

möglich werden.

 

Auf den erſten Blick nun könnte man glauben, daß

wenigſtens in dieſem Fall das bloße Unterlaſſen des Man-

nes als Schenkung gelte; in der That aber iſt es ein po-

ſitives, nur verſtecktes, Handeln deſſelben, welches hier

die Schenkung ausmacht.

 

Der angegebene Grund der Entſcheidung kann zugleich

als Beſtätigung dienen für die entgegengeſetzte Entſchei-

dung des erſten Falles (Num. VI.). Denn welche Kraft

auch man dem einſeitigen Wiſſen und Wollen des Man-

nes beylegen möge, ſo wird doch Jeder zugeben, daß da-

durch der Beſitz der Frau nicht aufgehoben wird; gerade

in dieſem aufgehobenen Beſitz der Frau liegt aber der

 

(b) L. 3 § 12 de don. int. vir. (24. 1.).

IV. 37

|0592 : 578|

Beylage IX.

Grund, wodurch die Fortſetzung und Vollendung der bis-

her laufenden Uſucapion in dem dritten Fall unmög-

lich wird.

IX.

Nachdem nun die einzelnen Fälle aus allgemeinen Ge-

ſichtspunkten betrachtet worden ſind, ſoll die Beſtätigung

der aufgeſtellten Behauptungen in der oben angeführten

Stelle (L. 44 de don. int. vir. et ux.) nachgewieſen wer-

den. Der erſte Theil derſelben enthält den ohnehin un-

zweifelhaften Satz, daß die Uſucapion der Frau unbedenk-

lich iſt, wenn keinem Theil das Eigenthum des Mannes

bekannt wird. Hierauf folgen (nach meiner Abtheilung

und Erklärung) die zwey letzten der drey ſo eben beur-

theilten Fälle, und zwar zuerſt der dritte, dann der zweyte;

der erſte wird gar nicht erwähnt. Der dritte Fall iſt in

folgenden Worten enthalten:

Sed si vir rescierit suam rem esse priusquam usuca-

piatur, vindicareque eam poterit nec volet, et hoc et

mulier noverit, interrumpetur possessio, quia transiit

in causam ab eo factae donationis.

 

In dieſen Worten finde ich die vollſtändige Beſtäti-

gung des ſo eben (Num. VIII.) entwickelten juriſtiſchen

Hergangs. Da es jetzt ſo zu betrachten iſt, als hätte die

Frau den Beſitz dem Mann zurück gegeben, und von ihm

wieder empfangen, ſo iſt ihr bisheriger Beſitz wirklich un-

terbrochen (interrumpetur possessio). Ihre bisherige caus

 

|0593 : 579|

Schenkung durch bloße Unterlaſſungen.

possidendi (die erlaubte Schenkung des Dritten) hat alſo

aufgehört zu wirken, und es iſt an die Stelle getreten ein

neuer Beſitz mit einer neuen causa, nämlich der verbote-

nen Schenkung unter Ehegatten, worauf ſich keine Uſuca-

pion gründen kann (transiit in causam ab eo factae do-

nationis).

Hierauf folgt die Betrachtung des zweyten Falles

(Num. VII.) in folgenden Worten:

Ipsius mulieris scientia propins est, ut nullum adqui-

sitioni dominii ejus adferat impedimentum: non enim

omnimodo uxores ex bonis virorum, sed ex causa do-

nationis ab ipsis factae, adquirere prohibitae sunt.

 

Das heißt: wenn das Eigenthum des Mannes nicht

beiden Ehegatten, ſondern nur der Frau allein, bekannt

wird (a), ſo ſchadet Das der Uſucapion nicht, da den

Frauen nicht jeder Erwerb aus des Mannes Vermögen,

ſondern nur der auf des Mannes Schenkung gegründete,

unterſagt iſt, welche Schenkung aber, wegen des Mannes

Unwiſſenheit, hier gar nicht denkbar iſt.

 

Der erſte Fall (da blos der Mann um das Eigenthum

weiß) wird in der Stelle nicht berührt; man kann aber

wohl annehmen, daß Neratius in dieſem Fall, eben ſo

wie in dem zuletzt erwähnten zweyten Fall, die Uſucapion

zulaſſen will: ſonſt hätte er ſchwerlich das Mitwiſſen der

 

(a) Ipsius alſo ſteht hier für

solius, folglich als Gegenſatz von

utriusque. Dieſe Bedeutung von

ipse iſt nach anderen Stellen un-

zweifelhaft. Vgl. L. 17 § 2 de

praescr. verb. (19. 5.), L. 21

de damno infecto (39. 2.), Ga-

jus I. § 190, Ulpian. XIX. § 7.

37*

|0594 : 580|

Beylage IX.

Frau ausdrücklich als Bedingung der ausgeſchloſſenen Uſu-

capion bezeichnet (et hoc et mulier noverit, welches ja

unter Vorausſetzung einer entgegengeſetzten Meynung ganz

gleichgültig geweſen wäre).

X.

Die gewöhnliche Interpunktion der Stelle weicht von

der hier angenommenen in folgender Weiſe ab:

quia transiit in causam ab eo factae donationis ipsius

mulieris scientia. Propius est ut nullum .. adferat

impedimentum.

 

Hiernach würde die zweyte Hälfte der ganzen Stelle

nicht, wie ich annehme, zwey Fälle zum Gegenſtand ha-

ben, ſondern allein den Fall des beiderſeitigen Wiſſens.

Da nun aber, nach dieſer Interpunktion, ein Widerſpruch

zwiſchen dem interrumpetur possessio und den Worten:

nullum .. adferat impedimentum entſtehen würde, ſo ha-

ben ſich von jeher die Meiſten dadurch zu helfen geſucht,

daß ſie hinter mulieris scientia den Punkt in ein Frage-

zeichen verwandelt haben. Dadurch werden die Worte

interrumpetur possessio zu einer bloßen Frage, und die

folgenden Worte enthalten die verneinende Antwort, wo-

durch allerdings der Widerſpruch beſeitigt wird; das Re-

ſultat der Stelle iſt dem von mir angenommenen gerade

entgegengeſetzt. Wie wenig aber, auf dieſe Interpunktion

gebaut, eine befriedigende Erklärung bisher gelingen wollte,

 

|0595 : 581|

Schenkung durch bloße Unterlaſſungen.

habe ich in meiner früheren Abhandlung (Num. V. a) zu

zeigen verſucht.

Neuerlich hat ſich nun für dieſelbe Interpunktion der

Heidelberger Recenſent meiner Abhandlung ausgeſprochen,

und deſſen Erklärung iſt jetzt noch in Erwägung zu zie-

hen. Er nimmt an, die Schenkung des Dritten wirke

ſtets fort, und die auf ſie gegründete Uſucapion gebe der

Frau wirklich das Eigenthum. Daneben aber beſtehe auch

eine wirkliche Schenkung des Mannes an die Frau (a),

wodurch die Uſucapion zwar nicht begründet, aber auch

nicht gehindert werde. — Aus zwey Gründen kann ich

dieſe Erklärung nicht für zuläſſig halten. Erſtlich ſteht

ſie im Widerſpuch mit dem Ausdruck transiit. Dieſer kann

nur gebraucht werden, wo das eine Verhältniß verſchwin-

det, ein anderes an deſſen Stelle tritt, nicht wenn beide

neben einander beſtehen; ſo z. B. kann man von einer

Schuld bey der Novation wohl ſagen: transit in expro-

missorem, aber gewiß nicht bey der Bürgſchaft: transit

in fidejussorem. Zweytens iſt nicht einzuſehen, welche

Bereicherung nach dieſer Annahme durch des Mannes

Schenkung eigentlich bewirkt werden ſollte. Die b. f. pos-

sessio hat die Frau durch die Schenkung des Dritten er-

halten, die Uſucapion ſoll gleichfalls eine Folge derſelben

 

(a) Die wirkliche Schenkung

des Mannes ſieht ſich auch der Rec.

genöthigt anzunehmen (S. 108.

109), und zwar wegen der Worte

quia transiit, die nicht proble-

matiſch gefaßt ſind (wie wenn es

hieße: quasi transeat), ſondern

aſſertoriſch, alſo nicht einen Theil

des in Frage geſtellten Satzes

bilden können.

|0596 : 582|

Beylage IX.

ſeyn, es bleibt alſo gar Nichts übrig, was die Frau der

Liberalität des Mannes zu verdanken hätte, und wodurch

wir veranlaßt werden könnten, eine Schenkung des Man-

nes zu behaupten, wie es doch hier anerkanntermaßen von

Neratius geſchieht; Alles, was ſie nach jener Erklärung

bekommt, würde ſie auch bekommen, wenn der Mann ſein

Eigenthum nicht erfahren hätte.

XI.

Eine fernere Unterlaſſung, wodurch ein Ehegatte den

andern bereichern kann, findet ſich bey der Klagverjäh-

rung. Wenn alſo der Mann gegen ſeine Frau eine Schuld-

klage hat, und die Verjährung derſelben wiſſentlich ab-

laufen läßt, liegt darin etwa eine verbotene Schenkung?

 

Eine ausdrückliche Erklärung unſrer Rechtsquellen fin-

den wir hierüber nicht. Halten wir uns blos an die Ana-

logie der Uſucapion, ſo müſſen wir zuerſt ſagen, der Ab-

lauf der Verjährung werde an ſich nicht verhindert, es

werde alſo wirklich dem Schuldner die temporalis prae-

scriptio erworben. Wir müſſen auch hinzufügen, es liege

darin nicht einmal eine indirecte ganz ſichere Bereicherung,

indem hier, wie bey der Uſucapion, wenn auch wirklich

die Klage angeſtellt wurde, dennoch der Erfolg derſelben

ungewiß blieb. Ja es kann bey der Klagverjährung nicht

einmal der Fall vorkommen, der durch Unterbrechung des

Beſitzes die bisher laufende Uſucapion in der That ſtören

konnte (Num. VIII.). Zur Unterſtützung dieſer Anſicht

 

|0597 : 583|

Schenkung durch bloße Unterlaſſungen.

kann man auch noch folgenden Grund anführen. In der

Lehre von der Schenkung iſt dargethan worden, daß die

Zahlung oder Expromiſſion einer naturalis obligatio nicht

als Schenkung gelte (§ 149. a. i). Da nun durch die

Klagverjährung lediglich eine civilis obligatio in eine na-

turalis verwandelt wird, ſo ſcheint auch dieſe umgekehrte

Veränderung nicht als Schenkung betrachtet werden zu

dürfen (a).

Man könnte jedoch folgende Einwendung verſuchen.

Wenn ein inſolventer Schuldner die ihm zuſtehende Klage

wiſſentlich durch Verjährung untergehen läßt, ſo kann al-

lerdings die Pauliana actio gegen den befreyten Beklagten

angeſtellt werden; eben ſo verhält es ſich mit der Fa-

viana (b). Hierin ſcheint alſo ein ſolches Verfahren in der

That als wahre Veräußerung anerkannt zu ſeyn. Indeſ-

ſen iſt dieſe Analogie nicht entſcheidend, weil bey den er-

wähnten beiden Klagen eine größere Strenge durch die

Unredlichkeit des Schuldners oder des Freygelaſſenen wohl

gerechtfertigt werden kann.

 

(a) Für ganz entſcheidend dürfte

indeſſen dieſer Grund nicht gel-

ten. Die naturalis obligatio hat

ihren Halt, abgeſehen von zufäl-

ligen Zwangsmitteln, in der recht-

lichen Geſinnung des Schuldners,

und darum hauptſächlich gilt hier

die freywillige Zahlung oder Ex-

promiſſion nicht als Schenkung,

ſondern als gewöhnliche Schul-

denzahlung. Wenn aber der Glau-

biger die Klagverjährung wiſſent-

lich ablaufen läßt, welches nur

eine Form des Erlaſſes iſt, ſo iſt

durch deſſen Willen in dem Schuld-

ner jener Beweggrund (der frey-

willigen Pflichterfüllung) aufge-

hoben.

(b) L. 3 § 1 quae in fraud.

(42. 8.) „vel a debitore non pe-

tit, ut tempore liberetur.” L. 1

§ 7. 8 si quid in fraud. (38. 5.).

Vgl. § 145. u.

|0598 : 584|

Beylage IX.

XII.

Auf ähnliche Weiſe, wie durch Klagverjährung, konnte

im älteren Prozeß der Klagberechtigte ſeinen Anſpruch ent-

kräften, wenn er die Klage durch Prozeßverjährung

untergehen ließ, oder durch Ausbleiben vor Gericht die

Abweiſung der Klage bewirkte (a). Ich glaube, daß dieſe

Unterlaſſungen aus denſelben Gründen, wie die zugelaſ-

ſene Klagverjährung, nicht als Schenkung gelten konnten.

 

XIII.

Dagegen hat es eine ganz andere Natur, wenn der

Kläger ſeine Klage abſichtlich durch eine Exception des

Beklagten entkräften läßt, das heißt indem er es unter-

läßt, die wirklich begründete Vertheidigung gegen jene Ex-

ception vorzubringen. Dieſes iſt eine wahre Schenkung,

und begründet daher unter Ehegatten eine Rückforderung

durch Condiction (a). Eben ſo muß es ſich umgekehrt ver-

halten, wenn der Beklagte eine ihm zuſtehende Exception

nicht vorbringt, und dadurch die Verurtheilung hervor-

bringt; es iſt dieſes eine indirecte Weiſe, in ein Schuld-

verhältniß freywillig einzutreten zur Bereicherung des Geg-

ners (vgl. § 157. o. p).

 

(a) Dieſe Fälle werden bey der

Pauliana erwähnt. L. 3 § 1 quae

in fraud. (42. 8.) „.. si forte

data opera ad judicium non ad-

fuit, vel litem mori patiatur.”

Über das litem mori vgl. Ga-

jus IV. § 105. 106.

(a) L. 5 § 7 de don. int. vir.

(24. 1.). Vgl. § 158. k. l. Es iſt

nämlich nur eine Form für den

Erlaß der Schuld.

|0599 : 585|

Schenkung durch bloße Unterlaſſungen.

Der Unterſchied dieſer Fälle von der zugelaſſenen Klag-

verjährung liegt aber in Folgendem. Die ganze Prozeß-

führung muß als ein untrennbares Ganze angeſehen wer-

den, worin Thun und Laſſen nicht abgeſondert betrachtet

werden können. Es iſt alſo in den zuletzt erwähnten Fäl-

len ſtets anzunehmen, daß die eine Partey durch die Art

ihrer Prozeßführung, alſo durch poſitive Thätigkeit, den

Verluſt des Prozeſſes abſichtlich herbeygeführt hat.

 

XIV.

Eine beſondere Betrachtung verdient noch die Regel

des älteren Rechts, nach welcher die Forderung eines

Glaubigers an Sponſoren und Fidepromiſſoren nur zwey

Jahre dauern, alſo durch Ablauf dieſer Zeit ipso jure

untergehen ſollte (a). Hatte nun der Mann bey ſeiner

Frau in dieſen Formen für einen Dritten Bürgſchaft ge-

leiſtet, und ließ die Frau die zwey Jahre ohne Klage ab-

ſichtlich verſtreichen, ſo war dieſes ſo gut als ein Erlaß

der Bürgſchaft, und könnte daher als Schenkung angeſe-

hen werden. In der That hat dieſer Fall große Ähnlich-

keit mit dem Untergang der Servituten durch Nichtge-

brauch, welcher auch ipso jure eintritt, und in welchem

wirklich eine Schenkung angenommen wird (Num. II.).

Dennoch aber iſt in dieſem Fall keine Schenkung anzuneh-

men, weil überhaupt der einem Bürgen gewährte Erlaß

ſeiner Verbindlichkeit keine wahre Schenkung iſt (§ 158).

 

(a) Gajus III. § 121.

|0600 : 586|

Beylage IX.

XV.

Alles, was bisher über die Schenkungsnatur bloßer

Unterlaſſungen in Anwendung auf Ehegatten ausgeführt

worden iſt, muß nun eben ſo auch auf die Inſinuation

und Revocation der Schenkungen angewendet werden. Auch

hier alſo wird in den meiſten Fällen der bloßen Unterlaſ-

ſung das Daſeyn einer Schenkung verneint werden müſ-

ſen; in den Fällen aber, worin unter Ehegatten eine

Schenkung angenommen wurde, muß ſie auch in dieſen

Anwendungen gelten. Wenn alſo eine Servitut durch ab-

ſichtlichen Nichtgebrauch des Inhabers untergeht, ſo iſt

dabey freylich eine Inſinuation gar nicht denkbar; es kann

aber der Werth derſelben, ſoweit er 500 Dukaten über-

ſteigt, als ungültig geſchenkt zurückgefordert werden. Eben

ſo kann der Inhaber dieſe durch ſeinen Willen zerſtörte

Servitut wegen Undankbarkeit des beſchenkten Eigenthü-

mers zurückfordern. — Daſſelbe muß gelten, wenn wäh-

rend einer laufenden Uſucapion der Eigenthümer und der

Beſitzer das wahre Rechtsverhältniß erfahren, und über

die Fortſetzung und Vollendung des Uſucapionsbeſitzes ein-

verſtanden ſind. Wegen Undankbarkeit kann hier ſtets wi-

derrufen werden, und wenn die Sache mehr werth iſt als

500 Dukaten, ſo iſt die Schenkung theilweiſe nichtig.

 

|0601 : 587|

Einfluß der Schenkung auf dritte Perſonen.

Beylage X.

Einfluß der Schenkung auf dritte Perſonen.

(Zu § 157. 158. 163. 167. 169.)

I.

Etiam per interpositam personam donatio consummari

potest ſagt Paulus in L. 4 de donat. (39. 5.). Den Wor-

ten nach könnte Dieſes gehen auf ſolche Fälle, da eine

fremde Perſon blos als Werkzeug der Ausführung ge-

braucht wird, indem etwa das Geſchenk durch einen Bo-

ten des Gebers überbracht, oder durch einen Boten des

Empfängers abgeholt wird. Es iſt aber dabey vielmehr

an diejenigen Fälle zu denken, da die Schenkung vermit-

telſt eines wirklichen, mit einer dritten Perſon abgeſchloſ-

ſenen, Rechtsgeſchäfts bewirkt werden ſoll. Trifft nun

ein ſolches Verfahren zuſammen mit einer, gerade dieſe

Schenkung einſchränkenden, Rechtsregel, iſt es z. B. auf

die Bereicherung eines Ehegatten abgeſehen, ſo entſteht die

Frage, ob dieſe Rechtsregel auch auf das Rechtsgeſchäft

mit jenem Dritten zurückwirkt, oder ob daſſelbe unberührt

davon bleibt. Ich will zuerſt Dasjenige zuſammen ſtellen,

was ſich über dieſe Frage unmittelbar in unſren Rechts-

quellen findet, und dann die darin nicht berührten Anwen-

dungen beſonders unterſuchen.

 

|0602 : 588|

Beylage X.

II.

Bey der Schenkung unter Ehegatten wird zuerſt das

allgemeine Princip ausgeſprochen, daß in ſolchen Fällen

auch das mit dem Dritten abgeſchloſſene Rechtsgeſchäft

völlig nichtig ſey (a).

 

Die einfachſte Anwendung dieſes Princips iſt folgende.

Der Mann beſchenkt ſeine Frau durch eine Liberation, in-

dem er ihrem Glaubiger für ſie expromittirt. Hier iſt

Alles nichtig, ſowohl die Verbindlichkeit des Mannes ge-

gen den Glaubiger, als die Befreyung der Frau; Alles

bleibt in dem früheren Zuſtand (b). — Schlechthin nöthig

zur Aufrechthaltung des Verbots war dieſe Behandlung

nicht, denn man konnte auch die Verbindlichkeit und die

Befreyung gelten laſſen, und nur dem Mann eine Con-

diction gegen die Frau geben, wie wenn er ihr baares

Geld geſchenkt hätte. Allein ſicherer durchgreifend war

jene Behandlung allerdings, indem nun das Verbot nicht

durch zufällige Umſtände, z. B. durch Inſolvenz der Frau,

unwirkſam gemacht werden konnte.

 

(a) L. 5 § 2 de don. int. vir.

(24. 1.). „Generaliter tenendum

est, quod inter ipsos, aut qui

ad eos pertinent, aut per in-

terpositas personas donationis

causa agatur, non valere.” —

Von dieſer Anwendung handelt

Heldewier de donatione inter

conjuges per alium facta pro-

hibita Lugd. Bat. 1777. 4; er

faßt jedoch die Frage viel zu ein-

ſeitig auf.

(b) L. 5 § 4 de don. int. vir.

(24. 1.). „Si uxor viri credi-

tori donationis causa promise-

rit et fidejussorem dederit, ne-

que virum liberari, neque mu-

lierem obligari vel fidejusso-

rem ejus, Julianus ait: perin-

deque haberi, ac si nihil pro-

misisset.”

|0603 : 589|

Einfluß der Schenkung auf dritte Perſonen.

III.

Ganz eben ſo verhält es ſich, wenn das Geſchenk in

einer verſchafften Schuldforderung beſteht, das heißt wenn

der Mann ſeinem Schuldner aufträgt, ſeiner Frau zu ex-

promittiren. Auch hier iſt wieder Alles nichtig, indem der

Schuldner weder gegen den Mann befreyt, noch gegen

die Frau verpflichtet wird (a).

 

Merkwürdig iſt hierbey noch die fernere Entwicklung

eines ſolchen Rechtsgeſchäfts. Wenn in anderen Fällen

eines nichtigen Geſchäfts aus Irrthum gezahlt wird, ſo

iſt die Zahlung an ſich gültig, das Eigenthum des Geldes

geht über, und der Zahlende hat nur eine indebiti con-

dictio auf Rückgabe einer gleichen Summe (b). Hier iſt

es anders. Wenn der delegirte Schuldner des Mannes

an die Frau zahlt, ſo iſt auch dieſe Zahlung nichtig; der

Schuldner kann das gezahlte Geld, ſo lange es vorräthig

iſt, vindiciren, und nach der Conſumtion condiciren: gegen

den Mann wird er durch dieſe Zahlung eben ſo wenig

 

(a) L. 5 § 3 de don. int. vir.

(24. 1.) „Si debitor viri pecu-

niam, jussu mariti, uxori pro-

miserit, nihil agitur.” L. 39

eod. „ … Respondi, inanem

fuisse eam stipulationem.” —

Eben ſo iſt es auch, wenn der

Delegirte nicht ein bisheriger

Schuldner des Gebers iſt, ſon-

dern nur im Auftrag deſſelben

dem Empfänger promittirt, wo-

durch ihm der Geber mit der man-

dati actio verpflichtet wird. Die-

ſer Fall kommt vor in L. 52 § 1

eod. (nur mit einer größeren Ver-

wicklung, weil es zugleich mortis

causa donatio iſt) „.. defuncto

viro viva muliere, stipulatio

solvitur … nam quo casu in-

ter exteros condictio nascitur,

inter maritos nihil agitur.”

Vgl. § 157. s1, § 171. m.

(b) L. 23 pr. § 1. 2, L. 41 de

cond. indeb. (12. 6.).

|0604 : 590|

Beylage X.

ipso jure frey, als vorher durch die Expromiſſion. Da

er aber nach dem Willen des Mannes gezahlt hat, ſo

ſchützt er ſich gegen deſſen Schuldklage durch eine doli

exceptio, wobey er jedoch ſeine Vindication des vorräthi-

gen Geldes dem Manne cediren muß. Für die Condiction

bedarf es nicht einmal einer Ceſſion; denn da die Frau

um das conſumirte (nicht etwa verſchwendete) Geld durch

Vermittlung des Mannes reicher geworden iſt, ſo hat der-

ſelbe gegen ſie die Condiction ſchon unmittelbar (c). —

Daſſelbe, was hier als beſondere Folge der Zahlung aus

der nichtigerweiſe übernommenen Schuld geſagt worden

iſt, muß eben ſo auch in dem vorher erwähnten Fall, da

die Schenkung durch Liberation der Frau bewirkt werden

ſollte, gelten (Num. II.).

IV.

Daſſelbe ſcheint nun auch gelten zu müſſen, wenn der

Mann ſeinem Schuldner aufträgt, die Schuld an die Frau

zu zahlen, welche dadurch beſchenkt werden ſoll; der Schuld-

ner müßte verpflichtet bleiben, und das gezahlte Geld

durch Vindication von der Frau wieder fordern. Hier iſt

es jedoch anders, in Folge der freyeren Entwicklung, die

in der Lehre vom Beſitz eingetreten iſt. Es wird nämlich

ſo betrachtet, als wäre das Geld von dem Schuldner an

 

(c) Dieſes iſt der Inhalt der

merkwürdigen, von Julian her-

rührenden, L. 39 de don. int.

vir. (24. 1.), deren erſter Theil

ſchon in Note a benutzt wor-

den iſt.

|0605 : 591|

Einfluß der Schenkung auf dritte Perſonen.

den Mann, von dieſem an die Frau gegeben worden. Da-

her wird der Schuldner frey, und der Mann hat die ge-

wöhnlichen Rechtsmittel gegen die Frau (a). Ganz daſ-

ſelbe gilt, wenn der Mann die Zahlung an die Frau nicht

ſeinem Schuldner aufträgt, ſondern Dem welcher ihn be-

ſchenken will; der Mann wird Eigenthümer, und fordert

die Sache von der Frau zurück (b). Eben ſo auch, wenn

der Dritte weder um eine Schuld zu zahlen, noch um dem

Manne zu ſchenken, ſondern nur in Folge eines Mandats

des Mannes, der Frau tradirt (c).

Eben ſo aber wird es ſich auch verhalten, wenn der

Mann ſeine Frau dadurch beſchenken will, daß er ihrem

Glaubiger baare Zahlung leiſtet. Nach der Strenge des

 

(a) L. 3 § 12 de don. int. vir.

(24. 1.) von Ulpian, welcher ſich

auf das Zeugniß des (jüngeren)

Celſus beruft. Von demſelben

Fall ſagt L. 26 pr. eod. nur, daß

die Frau keinen Civilbeſitz (alſo

noch weniger Eigenthum) erwer-

be; wer nun das Eigenthum habe,

wird nicht ausgedrückt. — Als wi-

derſprechend könnte man anſehen

L. 39 eod. (Num. III.), nach wel-

cher der Schuldner Eigenthümer

des Geldes bleiben ſoll; allein

dieſer zahlte nicht in Auftrag des

Mannes, ſondern um ſeine ei-

gene Obligation, die er für gül-

tig übernommen hielt, zu tilgen:

er hatte alſo gar nicht die Ab-

ſicht, den Mann zum Beſitzer und

Eigenthümer des Geldes zu ma-

chen, welches doch die Grundlage

jedes constituti possessorii ſeyn

muß.

(b) L. 3 § 13 de don. int.

vir. (24. 1) von Ulpian, der ſich

auf die Autorität des Julian be-

ruft. Daſſelbe ſagt in L. 4 eod.

Julian ſelbſt von einem Fall,

worin der Dritte dem Mann mor-

tis causa ſchenken will. Dieſer

letzte Fall kommt auch noch vor

in L. 56 eod, worin jedoch Scä-

vola blos die Ungültigkeit der Tra-

dition an die Frau ausſpricht, ohne

das Schickſal des Eigenthums nä-

her zu beſtimmen.

(c) L. 52 § 1 de don. int. vir.

(24. 1.) „.. ut traditio, quae

mandante uxore mortis causa

facta est. Vergl. Num. III. a,

und § 157. s1.

|0606 : 592|

Beylage X.

älteren Rechts wäre hier gar Nichts geſchehen, die Frau

bliebe Schuldnerin, der Mann könnte das Geld vindici-

ren, oder, wenn es ausgegeben iſt, condiciren. Nach der

eben dargeſtellten freyeren Behandlung iſt es, als ob das

Geld von dem Mann an die Frau, von der Frau an den

Schuldner, gegeben wäre. Die Frau hat alſo Beſitz des

Geldes erworben, aber kein Eigenthum. Sie hat alſo ih-

ren Glaubiger mit fremdem Gelde bezahlt, welche Zah-

lung zunächſt ungültig iſt, durch die Conſumtion aber

gültig wird (d). Daher kann der Mann das Geld vindi-

ciren, ſo lange es der Glaubiger abgeſondert vorräthig

hat; iſt es ausgegeben, ſo wird die Frau von ihrer Schuld

frey, und nun hat der Mann gegen ſie die gewöhnliche

Condiction, wie aus jeder anderen Bereicherung. Es iſt

ganz zufällig, daß dieſer Fall nicht ſo, wie der vorige,

in unſren Quellen erwähnt worden iſt.

V.

Mit den ſo eben entwickelten Regeln ſcheint jedoch fol-

gende Stelle des Afrikanus im Widerſpruch zu ſtehen:

 

L. 38 § 1 de solut. (46. 3.).

Si debitorem meum jusserim Titio solvere, deinde

Titium vetuerim accipere, et debitor ignorans sol-

verit: ita eum liberari existimavit, si non ea mente

Titius numos acceperit, ut eos lucretur: alioquin,

quoniam furtum eorum sit facturus, mansuros eos

 

(d) L. 17 de solut. (46. 3.), L. 19 § 1 de reb. cred. (12. 1.).

|0607 : 593|

Einfluß der Schenkung auf dritte Perſonen.

debitoris: et ideo liberationem quidem ipso jure non

posse contingere debitori, exceptione tamen eum suc-

curri aequum esse, si paratus sit condictionem fur-

tivam, quam adversus Titium habet, mihi praestare:

(sicuti servatur, cum maritus uxori donaturus, de-

bitorem suum jubeat solvere. Nam ibi quoque,

quia numi mulieris non fiunt, debitorem non li-

berari: sed exceptione eum adversus maritum tuen-

dum esse, si condictionem, quam adversus mulie-

rem habet, praestet)(a).

Furti tamen actionem in proposito(b)mihi post di-

vortium(c)competituram, quando mea intersit in-

terceptos numos non esse.

(a) Die letzten Worte (si con-

dictionem … praestet) ſind mit

Unrecht in der Göttinger, ſo wie

in neueren, Ausgaben als For-

mel der Exception abgedruckt. Die

Exceptionen wurden negativ aus-

gedrückt, wie es Gajus IV. § 119

allgemein ſagt, und womit viele

Beyſpiele in den Digeſten über-

einſtimmen. Die Exception iſt

hier keine andere als die doli

exceptio.

(b) in proposito, das heißt

in dem Rechtsfall, wovon die

ganze Stelle eigentlich handelt,

und in welchen der Fall von der

Schenkung unter Ehegatten nur

zur Vergleichung eingeſchaltet war.

(c) Die Worte post divortium

machen die Stelle ganz ſinnlos.

Auf den erſten Fall paſſen ſie

nicht, weil in demſelben von kei-

ner Ehe die Rede war; auf den

zweyten nicht, weil in demſelben

gar nicht die Möglichkeit eines

Diebſtahls vorhanden iſt. Ohne

Zweifel beruhen ſie auf einer un-

geſchickten Interpolation, wodurch

die Compilatoren, die aus Über-

eilung den Schluß der Stelle auf

den eingeſchalteten Fall bezogen,

nicht ſowohl die Stelle ändern,

als vielmehr dem Leſer einſchär-

fen wollten, daß während der Ehe

die furti actio nicht gelte. So

werden die Worte auch von der

Gloſſe aufgefaßt, die freylich an

eine Interpolation nicht denkt. —

Dieſe ganze Erklärung rührt übri-

gens nicht von mir her, ſondern

von Ant. Faber conjectur. III. 19.

IV. 38

|0608 : 594|

Beylage X.

Der Juriſt ſpricht im Anfang und am Schluß der

Stelle von einem Fall, der unſre gegenwärtige Frage gar

nicht berührt. Blos zur Vergleichung zieht er den Fall

von einer Schenkung unter Ehegatten herbey, der hier im

Abdruck eingerückt iſt. Von dieſem nun ſagt er, daß der

Schuldner des Mannes, der auf deſſen Auftrag an die

Frau zahle, dadurch gegen den Mann nicht frey werde,

ſondern nur gegen die Frau eine Condiction habe (d); nur

durch Ceſſion dieſer Klage an den Mann werde er auch

gegen dieſen frey, alſo nur per exceptionem.

 

Dieſer Ausſpruch ſteht in offenbarem Widerſpruch mit

der Annahme des Celſus, Julian und Ulpian, nach wel-

cher der zahlende Schuldner unſichtbarerweiſe Beſitz und

Eigenthum des Geldes auf den Mann bringt, und da-

durch ſogleich gänzlich aus allem Rechtsverhältniß aus-

ſcheidet. Es iſt hieraus klar, daß Afrikanus dem consti-

tutum possessorium einen weniger ausgedehnten Einfluß,

als jene andere Rechtslehrer, zuſchreibt. Gerade dieſe

ſeine Anſicht aber iſt uns auch ſchon aus einer anderen

merkwürdigen Rechtsfrage bekannt. Wenn Einer ſeinem

Schuldner Auftrag giebt, einem Dritten zu zahlen, der

das Geld als Darlehen haben ſoll, ſo entſteht dadurch

wirklich ein Darlehen; eben ſo aber auch, wenn Einer

ſeinem Procurator erklärt, er möge das aus dem Mandat

 

(d) Vorausgeſetzt nämlich, daß

das Geld ausgegeben iſt; auf das

vorräthige Geld hätte ohne Zwei-

fel Afrikanus dem Schuldner eine

Vindication gegeben.

|0609 : 595|

Einfluß der Schenkung auf dritte Perſonen.

herauszuzahlende Geld als Darlehen behalten. Afrikanus

nun gab den erſten dieſer Sätze zu, als ein benigne re-

ceptum, den zweyten verneinte er (e); Ulpian nimmt auch

den zweyten an, weil es conſequent ſey, Dasjenige was

der Glaubiger, ohne ſichtbares Handeln, durch Zwey ihm

gegenüber ſtehende Perſonen bewirken könne, auch durch

Eine Perſon geſchehen zu laſſen (f). — In beiden Rechts-

fragen liegt alſo vor unſren Augen die allmälige Entwick-

lung des constituti possessorii in ſeinem Einfluß auf an-

dere Rechtsgeſchäfte. Es kann aber keinen Zweifel ha-

ben, daß die neueſte und freyeſte Entwicklung jenes Rechts-

inſtituts als das eigentliche Reſultat, folglich als der

letzte Ausſpruch der ganzen Geſetzgebung, anzuſehen iſt (g);

mag nun die Aufnahme älterer und beſchränkterer Mey-

nungen aus einem Verſehen der Compilatoren hervorge-

(e) L. 34 pr. mandati (17. 1.).

(f) L. 15 de reb. cred. (12. 1.).

Vergl. oben § 44. s. — Zu der

freyeren Behandlung, bey dem

Darlehen, bekennen ſich auch L. 11

pr. de reb. cred. (12. 1.), L. 3

§ 3 ad Sc. Maced. (14. 6.), L. 8

C. si certum pet. (4. 2.), welche

ſämmtlich annehmen, ein Darle-

hen könne auch durch eine nicht

in Geld beſtehende (von dem Em-

pfänger zu verkaufende) Sache ge-

ſchloſſen werden, und durch dieſe

Annahme gleichfalls mit L. 34 pr.

mandati (17. 1.) in Widerſpruch

treten.

(g) Man könnte einwenden,

Celſus und Julian, die ſich zu

der freyeren Anſicht bekannten,

ſeyen um Etwas älter als Afri-

kanus. Allein in dem Fortſchritt

der Meynungen laſſen ſich nie-

mals feſte Zeitgränzen in der Art

annehmen, daß vor und nach den-

ſelben alle Meynungen unter ſich

übereinſtimmend ſeyn müßten; es

bedarf oft einer längeren Zeit,

damit die freyere Meynung, An-

fangs vertheidigt und angefoch-

ten, endlich zu allgemeiner An-

erkennung gelange.

38*

|0610 : 596|

Beylage X.

gangen ſeyn, oder aus der beſtimmten Abſicht, ein Stück

der inneren Rechtsgeſchichte darzuſtellen.

VI.

Ich gehe jetzt über zu einer anderen Folge der Schen-

kung. Wer eine ſolche verſpricht, und auf Erfüllung ver-

klagt wird, hat gegen dieſe Klage eine doli exceptio, wo-

durch er das ſogenannte beneficium competentiae geltend

machen kann (§ 157. l). Nun kann es aber auch geſche-

hen, daß er nicht unmittelbar dem Empfänger verſpricht,

ſondern von dieſem an einen Dritten delegirt wird, etwa

an den Glaubiger deſſelben, oder an Den, welchem der

Empfänger wiederum ſchenken will. Wird nun von die-

ſen dritten Perſonen der Schenkende aus dem mit ihnen

geſchloſſenen Vertrag verklagt, ſo hat er gegen dieſe Klage

jene Exception nicht (a). Es verliert alſo das Schenkungs-

verhältniß jene eigenthümliche Wirkung, ſobald ein Rechts-

geſchäft mit dritten Perſonen in die Mitte tritt.

 

VII.

Wer zur Zeit des älteren Rechts eine das Maaß der

Lex Cincia überſteigende Schenkung verſprach, war ge-

gen die Klage des Empfängers durch eine Exception ge-

ſchützt (§ 165). Wenn aber der Empfänger nicht unmit-

telbar das Verſprechen angenommen, ſondern durch Dele-

 

(a) L. 41 pr. de re jud. (42.

1.), L. 33 de don. (39. 5.),

L. 33 de novat. (46. 2.). — Vgl.

oben § 157. s. w und § 158. q.

|0611 : 597|

Einfluß der Schenkung auf dritte Perſonen.

gation die Schenkung bewirkt hatte, ſo ſollte gegen die

aus der Expromiſſion entſpringende Klage jene Exception

nicht gelten. Dieſes geſchah alſo in folgenden beiden Fällen:

1) Wenn der Geber an den Glaubiger des Empfän-

gers expromittirte. Er hatte keine Exception gegen deſſen

Klage, wohl aber eine Condiction gegen den Geber, da-

mit dieſer ihm Befreyung von der Schuld verſchaffe, oder

das ſchon gezahlte Geld zurück gebe (a).

 

2) Wenn der Geber ſeinen Schuldner dem Empfänger

delegirte. Der Schuldner hatte keine Exception, aber der

Geber konnte vor der Zahlung gegen den Schuldner reſciſ-

ſoriſch klagen, nach der Zahlung gegen den Empfänger

auf Rückgabe des Geldes (b).

 

So war es nach der Meynung der Sabinianer, die

nach den angeführten Stellen das Übergewicht erlangt zu

haben ſcheint. Die Proculianer behandelten dagegen die

Exception wie eine popularis exceptio, und wollten ſie

daher in den angeführten Fällen dem Beklagten allerdings

einräumen (c).

 

VIII.

Aus den bisher abgehandelten einzelnen Fällen ſcheint

folgende Regel hervorzugehen.

 

(a) L. 5 § 5 de doli exc.

(44. 4.).

(b) L. 21 § 1 de donat. (39. 5).

(c) Fragm. Vatic. § 266 „..

nam semper exceptione Cin-

ciae uti potuit non solum ipse,

verum, ut Proculiani contra

tabulas (Sabinianos?) putant,

etiam quivis, quasi popularis

sit haec exceptio.”

|0612 : 598|

Beylage X.

In demjenigen Fall, worin die Einſchränkung der

Schenkung ipso jure, das heißt durch gänzliche Nichtig-

keit, bewirkt wird, äußert ſich dieſe Nichtigkeit auch in

den mit fremden Perſonen abgeſchloſſenen Rechtsgeſchäften,

welche nur als Mittel dienen ſollen, die Schenkung zu be-

wirken (Num. II. III.). Die Ausnahme dieſer Regel

(Num. IV.) iſt nur ſcheinbar; ſie gründet ſich auf das

constitutum possessorium, und die bloßen Veränderungen

im Beſitz werden überhaupt nicht von den poſitiven Ein-

ſchränkungen der Schenkung berührt (§ 149. c1).

 

Wo dagegen die Einſchränkung nur vermittelſt einer

Exception durchgeführt wird, da erſtreckt ſich dieſe auf das

mit einem Dritten zum Behuf einer Schenkung eingegan-

gene Rechtsgeſchäft nicht (Num. VI. VII.). Auch für dieſe

Regel findet ſich eine nur ſcheinbare Ausnahme, wenn der

Geber Denjenigen, den er fälſchlich für ſeinen Schuldner

hält, dem Empfänger delegirt; hier hat der Delegirte ge-

gen den Empfänger dieſelbe doli exceptio, die er auch ge-

gen den Geber, im Fall einer Expromiſſion an dieſen, ge-

habt haben würde (a). Ich nenne dieſe Ausnahme nur

ſcheinbar, weil ſie nicht auf der eigenthümlichen Natur

der Schenkung, ſondern auf einem weit allgemeineren Ge-

genſatz beruht, der ſich nur unter andern bey der Schen-

kung, neben ihr aber auch in ganz anderen Fällen äußert (b).

 

(a) L. 2 § 3 de donat. (39.

5.), L. 7 pr. de doli exc. (44. 4.).

(b) Das allgemeine Princip be-

ſteht darin, daß ſich der Delega-

tar die Exception gefallen laſſen

muß, inſoferne er Nichts für die

|0613 : 599|

Einfluß der Schenkung auf dritte Perſonen.

IX.

Ich gehe nun über zu denjenigen Einſchränkungen der

Schenkung, bey welchen der Einfluß auf die Rechtsge-

ſchäfte mit fremden Perſonen in unſren Rechtsquellen nicht

erwähnt wird.

 

Wenn ohne Inſinuation eine Schenkung von 1500 Du-

katen dadurch bewirkt werden ſoll, daß der Geber für dieſe

Summe entweder bey des Empfängers Glaubiger expro-

mittirt, oder ſeinen eigenen Schuldner dem Empfänger de-

legirt, geht nun die für 1000 Dukaten vorgeſchriebene

Nichtigkeit auf das neue Rechtsgeſchäft mit über, ſo daß

nur 500 eingeklagt werden können, oder bleibt dieſes Ge-

ſchäft davon unberührt, ſo daß die ganzen 1500 bezahlt

werden müſſen, der Geber aber vom Empfänger 1000

wieder fordern kann? Der Unterſchied kann praktiſch wich-

tig werden, wenn etwa der Empfänger bald nach der De-

legation inſolvent wird. Auf den erſten Blick möchte man

glauben, durch die oben (Num. VII.) angeführten Dige-

ſtenſtellen über die Delegation bey einer immodica donatio

ſey Alles entſchieden, indem ſie in der That beſtimmen,

daß zwiſchen dem Geber oder Empfänger auf der einen

 

Delegation aufgeopfert hat. L. 4

§ 31 de doli exc. (44. 4.). Die-

ſes iſt nun allerdings der Fall

wenn ihm die Delegation ge-

ſchenkt wurde; aber eben ſo auch

wenn ſie ihm als Zahlung gege-

ben wurde für eine vermeyntli-

che, in der That nicht begrün-

dete, Forderung an den Delegi-

renden. L. 2 § 4 de don. (39.

5.), L. 7 § 1 de doli exc. (44.

4.); geſchah es für eine wahre

Forderung, ſo gilt die Exception

nicht. L. 12. 13 de novat. (46. 2.).

|0614 : 600|

Beylage X.

Seite, und dem Dritten auf der andern Seite, die immo-

dica donatio keine Wirkung haben ſolle. Allein dieſe Stel-

len reden ganz ausdrücklich nur von der Zuläſſigkeit einer

Exception, wovon in dem alten Recht der Lex Cincia al-

lerdings vorzugsweiſe die Rede war. Das Juſtinianiſche

Recht aber läßt aus der verſäumten Inſinuation gänzliche

Nichtigkeit folgen, ſtellt alſo dieſelbe auf völlig gleiche

Linie mit der verbotenen Schenkung unter Ehegatten (§ 167).

Wollen wir alſo nicht bey dieſer Frage die innere Conſe-

quenz der Geſetzgebung gänzlich aufgeben, ſo müſſen wir

dieſelbe Regel anwenden, welche im Römiſchen Recht bey

der Schenkung unter Ehegatten durchgeführt iſt (Num. II.

III.), und die angeführten Digeſtenſtellen als unanwend-

bare Zeugniſſe aus dem Zuſammenhang des älteren Rechts

betrachten, die, wie ſo manches Andere, beſſer nicht auf-

genommen worden wären. Eine buchſtäbliche Anwendung

derſelben iſt ohnehin unmöglich, da ſie nur von der Zu-

läſſigkeit einer Exception reden, von welcher aber bey der

verſäumten Inſinuation im neueſten Recht gar nicht die

Rede ſeyn kann.

Es kommt alſo bey dieſer allerdings zweifelhaften

Frage darauf an, ob wir höheren Werth legen auf das,

was aus der Conſequenz unſrer Geſetzgebung folgt, oder

vielmehr auf die Rettung der (immer noch ſtark modificir-

ten) Anwendbarkeit der angeführten Digeſtenſtellen.

 

|0615 : 601|

Einfluß der Schenkung auf dritte Perſonen.

X.

Was endlich den Widerruf der Schenkung, beſonders

im Fall der Undankbarkeit, betrifft, ſo kann dabey für

unſre Frage kaum ein Zweifel entſtehen. Denn hier iſt

gleich Anfangs Alles gültig, und erſt hinterher entſteht

ein neuer Anſpruch an den Empfänger. Wurde alſo die

Schenkung durch Delegation bewirkt, ſo bleibt das mit

dem Dritten geſchloſſene Rechtsgeſchäft ganz unberührt.

 

|0616 : 602|

Beylage XI.

Beylage XI.

Ordinalzahlen in der Bezeichnung von

Zeiträumen.

(Zu § 182.)

I.

Wenn die Entfernung ausgedrückt werden ſoll, in wel-

cher ein beſtimmter Zeitraum von einem andern beſtimmten

Zeitraum gleicher Art zu denken iſt, ſo geſchieht dieſes am

Einfachſten und Gewöhnlichſten durch eine Ordinalzahl,

die ſich auf die zwiſchen ihnen liegende gleichartige Zeit-

räume bezieht. Man ſpricht alſo von dem dritten Tag

nach dem heutigen, oder von dem fünften Jahr nach dem

Jahr einer beſtimmten Begebenheit, um anzugeben, um

wie viele Tage jener Tag von heute, dieſes Jahr von

der Begebenheit, entfernt liege. Unter andern geſchieht

dieſes auch da, wo nicht blos zwey einzelne Zeiträume

mit einander verglichen werden, ſondern von der ſteten pe-

riodiſchen Wiederholung gleichartiger Zeiträume die Rede

iſt, für welchen Fall die Römer den Ausdruck tertio quo-

que die, quartus quisque annus, gebrauchen. Dieſelbe Art

der Bezeichnung aber findet ſich nicht allein bey Zeiträu-

men, ſondern auch bey anderen Gegenſtänden, die als

gleichartige, in einer fortlaufenden Reihe liegende, gedacht

werden, ſo z. B. wenn unter mehreren auf einander fol-

 

|0617 : 603|

Ordinalzahlen in der Bezeichnung von Zeiträumen.

genden Fürſten eines Landes die Entfernung des einen von

dem andern in der ganzen Regentenreihe bezeichnet wer-

den ſoll. Für alle ſolche Fälle nun entſteht die Frage,

wie die als Bezeichnung angewendete Ordinalzahl zu ver-

ſtehen iſt, ob nämlich der Zeitraum, die Perſon u. ſ. w.,

wovon die Zählung ausgeht, mitgezählt werden ſoll, oder

nicht. Es ließe ſich denken, daß hierüber durch den

Sprachgebrauch eines Volks eine feſte Regel angenommen

wäre, wodurch dann alle Zweydeutigkeit der Bezeichnung

ausgeſchloſſen ſeyn würde. Bey den Römern aber war

es nicht alſo, ſie haben vielmehr auf ganz verſchiedene

Weiſe bald mitgezählt, bald auch nicht, und dadurch ent-

ſteht für jede Stelle, worin eine ſolche Zählung vorkommt,

ein Zweifel über den wahren Sinn, wodurch große Vor-

ſicht in dem Gebrauch derſelben nothwendig wird (a). Dieſe

Behauptung iſt nunmehr durch Angabe von Stellen Rö-

miſcher Schriftſteller zu erweiſen.

II.

Ich will zuerſt diejenigen Stellen und Redensarten

angeben, worin der erſte Tag, das erſte Jahr u. ſ. w.

entſchieden mitgezählt wird.

 

Dahin gehören zunächſt viele Ausdrücke der allgemein

 

(a) Der einzige Schriftſteller,

bey welchem ich dieſe Duplicität

des Sprachgebrauchs ausdrücklich

angegeben finde, iſt Unterholz-

ner Verjährungslehre I. S. 310.

Er hat ſie aber weder bewieſen,

noch in ihrer ganzen Wichtigkeit

anerkannt, ſondern nur auf die

Erklärung einer einzelnen Stelle

angewendet.

|0618 : 604|

Beylage XI.

angewendeten Kalenderſprache. Dies tertius Kalen-

darum Jan. oder ante Kalendas Jan. heißt bekanntlich der

30. December, und dieſe Bezeichnung erklärt ſich nur

daraus, daß Kalendae als der erſte, und pridie Kal. als

der zweyte Tag gezaͤhlt wird. Eben ſo bey allen folgen-

den Zahlen, und eben ſo bey Idus und Nonae. — Ferner

heißt Nonae wörtlich: der neunte Tag (vor den Idus).

Da nun aber zwiſchen beiden Tagen nur Sieben Tage in

der Mitte lagen, ſo mußte man nothwendig Idus mitzäh-

len, um Nonae als den neunten Tag bezeichnen zu kön-

nen (a). — Eben ſo auch Nundinae (für novendinae), wel-

ches der letzte Tag der achttägigen Woche iſt, deſſen Name

alſo auf derſelben Zählungsart beruht (b). — Auf dieſelbe

Weiſe endlich das Trinundinum, zwey Römiſche Wochen,

wobey gleichfalls die erſten Nundinae mitgezählt ſind (c).

— Man kann dahin auch noch rechnen das perendie oder

perendinus dies, Übermorgen, welcher Tag auch dies ter-

tius genannt wird, offenbar nur indem man den heutigen

Tag, von welchem aus gezählt werden ſoll, als den er-

ſten anſieht, folglich mitzählt (d).

Eben ſo entſcheidend ſind folgende einzelne Stellen:

 

Varro de re rustica Lib. 2 prooem. „Itaque annum

ita diviserunt ut nonis modo diebus urbanas res usurpa-

rent, reliquis septem ut rura colerent.” Wenn ſieben

 

(a) Ideler II. 129.

(b) Ideler II. 136 und die

daſelbſt angeführten Schriftſteller.

(c) Ideler II. 137.

(d) Cicero pro Murena C. 12.

Gellius X. 24.

|0619 : 605|

Ordinalzahlen in der Bezeichnung von Zeiträumen.

Tage in der Mitte liegen, und doch der folgende als

neunter bezeichnet wird, ſo muß wohl der vorhergehende

mitgezählt ſeyn (e).

Cicero in Verrem II. 56: „Quinto quoque anno Si-

cilia tota censetur. Erat censa praetore Peducaeo, quin-

tus annus cum te (Verre) praetore incidisset, censa de-

nuo est. Postero anno L. Metellus mentionem tui cen-

sus fieri vetat, Peducaeanum censum observari jubet.” —

Auf die einjährige Prätur des Peducäus folgte die ein-

jährige des Sacerdos, dann die dreyjährige des Verres,

hierauf die des Metellus. Der letzte Cenſus fiel in das

dritte Jahr des Verres, da ihn gleich im folgenden Jahr

Metellus caſſirte. Alſo lagen zwiſchen dieſem und dem

vorhergehenden Cenſus Drey freye Jahre, und doch nennt

Cicero dieſe Wiederkehr quinto quoque anno.

 

Virgil. ecl. V. 49. „Alter ab illo” für: der erſte

nach ihm, alſo indem der vorhergehende mitgezählt wird,

um ihn zum zweyten zu machen.

 

Horat. Serm. Il. 3. 193. „Ajax heros ab Achille

secundus;” eben ſo wie in der vorhergehenden Stelle.

 

Livius VII. 1 „dignusque habitus, quem secundum a

Romulo conditorem urbis Romanae ferrent.”

 

Censorinus C. 18 erzählt, die Olympiſchen Spiele

ſeyen quinto quoque anno redeunte gefeyert worden, wel-

 

(e) Es iſt auch hier wieder von

den Nundinae die Rede (Note b),

nur ohne ſie mit dieſem ihrem

gewöhnlichen Namen zu nennen,

und indem die zum Grund lie-

gende Auffaſſung in ihre Ele-

mente zerlegt wird.

|0620 : 606|

Beylage XI.

ches bekanntlich in vierjährigen Perioden geſchah, ſo daß

ſtets drey freye Jahre zwiſchen zwey Jahren der Spiele

in der Mitte lagen.

Gellius IX. 4. „Item esse compertum et creditum,

Sauromatas … cibum capere semper diebus tertiis, medio

abstinere.” Sie wechſelten alſo ab von einem Tage zum

andern mit Eſſen und Faſten, und indem die Speiſetage

tertii genannt werden, muß der jedem vorhergehende Spei-

ſetag mitgezählt ſeyn.

 

Gellius XVII. 12 „quum febrim quartis diebus recur-

rentem laudavit … haec biduo medio intervallata febris” ....

 

Celsus de medicina III. 3. „Et quartanae quidem

simpliciores sunt .. finitaque febre biduum integrum est:

ita quarto die revertitur … Tertianarum vero duo ge-

nera sunt: alterum .. unum diem praestat integrum, ter-

tio redit“ …

 

L. 233 § 1 de V. S. (50. 16.) (Gajus). „Post Ka-

lendas Januarias die tertio pro salute principis vota sus-

cipiuntur.” Wir wiſſen nun aber aus anderen Nachrich-

ten, daß dieſes geſchah ante diem III. Nonas Jan., das

heißt den 3. Januar (f), alſo wird hier der dies Kalen-

darum als erſter Tag eben ſo mitgezählt, wie bey der

gewöhnlichen Kalenderbezeichnung ante Kalendas (g).

 

(f) Vgl. Syſtem § 180. f.

(g) Ich ſetze nicht hierher ſol-

che Stellen, worin tertio quo-

que die vorkommt, ohne daß ſich

das Mitzählen für ſie unmittel-

bar beweiſen läßt, wie L. 1 de

glande leg. (43. 28.), L. 9 § 1

ad exhib. (10. 4.), L. 1 § 22

de aqua quot. (43. 20). Zwar

zweifle ich auch bey dieſen nicht,

|0621 : 607|

Ordinalzahlen in der Bezeichnung von Zeiträumen.

L. 1 quando appellandum (49. 4.) (Ulpian.). Hier

wird zuerſt im § 9 geſagt: „Biduum vel triduum appel-

lationis ex die sententiae latae computandum erit,” das

heißt: Wer appelliren will, hat dazu zuweilen zwey, zu-

weilen drey Tage (vgl. § 11. 12), und zwar ſo daß der

Tag des Urtheils mitgezählt wird. War er aber ab-

weſend, dann (§ 15): „biduum vel triduum ex quo quis

scit computandum est,” das heißt ſo daß der Tag mit-

gezählt wird, woran er Kenntniß vom Urtheil erhielt.

Dieſelben Friſten werden nun abwechslend durch die Aus-

drücke altera vel tertia die bezeichnet (§ 6. 12. 13.).

 

Es iſt Dieſes dieſelbe Anſicht, welche wir ausdrücken,

wenn wir von einer Begebenheit reden, die in der vorher-

gehenden Woche ſich ereignete, und zwar gerade an dem-

ſelben Wochentage in welchem wir uns heute befinden;

wir ſagen: vor Acht Tagen, wobey wir den heutigen

Tag mitzählen, um den Tag jener vergangnen Begeben-

heit als den achten zu denken. Ganz eben ſo brauchen

die Franzoſen den Ausdruck huit jours; ſie ſind aber con-

ſequenter als wir, indem ſie auch die Entfernung von zwey

Wochen durch quinze jours bezeichnen, für welche wir

Vierzehen Tage ſagen, wobey alſo der heutige Tag

nicht mitgezählt wird. Allerdings iſt in dieſen Redensar-

 

daß ſie den Ausdruck in demſel-

ben Sinn gebrauchen, alſo für

alternis diebus, aber beweiſen

läßt es ſich aus ihnen ſelbſt nicht.

In der letzten der angeführten

Stellen kommt allerdings auch

alternis diebus vor, es iſt aber

nicht ganz klar, ob dieſer Aus-

druck auf denſelben Fall gehen

ſoll, welcher vorher durch tertio

quoque die bezeichnet wurde.

|0622 : 608|

Beylage XI.

ten keine Ordinalzahl enthalten; aber die Verſchiedenheit

der Auffaſſung iſt dieſelbe, wie die welche hier bey den

Ordinalzahlen dargeſtellt wird.

In gleichem Sinn wird die Auferſtehung Chriſti (Sonn-

tag) auf den dritten Tag nach der Kreuzigung (Freytag)

geſetzt, und dieſe Bezeichnung findet ſich in dem chriſtli-

chen Glaubensbekenntniß ohne Unterſchied der Sprachen.

 

III.

Es ſollen nun diejenigen Stellen und Redensarten fol-

gen, worin nicht mitgezählt wird.

 

Dahin könnte man zuerſt einen einzelnen Ausdruck aus

der Kalenderſprache rechnen, das pridie, welches die Zu-

ſammenziehung von primo die zu ſeyn ſcheint. Da dieſes

indeſſen auf einer augenſcheinlichen Inconſequenz, vergli-

chen mit dem unmittelbar daran gränzenden tertio die,

beruhen würde, ſo könnte man dieſe dadurch zu entfernen

ſuchen, daß man pridie für priore oder pristino die (a)

nähme, ſo daß nur der Begriff des Vorhergehens, und

alſo überhaupt keine Zahl, darin enthalten wäre. Ganz

entſcheidend aber ſind folgende Stellen.

 

Varro de lingua lat. Lib 6 § 11 (ed. Müller). blo-

strum .. tempus quinquennale … quod quinto quoque

anno vectigalia .. persolvebantur.” Nach dem in der vo-

rigen Nummer dargeſtellten Sprachgebrauch mußte es hei-

ßen sexto quoque anno.

 

(a) So wird in der That das Wort abgeleitet von Gellius X. 24.

|0623 : 609|

Ordinalzahlen in der Bezeichnung von Zeiträumen.

Cicero in Pisonem C. 5 „quam potestatem minuere,

quo minus de moribus nostris quinto quoque anno judi-

caretur, nemo .. conatus est.” Hier iſt eben ſo, wie in

der vorhergehenden Stelle, von dem ſtets nach Fünf Jah-

ren wiederkehrenden Cenſus die Rede.

 

Cicero acad. quaest. II. 6 „a Carneade, qui est quar-

tus ab Arcesila: audivit enim Egesinum, qui Evandrum

audierat, Lacydis discipulum, cum Arcesilae Lacydes fuis-

set.” Hier wird Arceſilas nicht mitgezählt, ſondern La-

cydes iſt der erſte, Evander der zweyte, Egeſinus der

dritte, Carneades der vierte.

 

Cicero ad Atticum VI. 1. „Ei (Pompejo) tamen sic

nunc solvitur, tricesimo quoque die talenta Attica XXXIII.,

et hoc ex tributis, nec id satis efficitur ad usuram men-

struam.” Offenbar vergleicht er hier monatliche Zinſen,

und Zahlungen die in dreyßigtägigen Perioden geleiſtet

wurden; bey dieſen letzten liegen 29 freye Tage zwiſchen

zwey Zahltagen, es iſt alſo der vorige Zahltag nicht mit-

gezählt, wenn der folgende als tricesimus bezeichnet wird.

 

Caesar de bello Gallico V. 52. „Cognoscit, non de-

cimum quemque esse relictum militem sine vulnere.” Bey

ſonyen allgemeinen Abſchätzungen, wobey es auf ſtrenge

Genauigkeit nicht ankommen kann, wie es hier ſchon aus

dem vix erhellt, gebraucht man ſtets runde Zahlen. Cäſar

will alſo ſagen, unter Zehen Soldaten war kaum Einer

unverwundet. Indem er nun jeden folgenden Geſunden

 

IV. 39

|0624 : 610|

Beylage XI.

decimum quemque nennt, muß er den vorhergehenden nicht

mitzählen.

Columella V. 8 „nam quamvis non continuis annis,

sed fere altero quoque fructum efferat” .. Da hier das

altero quoque den Gegenſatz bildet gegen das jährlich Wie-

derkehrende, ſo kann es nur die jährliche Abwechslung

zwiſchen Fruchtertrag und Unfruchtbarkeit bezeichnen, ſo

daß es hier denſelben Sinn hat, wie nach dem früher er-

klärten Sprachgebrauch das tertio quoque anno.

 

Statius Theb. IV. 841 „ab Jove primus honos;” ganz

in demſelben Sinn, wie es oben bey Virgil hieß: alter

ab illo.

 

Celsus de medicina III. 13. 21. 23. IV. 12 wo vier-

mal altero quoque die vorkommt für Das, was er ſelbſt,

in einer oben angeführten Stelle, den tertius dies nannte.

Denn wenn er Dieſes nicht meynte, ſo würde er ſicher

geſagt haben quotidie; auch ſagt er in einer jener Stel-

len, III. 21, „utilis quotidianus aut altero quoque die

post cibum vomitus est,” wo altero quoque die geradezu

den Gegenſatz von quotidianus ausdrückt.

 

Macrobius Saturn. I. 13. Er ſagt, die Griechen hät-

ten eine achtjährige Schaltperiode, in welcher ſie achtmal

11¼, alſo 90 Tage einſchalteten, um dadurch ihr Jahr

von 354 Tagen auf das rechte Maaß von 365¼ zu brin-

gen. Dieſes drückt er ſo aus: ut octavo quoque anno no-

naginta dies … interkalarent, wo er nach dem früher er-

klärten Sprachgebrauch hätte ſagen müſſen nono quoque

 

|0625 : 611|

Ordinalzahlen in der Bezeichnung von Zeiträumen.

anno, weil Sieben freye Jahre in der Mitte lagen. Die

Römer, ſagt er ferner, hätten das nachgeahmt, und zwar

ungeſchickt, da ihr Jahr nicht 354, ſondern 355 Tage

hatte: octavo quoque anno (für nono quoque) interkalan-

tes octo affluebant dies. Dieſen Fehler verbeſſerten ſie

nachher, indem ſie, jedesmal nach 24 Jahren, 24 Tage

wegließen: tertio quoque octennio ita interkalandos dispen-

sabant dies, ut non XC. sed LXVI. interkalarent; auch

hier wieder mußte, nach dem früher erklärten Sprachge-

brauch, geſagt werden: quarto quoque octennio.

Zu eben dieſer Ausdrucksweiſe gehört nun auch das

ſchon oben erwähnte Deutſche: vor 14 Tagen, um Das-

jenige zu bezeichnen, was genau Zwey Wochen hinter der

Gegenwart liegt.

 

IV.

Der zweyfache Sprachgebrauch, welcher bisher durch

einzelne Stellen nachgewieſen worden iſt, wird noch an-

ſchaulicher durch einige Fälle, in welchen dieſe Verſchie-

denheit bey den Römern ſelbſt wichtige Irrthümer hervor-

gerufen hat, und dadurch zum Bewußtſeyn bey ihnen ge-

kommen iſt.

 

Der merkwürdigſte Fall dieſer Art, welcher kaum

glaublich ſcheinen möchte, wenn er nicht auf ſo unzwei-

felhafte Weiſe bezeugt wäre, iſt folgender. Cäſar hatte

bey Einführung ſeines Kalenders die Anordnung getroffen,

 

39*

|0626 : 612|

Beylage XI.

daß jede Periode von Vier Jahren einen Schalttag als

Zugabe erhalten ſollte zur Ausgleichung des Kalenderjah-

res von 365 Tagen mit dem Sonnenjahr, welches er zu

365¼ Tagen annahm (a). Dieſe Einrichtung drückte er in

ſeinem Edict mit den Worten aus: ut quarto quoque anno

.. unum interkalarent diem (b); dabey lag alſo der zweyte,

eben erklärte, Sprachgebrauch zum Grunde, nach welchem

das vorhergehende Schaltjahr nicht mitgezählt wird bey

Bezeichnung der Stelle des nachfolgenden. Die Pontifices

aber, welchen die fortwährende Ausführung des geſetzlich

beſtehenden Kalenders zukam, verſtanden das Edict nach

dem oben erklärten erſten Sprachgebrauch, wodurch aus

dem quarto quoque anno dreyjährige Schaltperioden ent-

ſtanden, in welchen zwiſchen zwey Schaltjahren nur zwey

Gemeinjahre in der Mitte lagen. Dieſes unglaubliche

Misverſtändniß blieb 36 Jahre lang unbemerkt, ſo daß

in dieſer Zeit zwölfmal eingeſchaltet worden war, anſtatt

daß nur neunmal hätte eingeſchaltet werden ſollen. Als

es endlich entdeckt wurde, berichtigte Auguſt den begange-

nen Fehler dadurch, daß er für die nächſten drey Schalt-

perioden die Einſchaltung ganz unterſagte, zugleich aber

für die Zukunft den wahren Sinn der Julianiſchen Ein-

ſchaltung feſtſtellte (c).

(a) Vergl. die ausführlichere

Darſtellung in dem Rechtsſyſtem

§ 179.

(b) Macrob. Saturn. I. 14.

Sueton. Julius C. 40.

(c) Macrob. Saturn. I. 14,

welcher es ſo ausdrückt, man habe

irrig eingeſchaltet quarto anno

incipiente anſtatt confecto; Au-

guſt habe verordnet, es ſolle hin-

|0627 : 613|

Ordinalzahlen in der Bezeichnung von Zeiträumen.

Bey der Einrichtung vieler Colonieen durch die Trium-

virn, Octavian, Antonius und Lepidus, ſtand in der Vor-

ſchrift (lex), die den Agrimenſoren gegeben wurde, dieſe

Stelle: Qui conduxerit … a decumano et cardine quin-

tum quemque (limitem) facito pedes XII., ceteros limi-

tes subruncivos (d). Dabey war der Decumanus nicht

mitgezählt, ſo daß zwiſchen dieſem und dem zu einer grö-

ßeren Breite beſtimmten Limes Fünf Centurien in der Mitte

liegen ſollten. Die Agrimenſoren aber hatten das häufig

misverſtanden, und daher den breiteren Limes um eine

Centurie zu nahe an den Decumanus heran gerückt, in-

dem ſie glaubten, in der Lex ſey dieſer mitgezählt. Hy-

ginus rügt dieſes Misverſtändniß in folgenden Worten (e):

Multos limitum constitutiones in errorem deducunt …

Sic et de limitibus quintariis, quintum quemque quinta-

rium volunt. Porro autem inter quintum et quintarium

interest aliquid. Quintus est, qui quinto loco numera-

tur: quintarius qui quinque centurias cludit. Hunc vo-

lunt esse quintum, qui est sextus (nämlich nach der übli-

chen erſten Ausdrucksweiſe, worin der Decumanus mitge-

zählt wird). Nam et legum latoribus (l. latores) .. sic

caverunt, ut a Decumano maximo quintus quisque spa-

tio itineris ampliaretur. Erat sane interpretatio

legis hujus ambigua, nisi eorum temporum formae

 

fort geſchehen quinto quoque in-

cipiente anno. Vgl. auch Ide-

ler II. 131.

(d) Frontinus de coloniis bey

Goesius p. 111. 133.

(e) Hyginus de limitibus con-

stituendis bey Goesius p. 158.

159.

|0628 : 614|

Beylage XI.

(die aus der Zeit jener legumlatores übrigen Riſſe) sex-

tum quemque limitem latiorem haberent .... Quum de-

cumanus erat positus, positi sunt deinde quinque limites,

quorum novissimus factus est latior: his cum decumanus

accessit, sex fiunt.

Beide hier zuſammen geſtellte Fälle kommen darin

überein, daß eine öffentliche Urkunde von den mit der

Vollziehung eines Geſchäfts beauftragten Perſonen blos

deswegen misverſtanden wurde, weil dieſe die von dem

Urheber ausgedrückte Ordinalzahl in einem andern Sinn

auffaßten, als welchen er ſelbſt hinein legen wollte. Ei-

nen ſchlagenderen Beweis aber kann es dafür nicht geben,

daß die Römer in der That ſolche Zahlen auf zwey ver-

ſchiedene Arten gebrauchten.

 

V.

Es iſt gezeigt worden, daß dieſer ſchwankende Sprach-

gebrauch nicht nur bey Zeiträumen, ſondern auch bey an-

deren gezählten Gegenſtänden vorkommt. Allerdings aber

lag dazu eine ganz beſondere Veranlaſſung in der eigen-

thümlichen Beſchaffenheit der Zeiträume. Wenn ein Beſitz

am Mittag des 1. Januars angefangen hat, und von da

ab 365 Kalendertage gezählt werden ſollen, ſo wird die

Frage, ob der 1. Januar mitzuzählen ſey, beſonders da-

durch zweifelhaft, daß dieſer 1. Januar theils innerhalb

der Beſitzeszeit liegt, theils außer derſelben. Vielleicht hat

dieſer Umſtand Gelegenheit gegeben, daß jenes Schwan-

 

|0629 : 615|

Ordinalzahlen in der Bezeichnung von Zeiträumen.

ken zuerſt bey gezählten Zeiträumen entſtanden iſt, von

welchen aus es dann auch zu anderen gezählten Gegen-

ſtänden, bey welchen jener eigenthümliche Grund nicht ein-

tritt, ſeinen Weg gefunden haben mag.

VI.

Die zwey verſchiedenen Zählungsarten, die hier im

Sprachgebrauch der Römer nachgewieſen worden ſind, ver-

halten ſich zu einander nicht etwa ſo, daß die eine die

vorherrſchende Regel bildete, die andere nur auf der ſel-

tenen Redeweiſe, vielleicht auf der Unkunde einzelner

Schriftſteller von geringem Anſehen beruhte. Vielmehr

werden beide von Schriftſtellern des erſten Ranges ange-

wendet, ja ſogar beide von einem und demſelben Schrift-

ſteller, namentlich von Cicero, Varro, und dem Arzt Celſus.

Soll dieſe Verſchiedenheit nicht als eine ganz regelloſe,

ſtets nur durch Laune und Willkühr veranlaßte, angeſehen,

ſondern ein beſtimmtes Verhältniß darin angenommen wer-

den, ſo läßt ſich etwa Folgendes mit einiger Wahrſchein-

lichkeit behaupten. Die erſte Art (wobey mitgezählt wird)

ſcheint die ältere, und die üblichere im täglichen Leben;

dafür ſcheint zu beweiſen ihr Gebrauch in der Kalender-

ſprache, die gewiß allgemeinere Verbreitung hatte, als der

Sprachgebrauch einzelner Schriftſteller. Die zweyte mag

wohl als die elegantere und genauere angeſehen worden

ſeyn, wofür theils der häufigere Gebrauch bey Cicero,

theils die Anwendung in öffentlichen Urkunden zu bewei-

 

|0630 : 616|

Beylage XI. Ordinalzahlen in der Bezeichnung von Zeiträumen.

ſen ſcheint. Aus der Vorausſetzung dieſes Verhältniſſes

erklärt ſich zugleich, wie dieſe Urkunden in der Ausfüh-

rung misverſtanden wurden; es geſchah, indem die Ver-

faſſer mit beſonderer Wahl des Ausdrucks zu ſprechen

ſuchten, die Anderen aber ihre im täglichen Leben ange-

nommenen Gewohnheiten auf die Auslegung jener Urkun-

den übertrugen.

Finden wir nun in irgend einer Stelle eines alten Ju-

riſten Ordinalzahlen gebraucht, ſo ſind wir durch die hier

aufgeſtellten Anſichten berechtigt, bey der Erklärung die

eine oder die andere Zählungsart mit freyer Wahl voraus

zu ſetzen, wie wir es aus anderen Gründen für wahr-

ſcheinlicher halten mögen. Nehmen wir dabey insbeſon-

dere an, daß der erſte Tag u. ſ. w. mitgezählt worden

ſey, ſo bedarf dieſe Annahme am wenigſten einer beſon-

deren Unterſtützung, weil dieſe Zählungsweiſe die üblichere

geweſen zu ſeyn ſcheint. Wenn wir dagegen bey der ent-

gegen geſetzten Annahme einen beſonderen Grund anzuge-

ben vermögen, der den Verfaſſer beſtimmen konnte, dieſe

minder häufige Zählungsweiſe gerade in dem gegebenen

Falle anzuwenden, ſo wird dadurch unſere Auslegung ei-

nen feſteren Boden gewinnen.

 

Gedruckt bei den Gebr. Unger.

 

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