Das Recht des Besitzes.

Eine civilistische Abhandlung

von

Dr. Friedrich Carl von Savigny

Königl. Preußischem Geheimen Oberrevisionsrath, ordentlichem Professor der Rechte zu Berlin, und ordentlichem Mitglied der Akademie der Wissenschaften daselbst.

Sechste, vermehrte und verbesserte Auflage.

Giessen 1837,

Druck und Verlag von Georg Friedrich Heyer, Vater.


Vorrede zur vierten Ausgabe.

Die wohlwollende Aufnahme, welche diesem Buch gleich bey seiner ersten Erscheinung zu Theil geworden ist, läßt mich hoffen, daß die hier folgende Nachricht von der Entstehung und den bisherigen Schicksalen desselben nicht unwillkommen seyn werde.

Solange das ausführliche System des Römischen Rechts fast überall nach Ordnung der Bücher und Titel der Pandekten vorgetragen wurde, geschah es sehr häufig, daß diejenigen


(IV) Vorrede.

Gegenstände, welche zufällig in den letzten Büchern der Pandekten vorkommen, durch unverhältnismäßige Kürze gegen den übrigen zurückgesetzt wurden. Diese Wahrnehmung veranlaßte mich, im Sommer 1801 in Marburg eine besondere Vorlesung über die zehen letzten Bücher der Pandekten zu halten, wodurch ein Ersatz für die erwähnte Zurücksetzung gegeben werden sollte. Indem ich diese Vorlesung unmittelbar aus den Quellen ausarbeitete, zog am meisten der Besitz meine Aufmerksamkeit auf sich, indem es mir schien, als könnten gerade hier die herrschenden Begriffe und Meinungen aus den Quellen sehr berichtigt werden. Mein Lehrer Weis, dem ich meine Ansichten mittheilte, ermunterte mich durch seinen Beyfall, und forderte mich zur Ausarbeitung einer eigenen Schrift über diesen durch seine Schwierigkeit und seine praktische Wichtigkeit gleich anziehenden Gegenstand auf. Andere Arbeiten verzögerten die Ausführung dieses


(V) Vorrede.

Plans bis in den Winter 1802, in welchem das Buch ausgearbeitet wurde.

Die erste Ausgabe erschien im Jahr 1803, in demselben Format und in derselben Verlagshandlung wie die nachfolgenden, XXXII. und 495 Seiten stark.

Folgende Beurtheilungen derselben sind mir bekannt geworden:

Göttinger Anzeigen 1804. N. 30 (von Hugo).

Hallische Literaturzeitung 1804. N. 41-43. (von Thibaut).

Neue allgemeine deutsche Bibliothek, B. 104. S. 186.

Juridisches Archiv, Bd. 4. Tübingen 1804. S. 397-419.

Die zweyte Ausgabe, XXXVI. und 560 Seiten stark, erschien 1806. Die Verbesserungen und Zusätze, wodurch sie sich von der ersten unterschied, wurden gleichzeitig besonders


(VI) Vorrede.

abgedruckt, weshalb eine besondere Angabe derselben nicht nöthig ist.

Beurtheilungen derselben:

Göttinger Anzeigen 1807. N. 191 (von Hugo).

Ergänzungsblätter zur Hallischen Literaturzeitung 1806. N. 44 (von Thibaut).

Oberdeutsche Literaturzeitung 1808. N. 82. 83.

Die dritte Ausgabe, von 1818, betrug XXXX. und 600 Seiten. Bey ihr kam zuerst ein Quellen=Register hinzu, welches Herr Hofrath Mackeldey, damals zu Marburg, unter seiner Aufsicht, von dem Stud. Herrn Bickel daselbst, ausarbeiten ließ. Die Stellen dieser dritten Ausgabe, an welchen sich wesentliche Aenderungen oder Zusätze finden, sind folgende: S. III. XXXI. XXXIX. 9. 18. 23. 25. 36. 37. 40. 41. 42. 53. 54. 55. 56-59. 95. 98. 102-104. 162. 168. 173-182. 189. 192. 201-205. 229-231. 257-258. 266. 268.


(VII) Vorrede.

269. 270. 271. 275. 287-290. 291. 307-309. 321-322. 341-348. 357-360. 362. 384. 400-404. 424. 426. 434. 446-448. 457. 486-487. 488-491. 503-504. 510-511. 513-515. 524-527. 530.

Beurtheilung derselben:

Göttinger Anzeigen 1818. N. 156 (von Hugo)

In der gegenwärtigen vierten Ausgabe sind die wesentlichen Aenderungen und Zusätze gleich an jeder Stelle selbst bemerklich gemacht worden, weshalb eine Zusammenstellung hier entbehrt werden kann. Die meisten stehen im vierten Abschnitt.

Geschrieben zu Berlin im Julius 1822.


(VIII)

Vorrede zur fünften Ausgabe.

Auch in dieser Ausgabe sind die neuen Zusätze, soweit dieses nöthig schien, d. h. soweit sie nicht bloße Literarnotizen oder Aehnliches enthalten, jedesmal als solche bezeichnet worden.

Geschrieben zu Berlin im Junius 1826.

Vorrede zur sechsten Ausgabe.

Die Bezeichnung der neuen Zusätze findet sich hier so wie in den zwey vorhergehenden Ausgaben. Diese Zusätze sind jedoch hier zahlreicher und größer als in den früheren. Die bedeutendsten Zusätze finden sich in den §§. 6. 7. 9. 10. 35. 37. 40. 41.44. 46. 50. 51.

Geschrieben zu Berlin im Julius 1836.


(IX)

Einleitung.

I. Quellenkunde.

1. Gaii Institutiones Lib. 2. §. 89. 90. 94. 95.

Lib. 4 §. 138-170.

2. Fragmenta Vaticana §. 90. 91. 92. 93. 293. 311.

3. Westgothische Sammlung:

A.) Pauli Sentent. recept. Lib. 5. Tit. 2. (de usucapione) §. 1. 2.

Lib. 5. Tit. 6. de Interdictis. (ed. Hugo, Berol. 1795. 8.)

B.) Codicis Theodosiani Lib. 4. Tit. 22. Unde vi.

Lib. 4. Tit. 23. Utrubi (1). (ed. Ritter, Lips. 1736. f.)

(1) So muß nämlich nach dem Zusammenhang und Inhalt des Titels gelesen werden. Die Handschriften haben: Utrumvi.


(X) Einleitung.

4. Institutionum Lib. 4. Tit. 15. (de Interdictis) §. 4. 5. 6.

5. Digestorum: Lib. 41. Tit. 2. de adquirenda vel amittenda Possessione.

Lib. 43. Tit. 16. (1) de Vi, et de Vi armata.

Lib. 43. Tit. 17. Uti possidetis.

Lib. 43. Tit. 18. de Superficiebus.

Lib. 43. Tit. 19. de Itinere Actuque privato.

Lib. 43. Tit. 20. de Aqua cottidiana et aestiva.

Lib. 43. Tit. 21. de Rivis.

Lib. 43. Tit. 22. de Fonte.

Lib. 43. Tit. 23. de Cloacis.

Lib. 43. Tit. 26. de Precario.

Lib. 43. Tit. 31. de Utrubi.

(1) In allen alten Ausgaben, und auch bey Haloander, ist die Zahl dieses Titels und der folgenden Titel um Eins geringer: der 10te und 11te Titel der Florentinischen Handschrift nämlich werden da für Einen Titel gerechnet.


(XI) I. Quellenkunde.

6. Codicis Lib. 7. Tit. 32. de adquirenda et retinenda Possessione.

Lib. 8. Tit. 4. Unde vi.

Lib. 8. Tit. 5. si per vim vel alio modo absentis perturbata sit Possessio.

Lib. 8. Tit. 6. Uti possidetis.

Lib. 8. Tit. 9. de Precario, et Salviano Interdicto.

Bey den Institutionen, den Pandekten und dem Codex liegt überall die Ausgabe von Gebauer und Spangenberg zum Grunde, wo nicht eine Abweichung besonders bemerkt ist, und dieses letzte ist nur da geschehen, wo es der Inhalt dieses Werks nothwendig machte. Einige Citate mußten, weil sie oft vorkamen, sehr abgekürzt werden, so daß es nöthig ist, die Abkürzungen hier zu erklären:

Cod. Rehd. – Die Rehdigersche Handschrift des Dig. novi, welche in Gebauer’s Noten excerpirt ist.

Cod. Lips. – Eine sehr schöne Handschrift der Rathsbibliothek zu Leipzig: das Dig. novum mit Inscriptionen und voraccursischer Glosse.

An einigen Stellen wird eine Handschrift des Dig. novi zu Löwen erwähnt. Diese gehört


(XII) Einleitung.

dem Herrn Advokaten van Meenen daselbst, und ich verdanke die Mittheilung dieser Lesearten der Gefälligkeit des Herrn Prof. Warnkönig.

Rom. 1476. – Digestum Novum „Rome aput sanctum Marcum (1). Anno a nativitate dni. MCCCC. Septuagesimosexto. die penultima mensis. Marcii.“ fol. max.

Nor. 1483. – Digestum Novum „impensis Anthonii koburger nurenberge feliciter est consummatum. Anno xpiane salutis millesimo quadringentesimo octuagesimo tercio. duodecimo kalendas majas.“ fol. min.

Ven. 1485. – Digestum Novum „Mira arte Venetiis impressum Impensis Bernardini de novaria. et Antonii de stanchis de valentia. Anno MCCCC. IXXXV. die vero undecimo mensis maji.“ fol. max.

Ven. 1491. – Digestum Novum „Explicit liber sede ptis digesti novi ... Venetiis impressus: arte et impensis Andree calabren. de papia. Anno dni. MCCCCLXXXXI. die ultimo Aprilis.“ fol. max.

Ven. 1494. – Digestum Novum „Venetiis per Baptistam de tortis. M. CCCC. IXXXXIIIj. die XXIIj. decembris.“ fol. max.

(1) per Vitum Puecher.


(XIII) I. Quellenkunde.

Lugd. 1508. – Digestum Novum „Impressum Lugduni per notabilem virum artis impressoriae Magistrum Jacobum Saccon. Anno salutiferae incarnationis dnice MCCCCCVIII. die vero martii XVI.“

Lugd. 1509. – Digestum Novum, mit derselben Unterschrift, wie das vorige: „MCCCCCIX. die vero XXVIj. novembris.“

Lugd. 1513. – Digestum Novum „Impressum Lugduni per Franciscum Fradin. Anno dni millesimo. CCCCCXIIj. Die v°. XIIIj. mensis Novembris.“ fol. max.

Paris. 1514. – Digestum Novum „Impressum est denuo in inclyta parrhisiorum academia: ad idus decemb. M. D. XIIIj. Opera et vigilantia quidem mea: impensis autem et meis ad Joannis Petit.“ 4°.

Lugd. 1519. – Digestum Novum ap. Franc. Fradin, impensis Aymonis de porta, 1519. d. 20. Aug. fol.

Hal. – Digesta cura Haloandri, Norembergae 1529. 4°. (Bey Gebauer excerpirt).

Paris. 1536. – „Digestum Novum ... Parisiis ... M. D. XXVI. in 4°.“ In fine: „Pandecte imperatoris Justiniani ... Excuse ... in alma Parisiorum academia: in edibus honestissime matrone yolande


(XIV) Einleitung.

bonhomme, vidue spectabilis viri Thielmanni kerver. impensis suis ... M. D. XXXV.“

Außer diesen eigenthümlichen Quellen des Besitzes gehören dahin auch die Quellen, welche zunächst auf Occupation, Tradition und Usucapion sich beziehen.


(XIII)

II. Literärgeschichte.

Die Schriften, in welchen dieser Theil des Civilrechts bearbeitet ist, sind von zweyerley Art. Die erste Classe hat die Interpretation der Quellen zum Gegenstande, die zweyte das System (1). Diese Entgegensetzung beider Classen kann zugleich als eine chronologische gelten, so daß das sechzehnte Jahrhundert als Gränze betrachtet wird: nur darf es damit nicht ganz strenge genommen werden, denn der Anfang der zweyten Classe fällt der Zeit nach mit dem Ende der ersten zusammen.

(1) Es versteht sich von selbst, daß jeder Schriftsteller nach seinem Hauptwerke classificirt, und daß alles Uebrige zugleich neben diesem Werke genannt werden müsse.


(XVI) Einleitung.

Erste Classe: Interpreten.

1. Die Glosse zu den Theilen der Justinianischen Rechtssammlungen, die oben als Quellen genannt worden sind.

Ein sehr großer Theil der spätern Meinungen und Streitigkeiten ist schon in der Glosse enthalten, oder durch dieselbe veranlaßt: auch läßt sich diese vorzügliche Wichtigkeit der Glosse leicht aus der Natur des Gegenstandes erklären, wobey es mehr auf eine gründliche Einsicht in die Justinianischen Sammlungen selbst, als auf Anwendung historischer Hülfskenntnisse ankam. Wieviel übrigens dadurch verloren ist, daß Wir von den Schriften der Glossatoren nicht viel mehr als die schlechten Auszüge des Accurs übrig haben, läßt sich selbst aus dem Wenigen beurtheilen, was hier von Placentin († 1192.), und Azo († nach 1230.), Rofred († nach 1243.) und Odofred († 1265.) noch benutzt werden kann:

Placentini Summa in Cod. Lib. 7. Tit. 32. (hier: 35.) (p. 328-333), Lib. 8. Tit. 4-6. (p. 373-377), Lib. 8. Tit. 9. (hier: 11) (p. 379. 380.), ed. Mogunt. 1536. f.


(XVII) II. Literärgeschichte.

Azonis Summa in Cod. titt. citt., fol. 134-135, 145-149. ed. (Lugd.) 1537. f.

Azonis ad singulas leges XII. librorum Cod. Iust. commentarius et magnus apparatus. Paris. 1577. f.

(Aus diesem Werke ist der größte Theil der Glosse zum Codex genommen). Lib. 7. Tit. 32. (p. 567-571.), Lib. 8. Tit. 4-6. Tit. 9. (p. 615-624).

Roffredi Tractatus judiciarii ordinis P. 2. 8. (s. u. §. 34).

Odofredi praelect. in Dig. novum, Lugduni 1552. f. (fol. 51-65. 100-104.) et in secundam partem Codicis. Lugduni 1549. f. (fol. 103-109. 140-148).

2. Die Commentatoren von Accurs bis zu Ende des funfzehnten Jahrhunderts.

Für das eigene Studium ist in diesen Werken weit weniger als in den früheren zu finden, allein für die Dogmengeschichte, besonders der unmittelbar


(XVIII) Einleitung.

darauf folgenden französischen Schule, sind sie bedeutend, und zugleich bey weitem nicht genug benutzt.

3. Udalr. Zasius († 1535.) – Seine Vorlesungen über einen Theil des Pandektentitels de poss. sind zuerst, mit mehreren Schriften, gedruckt: Basil. 1543. f. Dann: opp. Tom. 3. (Francof. 1590. f.) p. 78-161.

4. Andr. Alciatus († 1550.). – Die Vorlesungen über neun Stellen des Pandektentitels stehen: opp. T. 1. (ed. Francof. 1617. f.) p. 1188-1263. – Damit zu verbinden:

de quinque pedum praescr. num. 76-119. (T. 3. p. 350.).

Comm. in L. 115. de V. S. (T. 2. p. 987.).

Dispunct. Lib. 1. Cap. 1. (T. 4. p. 143.).

Mit Zasius und Alciat fängt bekanntlich der bessere Geschmack in der Behandlung des Civilrechts an: allein von diesem besseren Geschmack ist in den exegetischen Vorlesungen noch wenig oder nichts sichtbar.


(XIX) II. Literärgeschichte.

5. Aemyl. Ferretus († 1552.). – Die Vorlesungen über die drey Stellen des Pandeketentitels (L. 1. 3. 12.), wobey das übrige gelegentlich eingeschaltet ist, stehen: opp. T. 1. (Francof. 1598. 4.) p. 514-630. Am Ende steht: Finis 1551.

Etwas schwerfällig und weitschweifig, aber nicht ohne eigene Gedanken.

6. Franc. Duarenus († 1559.). – Seine überaus gründlichen Vorlesungen erstreckten sich auf den ganzen Titel der Pandekten, aber es ist nur die Erklärung der elf ersten Fragmente übrig geblieben; sie stehen: opp. (Lugd. 1584. f.) p. 819-872., und sind nach 1549. gehalten, denn Ulpian wird darin citirt. – Damit zu verbinden:

Comm. in tit. de adqu. vel amitt. poss. (p. 816-818.). Kurze systematische Uebersicht über die Lehre.

Disput. annivers. Lib. 1. C. 18. (p. 1385.).


(XX) Einleitung.

7. Barthol. Romuleus (seit 1548 Prof. zu Ingolstadt. Mederer. ann. Ingolst. I. 207.). – Comm. s. repet. ad rubr. et L. I. (princ.) de acqu. vel amitt. poss. Lugd. 1561. 8. – Höchst weitschweifig und geschmacklos. (1).

8. Ioan. Corasius († 1572.). – Nur über zwey Stellen des Titels (opp. ed. Forster, Vitemb. 1603. f., T. 1. p. 918-968.), und ziemlich unbedeutend.

9. Jac. Cuiacius († 1590.). – Er hat den größten Theil der Quellen dieser Lehre interpretirt, aber seine Interpretation steht der des Duaren an Gründlichkeit nach, und läßt nur zu oft unbefriedigt. Die Veränderlichkeit seiner Meinungen ist auch hier sehr sichtbar, und es wird daher nicht überflüssig seyn, alles, was von seinen Schriften hierher gehört, soviel als möglich chronologisch zusammen zu stellen. Die

(1) Die Erwähnung des Romuleus ist in der 4ten Ausgabe neu hinzugekommen.


(XXI) II. Literärgeschichte.

Seitenzahlen beziehen sich auf die zwey Neapolitanischen Ausgaben der sämmtlichen Werke (1722 und 1758, 10 B. Text und 1 B. Index, fol.). Was mit * bezeichnet ist, wurde erst nach seinem Tode und gegen seinen Willen gedruckt:

1556. Notae priores in §. 4. I. per quas pers. et §. 4-6. I. de interd. (T. 1. p. 94., p. 284. 285). [1556. Observ. I. 20. II. 35 – nur über einzelne Stellen oder specielle Fragen] (1).

1557. Notae in Pauli Sent. recept. Lib. 5. Tit. 2. et 6. (T. 1. p. 469. 478.).

[1559. Observ. IV. 3. 7. 8. 11.].

[1562. Observ. V. 15. 17. 18. 19. 20. 22. 23. 27.].

[1564. Observ. VI. 4. VII. 38.].

1569. Observ. IX. 32. 33.

1569. Paratit. in Dig. XLI. 2. (T. 1. p. 843., mit Noten von Fabrot).

1573. African. Tr. 7. L. 40. ff. de poss. (T. 1. p. 1401.).

[1577. Observ. XVII. 2. (zuerst gedruckt in opp. Paris. ap. Nivell. 1577. fol. T. 5.)].

(1) Alle observ. stehen im dritten Bande der Sammlung.


(XXII) Einleitung.

1579 Observ. XVIII. 24.

1579. Paratit. in Cod. VII. 32., VIII. 4. 5. 6. 9. (T. 2. p. 471. p. 528-530. p. 532., mit Noten von Fabrot).

* 1584. 1585. Recitat. in Pauli (1) Comm. ad Ed. (T. 5), in den hierher gehörigen Stellen

(vorzüglich: L. 1. 3. ff. de poss., p. 690-719.).

1585. Notae posteriores in §. 4. I. per quas pers. et §. 4-6. I. de interd. (T. 1. p. 94. p. 284. 285.).

[1585. Observ. XXIII. 21. XXIV. 9. 10. 12.].

* 1588. Recitationes in tit. Dig. de adqu. vel amitt. poss. T. 8. p. 236-315. Zuerst, und besser als in der Sammlung: Spirae 1594. 4.

[? Observ. XXV. 5. 32. 33. 34. XXVII. 7. 22.] Zuerst gedruckt: 1595.

* ? Notae in Dig. XLI. 2. (T. 10. p. 512.).

* ? Notae in Cod. VII. 32. VIII. 4. etc. (T. 10. p. 691. 697. 698.).

* ? Recitat. in singg. LL. Cod. (T. 9) VII. 32. (p. 1004-1019.) VIII. 4. 5. 6. 9. (p. 1148-1173.).

Diese, so wie die zwey vorigen Schriften, zuerst gedruckt: 1597.

(1) Weniger bedeutend sind hier die Vorlesungen über Papinian (T. 4.), Julian (et)c. (et)c. (T. 6.), weil die Stellen selbst weniger wichtig sind.


(XXIII) II. Literärgeschichte.

* ? Comment. s. Scholia in Institutiones, ad §. 4. I. per quas pers. (T. 8. p. 690.). – Zuerst gedruckt: 1658.

10. Jul. a Beyma († 1588.). – Seine sehr unbedeutenden Vorlesungen über den Titel der Pandekten und des Codex stehen in: Comm. in varios titulos juris. Leovard. 1645. 4. (321-408, p. 409-427.).

11. Hubertus Giphanius († 1604.). – Der gründlichste und vollständigste unter allen Interpreten; die Collegienhefte, aus welchen fast alles abgedruckt ist, scheinen sehr mangelhaft gewesen zu seyn, und der Abdruck selbst ist sehr nachlässig. Folgende Stücke der Quellen sind von ihm interpretirt:

Tit. Dig. de adqu. vel. amitt. poss. (lecturae Altorph., Francof. 1605. 4. p. 394-526.).

Tit. Cod. de adqu. et retin. poss. (ibid. p. 526-537.).

Ej. Tit. L. 3. (Explanatio Cod., Colon. Planc. 1614. 4. P. 2. p. 242-244.).


(XXIV) Einleitung.

Lib. 8. Cod., Proleg. de remed. poss. (ibid. p. 257-269.).

Tit. Cod. unde vi (ibid. p. 276-298.).

Tit. Cod. Uti possidetis (ibid. p. 298-308.).

§. 4-6. I. de interd. (Comm. in Institut., Francof. 1606. 4. p. 431-435).

Damit zu verbinden:

Antinom. Iur. civ., Lib. 4. Disp. 48. de Interdictis (Francof. 1605. 4. p. 263-277.). Jedoch ist die Aechtheit dessen, was in diesem Buch dem Giphanius zugeschrieben wird, noch zweifelhafter als bey den exegetischen Vorlesungen.

12. Guil. Maranus († 1621.). – In seinen Werken (ed. Traj. 1741. f.) steht, außer einer unbedeutenden Einleitung in diese Lehre (p. 473-475.), ein Commentar über die

drey ersten Fragmente des Pandektentitels (p. 599-613.), welcher auch nicht viel Neues enthält.

Zweyte Classe: Systematiker.

Schon Placentin und Azo (num.1.) gaben eine kurze Uebersicht (Summa) über diese Lehre, als Einleitung in die Interpretation


(XXV) II. Literärgeschichte.

der Quellen, und diesem Beyspiel folgten Duaren und mehrere Andere. Hier aber sollen nur diejenigen Schriftsteller genannt werden, welche die Darstellung des Systems zum Zweck hatten, einerley, ob sie es ganz darstellen, oder (wie Merenda und Cuperus) nur Beyträge dazu liefern wollten: nur muß zugleich für die Erreichung dieses Zwecks etwas bedeutendes geleistet worden seyn (1). Für die neuesten Schriften indessen kann auch diese letzte Einschränkung nicht gelten, weil über diese noch nicht durch das Stillschweigen späterer Schriftsteller entschieden seyn kann. Systeme des ganzen Civilrechts können fast durchaus übergangen werden, weil darin für einzelne Lehren nur selten viel Neues zu finden ist.

(1) Das siebzehnte Jahrhundert ist vorzüglich reich an Dissertationen, denen viel zu viel Ehre geschähe, wenn man von jeder besonders bemerken wollte, daß sie nichts taugt.


(XXVI) Einleitung.

13. Vaconii a Vacuna novae declarationes, Romae 1556. 4., Lib. 2. Declar. 56-92. f. 52-102.

Das ganze Werk ist von einem Zuhörer aus Vorlesungen zusammen getragen: das zweyte Buch enthält eine Reihe von Untersuchungen über den Besitz, die nicht ungründlich, aber dunkel und verworren sind.

14. Georg. Obrecht († 1612.): Methodica tractatio ... tituli. Dig. et Cod. de adqu. poss., in tres partes atque disputationes distincta. Zuerst (nach Lipenius): Argent. 1580. Dann in: Disputat., Ursellis 1603. 4., P. 1. Num. 25. (p. 517-571.).

Die erste der drey Disputationen (Cap. 1-5.) handelt vom Begriff des Besitzes, die zweyte (Cap. 6-13.) vom Erwerb, die dritte (Cap. 14-19.) vom Verlust. – Eine sehr brauchbare Schrift, sowohl wegen der leichten, natürlichen Anordnung, als wegen der richtigen Ansichten, die dabey zum Grunde liegen.


(XXVII) II. Literärgeschichte.

15. Hugo Donellus (†1591.). – Hierher gehören:

Commentarii I. Civ., Lib. 5. Cap. 6-13. [Besitz selbst] (pag. 183-198), Lib. 15. Cap. 32-38. [Interdicte] (p. 799-816.). Die elf ersten Bücher des Werks zuerst: Francof. 1589. 1590. 2. Vol. f., das Ganze zuerst: Francof. 1595-1597. 5 Vol. f. Die angeführten Seitenzahlen beziehen sich auf die Hanauer Ausgabe (1612., 1. V. f.)

[Damit zu verbinden:

Comm. in Cod., Lib. 8. Tit. 4. 5. 6. (p. 266-285. f.; nicht sehr bedeutend)].

Diese Darstellung des Besitzes ist vortrefflich, ja sie ist die einzige, in welcher der eigentliche Zusammenhang desselben mit dem ganzen System des Civilrechts erkannt und entwickelt ist. Eigentliche Untersuchungen konnten in diesem einzelnen Abschnitte eines größeren Werkes keinen Platz finden, aber daß sie dem Werke selbst vorher gegangen sind, ist sehr sichtbar. Uebrigens gehört diese Darstellung des Besitzes, wie das ganze Werk, zu den bekanntesten und unbekanntesten civilistischen


(XXVIII) Einleitung.

Schriften zugleich. Einzelne Sätze daraus werden überall angeführt und beurtheilt, aber die Darstellung des Ganzen, die den eigentlichen Werth desselben ausmacht, wird meist ignorirt. Hilliger hat sogar einen eigenen Auszug mit Noten herausgegeben, um diesen falschen Gebrauch recht bequem zu machen.

16. P. Friderus Mindanus († 1616.). – Schriften:

Comm. synopt. de materia possessionis, Francof. 1597. 8.

Tr. de Interdictis, Francof. 1616. 4.

Beides sehr fehlerhaft zusammengedruckt:

Wetzlar 1731. 4.

Frider giebt überall die Absicht an den Tag, ein ganz neues System des Besitzes aufzustellen, und er scheint selbst durch gelehrte Untersuchungen diesen Zweck erreichen zu wollen. Allein es giebt vielleicht kein Buch über diesen Gegenstand, das so wenig Wahres und so viel Falsches enthielte, als dieses, und man thut ihm im geringsten nicht Unrecht, wenn man es für völlig unbrauchbar erklärt. Indessen scheint das eben


(XXIX) II. Literärgeschichte.

nicht die gewöhnliche Meinung gewesen zu seyn, denn das Buch ist nicht selten von späteren Schriftstellern stark benutzt worden.

17. Alex. Turaminus. – Sein Buch: de vera possessionis substantia, ad Paulum in L. 3. §. ex contr. de possess. enthält weitläufige und ziemlich geschmacklose Untersuchungen über den Begriff und die Natur des Besitzes. Es erschien zuerst: Ferrariae 1604 und steht in der Sammlung seiner Werke (Senis 1769. f.) p. 233-299.

18. Notarum juris selectarum liber, ex subsecivis Fr. Davy Dargenté Antecessoris Andegavensis. Juliomagi Andium, ap. G. Chesneau 1615. 4. – Die ersten 86 Blätter des Buchs enthalten ein System des Besitzes, welches nicht ohne Geschmack, aber ungründlich ist.

19. Anton. Merenda († 1655.). – Seine Controversiae Iuris erschienen von 1625 an stückweise. Die neueste Ausgabe (Bruxellis


(XXX) Einleitung.

1745. 1746. f.) ist so abgetheilt: Tom. 1. (1745). Lib. 1-6., Tom. 2. (1745.). Lib. 7-12., Tom. 3. (1746.). Lib. 13-18., Tom. 4. (1746.). Lib. 19-23., Tom. 5. (1746.). Lib. 24. – Hierher gehören:

Lib. 2. Cap. 16-21. Cap. 32.

Lib. 3. Cap. 19. 21.

Lib. 6. Cap. 25.

Lib. 12. Cap. 1-29.

Lib. 19. Cap. 24.

Lib. 24. Cap. 35. 39. 45.

Merenda leitet das ganze Recht des Besitzes aus dem Zustand wandernder Völker ab. Ihr Verhältniß zum Boden sey das gewesen, was wir Besitz nennen, und dieses Rechtsinstitut sey aus politischen Gründen beybehalten worden, da durch den Ackerbau wahres Grundeigenthum entstand. Das alles ist freylich falsch, aber zweyerley darf doch dabey nicht übersehen werden: einmal, daß der Irrthum selbst aus einem sehr reellen Bestreben nach einer systematischen Einsicht entstanden ist: zweytens, daß Merenda neben diesem Irrthum


(XXXI) II. Literärgeschichte.

eine gründliche Kenntniß des Römischen Rechts hat, die er oft sehr scharfsinnig mit jenem Irrthum zu vereinigen weiß, und die ihn noch immer recht brauchbar macht.

20. Marc. Aurel. Galvanus (†. 1659.). – Bey dem Ususfructus kam er unter andern auch auf die Frage: wie der Besitz dabey zu bestimmen sey? und diese sollte durch eine Untersuchung über die Natur des Besitzes selbst vorbereitet werden. Darum gehört hierher das 33ste und 34ste Capitel des Buchs: de Usufructu (zuerst: Patav. 1650. f.).

Sehr schwerfällige Untersuchungen, meist auf willkührliche Begriffe gebaut. So z. B. wird bey jedem Besitzer untersucht, ob er stricte oder late, proprie oder improprie, vere oder interpretative besitze, und diese Methode ist recht dazu gemacht, den eigentlichen Gesichtspunct zu verrücken. Das Buch ist hier völlig entbehrlich, wiewohl es keineswegs ungründlich genannt werden kann.

21. Melch. de Valentia († 1657.), Prof.


(XXXII) Einleitung.

zu Salamanca. – Seine: illustres juris tractatus oder: lecturae Salmanticenses, sind stückweise gedruckt; das dritte Buch zuerst 1634, das erste und zweyte früher, und diesen beiden ist noch eine gelehrte Correspondenz mit Anton Faber eingeschaltet. Das Ganze ist zuletzt (und sehr fehlerhaft) gedruckt: Coloniae Allobrogum 1730. 4. (1). Hierher gehört:

L. 1. Tract. 2. (p. 27-70).

22. Franc. Ramos del Manzano († 1683.), Schüler des Vorigen und Prof. zu Salamanca. – Seine Vorlesungen über den Besitz sind erst von Meermann abgedruckt worden (Thes. Tom. 7. p. 78-114.).

23. Jos. Fernandez de Retes († 1678.), Schüler des Ramos und Prof. zu Salamanca. – Seine Vorlesungen über

(1) Dieser Ausgabe ist noch beygedruckt: Noodt de forma emendandi doli mali, und zwar als ein anonymes Buch.


(XXXIII) II. Literärgeschichte.

den Besitz (gehalten vom J. 1649 an) stehen bey Meermann: Tom. 7. p. 454-494., die über die Interdicte (J. 1660.) p. 495-539.

Die Vorlesungen dieser drey Spanischen Juristen sind mit großem Fleiße ausgearbeitet, und man kann sie nach Donellus als die gründlichsten Werke über den Besitz betrachten. Mit den Vorlesungen aus der Französischen Schule sind sie schon der äußeren Einrichtung nach gar nicht zu vergleichen. Sie sind wie Bücher abgetheilt, und werden wie Bücher citirt: jede derselben ist mehrmals gehalten und immer von neuem bearbeitet. Auch ist oft von einer gemeinen Meinung der Akademiker zu Salamanca die Rede, was sich hieraus erklärt. – Valentia scheint in außerordentlichem Ansehen gestanden zu haben, aber Ramos mag wohl der vorzüglichste unter den dreyen seyn. Der Tractat des Retes: de Interdictis, welchem wahrscheinlich nicht vorgearbeitet war, ist bey weitem das schlechteste.

24. Hieron. Oroz, Prof. zu Valladolid, Zeitgenosse und Gegner der drey


(XXXIV) Einleitung.

Juristen zu Salamanca. – Er schrieb: Apices Iuris civilis, wovon das ganze vierte Buch den Besitz abhandelt (p. 268-344. ed. Lugd. 1733. f.).

Das Werk enthält fast nichts eigenes, und es wird dadurch unbrauchbar, daß es beynahe ganz aus Frider (num. 16.) ausgeschrieben ist.

25. Dominicus Aulisius († 1717, Prof. zu Neapel). – Seine Commentarii ad titt. Pandectarum de adqu. vel am. poss., de V. O., de leg. et fid., sol. matr. Neap. 1719. 4., enthalten p. 1-137. ein System des Besitzes, worin manches Einzelne mit Gründlichkeit und Scharfsinn behandelt ist, dem es aber im Ganzen an einem zweckmäßigen Plan gänzlich fehlt. Eigene Ansichten von Bedeutung habe ich darin nicht gefunden.

26. Io. Iac. Oppenritter. – Schriften:

Diss. (resp. C. F. Com. a Werschowetz), Summa possessionis, Viennae 1738. 4.


(XXXV) II. Literärgeschichte.

[P. 1. Begriff und Erwerb (p. 1-336.), P. 2. Erhaltung und Verlust (p. 337-383.)].

Diss. (resp. Com. a Kollowrath), beatitudo possidentis, Viennae 1738. 4. [P. 1. Vortheile des Besitzes (p. 1-184.) P. 2. Interdicte (p. 185-288.). Hier ist die Darstellung der Interdicte nur eingeleitet: für die possessorischen Interdicte wird am Schluß noch eine dritte Schrift versprochen, von welcher ich nicht weiß, ob sie erschienen ist].

Viele eigene Gedanken sind in diesen Schriften nicht zu suchen, allein sie sind als Materialiensammlungen ganz brauchbar, indem sie bey den wichtigsten Fragen die Meinungen der älteren Juristen ziemlich vollständig, obgleich ohne alle Auswahl, zusammenstellen.

27. Robert Joseph Pothier (n. 1699. † 1772.), Prof. und Mitglied des Gerichtshofs zu Orleans. – Die letzte unter seinen vielen Schriften über Römisches und Französisches Recht ist eine Abhandlung


(XXXVI) Einleitung.

über Eigenthum und Besitz unter folgenden Titeln:

Traité du droit de domaine de propriété, par l’auteur du traité des obligations. Tom. 1. à Paris et Orléans 1772. in 12.

Traité de la possession [p. 1-128.] et de la prescription, par M. Pothier, Conseiller au Présidial d’Orléans. Tom. 2. Paris et Orléans 1772. (1). in 12. (Mit vorgedrucktem Leben des Verfassers).

Damit zu verbinden:

Pandectae Iustinianeae in novum ordinem digestae, Lib. 41. Tit. 2., Lib. 43. Tit. 16-23. Tit. 26. Tit. 31. (Tom. 3. p. 121-132., p. 215-232., p. 240-244., p. 248-249. ed. Lugd. 1782. f., zuerst: 1748.).

Etwas Neues enthält diese Darstellung des Besitzes gar nicht, aber die Hauptansichten sind richtig und die Darstellung selbst ist recht gut und zu einer allgemeinen Uebersicht sehr brauchbar. Zugleich sind die Abweichungen des Französischen Rechts dabey bemerkt.

(1) Auf dem Titel steht durch Druckfehler: MDCCLXXXII.


(XXXVII) II. Literärgeschichte.

28. Essai sur les principes du droit, tant ancien que moderne, en matière de possession. à Louvain 1780. 12. (Von L. J. Jupille).

Ein seltenes, aber sehr schlechtes Buch, dessen Daseyn ich früherhin bezweifelt, dann aber geradezu in Abrede gestellt hatte. Eine ausführliche Anzeige davon findet sich in Hugos civilistischem Magazin B. 3. N. XXI.

29. Ernst Christ. Westphal († 1792.), System des Römischen Rechts über die Arten der Sachen, Besitz, Eigenthum und Verjährung, Leipzig 1788. 8. [Arten der Sachen Th. 1. p. 1-32. Besitz Th. 2. p. 33-261. Eigenthum und Verjährung Th. 3. p. 261-784].

Westphal hatte die Absicht, eine recht gelehrte Schrift zu liefern, die den Gegenstand eigentlich erschöpfen sollte, und er hat sich dazu durch ein vollständiges Studium der Quellen und der besten Schriftsteller vorbereitet. Nur ist es zu bedauern, daß er die


(XXXVIII) Einleitung.

Quellen so gut als gar nicht zu behandeln wußte, und daß er unter den Meinungen seiner Vorgänger gewöhnlich die schlechtesten auswählte. Gerade in den entscheidendsten Puncten sind seine Meinungen so falsch, daß das Buch selbst als Compilation nicht sehr brauchbar ist. Seine größte Stärke ist die Entwicklung der Fehler der Römischen Juristen, und er weiß sich mit großer Herzhaftigkeit selbst in praktischer Rücksicht über diese Fehler wegzusetzen.

30. Angeli Jacobi Cuperi (diss. inaug.) observationes selectae de natura possessionis, Lugd. Bat. 1789. 4. (120 S.) – neue Ausgabe von Thibaut: Ienae 1804. 8. (154 S.); von S. 155-174. folgen: editoris der naturali et civili possessione animadversiones (s. u. num. 33.). Ich citire nach der ersten Ausgabe.

Selten ist in einer civilistischen Schrift so unbedingter Beyfall zu Theil geworden, als dieser, daher es nöthig wird, sie etwas genauer als die übrigen Schriften zu characterisiren. Sie ist


(XXXIX) II. Literärgeschichte.

aus einem überaus gründlichen Quellenstudium entstanden, und sie kann mit Wahrheit elegant genannt werden, nicht nur wegen der vortrefflichen Behandlung der Quellen, sondern auch wegen der bestimmten Richtung der Untersuchung, wodurch sie sich sehr vortheilhaft vor den meisten Holländischen Schriften auszeichnet, die so oft mit ihren Digressionen beschwerlich fallen (1). Aber bey aller dieser Vortrefflichkeit sind es doch nur einzelne Bemerkungen, die als eigentliches Resultat der Schrift betrachtet werden können, ja in den wichtigsten Puncten sind sogar die Ansichten früherer Schriftsteller erweißlich besser. Dieser Umstand ist nur aus einem gänzlichen Mangel an systematischem Talent zu erklären, welcher Mangel sich ohnehin schon in der fragmentarischen Anordnung der ganzen Schrift äußert, noch mehr aber in dem Bestreben, jede Regel des Römischen Rechts wo möglich zu isoliren: viele Schriftsteller haben

(1) Höpfner’s Urtheil über Cuperus ist völlig unbegreiflich. Er spricht ihm richtige Beurtheilung und helle Begriffe ganz ab und vergleicht seine Manier mit der des Salmasius. Gleich darauf findet er die Schrift von Spangenberg gut genug. (Commentar, sechste Ausgabe, §. 281. not. 11.).


(XXXX) Einleitung.

aus Liebe zum System die Quellen hintangesetzt, aber hier wird umgekehrt mehr als einmal den Quellen Gewalt angethan, um die Einheit aufzuheben, die wirklich vorhanden ist. Daraus erklärt sich leicht, warum bey jeder Gelegenheit Merenda (num. 19.) so übel von Cuperus behandelt wird; Merenda hatte gerade die entgegengesetzte Richtung. Welche von beiden Richtungen dem Civilrecht angemessen, ja nothwendig sey, kann wohl nicht gründlich bezweifelt werden.

31. C. F. W. von Spangenberg, Versuch einer systematischen Darstellung der Lehre vom Besitz. Bayreuth 1794. 8. (340 S.).

Ein Buch ohne neue Gedanken, und auch als Compilation nicht brauchbar. Wie wenig der Verf. selbst zum Compilator berufen ist, kann man schon daraus sehen, daß er Westphal und Cuperus neben einander excerpirt.

32. Ferd. Gotthelf Fleck. – Schriften:

Hermeneut. tituli ff. de adquirenda vel ammittenda Possessione specimina duo. Lips. 1796. 4. (139 S.).


(XXXXI) II. Literärgeschichte.

Commentationes binae de interdictis unde vi et remedio spolii. Lips. 1797. 8. (136 S.). Dazu kommt noch:

C. F. M. Klepe diss. de natura et indole possessionis ad interdicta uti possidetis et utrubi necessaria. Lips. 1794. 4. (1).

Es wäre zu wünschen, daß diese Schriften eben so sehr das Eigenthum ihres Vfs wären, als ihr Inhalt gelehrt und brauchbar ist. Allein selbst der Ausdruck: Compilation mögte hier wohl etwas zu gelinde seyn. Die erste Schrift kündigt sich selbst als ein Spicilegium zu Cuperus und Spangenberg an, auch wird Cuperus ein paarmal citirt. Aber daß fast die ganze Schrift, und zum Theil wörtlich, aus Cuperus genommen ist, erfährt der Leser nicht. Eben so wird in der zweyten Schrift die Abhandlung von Cras (2) zwar genannt, aber bloß unter den Schriften, worin Cicero vertheidigt werde, also in einer Reihe mit Grotius und Donellus: und doch ist der beste Theil des Buchs ganz aus Cras genommen,

(1) Fleck selbst hat nämlich diese Schrift vindicirt (de interdictis p. 35.).

(2) s. u. §. 40.


(XXXXII) Einleitung.

ja ganze Blätter sind wörtlich abgeschrieben.

33. F. W. Sibeth, Erörterungen aus der Lehre vom Besitz, erster Theil, Rostock 1800. 8. (168 S.).

Das Buch ist ganz originell und selbst von Cuperus Einfluß ganz frey: nur Einmal wird eine „Cuperische Deutung“ angeführt und sehr schnöde abgefertigt. Erst S. 136. kommt der Vf. auf die naive Frage: „was er eigentlich denn recht wolle?“ daß er es selbst nicht weiß, zeigt das ganze Buch. Indessen verdient doch jedes originelle Bestreben selbst dann eine Art von Achtung, wenn es so völlig fruchtlos bleibt, wie hier.

34. A. F. J. Thibaut über Besitz und Verjährung. Jena 1802. 8. – Hierher gehört der erste Theil des Buchs S. 1-60.

Nach des Vfs eigener Erklärung (1) war es nicht sowohl seine Absicht, eine neue Darstellung dieser Gegenstände zu liefern, als seinen Zuhörern einen Leitfaden

(1) s. die Vorerinnerung.


(XXXXIII) II. Literärgeschichte.

in die Hände zu geben. Darum gehört diese Schrift nicht eigentlich hierher: allein wer die übrigen Schriften des Vfs kennt, muß es beklagen, daß eine eigene Untersuchung dieses Theils des Civilrechts nicht in seinem Plane lag.

35. Car. Chr. Heffter diss. de possessione, spec. 1. Viteb. 1803. – Sehr unbedeutend.

36. Die erste Ausgabe des gegenwärtigen Buchs (1803).

37. Thibaut’s Bemerkungen über possessio civilis und naturalis hinter seiner Ausgabe des Cuperus (s. o. num. 30.). Sie enthalten eine sehr interessante Berichtigung meiner Darstellung dieser Begriffe, wovon unten Gebrauch gemacht werden wird; das Wesentliche davon hatte der Verfasser schon vorher in einer Recension der ersten Ausgabe meiner Schrift


(XXXXIV) Einleitung.

(A. L. Z. 1804. num. 41 [et]c.) bekannt gemacht.

38. Theod. Maxim. Zachariae diss. (praes. Haubold) Universalia quaedam de possessione principia e jure Romano collecta. Lips. 1805. 4. (31 S.). – Der Verf. stellt einen neuen Begriff des Besitzes auf, und sucht durch diesen verschiedene Theile der Theorie aufzuklären. Sein Bestreben nach systematischer Einheit verdient Beyfall und Achtung, nur scheint es mit der Ausführung etwas leicht genommen zu seyn. Der Inhalt der Schrift ist theils nicht sehr neu, theils nicht sehr haltbar, und gewonnen hat hier die Wissenschaft eigentlich nichts. Belege zu diesem Urtheil werden unten (§. 9. [et]c.) vorkommen.

39. Die zweyte Ausgabe des gegenwärtigen Buchs (1806).


(XXXXV) II. Literärgeschichte.

40. Christ. Chlum, der Besitz unter Justinian. Marburg und Cassel. 1808. 8.

41. C. F. Ch. Wenck diss. de traditione inter possessionis et proprietatis transferendae modum fluctuante. Lips. 1809. 4.

Eine sehr gelehrte, fleißige Schrift, deren Hauptansichten aber durchaus unrichtig sind. Ein großer Theil derselben vertheidigt bloß den alten (nicht hierher gehörigen) Irrthum, nach welchem der Eigenthümer soll tradiren können, ohne zu besitzen. Eben so unrichtig ist die andere Ansicht, aus welcher der Vf. viele Stellen des R. R. interpretirt, daß nämlich oft der Besitz durch das Eigenthum und um des Eigenthums willen erworben werde, obgleich die wahren, sonst für den Erwerb des Besitzes vorgeschriebenen Bedingungen nicht vorhanden seyen.

42. Chr. Chr. Dabelow reprehensa Savignii capita Sectio prior. Lips. 1810. 8. – Idem ad sectionem priorem reprehensorum


(XXXXVI) Einleitung.

Savignii capitum postscripsit. Lips. 1810. 8. – Vgl. Heidelberger Jahrbücher für Jurisprudenz 1810. Heft 7. S. 318.

43. H. C. van Loenen diss. de possessione Traj. 1810. 4.

44. Dr. W. Planck, die Lehre vom Besitz, nach den Grundsätzen des französischen Civil=Rechtes. Göttingen 1811. 8.

45. Jac. Frid. Rauter diss. de jure possessionis. Argentor. 1812. 4. – Für das Römische Recht sehr unbedeutend.

46. Christ. Chlum, über das Recht des Besitzes, eine civilistische Abhandlung. Giesen 1813. 8.

47. Joh. Christ. Lange, Philosophisch=juristische Abhandlung über die Natur des Besitzes. Erster Band. Erlangen 1813. Zweyter Band. Das. 1818. 8.

48. G. Hufeland, neue Darstellung der Rechtslehre vom Besitz, im zweyten Theil


(XXXXVII) II. Literärgeschichte.

des Buchs: Ueber den eigenthümlichen Geist des Römischen Rechts. Giesen 1816. 8.

49. Th. M. Zachariä, die Lehre des Römischen Rechts vom Besitze und der Verjährung. Nebst einem Anhange von der Fructuum perceptio. Breslau 1816. 8.

50. Schweppe, juristisches Magazin. B. 1. Heft. 1. Altona 1818. 8. S. 38-50.

51. Die dritte Ausgabe des gegenwärtigen Buchs (1818).

52. Die vierte Ausgabe des gegenwärtigen Buchs (1822).

53. M. L. A. Warnkönig analyse du traité de la possession par M. de Savigny, à Liége chez Bassompierre 1824. 8. (War zuerst stückweise in der Themis erschienen.)


(XXXXVIII) Einleitung.

54. Th. M. Zachariä, neue Revision der Theorie des R. R. vom Besitze. Leipzig 1824. 8.

55. C. Albert über das Int. uti possidetis. Halle 1824. 8.

56. C. Albert über den Besitz unkörperlicher Sachen. N. I. Darstellung des Int. de itinere. Leipzig 1826. 8.

57. Roßhirt zu der Lehre vom Besitz und insbesondere von der quasipossessio. (Archiv B. 8. S. 1-74.). 1825. (Vgl. unten §. 9.)

58. C. F. Koch Versuch einer syst. Darstellung der Lehre vom Besitze nach Preussischem Recht, in Vergleichung mit dem gemeinen Recht. Berlin 1826. 8.

59. Die fünfte Ausgabe des gegenwärtigen Buchs (1827.).

60. Puchta: zu welcher Classe von Rechten gehört der Besitz? Rhein. Museum B. 3. 1829. S. 289-308. (Vgl. unten §. 6.).


(XXXXIX) II. Literärgeschichte.

61. Schröter: über den abgeleiteten Besitz, Zeitschrift von Linde B. 2. 1829. S. 233-269. (Vgl. unten §. 9.).

62. Güyet: über den animus possidendi, Abhandlungen. Heidelberg 1829. N. VI.

Güyet: noch einige Bemerkungen über den animus possidendi, Zeitschrift von Linde B. 4. 1831. S. 361-381. (Vgl. unten §. 9.)

63. Rudorff Rechtsgrund der possessorischen Interdicte, Zeitschrift f. geschichtl. Rwiss. B. 7. 1830. S. 90-114. (Vgl. unten §. 6.).

64. Warnkönig über die richtige Begriffsbestimmung des animus possidendi, Archiv f. civil. Praxis B. 13. 1830. S. 169-180 (Vgl. unten §. 9.).

65. Thon über civilis und naturalis possessio, Rhein. Museum B. 4. 1830. S. 95-141. (Vgl. unten §. 10.).

66. Wiederhold das Int. uti possidetis und die Novi operis Nunciatio. Hanau 1831. 8. (Vgl. unten §. 10.).


(L) Einleitung.

67. Johannsen Begriffsbestimmungen aus dem Gebiete des Civilrechts. H. 1. über Possessio, Possessio civilis und Possessio naturalis. Heidelberg 1831. 8. (Vgl. unten §. 10.).

68. Buchholtz über Juris possessio, Versuche. Berlin 1831. 8. N. VIII.

69. Hasse der jüngere über das Wesen der actio, Rhein. Museum B. 6. 1833. S. 183-204. (Vgl. unten §. 6.).

70. Bartels vom abgeleiteten Besitz, Zeitschrift von Linde B. 6. 1833. S. 178-214. (Vgl. unten §. 9.).

71. Thaden Begriff des Röm. Interdictenbesitzes. Hamburg 1833. 8. (Vgl. unten §. 6.).

72. Sintenis vom juristischen Besitz, Zeitschrift von Linde B. 7. 1834. S. 223-273. 414-436. (Vgl. unten §. 2. 9.).

73. Rauh Versuch einer Geschichte der Lehre vom Besitz aus dem Standpunkt der Phylosophie (sic) des Rechts. 1834. – Landau, gedruckt bey Carl Georges.


(LI) II. Literärgeschichte.

74. Thibaut über possessio civilis, Archiv B. 18. 1835. S. 315-364. (Vgl. unten §.10.).

75. Huschke über die Stelle des Varro von den Liciniern nebst einer Zugabe über Festus v. Possessiones und Possessio. Heidelberg 1835. 8. (Vgl. unten §. 6.).

76. Althof das Int. de itinere. Rinteln 1836. 8. (Vgl. unten §. 46.).

Nachdem schon der größte Teil der sechsten Ausgabe gedruckt war, sind mir (zu Ende des März 1837) noch folgende zwei Schriften bekannt geworden, von welchen daher nur hier in der Einleitung Nachricht gegeben werden kann.

77. Burchardi: Possessio civilis ist weder gleichbedeutend mit possessio ad usucapionem, noch mit possessio ad interdicta. (Archiv f. die civilistische Praxis B. 20. S. 14-53. Heidelberg 1837) (zu §. 19. meines Buchs).

Schon der Titel deutet die Meinung des Vfs. bestimmt genug an. Der Begriff der possessio civilis


(LII). Einleitung.

(sagt er) wird von Savigny zu eng angegeben, da auch mancher Nichtusucapionsbesitz dahin gehört: von Thibaut zu weit, da mancher Interdictenbesitz nicht dahin gehört; die Wahrheit liegt also in der Mitte.

Dieser Hauptgedanke wird nun in folgender Weise ausgeführt: (S. 16. 17. 40.) Zuerst bildete sich durch die Theorie der Juristen (jus civile) ein bestimmter Begriff von possessio civilis zu bestimmten practischen Zwecken aus. In einer spätern Zeit entstand ein prätorisches Edict, welches possessorische Interdicte einführte, in den Bedingungen derselben aber von dem alten Begriff der possessio civilis auf mancherley Weise abwich, und dadurch eine Art Mittelstufe bildete. Nun gab es also dreierley Verhältnisse in Beziehung auf den Besitz: 1) possessio civilis mit den alten Wirkungen des Civilrechts; 2) possessio ad interdicta; 3) Besitz ohne alle rechtliche Wirkung. Die beiden letzten Fälle wurden gemeinschaftlich als possessio naturalis, d. h. als reiner Gegensatz der civilis bezeichnet, so daß also die possessio naturalis bald Interdicte zur Folge hat, bald nicht.

Die Bedingungen für die Annahme einer possessio civilis sind nach dem Verfasser folgende (S. 18. 28. 31. 40.): 1) animus domini. 2) Eine Sache die in commercio, und zugleich 3) selbständig (nicht Theil einer andern Sache) ist. 4) Der Besitzer muß Sui juris sein. Mehr als diese vier Stücke darf man nicht fordern, so


(LIII) II. Literärgeschichte.

daß also der unredliche Besitzer (der Dieb, Räuber, dejector) allerdings auch eine possessio civilis hat (S. 42. 52.). – Der Interdictenbesitz hat nur zum Theil dieselben Bedingungen.

Ad 1) gilt die sehr wichtige Abweichung, daß zweierley Personen, auch ohne animus domini, dennoch die Interdicte haben. (S. 21-23.): a) Jeder, der in Folge eines dinglichen Rechts die Detention der Sache hat, also der Pfandgläubiger, Emphyteuta, Superficiar, Usufructuar, Usuar; b) der Precist und Sequester, jedoch nur im Fall eines besondern Vertrags.

Ad 2) und 3) ist in den Bedingungen kein Unterschied.

Ad 4) gilt nur der Unterschied, daß zuweilen der filiusfamilias die Interdicte hat; nämlich neben dem Vater bei dem alten peculium: der Sohn allein, mit Ausschließung des Vaters, bei dem castrense, quasi castrense und dem s. g. adventitium extraordinarium.

In diesen Stücken also ist der Interdictenbesitz ausgedehnter als die possessio civilis, in andern Stücken aber ist er eingeschränkter. Denn in allen Fällen, in welchen die Interdicte ohne animus domini zugelassen werden (ausgenommen das precarium), sind sie Demjenigen versagt, der den animus domini und mit demselben die wahre possessio civilis hat: daher denn namentlich im Fall der superficies, des ususfructus, des


(LIV) Einleitung.

usus die Interdicte dem Eigenthümer nicht gegeben werden (S. 25-28. S. 42.).

Der Vf. sieht nun wohl ein, daß die Juristen in einer so alten Zeit den Begriff possessio civilis nicht als eine müßige Speculation erfunden, sondern vielmehr practische Folgen daran geknüpft haben werden, deren Daseyn eben durch jenen Kunstausdruck festgestellt werden sollte. Als solche Wirkungen giebt er folgende vier an (S. 19. 20.).

A) Wer die possessio civilis einer Sache hatte, gab dieselbe bey dem Census an.

B) Derselbe mußte dafür die Steuer zahlen (Ohne Zweifel das Servianische tributum).

C) Er konnte von jedem Andern mit einer Vindication in Anspruch genommen werden, und von seiner Seite als Beklagter den Prozeß führen.

D) Er konnte usucapiren; natürlich in den meisten Fällen nur wenn noch ganz andere Bedingungen (bona fides und Titel) hinzutraten.

Eigentlich also wollte man durch Aufstellung des Begriffs der possessio civilis nur sagen, daß ein Miether, ein Usufructuar, ein filiusfamilias u. s. w. auf keinen jener vier Vorzüge jemals Anspruch haben könne.


(LV) II. Literärgeschichte.

Dieses sind die Grundzüge einer neuen Lehre, an welcher mir vor Allem die historische Zusammenstellung im Ganzen anstößig ist. Die Ausbildung jenes Begriffs der possessio civilis, nebst den damit verbundenen Kunstausdrücken (civilis und naturalis) hat etwas Wissenschaftliches, Künstliches, wie man es zur Zeit einer juristischen Literatur wohl erwarten kann, keinesweges aber in einem Zeitalter, welches jenseits der Entstehung des Prätorischen Edicts liegt. – Abgesehen aber von dieser unhistorischen Annahme, wünsche ich den Vf. zu überzeugen, daß er eigentlich viel einiger mit mir ist, als er selbst glaubt. Er nimmt vier Wirkungen oder practische Bedeutungen der possessio civilis an, ich nur eine; gesetzt nun ich könnte ihm beweisen, daß drey unter seinen Wirkungen ungegründet seyen, so bliebe nur noch die vierte (die Usucapion) übrig, und dann wären wir ja einig. Ich will diesen Beweis versuchen. – Die erste und zweite seiner Wirkungen sind identisch, denn was vor dem Censor angegeben wurde, war gewiß die Grundlage der Servianischen Steuer, und umgekehrt. Aber eben so gewiß war dieses auch nur das Quiritarische Eigenthum, und die Burchardische possessio civilis (worunter ja auch das Verhältniß des Diebes und des Dejectors gehörte) hatte dazu nicht die geringste Beziehung. In der That wäre es auch zu abentheuerlich, anzunehmen, daß geraubtes Gut und gewaltsamer


(LVI) Einleitung.

Besitz von Häusern und Aeckern hätte vor dem Censor gebraucht werden können, um dem Besitzer eine höhere Klasse, vielleicht gar den Rittercensus, zu verschaffen: und zwar wohlgemerkt zu einer Zeit, worin es noch keine Interdicte gab, und worin also nur der nicht ganz kurze Eigenthumsprozeß alle verletzten Rechte wiederherstellen konnte. – Auch die dritte angebliche Wirkung (die Fähigkeit, in der Vindication als Beklagter aufzutreten) ist nicht haltbarer als die zwey ersten. Damit verhält es sich also. Nach Gajus (IV. §. 16.) vindicirte der Kläger, indem er die Worte aussprach: hunc ego hominem ex j. q. meum esse ajo; dasselbe aber that mit derselben Formel auch der Beklagte. Daher (sagt unser Vf.) konnte ein Miether oder Fructuar nicht Beklagter seyn, weil er unfähig war, sich in jener Formel als Eigenthümer darzustellen, und dieses war es, was man mit dem animus domini als der ersten Bedingung der possessio civilis ausdrücken wollte. Allein offenbar beweist hier der Vf. zuviel. Denn der Dieb und der Dejector konnten ja durchaus nicht besser als der Miether jene Formel der contravindicatio aussprechen, und doch hatten sie nach unserm Vf. die wahre possessio civilis, also gewiß die Fähigkeit den Prozeß als Beklagte zu führen. Wollte man sagen, diese hätten wohl ihren Zustand verheimlicht und Eigenthum vorgegeben, so ließe sich das ja auch bey dem Miether denken, der


(LVII) II. Literärgeschichte.

einem fremden Vindicanten gegenüberstand; solche Zufälligkeiten aber dürfen überhaupt nicht eingemischt werden, wo es gilt den Sinn eines Rechtsinstituts zu erklären. Das Wahre an der Sache ist aber dieses: die ganze alte Vindication war symbolisch, so also auch dieses einzelne Stück derselben, die contravindicatio; das Wesen dieses Stücks war das, was wir die negative Litis-Contestation nennen, der Widerspruch gegen die Vindication des Klägers, und dazu waren der Dieb und der Miether ganz eben so fähig, wie der wahre oder der vermeintliche Eigenthümer. Der symbolische Ausdruck dieses Widerspruchs war dabey gleichgültig. Wollte man es mit diesen alten Formeln buchstäblich nehmen, so wäre ja unter Andern niemals eine in jure cessio möglich gewesen. Denn auch hier mußte der Erwerber vindiciren, also die oben angegebenen Worte aussprechen, obwohl er und sein Gegner und der Prätor wohl wußten, daß er noch gar nicht Eigenthümer war. In der That also war die Form der contravindicatio niemals ein Hinderniß für den Miether, als Beklagter aufzutreten, und es ist völlig willkührlich, wenn der Vf. die noch späterhin vorkommende Streitfrage, ob man gegen einen Miether u. s. w. vindiciren könne, mit jenen alten Formeln in Verbindung bringen will. – Sind nun drey unter jenen Wirkungen ohne Grund, so bleibt nur noch die vierte übrig, die Usucapion: dann war die possessio


(LVIII) Einleitung.

civilis von jeher nichts Anderes als die possessio ad usucapionem, und aller Zwiespalt zwischen dem Vf. und mir ist verschwunden.

Allein selbst wenn jene drey Wirkungen, die ich zu widerlegen gesucht habe, bey der ursprünglichen Bildung des Begriffs der possessio civilis wahr gewesen wären, so würden sie wenigstens zur Zeit der ausgebildeten Rechtswissenschaft, namentlich zur Zeit Ulpians, nicht mehr angenommen werden können. Denn der Lustral-Census war zu dieser Zeit eine Antiquität geworden (Ulpian. I. §. 8.). – Die Vermögenssteuer der Römischen Bürger hatte schon seit dem Macedonischen Kriege ganz aufgehört.

Endlich war zu Ulpian’s Zeit die alte contravindicatio nicht mehr nöthig, wie unser Vf. S. 19. selbst bemerkt. Also auch wenn ich mich ganz in des Verfassers Gedanken versetze, müßte ich doch annehmen, daß die ursprüngliche Differenz zwischen possessio civilis und possessio ad usucapionem verschwunden wäre, und wenn wir Ulpian fragen könnten: was ist denn jetzt, zu deiner Zeit, die praktische Bedeutung der possessio civilis?, so würde er, selbst wenn er Burchardi’s Abhandlung gelesen, und sich von ihrem Inhalt überzeugt hätte, doch nicht anders antworten können, als: Possessio civilis ist jetzt derjenige Besitz, welcher zur Usucapion tauglich ist.


(LIX) II. Literärgeschichte.

Könnten wir uns auf die bisher anstellten Betrachtungen beschränken, so müßten wir sagen: die Erklärung des Verfassers sey ein neuer, nicht glücklicher, Versuch, den Begriff der possessio civilis in Verbindung mit der Geschichte des Besitzrechts, festzustellen. Allein selten hält sich eine Verirrung der Theorie in so unschuldigen Gränzen; so hat auch Burchardi seiner neuen Lehre eine, für dieselbe nicht einmal nöthige, Beymischung gegeben, wodurch Vieles, was in der Besitzlehre als fester Boden gewonnen zu seyn schien (zum Theil lange vor meinem Buch), wieder in große Verwirrung gebracht wird. Ich meine die schon oben erwähnte Zusammenstellung aller dinglich Berechtigten, welche die Detention der Sache haben. Von diesen lehrt der Vf., daß sie, ohne animus domini, dennoch den Interdictenbesitz haben, und daß eben deshalb dem Eigenthümer in diesen Fällen die Interdicte gänzlich versagt seyen. Dahin gehört der Pfandgläubiger, Emphyteuta, Superficiar, Fructuar und Usuar. Ich habe dagegen stets behauptet, dieses sey nur in den zwey ersten Fällen anzunehmen, und zwar nach der ganz eigenthümlichen Natur jener Rechtsinstitute, keinesweges nach der allgemeinen Natur der dinglichen Rechte; in den drey anderen Fällen sey bey dem Eigenthümer der volle Sachbesitz mit den Interdicten, bey dem Inhaber des jus in re aber gar kein Sachbesitz, jedoch eine juris quasi possessio, die gleichfalls


(LX) Einleitung.

durch Interdicte geschützt werde. (Diese juris quasi possessio soll nach dem Vf. gar keine Beziehung auf die Interdicte, sondern nur auf die Ersitzung haben.) Welche dieser Behauptungen ist nun wahr? Wir wollen bey dieser Untersuchung die Ordnung umkehren, und zuerst vom Ususfructus und Usus reden. Dabey ist die praktisch wichtigste, und in der That sehr wichtige, Frage die, ob der Eigenthümer die Interdicte hat oder nicht hat.

Die allgemeine Bedingung der Interdicte ist das possidere.

L. 1. §. 9. 23. de vi: „Dejicitur is qui possidet. – Interdictum autem hoc nulli competit, nisi ei, qui tunc cum dejiceretur possidebat“ etc.

L. 3. §. 8. uti poss.: „Creditores misos in possessionem ... interdicto uti possidetis uti non posse: et merito, quia non possident.“

Wie steht es denn nun mit diesem possidere bey dem Ususfructus, und zwar

1) für den Eigenthümer?

L. 52. pr. de adqu. poss. „neque impediri possessionem si alius fruatur“

2) für den Fructuar?

L. 6. §. 2. de prec. „fructuarius et colonus et inquilinus sunt in praedio et tamen non possident“


(LXI) II. Literärgeschichte.

Fragm. Vat. §. 90. „ ... usufructu legato, ... non possidet legatum sed potius fruitur. Inde et interdictum uti possidetis utile hoc nomine proponitur, et unde vi, quia non possidet.“

Eben so §. 91.

Hält man diese Stellen zusammen, so folgt ja daraus mit unverkennbarer Nothwendigkeit, daß die Interdicte dem Eigenthümer zustehen müssen, dem Fructuar aber nicht, ausser insofern er sie durch Ausdehnung der ursprünglichen Interdicte, wegen seiner juris quasi possessio, erhält, woraus dann weiter folgen muß, daß beide die Interdicte haben müssen, sowohl gegen einen Dritten, als auch gegen einander, nämlich Jeder zum Schutz seines eigenthümlich begränzten Besitzes. – Allein das, was hier aus den angeführten Stellen bloß gefolgert worden ist, wird in folgender Stelle auch unmittelbar anerkannt:

L. 4. uti poss. „In summa puto dicendum, et inter fructuarios hoc interdictum reddendum: et si alter usumfructum, alter possessionem sibi defendat.“

Hier ist klar gesagt, daß bey einem Besitzesstreit zwischen dem Eigenthümer (der seine possessio vertheidigt) und dem Fructuar, das Interdict gelte: es hat also nicht der Eigenthümer durch die Errichtung des


(LXII) Einleitung.

Ususfructus den Interdictenschutz verloren. Wie es aber mit diesem Interdict des Fructuars eigentlich beschaffen ist, sagt genauer die angeführte Stelle der Vaticanischen Fragmente; nämlich sein Interdict ist ein utile, und dieser Ausdruck deutet unverkennbar theils auf eine anomalische Beschaffenheit des zum Grund liegenden Besitzes (der juris quasi possessio), theils auf das einer andern Person (dem Eigenthümer) zustehende directum. Endlich selbst dafür, daß die juris quasi possessio hier der wahre Grund der Interdicte ist, (was der Vf. geradezu läugnet) fehlt es nicht an einem ausdrücklichen Zeugniß.

L. 3. §. 17. de vi: „Qui ususfructus nomine qualiter qualiter fuit quasi in possessione utetur hoc interdicto.“

Diese Behandlung der Sache ist aber auch praktisch betrachtet die einzig zulässige, und ich will nun noch an einem Beyspiel zeigen, zu welchen schreyenden Folgen die Lehre des Vfs. führt. Wenn nach dem Tode des Fructuars der Eigenthümer das Grundstück zurückfordert, und von dem Erben des Fructuars mit Gewalt zurückgewiesen wird, so hat er nach den in den angeführten Stellen anerkannten Grundsätzen das Interdict de vi. Nach der Lehre des Vfs. hat er gar kein Interdict, da er bey Entstehung des Ususfructus allen Interdictenbesitz aufgegeben hat, sondern nur die Vindication; freylich


(LXIII) II. Literärgeschichte.

kann er vielleicht auch eine persönliche Klage aus der Caution haben, aber diese ist ganz zufällig, da es in der Willkühr des Eigenthümers steht, die Caution zu fordern oder zu erlassen, und nur dem Testator verboten ist, seinen Erben (den Proprietar) durch einen solchen Erlaß im Voraus zu binden (L. 7. C. ut in poss.).

Das Besitzverhältniß des Usus ist durchaus dasselbe wie das des Ususfructus, und diese Gleichheit wird auch ausdrücklich anerkannt (L. 4. uti poss.).

Bey der Superficies ist dasselbe Verhältniß ganz ausdrücklich in folgender Stelle anerkannt:

L. 3. §. 7. uti poss. „Ceterum superficiarii proprio interdicto ... utentur: dominus autem soli tam adversus alium, quam adversus superficiarium potior erit interdicto uti possidetis, sed Praetor superficiarium tuebitur secundum legem locationis.“

Hier ist sogar durch den besonderen Namen des Interdicts dafür gesorgt, daß das wahre Verhältniß nicht mißverstanden werden sollte: anstatt daß bey dem Ususfructus der allgemeinere Name (de vi und uti possidetis), und die Weglassung des warnenden Beynamens utile in den Digesten, unsern Vf. wie so viele ältere Schriftsteller irre geführt hat.

Bey dem Pfandgläubiger sind in unseren Quellen die Besitzverhältnisse noch vollständiger angegeben, als


(LXIV) Einleitung.

bey dem Ususfructus (s. u. §. 24.). Der Gläubiger hat die wahre possessio, und zwar er allein, der Schuldner gar nicht; also hat auch jener die Interdicte, dieser hat sie nicht. Nur usucapiren freylich kann der Gläubiger nicht, und damit nun nicht die Usucapion, zum Nachtheil beider Theile, unterbrochen werde, wird, ganz allein in Beziehung auf die Usucapion, der Schuldner (abweichend von der Regel) so behandelt, als ob er den Besitz hätte. Es wird also für den Gläubiger buchstäblich das Gegentheil gesagt von dem, was oben für den Fructuar angeführt worden ist. Bey dieser so absichtlichen Verschiedenheit des Ausdrucks unsrer Rechtsquellen ist es kaum begreiflich, wie es dennoch der Vf. hat versuchen können, beide Verhältnisse auf gleiche Linie zu stellen. Auch fehlt es ja gar nicht an einer ganz befriedigenden praktischen Erklärung des Unterschieds. Die Verpfändung beruht, nach Thibauts treffendem Ausdruck, auf einem Mißtrauen des Gläubigers, darum mußten die Schutzmittel des Besitzes ausschliessend in seine Hände gelegt werden. Ein solches Mißtrauen aber ist der Natur der Ususfructus ganz fremd.

Endlich hat der Emphyteuta die wahre possessio, also auch die Interdicte; der Eigenthümer hat Beides nicht. Ich habe diese Anomalie aus historischen Gründen abzuleiten versucht (s. u. §. 9. 12a. 22a. 24.). Allein auch selbst Diejenigen, welche die possessio des


(LXV) II. Literärgeschichte.

Emphyteuta nicht auf diese geschichtliche Weise, sondern aus den practischen Verhältnissen dieses Rechtsinstituts erklären (Zus. zu §. 9.), können doch unmöglich darin einen Grund finden, so wie es der Vf. versucht, die Emphyteuse mit dem Ususfructus auf gleiche Linie zu stellen. Denn bey der Emphyteuse hat der Eigenthümer eigentlich gar kein wirkliches, gegenwärtiges Recht, als den Anspruch auf den Canon und auf das s. g. Laudemium. Die Aussicht auf den Rückfall, die bey dem Ususfructus stets sicher und nahe ist, erscheint dort ganz entfernt und zufällig, und selbst wenn der Rückfall eintritt, kann der Eigenthümer aus dem hier stets zum Grund liegenden Vertrag klagen, ohne sich auf den mißlichen Beweis des Eigenthums einlassen zu müssen. Es sind also hierin die Emphyteuse und der Ususfructus sehr verschieden, und es ist, selbst von dem Standpunkte jener Schriftsteller aus angesehen, ein ganz willkührliches Verfahren, wenn der Vf. sie durch gleichartige Besitzrechte zu verbinden versucht (1).

(1) Hierin liegt zugleich die Antwort auf folgenden möglichen Einwurf. Man könnte sagen, wenn auch ursprünglich die possessio des Emphyteuta aus ihrem historischen Zusammenhang mit dem ager publicus hervorgegangen war, warum hat nicht Justinian, dieses zufällige Verhältniß beseitigend, das gethan, was das practische Bedürfniß erforderte, nemlich (!) dieselben beiderseitigen Besitzklagen wie bei dem Ususfructus eingeführt? Ich antworte: Weil dazu ein dringendes practisches


(LXVI) Einleitung.

In einer Zugabe hat der Vf. das Verbot der Schenkung unter Ehegatten auf eine neue Weise abzuleiten, und diese neue Lehre auf die possessio civilis anzuwenden versucht (S. 36-40. 42.). Jenes Verbot soll aus der alten in manum conventio herstammen, in welcher die Frau vermögenslos war, und insbesondere als alieni juris keine possessio civilis haben konnte. Aber dann hätte ja das Verbot nicht auf Schenkungen allein, sondern auf alle Veräusserungen gehen müssen. Und wie wäre man auf den ungesunden Gedanken gekommen, bey der freyen Ehe dasjenige als Verbot umzubilden, was sich bey der strengen Ehe ohne Verbot, als bloße Unmöglichkeit, von selbst machte, da man doch in allen anderen Beziehungen das Vermögensrecht für die freye Ehe ganz selbständig, und in deutlich gedachtem Gegensatz gegen die strenge Ehe, ausbildete?

Vielleicht werde ich von Manchen wegen der Umständlichkeit dieser Widerlegung getadelt werden. Aber man kann es denn geschehen lassen, daß Alles was in dieser Lehre an klarer Sonderung der Begriffe und Rechtssätze gewonnen schien, wieder zum Vortheil der

Bedürfniß für den Eigenthümer bei der Emphyteuse in der That nicht vorhanden war, und ein solches neues Gesetz also doch eigentlich nur im Interesse der theoretischen Symmetrie hätte verlangt werden können.


(LXVII) II. Literärgeschichte.

früheren Verwirrung auf’s Spiel gesetzt werde? Ein solcher Versuch kann sich auf einem einzelnen Punkt der Lehre recht scheinbar ausnehmen, allein es fehlt ihm die Hauptsache, das sorgfältige Zusammendenken mit allem Uebrigen zu einem vollständigen Ganzen. Ich bin überzeugt, wenn es nicht der scharfsinnige Verf., dessen Gründlichkeit sich in so manchen trefflichen Arbeiten bewährt hätte, diese Probe der Wahrheit bey demselben anzustellen, so würde er selbst dessen Unhaltbarkeit nicht verkannt haben.

78. Sintenis über Besitz und Ersitzung verbundener Sachen (Archiv f. die civil. Praxis B. 20. S. 75-115. Heidelberg 1837.) (Zu §. 22. meines Buchs.)

Der Vf. stellt für denjenigen Theil dieser Untersuchung, der allein Schwierigkeit macht, folgende Hauptsätze auf. Wer eine zusammengesetzte bewegliche Sache besitzt, hat immer auch den Besitz ihrer einzelnen Theile, ohne Unterschied ob die Zusammensetzung vor oder nach seinem Besitzerwerb statt gefunden hat. Ist dagegen das Ganze eine unbewegliche Sache, so kann die Frage eigentlich nur bey den Bestandtheilen eines Gebäudes vorkommen; an diesen aber hat der Besitzer des Gebäudes


(LXVIII) Einleitung.

niemals den Besitz, so daß ihm auch stets die Usucapion derselben unmöglich ist.

Es ist nicht zu läugnen, daß durch diese Ansicht eine größere Einfachheit in diese Lehre gebracht wird, als in den bisherigen Darstellungen wahrgenommen wurde. Da indessen in der Untersuchung dieser Frage durch mich und Andere schon allzu vieles Schwanken bewirkt worden ist, was ich nicht abermals vermehren möchte, so finde ich es räthlicher, mir für jetzt, wo eine rasche Entscheidung unvermeidlich wäre, eine genauere Prüfung noch vorzubehalten. Unverkennbar hat der Vf. den Gegenstand mit so viel Fleiß und Sorgfalt behandelt, daß dadurch die Untersuchung bedeutend gefördert worden ist, selbst wenn zuletzt die erwähnte neue Ansicht nicht als erschöpfend anerkannt werden sollte.

Nur in Einem Punkt muß ich schon jetzt einen bestimmten Widerspruch erheben. Nach mehreren Stellen des R. R. hat die Usucapion eines Hauses keinen Einfluß auf das Eigenthum der Balken und Steine, so daß diese nach dem Abbruch des usucapirten Hauses dennoch vindicirt werden können. Diese an sich unbestrittene Regel habe ich, von der dritten Ausgabe meines Buchs an, auf den Fall eingeschränkt, wenn der Boden und die Balken verschiedene Eigenthümer haben (s. u. S. 308). Ich will das durch Beyspiele erläutern.


(LXIX) II. Literärgeschichte.

Erstes Beyspiel. Gajus baut auf seinem Boden ein Haus, wozu er die dem Sejus gehörenden Balken verbraucht. Durch Zufall bekommt Titius den Besitz des Hauses, und verkauft mir dasselbe. Jetzt usucapire ich das Haus in zehen Jahren pro emtore gegen Gajus, aber nicht auch die Balken gegen Sejus. Wird also nach vielen Jahren das Haus abgebrochen, so kann Sejus die Balken vindiciren. Zweytes Beyspiel. Mevius baut mit seinen Balken auf seinem Boden ein Haus. Sempronius bekommt zufällig den Besitz des Hauses, und verkauft es mir. Jetzt usucapire ich in zehen Jahren gegen Mevius das Haus, und mit demselben zugleich dessen Bestandtheile, die Balken. Wird also nachher das Haus abgebrochen, so kann Mevius die Balken nicht mehr vindiciren.

Ueber das erste Beyspiel ist kein Streit, es ist so, wie hier geschehen, auch in den Rechtsquellen klar entschieden. Unser Streit betrifft das zweyte Beyspiel, worin der Vf. behauptet, Mevius könne allerdings nach dem Abbruch die Balken vindiciren (S. 87-90.).

Meine Gründe sind folgende.

1) Die Stellen des R. R. welche die Usucapion der Balken verneinen, bezeichnen ausdrücklich den ersten (unter uns nicht streitigen) Fall, und deuten durch diese genaue Bezeichnung vernehmlich genug die entgegengesetzte Behandlung des zweyten Falls an.


(LXX) Einleitung.

Der Vf. meint nun zwar, es müßten für die abweichende Entscheidung des zweyten Falls ausdrücklich Stellen angeführt werden, woran es freylich fehlt. Allein welches ist denn der natürliche Hergang? Doch wohl, daß das Eigenthum des Ganzen, wie es auch entstanden seyn möge, das Eigenthum der einzelnen Bestandtheile in sich schließe, das heißt (praktisch ausgedrückt), daß das Zerbrechen einer Sache, als ein bloß körperliches Ereigniß, keinen Einfluß auf das Eigenthum habe. Eine Folge dieser natürlichen Regel ist unsere Entscheidung des zweyten Falls, die also keines besondern Beweises bedarf, und eben deshalb auch von den alten Juristen gar nicht besonders erwähnt wird. Dagegen ist die Entscheidung des ersten Falls reine Ausnahme, und die alten Juristen haben daher nicht versäumt, sie in mehreren Stellen besonders einzuschärfen.

2) Was ist der Grund dieser Ausnahme? Lediglich die zur Erhaltung der Gebäude aufgestellte, ganz positive, Vorschrift, daß der Eigenthümer der Balken keine actio ad exhibendum auf Absonderung dieser Theile haben soll, wodurch ihm mittelbar auch die Vindication auf unbestimmte Zeit suspendirt ist. Nun liegt in jeder Usucapion (wie wir sie im neusten Recht kennen) und in jeder Klagenverjährung stets ein ganz positiv bestimmter Verlust von Rechten, der


(LXXI) II. Literärgeschichte.

eine gewisse Härte mit sich führt, und nur dadurch zu rechtfertigen ist, daß er durch gehörige Vorsicht vermieden werden könnte, folglich, wenn er doch nicht vermieden wird, als natürliche Strafe der Nachlässigkeit eintritt. Diese Ansicht bewährt sich nicht nur in ausdrücklichen Anerkennungen (L. 1. de usurp. L. 3. C. de praescr. XXX.), sondern noch unverkennbarer in den mancherley Ausnahmen von der regelmäßigen Usucapion und Klagverjährung. Da nun dem Eigenthümer der Balken wegen der versagten Klage durchaus keine Nachlässigkeit zur Last fällt, so war die zu seinem Vortheil ausgeschlossene Usucapion eine consequente Folge, ja sie führt sogar noch mehr innere Nothwendigkeit mit sich, als die ähnliche Ausschließung der Usucapion einer res furtiva, bey welcher doch nur faktische und zufällige Umstände den Vorwurf der Nachlässigkeit von dem Eigenthümer abwenden.

3) Gilt nun dieselbe Entschuldigung auch für Mevius im zweyten Beyspiel? Offenbar nicht. Dieser brauchte gar keine actio ad exhibendum auf Trennung der Balken, da er das ganze Haus (mit Einschluß der Balken) vindiciren konnte. Hat er dieses zehen Jahre lang versäumt, so trifft ihn der Verlust des Ganzen und der Theile mit Recht.

4) Von dem Standpunkt des Vfs. aus könnte mir sogar


(LXXII) Einleitung.

auch durch Tradition des Hauses von Seiten des Eigenthümers, der es mit eigenen Balken gebaut hätte (Mevius im zweyten Beyspiel) kein Eigenthum an den Balken verschafft werden, vielmehr müßte ich auch hier nach dem Abbruch stets eine Vindication befürchten. Denn der Erwerb durch Tradition und der durch Usucapion kommen darin überein, daß beide durch Besitz begründet werden: bey jenem durch augenblicklichen Besitz verbunden mit dem dominium auctoris: bey dieser durch fortdauernden Besitz, worin eben die Fortdauer das fehlende dominium auctoris ersetzen muß. Bekäme ich also an den Balken (selbst wenn sie denselben Eigenthümer haben wie das Haus) niemals Besitz so lange das Haus besteht, so wären sie mir auch nicht tradirt, ich wäre nicht Eigenthümer derselben geworden, und könnte sie nach dem Abbruch gegen keinen neuen Besitzer vindiciren.

5) Vielleicht wird auch folgende rein praktische Erwägung, meiner Meinung den Eingang erleichtern. Führt man die des Vfs. consequent durch, so dürfte derjenige, welcher das Eigenthum eines Hauses auf Usucapion (sey es die eigene, oder die seiner Vorfahren) gründet, niemals wagen das Haus abzubrechen. Denn wenn es auch schon vor hundert Jahren von seinen Vorfahren usucapirt worden wäre, so würden noch immer die Erben des früheren Eigenthümers die Balken und Steine vindiciren können, sobald dieselben aufgehört hätten, Theile eines stehenden Hauses zu seyn.


(1)

Erster Abschnitt.

Begriff des Besitzes.

§. 1.

Wenn eine Reihe von Schriftstellern denselben Gegenstand bearbeitet, giebt es sehr bald eine Tradition allgemeiner Bemerkungen, welche auch in den verschiedensten Schriften immer an derselben Stelle dem Leser begegnen.

So ist es gewöhnlich, den Untersuchungen über den Besitz die Klage über die außerordentliche Schwierigkeit dieser Untersuchungen vorausgehen zu lassen. Einige haben es mit diesen Klagen so ernstlich gemeint, daß sie in eine Art von Verzweiflung darüber gerathen sind (1):

(1) Unter diese Schriftsteller, die dem Leser den Rath geben, sich auf jede andere Art zu helfen, als durch die unmögliche Ergründung der Sache selbst, gehören Leyser (Sp. 451. med. 1-4.) und Sibeth (vom Besitz S. 61): „Bei den vielen Häkeleyen und wirklichen Widersprüchen des römischen Rechts ... wäre es unmöglich, daß man in solchen Sachen eine Urtel (!) nach voller Ueberzeugung machen könnte. Man sieht daher darauf, ob jemand ein Recht zum Besitz überhaupt habe“ (et)c.


(2) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

bey den meisten war es nur eine vorläufige Lobrede auf ihr Werk, da sie eben durch dieses den Leser zu befriedigen die Absicht hatten. Ich enthalte mich leicht des Versuchs, im Anfang des Buchs die Schwierigkeit unserer Aufgabe zu beweisen: schwerer wird es seyn, auch in keinem folgenden Punkte der Untersuchung durch meine Darstellung selbst daran zu erinnern.

Allen Definitionen des Besitzes, so sehr sie im Ausdruck und in der Sache selbst von einander abweichen, liegt etwas ganz allgemeines zum Grunde, wovon jede Untersuchung über diesen Gegenstand ausgehen muß. Alle denken sich unter dem Besitz einer Sache den Zustand, in welchem nicht nur die eigne Einwirkung auf die Sache physisch möglich ist, sondern auch jede fremde Einwirkung verhindert werden kann (1). So besitzt der Schiffer sein Schiff, aber nicht das Wasser auf welchem

(1) Ich hatte früher den Ausdruck gewählt: „sondern auch jede fremde Einwirkung unmöglich ist.“ Man hat dagegen mit Recht eingewendet, mit dieser Unmöglichkeit sey die Verletzung des Besitzes unvereinbar: ferner, wenn sie auch etwa für den Anfang des Besitzes zugegeben werden könnte, so passe sie doch gar nicht mehr zu dem viel loseren und entfernteren Verhältniß der Fortsetzung. Der jetzt gewählte Ausdruck scheint mir durch diese Einwendungen nicht getroffen zu werden. Denn wenn wir die bloße Möglichkeit der Abwehr als Merkmal in den Begriff aufnehmen, so bleibt dabey der Erfolg derselben unentschieden: ferner sind in dieser Möglichkeit verschiedene Grade denkbar, die bey dem früher gewählten Ausdruck nicht unterschieden werden konnten. (Zus. der 6. Ausg.)


(3) §. 1. Detention.

er fährt, obgleich er sich beyder zu seinen Zwecken bedient.

Dieser Zustand, welchen man Detention nennt, und welcher allem Begriff des Besitzes zum Grunde liegt, ist an sich durchaus kein Gegenstand der Gesetzgebung, und der Begriff desselben kein juristischer Begriff: allein es zeigt sich sogleich eine Beziehung desselben auf einen juristischen Begriff, wodurch er selbst Gegenstand der Gesetzgebung wird. Da nämlich das Eigenthum die rechtliche Möglichkeit ist, auf eine Sache nach Willkühr einzuwirken, und jeden andern von ihrem Gebrauch auszuschließen, so liegt in der Detention die Ausübung des Eigenthums, und sie ist der faktische Zustand, welcher dem Eigenthum, als einem rechtlichen Zustand, correspondirt.

Wäre diese juristische Beziehung des Besitzes die einzige überhaupt, so ließe sich alles, was darüber juristisch zu bestimmen wäre, in folgende Sätze zusammenfassen: der Eigenthümer hat das Recht zu besitzen, dasselbe Recht hat der, welchem der Eigenthümer den Besitz verstattet, jeder Andere hat dieses Recht nicht.

Allein das Römische Recht bestimmt bey dem Besitz, wie bey dem Eigenthum, die Art wie er erworben und wie er verloren wird: es behandelt ihn demnach nicht bloß als Folge eines Rechts, sondern als Bedingung von Rechten. So ist folglich auch hier, in einer juristischen


(4) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Theorie des Besitzes, nur von den Rechten des Besitzes die Rede (jus possessionis), nicht von dem Recht zu besitzen (bey den neuern Juristen jus possidendi), welches in die Theorie des Eigenthums gehört (1).

Wir sind jetzt von dem Begriff der bloßen Detention zu dem des (juristischen) Besitzes übergegangen, welcher der Gegenstand dieser Abhandlung ist. Der erste Abschnitt derselben, als Grundlage der ganzen Untersuchung, hat diesen Begriff formell und materiell zu bestimmen: formell, indem er die Rechte darstellt, welche den Besitz als Bedingung voraussetzen, also die Bedeutung angiebt, welche der nichtjuristische Begriff der Detention für die Rechtswissenschaft erhält, um in dieser Bedeutung als etwas juristisches, als Besitz, betrachtet werden zu können; materiell, indem er die Bedingungen aufzählt, welche das Römische Recht für das Daseyn des Besitzes selbst vorschreibt, also die positiven Modificationen, unter welchen die Detention als Besitz gelten soll.

Die formelle Bestimmung des Begriffs, wodurch derselbe

(1) Diese Unterscheidung ist zu leicht, als daß es nöthig wäre, länger dabey zu verweilen, und Donellus hat sie so befriedigend auseinander gesetzt (comment. lib. 9. c. 9.), daß es unbegreiflich ist, wie selbst manche Schriftsteller sich nicht darin finden können.


(5) §. 1. Detention.

allererst Realität für die Rechtswissenschaft erhalten kann, zerfällt in zwey Theile.

Zuerst muß im System des Römischen Privatrechts selbst die Stelle aufgesucht werden, welche dem Besitz, als einem rechtlichen Verhältniß, in diesem System zukommt. Demnach müssen die Rechte angegeben werden, welche das Römische Recht als Folge des Besitzes anerkennt; zugleich sind auch die Rechte zu prüfen, welche ohne Grund für Rechte des Besitzes ausgegeben werden. Dann wird es leicht seyn, auf die bekannten Fragen zu antworten, ob der Besitz als Recht, und ob er als jus in re zu betrachten sey. – Da übrigens die erste und einfachste Art, wie der Besitz in der Rechtswissenschaft vorkommen kann, darin besteht, daß der Eigenthümer das Recht hat zu besitzen, hier aber der Besitz, unabhängig vom Eigenthum, als die Quelle eigner Rechte betrachtet wird, so kann man diese erste Frage auch so ausdrücken: in welchem Sinn hat man den Besitz vom Eigenthum abgesondert? welcher Ausdruck von vielen Schriftstellern gebraucht worden ist (1).

Zweytens ist zu untersuchen, wie die verschiedenen Beziehungen, in welchen der Besitz im Römischen Recht vorkommt, durch den Ausdruck von einander unterschieden worden sind: besonders was possessio überhaupt,

(1) So z. B. von Cuperus (de nat. poss. P. 1. C. 2.)


(6) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

naturalis possessio und civilis possessio den Römischen Juristen bedeutet hat. Diese terminologische Untersuchung wird theils die Resultate der vorhergehenden bestätigen, theils auch eine gründliche Interpretation möglich machen, auf welcher die ganze folgende Darstellung ruhen könne.

§. 2.

Es finden sich im ganzen Römischen Recht nur zwey Folgen, welche dem Besitz an sich, abgesondert von allem Eigenthum, zugeschrieben werden können: Usucapion und Interdicte (1).

Der Usucapion liegt die Regel zum Grunde, welche die zwölf Tafeln aufgenommen haben: wer eine Sache ein oder zwey Jahre besitzt, wird Eigenthümer dieser Sache. Hier ist der bloße Besitz, unabhängig von

(1) Neuerlich ist mit großer Gründlichkeit, im Widerstreit mit mir, ausgeführt worden, auch diese seyen nicht absolute oder unmittelbare Folgen, da ja doch bey den Interdicten noch immer die Gewalt, bey der Usucapion aber der Titel mit hinzutreten müsse, um jene Wirkungen hervorzubringen; daher habe der Besitz an sich gar keine Folgen. Sintenis (N. 72.) p. 252-259. Zugleich räumt aber derselbe ein, die wichtigste mittelbare Beziehung des Besitzes liege in den Interdicten und der Usucapion, und nur in Beziehung auf sie werde das Daseyn des Besitzes juristisch bestimmt (p. 258). Da ich nun von jeher nur dieses behauptet habe, so hat jener Schriftsteller dasjenige überzeugend bewiesen, welches niemals von mir oder irgend einem Andern in Zweifel gezogen worden ist. (Zusatz der 6. Ausg.)


(7) §. 2. Rechte des Besitzes.

allem Recht, Grund des Eigenthums selbst. Zwar muß er auf besondere Weise angefangen haben, wenn er jene Wirkung haben soll: aber dabey bleibt er, was er außerdem ist, ein bloßes Factum, ohne anderes Recht, als welches ihm jene Wirkung giebt. Zwar wurde derselbe Besitz, welcher die Usucapion begründete, auch als ein eignes rechtliches Verhältniß, vermittelst der actio Publiciana, behandelt: aber dieses Institut, das erst lange nach der Usucapion eingeführt worden ist, konnte den Grund derselben nicht enthalten. Demnach ist es der Besitz an sich, abgesondert von jedem andern rechtlichen Verhältniß, wovon die Usucapion, also der Erwerb des Eigenthums, abhängt. Zu der Usucapion kam nachher als Supplement die longi temporis praescriptio, d. h. eine Exception gegen die rei vindicatio, deren Bedingungen meist dieselben waren, wie die der Usucapion, wobey also auch der Besitz auf dieselbe Weise vorkam, so daß es schon für das ältere Recht nicht nöthig ist, in der longi temporis praescriptio einen neuen, von der Usucapion verschiedenen, Gesichtspunkt für den Besitz anzunehmen. Justinian hat in diesen Fällen, ja unter Voraussetzung der bona fides sogar im Fall der dreyßigjährigen Klagverjährung, wahres Eigenthum gegeben, also kann man in dem neuesten Recht nur noch von Usucapion sprechen, sie mag nun 3, oder 10, oder 20, oder 30 Jahre dauern. Freylich wird für


(8). Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

die 30jährige Verjährung das Wort Usucapion nirgends gebraucht, aber es ist ganz consequent, sie damit zu bezeichnen, da sie, wie jede andere, Eigenthum giebt. Ein anderes Wort dafür giebt es gewiß nicht, selbst in der Sprache der Juristen unter Justinian nicht.

Die zweyte Wirkung des Besitzes sind die possessorischen Interdicte. Mit diesen verhält es sich also: Da der Besitz an sich kein Rechtsverhältniß ist, so ist auch die Störung desselben keine Rechtsverletzung, und sie kann es nur dadurch werden, daß sie ein anderes Recht zugleich mit verletzt. Wenn nun die Störung des Besitzes gewaltsam geschieht, so liegt in dieser Störung eine Rechtsverletzung, weil jede Gewaltthätigkeit unrechtlich ist, und dieses Unrecht ist es, was durch ein Interdict aufgehoben werden soll.

Das also ist es, worin alle possessorischen Interdicte übereinkommen: sie setzen eine Handlung voraus, die schon durch ihre Form unrechtlich ist. Bey gewaltthätigen Handlungen, der ersten und wichtigsten Art solcher Handlungen überhaupt, hat das gar keinen Zweifel: aber aus demselben Gesichtspunkte werden auch die übrigen Fälle im Römischen Recht betrachtet, in welchen possessorische Interdicte gebraucht werden können. So z. B. gründet sich das interdictum de precario weder auf Vertrag, noch darauf, daß der Kläger mehr Recht an der Sache zu haben behauptet als der Beklagte: sondern


(9) §. 2. Rechte des Besitzes.

allein darauf, daß es an sich unrecht ist, den guten Willen des Andern zu mißbrauchen, gerade so wie es unrecht ist, mit Gewalt eine Sache zu nehmen, der Andere mag Eigenthümer seyn oder nicht. Auch werden darum überall die drey Arten, wie der Besitz unrechtlich erworben werden kann (vitia possessionis) mit einander verbunden (1).

Da nun die possessorischen Interdicte durch solche Handlungen begründet werden, welche durch ihre Form unrechtlich sind, so ist es klar, warum auch hier der Besitz, ohne alle Rücksicht auf seine eigene Rechtlichkeit, der Grund von Rechten seyn kann. Wenn der Eigenthümer eine Sache vindicirt, so ist es ganz gleichgültig, auf welche Art der Andere in den Besitz gekommen ist, weil jener das Recht hat, jeden Andern von dem Besitz auszuschließen. Wie mit der Vindication, so verhält es sich auch mit dem Interdict, wodurch die missio in possessionem geschützt werden soll (2): dieses Interdict ist kein possessorisches Interdict, denn die missio selbst giebt durchaus keinen Besitz (3), aber sie giebt

(1) Terentius in Eunuch. act. 2. sc. 3. v. 27. 28: „Hanc tu mihi vel vi, vel clam, vel precario fac tradas:“

Eben so in unzähligen Stellen der Pandekten.

(2) „Nec exigitur, ut vi fecerit, qui prohibuit.“ L. 1. §. 3. ne vis fiat ei, qui in poss.

(3) „Creditores missos in possessionem rei servandae caussa (!), interdicto uti possidetis uti non posse: et merito: quia non possident. Idemque


(10) Erster. Abschnitt. Begriff des Besitzes.

ein Recht auf die Detention, und dieses Recht wird auf ähnliche Weise geltend gemacht, wie bey dem Eigenthum. – Wer dagegen bloß den Besitz einer Sache hat, hat damit gar kein Recht auf die Detention, aber er hat das Recht von jedem zu fordern, daß er überhaupt keine Gewalt gegen ihn brauche: thut dieser es dennoch, und ist diese Gewalt gegen den Besitz gerichtet, so schützt sich der Besitzer durch Interdicte. Der Besitz ist die Bedingung dieser Interdicte, und also hier, wie bey der Usucapion, die Bedingung von Rechten überhaupt.

Ganz abweichend von dieser Ansicht sehen die Meisten jede Verletzung des Besitzes für eine materielle Rechtsverletzung an, den Besitz selbst also für ein Recht an sich, nämlich für ein präsumtives Eigenthum (1), die possessorischen Klagen für provisorische Vindicationen. Dieses letzte, als die practische Seite der Meinung, wird unten (§. 36) ausführlich widerlegt werden.

et in ceteris omnibus, qui custodiae caussa missi sunt in possessionem, dicendum est.“ L. 3. §. 8. uti possidetis. – Im zweyten Abschnitt wird dieser Satz im Zusammenhang erklärt werden.

(1) Ich nenne hier nur den neuesten Vertheidiger dieser Ansicht, Hufeland vom Besitz S. 43-45. – In der dritten Ausg. des gegenwärtigen Werks war der Versuch gemacht worden, dieser Ansicht eine richtige Seite abzugewinnen. Am Schluss des §. 6. wird gezeigt werden, warum jetzt (in der 6. Ausg.) dieser Versuch wieder aufgegeben worden ist.


(11) §. 3. Rechte des Besitzes.

§. 3.

Usucapion also und Interdicte setzen den Besitz als Bedingung voraus, und machen es nöthig, den Begriff desselben juristisch zu bestimmen: auch hat daran noch niemand gezweifelt. Allein ich behaupte ferner, daß außerdem kein Recht zu finden ist, was als Wirkung des Besitzes gelten könnte, und in dieser Behauptung habe ich alle Schriftsteller, bis auf Einen oder Zwey, zu Gegnern.

Im Allgemeinen läßt sich diese Behauptung schon dadurch begründen, daß die Römischen Juristen nie in einer andern Beziehung, als den beiden eben genannten, das Daseyn des Besitzes (1) zu bestimmen suchen. Da aber dieser Grund erst unten durch terminologische Untersuchungen völlig ins Licht gesetzt werden kann, so bleibt hier nichts übrig, als die angeblichen Wirkungen des Besitzes zu widerlegen. Es ist dabey nicht meine Absicht, die Verzeichnisse durchzugehen, welche mehrere Schriftsteller von den Vortheilen des Besitzes gemacht haben (2): nur diejenigen sollen hier widerlegt werden, deren

(1) Ich sage absichtlich, das Daseyn des Besitzes als eines fortdauernden Verhältnisses. Denn allerdings wird häufig der Erwerb des Besitzes bloß wegen des daraus entspringenden Eigenthums untersucht, welche Verbindung sogleich näher bestimmt werden wird.

(2) Einer soll es bis auf 72 gebracht haben (Car. Tapia in Auth. ingressi C. de ss. eccl.). Aber auch schon bey Frider


(12) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Prüfung einem bedeutenden Irrthum begegnen, oder in die Natur des Besitzes selbst neue Einsicht verschaffen kann.

1. Es giebt zwey Fälle, in welchen nach dem neuesten Römischen Recht immer mit dem Besitz zugleich Eigenthum erworben wird, so daß Usucapion weder möglich noch nöthig ist: Occupation einer Sache, die keinen Eigenthümer hat, und Tradition, welche vom Eigenthümer selbst vorgenommen wird. In beiden Fallen ist zwar der Erwerb des Besitzes der eigentliche Grund des Eigenthums selbst (1), d. h. das was die neueren Juristen modus adquirendi nennen: allein der Besitz, als eigner, dauernder Zustand, ist keineswegs der Grund dieses erworbenen Rechts, da er selbst erst in dem Augenblick anfängt, mit welchem das Eigenthum erworben ist. Demnach kann hier von keinem Rechte die Rede seyn, welches dem Besitzer, als solchem, zukäme, sondern es ist nur in der Lehre vom Eigenthum der Theil der Theorie des Besitzes zu gebrauchen, welcher die Apprehension

(de mat. poss. Cap. 8. 9.) und Cludius (res quotid. C. 1.) ist die Verwirrung so groß, daß man sie nicht größer wünschen wird. Außer diesen gehören hierher alle Schriften unter dem Titel: beati possidentes oder: de commodis possessionis. Es versteht sich von selbst, daß in jenen Verzeichnissen immer dasselbe unter andern Namen wiederholt wird.

(1) Das heißt: „per possessionem dominium quaerere.“ L. 20. §. 2. de adqu. rer. dom. – §. 5. I. per quas pers.


(13) §. 3. Rechte des Besitzes. (Forts.)

betrifft. Aber obgleich hierin keine eigne, juristische Bedeutung für den Besitz gesucht werden kann, so ist dennoch diese Beziehung für die Theorie des Besitzes selbst sehr wichtig. Da nämlich in diesen Fällen Erwerb des Besitzes und Erwerb des Eigenthums, was die Natur der erwerbenden Handlung betrifft, unzertrennlich verbunden sind (1), so folgt daraus für die Interpretation die Regel, daß alle Vorschriften über Occupation und Tradition, insofern sie die Form der Handlung betreffen, auch als Quellen für den Besitz gebraucht werden können, obgleich sie des Besitzes selbst vielleicht nicht erwähnen: von welcher Regel auch schon in der Angabe der Quellen Gebrauch gemacht worden ist.

2. Die Publiciana actio ist mit jedem Besitze verbunden, welcher der Usucapion (die 30jährige ausgenommen) fähig ist, und es ist deshalb gerade kein practischer Irrthum zu befürchten, wenn man diese Art des Eigenthums, wie die Usucapion, als eine Folge des bloßen Besitzes betrachtet. Da aber

(1) So ist zu erklären L. 8. C. de poss.: „Per procuratorem utilitatis caussa (!) possessionem, et, si proprietas ab hac separari non possit, (d. h. wenn von einer gültigen Occupation oder Tradition die Rede ist) dominium etiam quaeri placet.“


(14) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

jene Klage schon im älteren Römischen Recht der eigentlichen Vindication sehr ähnlich war, im neueren Recht aber ihr noch näher gekommen ist, so ist auch dabey eigentlich nicht mehr vom bloßen Besitze die Rede, sondern es ist ein ähnliches Verhältniß, wie wenn durch Occupation und Tradition das wahre Eigenthum zugleich mit dem Besitze erworben wird. Demnach giebt es für jeden Usucapionsbesitz eine doppelte Ansicht: wegen des Eigenthums, was erst in der Folge durch ihn erworben werden soll, ist er als bloßer Besitz Gegenstand der Rechtswissenschaft (§. 2): wegen der publicianischen Klage, die schon jetzt mit ihm verbunden ist, gilt er selbst schon als Eigenthum. Auch haben ihn in dieser letzten Rücksicht von jeher die meisten Juristen nicht als Besitz, sondern als Eigenthum behandelt.

3. Wer eine fremde Sache so besitzt, daß er sie für sein Eigenthum hält und aus einem juristischen Grunde dafür halten muß (bona fides und justa causa), erwirbt an den Früchten dieser Sache das Eigenthum wirklich (fructuum perceptio). Dieses Recht wird von den Meisten als etwas ganz einzelnes betrachtet, und unter die bedeutendsten Vortheile des bloßen Besitzes gerechnet. Allein es läßt sich beweisen, daß dieses Recht durchaus


(15) §. 3. Rechte des Besitzes. (Forts.)

nichts anderes ist, als publicianisches Eigenthum, bezogen auf die allgemeine Regel der Accession, welcher Beweis weiter unten (§. 22. a.) auch wirklich geführt werden wird. Dieses vorausgesetzt, gilt alles, was über jenes Recht so eben (num. 2) gesagt worden ist, auch hier, und es ist ganz inconsequent, dasselbe von den Folgen des bloßen Besitzes auszuschließen, während man die fructuum perceptio darunter rechnet.

4. Der Besitzer hat im Streit über Eigenthum den Vortheil, daß der Gegner beweisen muß, um zu gewinnen, er selbst aber auch dann gewinnt, wenn von keiner Seite etwas bewiesen werden kann (1).

Daß indessen auch hierin kein Recht des Besitzes liegt, wodurch der Besitz selbst eine neue, juristische Bedeutung bekommen könnte, folgt schon daraus, daß derselbe Satz allgemein für jeden Beklagten überhaupt wahr ist (2). Es ist also bloß das natürliche Vorrecht des Beklagten, angewendet

(1) §. 4. I. de interdictis. Dieses Recht übrigens kommt bey unsern Juristen unter sehr verschiedenen Ausdrücken vor, deren jeder wieder als eine eigne beatitudo possessionis gezählt wird, z. B. „der Besitzer ist frey vom Beweise, es wird präsumirt, daß er Eigenthümer sey, es wird im Zweifel zu seinem Vortheil entschieden, er braucht den Grund seines Besitzes nicht anzugeben“ u. s. w.

(2) „ ... semper necessitas probandi incumbit illi, qui agit.“ L. 21. de probat.


(16) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

auf den Fall der Vindication, weil dabey kein Anderer, als der Besitzer, Beklagter seyn kann.

Das practische Interesse, wodurch dieser Punct von den vorigen sich unterscheidet, liegt darin. Ist dieses Recht eine Folge des juristischen Besitzes, so kann es niemand haben, der, obgleich er die Detention einer Sache hat, dennoch nicht juristisch als Besitzer anerkannt wird; folglich müßte ein solcher überhaupt nicht Beklagter seyn dürfen in dem Streit über Eigenthum, weil ihm sonst das allgemeine Recht des Beklagten nicht versagt werden könnte. Ist dagegen dieses Recht kein Vorrecht des Besitzes, so wird es auch bey der bloßen Detention, die nicht als Besitz gilt, behauptet werden müssen. Nun bestimmt das Römische Recht ausdrücklich, daß die Vindication angestellt werden kann, der Beklagte mag juristisch als Besitzer gelten oder nicht (1). Da nun ohne Zweifel der Kläger immer abgewiesen werden muß, wenn er nicht beweisen kann, so ist das Recht, von welchem hier die Rede ist, eben so wohl ein Recht der bloßen Detention, als ein Recht des Besitzes, also überhaupt kein solches Recht, welches durch den Besitz als ein eignes, juristisches Verhältniß bedingt ist.

(1) L. 9. de rei vind.


(17) §. 3. Rechte des Besitzes. (Forts.)

5. Der Besitzer darf mit Gewalt seinen Besitz vertheidigen (1).

Dieses Recht kann schon um deswillen nicht neben den übrigen, als Folge des Besitzes, aufgestellt werden, weil der Satz selbst, auf welchem es beruht, gar nicht in das Privatrecht gehört. Da sich nämlich hierbey der Schutz eines Richters gar nicht denken läßt, so kann der Sinn jenes Satzes, als eines Rechtssatzes, nur dieser seyn: wer auf solche Weise Gewalt ausübt, ist von der Strafe frey, welche außerdem auf alle Gewaltthätigkeit folgt. Dieser Satz gehört theils in das Criminalrecht, wegen der öffentlichen Strafe, theils in das Civilrecht, wegen der Privatstrafe der Selbsthülfe: aber in beiden Beziehungen kann er durchaus nicht als Folge des juristischen Besitzes gedacht werden, da die Nothwehr überhaupt bey der bloßen Detention eben sowohl möglich und erlaubt ist, als bey dem juristischen Besitz. Dieses letzte indessen scheint der angeführten Stelle des Codex zu widersprechen: die Nothwehr wird hier dem Besitzer, dessen Besitz nicht unrechtlich angefangen hat, verstattet, also – jedem Andern, unter andern auch

(1) „Recte possidenti, ad defendendam possessionem, quam sine vitio tenebat, inculpatae tutelae moderatione illatam vim propulsare licet.“ L. 1. C. unde vi.


(18) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

dem, welcher bloße Detention hat, versagt. Allein diese Art der Interpretation, die überall nur mit großer Vorsicht gebraucht werden kann, ist bey den Rescripten des Codex fast ganz unbrauchbar; so läßt sich gleich hier ein Fall denken, auf welchen dieser Zusatz sich beziehen könnte, ohne unsere Regel indirect aufzuheben. Wer nämlich mit Gewalt aus dem Besitz verdrängt wird, darf sich gleich darauf mit Gewalt wieder in den Besitz setzen, ja es wird nun so betrachtet, als ob er den Besitz gar nicht verloren hätte (1): wenn also der Andere diesen Angriff mit Gewalt abwehrt, so kann er das nicht durch Nothwehr entschuldigen, weil er überhaupt nicht als Vertheidiger betrachtet wird. Wer nun etwa ohnehin bewiesen hätte, daß er in einem rechtlich angefangenen Besitz gewesen wäre, dem könnte dieser Einwurf nicht gemacht werden, und so haben die Worte: recte possidenti Sinn und Bedeutung, ohne jener Regel zu widersprechen.

Demnach kann auch Nothwehr auf keine Weise als Vorrecht des Besitzes angesehen werden.

6. Das Retentionsrecht (2). Daß dieses nicht unter die characteristischen Folgen des Besitzes gehören

(1) L. 17. de vi.

(2) Thibaut Pandekten 5te Ausg. §. 311. Hufeland vom Besitz S. 34.


(19) §. 4. Rechte des Besitzes. (Forts.)

kann, folgt schon daraus, daß auch diejenigen es haben, welchen doch aller juristische Besitz entschieden abgesprochen werden muß. In der That ist dieses Recht nichts anders, als eine doli exceptio, die sich von anderen Anwendungen dieser Exception nur factisch und zufällig unterscheidet.

§. 4.

Daß der Besitz als ein rechtliches Verhältniß nur allein auf Usucapion und Interdicte sich bezieht, ist bisher bewiesen worden: dasselbe findet sich durch den Zusammenhang bestätigt, in welchem der Besitz bey den Römischen Gesetzgebern und Juristen vorkommt.

1. In den Institutionen (1) steht er mitten unter den possessorischen Interdicten, weil das Recht diese Interdicte zu gebrauchen nur durch ihn begründet werden kann. Bey der Usucapion (2) wird er einstweilen als bekannt vorausgesetzt.

2. In den Pandekten wird im ganzen 41ten Buch der Erwerb des Eigenthums abgehandelt: im ersten Titel die natürlichen Erwerbarten, im dritten und allen folgenden die Usucapion. Der Besitz kommt im zweyten Titel vor, offenbar als Uebergang zur Usucapion, welche hauptsächlich auf ihm beruht, und ohne eine genaue Kenntniß des Besitzes nicht

(1) lib. 4. tit. 15.

(2) lib. 2. tit. 6.


(20) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

verstanden werden kann. Die Interdicte folgen erst später, und es ist daher ganz natürlich, daß bey ihnen nicht weiter die Rede davon ist.

Diese Ansicht der Pandektenordnung ist so natürlich, daß von jeher die meisten Juristen auf diese Art die Sache erklärt haben (1). Einige haben ein umgekehrtes Verhältniß angenommen, indem sie behaupteten, die ganze Lehre vom Eigenthum sey nur gelegentlich dem Besitz beygefügt worden: der Besitz selbst stehe hier als Vorbereitung zu den Interdicten (2) oder zur Execution (3).

3. Im Codex steht der Besitz zwischen der Usucapion (4) und der longi temporis praescriptio (5), offenbar weil beyde auf gleiche Weise durch ihn bedingt sind. Auch hier wird wieder eine entferntere Beziehung auf die Execution behauptet (6).

Die Basiliken (7) schließen sich im Ganzen an die Ordnung der Pandektentitel an, welchen die Titel des Codex nur eingeschaltet werden. Doch

(1) Duarenus in tit. de poss., prooem. p. m. 823.

(2) Cuiacius in paratit. in Dig. lib. 41. tit. 2.

(3) Giphanius in oeconomia juris p. 162. et in lectur. Altorph. p. 394.

(4) lib. 7. tit. 26-31.

(5) lib. 7. tit. 33-38.

(6) Giphanius in oecon. juris pag. 162.

(7) lib. 50. tit. 2, in Meermanni Thes. T. 5. p. 42-50. Indessen steht hier von den possessorischen Interdicten nur ein Theil. Das übrige steht im 58ten oder 60ten Buch.


(21) §. 4. Rechte des Besitzes. (Forts.)

ist es merkwürdig, daß hier unmittelbar nach der Usucapion und noch vor dem Titel pro emtore (1) die possessorischen Interdicte (2) eingerückt sind.

4. Bey Paulus (3) wird der Besitz nur als Bedingung der Usucapion vorgetragen. Da indessen in dem ganzen Titel, welcher diese Ueberschrift führt, außer dem Besitz selbst zwar die longi temporis praescriptio vorkommt, die Usucapion aber gar nicht genannt wird, so ist es höchst wahrscheinlich, daß die Verfasser der Gothischen Compilation hier vieles geändert haben (4).

5. Das Edict, obgleich älter als alle vorige Quellen, führe ich zuletzt an, weil wir über die Ordnung desselben am wenigsten wissen. In den Commentaren über dasselbe ist die Stelle, an welcher der Besitz abgehandelt wird, ganz verschieden. In dem Commentar von Ulpian sind die Interdicte mit dem Besitz verbunden, die Usucapion kommt an einer sehr entfernten Stelle vor: in dem Commentar von Paulus verhält es sich gerade umgekehrt. Folgende Tabelle mag zur Uebersicht dienen:

(1) l. c. p. 58.

(2) l. c. p. 57.

(3) recept. sent. lib. 5. tit. 2. de usucapione.

(4) Schulting in rubr. tit. cit.


(22) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Ulpianus ad

edictum lib. 11

lib. 12

lib. 15

lib. 16

lib. 69

 

 

lib. 70

 

 

 

 

 

lib. 71

 

lib. 72

lib. 73

Paulus ad ed.

lib. 54

 

 

 

 

 

 

lib. 65

 

lib. 66

 

lib. 67

Besitz.

 

 

 

 

l. 10. de poss.

 

 

l. 2. de poss.

l. 6. de poss.

l. 12. de poss.

 

 

 

 

 

l. 13. de poss.

l. 16. de poss.

 

l. 1. de poss.

l. 3. de poss.

l. 7. de poss.

Interdicte.

 

 

 

 

l. 3. de interd.

l. 1.3. de vi

l. 1.3. uti poss.

l. 4. uti poss.

l. 1. de superfic.

l. 1. 3. de itin.

l. 1. de aq. quot.

l. 1. 3. de rivis.

l. 1. de fonte

l. 1. de cloac.

l. 2. 4. 6. 8. de prec.

l. 1. de utrubi

 

 

 

 

 

 

 

 

 

l. 2. 9. de vi

l. 2. uti poss.

l. 2. 6. de itin.

l. 2. de rivis.

l. 4. de interd.

l. 6. 16. quod vi

Usucapion.

l. 6. de usurp.

l. 1 pro derelicto

l. 1. pro suo

l. 10. de usurp.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

l. 2. 4. de usurp.

l. 2. pro emt.

l. 1. pro don.

l. 2. pro derel.

l. 2. 4. pro leg.

l. 2. pro dote

l. 2. pro suo

 


(23) §. 4. Rechte des Besitzes (Forts.)

Schon durch diese Verschiedenheit würde es sehr wahrscheinlich seyn, daß der Besitz selbst gar nicht im Edict vorkam, und daher von den Commentatoren des Edicts, die ihn der Vollständigkeit wegen nicht übergehen konnten, gerade da eingeschaltet wurde, wo es jedem am bequemsten dünken mochte. Allein ohnehin läßt sich bey der ganz praktischen Einrichtung des Edicts, worin sich alles an die Rechtsmittel anknüpfte, nicht annehmen, daß darin Bestimmungen über den Begriff, Erwerb und Verlust des Besitzes hätten aufgenommen werden können; Bestimmungen dieser Art wurden gewiß ohne Ausnahme der juristischen Theorie überlassen, und so geschah es, daß die Commentatoren des Edicts eine solche Lehre nach ihrem individuellen Gutdünken einschalteten (1).

Noch viel leichter läßt es sich zeigen, daß die Rechte, welche oben dem Besitz als Wirkungen abgesprochen worden sind (§. 3.), auch in den Quellen des Römischen Rechts in keiner Verbindung damit stehen.

Die Occupation und Tradition stehen überall unter den Fällen, in welchen Eigenthum unabhängig vom Civilrecht erworben wird.

Die actio Publiciana kommt in den

(1) Die erste Bemerkung war mir schon früher von Heise mitgetheilt worden, die zweyte rührt von Hugo (Gött. Anz. 1818. S. 1558) her und ist in der 4ten Ausg. hinzugekommen.


(24) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Institutionen (1) unter den prätorischen Klagen überhaupt vor, in den Pandekten (2) neben der rei vindicatio.

Die fructuum perceptio wird als natürliche Erwerbart bey dem Eigenthum vorgetragen, und zwar in den Institutionen (3) unmittelbar nach der Accession.

Die Freyheit vom Beweise kommt zwar in den Institutionen als commodum possessionis vor (4), aber nicht sowohl um die Lehre vom Besitz zu ergänzen (5), als um den häufigen Gebrauch und die Wichtigkeit des interdicti retinendae possessionis zu erklären.

Das Recht zur Nothwehr wird, wie billig, nicht als ein eigenes Rechtsinstitut abgehandelt, für welches eine eigene Stelle im System des Privatrechts aufgesucht werden müßte, sondern nur bey einer ganz andern Materie gelegentlich berührt.

Das Retentionsrecht endlich hat gar keine eigene Stelle.

§. 5.

Die Bedeutung, welche der Besitz im Römischen Recht hat, ist jetzt bestimmt: aller Besitz bezieht sich auf Usucapion oder Interdicte, und alle Rechtsvorschriften, welche den Besitz als etwas juristisches betreffen, haben

(1) lib. 4. tit. 6.

(2) lib. 6. tit. 2.

(3) §. 35. de rer. div.

(4) §. 4. I. de interdictis.

(5) Diese steht nämlich erst im folgenden Paragraphen.


(25) §. 5. Der Besitz ist Recht und Factum zugleich.

keinen andern Zweck, als die Möglichkeit der Usucapion oder der Interdicte zu bestimmen.

Jetzt wird es nicht schwer seyn, auf zwey Fragen zu antworten, über welche von jeher die Meinungen sehr getheilt gewesen sind: ob nämlich erstens der Besitz als Recht oder als Factum betrachtet werden müsse, und zweytens, wenn er ein Recht ist, unter welche Klasse von Rechten er gehöre.

Was das erste betrifft, so ist es klar, daß der Besitz an sich, seinem ursprünglichen Begriffe nach, ein bloßes Factum ist: eben so gewiß ist es, daß rechtliche Folgen damit verbunden sind (1). Demnach

(1) Durch diese rechtliche Folgen, die bisher dargestellt worden sind, bekommt nun das jus possessionis, was vorher nur als Gegenstand der Untersuchung vorläufig angenommen wurde, bestimmte Bedeutung. Der Ausdruck selbst kommt in mehreren Stellen vor:

L. 44. pr. de poss.

L. 2. §. 38. ne quid in loco publ.

L. 5. §. 1. ad L. Iul. de vi publ.

L. 5. C. de lib. causa.

Nicht dieselbe Bedeutung hat possessionis dominium und dominus, woraus einige eine ganz eigene Art von Recht gemacht haben:

L. 7. D. de incendio.

Cod. Gregor. III. 4. const. 1.

L. 2. C. Iust. ubi in rem actio (III. 19.)

Cod. Theodos. VIII. 18. const. 2.

In den drey ersten Stellen heißt possessio eine Besitzung, ein Grundstück, dominus possessionis der Herr des Grundstücks. In der Stelle des Theodosischen Codex hat der Ausdruck einen viel unbestimmteren Sinn: es heißt da Detention und Genuß ohne Eigenthum, also auch ohne Recht der Veräußerung,


(26) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

ist er Factum und Recht zugleich, nämlich seinem Wesen nach Factum, in seinen Folgen einem Rechte gleich, und dieses zweyfache Verhältniß ist für das ganze Detail ungemein wichtig.

Da nämlich der Besitz ursprünglich ein Factum ist, so ist seine Existenz von allen den Regeln unabhängig, welche das Civilrecht oder auch das jus gentium über den Erwerb und den Verlust von Rechten aufgestellt haben (1). So kann durch Gewalt der Besitz erworben und verloren werden, obgleich Gewalt durchaus keine juristische Handlung ist: eben so wird durch die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts, z. B. durch die fehlende Insinuation bey einer großen Schenkung, der Uebergang des Besitzes durchaus nicht gehindert. So ist ferner nach diesem ursprünglichen Begriff des Besitzes eine

daher eigentlich nur ususfructus, mithin nicht einmal wahre possessio. In einer späteren Constitution übrigens steht jus possessionis für jus possidendi (Rechtlichkeit des Besitzes):

L. 10. C. de poss.

(1) Das ist der Sinn folgender Stellen: „Ofilius quidem et Nerva filius, etiam sine tutoris auctoritate possidere incipere posse pupillum ajunt: eam enim rem facti non juris esse.“ L. 1. §. 3. de poss. „ ... possessio autem plurimum facti habet.“ L. 19. ex quibus causis majores. „ ... quod naturaliter adquiritur, sicuti est possessio, per quemlibet ... adquirimus.“ L. 53. de a. r. dominio. Hier wird der Erwerb des Besitzes nicht allem juristischen Erwerb überhaupt, sondern dem des Civilrechts entgegen gesetzt, weil dieser Gegensatz zum Zweck der ganzen Stelle hinreichte.


(27) §. 5. Der Besitz ist Recht und Factum zugleich.

eigentliche Uebertragung desselben nicht möglich, d. h. kein Besitzer als solcher ist als Successor des vorigen Besitzers zu betrachten, sondern er erwirbt einen ganz neuen Besitz für sich, unabhängig von dem vorigen (1).

Allein diese Regel ist nicht ohne Ausnahme. Es giebt Fälle, in welchen es nöthig ist, die Rechte des Besitzes zu gestatten, wo jenes Factum nicht ist, oder zu versagen, wo es sich findet (2). In allen diesen Fällen ist es nicht bloß, wie in den übrigen, die Wirkung, was den Besitz zu einem Rechtsverhältniß macht, sondern der Besitz selbst, als die Bedingung jener Wirkung, erhält hier juristische Bestimmungen (3). Diese

(1) Diesen Satz, der nicht ohne Folgen ist, hat schon Duarenus in L. 1. de poss. p. m. 838. 839. Auch ist davon eine Controverse des Bulgarus und Martinus zu verstehen. Rogerius de dissension. dominorum Num. 73. ed Haubold Lips. 1821. 8. „Differunt in eo an quis a me possidere valeat salva materia possessionis.“

(2) Unsere Juristen nennen den Besitz, welcher so auf juristische Weise angenommen wird, obgleich die natürliche Detention fehlt, possessio ficta, impropria, interpretativa. Der erste, der diese Ausdrücke gebraucht hat, ist wahrscheinlich Albericus. Azonis Summa in Codicem, tit. de poss., num. 15.

(3) „ ... plurimum ex jure possessio mutuatur.“ L. 49. pr. de poss. „possessio non tantum corporis, sed et juris est.“ L. 49. §. 1. de poss. Diese Stellen sind also nicht mit den oben angeführten zu verwechseln, welche von dem jus possessionis sprechen, obgleich die juristische Natur, welche der Besitz selbst erhält, sich auf jenes jus possessionis bezieht. – Zachariä (de poss. p. 13.) erklärt das ex jure durch e


(28) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Modificationen des ursprünglichen Begriffs vom Besitze zu kennen, ist freylich sehr nöthig, d. h. es ist nöthig zu wissen, in welchen Fällen überhaupt Besitz anzunehmen ist oder nicht: sie als Abweichungen von der Regel zu kennen, und von den Fällen zu unterscheiden, welche unter der Regel selbst enthalten sind, ist nicht schwer, wenn man den ursprünglichen Begriff des Besitzes selbst deutlich aufgefaßt hat: von practischem Interesse ist diese Untersuchung gar nicht. Cuperus hat die sehr unbequeme Methode eingeführt, sie alle in einer Reihe zusammen zu stellen, und er selbst hat 73 derselben aufgezählt (1). Ein solcher Katalog mag recht gut seyn zur Uebersicht, wenn man die Sache selbst schon anderwärts her kennt: um sie kennen zu lernen ist er nicht sehr tauglich. Deshalb wird jede dieser positiven Modificationen des Besitzes an ihrem Orte eingeschaltet werden, d. h. da, wo die Regel selbst vorgetragen wird, wovon sie eine Ausnahme enthält.

Noch deutlicher wird diese zweyfache Natur des Besitzes

servitute, ex usufructu. Aber possessio ex usufructu aliquid mutuatur heist: der Besitz entlehnt eine Regel von dem ususfructus, d. h. es wird eine Regel auf den Besitz angewendet, die eigentlich für den ususfructus bestimmt war. Demnach müßte das Räsonnement von Papinian dieses seyn. Der Sclave, dessen ususfructus ich habe, kann mir einen ususfructus erwerben, der Besitz aber richtet sich oft nach dem ususfructus, also kann mir jener Sclave auch Besitz erwerben. So aber hat Papinian gewiß nicht räsonnirt.

(1) de nat. poss. P. 1. C. 6.


(29) §. 5. Der Besitz ist Recht und Factum zugleich.

durch folgende Anwendung werden. Niemand kann seine eigene Sache kaufen, d. h. der Kaufcontract ist in einem solchen Fall nichtig (1). Dasselbe gilt von dem Pacht, dem Precarium, dem Depositum und Commodat (2). Allein es giebt eine Ausnahme dieser Regel, wenn nämlich der Eigenthümer jene Verträge mit Rücksicht auf den Besitz des Andern schließt. So gilt in diesem Fall die emtio possessionis (3), conductio possessionis (4), precarium possessionis (5), und nach der Analogie auch possessionis depositum und commodatum. Aber die Bedeutung dieser Ausdrücke ist gar nicht, daß durch diese Geschäfte der juristische Besitz übertragen werde. Denn der emtor possessionis erwirbt den Besitz doch nicht ohne Apprehension, und durch die Apprehension würde er ihn auch ohne Kauf erworben haben. Der conductor possessionis dagegen erwirbt niemals den juristischen Besitz, und eben so der Commodatar. Das precarium und depositum endlich richten sich hierin bald nach dem Kauf, bald nach dem Pacht. – Die Bedeutung jener Ausdrücke ist vielmehr die, daß durch die Rücksicht auf des Verkäufers (et)c. bisherigen Besitz,

(1) L. 21. de usurp.

(2) L. 21. de usurp. – L. 4. §. 3. de precario. – L. 15. depositi.

(3) L. 34. §. 4. de contrah. emt. – L. 28. de poss.

(4) L. 28. 37. de poss. – L. 35. §. 1. L. 37. de pign. act.

(5) L. 28. de poss. – L. 6. §. 4. L. 22. pr. de precario. – L. 35. §. 1. de pign. act.


(30) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

als auf ein juristisches, im positiven Recht anerkanntes, Verhältniß jene Verträge gültig werden, welche außerdem deswegen ungültig gewesen wären, weil sie kein juristisches Object gehabt hätten. – Alles dieses aber hängt mit der oben entwickelten zweyfachen Natur des Besitzes auf das genaueste zusammen. Nämlich der Besitz ist Factum, insofern ihm ein bloß factisches (unjuristisches) Verhältniß (die Detention) zum Grunde liegt: darum hatte in jenen Fällen der Kauf, der Pacht (et)c. auf den Erwerb des Besitzes nicht den geringsten Einfluß. Aber der Besitz ist ein Recht, insofern mit dem bloßen Daseyn jenes factischen Verhältnisses Rechte verbunden sind: darum konnte die Rücksicht auf ihn sowohl, als die auf das Eigenthum, dem Kauf und anderen Verträgen Gültigkeit geben.

So ist also der Besitz Factum und Recht zugleich. Die vielen Verhandlungen anzuführen, welche man bey Schriftstellern über diese Frage findet, wäre eben so unnütz, als ihre Lectüre unbelehrend ist. Cuperus (1) hat die Sache im Ganzen richtig und gründlich dargestellt, auch hat sich seitdem kein Zweifel hierüber gezeigt (2).

(1) de nat. poss. P. 1. C. 5.

(2) Zachariä (p. 11.) hat zwar die Frage von neuem abgehandelt, aber ohne etwas neues darüber zu sagen.


(31) §. 6. Classification des Jus possessionis.

§. 6.

Die zweyte Frage war: zu welcher Classe von Rechten gehört der Besitz?

Insofern der Besitz die Usucapion möglich macht, läßt sich diese Frage gar nicht denken. Niemand fällt es ein zu fragen, zu welcher Art von Rechten die justa causa gehöre, ohne welche die Tradition kein Eigenthum übertragen kann. Sie ist gar kein Recht, aber sie ist ein Theil der ganzen Handlung, wodurch Eigenthum erworben wird. So auch der Besitz in Beziehung auf Usucapion.

Demnach bleibt nur noch der Besitz, auf welchen die Interdicte sich gründen, als Gegenstand unserer Frage übrig. Diese Frage kann man vollständig beantworten, ohne sich auf die Classification des ganzen Privatrechts einzulassen, wodurch der Gang unsrer Untersuchung sehr unterbrochen werden müßte. Es läßt sich nämlich zeigen, daß der Besitz in das Obligationenrecht gehört, welcher Begriff in dem Römischen Recht als völlig bestimmt vorausgesetzt werden kann: wer nun das Vermögensrecht überhaupt in Sachenrecht und Obligationenrecht eintheilt, der wird dadurch von selbst genöthigt, den Besitz von allem Sachenrecht zu trennen: wer diese Eintheilung verwirft, muß ohnehin für das ganze Obligationenrecht eine eigne Stelle aufsuchen, wodurch denn der Besitz zugleich mit bestimmt seyn wird.


(32) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Daß nun das Recht der possessorischen Interdicte in das Obligationenrecht gehört, folgt schon daraus, daß für alle Interdicte überhaupt dieser Satz gilt (1). Allein es läßt sich noch bestimmter darthun, daß sie sich auf obligationes ex maleficiis gründen. Bey dem interdictum de vi hat das gar keinen Zweifel (2). Das interdictum uti possidetis wird nicht nur überall mit dem interdictum de vi zusammen gestellt, sondern es

(1) L. 1. §. 3. de interdictis. „Interdicta omnia, licet in rem videantur concepta, vi tamen ipsa personalia sunt.“ Die Worte: licet in rem videantur concepta müssen so übersetzt werden: „selbst diejenigen nicht ausgenommen, welche (et)c., “ denn sie beziehen sich durchaus nicht auf alle Interdicte, namentlich nicht auf die possessorischen, sondern nur auf wenige, z. B. das Interdictum quorum bonorum. Feuerbach (civilistische Versuche 1ster Thl. S. 249.) bezieht jene Worte auf alle Interdicte überhaupt, und rechnet sie deshalb unrichtig unter die in rem actiones im weiteren Sinne des Worts. – Die persönliche Natur aller Interdicte ist gut erklärt von Hasse, Rhein. Mus. VI. p. 196. 197, dagegen scheint derselbe den Zwischensatz: licet in rem videantur concepta, p. 198 falsch verstanden zu haben. Vgl. auch Ballhorn über Dominium S. 160. (Zus. der 6. Ausg.)

(2) In L. 19. de vi ist von delictum die Rede, in L. 1. §. 14. eod. von maleficium, in L. 1. §. 15. eod. von einer Noxalklage. Ferner geht es gegen den Erben nur in id, quod pervenit, was ausdrücklich als Folge derselben allgemeinern Regel für alle obligationes ex delicto angegeben wird. L. 3. pr. de vi. Endlich wird es auch bey der pacti exceptio mit andern delictis zusammen gestellt. L. 27. §. 4. de pactis (s. u. §. 40.)


(33) §. 6. Classification des Jus possessionis.

gilt auch, wie dieses, nur in dem ersten Jahr (1), folglich auch nicht gegen den Erben schlechthin (2), was denn wieder mit der allgemeinen Regel zusammen hängt, welche für alle actiones ex delicto die Verbindlichkeit des Erben beschränkt (3). Die übrigen Interdicte sind alle dem interdictum uti possidetis ganz ähnlich, das de precario ausgenommen, allein auch bey diesem ist die Verbindlichkeit des Erben gerade so beschränkt, wie bey jeder obligatio ex maleficio (4).

Wenn aber den possessorischen Interdicten obligationes ex maleficiis zum Grunde liegen, warum werden sie im Römischen Recht selbst nicht mit diesen zusammen gestellt (5)? bloß deswegen, weil die Classification der

(1) „ ... intra annum“ ... L. 1. pr. uti poss.

(2) „ ... Honorariae autem actiones“ (darunter sind hier die Interdicte mit begriffen) „quae post annum non dantur, nec in heredem dandae sunt: ut tamen lucrum ei extorqueatur, sicut fit in ... interdicto unde vi etc.“ L. 35. pr. de oblig. et act.

(3) L. 38. 44. de R. I. – L. un. C. ex delictis defunct. Cod. Herm. tit. 2. Mehr hierüber s. u. §. 37.

(4) „Hoc interdicto heres ejus, qui precario rogavit, tenetur ... ex dolo ... defuncti hactenus, quatenus ad eum pervenit.“ L. 8. §. 8. de prec.

(5) Die obligationes ex delictis stehen in den Institutionen B. 4. T. 1-4, in den Pandekten B. 47, die Interdicte überhaupt in den Institutionen B. 4. T. 15, in den Pandekten B. 43.


(34) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Römer auf prozessualischen Gründen beruht. Sie stellen unter der Rubrik Obligationen bloß die zusammen, welche eine eigentliche actio begründen (1). Demnach sind die Interdicte von jenen Obligationen bloß deßwegen getrennt, weil sie eine eigne Art von Prozeß hatten: hätte das Edict in allen diesen Fällen Actionen gestattet, so wären sie ohne Zweifel unter die obligationes ex maleficiis gesetzt worden, obgleich die Natur des Rechtsverhältnisses selbst dadurch nicht geändert worden wäre. Da nun unser Prozeß die Actionen und Interdicte der Römer nicht kennt, also die Bedeutung jener Trennung für uns verschwunden ist, so hat es keinen Zweifel, daß wir die possessorischen Interdicte nach der Ansicht des Römischen Rechts selbst unter die obligationes ex delictis zu setzen haben.

Das Recht der possessorischen Interdicte also gehört in das Obligationenrecht, und von dem Besitz selbst ist dabey nur insofern die Rede, als er die Bedingung enthält, ohne welche die Interdicte nicht gedacht werden können. Das jus possessionis also, d. h. das Recht, welches der bloße Besitz giebt, besteht lediglich in dem Anspruch, den der Besitzer auf die Interdicte hat, sobald eine bestimmte Form der Verletzung hinzutritt (2).

(1) Darauf geht die Rubrik: de obligationibus et actionibus (Dig. lib. 44. tit. 7.)

(2) Gegen diese Erklärung des jus possessionis streitet unnützer Weise Sintenis,


(35) §. 6. Classification des Jus possessionis.

Abstrahirt von dieser Verletzung giebt der bloße Besitz gar kein Recht, weder ein jus obligationis, wie sich von selbst versteht, noch auch ein Recht auf die Sache, denn keine Handlung auf eine Sache ist blos deßwegen für rechtlich zu halten, weil etwa der Handelnde den Besitz der Sache hat.

Ueber die Frage, welche hier untersucht worden ist, hat man von jeher sehr viel gestritten. Der größte Theil dieser Streitigkeiten ist sehr unbelehrend, auch gehört er nicht hierher, weil fast Alle damit sich begnügen, einen Begriff von jus in re (oder in rem) und ad rem aufzustellen, und dann den Besitz, wie alle übrigen Rechte, darunter zu rechnen oder davon auszuschließen, ohne über die Natur dieser Rechte selbst etwas neues und bedeutendes zu sagen. Alles kommt darauf an, die ausschließende Beziehung des Besitzes auf Usucapion und Interdicte als entscheidend zu behandeln. Donellus (1) hat unter Allen allein diesen Zusammenhang des Besitzes mit dem ganzen System dargestellt, ja er hat zur Rechtfertigung desselben das meiste wenigstens angedeutet, was hier weiter ausgeführt werden

Zeitschr. von Linde B. 7. S. 259 fg. Der Ausdruck bedeute nicht das aus dem Besitz fließende Recht (sonst müßte es heißen: jura possessionis! p. 260), sondern vielmehr den Besitz mit allen seinen rechtlichen Beziehungen und Verhältnissen. (Zus. der 6. Ausg.)

(1) Comment. lib. 5. C. 6-13. (als Bedingung der Usucapion) lib. 15. C. 32-34. (die possessorischen Interdicte).


(36) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

mußte. Merenda scheint, nach einer gelegentlichen Bemerkung, der richtigen Ansicht nahe gewesen zu seyn (1), obgleich seine Hypothese ihn zu sehr beschäftigte, als daß er Gebrauch davon hätte machen können.

Baldus hat zuerst vier Arten von ius in re angenommen: Eigenthum, Servitut, Pfandrecht und Erbrecht. In der Folge ist auch der Besitz (2), die dos, emphyteusis u. a. m. darunter gerechnet worden. Endlich hat Hahn die Zahl derselben auf fünf festgesetzt, jene vier nämlich und den Besitz (3): seine überaus schlechten Schriften haben die Ehre gehabt, an der Spitze einer sehr zahlreichen Partey zu stehen (4). Einige haben die Sache dadurch zu entscheiden gesucht, daß sie in dem Sachenrecht neben dem jus in re und ad rem das jus possessionis als einen eignen Haupttheil annahmen (5), eine Meinung, die blos dadurch entstehen konnte, daß man keine bessere Auskunft wußte.

(1) Controv. lib. 12. C. 28: „ubicunque de possessione agitur, ad interdicta respicimus, vel usucapionem.“

(2) Alciati Respons. L. 5. Cons. 112. n. 4.

(3) Diss. inaug. de jure in re. Helmst. 1639, am vollständigsten Helmst. 1664. 4. In mehreren Schriften über den Besitz hat er seine Meinung wiederholt.

(4) In folgender Schrift wird diese Meinung bekämpft, und weitläufig bewiesen, daß der Besitz kein jus in re sey: H. G. Scheidemantel resp. J. F. Rappolt diss. de numero specierum juris in re, et praesertim: an possessio sit illis annumeranda. Stuttgard. 1786.

(5) I. B. Friesen resp. Sturm de genuina poss. indole, Jenae 1725. Wieder


(37) §. 6. Classification des Jus possessionis.

Die Systematiker haben sich von jeher in großer Verlegenheit befunden, wenn es darauf ankam, dem Besitz eine Stelle anzuweisen. Connanus (1) und Ayliffe (2) handeln ihn ganz richtig bey der Usucapion ab, als Bedingung derselben: dagegen fehlt die andere juristische Seite des Besitzes, das Recht der Interdicte, in ihrem System ganz. Domat (3) theilt das ganze Privatrecht in Engagemens und Successions: bey den ersten handelt er unter andern von den Folgen, wodurch sie selbst beschränkt werden können, und unter diesen Folgen steht – der Besitz und die Verjährung (4). Schon diese Stellung zeigt, daß er nicht gewußt hat, was der Besitz im Römischen Recht

abgedruckt in Gottlieb Sturmii disputationes Ienenses. Vitemb. s. a. 4. Num. 1. Ihm folgt Höpfner (Commentar über die Inst. §. 280. not. 2.)

(1) Comment. j. civ. L. 3. C. 8-10. (T. 1. p. 173-189. ed. Neap. 1724 f.)

(2) a new Pandect of Roman Civil Law, Lond. 1734. f. Book 3. T. 10. p. 336-344. Im 8ten Titel steht die Usucapion, im 9ten ist die Schenkung eingeschoben, um so viel möglich die Folge der Institutionentitel darzustellen.

(3) Loix civiles, Prém. partie (des engagemens et de leurs suites) Livre 3. (des suites, qui ajoutent aux engagemens ou les affermissent) Titre 7. (de la possession et des préscriptions), p. 258-276, ed. Paris. 1713. f.

(4) Genau genommen ist ihm Engagement nicht gleichbedeutend mit Obligation, indem er auch Ehe und väterliche Gewalt dahin rechnet (traité des loix Chap. 3. 4.) In dem Werk selbst aber läßt er diese Verhältnisse weg, und handelt bloß von Obligationen (freylich ohne von einem scharf bestimmten Begriff


(38) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

bedeute: auch ist er in der ganzen Abhandlung damit beschäftigt, drey Begriffe zu verwechseln, die beständig unterschieden werden müssen, wenn nicht die ganze Lehre vom Besitz mißverstanden werden soll: possessio nämlich, possessio civilis und jus possidendi. Mehrere unter den Neuern (1) haben sich dadurch geholfen, daß sie den Besitz in den allgemeinen Theil des Systems verwiesen haben, obgleich er um gar nichts allgemeiner ist als das Eigenthum oder jedes andere Recht.

Wichtiger als alle diese Irrthümer über die juristische Natur des Besitzes ist ein anderer, welcher so wenig mit in diesen Streit gezogen worden ist, daß er bey Schriftstellern von allen Parteyen sich findet. Man

derselben auszugehen). So ist ihm denn auch der Besitz bloß als Erfüllung und Bekräftigung der Obligationen merkwürdig, indem z. B. der Käufer durch die Uebergabe des Besitzes Eigenthum erhält, also das, was er wollte. Vgl. traité des loix Ch. 14. §. 12.

(1) z. B. Hofacker (princ. jur. civ. Lib. 3. Sect. 2.) Dieser Vorwurf bedarf einer kleinen Erläuterung, um nicht mißverstanden zu werden. Wenn man einen allgemeinen Theil nöthig findet, so läßt sich nichts dagegen einwenden, daß der Besitz darin aufgeführt werde, da ein solcher allgemeiner Theil doch nur wegen subjectiver Bedürfnisse der Mittheilung da zu seyn pflegt, ohne daß ihm Begriff und Inhalt wissenschaftlich vorgezeichnet werden kann. Nur das ist wesentlich und nothwendig, daß über dieser Erleichterung nicht vergessen werde, den eigentlichen Zusammenhang des Besitzes mit dem besondern Theile, d. h. mit dem Rechtssystem selbst, anzuerkennen und darzustellen.


(39) §. 6. Classification des Jus possessionis.

hat nämlich den Besitz gar nicht als eignes Recht, sondern als provisorisches Eigenthum betrachtet, die Interdicte bloß als provisorische Vindicationen, bloß dazu eingeführt, um den Eigenthumsprozeß zu reguliren. Dieser Irrthum, der vielleicht mehr practische Folgen gehabt hat, als alle andere, kann erst dann vollständig widerlegt werden, wenn die Natur der Interdicte dargestellt seyn wird. Hier können nur folgende Stellen dagegen angeführt werden, welche ganz hierher gehören, weil sie die Natur des Besitzes selbst zum Gegenstand haben: „nec possessio et proprietas misceri debent“ (1) und: „nihil commune habet proprietas cum possessione“ (2). Daß hier etwas mehr ausgedrückt seyn soll, als der triviale Satz, man solle den Besitzer nicht mit dem Eigenthümer verwechseln, zeigen folgende Worte der zweyten Stelle: „et ideo non denegatur ei interdictum uti possidetis, qui coepit rem vindicare. Non enim videtur possessioni renuntiasse, qui rem vindicavit.“ (3)

(1) L. 52. pr. de poss.

(2) L. 12. §. 1. de poss.

(3) L. 12. §. 1. cit. Ueber keine Stelle des ganzen Titels ist so viel und so weitläufig commentirt worden, als über diese: die erste gedruckte Schrift über den Besitz ist ein solcher Commentar von Bolognin (Bononiae 1494. f.). Alle diese Schriften aber gehören so gut als gar nicht hierher; sie handeln nur bey Gelegenheit dieser Stelle die prozessualische Frage ab, ob das petitorium mit dem possessorium cumulirt werden dürfe.


(40) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

(Zus. der 6. Ausg.) Ueber die allgemeine Natur des Besitzes, so wie sie in den §. §. 2. 5. und 6. angegeben worden ist, haben sich mehrere Schriftsteller, nach Erscheinung der 5ten Ausg. meines Werks, auf verschiedene Weise ausgesprochen. Um mich über diese abweichenden Meinungen kürzer und deutlicher erklären zu können, wird es zweckmäßig seyn, meine eigene Ansicht, etwas ausführlicher und mit Berichtigung einer früher versuchten Modification, hier zu wiederholen.

Der Besitz erscheint uns zunächst als die blos factische Herrschaft über eine Sache, und daher als ein Nichtrecht (verschieden von Unrecht), als ein rechtlich Indifferentes. Dennoch wird er gegen gewisse Verletzungen geschützt, und um dieses Schutzes willen werden Regeln aufgestellt über Erwerb und Verlust des Besitzes; gerade als ob er ein Recht wäre. Der Grund jenes Schutzes, und dieser, einem Rechte ähnlichen, Behandlung soll angegeben werden: das ist die Aufgabe. Dieser Grund nun liegt in der Verbindung jenes factischen Zustandes mit der besitzenden Person, durch deren Unverletzlichkeit er gegen diejenigen Arten der Verletzung mit gedeckt wird, durch welche stets zugleich die Person berührt werden würde. Die Person nämlich soll schlechthin sicher seyn gegen jede Gewalt; geschieht ihr Gewalt, so ist dieses immer ein Unrecht, dieses Unrecht aber kann verschiedene Folgen haben. Betrachten wir in dieser


(41) §. 6. Classification d. Jus poss. (Zus. d. 6. Ausg.)

Hinsicht zuerst die zwey äußersten möglichen Fälle. Der erste: die Gewalt betraf lediglich die Person, Nichts außer ihr; der zweyte: die Gewalt betraf neben der Person zugleich ein dieser Person zustehendes Recht, z. B. eine Sache in ihrem Eigenthum. Der erste Fall wird im Civilrecht keine andere Folge haben, als etwa die Injurienklage (das Criminalrecht berühren wir hier nicht). Im zweyten Fall ist die Gewalt nicht einmal nöthig, um dem verletzten Eigenthum Schutz zu verschaffen, das ja auch schon an sich, ohne Gewalt, Schutz findet; allein die Verbindung des zweyfachen Unrechts kann dennoch eigenthümliche Folgen haben, wohin die actio vi bonorum raptorum gehört. – In der Mitte zwischen diesen äußersten Fällen liegt der Fall, da die der Person zugefügte Gewalt zugleich einen Besitz stört oder entzieht. Ein selbständiges Recht ist in diesem Fall nicht neben der Person verletzt, aber in dem Zustand der Person ist doch etwas verändert zu ihrem Nachtheil, und soll das Unrecht, welches in der Gewalt gegen die Person liegt, in seinen Folgen gänzlich ausgetilgt werden, so kann diese nur geschehen durch die Herstellung oder Beschützung jenes factischen Zustandes, worauf sich die Gewalt erstreckt hat. Dieses ist der wahre Grund der possessorischen Klagen, und eine genauere Betrachtung der Natur jenes Zustandes wird dieses noch anschaulicher machen. Man hat gesagt, er werde dadurch einem Rechte


(42) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

ähnlich, daß er die Vermuthung des Eigenthums begründe, und deshalb habe er Anspruch auf schützende Klagen (1). Allein diese Vermuthung hat in der That keinen rechtlichen Grund, denn bey dem bloßen Besitz ist es eben so wahrscheinlich, daß der Besitzer das Eigenthum hat, als daß er es nicht hat. Am anschaulichsten wird dieses durch die Vergleichung des bloßen Besitzes mit der b. f. possessio. Bey dieser wird in der That das Eigenthum fingirt, und diese Fiction ist Nichts als eine Vermuthung, da sie ja durch die dominii exceptio entkräftet wird. Hier nun liegt der Grund der Fiction oder der Vermuthung lediglich in dem Rechtstitel, und da ein solcher bey dem bloßen Besitz nicht vorhanden ist, so fehlt demselben jeder Grund einer Rechtsvermuthung für das Eigenthum. – Dagegen ist die Möglichkeit des Eigenthums auch für den bloßen Besitzer nicht zu

(1) In der dritten, vierten und fünften Ausgabe hatte ich am Schluß des §. 2. diese Präsumtion angenommen, die ich jetzt aufgebe. Was ihr einigen Schein giebt, ist der Umstand, daß bey der Vindication der Kläger beweisen muß, und daß derselbe abgewiesen wird, wenn kein Theil etwas beweist. Allein davon liegt der Grund nicht in dem wahrscheinlichen Eigenthum des Beklagten, sondern darin, daß der Richter überhaupt nur dem helfen soll, der ihn von dem Daseyn seines Rechts überzeugt, außerdem aber unthätig bleiben muß. Auch in einer persönlichen Klage muß der Kläger beweisen, und auch davon liegt der Grund gar nicht in einer gegen das Daseyn aller Schulden streitenden Vermuthung.


(43) §. 6. Classification d. Jus poss. (Zus. d. 6. Ausg.)

bezweifeln, und in Beziehung auf diese Möglichkeit giebt ihm der Besitz sehr bedeutende, theils prozessualische, theils factische Vortheile, die ihm erhalten, oder wiedergegeben werden müssen, wenn die Folgen der Gewalt ausgetilgt seyn sollen. Der erste dieser Vortheile besteht darin, daß der Besitzer im Eigenthumsstreit in die Stellung eines Beklagten kommt, welche ihn vom Beweise befreit (§. 3. Num. 4.). Ferner kann er als Besitzer zur Erhaltung der Sache selbst und zur Fruchtgewinnung factische Anstalten treffen, die ihm vielleicht durch keine Entschädigungsklage von seinem Gegner ersetzt werden können. Ja selbst ohne Rücksicht auf jene unzweifelhafte Möglichkeit des Eigenthums hat er unstreitig den factischen Vortheil, die Sache gleich einem Eigenthümer benutzen zu können, wenn der wirkliche Eigenthümer überhaupt nicht gut findet, ihn zu verklagen. Alle diese Vortheile sind es, deren Gesammtheit als Interesse der verübten Gewalt in Betracht kommt, und wodurch der Besitz selbst fähig wird, ähnliche Wirkungen wie ein Recht hervorzubringen, obgleich er in Wahrheit kein Recht ist (1). Die Einwendung also, daß hier erst das Unrecht ein

(1) Dieser Zusammenhang, auf welchen Alles ankommt, kann noch durch folgende Analogie erläutert werden. Im älteren Recht galt das Int. de vi nur an Grundstücken, nicht an beweglichen Sachen. Waren aber bey der Dejection aus einem Grundstücke zugleich bewegliche Sachen geraubt oder zerstört worden, so erstreckte sich das Interdict auch auf diesen Verlust, als auf


(44) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Recht erzeugen solle, ist ohne Grund, da der Besitz nicht selbst als Recht, sondern nur als Interesse der Verletzung eines anderen, von jeher vorhandenen Rechts in Betracht kommt. Eher könnte der andere Einwurf versucht werden, daß jene factischen Vortheile auch bey der bloßen Detention denkbar seyen, daß also consequenterweise nach dieser Ansicht auch der Verwalter eines fremden Besitzes die Interdicte haben müßte. Darauf aber ist zu antworten: Entweder denken wir diesen Verwalter in Uebereinstimmung oder im Widerstreit mit dem wahren Besitzer. Im ersten Fall braucht er die Interdicte nicht, da die des Besitzers ihn hinreichend schützen. Im zweyten Fall aber, wenn er sie wider Willen des Besitzers gegen diesen selbst oder gegen einen Dritten gebrauchen wollte, darf er es nicht, weil er dadurch in das obligatorische Verhältniß eingreifen würde, dem er seine Detention verdankt, und das ihm für jedes denkbare Interesse genügt. – Fragen wir also nach der Stellung des Besitzes im System der Rechte, so müssen wir immer

das Interesse der Dejection aus dem Grundstücke (§. 40.). Hier werden die beweglichen Sachen, die selbst kein Gegenstand des Interdicts sind, mit in das Interdict gezogen, blos wegen ihres Zusammenhangs mit der Dejection aus dem Grundstücke. Eben so wird die Verletzung des Besitzes, obgleich dieser selbst kein Recht ist, dennoch Grund einer Klage, blos wegen des Zusammenhangs dieser Verletzung mit der an sich widerrechtlichen Gewalt gegen die Person.


(45) §. 6. Classification des Jus poss. (Zus. d. 6. Ausg.)

wieder auf die Erklärung zurück kommen: der Besitz selbst, als Recht, hat keine Stellung, da er kein Recht ist; das Recht aber, was er wirkt, und um dessen willen er am meisten Aehnlichkeit mit einem Recht annimmt, auch besonderer Regeln des Erwerbes und Verlustes bedarf, – dieses Recht ist das Recht der possessorischen Interdicte, also ein obligatorisches.

Nicht selten ist die hier abgehandelte Frage durch mehrere Verwechslungen verwirrt worden. Erstlich fragen Viele nach der systematischen Stellung des Besitzes in folgendem Sinn: wenn Jemand ein systematisches Buch über das ganze Römische Recht schreiben will, an welcher Stelle soll er von dem Besitz handeln? Die Antwort auf diese Frage aber wird nur zum Theil aus der Natur des Besitzes entnommen werden können, zu einem andern und größeren Theil aus dem besonderen Plan eines solchen Buchs; dabey nun könnte es sich leicht finden, daß die einzelnen Theile der Besitzeslehre an ganz verschiedenen Stellen des Buchs abgehandelt würden, wie es denn in der That von den meisten Verfassern von Rechtssystemen stets gehalten worden ist. – Zweytens kann eine historische Untersuchung darauf führen, daß der Besitz ursprünglich eine ganz andere Bedeutung gehabt habe, als worin wir ihn im neuesten Recht finden (§. 12a). Eine solche historische Ansicht kann aber auf die Bedeutung der Besitzlehre für das neueste Recht


(46) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

keinen unmittelbaren Einfluß haben. Denn wenn er überhaupt seine Basis verändert hat, so ist die, welche wir im neuesten Recht finden, gerade so selbständig zu erklären und zu behandeln, als ob sie die erste, ja einzige wäre; so ist es denn auch von mir in der That gehalten worden, und darin liegt der Grund, warum die historische Untersuchung nicht so wie in anderen Lehren an die Spitze gestellt werden durfte.

Ich wende mich jetzt zur Darstellung der Ansichten einiger neueren Schriftsteller über die so eben erörterte Frage, die hier nach der Zeitfolge geordnet werden.

Gans System des Römischen Civilrechts im Grundrisse, Berlin 1827 S. 202-216.

Puchta im Rheinischen Museum B. 3. S. 289-308 (1829), besonders S. 305 fg.

Rudorff in der Zeitschrift für geschichtl. Rechtswiss. B. 7. S. 90-114 (1830).

Thaden über den Begriff des römischen Interdictenbesitzes, Hamburg 1833.

Hasse der jüngere im Rheinischen Museum B. 6. S. 183 fg. (1833).

Rauh Geschichte der Lehre vom Besitz. 1834.

Huschke über die Stelle des Varro von den Liciniern, Heidelberg 1835 S. 75 fg. besonders S. 99-110.

Gans stellt den Besitz an die Spitze der jura in re.

Das Haben einer Sache nach der Seite des besonderen


(47) §. 6. Classification des Jus poss. (Zus. d. 6. Ausg.)

Willens, sagt er, ist Besitz, nach der Seite des allgemeinen Willens aber Eigenthum. Der besondere Wille kann ein ganz unrechtlicher seyn, der allgemeine ist nichts Anderes als die Berechtigung des Besitzes. Der besondere, wenngleich unrechtlich, wird geschützt, weil der Wille schon an sich ein Substantielles, zu Schützendes ist (p. 211). Der Besitz ist anfangendes Eigenthum, dieser Anfang wird durch Interdicte geschützt, indem in ihm die Möglichkeit liegt, durch Usucapion zum Eigenthum fortzuschreiten (p. 211 und p.214). – Allein der besondere Wille, der ein unrechtlicher seyn kann, ist ja nichts Anderes als das bloße Factum, der allgemeine ist das Recht, also ist hier nur das Verhältniß des Besitzes zum Eigenthum wie Factum zum Recht mit anderen Worten wiederholt; darin liegt aber keine Antwort auf die Frage, wie das (vielleicht ganz unrechtliche) Factum zu einem Rechtsschutz komme. Daß der Wille an sich (auch der unrechtliche) ein zu Schützendes sey, wird gesagt, aber nicht gerechtfertigt, denn nach der allgemeinen Natur des Rechtsstreits soll nur der dem Recht entsprechende Wille geschützt, der unrechtliche aber bekämpft werden. Die eigentliche Erklärung also kann lediglich in dem anfangenden Eigenthum liegen sollen, und diese Erklärung wäre befriedigend, wenn die Interdicte dazu bestimmt wären, den Usucapionsbesitz, der allein anfangendes Eigenthum heißen kann, zu schützen. Dazu aber ist


(48) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

bekanntlich die publiciana actio bestimmt, die Interdicte dagegen schützen auch den Besitz ohne Titel, auch den unredlichen, der gewiß nicht anfangendes Eigenthum ist. In der That also ist hier gar Nichts geklärt. – Ausführlichere Bemerkungen über diesen neuen Versuch finden sich bey Puchta S. 294. Rudorff S. 95.

Puchta wendet gegen meine Darstellung ein, man erfahre daraus nur was der Besitz wirkt, nicht was er ist. Der Besitz ist aber (sagt er) ein Recht – nicht an der Sache sondern – an der eigenen Person, dem eigenen Willen. Der Schutz der Persönlichkeit, und zwar in der besondern Anwendung auf die natürliche (nicht rechtliche) Unterwerfung einer Sache. Dieses wird mit dem ganzen Rechtssystem dadurch in Verbindung gebracht, daß Fünf Gegenstände aller Rechte angenommen werden: Sachen, Handlungen, fremde Personen, in uns aufgenommene Personen, die eigene Person. – Die hier gegebene Erklärung für den Schutz des Besitzes kann ich nicht als wesentlich verschieden von der meinigen anerkennen. Denn auch ich erkläre jenen Schutz aus der Unverletzlichkeit der Person, und aus der Verbindung, in welche die Person mit einer Sache durch deren natürliche Unterwerfung getreten ist. Neu und eigenthümlich ist es, daß hier eine eigene Klasse von Rechten gebildet wird, die auf der Unverletzlichkeit der Person beruhen.


(49) §. 6. Classification d. Jus poss. (Zus. d. 6. Ausg.)

Allein dieses betrifft die Anlage des Rechtssystems im Ganzen, nicht die besondere Begründung des Besitzes. – Ausführlichere Bemerkungen über die Schrift von Puchta finden sich bey Rudorff p. 101. und Hasse p. 184.

Rudorff weicht nur darin von meiner Ansicht ab, daß er die Lehre von der Selbsthülfe zur Basis des Besitzrechtes macht. Die possessorischen Interdicte gehören nach ihm unter die ersten Anfänge des Verbotes der Selbsthülfe, welche später durch die leges Juliae und die Kaiserconstitutionen fortgebildet und verstärkt wurden. Der Grund derselben soll also in dem Friedensbruch liegen, in der Störung der öffentlichen Ordnung; da diese Störung ihren Zweck nicht erreichen dürfe, sondern in ihren Folgen vernichtet werden müsse, so folge daraus die Nothwendigkeit, den Besitz zu erhalten oder wiederherzustellen. – Unstreitig bietet jede Gewaltthätigkeit eine zweifache Seite der rechtlichen Beurtheilung dar, denn sie ist zugleich Verletzung der öffentlichen Ordnung, und der einzelnen Person. Man kann diese beiden Beziehungen als die publicistische und die privatrechtliche bezeichnen; jede derselben kann eigene Rechtsanstalten veranlassen, aber was auch für den einen dieser Zwecke geschehen möge, es wird immer mehr oder weniger zugleich den andern Zweck fördern (1). Welcher unter denselben

(1) L. 27. §. 4. de pactis: „ ... interdicto unde vi, quatenus publicam causam contingit“ etc.


(50) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

liegt nun aber bey den possessorischen Interdicten als der vorherrschende zum Grunde? Nach Rudorff der publicistische, und dafür soll besonders die Verbindung beweisen, in welcher unsere Rechtsquellen die Selbsthülfe und den Besitz behandeln (p. 107). Allein dieser Umstand erklärt sich schon hinlänglich aus der eben bemerkten Verwandtschaft beyder Institute, kann also über die aufgeworfene Frage nicht entscheiden. Ich muß vielmehr die privatrechtliche Rücksicht als Grundlage des Besitzrechts behaupten, und zwar aus folgenden Gründen. Erstlich scheint die Zusammenstellung des vi, clam, precario zu dem Ursprünglichsten in der Lehre von den Interdicten zu gehören. Diese drey Stücke nun kann man wohl einander gleich stellen in Beziehung auf die darin liegende Verletzung der Person; dagegen ist der öffentliche Friede nur bey dem ersten, nicht bey den zwey letzten, interessirt. Zweitens setzt die Selbsthülfe das Daseyn eines Rechtsanspruchs voraus, der nur auf ungehörige Weise verfolgt wird; bey den possessorischen Interdicten aber ist von einem solchen nie die Rede, ja die bloße Störung des Besitzes, worauf sich die int. retinendae possessionis beziehen, kann als Versuch einer Rechtsverfolgung kaum gedacht werden. Drittens wenn die Interdicte nur als Anfang des Verbots der Selbsthülfe zu betrachten sind, warum wurden sie denn so selbständig im Einzelnen ausgebildet in Zeiten, worin schon ganz andere


(51) §. 6. Classification d. Jus poss. (Zus. d. 6. Ausg.)

Anstalten gegen die eigentliche Selbsthülfe getroffen waren? Die Einwirkung der Gesetze über die Selbsthülfe auf das Besitzrecht (s. u. §. 40) erklärt sich aber hinreichend schon aus der oben erwähnten Verwandtschaft. – Andere Bemerkungen über Rudorff’s Abhandlung finden sich bey Hasse S. 187.

Thaden sucht zurzeit zu beweisen, daß der Besitz ein wirkliches Recht ist, dann aber die Natur dieses Rechts anzugeben. Er ist ein Recht, sagt er (p. 14 fg.), denn ein Diebstahl kann nur gegen einen wirklich Berechtigten begangen werden. Nun giebt es aber ein furtum possessionis, und da dieses insbesondere gegen den besitzenden Pfandgläubiger begangen werden kann, der die wahre possessio hat, so liegt darin der Beweis, daß eben die possessio, also der Interdictenbesitz, das durch den Diebstahl verletzte Recht ist. Fragt man ferner nach der Natur dieses Rechts, so ist die Antwort diese (p. 63 fg.). Es ist ein Recht an der Sache, eingeführt zum Schutz eines in Erwerbung des Eigenthums begriffenen Zustandes. Nämlich der Usucapionsbesitz wird geschützt durch die publiciana actio, es giebt aber noch außer der Usucapion einige Erwerbungen durch Besitz, worauf jene Klage nicht geht. Da aber diese Erwerbungen sonst ohne allen Schutz seyn würden, so sind für sie die possessorischen Interdicte erfunden worden. Die


(52) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Erwerbungen nun, welche den wahren Erklärungsgrund des Besitzrechtes enthalten, sind folgende:

1. Die longi temporis praescriptio, besonders an Provinzialgrundstücken, woraus sich unter andern erklärt, warum die Interdicte vorzugsweise für Immobilien galten.

2. Die praescriptio longissimi temporis acquisitiva.

3. Die Immemorialpräscription.

4. Die praescriptio longissimi temporis extinctiva.

Daher ist denn der Interdictenbesitz dem Usucapionsbesitz ganz gleichartig, und nur quantitativ von ihm unterschieden. In diesen Sätzen glaube ich den positiven Kern der ganzen Schrift ausgezogen zu haben. –

Die hier dargestellte Ansicht hat einen Schein von systematischer Gründlichkeit, die uns nöthigt, ihre einzelnen Elemente sorgfältig zu prüfen. Allein sogleich der aus dem furtum possessionis hergenommene Grund zeigt sich als völlig unhaltbar. Denn wäre die possessio der juristische Gegenstand des Diebstahls, so müßte auch der Dieb, wenn er abermals bestohlen wird, die furti actio haben, da er unzweifelhaft die possessio hat. Allein gerade dieser hat die furti actio ganz gewiß nicht (1). Dagegen haben auf der andern Seite diese Klage eben so entschieden folgende Personen, welchen insgesammt die

(1) L. 76. §. 1. de furtis (47. 2). Vgl. L. 12. §. 1. L. 71. §. 1. eod.


(53) §. 6. Classification d. Jus poss. (Zus. d. 6. Ausg.)

possessio fehlt: der Fructuar und Usuar, welche Beide die bloße Detention haben (1); ja sogar der Gläubiger, dem eine Sache durch bloßen Vertrag verpfändet ist, obgleich dieser nicht einmal die Detention hat, sondern nur eine in rem actio um den Besitz zu erlangen (2). Hieraus ist es klar, daß der wahre Grund des sogenannten furtum possessionis nicht eine verletzte possessio ist, sondern vielmehr ein jus in re, in welchem der Anspruch auf irgend einen Besitz (sey er eine wahre possessio oder blos Detention, sey er gegenwärtig oder künftig) enthalten ist, und welchem dieser Vortheil durch den Diebstahl vereitelt wird. Mit den übrigen Gründen aber steht es in der That nicht besser als mit dem eben widerlegten. Die Immemorialpräscription ist überhaupt blos durch exegetische Mißverständnisse in das Römische Recht hineingetragen worden. Die dreißigjährige Klagverjährung ist erst so spät eingeführt worden, daß sie unmöglich zur Erklärung dienen kann für die Interdicte, die um viele Jahrhunderte früher vorhanden waren. Es bliebe also nur noch übrig die longi temporis praescriptio, besonders an Provinzialgrundstücken. Von dieser nun behauptet der Vf., sie sey durch die publiciana actio nicht geschützt worden, weil diese Klage nur die Begleiterin einer wirklich laufenden Usucapion gewesen

(1) L. 15. §. 1. L. 20. §. 1. L. 46. §. 3. de furtis (47. 2.).

(2) L. 66. pr. de furtis (47. 2.).


(54) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

sey. Aber gerade diese Behauptung ist ganz entschieden falsch. Vielmehr ist diese Klage schon sehr frühe auch auf solche Rechtsverhältnisse angewendet worden, an welchen eine wirtschaftliche Usucapion niemals möglich war: namentlich auf den ususfructus, die Prädial=Servituten, den ager vectigalis, die superficies, und insbesondere auf die Provinzialgrundstücke (1). Für alle diese Fälle also, und namentlich für den Letztern, war die publiciana actio völlig ausreichend, und ein Bedürfniß zur Erfindung von Interdicten war von dieser Seite gar nicht vorhanden. Und so hat also der Vf. von allem, was er erklären wollte, in der That gar nichts erklärt.

Hasse erklärt den Besitz für ein Recht an der Sache, aber ein relatives Recht, das heißt ein solches, welches nicht gegen Jeden gelte, sondern nur gegen den, welcher den Besitz mit Gewalt u. s. w. angreifen wolle. Eigentlich aber sey nicht der Besitz selbst dieses Recht, sondern er, als ein blos factischer Zustand, werde stets

(1) L. 11. §. 1. de publiciana (6. 2.) L. 12. §. 2. 3. eod. „In vectigalibus et in aliis praediis, quae usucapi non possunt, publiciana competit, si forte bona fide mihi tradita sunt“. Die alia praedia sind eben die Provinzialgrundstücke. Vgl. Cujacius Obss. VII. 3. und in Paulum ad Edictum lib. 19. Wahrscheinlich ist hier die Stelle sogar interpolirt, so daß Paulus geschrieben haben mag: In vectigalibus, stipendiariis et tributariis praediis.


(55) §. 6. Classification d. Jus poss. (Zus. d. 6. Ausg.)

von einem anonymen Recht dieses Inhalts begleitet und erhalte durch dieses Schutz. Die Römer, sagt er, haben sich diesen Unterschied nicht klar gemacht, und bezeichnen daher meist beides mit dem Namen possessio. Zuweilen aber blickt derselbe auch bey ihnen durch, namentlich in L. 2. §. 2. 3. de interdictis, worin die causa proprietatis et possessionis von diesem Unterschied zu verstehen ist (p. 199. 200). – Das Recht an der Sache, welches nur gegen gewaltthätige Personen gilt, möchte von einer Obligation dieser Personen, unter Voraussetzung des factischen Besitzes, schwer zu unterscheiden seyn. Auch kann ich mich nicht überzeugen, daß die Behauptung, nach welcher der Besitz Anspruch auf Schutz giebt, mehr als in Worten verschieden seyn sollte von der Behauptung: dieser Anspruch entstehe nicht aus dem Besitz, sondern aus einem den Besitz unbemerkt begleitenden namenlosen Recht. Die Erklärung der L. 2. de interdictis aber scheint mit völlig mislungen, und darin liegt ein reeller Irrthum.

Rauh behandelt nur in soferne die Geschichte des Besitzes, als er die von mir versuchte historische Ableitung bestreitet, und eine Ableitung aus einem allgemeinen Rechtsbedürfniß an die Stelle setzt. Er erklärt den Besitz für eine Abwehrung der Selbsthülfe (p. 46), nähert sich also darin der Ansicht von Rudorff. Daneben nimmer er Thibauts neueste Erklärung der civilis possessio an


(56) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

(p. 56). Er verbindet aber damit sehr starke eigenthümliche Irrthümer, die keineswegs durch jene Erklärung mit entschuldigt werden können. So nimmt er an, bey einer Dejection komme erst das Int. de vi zur Anwendung, dann noch uti possidetis, wobey der gegenwärtige Besitzer gleichgültig sey (p. 36). Die Interdicte sollen in rem scripta seyn, ganz wie die a. quod metus causa (p. 50-52). Der dejectus soll noch juristischer Besitzer bleiben Ein Jahr lang, bis er das Int. de vi durch Verjährung verloren hat (p. 49). Hier insbesondere wird der Irrthum durch Einmischung der Französischen Praxis aufs höchste getrieben.

Huschke endlich führt die Lehre vom Besitz auf die Urbestandtheile der Römischen Nation zurück. Die Römer oder Ramnes, sagt er, repräsentiren den Leib: darum finden wir bey ihnen die That, den Besitz, und dessen Schutz durch obrigkeitlichen Befehl (Interdict). Die Quiriten oder Tities repräsentiren den Geist: darum bey ihnen das Recht, das Eigenthum, und dessen Schutz durch Klage und Gericht. Im Lauf der Zeit hat sich der Besitz dem Eigenthum angenähert, ohne doch jemals in denselben aufzugehen (p. 105). Die Stelle der Ramnes haben später die Patricier eingenommen, die der Tities die Plebejer, in welchen beyden Ständen sich nunmehr der alte Gegensatz fortsetzt. – Ich will, ganz abgesehen von dem Ueberschwänglichen dieser Ansichten,


(57) §. 6. Classification d. Jus poss. (Zus. d. 6. Ausg.)

annehmen, es wäre darin Alles so wohl begründet und hell, als es in der That nicht ist, so würde damit für die hier erörterte Frage dennoch Nichts gewonnen seyn. Es läge darin die historische Erklärung, wie man überhaupt darauf gekommen wäre, in der ältesten Zeit von einer possessio neben dem Eigenthum zu reden. Allein wir finden eine solche in höchster Ausbildung zur Zeit der klassischen Juristen und in Justinians Gesetzgebung; das muß aus einem praktischen Bedürfniß, aus einem Interesse der Gegenwart, erklärt werden. Zum Andenken der alten Ramnes hätte man gewiß nicht die possessorischen Interdicte beybehalten, wenn das Recht des Eigenthums für praktische Zwecke ausgereicht hätte, denn an Ramnes und Tities dachte damals Niemand mehr, ja selbst von Patriciern und Plebejern war höchstens beyläufig, bey einigen althistorischen Rechtsinstituten die Rede. Deswegen würde ich die Schrift von Huschke an dieser Stelle und in diesem Zusammenhang überhaupt nicht erwähnt haben, wenn nicht er selbst ihr den Auftrag gegeben hätte, „die Verwirrungen, in welche jetzt die Wissenschaft namentlich hinsichtlich der Frage, ob der Besitz ein Recht sey oder nicht, auf welchem Rechtsgrunde die Interdicte beruhen ... einiger Maßen aufzuhellen“ (p. 109). Habe ich sie also an die unrechte Stelle gebracht, und ihr dadurch etwas zugemuthet, das sie selbst unter Voraussetzung jeder andern Vortrefflichkeit


(58) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

nicht leisten konnte, so trägt davon der Vf. selbst die Schuld.

§. 7.

Bis hierher ist die juristische Bedeutung des Besitzes aus dem System des Römischen Rechts überhaupt abgeleitet worden: ich wende mich nun zur Bestimmung des Sprachgebrauchs der Römischen Juristen. Der schwerste und wichtigste Theil dieser Untersuchung betrifft die possessio überhaupt, die civilis und naturalis possessio, und damit soll gleich hier der Anfang gemacht werden (1).

Um den Beweisen, die durch Interpretation geführt werden müssen, eine bestimmtere Richtung zu geben, will

(1) Neuerlich ist behauptet worden, die genaue Bestimmung dieser Begriffe sey ein fruchtloses Unternehmen, weil die Begriffe selbst und ihre Bezeichnungen im gemeinen Leben entstanden und dann erst von den Juristen herübergenommen worden seyen, natürlich mit aller Unbestimmtheit, die ihnen von diesem ihrem Ursprung her eigen seyn mußte: es sey also derselbe Fall, wie mit den Ausdrücken lata und levis culpa u. s. w. Zachariä Besitz und Verjährung S. 6. 7. 37. – Diese Bemerkung ist völlig ohne Grund. Lata und levis culpa bezeichnet ursprünglich sittliche Begriffe, also allerdings solche, deren erste Entstehung in einem andern Gebiete liegt, als in dem der Rechtswissenschaft. Ganz anders civilis und naturalis possessio; dieses ist gleich ursprünglich etwas juristisches, und ein nichtjuristischer Begriff existirt dafür überall gar nicht: die Ausdrücke können also nicht im gemeinen Leben entstanden, und nicht durch dasselbe schwankend geworden seyn.


(59) §. 7. Civilis und naturalis possessio.

ich eine Uebersicht der Resultate vorausgehen lassen, welche aus jenen Beweisen hervorgehen sollen. Ursprünglich bedeutet possessio das Verhältniß der bloßen Detention, also ein nichtjuristisches, natürliches Verhältniß: daß es ein bloß natürliches Verhältniß ist, was durch sie bezeichnet wird, braucht durch keinen Zusatz ausgedrückt zu werden, so lange kein anderer Begriff da ist, dessen Gegensatz diesen Zusatz nöthig machte. Diese Detention aber wird unter gewissen Bedingungen ein Rechtsverhältniß, indem sie durch Usucapion zum Eigenthum führt: dann heißt sie civilis possessio, und nun ist es nöthig, alle übrige Detention auch durch die Sprache von ihr zu unterscheiden. Man nennt sie naturalis possessio, d. h. die Art der possessio überhaupt, welche nicht so, wie die civilis, ein juristisches Verhältniß geworden ist. – Die Detention wird aber noch auf eine andere Art ein Rechtsverhältniß, indem sie die Interdicte begründet: so heißt sie possessio schlechthin, und das ist die Bedeutung dieses Worts, wo es ohne Zusatz, und doch technisch gebraucht wird. Alle übrige Detention im Gegensatz des Interdictenbesitzes heißt wieder naturalis possessio, d. h. das natürliche Verhältniß im Gegensatz jenes juristischen, ganz auf dieselbe Weise, wie dieser Gegensatz bey der civilis possessio durch sie bezeichnet wurde. – Es giebt demnach zweyerley juristischen Besitz: civilis possessio oder Usucapionsbesitz, und possessio


(60) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

oder Interdictenbesitz (1), und alles was oben (§. 5.) über die juristischen Modificationen gesagt worden ist, die bey dem Begriff des Besitzes vorkommen können, bezieht sich auf einen von beiden oder auf beide zugleich. Ihr Verhältniß zu einander ist dieses: der Interdictenbesitz ist ganz in dem Usucapionsbesitz enthalten, und dieser hat nur noch einige Bedingungen mehr als jener. Wer also ad usucapionem besitzt, besitzt immer auch in Beziehung auf die Interdicte (2) aber nicht umgekehrt. – Naturalis possessio hat, wie oben bemerkt worden ist, zwey Bedeutungen: beide aber sind negativ und drücken blos einen logischen Gegensatz aus. – Das sind die Sätze, deren Beweise ich jetzt zu führen habe (3).

(1) Von dem ersten wird in L. 16. de usurp. der Ausdruck gebraucht: „ad usucapionem tantum possidet“; vgl. L. 1. §. 15. de poss.; von dem zweyten heißt es in L. 9. de R. V. „possessionem quae locum habet interdicto uti possidetis vel utrubi.“

(2) Eine Ausnahme dieses Satzes scheint bey dem Pfandschuldner einzutreten, indem dieser zwar usucapirt, aber die Interdicte nicht hat. Allein auch seiner Usucapion liegt keine civilis possessio zum Grunde, sondern er wird durch eine ganz specielle Fiction so behandelt, als ob er dieselbe hätte, d. h. es wird zu seinem Vortheil von der Regel: sine possessione usucapio contingere non potest eine Ausnahme gemacht. (s. u. §. 24.).

(3) Stellen, in welchen die Hauptausdrücke unmittelbar vorkommen, sind diese:

naturalis possessio. L. 1. §. 1. L. 3. §. 3. 13. de poss. – L. 2. §. 2.pro her. – L. 1. §. 9. de vi.


(61) §. 7. Civilis und naturalis possessio.

1. Civilis possessio und naturalis possessio, als Gegensatz derselben.

Civilis überhaupt hat vorzüglich zwei technische Bedeutungen. Zuerst bezeichnet es das ganze Privatrecht und wird so dem Criminalrecht entgegengesetzt: davon kann hier, in den Grenzen des Privatrechts selbst, nicht die Rede seyn. Zweytens bedeutet es im Privatrecht selbst alles das, was weder aus dem jus gentium, noch aus dem prätorischen Recht, sondern aus einer Lex, einem Senatusconsultum, oder als Gewohnheitsrecht entstanden ist. Von dieser zweyten Bedeutung kommen noch mancherley Modificationen vor (1), aber so allgemein, wie sie hier bestimmt worden ist, wird sie bey weitem am häufigsten von den Römischen Juristen gebraucht. So, um nur an einige Anwendungen zu erinnern, heißt die Agnation allein civilis cognatio (2), obgleich jede andere Cognation in dem jus gentium sowohl, als in dem prätorischen Recht wichtige Wirkungen hat, also

possessio naturalis. L. 38. §. 10. de usuris. – L 38. §. 7. de verb. obl.

possessio non solum civilis sed etiam naturalis. L. 2. §. 1. pro her.

possessio quae est naturalis. L. 11. de a. r. dom.

(1) z. B. in L. 2. §. 5. 12. de orig. juris.

(2) L. 4. §. 2. de gradibus.


(62) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

gewiß auch ein juristisches Verhältniß ist: eben so verhält es sich mit der civilis actio, civilis obligatio u. s. w. Wenden wir diese Bedeutung des Worts auf die civilis possessio an, so muß derjenige Besitz darunter verstanden werden, welchen das Civilrecht anerkennt, d. h. von dessen Daseyn es abhängt, ob eine Regel des Civilrechts angewendet werden soll, oder nicht. Nun giebt es im ganzen Civilrecht nur ein Recht, dessen Anwendung den Besitz voraussetzt, nämlich die Usucapion: folglich heißt civiliter possidere so viel als ad usucapionem possidere (1).

Daß nun die Usucapion wirklich in das Civilrecht gehört, bedarf keines Beweises: die Interdicte können nicht dahin gerechnet werden, da sie bloß aus dem Edict entstanden sind. Um hier keinem Zweifel Raum zu lassen, will ich zwey Stellen der

(1) Daß die civilis possessio auch als Bedingung der longi temporis praescriptio gelten soll (§. 2.), obgleich diese nicht in das jus civile gehört, ist keine Inconsequenz. Denn es war dieses eine bloße Uebertragung der nun einmal in Beziehung auf Usucapion ausgebildeten und bezeichneten civilis possessio auf ein Institut, das ganz nach der Analogie der Usucapion und als Surrogat derselben eingeführt wurde, welches also alle Bedingungen, worin nicht gerade der Zweck der longi temporis praescriptio eine Abweichung nothwendig machte, stillschweigend von der Usucapion entlehnte, so daß es dabey auch keiner neuen Kunstausdrücke bedurfte.


(63) §. 7. Civilis und naturalis possessio.

Alten anführen, wodurch man veranlaßt werden könnte, die Interdicte dennoch in das Civilrecht zu setzen. Die erste steht bey Cicero (1): Um zu beweisen, daß auch der, welcher gewaltsam verhindert wird, in sein Grundstück einzugehen, als dejectus das interdictum de vi gebrauchen könne, braucht er folgendes Beyspiel: „quaero si te hodie domum tuam redeuntem coacti homines et armati, non modo limine tectoque aedium tuarum, sed primo aditu vestibuloque prohibuerint, quid acturus sis? Monet amicus meus te, L. Calpurnius, ut idem dicas quod ipse antea dixit, injuriarum. Quid? ad causam possessionis? quid? ad restituendum eum, quem oportet restitui? quid denique? ad jus civile? aut ad (actoris) notionem et ad animadversionem ages injuriarum?“ Bey aller Schwierigkeit dieser Stelle (2) ist es klar, daß Cicero sagen will: die Injuriensache steht mit der Restitution des Besitzes, also mit dem jus civile in keiner Verbindung: er scheint also das Interdict in das jus civile zu setzen. Da indessen die Injurie, von welcher hier die Rede

(1) pro Caecina C. 12.

(2) Wenn man indessen nach dem Vorschlag von Garatoni das Wort actoris wegstreicht, und zugleich die hier angegebene Interpunction annimmt, verschwindet diese Schwierigkeit gänzlich. Heise schlägt vor zu lesen auctoris, d. h. „zur Strafe des Thäters.“


(64) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

ist, seit der Lex Cornelia ein crimen publicum war (1), so ist es offenbar, daß das Civilrecht hier dem Criminalrecht entgegen gesetzt wird, in diesem Sinn gehört unstreitig das ganze Edict in das jus civile, aber für die andere Bedeutung von jus civile läßt sich daraus nichts beweisen, ja sogar wird kurz vorher von Cicero selbst diese andere Bedeutung gebraucht (2). – Die zweyte Stelle, durch die man verführt werden könnte, die Interdicte in das Civilrecht zu setzen, steht bey Petron (3) „jure civili dimicandum, ut, si nollet alienam rem domino reddere, ad interdictum veniret“ (4). Einige Interpreten (5) haben die Worte: ad interdictum venire von der Jurisdiction des Prätors überhaupt erklärt, so daß auch die Vindication damit gemeint seyn könnte: aber dafür sollte es schwer seyn, eine Beweisstelle zu finden. Das natürlichste ist wohl, dem Petron

(1) „Lex Cornelia de injuriis competit ei, qui injuriarum agere volet ob eam rem, quod se pulsatum, verberatumve, domumve suam vi introitam esse dicat.“ L. 5. pr. de injuriis. Eben darauf gehen bey Cicero die Worte notio und animadversio.

(2) Pro Caecina C. 12. „ ... quod agas mecum ex jure civili ac praetorio non habes, “ d. h. du hast weder eine Vindication, noch ein Interdict.

(3) Satyr. C. 13. (pag. 48. ed. Burmann. 1709.)

(4) Vergl. über diese Stelle unten §. 39.

(5) z. B. Turnebus (adversar. Lib. 19. Cap. 6.).


(65) §. 7. Civilis und naturalis possessio.

überhaupt alle Auctorität abzusprechen, wo es auf einen juristischen Sprachgebrauch ankommt, der durch ältere und neuere Schriftsteller als Petron so fest bestimmt ist.

Also auf Interdicte kann die civilis possessio nicht bezogen werden: auf die übrigen Wirkungen kann es schon um deswillen nicht geschehen, weil sie überhaupt nicht als Folgen irgend einer Art des juristischen Besitzes gelten können. (§. 3.) Für die civilis possessio kommt noch der besondere Grund hinzu, daß die meisten gar nicht in das Civilrecht gehören. So gehört die Tradition nur dann in das Civilrecht, wenn von einer res nec mancipi die Rede ist (1), die Occupation und die actio publiciana, die unter andern durch Tradition einer res mancipi entstand, nie, die fructuum perceptio eben so wenig, weil sie die bonae fidei possessio der Hauptsache voraussetzte. Die Freyheit vom Beweise, welche jeder Beklagte hat, rechnete sicher kein römischer Jurist unter das jus civile, und das Recht der Nothwehr eben so wenig (2).

Was bisher aus der allgemeinen Bedeutung von civilis bewiesen worden ist, wird durch einzelne

(1) Ulpiani fragm. tit. 19. §. 7.

(2) L. 3. de justitia et jure.


(66) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Stellen der alten Juristen bestätigt. Zur Erklärung dieser Stellen ist eine allgemeine Vorerinnerung nöthig. Vorausgesezt nämlich, daß die possessio civilis von dem jus civile ihren Namen führt, kann der Ausdruck: civiliter non possidere oder: jure civili non possidere eine zweyfache Bedeutung haben, je nachdem das civiliter entweder auf die Wirkung oder auf den Grund des non possidere bezogen wird. Erstens nämlich kann es heißen, denjenigen Besitz entbehren, welcher für das jus civile als Besitz gilt, und in diesem Sinn drückt es die reine Negation der civilis possessio aus und ist für unsere Untersuchung brauchbar. Zweytens kann es heißen, allen Besitz überhaupt entbehren, und zwar aus einem Grunde, der in dem jus civile enthalten ist: diese Bedeutung interessirt uns jetzt nicht, indem sie sich gar nicht auf die possessio civilis bezieht. Welche von beiden Bedeutungen in jedem gegebenen Falle anzunehmen sey, läßt sich meistens mit Sicherheit angeben: so z. B. ist es gewiß die erste, wenn es sich auf andere Weise darthun läßt, daß possessio überhaupt vorhanden sey: eben so ist es wahrscheinlich die zweyte, wenn das Gegentheil bewiesen werden kann (1).

(1) Diese sehr wichtige Unterscheidung mit ihrer Anwendung auf die Interpretation, wodurch meine Erklärung der civilis


(67) §. 7. Civilis und naturalis possessio.

Es kommen überhaupt fünf Fälle vor, worin der civilis possessio, des civiliter possidere und non possidere erwähnt wird. Aus zweyen derselben läßt sich meine Behauptung bestimmt beweisen, aus den übrigen ist weder für diese noch für eine andere Meinung ein sicherer Schluß zu ziehen, es kommt also bey ihnen bloß darauf an, zu zeigen, daß sie sich aus unserer Voraussetzung völlig erklären lassen, daß sie ihr folglich nicht widersprechen.

a. Wenn ein Faustpfand gegeben ist, soll der creditor nicht als Civilbesitzer gelten (1):

„Sciendum est, adversus possessorem hac actione (ad exhibendum) agendum: non solum

possessio allererst völlige Sicherheit erhält, findet sich in Thibauts Anhang zu seiner Ausgabe des Cuperus, und früher in seiner Recension meines Buchs in der A. L. Z. 1804. N. 41. Späterhin urtheilte Thibaut selbst hierüber also: „In dieser Fassung halten wir nun die Theorie des Vfs. über possessio civilis für unwiderleglich.“ (A. L. Z. Ergänzungsblätter 1806. Band. 2. S. 530.) Ein Rec. von Thibaut (Gött. Anz. 1804. p. 1431.) macht die sehr gute Bemerkung, daß eine Spur dieser Unterscheidung schon in der Glosse zu L. 24. de poss. liege, freylich ohne Beweis und Anwendung: „Dic ergo civiliter, i. e. de jure civili non possidet, neque civiliter, neque naturaliter.“ Neuerlich freylich hat Thibaut diese doppelte Bedeutung des civiliter non possidere verworfen, ja fast als widersinnig behandelt (Archiv XVIII. 328. 329), ohne seine eigenen früheren Gründe zu erwähnen oder zu widerlegen. (Zus. der 6. Ausg.)

(1) L. 3. §. 15. ad exhibendum.


(68) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

eum, qui civiliter, sed et eum, qui naturaliter incumbat possessioni. Denique creditorem, qui pignori rem accepit, ad exhibendum teneri placet.“

Der Zusammenhang ist dieser: die actio ad exhibendum, sagt der Jurist, geht nicht bloß gegen den Civilbesitzer. Er bestätigt diesen Satz durch das Beyspiel des creditor, und braucht, um diesen Uebergang von der Regel zur Anwendung zu bezeichnen, das Wort: denique („so zum Beyspiel“) welches gerade in dieser Bedeutung in mehreren Stellen der Pandekten vorkommt (1).

(1) „In omni fere iure, finita patris potestate, nullum ex pristino retinetur vestigium: denique et patria dignitas quaesita per adoptionem, finita ea, deponitur.“ L. 13. de adopt.

„In quaestionibus laesae majestatis etiam mulieres audiuntur: conjurationem denique Sergii Catilinae Julia mulier detexit, et Marcum Tullium Consulem indicium ejus instruxit.“ L. 8. ad legem Jul. majest.

„Nemo enim in persequendo deteriorem causam, sed meliorem facit. Denique post litem contestatam heredi quoque prospiceretur, et heres tenetur ex omnibus causis.“ L. 87. de R. I.

Diese Bedeutung von denique läßt sich übrigens auf eine andere reduciren, welche bekannt genug ist: es heißt nämlich oft soviel als sane oder certe. Caesar de bell. gall. lib. 2. C. 33. p. 83. ed. Lips. 1780. Seneca de ira lib. 3. C. 18. – Eine große Zahl von Parallelstellen finden sich bey Thon S. 116. Dagegen vergl. Thibaut Archiv XVIII. 338.


(69) §. 7. Civilis und naturalis possessio.

In den zwey Fragmenten, welche auf unsere Stelle folgen (1) und unter welchen das zweyte mit unserer Stelle in Ulpians Schrift selbst zusammen gehangen haben muß, werden diesem Beyspiel mehrere andere hinzugefügt, so daß sie mit diesem ein Ganzes ausmachen. Dieser Zusammenhang ist so natürlich und so nothwendig, daß man ihn nicht wohl verkannt haben würde, wenn man nicht schon einen falschen Begriff von possessio civilis mit hinzugebracht hätte. Die Glosse macht bey dem Worte: creditor die Bemerkung: „hic civiliter possidet“, was aber auch als Einwurf gegen die Meinung des Textes gemeint seyn kann, so daß sie ihn nicht gerade mißverstanden haben muß. Frider (2) will sogar aus dieser Stelle beweisen, daß der creditor Civilbesitzer sey. Cuperus (3) hebt allen Zusammenhang der Stelle auf, indem er willkührlich annimmt, mit dem Worte denique gehe etwas ganz neues an, ohne Verbindung mit dem vorigen, was zugleich eine bloße Wiederholung seyn müßte, da unter der civilis und naturalis possessio, für welche der Satz schon vorher behauptet wurde, alle mögliche Fälle überhaupt enthalten waren. Er hätte

(1) L. 4. 5. ad exhibendum.

(2) de materia possessionis C. 4. §. 13.

(3) de nat. poss. P. 1. C. 3. pag. 35.


(70) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

sicher nicht zu einer Interpretation seine Zuflucht genommen, wodurch die Logik der Römischen Juristen so verdächtig wird, wenn er auf andere Weise seinen Begriff von possessio civilis gegen diese Stelle zu retten gewußt hätte.

Also es ist sicher, daß der creditor an dem Pfand keine possessio civilis hat: und es ist nur noch nöthig, die Rechte seines Besitzes selbst zu bestimmen, um zu zeigen, welchen Begriff die Römischen Juristen mit jenem Worte verbinden. Ueber diese Rechte enthält folgende Stelle eine sehr genaue Bestimmung (1):

„ ... qui pignori dedit, ad usucapionem tantum possidet: quod ad reliquas omnes causas pertinet, qui accepit, possidet“ ...

Also der creditor besitzt in jeder juristischen Rücksicht, die Usucapion allein ausgenommen: demnach kann die civilis possessio, die ihm abgesprochen wird, nichts anders bedeuten, als Usucapionsbesitz (2).

b. Der zweyte Fall, in welchem die possessio civilis erwähnt wird, bezieht sich auf die verbotene Schenkung unter Ehegatten. Durch diese Schenkung soll keine civilis possessio entstehen:

(1) L. 16. de usurp. et usuc.

(2) Vgl. über die hier erklärte Stelle Thon S. 115 und Thibaut S. 337. (Zus. der 6. Ausg.)


(71) §. 7. Civilis und naturalis possessio.

L. 26. pr. de don. int. vir. et ux.

„ ... licet illa (uxor) jure civili possidere non intelligatur“ (1).

L. 1. §. 4. de poss.

Si vir uxori cedat possessione, donationis causa, plerique putant“ (und diese Meinung wird hier, wie gewöhnlich, stillschweigend gebilligt, denn Paulus fügt sogar selbst noch einen neuen Grund hinzu) „possidere eam: quoniam res facti infirmari jure civili non potest ... “ (also das Civilrecht erkennt diesen Besitz nicht an).

(1) Schon hier findet sich die oben bemerkte Zweydeutigkeit des jure civili non possidere. Da indessen, wie sich sogleich zeigen wird, das Daseyn juristischer possessio überhaupt für diesen Fall keinen Zweifel hat, so kann hier mit jenem Ausdruck nichts anders als die Negation der possessio civilis bezeichnet seyn. – Thibaut Abhandl. S. 343. erklärt die Stelle so: „selbst wenn man (mit Anderen) annehmen wollte, daß die Frau nicht besitze“, so daß also Paulus selbst diese Meinung nicht hätte behaupten wollen. Zu dieser gezwungenen Erklärung hat ihn eine zwiefache falsche Voraussetzung veranlaßt: 1) jure civili non possidere heiße nothwendig: gar nicht besitzen; 2) über den Besitz aus der Schenkung eines Ehegatten seyen die Römischen Juristen verschiedener Meynung gewesen. Er schließt dieses aus dem Julianus putat und plerique putant, welche Ausdrücke ja aber so oft bey den unbestrittensten Sätzen gebraucht werden. Auch der Grund in L. 1. §. 4. de poss. braucht ja gar nicht gegen wirkliche Gegner gerichtet zu seyn. – Vergl. auch Thon S. 124 fg. und Thibaut Archiv XVIII. 349 fg. (Zus. der 6. Ausg.)


(72) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

L. 1. §. 9. 10. de vi.

„Dejicitur is, qui possidet, sive civiliter sive naturaliter possideat: nam et naturalis possessio ad hoc interdictum (de vi) pertinet. Denique (1) et si maritus uxori donavit, eaque dejecta sit: poterit interdicto uti: non tamen si colonus.“ (2).

(1) Die Verbindung, und selbst der Ausdruck, ist hier ganz derselbe wie in L. 3. §. 15. ad exhibendum, beide Stellen erläutern sich wechselseitig, und ich kann mich ganz auf die Interpretation beziehen, welche von dieser letzten Stelle oben gegeben worden ist.

(2) Thibaut Abhandlungen S. 339. kündigt eine neue Erklärung der Stelle an, die darauf hinausgehen soll: „wenn der Mann die Frau beschenkt, und diese dejicirt wird, so hat der Mann das Interdict.“ Aber nach einer einfachen, natürlichen Construction muß poterit auf eaque, als das nächste Subject, bezogen werden, nicht auf maritus, als das entferntere. Diese natürliche Construction wird also hier gegen eine gezwungene vertauschet, und es läßt sich davon kaum ein anderer Vortheil erwarten, als daß zugleich anstatt des hier vorausgesetzten einfachen juristischen Inhalts der Stelle ein sehr verwickelter mühsam herbeygezogen wird. Nach meiner Erklärung ist der Schluß der Stelle höchst einfach so zu ergänzen: Non tamen si colonus dejectus erit, poterit (colonus) interdicto uti, d. h. es soll aufmerksam gemacht werden auf den Unterschied, der zwischen den Rechten der beschenkten Ehefrau und des Pächters in Beziehung auf den Besitz obwaltet. – Neuerlich hat nun Thibaut (Archiv XVIII. 355 fg.) die Stelle ausführlicher so erklärt. Die Frau hat zwar hier den Besitz, dennoch kann auch der Mann das Interdict gebrauchen, weil er sich alle seiner Frau widerfahrnen Unbilden


(73) §. 7. Civilis und naturalis possessio.

Also civilis possessio wird in diesen drey Stellen geleugnet: welches Rechtsverhältniß ist es nun, das mit diesem Wort bezeichnet werden soll? daß überhaupt juristischer Besitz durch diese Schenkung entstehe, sagt die zweyte der angeführten Stellen ausdrücklich, und damit stimmen noch zwey andere überein (1). Die dritte Stelle nennt sogar eine

zu Gemüthe führen kann; jedoch nur, wenn sie selbst herausgeworfen wurde, nicht etwa ihr Pächter. Denn, „wenn die Magd der Frau eine Ohrfeige bekommt, so ist es nicht fein, wenn der Mann die Magd auch als seine carissima behandelt.“ Man ist in Verlegenheit, wo man mit dem Widerspruch gegen diese Erklärung anheben soll, in welcher nicht ein gesundes Element zu finden ist. Unter andern, wie käme Ulpian auf den seltsamen Gedanken, diesen Satz gerade bey einem geschenkten Grundstück vorzutragen, da der Satz bey allen übrigen Grundstücken der Frau eben so wahr seyn müßte? Ja sogar wäre die Erwähnung der Schenkung nicht nur zwecklos, sondern verkehrt und zweckwidrig, indem nun der Leser verleitet werden konnte, fälschlich zu glauben, der Mann habe das Interdict nur deshalb, weil er wegen der Nichtigkeit der Schenkung Eigenthümer des Grundstücks geblieben sey. Vgl. auch Thon S. 118. (Zusatz der 6. Ausg.)

(1) L. 1. §. 2. pro donato: „Possidere autem uxorem rem a viro donatam, Julianus putat.“ L. 16. de poss. „Quod uxor viro, aut vir uxori donavit, pro possessore possidetur.“ So klar dieser Satz bestimmt ist, so hat man ihn doch häufig geleugnet, um irgend einen angenommenen Begriff von civilis possessio dadurch zu retten. Cuperus (de nat. poss. P. 2. C. 11. p. 84.) glaubt, Paulus widerspreche sich selbst (in L. 1. §. 4. de poss. und L. 26. pr. de don. int. vir. et ux.). Fleck (de poss. p. 45. 118.) geht noch viel weiter, indem


(74) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Wirkung dieses Besitzes, nämlich ein Interdict. Aber Usucapion kann aus diesem Besitz nicht entstehen:

er behauptet, aller Besitz überhaupt werde hier überall geleugnet. Die einzige Stelle, die man gegen unsern Satz anführen könnte, ohne einen willkührlichen Begriff von possessio civilis schon vorauszusetzen, ist L. 46. de don. int. vir. et ux.: „Inter virum et uxorem nec possessionis ulla donatio est.“ Aber hier wird offenbar nicht der Besitz geleugnet, sondern die Schenkung: es wird also nur behauptet, die Frau besitze nicht pro donato, und darauf geht auch die bereits angeführte L. 16. de poss.: „quod uxor viro, aut vir uxori donavit, pro possessore possidetur, “ welche Stelle aus demselben Werk von Ulpian genommen ist, wie die L. 46. cit. Dieser Satz kann also um deswillen keinen Einfluß auf die Existenz des Besitzes haben, weil er selbst sich blos auf die juristische Succession (in der Schenkung) bezieht, die Existenz des Besitzes aber von aller Succession unabhängig ist (s. oben §. 5.) – Das wesentliche dieser sehr natürlichen Erklärung ist alt (Duarenus in L. 1. §. 4. de poss. p. 829. Valentia, tract. ill. L. 1. Tr. 2. C. 7. p. 52.). Cuperus selbst hat sie noch um vieles gewisser gemacht, wovon erst im vierten Abschnitt, bey dem interdictum utrubi, die Rede seyn kann. (§. 39.). – Spräche nicht die Inscription unserer Stelle so laut für jene Erklärung (s. u. §. 39.), so ließe sich auch durch eine andere, wo möglich noch einfachere, jener Einwurf auf eine befriedigende Weise wegräumen. Die possessio nämlich, die nach unserer Stelle ohne Erfolg verschenkt seyn soll, könnte ein Provincialgrundstück seyn, in welchem Sinne mehrere andere Stellen gerade bey dieser Lehre eine possessionis donatio nennen. L. 13. 15. C. de don. int. vir. et ux. Dann wäre der Sinn dieser: nicht bloß dominium kann so nicht übergehen, sondern auch das natürliche Eigenthum eines Provincialgrundstücks kann es nicht.


(75) §. 7. Civilis und naturalis possessio.

„Si inter virum et uxorem donatio facta sit, cessat usucapio“ (1).

Demnach kann hier wieder unter der civilis possessio, welche abgeleugnet wird, nichts anderes gedacht werden, als der Usucapionsbesitz.

c. Die Regel: nemo sibi causam possessionis mutare potest soll nicht blos für die civilis, sondern auch für die naturalis possessio gelten (2). Diese Regel selbst, die bisher ganz unverständlich war, ist erst durch Gaius klar geworden (3), wiewohl sich auch nach der Bekanntmachung desselben große Mißverständnisse gezeigt haben. Man könnte nun der Regel zuerst den Sinn unterlegen wollen, es sey unmöglich, selbst durch Mitwirkung eines Andern die causa zu verändern. Diesen Sinn aber hat sie entschieden nicht, denn wenn der m. f. possessor die Sache von demjenigen kauft, der das Eigenthum hat, oder dem er es zutraut, so ist das eine ganz gültige, wirksame causae mutatio (4). Umgekehrt wenn der Miether den Vermiether

(1) L. 1. §. 2. pro donato

(2) Das nun Folgende ist in der 6. Ausg. ganz umgearbeitet worden. – Von Schriftstellern über diese Rechtsregel sind zu vergleichen: Merenda XII. 28. Unterholzner Verjährungslehre S. 100. Thon S. 99-114. – Thibaut S. 338 fg. scheint von der ganzen Regel keine deutliche Vorstellung zu haben.

(3) Gajus Lib. 2. §. 52-61.

(4) L. 33. §. 1. de usurp.


(76) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

zurückweist, so hat er die conductionis causa wirklich in die dejectionis causa verwandelt, und dadurch die wahre possessio erworben (1). Dieser Veränderung also steht jene Regel eben so wenig im Wege, auch war hier ein positives Eingreifen gar nicht nöthig, weil der Vermiether durch das int. de vi hinlänglich geschützt ist, und weil die Dejection zur Usucapion niemals den Weg bahnen kann. Daher ist denn jene Regel überhaupt nur anwendbar auf die wenigen Fälle, worin eine einseitige, willkürliche Umwandlung in eine an sich rechtsgültige, wirksame causa wohl möglich wäre, deren Einwirkung auf die Usucapion nun aber durch jene ganz positive Rechtsregel verhindert werden soll. Dahin gehören nun folgende Fälle: Erstlich so lange von einer Erbschaftssache der Erbe nur nicht Besitz genommen hatte, konnte jedermann zugreifen und diese Sache pro herede besitzen und usucapiren. Zu einer solchen Usucapion also brauchte man weder bona fides, noch einen Rechtstitel, und sie hatte außerdem noch das eigenthümliche, daß sie selbst an Grundstücken schon in einem Jahr vollendet war. Es war also in der That eine causa der oben beschriebenen Art; denn sie beruhte auf einseitiger, sogar unredlicher Willkühr, und sie

(1) L. 12. L. 18. pr. de vi.


(77) §. 7. Civilis und naturalis possessio.

war dennoch eine justa usucapionis causa, wodurch sie sich also von der Dejection gegen den Vermiether wesentlich unterschied: Gajus giebt als Grund dieser „tam improba possessio et usucapio“ an, daß man den Erben dadurch nöthigen wollte, sich schneller der Erbschaft zu unterziehen, was sowohl wegen der sacra als wegen der Creditoren allerdings wünschenswerth war. Er fügt hinzu, Hadrian habe dieses Recht geändert, und dem Erben gestattet, diese Usucapion auch nach ihrer Vollendung als ungültig zu behandeln, mit Ausnahme des necessarius heres, der sie auch nun noch anerkennen müsse. Auf dieses seltsame Institut nun bezog sich jene alte Rechtsregel auf folgende Weise. Wenn jemand pro emtore usucapirte, oder als Depositar den natürlichen Besitz hatte, und wenn nun der Eigenthümer starb, so konnte jenem Besitzer die hier beschriebene usucapio pro herede äußerst vortheilhaft seyn: der Käufer brauchte nun, wenn es ein Grundstück war, nur ein Jahr anstatt der zwey Jahre, die er als Käufer nöthig hatte, und der Depositar, der bis dahin gar nicht usucapiren konnte, wäre nunmehr der Usucapion fähig geworden. Diesen Besitzern nun trat jene Rechtsregel in den Weg: sie, die einmal auf gewisse Weise zu besitzen angefangen hatten,


(78) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

sollten diesen Besitz nicht willkührlich und mit Bewußtseyn der Unrechtmäßigkeit in eine possessio pro herede verwandeln dürfen. Daß dieses der wahre Sinn der Regel war, erhellt aus den ganz übereinstimmenden Ausdrücken, welche von Gaius für die usucapio pro herede und von anderen alten Juristen für jene Rechtsregel gebraucht werden. Von der usucapio pro herede nämlich sagt Gajus: haec autem species possessionis et usucapionis etiam lucrativa vocatur, nam sciens quisque rem alienam lucrifacit. Ueber unsere Rechtsregel aber sind folgende die zwey bestimmtesten Stellen (1), beide von Julian, also vielleicht noch älter, als die oben erwähnte Verordnung von Hadrian:

L. 33. §. 1. D. de usurp.

Quod vulgo respondetur, ipsum sibi causam possessionis mutare non posse, totiens verum est, quotiens quis sciret se bona fide non possidere, et lucrifaciendi causa inciperet possidere.

(1) Mit diesen Stellen können noch folgende weniger bestimmte verglichen werden: L. 3. §. 19. 20. L. 19. §. 1. D. de poss. – L. 2. §. 21. D. pro emt. – L. 1. §. 2. D. pro don. – L. 6. §. 3. D. de precario.


(79) §. 7. Civilis und naturalis possessio.

L. 2. §. 1. D. pro herede.

Quod vulgo respondetur, causam possessionis neminem sibi mutare posse, sic accipiendum est, ut possessio non solum civilis sed etiam naturalis intelligatur. Et propterea responsum est, neque colonum, neque eum apud quem res deposita, aut cui commodata est, lucrifaciendi causa pro herede usucapere posse.

Hieraus nun scheint mir auch ganz klar, in welchem Sinn in dieser letzten Stelle Julian die civilis und naturalis possessio nimmt. Er will sagen, nicht blos derjenige, der bisher schon usucapirte (possessio civilis), wird durch jene Rechtsregel verhindert, seine angefangene Usucapion in die vortheilhaftere pro herede zu verwandeln, sondern auch, wer noch gar nicht usucapiren konnte (possessio naturalis), soll dadurch verhindert seyn, sich durch eine solche Verwandlung die Usucapion zu eröffnen, die er außerdem gar nicht haben konnte (1). Nach dieser Erklärung liegt also der Stelle genau die hier angenommene Terminologie

(1) Offenbar also setzt der Jurist voraus, die Regel werde wohl bey der civilis possessio leichter und allgemeiner anerkannt, bey der naturalis eher bezweifelt werden. Diesen nothwendigen Zusammenhang hält Thibaut p. 335 für


(80) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

zum Grunde. Jene Regel hat nun freylich ihre bestimmte Bedeutung seit Hadrian größtentheils, und im Justinianischen Recht gänzlich verloren, auch werden uns in den Pandekten meistens solche Fälle nachgewiesen, in welchen sie nicht soll zur Anwendung kommen können. – Zweytens konnte jene Rechtsregel auch Anwendung finden bey der usureceptio. Denn auch diese beruhte auf einseitiger Willkühr, war also ohne Titel, obgleich sie nicht immer als unredlich gedacht werden darf. Aber wo sie recht auffallend unredlich gewesen wäre, nämlich wenn der Fiduciarschuldner die Sache von dem Gläubiger gemiethet hatte, da sollte die Usucapion durch jene Rechtsregel verhindert werden (1).

d. Zwey Stellen nehmen für die Sclaven die Regel an: civiliter non possident.

„ ... peculium, quod servus civiliter quidem possidere non posset, sed naturaliter tenet, dominus creditur possidere“ (2).

unvereinbar mit meiner Erklärung der civilis possessio. Allein es lag in der That sehr nahe, die causa possessionis, wovon die Regel redet, auf die justa causa in der Usucapion zu beschränken. Dagegen warnt der Jurist, indem er bemerkt, die Regel gehe nicht blos auf die emtionis oder donationis causa, sondern auch auf conductionis und depositi, also auch auf causae, die in der Usucapion gar nicht als solche angesehen werden.

(1) Diese sehr gute Bemerkung findet sich zuerst bey Thon S. 109.

(2) L. 24. de poss.


(81) §. 7. Civilis und naturalis possessio.

„Haec quoque stipulatio: possidere mihi licere spondes? utilis est: quam stipulationem servus an possit utiliter in suam personam concipere, videamus. Sed quamvis civili jure servus non possidet, tamen ad possessionem naturalem hoc referendum est: et ideo dubitari non oportet, quin et servus recte ita stipuletur. Plane si: tenere sibi licere stipulatus sit servus, utilem esse stipulationem convenit: licet enim possidere civiliter non possint, tenere tamen eos nemo dubitat“ (1).

In diesen Stellen wird der Ausdruck: civiliter non possidet dazu gebraucht, alle possessio überhaupt abzuleugnen, aber um einer Regel des jus civile willen: demnach betreffen diese Stellen die possessio civilis gar nicht. Denn einestheils ist es gewiß, daß der Sclave gar keine possessio hatte, und es ließe sich nicht einsehen, warum hier dennoch nur von der fehlenden civilis possessio die Rede seyn sollte: anderntheils wird in diesen Stellen selbst das: civiliter quidem possidere non potest, durch solche Ausdrücke beschränkt, welche, wie sich unten zeigen wird, überall als Gegensätze aller

(1) L. 38. §. 7. 8. de verb. oblig.


(82) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

juristischen possessio gebraucht werden (tenere, naturaliter tenere). Die ganze Sache hängt so zusammen. Die Sclaverey selbst kam nach Römischen Begriffen aus dem jus gentium: allein der Erwerb des Sclaven für seinen Herrn, und die Unfähigkeit des Sclaven, eigenes Vermögen zu haben, gehörte in das jus civile, da die Römer selbst andere Völker kannten, bey welchen die Sclaven eigenes Vermögen hatten (1). Man konnte also sehr richtig

(1) So z. B. die Deutschen. Taciti Germ. C. 25. Auch einzelne Stellen sind mehr dafür als dagegen: 1) L. 1. §. 1. ff., §. 1. I. de his qui sui: „Igitur in potestate sunt servi dominorum. (Quae quidem potestas juris gentium est, nam apud omnes peraeque gentes animadvertere possumus, dominis in servos vitae necisque potestatem fuisse), et quodcumque per servum adquiritur, id domino adquiritur.“ Liest man ganz zuletzt adquiri, so ist die oben vorgetragene Meinung geradezu falsch: liest man adquiritur, so ist jene Meinung durch die ganze Construction um vieles wahrscheinlicher, als die entgegengesetzte. Adquiri liest in den Pandekten zuerst Haloander, in den Institutionen zuerst eine Chevallonsche Duodezausgabe (Paris. 1527. mense Sept.), dann die von R. Stephan (Paris. 1528. 8.) und J. Schöffer (Mog. 1529. 12.), und nach diesen allen Haloander, welches letzte die Gebauersche Ausgabe nicht angiebt: adquiritur ist die Leseart erstens des ächten Gajus (I. §. 52.), dann auch in den Justinianischen Rechtsbüchern diejenige, welche sich in allen bekannten Mss. und ganz alten Ausgaben findet; namentlich lesen so in den Institutionen die drey ältesten Mspte zu Bamberg (Roßhirt Beyträge H. I. Heidelb. 1820. S. 71.), desgleichen alle Pariser Mspte, 23 an der Zahl:


(83) §. 7. Civilis und naturalis possessio.

sagen: servus civiliter non possidet, d. h. der Sclave ist des juristischen Besitzes unfähig, und der Grund dieser Unfähigkeit liegt in dem jus civile.

e. Eben so heißt es von dem Besitzer einer zusammengesetzten Sache, insofern von dem Besitz der einzelnen Theile für sich (z. B. der Wagenräder) die Rede ist: civiliter non possidet (1). Welche der beiden Bedeutungen dieses Ausdrucks hier zum Grunde liege, ist nicht mit Gewißheit zu bestimmen. Es kann die civilis possessio (2), es kann aber

im Dig. vetus von 13 Pariser Mspten 12, und in dem 13ten (sehr neuen) ist das adquiri offenbarer Schreibfehler, denn in der Glosse desselben Mspts steht wieder adquiritur; 2) L. 10. §. 1. de adqu. rer. dom. widerspricht wenigstens nicht, denn die Worte: „ipse enim, qui in alterius potestate est, nihil suum habere potest, “ können ebensowohl einen Satz des Römischen Civilrechts, als des jus gentium aussprechen sollen. Der Rec. von Thibauts Ausgabe des Cuperus (Gött. Anz. 1804. p. 1432.) hält die Unfähigkeit des Sclaven, Vermögen zu haben, für jus gentium, aber die Anwendung derselben auf den Besitz, dessen factische Natur nur durch die Eigenheit des R. R. juristische Bestimmungen erhielt, für jus civile. Nimmt man einmal an, daß die Unfähigkeit juris gentium war (was ich leugne), so ist diese Vereinigung sehr sinnreich und befriedigend.

(1) L. 7. §. 1. 2. ad exhibendum. „Sed si rotam meam vehiculo aptaveris, teneberis ad exhibendum. Et ita Pomponius scribit: quamvis tunc civiliter non possideas. Idem et si armario vel navi tabulam meam, vel ansam scypho junxeris“ etc.

(2) Thibaut (Anhang zu Cuperus S. 162.) leugnet


(84) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

auch alle possessio, und zwar nach jus civile, negirt seyn (1).

So viel von der civilis possessio. Daß in allen Stellen die naturalis possessio als logischer Gegensatz der civilis (als possessio, quae non est civilis) vorgekommen ist, bedarf kaum einer Erinnerung. Mehr darüber wird weiter unten gesagt werden.

2. Possessio (als Interdictenbesitz) und naturalis possessio im Gegensatz derselben. – Ich habe hier zweyerley zu beweisen: erstens, daß possessio schlechthin, als juristisches Verhältniß, von der naturalis possessio unterschieden wird, zweytens, daß dieser Gegensatz keine andere Bestimmung hat, als die juristische Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Interdicte zu bezeichnen.

a. Possessio schlechthin wird, als juristisches Verhältniß, einem nichtjuristischen entgegen gesetzt, was unter folgenden Namen vorkommt: esse in

dieses, weil es absurd sey, bey der actio ad exhibendum nur noch bemerken zu wollen, daß der Beklagte nicht gerade ad usucapionem besitzen müsse. Allein diesem Einwurf ist nicht schwer zu begegnen, denn in einer andern Stelle (L. 3. §. 15. ad exhib.) macht derselbe Ulpian gerade dieselbe Bemerkung, welche Thibaut für unmöglich hält.

(1) S. u. §. 22.


(85) §. 7. Civilis und naturalis possessio.

possessione, tenere, naturaliter possidere, corporaliter possidere (1).

„Idem Pomponius bellissime tentat dicere, numquid qui conduxerit quidem praedium, precario autem rogavit, non ut possideret, sed ut in possessione esset? est autem longe diversum: aliud est enim possidere, longe aliud in possessione esse“ ... (2).

„Eum, cui ita non cavebitur, in possessionem ejus rei ... ire, et, cum justa causa esse videbitur, etiam possidere jubebo“ (3).

„Qui in aliena potestate sunt, rem peculiarem tenere possunt, habere, possidere non possunt: quia possessio non tantum corporis, sed et juris est“ (4).

(1) In der Glosse heißt es detentio asinina (Glossa in L. 29. de poss.). An einer andern Stelle (in L. 24. de Poss.) wird dieser Ausdruck erklärt: „ ... tenere potest, ut asinus sellam.“ Bekanntlich wählt Accurs den Esel sehr oft als Beyspiel. Die späteren Italienischen Juristen nennen es tenuta, welcher Ausdruck auch schon bey Sarti in einer Urkunde von 1252 vorkommt. (De claris Archygymn. Bonon. prof. T. 1. §. 2. p. 78.: „corporalem possessionem et tenutam tradidisse“). – Der Ausdruck esse in possessione hat Aehnlichkeit mit dem Ausdruck esse in libertate: jener bezeichnet den Gegensatz von possessio, dieser von libertas, nur mit dem Unterschiede, daß für das esse in libertate ein besonderer, positiver Schutz hinzugekommen war.

(2) L. 10. §. 1. de poss.

(3) L. 7. pr. de damno infecto.

(4) L. 49. §. 1. de poss.


(86) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

„Neratius et Proculus et solo animo non posse nos adquirere possessionem, si non antecedat naturalis possessio“ (1).

„ ... quod ex justa causa corporaliter a servo tenetur ... dominus creditur possidere“ (2).

Auch liegt schon dieselbe Unterscheidung den bekannten Ausdrücken der Aquiliana stipulatio zum Grunde: „quodve tu meum habes, tenes, possides“ (3).

Mit diesem Gegensatze ist es indessen nicht so gemeint, als ob in dem juristischen Besitz nicht auch jenes natürliche Verhältniß (die Detention) enthalten seyn könnte: denn obgleich der juristische Besitz zuweilen auch da angenommen wird, wo sich die Detention nicht findet, so ist er doch in der Regel mit derselben verbunden (§. 5.). Demnach ist unter dem natürlichen Besitz, insofern er dem juristischen entgegen gesetzt wird, der bloß natürliche zu verstehen, so daß unbeschadet dieses Gegensatzes auch in dem juristischen Besitz der natürliche enthalten seyn kann. Auch werden wirklich in vielen

Die Schlußworte sind schon oben erklärt worden (§. 5.) und sagen ausdrücklich, daß hier das juristische Verhältniß von einem nichtjuristischen unterschieden werde.

(1) L. 3. §. 3. de poss.

(2) L. 24. de poss.

(3) L. 18. §. 1. de acceptilat. – §. 2. I. quibus modis toll. obl.


(87) §. 7. Civilis und naturalis possessio.

Stellen alle die Ausdrücke, welche sonst das nichtjuristische Verhältniß bezeichnen, bey dem juristischen Besitz gebraucht, um die in demselben enthaltene körperliche Detention auszudrücken (1).

b. Daß durch jene Unterscheidung nichts anderes bezeichnet werden soll, als die juristische Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Interdicte, läßt sich eben so leicht beweisen, als das Daseyn dieser Unterscheidung selbst. Daß nämlich possessio im juristischen Sinn Bedingung der Interdicte ist, folgt schon aus dem Namen der possessorischen Interdicte, und steht überdem in vielen einzelnen Stellen (2). Zugleich ist das Daseyn der possessio überhaupt, ohne nähere

(1) So z. B. corporalis possessio (in L. 40. §. 2. de pign. act.): naturalis possessio (in L. 38. §. 10. de usuris und in L. 3. §. 13. de poss.); endlich in possessione esse (in §. 5. I. de interdictis, L. 11. §. 13. quod vi, und L. 2. C. de poss.) – Cuperus (de nat. poss. P. 1. C. 3.) nimmt drey Bedeutungen von naturalis possessio an: 1.) bloße Detention, 2.) Detention, als Bestandtheil des juristischen Besitzes, 3.) Besitz, der durch eine juristische Fiction (s. o. §. 5.) der bloßen Detention gleich gesetzt ist. Allein es liegt hier immer nur eine Bedeutung zum Grunde, d. h. wir brauchen nicht etwa jede dieser drey Beziehungen erst aus den Stellen, worin sie vorkommt, zu lernen und zu beweisen, sondern wir könnten sie mit Gewißheit aus den andern folgern, selbst wenn sie nicht besonders gebraucht worden wäre. Die ganze Bemerkung von Cuperus steht übrigens schon bey Donellus (comm. V. 7.)

(2) „Interdictum autem hoc (de vi) nulli competit, nisi


(88) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

juristische Bestimmung, hinreichend, die Interdicte zu begründen, wenn sie gleich auf eine unrechtliche Weise angefangen hat (1): also ist es die possessio schlechthin, ohne Zusatz in der Benennung, was die Interdicte begründet.

Dagegen hat es keinen Zweifel, daß der Pachter, der Commodatar, der missus in possessionem u. s. w., von welchen gesagt wird: sunt in possessione, tenent, sed non possident, daß alle diese das Recht der possessorischen Interdicte nicht haben (2).

Man kann also allgemein sagen: wer possessio hat, hat auch die Interdicte, wer nur in possessione ist, hat sie nicht, und beide Gegensätze fallen völlig zusammen.

Ich habe diesen Satz theilweise bewiesen, um den Beweis deutlicher übersehen zu lassen: jetzt wird es leicht seyn, eine Stelle zu erklären, die alles zusammen

ei, qui tunc, cum dejiceretur, possidebat (L. 1. §. 23. de vi).

Creditores missos in possessionem rei servandae causa, interdicto uti non posse: et merito: quia non possident. (L. 3. §. 8. uti poss.) ... si eam rem, cujus possessionem per interdictum uti possidetis retinere possim ... precario tibi concesserim: teneberis hoc interdicto“ (L. 7. de precario). cf. §. 4. 5. 6. I. de interdictis.

(1) §. 6. I. de interd. – L. 1. §. 9. L. 2. uti poss.

(2) L. 1. §. 10. de vi, L. 3. §. 8. uti possidetis u. a. m.


(89) §. 7. Civilis und naturalis possessio.

enthält, was bereits aus der Verbindung mehrerer Stellen bewiesen worden ist. Sie handelt von der Vindication: diese kann natürlich nur gegen den Besitzer der Sache gebraucht werden, der judex soll daher untersuchen, ob der Beklagte Besitzer ist, und es fragt sich nur, wer hier als Besitzer gelte. Das soll in dieser Stelle bestimmt werden (1):

„Officium autem judicis in hac actione in hoc erit, ut judex inspiciat, an reus possideat. ... Quidam tamen, ut Pegasus, eam solam possessionem putaverunt hanc actionem complecti, quae locum habet in interdicto uti possidetis, vel utrubi. Denique (2), ait, ab eo, apud quem deposita est vel commodata, vel qui conduxerit, aut qui legatorum servandorum causa, vel dotis, ventrisve nomine in possessione esset, vel cui damni infecti non cavebatur, quia hi omnes non possident, vindicari non posse. Puto autem, ab omnibus, qui tenent, et habent restituendi facultatem, peti posse.“

Das Wort possessio soll eben hier erst bestimmt

(1) L. 9. de rei vind.

(2) denique vermittelt hier wieder, wie in L. 3. §. 15. ad exhibendum und in L. 1. §. 9. 10. de vi, den Uebergang von der Regel zu ihrer Anwendung.


(90) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

werden, es wird also im Anfang der Stelle so unbestimmt als möglich genommen: nun glaubt Pegasus, der Satz gelte nur von der Art der possessio, die das Interdict begründe, und nicht von den Fällen, worin eigentlich gar keine possessio angenommen werden könne: Ulpian aber entscheidet gegen ihn. – In der Sache sind beide Juristen verschiedener Meinung, die Worte nehmen sie in derselben Bedeutung, und auf diese kommt es hier allein an. Beide gehen aus von einem allgemeinen (natürlichen) Begriff von possessio: von dieser giebt es zwey Arten. Die eine ist die, welche die possessorischen Interdicte (1) begründet, folglich die andere die, welche sie nicht begründet. Von dem Besitzer dieser zweyten heißt es gleich nachher: „est in possessione, tenet, non possidet“, also muß nun die erste Art nothwendig possessio schlechthin

(1) Ich sage: die possessorischen Interdicte, ganz allgemein, obgleich Ulpian nur das interdictum uti possidetis und das interdictum utrubi nennt. Denn es ist aus andern Stellen gewiß, daß die übrigen dieselbe Art der possessio als Bedingung voraussetzen (L. 1. §. 10. de vi), und daß Ulpian diese zwey allein nennt, kommt daher, weil sie allein in derselben Rechtssache hätten vorkommen können. Hätte nämlich vor der Vindication der jetzige Beklagte diese Interdicte gebraucht, so wäre seine (juristische) possessio untersucht worden. Kommt es nun, will Ulpian sagen, auch jetzt auf diese an, obgleich nicht erst das Interdict vor der Vindication gebraucht wurde?


(91) §. 7. Civilis und naturalis possessio.

heißen. So ist also aus dieser einzigen Stelle der ganze Beweis nochmals geführt, der für den Begriff der possessio (als des Interdictenbesitzes) geführt werden sollte.

3. Bisher ist bewiesen worden, daß es zweyerley juristischen Besitz giebt: civilis possessio und possessio. In welchem Verhältniß stehen nun diese zwey juristischen Begriffe zu einander?

Das Recht auf die Interdicte setzt das Daseyn der possessio voraus, und nichts weiter: selbst wer sich mit Gewalt in den Besitz gesetzt hat, kann die Interdicte gebrauchen (1), und es kommt also hier keine andere juristische Bestimmung, außer dem Daseyn des Besitzes überhaupt, hinzu, wodurch das Recht der Interdicte bedingt wäre.

Dagegen setzt die Usucapion auch das Daseyn der possessio voraus (2), aber dieses allein ist nicht hinreichend: der Besitz muß überdem mit bona fides und justa causa angefangen haben, und die besessene Sache muß nicht besonders von der Usucapion ausgenommen seyn (res furtiva, vi possessa u. s. w.).

(1) §. 6. I. de interdictis – L. 1. §. 9. L. 2. uti possidetis.

(2) „Sine possessione usucapio contingere non potest.“ L. 25. de usurp. et usuc. So z. B. hört die Usucapion auf, sobald der Besitz verloren ist. L. 5. eod.


(92) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Demnach ist das Verhältniß beider Begriffe dieses: der Usucapionsbesitz hat bloß noch einige

Bestimmungen mehr, als der Interdictenbesitz, und dieser ist jedesmal in jenem enthalten.

Dieses Verhältniß konnte auf keine andere Weise bezeichnet werden, als dadurch, daß der Interdictenbesitz possessio schlechthin, der Usucapionsbesitz dagegen possessio mit noch einem Zusatz (civilis) genannt wurde, und so finden wir in diesen Namen bestätigt, was aus der juristischen Natur dieser Institute bereits bewiesen worden ist.

Aus diesem Allen folgt, daß den zwey juristischen Bedeutungen, die der Besitz im Römischen Recht hat, durchaus keine Eintheilung eines juristischen Besitzes überhaupt zum Grunde liege, sondern daß es nur eine juristische possessio giebt, die, wenn sie allein vorhanden ist, blos die Interdicte begründet, aber wenn noch andere Bestimmungen hinzukommen, auch die Usucapion zur Folge hat (1). So hat folgende Stelle, die mehreren Interpreten

(1) Im ältern Römischen Recht kommt ein ganz ähnliches Verhältniß bey zwey andern Begriffen vor, dem justum matrimonium und dem matrimonium cum conventione in manum. Das erste wird immer vorausgesetzt, wenn das zweyte gedacht werden soll, auch dabey liegt folglich keine Eintheilung der Ehe zum Grunde, obgleich es zwey verschiedene juristische Ehen sind.


(93) §. 7. Civilis und naturalis possessio.

sehr trivial geschienen hat, einen bedeutenden Sinn, ohne doch der zweyfachen juristischen Natur des Besitzes zu widersprechen, worauf unsere ganze Ansicht beruht: „Et in summa magis unum genus est possidendi, species infinitae“ (1). Die species infinitae beziehen sich auf die vielen causas possidendi, wovon vorher die Rede war, diesen wird also auch das unum genus zunächst entgegen gesetzt: allein dasselbe wird doch ganz allgemein behauptet, und das wäre unmöglich, wenn es auch nur in einer andern Beziehung mehrere ursprünglich verschiedene und entgegen gesetzte juristische Begriffe des Besitzes gäbe.

Wir haben jetzt einen allgemeinen Gesichtspunkt gefunden für alles, was im Römischen Recht über possessio bestimmt ist. Alles dieses bezieht sich auf Usucapion und Interdicte zugleich, nur auf etwas verschiedene Weise: auf die Interdicte bezieht es sich unmittelbar, weil diese keine andere Bedeutung voraussetzen, als possessio überhaupt: auf Usucapion nur mittelbar, weil zu aller possessio noch etwas hinzu kommen muß, wenn sie civilis seyn soll.

Diese Ansicht der juristischen possessio überhaupt, nach welcher alle juristische Bestimmungen der possessio immer nur einen und denselben Begriff zum

(1) L. 3. §. 21. de poss.


(94) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Gegenstande haben, ist für die ganze Interpretation unter allen die wichtigste, und in ihr liegt der einzige Maaßstab, nach welchem der materielle Werth jeder Schrift über den Besitz allgemein und mit Sicherheit bestimmt werden kann. Denn es ist klar, daß in demselben Verhältniß, in welchem jener allgemeine Begriff der juristischen possessio der ganzen Darstellung zum Grunde liegt, auch der Sinn des Römischen Rechts über possessio aufgefaßt und verfehlt seyn muß (1).

4. Naturalis possessio kommt, wie bisher bewiesen worden ist (num. 1. 2.), in einer zweyfachen Bedeutung vor. Seinem ursprünglichen Begriff nach ist nämlich aller Besitz ein natürliches Verhältniß, und es ist eben deshalb nicht nöthig, ihn durch ein Prädicat als solches zu bezeichnen. Sobald er aber unter gewissen Bedingungen als Recht gilt, wird diesem juristischen Besitz der nichtjuristische entgegengesetzt, in welchem sich diese Bedingungen nicht finden. Nun haben wir einen zweyfachen juristischen

(1) Dieses ist denn auch der Hauptgrund, warum die Erklärung der civilis possessio bey Cuperus (und nun auch bey Thibaut) für die ganze Lehre vom Besitz so verderblich wird (s. u. Zus. zu §. 10.). Denn Alles, was die Römischen Juristen über Daseyn oder Nichtdaseyn der possessio mit so bewundernswürdiger Consequenz lehren, wird dadurch wieder völlig schwankend. (Zus. d. 6. Ausg.)


(95) §. 7. Civilis und naturalis possessio.

Besitz aufgefunden, und mit ihm eine zweyfache naturalis possessio: diese zwey Bedeutungen der naturalis possessio sollen hier noch gegeneinander gehalten werden.

Beide kommen darin mit einander überein, daß es bloß negative Begriffe sind, d. h., daß in ihnen nichts juristisches gesetzt, sondern nur etwas juristisches negirt wird: sie unterscheiden sich blos durch den Umfang dieser Negation.

Naturalis possessio der ersten Art also, im Gegensatz der civilis possessio (num. 1.), heißt jede Detention, welche nicht zur Usucapion qualificirt ist: eine andere juristische Bestimmung, außer dieser Negation, ist damit durchaus nicht gegeben, und darum umfaßt diese possessio naturalis auf gleiche Weise die bloße Detention, die gar nichts juristisches ist, und die juristische possessio, die nur nicht zur Usucapion geeignet ist: in diesem Sinn wird dem creditor eine naturalis possessio an dem Pfand zugeschrieben (1), und eben so soll aus der Schenkung unter Ehegatten eine bloße naturalis possessio entstehen. Die Stelle, die diesen letzten Satz enthält, ist oben als Beweis für den Begriff der civilis possessio gebraucht

(1) L. 3. §. 15. ad exhibendum (s. o. num. 1.)


(96) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

worden (num. 1.): für die naturalis possessio ist sie auch unmittelbar wichtig (1).

„Dejicitur is qui possidet, sive civiliter sive naturaliter possideat: nam et naturalis possessio ad hoc interdictum pertinet. Denique et si maritus uxori donavit, eaque dejecta sit: poterit interdicto uti: non tamen, si colonus.“

Der Sinn der Stelle ist dieser: das Interdict gilt bey jeder (juristischen) possessio, also nicht bloß bey der civilis possessio, sondern auch bey der naturalis possessio, bey dieser jedoch nur dann, wenn sie eine (juristische) possessio ist (2). So ist zwar der Besitz der Frau sowohl, als der des Pachters, unter der naturalis possessio enthalten,

(1) L. 1. §. 9. 10. de vi.

(2) Die ersten Worte (is qui possidet) enthalten also, was wohl zu bemerken ist, die Beschränkung, ohne welche die folgenden (et naturalis possessio ad hoc interdictum pertinet) viel zu allgemein wären, indem es unleugbar sehr viele Fälle giebt, in welchen eine naturalis possessio (z. B. die des Sclaven [et]c.) nicht zum Interdict berechtigt. Indem man diese Beschränkung, die in der Stelle selbst liegt, übersah, fand man es nöthig, die Worte: et naturalis possessio von außen zu beschränken, und so entstand zu diesen Worten das Glossem: et pro suo (richtiger pro suo, ohne et, d. h. nam et ea naturalis possessio quae est pro suo,) welches in sehr vielen Manuscripten und Editionen im Text steht, und auch in der Glosse des Accurs als die gewöhnliche Leseart erklärt wird.


(97) §. 7. Civilis und naturalis possessio.

denn beide sind gleich unfähig zur Usucapion, aber das Interdict hat nur die Frau, nicht der Pachter, weil nur die naturalis possessio der Frau als eigentliche possessio betrachtet werden kann.

Naturalis possessio der zweyten Art (num. 2.), im Gegensatz der possessio, bezeichnet eine Detention, die selbst der Interdicte unfähig ist, also um so viel mehr auch der Usucapion (num. 3.). Der Unterschied ist also der, daß hier noch viel mehr negirt wird, als im ersten Fall: wer demnach in dieser zweyten Bedeutung naturaliter besitzt, dessen Besitz ist gewiß auch in der ersten Bedeutung naturalis, aber eine naturalis possessio der ersten Art kann eine wahre, juristische possessio, also der zweyten naturalis possessio gerade entgegen gesetzt seyn, wie das angeführte Beyspiel der Schenkung unter Ehegatten am deutlichsten zeigt.

Welche naturalis possessio ist nun gemeint, wo das Wort in unsern Rechtsquellen gebraucht wird? ist damit nur das Recht der Usucapion, oder auch das der Interdicte geleugnet? das läßt sich in jedem Falle nur dadurch bestimmen, daß man den positiven Begriff aufsucht, dessen Gegensatz auf diese Art ausgedrückt ist. Je nachdem also der civilis possessio, oder der possessio überhaupt die naturalis


(98) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

possessio gegenüber steht, ist ihre Bedeutung verschieden zu bestimmen: ist sie ohne Gegensatz genannt, so muß durch Interpretation der positive Begriff aufgesucht werden, wodurch sie selbst erst bestimmte Bedeutung bekommen kann. Die wichtigste Regel der Interpretation, die für die naturalis possessio beobachtet werden muß, ist die, daß man ihre negative Natur nie vergesse, also nie zu dem Schlusse sich verleiten lasse, den fast alle Schriftsteller gemacht haben, weil er so natürlich zu seyn scheint: naturaliter possidet, ergo possidet.

5. Sehen wir nun zurück auf die Bedeutungen, unter welchen das Wort possessio bisher vorkam. Ursprünglich bezeichnet es ein bloß natürliches Verhältniß (1), und diese Bedeutung liegt in allen näheren Bestimmungen des Worts (civilis, naturalis)

(1) Aus diesem Grunde, weil Begriff und Wort ursprünglich gar nicht juristisch sind, ist auch die Etymologie von possessio so unbedeutend, da bey eigentlich juristischen Begriffen die Etymologie oft so belehrend ist. Es ist ein alter Streit, ob Paulus (L. 1. pr. de poss.) das Wort „a pedibus“ oder „a sedibus“ ableite. Die letzte Leseart steht in dem Florentinischen Manuscript, wird aber auch schon in der Glosse als Variante angeführt: die meisten Juristen geben ihr den Vorzug, und mit Recht, obgleich Walther (miscellan. lib. 2. c. 19.) die erste recht gut vertheidigt. Hermann Cannegieter (observat. lib. 4. cap. 7.) hat eine neue ausgedacht, in welcher gewissermaßen beide enthalten sind, die aber weit schlechter ist, als die


(99) §. 7. Civils und naturalis possessio.

zum Grunde. In diesem Sinn werden dem possessor die Rechte des Beklagten in der Vindication zugesprochen (1), obgleich sie auf den juristischen Besitz durchaus nicht beschränkt sind. Auch ist in diesem Sinn das furtum possessionis zu nehmen, indem dasselbe auch gegen solche Personen möglich ist, welche keinen juristischen Besitz haben (2).

Außerdem aber heißt possessio schlechthin der juristische Besitz, und diese possessio ist es, welcher eine naturalis possessio entgegen gesetzt wird (num. 2.).

alten: er liest „a pedis sedibus.“ – Durch die Leseart „pedibus“ ist übrigens die Glosse veranlaßt worden, an beweglichen Sachen nur einen uneigentlichen Besitz anzunehmen, weil man zwar den Boden, aber nicht die beweglichen Sachen mit Füßen zu treten pflege. (Glossa in §. 4. I. de interdictis und in vielen andern Stellen). Ein französischer Jurist schlägt vor, wenigstens bey Schuhen eine Ausnahme zu machen. Noch deutlicher wird sich diese Meinung der Glosse im 8ten §. erklären.

(1) §. 4. I. de interdictis – L. 9. de rei vind. s. oben §. 3. num. 4.

(2) Nämlich nach L. 15. §. 2. und L. 59. de furtis ist es ein furtum, wenn der commodator dem Commodatar die Sache entwendet, vorausgesetzt daß dieser ein besonderes Recht auf die Detention hatte, was er gegen ihn hätte geltend machen können. Nun kann dieses kein furtum rei seyn, weil es vom Eigenthümer selbst geschieht, noch weniger ein furtum usus, also ist nur ein furtum possessionis anzunehmen übrig: da aber zugleich der Commodatar keinen juristischen Besitz hat, so folgt, daß das furtum possessionis nicht durch diesen bedingt seyn kann.


(100) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Wenn nun in unsern Rechtsquellen von possessio schlechthin die Rede ist, welche possessio ist darunter zu verstehen? So lange kein Grund vorhanden ist, den Begriff zu beschränken, muß er so allgemein als möglich, folglich für das natürliche Verhältniß der Detention genommen werden, welche Regel der Interpretation durch das Beyspiel der Römischen Juristen bestätigt wird (1). Aber solcher Gründe der Beschränkung giebt es vorzüglich zwey, und diese werden uns bey weitem in den meisten Fällen, worin das Wort possessio gebraucht wird, den engern Begriff des juristischen Besitzes vorauszusetzen nöthigen.

Wird nämlich erstens die possessio bezogen auf Interdicte oder Usucapion, als auf ihre Wirkung, so kann kein anderer als der juristische Besitz darunter gedacht werden. (§. 2.).

Eben so zweytens, wenn die Existenz des Besitzes aus juristischen Gründen bestimmt wird, weil nur der juristische Begriff des Besitzes solcher Bestimmungen fähig ist (§. 5.). In allen Stellen also, worin untersucht, gezweifelt, gestritten wird, ob possessio anzunehmen sey oder nicht, ist

(1) So interpretirt nämlich Ulpian eine Stipulation (L. 38. §. 7. de V. O.), Julian eine juristische Regel (L. 2. §. 1. pro herede.).


(101) §. 7. Civilis und naturalis possessio.

immer der juristische Besitz mit diesem Worte bezeichnet. Zur Erläuterung dieser wichtigen Regel der Interpretation mag ein Beyspiel dienen, welches schon oben in einer andern Beziehung vorgekommen ist. Es ist nämlich oben (num. 1.) bewiesen worden, daß aus der Schenkung unter Ehegatten zwar keine civilis possessio entstehe, wohl aber possessio überhaupt. Diesen letzten Satz drückt Paulus so aus (1): „Si vir uxori cedat possessione, donationis causa, plerique putant possidere eam“ (darauf folgen zwey juristische Gründe für diese Meinung), und in einer andern Stelle (2): „Possidere autem uxorem rem a viro donatam, Julianus putat.“ Da hier von Meinungen über das Daseyn dieses Besitzes die Rede ist, da juristische Gründe angeführt werden, aus welchen es behauptet werden müsse, so kann es nicht das natürliche Verhältniß der Detention, sondern nur der juristische Besitz seyn, was hier possidere genannt wird.

§. 8.

Die bisherigen Bestimmungen des Römischen Sprachgebrauchs sind die einzigen, die auf die Behandlung unseres Gegenstandes directen Einfluß haben: die übrigen

(1) L. 1. §. 4. de poss.

(2) L. 1. §. 2. pro donato.


(102) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

sind nur um deswillen wichtig, weil ohne sie ein großer Theil der gangbarsten Irrthümer der Interpretation nicht gründlich widerlegt werden kann. Dahin gehören zuerst noch zwey Eintheilungen des Besitzes, die bey den Römischen Juristen vorkommen: possessio justa, injusta und bonae fidei, malae fidei possessio. Zweytens gehören dahin die Fälle, in welchen possessio überhaupt etwas ganz anderes bezeichnet, als den Besitz.

Justum überhaupt hat zwey Bedeutungen bey den Römischen Juristen: zuweilen bezieht es sich auf jus (civile) und wird dann auf eben die Art gebraucht, wie civile, oder legitimum, z. B. in matrimonium justum, justa traditionis causa u. s. w. In andern Stellen aber hat es einen viel unbestimmtern Sinn, und heißt das rechtliche überhaupt, so in absentia justa, error justus u. s. w. (1). Bey dem Besitz ist das Wort in der zweyten Bedeutung genommen, und justa possessio ist folglich ein Besitz, zu welchem man berechtigt ist, er mag nun juristisch als Besitz gelten, oder nicht. Denn erstlich heißt der Besitz, welchen der creditor an einem Pfande hat, justa possessio (2). Da

(1) Die Beweise für beide Bedeutungen sind vollständig zusammengestellt von Brissonius de verb. sig. v. justus (p. 687. ed. Hal. 1743.).

(2) L. 13. §. 1. de publiciana. – L. 22. §. 1. de noxal. act.


(103) §. 8. Possessio justa, bonae fidei etc.

nun diese possessio nicht civilis ist (§. 7. num. 1.), so kann hier nicht die erste, sondern nur die zweyte Bedeutung von justum gemeint seyn. Ferner entsteht sogar durch die missio in possessionem eine justa possessio (1), also in einem Fall, worin überhaupt nicht von juristischem Besitz die Rede seyn kann (2).

Demnach bezieht sich diese Eintheilung auf den allgemeinen Begriff des natürlichen Besitzes (§. 7. num. 5.), selbst der Begriff der justa possessio fällt mit keinem juristischen Begriff des Besitzes zusammen, und die ganze Eintheilung ist folglich für uns, in einer Theorie des juristischen Besitzes, ziemlich unbedeutend (3). Hier, wie bey der naturalis possessio (S. 98.), ist es also das wichtigste, den Schluß zu vermeiden: juste possidet, ergo possidet.

Aber diese Eintheilung ist nicht nur für uns unbedeutend, sie ist auch überhaupt keiner allgemeinen Bestimmung fähig, und kann nur in einzelnen Anwendungen einen bestimmten Sinn bekommen (4). Es kommt nämlich

(1) L. 7. §. 8. comm. div.

(2) L. 3. §. 23. de poss.

(3) „in summa possessionis non multum interest, juste quis, an injuste possideat.“ L. 3. §. 5. de poss., d. h., es ist gleichgültig, wo es auf die Existenz des juristischen Besitzes überhaupt ankommt, also wo der Besitz an sich, und nicht etwa in einer besondern Beziehung, die außer seinem Begriff liegt, als Quelle von Rechten betrachtet wird.

(4) Cuperus (de nat. poss. P. 2. C. 7.) hat diesen Satz


(104) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

zu der schon bemerkten, sehr unbestimmten Bedeutung des Ausdrucks noch eine zweyte, engere hinzu, die sogar als die häufigste betrachtet werden kann. Nach dieser zweyten Bedeutung bezieht sich die Eintheilung auf die vitia possessionis (§. 2.), und justa possessio heißt dann jede Detention, welche ohne Gewalt, ohne Verheimlichung und ohne precarium angefangen hat (1), sie mag als juristischer Besitz gelten oder nicht. Dieser Unterschied ist zwar nicht für die Natur des Besitzes überhaupt, wohl aber für die possessorischen Interdicte von Bedeutung.

Der Begriff bonae fidei possessio ist eben so unbestimmt und eben so unbedeutend für die Theorie des Besitzes überhaupt. Die bona fides bezieht sich auf jeden möglichen Grund der Detention: wer den rechtlichen Grund derselben zu haben glaubt, auf welchen es gerade ankommt, heißt bonae fidei possessor. So bey der Usucapion jeder, der durch seine justa possessionis causa

gründlich ausgeführt, wiewohl er mehrere verschiedene Bedeutungen jener Eintheilung annimmt, die eigentlich nicht verschieden sind: einige seiner Behauptungen werden unten widerlegt werden. Bey weitem die Meisten haben possessio justa und civilis verwechselt. Die seltsamste Meinung hat Madera (animadv. C. 27, bey Otto T. 3. p. 488.): er erklärt justum überhaupt von dem jus gentium (wegen L. 95. §. 4. de solut.) und behauptet, alle possessio sey justa, weil sie aus dem jus gentium entstanden sey.

(1) so vorzüglich in L. 1. §. 9. L. 2. uti possidetis.


(105) §. 8. Possessio justa, bonae fidei etc.

Eigenthum wirklich zu erwerben glaubt: so bey der Vindication jeder Beklagte, welcher seine Detention für rechtlich hält, er mag dieses Recht aus seinem Eigenthum, oder aus einem bloßen Vertrag (z. B. einer Pacht) mit dem Eigenthümer ableiten, in welchem letzten Fall er durchaus keinen juristischen Besitz zu haben behauptet. So bey hypothecaria actio derjenige Beklagte, welcher von dem Pfandrecht des Klägers keine Kenntniß hat.

In den wichtigsten Fällen ist die bona fides nur dann von Wirksamkeit, wenn sie durch einen vorhandenen Rechtstitel gerechtfertigt werden kann, so daß in diesen Fällen unter der b. f. possessio immer zugleich ein titulirter Besitz zu verstehen ist, obgleich dieses nicht besonders ausgedrückt zu werden pflegt. In diesen Fällen also steht die bona fides zugleich in Verbindung mit der causa possessionis, und daher auch mit der schon im §. 7. erklärten Regel: Nemo sibi causam possessionis mutare potest (S. 75.). (Zus. der 6. Ausg.)

So verschieden die Begriffe waren, welche bisher als Bedeutungen von possessio erwiesen worden sind, so war es doch immer der Begriff des Besitzes, der in allen zum Grunde lag: noch sind die Stellen zu erklären übrig, in welchen possessio selbst etwas anderes bezeichnet, als den Besitz. Solcher andern Bedeutungen, welche von jeher viel dazu beygetragen haben, die Theorie des


(106) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Besitzes zu verwirren, giebt es vornämlich zwey: Eigenthum und Verhältniß des Beklagten.

Eigenthum haben also wird zuweilen durch possidere, die Sache, die im Eigenthum ist, durch possessio (Besitzung) bezeichnet (1). Wie dieser Sprachgebrauch entstanden ist, läßt sich leicht erklären. Da nämlich die Unterscheidung des Besitzes vom Eigenthum auf einer juristischen Abstraction beruht (§. 1.), so ist es sehr natürlich, daß diese Unterscheidung theils in der Sprache des gemeinen Lebens, theils bey Schriftstellern, die nicht Juristen sind, gewöhnlich nicht gemacht wird: auch kommt in unsern Rechtsquellen diese Bedeutung fast nur aus Testamenten, Verträgen, Consultationen (et)c. vor, worin sie gebraucht worden war. – Merkwürdig ist es, daß in allen solchen Stellen possessio und possidere bloß von Grundstücken gebraucht

(1) „Interdum proprietatem quoque verbum possessionis significat: sicut in eo, qui possessiones suas legasset, responsum est.“ L. 78. de V. S. – Eben so in sehr vielen andern Stellen der Pandekten und des Codex, und eben so oft bey Cicero, Quinctilian (et)c. Auch geht darauf die Definition bey Cornelius Fronto (in Gothofredi auct. linguae lat. p. m. 1331.): „habere potest etiam fur et nequam: possidet nemo, nisi qui rei ... dominus est.“ Endlich ist auch daraus zu erklären die Edictstelle, nach welcher die possessores von Grundstücken keine Cautionen im Proceß zu leisten brauchten (L. 15. qui satisd. cog.). Possessor hieß aber nicht Besitzer, sondern Eigenthümer.


(107) §. 8. Possessio justa, bonae fidei etc.

wird (1), und daß auch darin das deutsche Besitzung damit überein kommt (2).

Außer dem Besitz und außer dem Eigenthum bezeichnet endlich possessio auch noch das Verhältniß des Beklagten. Wenn nämlich das Eigenthum vindicirt werden soll, so kann das gegen niemand geschehen, als gegen den, der die Sache besitzt, nur daß hier der Besitz durchaus in keinem juristischem Sinn genommen wird (§. 3. num. 4.): es ist also sehr natürlich, daß man bey jeder Vindication den Kläger petitor, den Beklagten possessor nennt, weil dieser in der That eine Sache besitzt, die der andere von ihm fordert. Nun wurde aber der Vindicationsproceß auch außer dem Eigenthum gebraucht, insbesondere bey Erbschaftsklagen (3): deswegen übertrug man auch auf diesen die

(1) Alciatus in L. 1. pr. de poss. num. 24. (opp. T. 1. p. 1195.) Dieser Umstand mag viel zu der Meinung der Glosse beygetragen haben, daß nur unbewegliche Sachen eigentlich besessen werden können (s. o. S. 78.). – Die ausschließende Beziehung der possessio in diesem Sinn auf Grundstücke ist so allgemein, daß sogar possessor und possidere nicht selten absolut gesetzt wird, um den Besitz von Grundstücken zu bezeichnen; so z. B. L. 1. de decret. ab ord. fac., – L. 7. de incend. cf. Roth de re municipali. (Studtg. 1801.) p. 43.

(2) Damit ist nicht zu verwechseln, daß insbesondere auch das bonitarische Eigenthum possessio genannt wird. Dieses hat einen ganz speciellen historischen Grund, und es wird davon §. 12 a. ausführlich die Rede seyn.

(3) Cicero in Verrem, act. 2. lib. 1. Cap. 45.: „Si quis testamento


(108) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Ausdrücke, die bey jenem gebraucht wurden, und nannte auch hier den Kläger petitor, den Beklagten possessor. In den meisten Fällen war das sehr passend, weil auch die hereditatis petitio gebraucht wird, um einzelne Sachen zu fordern, die der Andere aus einem allgemeinen Grunde (pro herede oder pro possessore) besitzt. Aber darauf ist sie nicht beschränkt, und so ist es gekommen, daß man den Beklagten in der hereditatis petitio auch dann possessor nennt, wenn es gerade nicht um den Besitz einer Sache gilt. Man nennt ihn juris possessor, weil er irgend etwas zu thun sich weigert, was der Andere, als Erbe, von ihm fordern zu können glaubt, weil er also ein Stück des allgemeinen Erbrechts sich anmaßt: corporis possessor heißt dagegen der Beklagte, der zugleich Besitzer einer Sache ist (1). Ein solcher juris possessor ist z. B.:

1. jeder, der eine Erbschaftssache zwar nicht besitzt, aber besitzen kann, weil er eine Klage darauf hat: hier ist es die Cession dieser Klage, was von ihm gefordert wird (2);

se heredem esse arbitraretur, quod tum non exstaret, lege ageret in hereditatem: aut pro praede litis vindiciarum cum satis accepisset, sponsionem faceret: ita de hereditate certaret.“

(1) L. 9. L. 18. §. 1. de hered. petit.

(2) L. 16. §. 4. 7. L. 35. de hered. petit.


(109) §. 8. Possessio justa, bonae fidei etc.

2. wer in dem peculium seines Sclaven den Werth einer verkauften Erbschaftssache besitzt (1).

3. wer gegen die Erbschaft eine Verbindlichkeit, z. B. als negotiorum gestor, contrahirt hat (2).

Auf gleiche Weise wurde bey dem Streit über Freyheit (liberale judicium) von den ältesten Zeiten an der Vindicationsproceß gebraucht (3), und auch dabey wird das Verhältniß des Beklagten und das Vorrecht dieses Verhältnisses durch die Ausdrücke: libertatis, servitutis possessio bezeichnet (4).

Also das Verhältniß eines Beklagten wird durch das Wort possessor bezeichnet, selbst wo keine Sache ist, die besessen werden könnte: aber dieser Satz ist durchaus nicht allgemein wahr. Beweisen läßt er sich nur für die hereditatis petitio und das liberale judicium, mit Wahrscheinlichkeit behaupten bey allen Klagen, bey welchen der Vindicationsprozeß vorkam (5), bey allen übrigen kann er durchaus nicht gelten (6).

Daß nun nicht etwa Eigenthum oder das Beklagtenverhältniß

(1) L. 34. §. 1. de hered. petit.

(2) L. 10. si pars hered. petatur.

(3) Die Hauptstelle ist bey Livius Lib. 3. C. 44-48.

(4) Digest. Lib. 40. Tit. 12. –Servitutis possessio ist nicht zu verwechseln mit servi possessio.

(5) und auch da müssen noch die Servitutenklagen ausgenommen werden, weil bey diesen der possessor sogar Kläger seyn kann. §. 2. I. de act.

(6) Zwar sagt L. 62. de judiciis allgemein: „Inter litigantes non aliter lis expediri potest, quam si alter petitor, alter possessor sit:


(110) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

gemeint sey, wenn über possessio irgend etwas in unsern Rechtsquellen bestimmt ist, muß bewiesen werden können, wenn eine Stelle derselben mit Sicherheit auf den Besitz angewendet werden soll: eine allgemeine Regel der Interpretation läßt sich hier nicht geben, aber es wird schwerlich ein Fall vorkommen, in welchem diese Unterscheidung bedeutende Schwierigkeit hätte.

§. 9.

Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, daß aller juristische Besitz auf Usucapion oder Interdicte sich

esse enim debet, qui onera petitoris sustineat, et qui commodo possessoris fungatur.“ Allein petere und petitor bezieht sich nur auf in rem actiones (L. 28. de oblig. et act. – L. 178. §. 2. de V. S.) und mit dieser Beschränkung stimmt die Stelle mit der aufgestellten Regel überein. Ja es ist wahrscheinlich, daß sie eigentlich bloß auf hereditatis petitio gieng, denn sie ist aus einem Buch von Ulpian genommen (L. 39. ad edictum), das fast bloß von Erbrecht handelt. (L. 22. qui test. fac. poss. – L. 1. 3. 5. de bon. poss. – L. 2. de B. P. furioso. – L. 1. 3. de B. P. contra tab. – L. 1. de B. P. sec. tab. – L. 6. si tab. test. nul.). – Uebrigens ist hier bloß von dem Sprachgebrauch unserer Rechtsquellen die Rede, Cicero braucht den Ausdruck auch bey dem Streit des publicanus mit den Landleuten über den Zehnten, in Verrem lib. 3. C. 11. „cum in his, inquam, rebus omnibus publicanus petitor, ac pignerator, non ereptor neque possessor soleat esse ... Utrum est aequius ... eum qui manu quaesierit an eum, qui digito licitus sit, possidere?“


(111) §. 9. Materieller Begriff des Besitzes.

bezieht (§. 2.), und daß beiden ein allgemeiner Begriff juristischer possessio zum Grunde liegt, der, um die Usucapion möglich zu machen, nur noch einige besondere Bestimmungen haben muß (§. 7.).

Jetzt erst kann die Frage aufgeworfen werden: was gehört dazu, damit die juristische possessio angenommen werde? oder: welches sind die materiellen Bestimmungen ihres Begriffs?

Wir sind ausgegangen von dem allgemeinen Begriff der Detention, d. h. des natürlichen Verhältnisses, welches dem Eigenthum, als einem rechtlichen Verhältniß, correspondirt (§. 1.): aber dieser ursprüngliche Begriff des Besitzes mußte juristischer Modificationen fähig seyn, sobald er als Bedingung von Rechten behandelt wurde (§. 5.). Der größte Theil dieser Modificationen ist so specieller Art, daß sie nur im Detail der Theorie des Besitzes verstanden und vorgetragen werden können: aber eine ist ganz allgemein, und durch diese muß gleich hier der Begriff des Besitzes vollständig bestimmt werden.

Es muß nämlich jede Detention, wenn sie als Besitz gelten soll, absichtlich seyn, d. h. man muß, um Besitzer zu seyn, die Detention nicht bloß haben, sondern auch haben wollen (1). Dieses der Detention correspondirende

(1) L. 3. §. 1. de poss. „Apiscimur possessionem corpore et animo: neque per se animo, aut per se corpore.“


(112) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Wollen (animus possidendi) ist jetzt genauer zu bestimmen.

Die Detention nämlich wurde oben (S. 3.) bestimmt als der physische Zustand, welcher dem Eigenthum, als einem rechtlichen Zustande, correspondire. Folglich besteht der animus possidendi in der Absicht, das Eigenthum auszuüben. Allein diese Bestimmung ist noch nicht hinreichend, indem derjenige, welcher die Detention hat, diese Absicht auf eine zweyfache Weise haben kann: entweder um fremdes, oder um eigenes Eigenthum auszuüben. Hat er die Absicht, fremdes Eigenthum auszuüben, welches er also eben jetzt anerkennt, so liegt darin kein solcher animus possidendi, durch welchen die Detention zum Besitz erhoben würde. Dieser Satz, welchen das Römische Recht ausdrücklich aufstellt (1), läßt sich aus der oben (S. 8.) gegebenen Ansicht der Interdicte sehr natürlich erklären. Es bleibt also nur noch der zweyte Fall übrig, in welchem die Absicht auf eigenes

(1) L. 18. pr. de poss. „ ... Nec idem est, possidere, et alieno nomine possidere. Nam possidet, cujus nomine possidetur. Procurator alienae possessioni praestat ministerium.“ Dieses Verhältniß ist in drey verschiedenen Beziehungen für den Besitz wichtig: a) indem der animus sibi habendi, also der ursprüngliche Begriff des Besitzes, nicht auf den, der die Detention hat, anwendbar ist (davon hier); b) indem derselbe einen abgeleiteten Besitz bald hat, bald nicht hat (§. 23 bis 25.); c) indem der Andere, der die Detention nicht selbst hat, als Besitzer gilt (§. 26. 27.).


(113) §. 9. Materieller Begriff des Besitzes.

Eigenthum gerichtet war (1), so daß der animus possidendi durch animus domini oder animus sibi habendi erklärt werden muß (2), folglich nur der als Besitzer gelten kann, welcher die Sache als Eigenthümer behandelt, deren Detention er hat, d. h. welcher sie factisch eben so beherrschen will, wie ein Eigenthümer Kraft seines Rechts zu thun befugt ist, also insbesondere auch ohne einen Anderen, besser Berechtigten, über sich anerkennen zu wollen (3). Mehr aber als dieser animus

(1) Man könnte diese Eintheilung für unvollständig halten, indem es sich (als dritter Fall) denken ließe, daß der, welcher die Detention hätte, weder sich noch einen andern als Eigenthümer betrachtete, sondern nur zu einem speciellen Zweck (z. B. wegen der Früchte) die Sache haben wollte. Allein dieser Fall ist von dem unsrigen nur dem Scheine nach verschieden. Denn wer die Detention haben will, ohne bestimmt eine andere Person als Eigenthümer zu betrachten, hat immer den animus domini, und es ist, juristisch betrachtet, ganz gleichgültig, um welcher äußerlichen Zwecke willen er dieses Eigenthum haben will.

(2) Theophilus in §. 4. I. per quas pers. adqu. et in §. 2. I. quibus mod. toll. oblig. Hier allein steht dieser Satz ausdrücklich, in den Institutionen und den Pandekten kommt er nicht vor. Vorausgesetzt wird er freylich überall.

(3) Es wird also hier der Ausdruck animus domini nur gebraucht, um den Inhalt des zum Besitz nöthigen Wollens durch Vergleichung mit dem, was der Eigenthümer thun darf, zu bestimmen, aber nicht als ob der Gedanke des Besitzers besonders auf den Rechtsbegriff des Eigenthums gerichtet seyn müßte, was ja z. B. bey dem Diebe widersinnig seyn würde. Indessen scheint es, daß mehrere der am


(114) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

domini, gehört durchaus nicht in den Begriff des Besitzes: am wenigsten die Ueberzeugung, daß man wirklich Eigenthümer sey (opinio s. cogitatio domini): darum kommt der Begriff des Besitzes dem Räuber und Dieb eben sowohl zu, als dem Eigenthümer selbst, und jene sind ganz auf dieselbe Weise, wie dieser dem Pachter, entgegen gesetzt, welcher keinen Besitz hat, weil er die Sache nicht als seine eigene Sache behandelt (1).

Ende dieses §. angeführten Schriftsteller die von mir geforderte „Absicht das Eigenthum auszuüben“ auf diese Weise mißverstanden haben, z. B. Warnkönig p. 173, welcher meine Meinung so ausdrückt: „die Sache sein, also ex jure quiritium suam zu nennen. So weit muß man gehen.“ Eben so Guyet Abhandl. p. 176. (Zusatz der 6. Ausg.)

(1) Der hier aufgestellte Begriff des Besitzes ist der der meisten Juristen, nur mehr oder weniger deutlich gedacht. Zachariä (de poss. pag. 5.) verwirft ihn und setzt folgenden an die Stelle: „Possessio nobis est: ea rei ad hominem ratio, e qua appareat, esse alicui et animum rem sibi habendi, et reliquarum virium modum animo illi accomodatum.“ In diesem animus also liegt, wie Z. selbst gesteht (p. 6.) nichts neues, wohl aber in der andern Hälfte der Definition (p. 10.). Welches ist denn nun das Maaß physischer Kraft, das dem animus domini angemessen ist? Der animus domini geht auf willkührliche Behandlung der Sache, mit Ausschließung aller andern Menschen, also muß darauf auch jener virium modus gehen, also ist dieser nichts anders, als Detention, wie sie sich jedermann denkt, und wie ich sie oben (S. 3.) ausdrücklich erklärt habe. Also liegt das Neue auch nicht in diesem virium modus, sondern lediglich in dem appareat. Besitz also, will Z. sagen, ist das Verhältniß einer


(115) §. 9. Materieller Begriff des Besitzes.

Die Anwendung dieses Begriffs kann nur in solchen Fällen zweifelhaft seyn, wenn Jemand ein Recht ausüben will, dessen Verhältniß zum Eigenthum zweifelhaft ist. Dahin gehören folgende Rechte:

Sache zu einem Menschen, welches zu erkennen giebt, daß der Mensch den animus domini habe und auch realisiren könne. Dadurch bekommt das Factum im Besitz eine ganz symbolische Natur, indem es dazu bestimmt ist, etwas zu erklären, auszusprechen (p. 10. 11.). Ich will nichts davon sagen, daß dieses neue Element des Besitzes unzähligen Anwendungen widerspricht: denn eben dieses Element ist noch so unbestimmt, daß eine directe Widerlegung äußerst mißlich, ja fast unmöglich ist. Aber die Art, wie es Z. begründet, läßt sich aus sich selbst widerlegen. Er will nämlich zeigen, daß bey dem Erwerb und Verlust des Besitzes bisher unbegreifliche Fälle aus jenem Begriff entwickelt werden können. Was den Verlust betrifft, so wird sich unten zeigen, daß Z. aus seinem Begriff gar nichts gefolgert habe, was nicht auch schon aus dem unsrigen folgt. Hier also nur von dem Erwerb. Nun läßt sich jenes Erklären, auf zweyerley Weise denken: erstens so, daß das Erklärte (der virium modus) auch wirklich da ist, zweytens so, daß es nicht da ist, der Erklärende also nur fälschlich glaubt, es sey da. Im letzten Fall wird gewiß kein Besitz erworben, wenn mir z. B. vor dem Magazin die Schlüssel übergeben werden, um mich in den Besitz von Waaren zu setzen, die darin aufbewahrt seyn sollen, die Waaren aber sind nicht darin, so habe ich gewiß nicht den Besitz erworben. Also verhält sich mein Begriff des Besitzes zu dem von Z. so: in dem meinigen ist enthalten: Detention und animus domini, in dem von Z. aber: Detention und animus domini und die oben beschriebene Erklärung, also nur noch etwas mehr als in dem meinigen. Also muß in allen Fällen, in welchen, nach Z., Besitz erworben ist, auch nach mir Besitz erworben seyn,


(116) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

1. Bonitarisches Eigenthum (1). Dieses wird in allen Verhältnissen, die nicht dem alten, strengen Civilrecht eigenthümlich sind, dem Eigenthum ganz gleich behandelt, so daß die unmittelbare Anwendung unsers Begriffs hier keinen Zweifel haben kann. Auch ist es dabey ganz gleichgültig, ob eine andere Person das blos quiritarische Eigenthum (das nudum jus quiritium) hat oder nicht. – Die bonae fidei possessio kann in dieser Rücksicht gar nicht

aber nicht umgekehrt. Z. also hätte mich durch solche Fälle widerlegen müssen, in welchen ich Besitz behauptete, er aber und das Römische Recht ihn leugneten: da aber seine Fälle gerade von umgekehrter Art sind, so widerspricht er sich selbst. Nur ein Beispiel zur Erläuterung, das Z. selbst zu dem seinigen macht (p. 19.). Wenn in dem Fall der L. 18. §. 2. de poss. zwischen den Thurm und den fundus ein Fluß hineingedacht wird, über welchen man jetzt nicht kommen kann, so ist freylich nach meiner Theorie der Besitz nicht erworben, aber nach der von Z. auch nicht, denn wer wegen des Flusses keine Herrschaft über den fundus ausüben kann, der kann auch nicht im Ernst erklären, daß er dieses könne.

(1) In den zwey ersten Ausgaben habe ich das in bonis und die bonae fidei possessio unter dem gemeinsamen Namen des prätorischen Eigenthums zusammengefaßt. Dazu bestimmte mich die Bemerkung, daß in der That zwey Hauptwirkungen beiden Rechtsverhältnissen gemein sind: die Usucapion nämlich und die publiciana actio (diese letzte jedoch nicht allgemein, sondern nur in den Fällen des s. g. derivativen Erwerbs). Dennoch ist es durchaus nöthig, sie strenge von einander zu unterscheiden. Die Stelle, worin sie am unmittelbarsten unterschieden werden, ist Ulpian. XIX. 20. 21.


(117) §. 9. Materieller Begriff des Besitzes.

als ein abgesondertes Rechtsverhältniß aufgeführt werden. Denn der b. f. possessor schrieb sich immer entweder das Römische oder doch das natürliche Eigenthum als ein schon jetzt erworbenes Recht zu; indem er also dieses Recht zu haben glaubte, folglich auch gewiß haben wollte, so lag hierin von selbst der animus domini, so daß zur Begründung einer wahren possessio in diesem Fall die Einführung der publiciana actio nicht nöthig war und nichts beytrug (1).

2. Provinzialgrundstücke, an welchen nämlich nach einem alten Grundsatz des Römischen Rechts, kein quiritarisches Eigenthum möglich war, d. h. denen das commercium im strengen Sinn fehlte. Eine Folge dieses den Besitzern fehlenden quiritarischen Eigenthums war die Unmöglichkeit, das Recht daran nach altrömischen Formen, d. h. durch in jure cessio, mancipatio, usucapio zu erwerben. Daß aber in jeder andern Rücksicht die Besitzer dieser Grundstücke als Eigenthümer betrachtet werden konnten, daß also auch hier unser Begriff des animus domini anwendbar war, ist nicht nur aus der Entstehung dieses Rechtsverhältnisses, sondern auch nach verschiedenen Stellen der Alten (2) ganz

(1) Diese Ansicht der b. f. poss. ist in der 4ten Ausg. neu hinzugekommen.

(2) Aggenus und Simplicius bey Goesius p. 46. 47. p. 76. Theophilus in §. 40. I. de div. rerum.


(118) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

unzweifelhaft (1). Es war demnach dieses Verhältniß dem bey dem bonitarischen Eigenthum in Rom und Italien sehr ähnlich. Justinian aber hat überhaupt allen Unterschied des quiritarischen und bonitarischen Eigenthums aufgehoben, und als Folge davon auch den Provincialen volles, unbeschränktes Grundeigenthum gestattet (2), durch welche Verbindung denn zugleich die hier angenommene Zusammenstellung der früheren Rechtsverhältnisse bestätigt wird.

3. Servituten, d. h. durch jus civile eingeführte Rechte, welche als abgesonderte Bestandtheile

(1) Das Obereigenthum des Römischen Volks steht dieser Annahme nicht entgegen. Denn wenn dasselbe auch überhaupt etwas mehr war, als eine bloße Hypothese der Juristen, (Zeitschr. f. geschichtl. Rwiss. V. 256 fg.), so wurde es doch im Einzelnen nie geltend gemacht, und kam also im Privatverkehr gar nicht in Betracht. So gut also am Provinzialboden Vindicationen galten, was unzweifelhaft ist (Simplicius Goes. p. 71. 76.), so gut mußte an ihnen auch ein animus domini möglich seyn, und deshalb ein wahrer Besitz. Ganz ähnliche Gründe erklären es auch, warum eben so an dem ager publicus in Italien eine wahre possessio angenommen werden konnte. Denn obgleich hier das Eigenthum des populus weit mehr Realität hatte, indem die Domäne stets eingezogen werden konnte, so geschah dieses doch nur durch Volksschlüsse, also auf publicistischem Wege, und für das privatrechtliche Verhältniß zu anderen Einzelnen war der animus domini so gut möglich, als an dem Boden den Einer ex jure quiritium hatte. (Zus. der 6. Ausg.)

(2) tit. Cod. de usucap. transformanda.


(119) §. 9. Materieller Begriff des Besitzes.

des Eigenthums (jura, jura in re) (1) dem Eigenthum selbst, als der Totalität aller dinglichen Rechte, entgegengesetzt werden. Schon aus diesem Gegensatz, ohne welchen der Begriff der Servituten durchaus nicht bestimmt werden kann, ist es klar, daß, wer eine Servitut ausüben will, nicht zugleich den animus domini haben könne. Auch giebt es nur einen Fall, in welchem man sich versucht fühlen könnte, diesen Satz zu bezweifeln, den ususfructus nämlich. Allein das Römische Recht erkennt selbst den Fructuar durchaus nicht als Eigenthümer, und proprietas ist sogar der technische Ausdruck für das nach Abzug des ususfructus übrig bleibende Recht. Bey allen Servituten also ist animus domini unmöglich.

(1) Daß dieses und nichts anderes unter jus in re von den Römern verstanden wird, das dominium also keineswegs darunter enthalten, sondern ihm sogar entgegengesetzt ist, hat vollständig bewiesen: Waechtler de jure in re Viteb. 1682. 12. (auch in: Thomasii diss. Lipsiens., Lips. et Hal. 1696. 4. p. 235). Dieselbe Meinung hat schon früher Huber animadv. ad jus in re Franek. 1675. 12. (auch in den digress. Lib. 4. C. 10 und in Feltmannorum opp. Arnhem. 1764. f. T. 2. p. 257), dieser aber mit einer Ausdehnung, wodurch wieder alle Bestimmtheit des Begriffs aufgehoben wird: auch der Commodatar nämlich soll jus in re haben. Dasselbe behauptet Thibaut (Versuche B. 2. S. 32.). Die einzige Veranlassung dieser Meinung ist L. 2. §. 22. vi bon. rapt., allein die Worte: „vel


(120) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

4. Das Recht der superficies ist den Servituten ganz ähnlich, und daß es nicht zu ihnen gerechnet wird, hat bloß den historischen Grund, daß dieses Institut nicht durch jus civile, sondern durch das Edict entstanden ist. Es gehört also, wie die Servituten, unter die jura in re, und daß es sich wirklich so verhalte, daß also der Superficiarius nicht etwa die Sache in bonis habe, sagt Gajus ausdrücklich (1). Folglich ist auch hier animus domini unmöglich, also auch Besitz (2).

5. Ager vectigalis und emphyteusis.

A.) Ager vectigalis. Die erste bestimmte Nachricht davon ist aus der Zeit von Trajan oder Hadrian. Hygin (3) nennt so die Grundstücke, welche von dem Römischen Volk, von den Städten, von den Priestercollegien und von

quod aliud jus“ lassen sich nicht nur eben so gut, sondern viel besser auf: „sive usumfructum“ allein beziehen.

(1) L. 2. de superficiebus. „Superficiarias aedes appellamus quae in conducto solo positae sint, quarum proprietas et civili et naturali jure ejus est cujus et solum.“

(2) Der directe Beweis, daß der Superficiarius gar nicht Besitzer der Sache sey, wird unten (§. 23.) bey dem abgeleiteten Besitz geführt werden.

(3) bey Goesius p. 205. 206. In einer andern Stelle sagt er, der Pacht habe bald in Geld, bald in Früchten (gewöhnlich 1/5 oder 1/7 des Ertrags) bestanden, ib. p. 198. – Eine allgemeine Erwähnung findet sich auch bey Plinius epist. VII. 18.


(121) §. 9. Materieller Begriff des Besitzes.

den Vestalinnen verpachtet würden: die beiden ersten Arten, sagt er, würden gewöhnlich auf 5 Jahre, oder 100 Jahre, die beiden letzten auf 5 Jahre oder Ein Jahr in Pacht gegeben. – In den Pandekten ist aus leicht begreiflichen Ursachen nur noch von einem dieser 4 Fälle die Rede, von den Gütern der Städte nämlich, und zwar dabey mit einer etwas veränderten Terminologie: vectigales heißen sie nur, wenn sie in Erbpacht gegeben werden, außerdem non vectigales (1). Aber ganz allgemein, ohne Unterschied dieser beiden Fälle, wird dem Pachter eine Realklage gestattet (2).

B.) Emphyteusis.

Die erste Spur findet sich in den Pandekten (3). Das Recht selbst wird daselbst nicht angegeben, aber es wird ausdrücklich als jus

(1) L. 1. pr. si ager vect.

(2) L. 1. §. 1. L. 3. eod. Es ist sehr zweifelhaft, ob auch die übrigen Rechte des ager vectigalis dem Temporalpachter eingeräumt wurden. Den Worten nach scheint es nicht, weil überall blos vom ager vectigalis die Rede ist. Da aber die Realklage für beide Fälle galt, so glaube ich dasselbe auch von den übrigen Rechten, d. h. ich glaube, daß die engere Bedeutung von ager vectigalis nicht die gewöhnliche war, wofür auch die Stelle des Hygin zu beweisen scheint.

(3) L. 3. §. 4. de reb. eorum qui sub tut., cf. §. 5. eod.


(122) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

praedii behandelt und mit dem ususfructus zusammen gestellt.

Im Theodosischen und im Justinianischen Codex kommen die praedia emphyteutica schon sehr oft vor, aber Anfangs blos unter den Patrimonialgütern des princeps (1), und mit ausdrücklicher Unterscheidung von ager vectigalis (2).

Eine Constitution von Zeno nahm für die Errichtung der Emphyteusis eine eigene Art von Vertrag an (3), was uns hier nicht interessirt. Nur aus den allgemeinen Ausdrücken der Constitution erhellt, daß die Emphyteusis auch bey Privatgütern gewöhnlich geworden war, so wie aus der Interpretation der Constitution in den Institutionen (4), daß man einen Erbpacht darunter denken müsse. Von dem Recht an der Sache ist gar nicht die Rede.

Justinian hat dieses Recht bestimmt: zwar nur beyläufig, aber doch so deutlich, daß kein Zweifel darüber seyn kann. Er will, daß die (neue) Emphyteusis ganz die Rechte haben

(1) I. Gothofred. paratit. Cod. Theod. X. 3.

(2) L. 13. C. de praediis et al. reb. minorum.

(3) L. 1. C. de jure emph.

(4) §. 3. I. de locat.


(123) §. 9. Materieller Begriff des Besitzes.

soll, welche der (alte) ager vectigalis gehabt hatte, d. h. daß jetzt bey dem Erbpacht (mag der Verpachter eine Stadt seyn oder nicht) dasselbe gelten soll, was vorher bey den (erblichen oder temporären) Pachtungen der Municipialgüter gegolten hatte (1).

Hält man diese Bestimmungen mit dem oben entwickelten Recht des ager vectigalis zusammen, so entsteht nun für beide, jetzt vereinigte Rechtsverhältnisse die Frage: ob sie als eine Art von Eigenthum (etwa wie Provincialgrundstücke), oder aber als jura in re betrachtet werden sollen, so wie die superficies. Ich halte jetzt diese zweyte Meinung für die richtige, denn die Römischen Juristen schreiben ausdrücklich diesem Erbpachter ein jus in fundo oder jus praedii zu (2), und in den Constitutionen wird er stets

(1) Inscriptio tit. 3. lib. 6. Digest. „Si ager vectigalis, id est emphyteuticarius, petatur.“ – L. 15. §. 1. qui satisdare cog. „Sed et qui vectigalem, id est emphyteuticum agrum possidet, possessor intelligitur.“ (Offenbar eine Interpolation von Tribonian). Damit ist aber gar nicht gesagt, daß Justinian diese Gleichstellung neu eingeführt habe: vielmehr ist es gar nicht unwahrscheinlich, daß sie bereits nach Gewohnheitsrecht galt, weil sonst Justinian schwerlich unterlassen haben würde, seine Neuerung in einer eigenen Constitution mit großem Pomp anzukündigen.

(2) L. 71. §. 5. 6. de leg. I. – L. 3. §. 4. de rebus eorum.


(124) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

vom dominus (dem Verpachter nämlich) unterschieden und demselben entgegengesetzt (1).

Nach dem bisher dargestellten Begriff des Besitzes dürfte also auch hier, wie bey der superficies, kein juristischer Besitz angenommen werden. Dennoch ist es hier anders, ein wahrer Besitz ist unläugbar (2), und diese scheinbare Inconsequenz kann erst weiter unten (§. 12 a.) aufgelöst werden (3).

(1) L. 1. 2. 3. C. de jure emph. – L. 2. C. de mancip. et col. In einer andern Stelle zwar (L. 12. C. de fundis patr.) scheint der Erbpachter dominus genannt zu werden; allein in der That spricht diese Stelle von einem Fall, worin der Erbpachter zu seinem bisherigen jus in re das wahre dominium noch dazu erwirbt. Thibaut Abhandlungen S. 274. 281.

(2) L. 25. §. 1. de usuris, s. u. §. 22 a.

(3) Um diese Inconsequenz, deren richtige Auflösung ich nun zu kennen glaube, zu vermeiden, nahm ich in der zweyten Ausgabe die Meinung an, daß der Erbpachter als bonitarischer Eigenthümer anzusehen sey. Ich führte zur Unterstützung an, daß der Erbpachter manche wichtige Rechte vor dem Usufructuar voraus habe: allein aus dieser verschiedenen Ausdehnung beider Rechte folgt noch keinesweges die Ungleichartigkeit derselben. Eben so wenig beweist der Ausdruck der L. 1. pr. de condict. trit. „Quare fundum quoque per hanc actionem petimus, etsi vectigalis sit.“ Eben so gebraucht nämlich L. 12. §. 1. quib. modis pign. vom Pfandgläubiger die Ausdrücke rem persequi und vindicatio rei, obgleich doch niemand läugnen wird, daß das Pfandrecht ein bloßes jus in re ist. Bey beiden Rechten scheint dieser Sprachgebrauch sogar einen und denselben Grund zu haben, nämlich die mit diesen Arten von jus


(125) §. 9. Materieller Begriff des Besitzes.

6. Das Pfandrecht endlich kann nur deswegen hier genannt werden, weil auch daraus eine Realklage entsteht. Allein ungeachtet dieser Klage kann doch auf keine Weise der Gläubiger als Eigenthümer betrachtet werden, vielmehr erkennt er das fremde Eigenthum nothwendig an. Folglich ist hier animus domini unmöglich, also auch Besitz, in so weit der Begriff desselben bisher entwickelt worden ist.

Nach der bisher gegebenen Bestimmung des Begriffs gilt derjenige als Besitzer, welcher die Detention um sein selbst willen haben will, aber nicht, wer sie für einen andern ausübt. Im letzten Fall gilt vielmehr (was hier nur vorläufig bemerkt werden kann) derjenige als Besitzer, für welchen das Eigenthum ausgeübt wird. Allein der Besitz wird als Recht betrachtet (§. 5.), und ist insofern einer Veräußerung fähig. Deswegen kann eben in jenem Fall der eigentliche, ursprüngliche Besitzer das Recht des Besitzes auf den übertragen, welcher für

in re verknüpfte corporis possessio. Der Ususfructus hat eine solche possessio nicht, und darum wird bey ihm nie von einer rei, sondern nur von einer juris petitio, persecutio, vindicatio gesprochen. – Ueber die juristische Natur der Emphyteuse ist nun vorzüglich zu bemerken: Thibaut Abhandlungen Num. XI. Der Hauptinhalt dieser Abhandlung aber ist von ihm schon früher mitgetheilt worden: Hallische A. L. Z. Ergänzungsblätter 1806. B. 2. Num. 144. S. 530.


(126) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

ihn das Eigenthum ausübt, also nach den bisherigen Begriffen nicht als Besitzer zu betrachten wäre. Es giebt also außer dem ursprünglichen Besitz, welcher auf Detention und animus domini beruhet, noch einen abgeleiteten, welcher sich auf den ursprünglichen Besitz einer andern Person gründet. Aller Unterschied dieses abgeleiteten Besitzes von dem ursprünglichen, dessen Begriff bereits erörtert ist, liegt in dem animus possidendi und in der Detention sind beide ganz gleich. Der animus possidendi nämlich, welcher bey dem ursprünglichen Besitz als animus domini gedacht werden mußte, geht bey dem abgeleiteten auf das von dem bisherigen Besitzer übertragene jus possessionis (1). So

(1) Es ist wohl zu bemerken, daß das charakteristische des abgeleiteten Besitzes bloß auf den animus possidendi geht, d. h. bloß auf Bestimmungen des Bewußtseyns der Person, welche diesen Besitz haben will. Es kommt also nur darauf an, daß diese Person den Besitz als von einem andern Besitzer übertragen betrachte: ob das Verhältniß, woraus er entstehen soll, rechtsgültig ist oder nicht, kann dabey gleichgültig seyn, so daß z. B. auch die an sich ungültige Verpfändung einer fremden Sache dem Pfandgläubiger die wahre possessio der Sache verschafft. Folglich ist auch hier nicht von einer Succession in den Besitz die Rede (s. o. S. 26. 27.). In allen Fällen dagegen, wo eine solche Succession wirklich statt findet (wie z. B. bey der accessio possessionis in der Usucapion) wird nicht auf das bloße Bewußtseyn des Besitzers, sondern auf das wirkliche Daseyn des juristischen Verhältnisses zwischen ihm und dem vorigen Besitzer gesehen.


(127) §. 9. Materieller Begriff des Besitzes.

hat z. B. der creditor den juristischen Besitz des Pfandes, obgleich er kein Eigenthum ausüben will, denn der Schuldner, der den vollen Besitz der Sache hatte, hat ihm mit der Detention zugleich das jus possessionis übertragen (1).

Der abgeleitete Besitz aber darf durchaus nicht so verstanden werden, als ob er in jedem Fall gelten könnte, in welchem ihn ein wirklicher Besitzer gelten lassen will: denn da in demselben eine Abweichung von dem ursprünglichen Begriff des Besitzes liegt, so kann er nur da angenommen werden, wo ihn das positive Recht ausdrücklich geltend machen will (2). Demnach ist dieser Begriff

(1) Das Folgenreiche dieser Ansicht liegt also darin, daß durch gewisse Rechtsverhältnisse derjenige, der einen anderen als den domini animus hat, dennoch wahrer Besitzer ist, und umgekehrt derjenige, der diesen domini animus wirklich hat, also eigentlich Besitzer seyn müßte, dennoch den Besitz entbehrt. Dieses Letzte müssen auch meine am Ende des §. angeführte Gegner anerkennen, indem auch sie Gewicht darauf legen, daß z. B. bey dem Precarium, der vorige Besitzer den Besitz freywillig aufgebe. Darin liegt also, daß ohne diesen Akt der Willkühr, folglich nach der reinen Natur des Verhältnisses, der Besitz bey ihm bleiben würde.

(2) Im Widerspruch damit wird neuerlich von Mehreren behauptet, das Besitzrecht könne willkührlich auch an jeden Pachter u. s. w. übertragen werden. Thibaut Archiv B. 18. S. 322. und Pandekten §. 208 der 8. Ausg. Vgl. auch unten §. 23. bey dem Pachtcontract. (Zus. der 6. Ausg.)


(128) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

hier noch als ein bloß formaler Begriff zu betrachten, welcher nur dadurch Realität erhalten kann, daß sich bestimmte Fälle nachweisen lassen, in welchen er anerkannt ist. In welchen Fällen aber ein abgeleiteter Besitz anzunehmen ist, d. h. in welchen Fällen angenommen werden muß, daß mit der Detention auch das jus possessionis übertragen sey, das wird bey dem Erwerb des Besitzes (Abschn. 2.) vollständig bestimmt werden. Nun ist also der allgemeinste Ausdruck für den materiellen Begriff des Besitzes dieser: es ist Detention, verbunden mit animus possidendi, und dieses Wort muß verschieden erklärt werden, je nachdem von einem ursprünglichen oder abgeleiteten Besitz die Rede ist: dort bezeichnet es den animus domini, hier die Absicht, das jus possessionis zu haben, was bisher einem Andern zukam (1). – Diese Eintheilung des Besitzes übrigens ist ja nicht so zu nehmen, als ob verschiedene Rechte des Besitzes dadurch bestimmt werden sollten: die Rechte sind völlig dieselben, und nur die Art des Erwerbs ist verschieden. Darum kann es ihr auch nicht zum Vorwurf gereichen, daß die Römischen Juristen keinen Namen

(1) So erklärt, ist es sehr gleichgültig, ob man sage, es sey animus possidendi, oder sibi possidendi, oder sibi habendi, was zum Wesen des Besitzes gehört. Diese Ausdrücke haben die Meisten viel zu sehr beschäftigt, als daß sie die Begriffe selbst hätten entwickeln können.


(129) §. 9. Materieller Begriff des Besitzes.

dafür haben: die Begriffe selbst liegen ohne Zweifel im Römischen Recht (1).

(1) Zachariä läugnet den abgeleiteten Besitz ganz ab (de poss. p. 6-9.) und sucht die Fälle, in welchen ich ihn annehme, auf andere Weise zu erklären: den Besitz des Pfandgläubigers durch Juris quasi possessio, den des Sequesters durch eine ficta possessio, ohne daß irgend ein animus possidendi vorhanden wäre, endlich die precaria possessio durch wahren animus domini, ganz wie bey einem revocablen Eigenthum. Das erste und dritte ist so handgreiflich falsch, daß es sich gar nicht der Mühe verlohnt, es ausführlich zu widerlegen. Das erste: denn die römischen Juristen sagen in so vielen Stellen von dem Creditor: possidet, possessionem habet etc. (s. besonders L. 35. §. 1. de pign. act.), und dieselben Juristen bemerken sehr sorgfältig bey dem Fructuar: in possessione est, non possidet. Das dritte: denn was hat denn der precario rogans nur z. B. vor dem Conductor voraus, wodurch bey jenem ein animus domini erklärbar wäre, den dieser unläugbar nicht haben kann? doch nicht gar die juristische possessio? diese ist ja eben das, was erst begreiflich gemacht werden soll. Also ist nur die Erklärung des zweyten Falls einiger Aufmerksamkeit werth. Wir wollen nun annehmen, Z. hätte alle drey Fälle so erklärt, d. h. er hätte in allen den abgeleiteten Besitz geläugnet, und ficta possessio (ohne allen animus) angenommen. Nun kann es mit dieser Entbehrlichkeit des animus doch nicht so strenge genommen seyn, denn wer von der Apprehension nichts weiß, oder gar ein Rasender, ein Kind (et)c. wird doch auch hier nicht Besitz erwerben sollen. Also wird es doch auch wieder auf animus possidendi ankommen, nur verschieden von animus domini. Dann aber ist es genau dasselbe, was ich abgeleiteten Besitz nenne. Denn daß dieser eine Abweichung vom ursprünglichen, reinen Begriff des


(130) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Jetzt wird es möglich seyn, die verschiedenen Begriffe von possessio, die in der Theorie des Besitzes von Bedeutung sind, (§. 7.), in einer Tabelle übersehen zu lassen, und zugleich die Anwendungen vorläufig anzudeuten, die in der Folge davon gemacht werden sollen.

Besitzes (also eine Fiction) enthalte, und daß er deswegen nur da gelten könne, wo ihn das positive Recht ausdrücklich anerkennt, habe ich schon in der ersten Ausgabe (S. 216.) gesagt und hier noch deutlicher wiederholt.


(131) §. 9. Materieller Begriff des Besitzes.

Possessio (im nichtjuristischen Sinn).

Possessio civilis.

Besitz einer usucapionfähigen (nicht gestohlnen [et]c.) Sache, mit bona fides und justa causa (1).

Possessio (ad Interdicta).

Possessio (im nichtjuristischen Sinn).

Possessio naturalis.

Aller abgeleitete Besitz, und zwar ist das bey dem Pfand und der Emphyteuse immer der Fall, bey depositum u. precarium zuweilen (siehe Abschn. 2.)

Aller ursprüngliche Besitz mit Detention und animus, aber ohne bona fides, oder ohne justa causa, oder an einer gestohlenen (et)c. Sache (s. Abschn. 2.)

Detention eines Rechtlosen, oder an einer res extra commercium (s. u. in dies. §.)

eines Rasenden oder eines Kindes (Abschn. 2.)

an einer Sache, die ein Anderer noch besitzt. (§. 11.)

dessen, der bloß eines Andern Besitz auszuüben den Auftrag hat. (Abs. 2.)

des Pachters, Commodatars, Fructuars (et)c. (Abschn. 2.)

des missus in possessionem, außer wo ein secundum decretum vorkommt. (Abschn. 2.)

bey dem depositum und precarium zuweilen. (Abschn. 2.)

Possessio naturalis (esse in possessione, tenere, corporaliter possidere, non possidere).

(1) Alle diese Bestimmungen passen auch auf den Eigenthümer selbst, der die Usucapion gar nicht nöthig hat: ist


(132) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Aus dem Begriff des Besitzes, der jetzt vollständig dargestellt ist, folgt unmittelbar, daß theils gewisse Sachen in keinem Besitz seyn, theils auch gewisse Menschen keinen Besitz haben können: diese Fälle, die weder ein großes practisches Interesse haben, noch über die Natur des Besitzes neuen Aufschluß geben können, sollen hier noch kurz angegeben werden (1).

seine possessio auch civilis? sie ist es in dem Sinn, daß sie alle Bestimmungen hat, die zu der possessio civilis nöthig sind, sie ist es nicht, indem sich kein Fall denken läßt, in welchem der Eigenthümer dabey interessirt wäre, eine civilis possessio zu haben. Also die juristische possessio, d. h. den Interdictenbesitz, hat er auf jeden Fall, auch ist sein Besitz auf keine Weise schlechter als der des Usucapionsbesitzers. – Zasius (in L. 3. §. ex pluribus. de poss. p. m. 105.), und nach ihm mehrere Juristen, nennen des Eigenthümers Besitz possessio causalis, (wie ususfructus causalis): der Ausdruck ist ganz passend, nur hüte man sich, ein jus possessionis dabey zu denken, was von irgend einem andern verschieden wäre. Practisch ist gar kein Unterschied. – (Zus. der 6. Ausg.) Eben so gehört unter die civilis possessio auch der Besitz eines Provinzialgrundstücks, wenngleich darauf nur die longi temporis praescriptio, nicht die Usucapion, gegründet werden kann; denn hier beruht die Unmöglichkeit der Usucapion nicht auf einem besondern Verbot für diese, sondern auf dem fehlenden commercium überhaupt. S. o. §. 2. 7. S. 7. 62. Daher thut mir Thibaut Unrecht, wenn er sagt, nach meiner Meinung fehle neben dem wahren Eigenthum und neben der l. t. praescr. die civilis possessio, weil in beiden Fällen die Usucapion nicht vorkomme. (Archiv XVIII., 330. 332. 341.)

(1) sie gehören hierher, und nicht zum Erwerb des Besitzes, wo sie gewöhnlich abgehandelt werden, denn es ist etwas ganz


(133) §. 9. Materieller Begriff des Besitzes.

Gegenstand des Besitzes kann alles das nicht seyn, was nicht in commercio ist, und wovon wir dieses wissen. Denn nun ist der animus domini nicht bloß unrechtlich, was er auch bey fremden Sachen ist, die wir dennoch wissentlich im Besitz haben können: sondern alle Beziehung auf Usucapion und Interdicte, die außerdem ein Recht des Besitzes, unabhängig vom Eigenthum, produzirt, fällt hier weg.

Darum konnte bey den Römern erstens kein freyer Mensch besessen werden, wenn der Andere wußte, daß er frey sey (1): dagegen war dieser Besitz möglich, wenn man den Freyen für einen Sclaven hielt (2). Durch Freylassung wurde folglich der Besitz nothwendig verloren (3).

Zweytens sind alle res publicae und communes

anderes, den Besitz nicht erwerben, oder nicht haben können. Ein Rasender ist bloß des Erwerbs unfähig, ein Sclave des Besitzes selbst, darum wird der Besitz verloren, wenn der Besitzer die Freyheit, aber nicht, wenn er den Verstand verliert.

(1) „Item quaero, si vinxero liberum hominem, ita ut eum possideam: an omnia quae is possidebat, ego possideam per illum? Respondit, si vinxeris hominem liberum, eum te possidere non puto ... “ L. 23. §. 2. de poss.

(2) §. 4. I. per quas personas. – L. 1. §. 6. de poss. Die malae fidei possessio also, von welcher da die Rede ist, geht auf den Fall, wenn man glaubt, es sey ein fremder Sclave, nicht wenn man weiß, daß er frey ist.

(3) L. 30. §. 4. L. 38. pr. de poss.


(134) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

auf gleiche Weise von dem Besitz ausgeschlossen: es ist unmöglich, den Besitz einer solchen Sache zu erwerben, und jeder Besitz wird verloren, wenn die Sache in ein solches Verhältniß kommt. So hört der Besitz eines Grundstücks auf, wenn es vom Meer oder von einem Flusse nicht etwa bloß überschwemmt, sondern bleibend occupirt wird (1).

Drittens war Besitz unmöglich, wenn die Sache als res sacra oder religiosa dem Privateigenthum entzogen war, welcher Fall ausdrücklich mit dem Besitz eines freyen Menschen verglichen wird: auch hier kam es also darauf an, ob der, welcher die Detention hatte, dieses juristische Verhältniß der Sache kannte, nicht ob er es respectiren wollte (2).

Wie diese Sachen nicht besessen werden können, weil sie überhaupt nicht im Eigenthum sind, so sind auch die Menschen des Besitzes unfähig, welche kein Eigenthum haben können: doch ist hier das Eigenthum nicht in dem strengen Sinn des Römischen Civilrechts (für justum dominium) zu nehmen, denn auch wer die Civität

(1) „Labeo et Nerva responderunt, desinere me possidere eum locum, quem flumen aut mare occupaverit.“ L. 3. §. 17. de poss., add. et L. 30. §. 3. eod.

(2) „locum religiosum aut sacrum non possumus possidere, etsi contemnamus religionem, et pro privato eum teneamus: sicut hominem liberum.“ L. 30. §. 1. de poss.


(135) §. 9. Materieller Begriff des Besitzes.

nicht hatte, konnte ohne Zweifel das Recht des Besitzes genießen. Es gehören also hierher alle die, welche im Privatrecht als rechtlos betrachtet werden, also Kinder in väterlicher Gewalt und Sclaven.

1. Wer in väterlicher Gewalt ist (filius familias), kann nicht Besitzer seyn (1).

Dieser Satz gründet sich offenbar auf die allgemeinere Regel, daß der Sohn überhaupt kein Vermögensrecht haben könne: eben deshalb konnte er bey dem castrense peculium (und eben so bey dem quasi castrense) nicht gelten (2). Da aber durch die neuern Peculien das, was bey diesem als Ausnahme galt, Regel geworden ist, so ist nun jeder filiusfamilias des Besitzes fähig, ja wenn der Vater an dem sogenannten peculium adventitium, wie gewöhnlich den ususfructus hat, so ist der Sohn der wahre Besitzer, und der Vater besitzt, wie jeder fructuarius (Abschn. 2.), im Namen des

(1) L. 49. §. 1., L. 30. §. 3. de poss. – L. 93. de R. I. – Wenn der Vater in der Gefangenschaft ist, so ist der Besitz des Sohnes in pendenti (L. 44. §. 7. de usurp.) und das ist ganz der Analogie gemäß: aber etwas besonderes scheint es zu seyn, daß der paterfamilias, der sich für einen filiusfamilias hält, dennoch besitzen kann (L. 44. §. 4. eod.)

(2) „Filiusfamilias ... in castris adquisitum usucapiet.“ L. 4. §. 1. de usurp.


(136) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Sohnes (1). An dem s. g. peculium profectitium hat freylich noch jetzt der Sohn weder Eigenthum noch Besitz: aber da bey jedem Verwalter eines fremden Vermögens dasselbe gilt, so läßt sich eine persönliche Unfähigkeit des filiusfamilias zum Besitz auf keine Weise mehr behaupten.

2. Sclaven sind eben so des juristischen Besitzes unfähig (2), und das ist sehr natürlich, da sie überhaupt keine Rechte haben. Auffallender ist es, daß selbst freie Menschen, wenn sie von Andern als Sclaven besessen werden, keinen Besitz haben können (3). Eigenthum kann in diesem Zustand nicht nur erhalten, sondern sogar erworben werden (4), und es zeigt sich also hier ein merkwürdiger Unterschied zwischen dem Erwerb des Eigenthums und des Besitzes (5). Der Grund dieses Unterschieds liegt darin: um Eigenthum haben zu können, ist

(1) Glossa in L. 49. §. 1. de poss., wo diese Bestimmung genau und richtig angegeben ist.

(2) L. 49. §. 1. L. 30. §. 3. de poss. – L. 24. eod.

(3) „ ... cum possideatur, possidere non videtur.“ L. 118. de R. I. cf. L. 1. §. 6. de poss.

(4) Ulpianus in fragm. tit. 19. §. 21. – §. 4. 1. per quas pers. – L. 19. L. 23. §. 2. L. 54. §. 4. de adquir. rer. dom.

(5) Deswegen kann man selbst in den Fällen „ubi per possessionem dominium quaeritur“ nicht allgemein schließen, daß Besitz vorhanden sey, wenn Eigenthum erworben ist, und deswegen ist selbst da der Erwerb des Eigenthums und des Besitzes nur in der Form der erwerbenden


(137) §. 9. Materieller Begriff des Besitzes.

die bloße Existenz der juristischen Eigenschaften hinreichend, welche in der Person des Eigenthümers vorausgesetzt werden, selbst wenn niemand darum weiß, aber Ausübung des Eigenthums, als eines Rechts, setzt einen Zustand voraus, in welchem freie Handlungen möglich sind. Darum ist der Freie, der als Sclave besessen wird, in Beziehung auf Eigenthum, von jedem Freien überhaupt, in Beziehung auf den Besitz aber von jedem Sclaven gar nicht unterschieden.

3. Dasselbe Verhältniß, wie bey dem eigentlichen Sclaven, findet sich bey Kriegsgefangenen (1), so wie bey denen, die als Folge einer öffentlichen Strafe ihre Freiheit verloren (z. B. durch damnatio in metallum). Beide waren ihrem persönlichen Zustand nach Sclaven, obgleich sie keinen Herrn hatten. Alle diese Verhältnisse sind uns völlig fremd.

Handlung völlig gleich (s. o. §. 3. num. 1.). Wenk de traditione etc. p. 21. hat diesen sehr natürlichen Unterschied zwischen der persönlichen Fähigkeit des Erwerbers und der Form des Erwerbs übersehen, und mir darum eine Inconsequenz Schuld gegeben, die in der That nicht vorhanden ist.

(1) L. 19. ex quib. causis maj. – L. 23 §. 1. de poss. – L. 15. pr. de usurp. – Auch gilt hier natürlich weder postliminium, noch die fictio Legis Corneliae. – Inwiefern juristische Repräsentation in diesem allen eine Aenderung bewirken könne, wird im 2n Abschn. vorkommen.


(138) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

(Zusatz der 6ten Ausgabe.) Die in diesem §. vorgetragenen Lehren von dem animus domini als regelmäßiger Bedingung des Besitzes, und von dem abgeleiteten Besitz, haben neuerlich vielfachen Widerspruch erfahren. Um mich darüber kürzer und deutlicher erklären zu können, will ich einige Betrachtungen vorausschicken, die nicht sowohl dazu bestimmt sind, meine Meinung zu vertheidigen, als vielmehr die hier vorkommenden Fragen und den Sitz der Schwierigkeiten genauer anzugeben.

In Beziehung auf die der Detention zum Grunde liegende Absicht lassen sich zunächst folgende Vier Klassen von Personen unterscheiden.

1. Der wirkliche und der vermeintliche Eigenthümer, ferner der Dieb, und der, welcher durch Dejection die Detention eines Grundstücks erlangt hat.

2. Der, welcher die Detention auf ein jus in re gründet. Als Repräsentanten dieser Klasse will ich der Kürze wegen stets den Fructuar nennen.

3. Der, welcher die Detention aus einem contractlichen Verhältniß, aber um seines eigenen Vortheils willen hat. Als Repräsentant der Klasse soll der Miether dienen.

4. Der, welcher blos in fremdem Dienste den Besitz verwaltet. Wir wollen ihn den Procurator nennen.

Der Fall der ersten Klasse ist unbedenklich. Denn in diesem Fall ist der wahre animus domini vorhanden,


(139) §. 9. Mater. Begr. d. Besitzes. (Zus. d. 6. Ausg.)

und so sehr auch neuerlich die Nothwendigkeit desselben zum Besitz bestritten worden ist, so hat doch Niemand dessen Zulänglichkeit bezweifelt. Auch nach den Quellen ist hier gewiß stets Besitz anzunehmen.

Eben so wenig Schwierigkeit macht der vierte Fall. Nach den Quellen ist gewiß kein Besitz anzunehmen, auch ist dazu kein Bedürfniß vorhanden, indem der Procurator gar keinen eigenen Zweck zu vertheidigen hat, also im wahren Sinn des Worts alieno nomine, d. h. für fremde Zwecke, besitzt. Es bleiben also noch die Fälle der zwey mittleren Klassen übrig, welche darin übereinkommen, daß der Inhaber der Detention seinen eigenen Zweck verfolgt.

Bey dem Fructuar nun (zweyte Klasse) ist in den Rechtsquellen kein Zweifel. Den Sachbesitz hat ausschließend der Eigenthümer, und dafür ist der Fructuar nur wie ein Verwalter anzusehen. Dagegen hat der Fructuar eine besondere quasipossessio, gleichfalls durch Interdicte geschützt. Die Interdicte beider Theile verhalten sich zu einander, wie ihre in rem actiones. Der Interdictenschutz des Fructuars gründet sich auf ein practisches Bedürfniß. Denn es kann geschehen, daß der Fructuar außer Stand ist, den Schutz des Eigenthümers contractlich anzurufen, theils weil der Ususfructus durch longa possessio entstanden seyn kann, theils weil vielleicht das Eigenthum durch Veräußerung oder Usucapion


(140) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

in andere Hände gekommen ist, wodurch aber das Recht des Fructuars nicht vermindert werden kann. Der Fructuar würde nun gegen Gewalt als solche ganz schutzlos seyn, wenn man ihm nicht eigene Interdicte gestattete. Durch jene Behandlung aber ist jedes wirkliche Bedürfniß befriedigt, und doch zugleich der Grundsatz: Duo in solidum possidere non possunt unversehrt erhalten. Nur muß man sich diesen Grundsatz nicht wie ein Product der Willkühr denken, welches mit blinder Nothwendigkeit in die Lebensverhältnisse hemmend eingriffe. Er ist vielmehr nur der Ausdruck des richtigen Gefühls, daß durch den gleichartigen Besitz Mehrerer in solidum die Besitzverhältnisse zeckwidrig verwirrt werden müßten, und daß die factische Sicherheit, worauf der ganze Besitzesschutz berechnet ist, dadurch nur gestört werden könnte.

Endlich bey dem Miether (dritte Klasse) sind wiederum die Aussprüche der Quellen ganz klar. Der Vermiether hat stets die possessio mit den Interdicten, der Miether hat sie gewiß nicht, sondern er ist lediglich wie ein Verwalter des fremden Besitzes anzusehen. Die praktische Behandlung unterscheidet sich also von der des vorigen Falls nur durch die Abwesenheit der quasipossessio. Dem Vermiether den Besitz zu entziehen, war hier noch weniger Grund vorhanden, als bey dem Fructuar. Für eine quasipossessio des Miethers fehlt


(141) §. 9. Mater. Begr. d. Besitzes. (Zus. d. 6. Ausg.)

es an einem selbstständigen Rechtsverhältniß, woran diese consequent angeknüpft werden könnte. Hauptsächlich aber ist kein praktisches Bedürfniß einer künstlicheren Behandlung vorhanden, da der Miether stets eine Contractsklage hat, wodurch er den Schutz des Vermiethers in Anspruch nehmen kann. Wenn aber der Vermiether durch Veräußerung oder Usucapion das Eigenthum verliert, so hört ohnehin alles Recht des Miethers in Beziehung auf die gemiethete Sache auf, es ist also auch keine Veranlassung mehr da, einen Besitz für ihn zu schützen; er hat jetzt überhaupt nur noch eine Contractsklage auf Entschädigung gegen den Vermiether, die ihm aber auch für jedes wirkliche Interesse hinreicht.

Betrachtet man die bisher dargestellten Fälle, welche gar nicht Gegenstand eines Streites sind, in ihrem Zusammenhang, so ist darin eben so viel wissenschaftliche Consequenz als Sinn für das practische Bedürfniß wahrzunehmen. Alles erkärt sich darin einfach und leicht aus der Voraussetzung des animus domini, und wären überhaupt nur solche Fälle vorhanden, so würde über die ganze Frage schwerlich jemals ein Streit entstanden seyn. Auch die Annahme der quasipossessio macht jene Voraussetzung um Nichts zweifelhafter. Bey ihr ist natürlich der animus domini zu denken als der Wille des Besitzers, diesen ususfructus als ihm gehörend


(142) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

auszuüben, also ohne einen in Beziehung auf den ususfructus besser Berechtigten über sich anzuerkennen.

Nun haben wir aber Vier einzelne Fälle, die mit der bisher entwickelten Regel nicht übereinstimmen: Erbpacht und Faustpfand immer, Precarium und Sequestration zuweilen (1). Nach jener Regel müßte die possessio in allen diesen Fällen nicht mit der Detention, sondern mit dem Eigenthum verbunden seyn: dagegen müßte die Detention in den zwey ersten Fällen durch quasipossessio geschützt seyn, in den zwey letzten nicht. So verhält es sich aber in der That nicht: vielmehr findet sich hier die possessio stets mit der Detention vereinigt, und der Eigenthümer hat gar keinen Besitzesschutz. Deshalb habe ich diese Fälle von jeher als Anomalien betrachtet, und mit dem gemeinschaftlichen Namen des abgeleiteten Besitzes bezeichnet. Das Anomalische aber liegt mir nicht blos in dem Daseyn des Besitzes, da wo der animus domini fehlt, sondern auch, und viel

(1) Ich sage Vier Fälle, obgleich auch darüber Streit ist; allein durch einen Fall mehr oder weniger wird die Natur der Frage und der Schwierigkeit im Allgemeinen nicht verändert. So will Einer meiner Gegner auch noch dem Superficiar die possessio beylegen (Schröter p. 244), ein Anderer will nicht zugeben, daß der Emphyteuta und der Sequester dieselbe haben (Bartels p. 200. 205), ein Dritter will dem Sequester nicht einmal den Aufenthalt im Gebiet des materiellen Rechts gestatten, sondern verweist ihn ohne Weiteres in den Prozeß (Sintenis p. 250).


(143) §. 9. Mater. Begr. d. Besitzes. (Zus. d. 6. Ausg.)

mehr, in dem Mangel des Besitzes, da wo jener animus wirklich vorhanden ist, nämlich bey dem, der es weiß, daß er unbestritten Eigenthümer ist, und der hier eben so gut durch einen Stellvertreter seine possessio erhalten könnte, wie er es im Fall des Miethvertrages unstreitig thut (1). Ich wählte den Ausdruck des abgeleiteten Besitzes, um eben diese stärkste Abweichung von dem regelmäßigen Verhältniß hervorzuheben, welche darin besteht, daß die possessio von dem, welcher sie regelmäßig haben müßte, (durch seinen eigenen Willen) hinweggenommen, und einem Andern beigelegt wird. Dieses nannte ich die Uebertragung des Besitzes; ein Ausdruck, der leicht so verstanden werden konnte, als meinte ich damit eine juristische Succession, gegen welches Mißverständniß ich jedoch seit der zweyten Ausgabe meines Buchs beständig gewarnt habe (2).

Wie sind nun diese Abweichungen von dem regelmäßigen Besitzverhältniß zu erklären? Bey dem Pfandgläubiger

(1) Hierin scheinen mir meine Gegner ganz inconsequent zu verfahren. Denn auch diejenigen, welche den animus domini nicht für nöthig halten zur possessio, erklären ihn doch, da wo er ist, für völlig hinreichend. Hier findet sich nun der animus domini ohne possessio, und doch soll die Behandlung dieser Fälle keine Anomalie seyn!

(2) Zweyte Ausgabe S. 111. in der Note. – Ungeachtet dieser ausdrücklichen Verwahrung scheint dieses Mißverständniß von Anderen als Bestandtheil meiner Meinung angesehen zu werden.


(144) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

und dem Sequester höchst einfach aus dem praktischen Zweck beider Rechtsinstitute, welcher es gerade erforderte, dem Eigenthümer die Interdicte zu entziehen. Es war also ganz natürlich, hier die wissenschaftliche Consequenz dem praktischen Bedürfniß nachzusetzen, und wir finden uns durch diese Erklärung völlig befriedigt. Nicht so bey der Emphyteuse und dem Precarium. Bey der Emphyteuse erklärt der größere Umfang der Rechte in Vergleichung mit den Rechten des Fructuars gar Nichts, denn was kann hier das Mehr oder Weniger bewirken, da ja die Annahme einer quasipossessio auch hier alle Interessen völlig befriedigt hätte? Noch weniger hat ein innerer Erklärungsgrund bey dem Precarium bis jetzt gelingen wollen. Für beide Rechtsinstitute habe ich eine historische Erklärung versucht, der es, wie ich glaube, an innerer Wahrscheinlichkeit nicht fehlt. Wer aber auch diese Wahrscheinlichkeit nicht anerkennt, müßte, wie ich glaube, die Thatsache dieser beiden Anomalien einräumen, und nur auf deren Erklärung verzichten.

Nach diesen allgemeinen Betrachtungen wende ich mich zu der Geschichte des Krieges, welcher auf diesem kleinen Gebiete neuerlich mit vieler Lebhaftigkeit geführt worden ist.

Zuerst hat sich Roßhirt gegen den Namen des abgeleiteten Besitzes erklärt (1). Er glaubt, man müsse

(1) Roßhirt zu d. Lehre v. Besitz, Archiv B. 8. Num. I. 1825. p. 9-11.


(145) §. 9. Mater. Begr. d. Besitzes. (Zus. d. 6. Ausg.)

jene Vier Fälle als abnorme Zustände anerkennen, für welche eine Generalisirung nicht möglich sey, dabey aber jeden Kunstausdruck vermeiden. Mit ihm streite ich nicht, da er nicht zu meinen Gegnern gehört. Denn darüber, daß er einen Ausdruck verwirft, den ich fortwährend für angemessen und zweckmäßig halte, will ich kein Wort verlieren.

Andere weichen von meiner Ansicht darin wesentlich ab, daß sie die anomalische Natur jener Vier Fälle verwerfen, sie vielmehr als regelmäßige darzustellen suchen.

Schröter thut dieses auf die Weise, daß er, übereinstimmend mit mir, den animus domini allgemein für nöthig zum Besitz hält, zugleich aber diesen animus in jenen Vier Fällen, ja sogar noch in einem fünften, bey dem Superficiar, nachzuweisen sucht (1). Bey der Emphyteuse und Superficies geschieht dieses durch eine sehr imposante Aufzählung der Rechte der Inhaber, in Vergleichung mit den beschränkten Nutzungsbefugnissen des Fructuars (p. 237 fg. 244 fg. 255). Aber ich muß wiederum fragen, was vermag hier das Mehr oder Weniger, und wo ist die Grenze? Ferner: aus welchem Grunde wird denn dem wirklichen Eigenthümer, dem doch auch Schröter nicht den animus domini abspricht,

(1) Schröter über den abgeleiteten Besitz, Zeitschrift von Linde B. 2. 1829. S. 233-269.


(146) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

alles Besitzrecht entzogen? Endlich: warum wird nicht, hier wie bey dem Ususfructus, das so consequente und praktisch befriedigende Verhältniß der quasipossessio zur Anwendung gebracht? – Eben so wird von dem Pfandgläubiger behauptet, er besitze ganz als wenn er ein Eigenthümer wäre (p. 255 fg.) (1). Allein, wenn man von dem ganz ungewissen und zufälligen Moment der Veräußerung absieht, ist kaum Jemand zu finden, der mit einem Eigenthümer weniger Aehnlichkeit hätte als der Pfandgläubiger, er der weder die Sache gebrauchen, noch ihre Früchte erwerben darf. – Endlich bey dem Precarium wird behauptet, der Eigenthümer habe den animus domini gestattet, bey dem Sequester, der Eigenthümer habe Auftrag gegeben, diesen animus zu hegen (p. 263-269). In Wahrheit heißt das aber doch nichts Anderes, als der Eigenthümer hat sein Besitzrecht einem Anderen übertragen, und es ist gewiß ein sehr gezwungener Ausdruck, daß das Gestatten oder der Auftrag auf ein Wollen gehen sollte, nicht auf Handlungen, worauf es doch allein paßt.

In der That stimmen die anderen Schriftsteller darin überein, daß Schröters Zurückführung der Vier Fälle auf einen vorhandenen animus domini ganz mißlungen sey, sie läugnen daher die Identität des animus possidendi

(1) Dieser Theil von Schröters Schrift wird stark angegriffen von Sintenis p. 421-435.


(147) §. 9. Mater. Begr. d. Besitzes. (Zus. d. 6. Ausg.)

mit animus domini, und suchen jenen Begriff auf eine umfassendere Weise zu bestimmen, damit er fähig werde, auch die Vier Fälle bequem in sich aufzunehmen.

Dieses geschieht von Warnkönig auf negative Weise, indem er behauptet, den animus possidendi habe ein Jeder, der nur nicht alieno nomine besitzen wolle (1). Allein hinter diesen Ausdruck versteckt sich so viel Zweydeutigkeit, daß eine befriedigende Erklärung ganz unmöglich wird. Denn bezieht man das alieno nomine auf den Zweck, so gilt es nur allein von dem Procurator, da schon der Miether den eignen Vortheil sucht. Bezieht man es auf den Mangel eines eignen Rechts an der Sache, so müßte der Fructuar suo nomine besitzen, also die possessio haben. Es bleibt also Nichts übrig, als durch das alieno nomine denjenigen auszuschließen, der das bessere Recht eines Andern anerkennt, was allerdings auch bey dem Fructuar der Fall ist. Dann würden aber wiederum die bekannten Vier Fälle ohne possessio seyn. Um sich gegen diesen Einwurf zu schützen, beruft sich W. bey dem Pfand, Precarium und Sequester darauf, daß der Eigenthümer den Besitz aufgeben und übertragen wolle (p.

(1) Warnkönig über die richtige Begriffsbestimmung des animus possidendi, Archiv B. 13. 1830. p. 169-180.


(148) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

175-177.). Allein das fällt ja ganz in meine Ansicht, und hat mit dem besonderen Wollen des Inhabers Nichts zu schaffen. Bey der Emphyteuse aber führt er an, dieser wolle doch mehr seyn, als ein bloßer Colonus (p. 178.). Das kann man doch gewiß auch von dem Fructuar sagen! Warnkönig selbst scheint das Unzulängliche seiner Erklärung zu fühlen, indem er zugiebt, der Nichtbesitz des Fructuars erkläre sich schwieriger als der des Colonus (p. 180.).

Guyet sagt, der animus possidendi bestehe in der Absicht, irgend ein rechtliches Verhältniß an der Sache auszuüben, was man nur ja nicht auf das Eigenthum beschränken dürfe (1). Daraus wird ohne Mühe die possessio bey dem Pfand und der Emphyteuse bewiesen. Der Besitz des Diebes wird erklärt aus der auf den juristischen Besitz, also ein rechtliches Verhältniß, gerichteten Absicht (Abh. p. 151. Wenn das nicht ein Zirkel ist so giebt es keinen). Das rechtliche Verhältniß müsse aber ein unmittelbares seyn, weshalb zwar der Emphyteuta besitze, aber nicht der Pächter (Ztschr. p. 373. 380.). Nun glaubt man, es liege in dem jus in re, aber nein, denn auch der Fructuar hat so wenig

(1) Guyet über den animus possidendi, Abhandlungen Heidelberg 1829. N. 6. p. 133-160. und: Noch einige Bemerkungen über den animus possidendi, Zeitschrift von Linde B. 4. 1831. p. 361-381.


(149) §. 9. Mater. Begr. d. Besitzes. (Zus. d. 6. Ausg.)

ein unmittelbares Verhältniß als der Miether (p. 3737.); bey beiden liegt der Grund ihres Nichtbesitzes in dem Wissen, daß ihr Verhältniß zu der Sache kein rechtliches ist (p. 374.). Da nun aber in der That diese Personen in einem höchst rechtlichen Verhältniß stehen, so kann das, was ihnen negirt wird, offenbar nur ein rechtliches Verhältniß in Beziehung auf den Besitz seyn. So besteht denn die ganze Lehre des Vfs. darin: den animus possidendi hat oder entbehrt Jeder, der ein rechtliches Besitz=Verhältniß haben oder nicht haben will; oder mit anderen Worten: der animus possidendi ist nichts Anderes als der animus possidendi. Dawider läßt sich in der That nicht streiten. Der Vf. scheint aber doch seiner eigenen Entdeckung nicht recht zu trauen, denn von dem Fructuar behauptet er einmal, dieser könnte doch wohl auch possessio haben, und wenn er sie nicht habe, so geschehe das nur wegen der vergänglichen Natur seines Rechts; im Grunde also sey der Unterschied zwischen ihm und dem Emphyteuta doch nur eine rein positive Bestimmung (p. 375.).

Bartels sagt, es komme Alles an, auf den animus rem sibi habendi (1). Der Fructuar wolle nicht rem, sondern jus in re haben, und nur eine partielle

(1) W. Bartels Zweifel gegen die Theorie vom abgeleiteten Besitz, Zeitschrift von Linde B. 6. 1833. S. 178-214.


(150) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Herrschaft über die Sache (p. 181. 200.). Dagegen gehe das Pfand auf das Ganze der Sache (p. 198.) [aber doch nur in einer höchst beschränkten Beziehung, nämlich nur um sie für einen noch ganz ungewissen Fall verkaufen zu können!]. Besonders weitläufig und mühsam wird ausgeführt, warum bey dem Precarium der wahre animus possidendi möglich sey, nämlich weil die blos factische Natur des Verhältnisses das alieno nomine ausschließe (p. 179-196.). Dagegen erleichtert der Verfasser die Sache ungemein dadurch, daß er dem Emphyteuta und dem Sequester die possessio ganz abspricht (p. 200. 205.), aus Gründen, die wohl Niemand überzeugend finden dürfte.

Sintenis endlich kommt eigentlich, ohne es deutlich zu sagen, wieder auf Roßhirts Ansicht zurück (1). Ursprünglich und zunächst, sagt er, komme es allerdings auf den animus domini an. Daneben aber gebe es doch auch einige Fälle der wahren possessio, wobey kein animus domini, sondern nur sibi habendi, wahrgenommen werde. Dabey finde sich stets ein Zweck im eigenen Interesse des Besitzers (p. 248-251.). Der Vf. scheint aber, eben so wie Roßhirt, diese Fälle als einzeln stehende Anomalien zu betrachten, da außerdem nicht

(1) Sintenis Beyträge zu der Lehre vom juristischen Besitz, Zeitschrift von Linde B. 7. 1834. S. 223-273. 414-436.


(151) §. 9. Materieller Begriff des Besitzes.

abzusehen wäre, warum nicht der Fructuar und der Miether eben so behandelt werden sollten, denen es doch auch an einem Zweck im eigenen Interesse gewiß nicht fehlt. In der That erklärt er auch die Natur des Pfandbesitzes, wie es recht ist, aus den eigenthümlichen Zwecken und Bedürfnissen dieses besonderen Geschäfts, folglich als eine praktisch begründete Anomalie (p. 414-418.). Und so läuft am Ende auch hier Alles auf eine entschiedene Protestation gegen die Benennung des abgeleiteten Besitzes hinaus (p. 225. 251.), die denn auf sich beruhen mag.

In allen diesen neueren Schriften ist also viele Mühe ohne Resultat, ja eigentlich ohne ein erhebliches Ziel, aufgewendet worden. In diesem Streite hat Thibaut meine Vertheidigung übernommen (1). Er meint, aus Liebe zum Absoluten und Einfachen hätten Einige einen animus domini herauskünsteln wollen, wo er nicht ist, Andere dagegen den animus tenendi breiter gemacht, um die abgeleitete possessio mit in den Grundbegriff bringen zu können, wodurch aber am Ende jeder animus, auch des Pachters und Miethers, mit umfaßt werde.

§. 10.

Nachdem der Begriff des Besitzes selbst von allen Seiten bestimmt worden ist, bleibt nur noch die historische

(1) Archiv B. 18. S. 327.


(152) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Frage zu beantworten übrig: wie die neuern Juristen diesen Begriff bestimmt haben.

Die Definitionen des Besitzes überhaupt, die sich in großer Anzahl finden, und worüber sehr viel gestritten worden ist, sind völlig unbedeutend (1): aller Streit dreht sich dabey um den Ausdruck, nicht der Römischen Juristen, sondern dieser Definitionen selbst.

Der entscheidende Punct, hier wie bey den Römischen Juristen, ist die Bestimmung von naturalis und civilis possessio, und darüber sollen jetzt die bedeutendsten Meinungen dargestellt werden. Eine besondere Widerlegung wird nur selten nöthig seyn, da fast überall nur Meynungen, ohne alle exegetische Deduction, anzutreffen sind, zu einer allgemeinen Kritik bloßer Meinungen aber schon die eigene Darstellung hinreicht, die oben (§. 7.) gegeben worden ist.

Die älteste Meinung, die wir aus den Schriften ihres Urhebers selbst kennen, ist von Placentin, und diese Meinung ist verständiger und consequenter, als die der meisten Neueren (2). Es giebt nur einen

(1) Drey der ältesten Definitionen, nämlich eine von Bassian und zwey verschiedene von Azo stehen in der Glosse (in L. 1. pr. de poss.) bey Azo selbst (summa in Cod., tit. de poss. num. 1. et 19.). und bey Odofred (in L. 1. de poss. pag. 52.).

(2) Placentini Summa in Cod. tit. de poss. (pag. 332. 333. ed. Mogunt. 1536. f.):


(153) §. 10. Literärgeschichte des Begriffs.

juristischen Besitz, sagt er, der aber verschiedene Wirkungen haben kann, indem er bald die Usucapion möglich macht (plena) bald nicht (semiplena): zu den Interdicten wird sein Daseyn immer erfordert. Die Bestimmungen seines Begriffs sind theils factisch (Detention) theils juristisch (animus): je nachdem nur die ersten, oder nur die zweyten, oder beide zugleich vorhanden sind, heißt er naturalis, civilis, naturalis simul et civilis: allein die bloße naturalis possessio ist, juristisch gesprochen, gar keine possessio, und wird dieser sogar entgegengesetzt, weil in der bloßen Detention, ohne animus, kein Besitz im Römischen Recht anerkannt wird: anders bey der civilis possessio, da in vielen

„Possessio distinguitur ita, alia civilis tantum, alia civilis et naturalis ... alia proprie et plene, ut ea quae proficit ad usucapionem, alia improprie et semiplene. – – Haec quoque profecto naturalis possessio in jure nostro non recte dicitur absolute possessio, sed est oppositio in adjecto. – Fieri enim potest, ut quis possideat et civiliter et naturaliter, et civiliter solummodo. Ut autem quis possideat tantum naturaliter, legibus subtiliter inspectis, et ad vivum consideratis, (ut reor) esse non potest. – Nam et fur, et praedo, et invasor et naturaliter possidet, et civiliter ... nam et colono interversori datur interdictum unde vi, quod profecto ei non competeret, nisi ... possideret. Civiliter solummodo quis possidet, puta saltus quos nullus alius detinet. – – Quippe possessio nonnisi una est, licet diversis modis habeatur, bonae fidei, malae fidei, juste, injuste, naturaliter, civiliter.“


(154) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Fällen der Besitz solo animo erhalten werden kann. – Diese ganze Ansicht ist ohne Zweifel sehr gründlich, und die Terminologie ist nur um deswillen unrichtig bestimmt, weil die Unterscheidung der possessio naturalis und civilis auf die (juristischen oder nichtjuristischen) materiellen Bestimmungen des Begriffs (vergl. §. 5. und §. 9.) und nicht auf die Wirkungen des Besitzes (§. 7.) bezogen ist. Die Anwendung auf das Einzelne ist weniger gelungen, als die Darstellung der Begriffe selbst. – Azo hat im Ganzen dieselbe Meinung (1), nur daß er keinen Besitz annimmt, der zugleich civilis und naturalis wäre, sondern das Wort civilis allein da gebraucht, wo auf eine bloße Fiction das Daseyn des Besitzes sich gründet, (ubi solo animo retinetur possessio) (2). Auch ist es bey Azo sichtbarer, daß die L. 10. C. de poss. die wahre Veranlassung dieser Meinung war, indem

(1) Summa in Cod. tit. de poss. num. 4. et 15., (fol. 134. 135. ed. 1537. f.) und: lectura in Cod., in L. 10. C. de poss. (p. 569. ed. 1577. f.)

(2) Dieselbe Meinung findet sich in einer ungedruckten Glosse des Rogerius zu L. 3. §. 5. de poss. (in einem Mspt. des Dig. novi zu Metz): „Sicuti ergo duo juste vel injuste naturaliter possidere non possunt in solidum, ita non potest esse ut corporaliter in totum unus juste alter injuste possideat. Ex civili autem id est ficta possessione et juste duos et injuste utrumque et unum juste et alterum injuste in solidum possidere continget, velut in re pignorata aut in emphyteosim inve feodum data si vel ambo bona vel uterque


(155) §. 10. Literärgeschichte des Begriffs.

man den Gegensatz, der in dieser Stelle enthalten ist (1), mit dem des factischen und bloß juristischen (fingirten) Besitzes und diesen wiederum mit dem der civilis und naturalis possessio verwechselte. – Diese Meinung scheint lange Zeit hindurch die herrschende gewesen zu seyn (2). Noch in Alciats und Duarens Schriften liegt sie zum Grunde (3), obgleich sie

mala vel unus mala alter vero bona fide possideat. R.“

(1) „Nemo ambigit, possessionis duplicem esse rationem: aliam, quae jure consistit“ (d. h. possessio civilis, die bloß juristisch fingirt wird) „aliam quae corpore“ (possessio naturalis, gegründet auf natürliche Detention.) – Die richtige Erklärung dieser Stelle wird im 12ten §. vorkommen.

(2) A. Faber de error. pragm. IV. 9. Menoch. de retinenda poss., remed. 3. num. 18. et 22 seqq. – Bey Menoch wird diese Erklärung nicht sowohl dargestellt und ausgeführt, als stillschweigend vorausgesetzt, und bey den vielen ältern Praktikern, die daselbst citirt werden, verhält es sich wahrscheinlich eben so.

(3) Alciatus in L. 115. de V. S. (opp. T. 2. p. m. 987.) et in L. 1. pr. de poss. (opp. T. 1. p. m. 1197.). – Duarenus in Disp. anniv. lib. 1. cap. 18. (p. 1385. ed. opp. 1584. f.): „Civiliter vero (possidet), qui quamvis rei non insistat, civilis juris interpretatione, eam tenere ac possidere intelligitur.“ Cf. Comm. 1. in tit. de poss. Cap. 1. et 4. (ibid. p. 816. 817. 818.) et Comm. 2. in tit. de poss. ad L. 1. pr. (ib. p. 820.). Die L. 10. C. de poss. wird hier ausdrücklich angeführt, und außer derselben auch Theophilus (in §. 5. I. de interdictis), dessen Stelle natürlich nicht die Veranlassung dieser Meinung seyn kann, weil er weder gekannt noch gebraucht war, als sie entstand (s. über diese Stelle Ferrettus in L. 10.


(156) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

in beiden von der andern Meinung nicht scharf genug unterschieden wird (s. u.). Merillius, der gleichfalls diese Erklärung annimmt, setzt sie mit einer Frage in Verbindung, die weiter unten vorkommen wird (1). – War die Fiction, auf die sich das Daseyn des Besitzes gründete, so groß, daß man mit einer bloßen civilis possessio nicht auszulangen glaubte, so nannten sie Viele seit Baldus: civilissima (2).

Eben so alt als jene Meinung scheint die andere zu seyn, welche den Sinn der Römischen Juristen richtiger angiebt, indem sie die ganze Unterscheidung der possessio civilis et naturalis auf die juristische Wirkung des Besitzes bezieht, unter civilis possessio also die Art des Besitzes versteht, welche vom Römischen Recht (in irgend einer Rücksicht) approbirt, also der naturalis vorgezogen wird. Sie findet sich nämlich bey Bassian (Ioannes), der mit Placentin und Azo zugleich lebte, und der Lehrer (dominus) des letzten war.

In dieser Meinung nun stimmen mit den Glossatoren, bey denen sie sich zuerst nachweisen läßt, alle neuere Juristen überein: aber es haben sich in ihr wieder drey

de poss. (in opp. T. 1. p. 611.). – Dieselbe Erklärung findet sich auch in Davy d’Argente notarum juris select. liber. Paris. 1615. 4. fol. 7.

(1) Merillii observ. lib. 2. cap. 31. 32. s. u. §. 11.

(2) Tiraquellus in tract. le mort saisit le vif, P. 1. declar. 7. num. 3.


(157) §. 10. Literärgeschichte des Begriffs.

Hauptparteien gebildet, die hier genau unterschieden werden müssen.

Die erste dieser drey Parteien, deren Meinung der Wahrheit am nächsten kommt, nennt nur den Besitz, der alle möglichen Wirkungen eines Besitzes überhaupt in sich vereinigt, possessio civilis: also den Besitz des Eigenthümers selbst sowohl als den Usucapionsbesitz. Possessio naturalis dagegen nennt sie den Besitz, dem etwas fehlt, d. h. bey welchem zwar die Interdicte möglich sind, aber nicht die Usucapion. Von beiden unterscheidet sie die bloße Detention (tenere, esse in possessione etc.), die gar nichts juristisches ist. – Das erste, was an dieser Erklärung zu loben ist, besteht darin, daß sie den Begriff der possessio civilis im allgemeinen (1) richtig bestimmt: ein zweyter und größerer Vorzug liegt in dem einfachen Begriff der juristischen possessio (§. 7. num. 3.), der hier, im Gegensatz der bloßen Detention, eben so richtig gedacht als

(1) Aber auch nur im allgemeinen, denn streng wird darauf nicht gehalten. So z. B. bezieht man häufig die possessio civilis bloß auf die justa causa in der Usucapion, und gebraucht folglich das Wort auch da, wo aus andern Gründen, z. B. wegen der mala fides, Usucapion gehindert ist. (Bartolus in L. 1. pr. de poss., num. 8.). Diese Unbestimmtheit war eine nothwendige Folge davon, daß man die Bedeutung der possessio civilis aus dem allgemeinen Sprachgebrauch abzuleiten versäumte.


(158) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

bezeichnet ist: deswegen sind die Schriften, worin diese Erklärung zum Grunde liegt, sicherer zu gebrauchen, als alle andere. Der einzige Fehler dieser Erklärung (denn die Fehler der Anwendung gehören nicht hierher) liegt in der unrichtigen Bedeutung, die sie der possessio naturalis giebt. – Folgende Schriftsteller sind hier vorzüglich zu bemerken:

Joannes Bassianus.

Odofredus in L. 3. §. 5. de poss. (fol. 56.) in L. 12. pr. eod. (fol. 58.) et in L. 3. pr. uti possidetis (fol. 101.).

Cuiacius in observ. Lib. 9. Cap. 33. (1569.).

Georg. Obrecht de possessione Cap. 3-5. (p. 524. Disp. collect. Ursell. 1603. 4.).

Scipio Gentilis de donat. inter vir. et uxor. Lib. 2. Cap. 30. (opp. T. 4. p. 297.).

Valentia in illustr. jur. tract., Lib. 1. Tract. 2. Cap. 3.

Ramos in tit. Dig. de poss., P. 1. §. 18. 19. (ap. Meermann. T. 7. p. 82.) (1).

(1) Obgleich er indessen hier diese Meinung als seine eigentliche vorträgt, so lenkt er doch §. 21. 22. etwas ein, indem er sagt, man könne den Widersprüchen der Quellen selbst und der Schriftsteller dadurch zu entgehen suchen, daß man außer dieser possessio naturalis noch eine zweyte Art annehme, die bloße Detention nämlich, was denn allerdings die richtige


(159) §. 10. Literärgeschichte des Begriffs.

Retes in tit. Dig. de poss. P. 1. C. 2. (ap. Meermann. T. 7. p. 458.).

Pothier Pandectae Iust. Lib. 41. Tit. 2. p. 121. – und: traité de la possession Chap. 1. Art. 2. p. 8-17.

Bassians Meinung kennen wir fast nur aus den untreuen und dürftigen Auszügen des Accurs, in welchen alle vorräthige Meinungen in der größten Verwirrung durch einander laufen, obgleich er selbst die des Bassian den übrigen vorzieht: aber die Anwendungen, in denen sie gelegentlich vorkommt, sind hinreichend, eine deutliche Vorstellung davon zu geben (1).

Nur dem wahren Eigenthümer, und dem, welcher usucapirt, wird possessio civilis zugeschrieben: der emphyteuta,

Ansicht ist. Er verdirbt aber und verdunkelt diese wieder durch den Zusatz, daß es sogar noch eine dritte (also von der zweyten verschiedene) gebe, nämlich quatenus ei corpore insistitur, verschieden von der poss. quae animo retinetur. Damit accomodirt er sich also wieder der Ansicht von Placentin und Azo.

(1) Glossa in L. 1. §. 3. de poss.: „Non ergo omnis detentatio est possessio, sed triplex est: nam alia civilis, alia naturalis, in quarum utraque quaerenda duo exiguntur“ (nämlich factum und animus: diese gelten also allein als juristische possessio): „alia detentatio: ut hic: qualem etiam habet colonus.“ – Glossa in L. 3. §. 5. de poss.: Diese Stelle enthält alle die Anwendungen, von welchen hier Gebrauch gemacht wird, und führt sie ausdrücklich als Bassians Meinungen an.


(160) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

der fructuarius, der Vasall haben possessio naturalis, und eben so der praedo, der ohne Titel einen fremden Besitz occupirt: der Pachter (et)c. hat gar keinen Besitz, sondern bloße Detention. Hieraus erklärt sich der Streit, welchen Bassian mit Placentin und Azo darüber führte (1), ob die possessio civilis und naturalis verschiedene Arten des Besitzes seyen, oder ob es nur einen Besitz gebe: das erste mußte Bassian behaupten, das letzte Placentin und Azo, weil nur von jenem, nicht aber von diesen die ganze Distinction auf verschiedene Rechte des Besitzes bezogen wurde. – Die fernere Geschichte von Bassians Meinung ist sehr merkwürdig. Zuerst hat Bartolus eine ganz unscheinbare Aenderung damit vorgenommen, in der That aber einen sehr großen Irrthum dadurch herbeygeführt (2).

(1) Glossa in L. 1. pr. de poss.: „ ... non duae sunt (possessiones) sed una secundum Placentinum et Azonem. At Joannes et alii dicunt duas esse ... quod est tutius.“ – Azo in lectura in L. 10. C. de poss.: „Et est hoc notandum, quod quidam dicunt, et dominus meus dixit quandoque, quod diversae sunt possessiones, sc. civilis et naturalis, sed contra est.“ – Odofred. in L. 1. de poss. (f. 52.) et in L. 4. C. de eod. (f. 105. 106.).

(2) Bartolus in Digestum Novum, L. 1. pr. de poss., num. 7-13. – Daß er etwas neues sagen will, zeigt nicht nur die ausführliche Darstellung, sondern auch die Art, wie er darauf aufmerksam macht: „Adverte ergo ad me. Mihi videtur, quod antiqui et moderni DD. multum deviarunt


(161) §. 10. Literärgeschichte des Begriffs.

Er hielt es wahrscheinlich für unanständig, daß der bloße praedo ganz dieselbe possessio (naturalis) haben sollte, wie der Vasall und andere rechtliche Leute: deswegen nahm er außer der possessio civilis und naturalis, noch eine dritte wahre possessio (unterschieden von der bloßen Detention) an, die er corporalis nannte, und nur dem praedo zuschrieb. Nun bezog er die possessio civilis auf das Eigenthum, durch dessen justa adquisitionis causa sie begründet werde, die possessio naturalis ganz eben so auf die jura in re, und unterschied von beiden die possessio corporalis, d. h. den Besitz, welchem aller Rechtstitel fehlt. Indem aber bey dieser Eintheilung auf die Existenz und Qualität eines Rechts gesehen wird, was dem Besitz zum Grunde liegt, wird der eigenthümliche Gesichtspunkt für den Besitz selbst mehr verrückt, als durch irgend eine andere Meinung. – Cujacius, der in früheren Schriften die richtigere Ansicht des Bassian vielleicht unter allen am besten dargestellt hatte (s. o. S. 158.), nahm späterhin die Erklärung des Bartolus an, aber mit einem neuen Zusatz, wodurch dieser Irrthum aufs höchste getrieben wurde (1). Er behauptete nämlich, was Bartolus

a mente juris in hac materia.“

(1) Cuiacii observ. L. 27. C. 7. (1585.). – Ej. notae posteriores in Instit. §. 4. per quas pers. (1585.) – „Est civilis possessio, est naturalis, est corporalis: civilis,


(162) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

nicht behauptet hatte, die possessio corporalis werde im Römischen Recht gar nicht als ein juristisches Verhältniß, als Bedingung von Rechten, anerkannt. Da es sich aber doch nicht abläugnen läßt, daß auch der praedo die Interdicte hat, so erklärt dieses Cujacius dadurch, daß ein solcher unrechtlicher Besitzer gewöhnlich einen rechtlichen Grund seines Besitzes vorgebe: nicht der Besitz selbst, sondern dieser vorgegebene Rechtsgrund desselben sey der Grund der Interdicte, und ohne dieses Vorgeben seyen sie gar nicht begründet. Es ist kaum möglich, eine Ansicht des Besitzes zu finden, welche dem Römischen Recht mehr entgegengesetzt wäre, als diese.

Die zweyte Partey nimmt den ganzen Unterschied viel einfacher an, als die erste. Der possessio

naturalis, justa est: corporalis injusta: hanc pupillus sine tutore amittit, non civilem, non naturalem.“ – Ej. recit. in L. 1. pr. de poss. (1588.) in opp. ed. Neap. 1722. T. 8. p. 239.: „Civilis est, quae jure vel animo domini possidetur ... Naturalis tantum ea est, quae alio jure apprehensa est, quam domini, veluti jure pignoris, vel jure ususfructus. Eam quae nullo jure impudenter a praedone nullum jus, nullum titulum adfingente et praetexente sibi, possidetur, jus non novit, non spectat. Plerumque praedo omnis et pervasor alienae possessionis sibi fingit titulum aliquem ... At si quis sit, qui nullum sibi titulum adfingat, eius possessionem non spectant.“ – Ej. Scholia s. Comment. in Institutiones, §. 4. per quas pers., in opp. T. 8. p. 960.


(163) §. 10. Literärgeschichte des Begriffs.

civilis, die auch possessio schlechthin heißt, und durch welche die Usucapion möglich ist, wird hier nichts entgegengesetzt, als die possessio naturalis (esse in possessione, non possidere), welche folglich alle anderen Fälle umfaßt, ohne Unterschied, ob sie eine wahre possessio, d. h. das Recht der Interdicte, enthalten oder nicht. – Die possessio civilis ist also auch hier richtig erklärt, aber daß die possessio ad interdicta von der bloßen Detention nicht unterschieden wird, ist ein sehr bedeutender Fehler, und eben deswegen fehlt hier der richtige Begriff der juristischen possessio (§. 7. num. 3.) gänzlich. Die bedeutendsten Schriftsteller sind folgende:

Ferrettus in L. 1. pr. de poss., num. 11-13. (opp. T. 1. p. 519. 520.) et in L. 12. de poss., num. 31. 32. (ibid. p. 611.)

Brissonius de verb. sign. v. civilis num. 3., v. possessio num. 3. 4., v. justus.

Muretus in epistolis, Lib. 3. ep. 81. (opp. ed. Ruhnken. Vol. 1. p. 643.).

Galvanus de usufructu Cap. 33. §. 10-12. – Hier wird durch neu erfundene Distinctionen die Lücke ausgefüllt, die in der Römischen Terminologie durch diese Erklärung angenommen wird.


(164) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Vinnius in select. quaest. Lib. 2. Cap. 36. – Besser als die übrigen Schriften dieser Partey.

Domat, lois civiles, Partie 1, Liv. 3, Tit. 7, préambule.

Westphal über die Arten der Sachen (et)c. Th. 2. Cap. 2. §. 52-64.

Hofacker in princ. jur. Rom. T. 2. §. 759. 760. – Er erklärt selbst, daß er meist nach Galvanus gearbeitet habe.

Malblanc, princ. jur. Rom., P. 1. §. 191.

Jetzt ist noch die dritte Partey übrig, welche unter der possessio civilis allen juristischen Besitz überhaupt versteht, er mag die Usucapion oder nur die Interdicte begründen, welchem juristischen Besitz nun die bloße Detention (possessio naturalis, esse in possessione, non possidere) entgegengesetzt wird. Der eigenthümliche Fehler dieser Meinung liegt in der völlig unrichtigen Bestimmung der possessio civilis, und es ist eine nothwendige Folge davon, daß sie den einfachen Begriff des juristischen Besitzes überhaupt, worauf immer das meiste ankommt (s. o. S. 94.) und von dessen Voraussetzung sie selbst sogar ausgeht, unmöglich festhalten kann. Denn da über keinen Punct die Römischen Juristen deutlicher reden, als darüber, daß in gewissen Fällen (besonders bey der Schenkung unter Ehegatten) keine possessio civilis angenommen werden soll, so müssen


(165) §. 10. Literärgeschichte des Begriffs.

nun diese Fälle von dem juristischen Besitz überhaupt ausgeschlossen werden, wodurch denn diese Meinung in der Anwendung unrichtiger wird, als alle anderen. Zugleich ist es klar, daß unter den drey dargestellten Modificationen der Erklärung, nach welcher überhaupt die juristische Wirkung die possessio civilis bestimmt, keine so leicht, als diese dritte, in die allererste Erklärung übergehen kann, nach welcher die possessio civilis einen juristisch fingirten Besitz bedeutet (S. 153. [et]c.). Denn es bedarf dazu nur des einfachen Satzes, der aber eben so falsch als practisch wichtig ist: wo eine possessio civilis unmöglich ist, ist auch die juristische Fiction des Besitzes unmöglich. Deswegen sind bey den ältern Schriftstellern gewöhnlich beide Erklärungen vermischt (S. 155.), ja es ist bey Manchen völlig willkührlich, zu welcher von beiden Parteyen man sie rechnen will. Hierher gehören nun besonders folgende Schriftsteller:

Martinus Gosia, dessen Meinung in einer ungedruckten anonymen Glosse zum Titel des Codex de possessione enthalten ist (Ms. Paris. 4517.): „Duplex ratio possessionis est secundum M., alia pro suo, quae civilis est, alia pro non suo, quae naturalis. Pro suo civilis juris est, quae animo et corpore acquiritur, quandoque suo, quandoque alieno,


(166) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

ut in re peculiari et per quemlibet alium. Retinetur autem quandoque animo solo, quandoque animo et corpore suo aut alieno. Quaecunque corpore retinetur alieno, pro non suo est quantum ad eum qui detinet, quae dicitur naturalis et est facti ut colonaria.“

Zasius in L. 3. §. 5. de poss., (opp. ed. Francof. 1590. T. 3. p. 111.)

Vaconius a Vacuna in declarat., L. 2. decl. 68-71. (fol. 63-68. ed. Rom. 1556. 4.). Er vergleicht die possessio civilis der Phantasie, die possessio naturalis den Sinnen, und führt diese Vergleichung mit großer Geduld durch.

Corasius in tit. de poss. (opp. ed. Forster, Viteb. 1603. f., T. 1. p. 921. 922.).

Contius in disput. Lib. 1. Cap. 9.

Charondas in verisimil. Lib. 1. Cap. 6. (bey Otto B. 1. S. 699.).

Friderus Mindanus de materia possessionis Cap. 1. num. 16-20.

Turaminus de subst. poss. C. 8. (opp. p. 289-299.).

Oroz de apicibus jur. civ. Lib. 4. Cap. 2. §. 8. 9.


(167) §. 10. Literärgeschichte des Begriffs.

Cuperus de natura possessionis. P. 1. C. 3. 4. (p. 24-48.).

Fleck in tit. pand. de poss. p. 9-15.

Thibaut über Besitz §. 11. (1).

Aus dieser Uebersicht ergiebt es sich von selbst, daß die Meinung von Cuperus nichts weniger als neu ist, obgleich er selbst sie für neu zu halten scheint: vertheidigt hat er sie mit bessern Gründen und ausführlicher, als diese oder eine andere Meinung vor ihm je vertheidigt worden ist, und er hat sich schon durch diese Erschöpfung eines möglichen Irrthums ein bedeutendes Verdienst erworben: noch wichtiger aber ist seine vortreffliche Erklärung der L. 10. C. de poss., durch welche Erklärung alle Gelegenheit zu einer andern falschen Meinung (s. o. S. 153. f.) völlig aufgehoben worden ist. Nicht nur seine Gründlichkeit, sondern auch der unbedingte Beyfall, den seine Ansicht gefunden hat, macht es nöthig, der allgemeinen Widerlegung, die in dem Beweise meiner eignen Meinung enthalten ist, einige besondere Bemerkungen hinzuzufügen. – Um den Gegensatz der possessio civilis und naturalis zu bestimmen, schlägt Cuperus einen Weg

(1) In den Zusätzen zu seiner Ausgabe des Cuperus hat er diese Meinung aufgegeben. In den civ. Abhandlungen S. 339. 340. scheint er sich aber wieder der früheren Meinung zuzuneigen.


(168) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

ein, der für den Erfolg seiner ganzen Untersuchung entscheidend ist: er geht aus von dem Begriff der possessio naturalis, (also von einem negativen Begriff), zeigt, daß darunter der nichtjuristische Besitz verstanden werden müsse, und bestimmt nun die possessio civilis als der possessio naturalis logisch entgegengesetzt, folglich als juristischen Besitz überhaupt. So ist es sehr natürlich, daß ihm das eigenthümliche der possessio civilis, nämlich die Beziehung auf jus civile, entgehen mußte, und es ist nur das dabey auffallend, daß Er, bey einer so gründlichen Kenntniß des Römischen Rechts, nicht hinterher an die specielle Bedeutung erinnert wurde, die das jus civile im Römischen Recht hat. Daß er seine Erklärung von possessio civilis nicht noch direct beweißt, versteht sich von selbst: er führt nur, gleichsam zur Erinnerung an eine bekannte Sache, zwey andere Anwendungen an (cognatio civilis und bonorum appellatio civilis), die allein schon hinreichend sind, seine Erklärung zu widerlegen. Nachdem so der Grund einer falschen Erklärung gelegt ist, kann diese natürlich auch in den bedeutendsten Anwendungen auf keine Weise mit dem Römischen Recht übereinstimmen. Setzen wir nämlich, daß in der That possessio civilis den juristischen Besitz bezeichne, so kann das nichts anders heißen, als: die possessio civilis hat juristische Wirkungen, welche die naturalis nicht hat. Welches


(169) §. 10. Literärgeschichte des Begriffs.

sind nun, nach Cuperus, diese Wirkungen? die Usucapion nicht allein, sondern unter andern auch die Interdicte: nun steht aber zufällig von einem Interdict ausdrücklich in den Pandekten, daß es auch außer der possessio civilis gelte (1), also – sind nur einige Interdicte dem juristischen Besitz eigen, und die Begriffe müssen nun vollständig so bestimmt werden: juristisch (civilis) heißt der Besitz, wenn er entweder die Usucapion, oder doch wenigstens die interdicta uti possidetis et utrubi zur Folge hat, nichtjuristisch (naturalis), wenn er alle jene Wirkungen nicht hat, obgleich er andere Wirkungen, namentlich das interdictum unde vi, allerdings haben kann. Die Unrichtigkeit dieser practischen Unterscheidung unter den verschiedenen Interdicten kann erst unten, bey den Interdicten selbst, bewiesen werden: da aber schlechterdings nicht einzusehen ist, warum das interdictum de vi weniger juristisch seyn sollte, als die übrigen Interdicte, so ist schon jetzt offenbar, welche willkührliche, unlogische Bezeichnung ihrer Begriffe den Römischen Juristen durch diese Erklärung zugeschrieben wird: ja es wäre schwer zu begreifen, wie dennoch Cuperus den ersten Theil seiner Schrift mit einem so großen Lob der Römischen Jurisprudenz beschließen könnte, wenn nicht dieses Lob zu den Inventarienstücken

(1) L. 1. §. 9. de vi.


(170) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

aller eleganten Schriften gehörte. Endlich ist schon oben bemerkt worden, daß die Interpretation der entscheidenden einzelnen Stellen des Römischen Rechts nach dieser Erklärung durchaus mißlingen mußte (§. 7. num. 1.), so daß Cuperus, dessen Talent zur Interpretation außerdem nicht zu verkennen ist, geradezu vorauszusetzen genöthigt war, Paulus habe sich selbst widersprochen (1), da doch nach dieser ganzen Erklärung, bey so höchst einfachen Begriffen, bey welchen gar nicht etwa ein Streit der verschiedenen Schulen vorkam, an einen solchen Widerspruch gar nicht zu denken ist.

Da es nun keiner unter allen diesen Erklärungen gelingen wollte, allgemein anerkannt zu werden, so haben Viele die Wahrheit dadurch am sichersten einzufangen geglaubt, daß sie alle Meinungen zugleich angenommen haben (2). Auf diese Art allein kann man sicher seyn, von keinem Leser ganz verworfen zu werden; und um es nicht merken zu lassen, daß es eigentlich

(1) Nämlich in L. 1. §. 4. de poss. und L. 26. pr. de don. inter vir. et uxorem.

(2) Das ist unter andern in folgenden Schriften der Fall, freylich auf verschiedene Weise: Fachinei controv. L. 8. Cap. 5. Merendae controv. L. 12. Cap. 15. (T. 2. ed. Bruxel. 1745.) Thomasii notae in Digest. (Halae 1713. 4.) lib. 41. tit. 2. (p. 311.). Oppenritter, Summa possessionis P. 1. C. 2. §. 8-24. Glück’s Commentar über die Pandekten Th. 2. §. 180. Spangenberg vom


(171) §. 10. Literärgeschichte des Begriffs.

entgegengesetzte Meinungen sind, die hier friedlich neben einander wohnen, hat man sie durch allerley Namen (1) in Verbindung gesetzt, und nun ganz ruhig angenommen, das sey auch die Meinung der Römischen Juristen.

In dieser ganzen Uebersicht habe ich den einzigen Schriftsteller nicht genannt, der die gewöhnlichen Fehler allein vermieden hat. Bey Donellus nämlich findet sich keiner dieser terminologischen Irrthümer, und er kann daher überhaupt zu keiner Partey gerechnet werden. Da er aber den Besitz nur in dem System des ganzen Römischen Rechts abhandelte, so lag es nicht in seinem Plane, seinen Sprachgebrauch aus Gründen abzuleiten und polemisch durchzuführen, wodurch es allein möglich gewesen wäre, ihn deutlich und sicher vor allem Mißverständniß hervortreten zu lassen: und da sogar seine deutlich ausgesprochene Ansicht des Besitzes im Zusammenhang

Besitz §. 115-118. Ganz vorzüglich aber Zachariä Besitz und Verjährung S. 6. u. fg. – Schon unter den Glossatoren findet sich eine Spur dieser Erklärungsart, nämlich in einer ungedruckten Glosse des Pillius zu L. 38. §. 7. de verb. oblig. (Ms. Paris num. 4487. a.): „ ... civiliter possidere dicitur multis modis: dicitur enim possidere quis civiliter id est animo: dicitur possidere civiliter, id est juste; dicitur etiam possidere civiliter, id est de jure civili, et hoc ad personas refertur ut hic ... .“

(1) z. B. weiteste, weitere, engere und engste Bedeutung, a forma und a modo u. s. w.


(172) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

des ganzen Systems völlig unbenutzt geblieben ist, so kann es um so weniger auffallen, daß man auch von seiner Terminologie ganz und gar keine Notiz genommen hat.

(Zusatz der 6ten Ausgabe.) Seit der fünften Ausgabe meines Werks ist mit großem Eifer die letzte unter den hier widerlegten Meinungen (die des Cuperus) von Neuem verfochten worden, und zwar ist es damit folgendergestalt ergangen. Schon seit vielen Jahren hatte sich das Gerücht verbreitet, Herr Prof. Erb zu Heidelberg besitze eine neue Erklärung der civilis possessio, wodurch die meinige gänzlich widerlegt werde. Stückweise war diese Entdeckung in mehreren Schriften zu Tage gekommen (1), aber das Ganze war daraus noch nicht zu berechnen. Thibaut hatte sie mehrmals angekündigt, allein in seinem Lehrbuch der Pandekten trug er noch in der siebenten Ausgabe meine Ansicht vor (2). In seinen Vorlesungen jedoch bekannte er sich zu der neuen Meinung, und als diese Vorlesungen abgedruckt wurden (3), blieb auch die vollständigere Uebersicht jener

(1) Gans Scholien zum Gajus S. 267. Johannsen Begriffsbestimmungen aus dem Gebiete des Civilrechts. Heidelberg 1831.

(2) §. 296. (1828) die Note r. erneuert die Ankündigung der Erklärung von Erb.

(3) Braun Erörterungen in Zusätzen zu Thibaut. Stuttgart 1831. S. 294.


(173) §. 10. Literärgesch. d. Begr. (Zus. d. 6. Ausg.)

Meinung dem Publikum nicht länger entzogen. In der achten Ausgabe der Pandekten trat sie ganz an die Stelle der früheren (1), und endlich wurde sie in einer besonderen Abhandlung ausführlich vorgetragen und vertheidigt (2).

Allein noch zu dieser Zeit, worin blos Bruchstücke der neuen Entdeckung bekannt waren, fand meine Erklärung einen Vertheidiger, dessen Schrift durch ihre große Gründlichkeit und Sorgfalt, selbst das Lob unsers gemeinschaftlichen Hauptgegners erworben hat (3).

Die neue Erklärung lautet nun so (4). Civilis possessio heißt eben so viel als possessio schlechthin, oder juristischer Besitz, nämlich dasjenige Verhältniß zu einer Sache, welches uns Anspruch auf den Interdictenschutz giebt. Der Grund dieser Benennung liegt darin, daß auch die Interdicte bürgerliche oder positive Institute sind, folglich dem jus civile angehören. Jedoch muß man nicht glauben, daß gerade alle Interdicte den Civilbesitz voraussetzen, vielmehr gilt dieses nur von den int. retinendae possessionis; denn das int. de vi gilt

(1) §. 209 (1834).

(2) Thibaut über possessio civilis, Archiv für civil. Praxis B. 18. S. 315-364 (1835).

(3) Thon über civilis und naturalis possessio, Rhein. Museum B. 4. S. 95-141 (1830). Vgl. Thibaut S. 352.

(4) Thibaut S. 331. 332. 337. 362.


(174) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

auch bey dem bloßen Naturalbesitz. Man muß also „definirend mithelfen, indem man sagt: possessores im engeren Sinn sind diejenigen Inhaber einer Sache, welche im Ganzen alle remedia possessoria haben; wodurch denn für die Naturalbesitzer zum Zweck einer Ausnahme die Thür offen gelassen wird“ (p. 362.).

Meine Ansicht mit ihren exegetischen Gründen ist in dem §. 7. niedergelegt, Einiges ist dort schon in den Noten hinzugefügt worden, Anderes findet sich in der ausführlichen Schrift von Thon. Ich weiß hier Nichts hinzu zu thun, was die Erklärung einzelner Stellen betrifft, muß vielmehr die Entscheidung zwischen mir und meinen Gegnern ganz den Lesern überlassen. Nur einige allgemeine Bemerkungen mögen hier noch folgen.

Zuerst ist es mir nicht recht begreiflich, wie diese Erklärung hat für eine Erfindung von Erb ausgegeben werden können, da sie vielmehr mit der von Cuperus im Wesentlichen so übereinstimmt, daß fast Alles, was ich gegen diese schon vor 33 Jahren in dem gegenwärtigen §. vorgebracht habe (S. 167-170.), wörtlich auch auf die vorliegende Erklärung als Widerlegung paßt.

Ferner heißt der Interdictenbesitz nach Thibaut nicht etwa zufällig civilis possessio, sondern deswegen, weil die Interdicte dem bürgerlichen oder positiven Rechte angehören (p. 331.). Aber ist dann das int. de vi im


(175) §. 10. Literärgesch. d. Begr. (Zus. d. 6. Ausg.)

Geringsten weniger positiv und bürgerlich, als das uti possidetis? Und doch soll jenes auch ohne civilis possessio gelten! Wer sich über diese schreiende Inconsequenz mit der Bemerkung beruhigen mag, daß Regeln Ausnahmen haben können, mit dem will ich nicht streiten.

Das Wichtigste ist übrigens, hier wie bei Cuperus, nicht sowohl die falsche Bestimmung der Terminologie, sondern der damit unzertrennlich verbundene praktische Satz, daß der Miether oder Pächter das int. de vi haben soll. Dafür wird hier p. 361. 362. ein allgemeiner Grund angegeben, den man aber durch folgende Betrachtung weit überzeugender gerade umkehren könnte. Das int. uti possidetis betrifft bloße Störungen, die meist nur das Interesse des Pächters berühren werden, ohne das des Verpächters zu gefährden, der sich daher auch nicht um die Sache bemühen wird: dagegen ist die Dejection so wichtig, und setzt so sehr den Verpächter auch für die künftige Vindication in Gefahr, daß er nicht ermangeln wird, durch das Interdict sich und den Pächter zu schützen. Daher müßte man das int. uti possidetis dem Pächter gestatten, das int. de vi braucht er nicht, weil dieses auch von dem Verpächter nicht versäumt werden wird. – Doch ein solches allgemeines Räsonnement kann ja nicht ausreichen, da wo es zunächst auf das positive Zeugniß ankommt. In dieser Beziehung will ich hier folgende Stellen zusammensetzen:


(176) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

L. 9. de rei vind. … apud quem deposita est, vel commodata, vel qui conduxerit … hi omnes non possident.

L. 3. §. 8. uti poss.: Creditores missos … interdicto uti possidetis uti non posse, et merito quia non possident.

L. 6. §. 2. de prec.: colonus et inquilinus sunt in praedio: et tamen non possident.

L. 1. §. 9. de vi: Dejicitur is qui possidet.

L. 1. §. 23. de vi: Interdictum autem hoc nulli competit, nisi ei, qui tunc, cum dejiceretur, possidebat: nec alius dejici visus est, quam qui possidet.

Diese Fünf Stellen sind von einem und demselben Schriftsteller, von Ulpian. Läßt es sich nun wohl denken, daß derselbe Schriftsteller, der dem creditor missus, dem Pächter und Miether u. s. w., die possessio und deswegen zugleich das int. uti possidetis abspricht, daß derselbe Schriftsteller, der auch das int. de vi ausdrücklich an die Bedingung des possidere knüpft, dennoch geneigt seyn sollte, jenen oben Genannten, qui non possident, das Interdict de vi zu gestatten? – In einer andern Stelle vergleicht derselbe Ulpian die Int. retinendae possessionis mit dem Int. de vi, und bestimmt den Unterschied lediglich dahin, daß jene den gestörten Besitz erhalten, diese den verlornen wiederherstellen


(177) §. 10. Literärgesch. d. Begr. (Zus. d. 6. Ausg.)

sollen. (L. 1. §. 4. uti possid.). Es ist kaum möglich, diese Stelle unbefangen zu lesen, und dabey anzunehmen, Ulpian habe sich unter der possessio bey dem Int. uti possidetis einen ganz andern Zustand gedacht, als bey dem Int. unde vi.

Auf die L. 1. Cod. si per vim hat schon Thon p. 140. das ihr gebührende Gewicht gelegt. Thibaut p. 363. erklärt hier den colonus von einem Menschen, dem der Gutsherr ein Häuschen nebst Garten überlassen, daneben aber die Aufsicht auf das ganze Gut übertragen hat. Ob eine solche Interpretation zu gestatten, muß ich wiederum dem Urtheil des Lesers überlassen.

In der Zeit, worin die hier dargestellte neue Entdeckung erst noch in unbestimmter Gestalt hie und da zur Erscheinung kam, wurde derselbe Grundgedanke, jedoch mit nicht geringen Modificationen, in folgender Schrift durchgeführt: Wiederhold das Interdictum uti possidetis und die Novi operis Nunciatio. Hanau 1831. Nach ihm heißt civilis possessio der Besitz mit animus domini, welcher nur bey einer justa causa denkbar ist (wenngleich auch ohne bona fides). Naturalis possessio ist der Besitz mit animus possidendi ohne justa causa, also ohne animus domini; dahin gehören der Pfandgläubiger und der dejector. Von beiden verschieden ist die bloße Detention in fremdem Namen, ohne animus


(178) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

possidendi, wie bey dem Miether. Die civilis possessio giebt Anspruch auf alle Interdicte, und der Kläger muß seine justa causa beweisen. Die naturalis possessio giebt Anspruch auf das Int. de vi, aber nicht auf uti possidetis, die Detention hat gar keine Interdicte. (p. 5-14.). Bey dem Precarium und bey dem Sequester findet sich Civilbesitz, aber als Singularität, der Pfandgläubiger hat Naturalbesitz, der Emphyteuta gar keinen Besitz (p. 20-26.). Der Grund des Unterschieds in den Bedingungen der beiden Hauptinterdicte wird darin gesetzt, daß das Int. uti possidetis lediglich dazu dienen soll, das Verhältniß zweyer Eigenthumsprätendenten zu reguliren, und gar nicht, bloße Störungen abzuwehren (p. 85 fg.) –. Es ist gar nicht zu berechnen, wie weit es von der Wahrheit abführen kann, wenn man ohne ernste Kritik einen falschen Grundgedanken zur Basis nimmt, und darauf ruhig fortbaut, ohne sich auch im Fortgang der Arbeit durch kritische Prüfung über Resultate stören zu lassen.

§. 11.

Die Untersuchung über den Begriff des Besitzes scheint jetzt völlig geschlossen. Es kam dabey alles auf die zwey Fragen an: welches ist die juristische Bedeutung des Besitzes im Römischen Recht? (§. 2-8.) und welches sind die materiellen Bestimmungen seines Begriffs,


(179) §. 11. Possessio plurium in solidum.

d. h. unter welchen Bedingungen ist das Daseyn des Besitzes anzunehmen? (§. 9.).

Die ganze folgende Theorie des Besitzes schließt sich unmittelbar an diesen Begriff an, da in allem Erwerb oder Verlust des Besitzes eine Anwendung oder Modification dieses Begriffs enthalten ist. Unter diesen Anwendungen aber, in welchen der Begriff des Besitzes selbst erscheint, findet sich eine Regel, die so allgemeiner Natur ist, daß sie auf alle Theile unsrer Theorie Einfluß hat, und an keiner andern Stelle als hier entwickelt werden kann.

Diese Regel lautet so: aller Besitz ist ausschließend (plures eandem rem in solidum possidere non possunt). Ihre Bedeutung, so wie ihre Wahrheit, soll hier untersucht werden, und diese Untersuchung wird zugleich Gelegenheit geben, unsere terminologischen Resultate durch die Anwendung deutlicher zu machen, als es in allgemeinen Begriffen geschehen kann.

Es ist also die Rede von einem Besitz derselben Sache (in solidum). Besitzen Mehrere eine Sache gemeinschaftlich (compossessio bey den neueren Juristen), so daß ihr Besitz sich wechselseitig beschränkt, so ist nur scheinbar dieselbe Sache der Gegenstand ihres Besitzes, denn jeder besitzt einen Theil der Sache allein, die übrigen Theile gar nicht, und daß diese


(180) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Theile nicht reell, sondern ideell von einander abgesondert sind, macht juristisch betrachtet gar keinen Unterschied. Jeder besitzt also eine Sache für sich, und sie stehen zu einander ungefähr in dem Verhältniß, wie die Besitzer zweyer benachbarten Häuser. Darum kommt auch weder das Wort compossessio, noch der Begriff bey den Römischen Juristen vor, und sie bestimmen bloß, inwiefern Jeder für sich einen ideellen Theil einer Sache besitzen könne, da sich denn die Möglichkeit eines andern Besitzers der übrigen Theile von selbst ergiebt, das Verhältniß zu diesem Mitbesitzer aber gar nichts Eignes hat.

Die ganze Untersuchung ist dadurch verwickelt geworden, daß unter den Römischen Juristen selbst verschiedene Meinungen darüber herrschten. Einige verneinten ganz allgemein die Möglichkeit eines solchen Besitzes, andere nur mit Ausnahmen, z. B. so, daß die justa possessio der einen Person nicht durch die injusta possessio der andern ausgeschlossen seyn sollte u. s. w. Diese verschiedenen Beschränkungen der zweyten Meinung interessiren uns hier noch nicht, es ist hinreichend, sie als der ersten entgegengesetzt zu betrachten, und die Frage kann nun so ausgedrückt werden: ist possessio mehrerer Personen an derselben Sache möglich? Wird die Frage bejaht, so ist es dann Zeit, die Bedingungen dieser Möglichkeit hinzuzusetzen.


(181) §. 11. Possessio plurium in solidum.

Aus diesem allgemeinen Ausdruck der Frage selbst ergiebt es sich also, daß possessio der Gegenstand derselben ist. Nun bezeichnet aber dieses Wort den Besitz auf zweyerley Art, indem theils das natürliche Verhältniß der Detention, theils der juristische Besitz, d. h. die Bedingung der Usucapion und der Interdicte, darunter verstanden wird (§. 7. num. 5.): welche dieser Bedeutungen liegt hier zum Grunde? die Regel, die oben hierüber aufgestellt worden ist, entscheidet das leicht. Da nämlich diese Frage von den Römischen Juristen zum Gegenstand ihrer Untersuchungen gemacht wird, so kann von keinem andern als dem juristischen Besitz die Rede seyn, da die natürliche Detention weder juristische Bestimmungen in ihrem Begriff haben, noch auch durch irgend eine juristische Wirkung es nöthig machen kann, ihr Daseyn juristisch zu bestimmen.

Es wird also hier von dem einfachen Begriff der juristischen possessio Gebrauch gemacht, der sich auf Usucapion und Interdicte bezieht (§. 7. num. 3.) und durch diese vorläufige Bestimmung der Frage ist schon der größte Theil der falschen Antworten abgewiesen, die man bisher darauf gegeben hat. So glauben Einige, dieselbe Wirkung des Besitzes könne freylich nur Einer genießen, zu verschiedenen Wirkungen aber sey ein Besitz Mehrerer denkbar: allein es giebt nur zwey Wirkungen des Besitzes, und diese stehen in einem solchen


(182) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Verhältniß, daß es ein und derselbe Besitz ist, welcher beide bedingt. – Andere haben civilis possessio auf einer Seite, naturalis possessio auf der andern zugelassen, und nur etwa die naturalis possessio plurium in solidum ausgeschlossen: allein auch das ist unmöglich, denn die naturalis possessio, welche neben einer fremden civilis possessio möglich seyn soll, ist entweder selbst wieder ein juristischer Besitz, und dann ist sie hier, wo von possessio überhaupt die Rede ist, von der civilis possessio gar nicht verschieden, oder sie ist bloße Detention, und dann ist sie kein Gegenstand einer juristischen Untersuchung.

Soll nun angenommen werden, daß Mehrere denselben Besitz zugleich haben können, so ist es klar, daß dieses nur durch eine juristische Fiction möglich sey. In dem ursprünglichen Begriff des natürlichen Besitzes (§. 1.) war nämlich die ausschließende physische Möglichkeit einer Einwirkung auf die Sache enthalten: von dieser Art ist der Besitz eines Geldstücks, das man in der Hand hält, und hier ist es klar, daß ein solcher Besitz nur in Einer Person gedacht werden könne. Allein der Besitz gilt als Recht, und wird deshalb oft fingirt, wo jener ursprüngliche Begriff nicht mehr anwendbar wäre (§. 5.): so wird der Besitz eines Hauses auch dann noch als fortdauernd angenommen, wenn der Bewohner desselben herausgegangen ist, ohne es auf irgend


(183) §. 11. Possessio plurium in solidum.

eine Art zu verwahren. Auf eine solche Fiction also müßte sich der gleichzeitige Besitz mehrerer Personen gründen, da der ursprüngliche Begriff des Besitzes ihn ausschließt, und nun ist die Frage, die hier beantwortet werden soll, so auszudrücken: giebt es eine juristische Fiction, wodurch mehrere Personen als gleichzeitige Besitzer derselben Sache angenommen werden?

Die Römischen Juristen waren hier in zwey Parteyen getheilt. Die eine (Labeo und Paulus) läugnete die Möglichkeit eines solchen Besitzes durchaus: ihre Meinung ist nicht nur im allgemeinen von den Compilatoren der Pandekten gebilligt, sondern sie kann auch durch alle Anwendungen durchgeführt werden. Die zweyte (Trebatius, Sabinus und Julian) ließ jenen Besitz zu, jedoch nur so, daß Eine Person justa possessio, die andere injusta possessio haben könne: zwey injustae possessiones sollten nicht nebeneinander bestehen können, und eben so wenig zwey justae possessiones, einen einzigen Fall ausgenommen, welcher aber mit einem Fall der injusta possessio selbst in Verbindung steht. Diese Distinction bezieht sich hier auf die vitia possessionis (§. 2. 8.), und es ist daher nur in folgenden drey Anwendungen die Verschiedenheit jener Meinungen aufzusuchen: A) Wenn der Besitz einer Sache mit Gewalt occupirt wird, in welchem Fall nämlich neben dieser injusta possessio die justa possessio des


(184) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

vorigen Besitzers soll fortdauern können. B) Eben so, wenn heimlich ein Besitz occupirt wird, den ein Anderer bisher hatte. C) Wenn durch ein precarium der Besitz erlangt worden ist. Damit dieser letzte Fall ganz verstanden werden könne, müssen hier einige Sätze eingeschaltet werden, die erst bey den Interdicten vollständig und in ihrem wahren Zusammenhange darzustellen sind. Precarium heißt das Verhältniß, in welchem ohne juristisches Geschäft die Ausübung irgend eines Rechts einem Andern überlassen wird. Der gewöhnlichste Fall betrifft die Ausübung des Eigenthums, also den (natürlichen) Besitz, weil dieser die Bedingung jener Ausübung ist. Diese precaria possessio aber kommt auf zweyerley Art vor: theils so, daß die bloße Detention, theils so, daß der juristische Besitz dem Andern überlassen wird (1). Im ersten Fall geht zunächst kein Besitz über, aber er wird hinterher erworben, wenn die Zurückgabe der Sache verweigert wird; diese possessio ist ohne Zweifel injusta, und nun ist das interdictum de precario (als interdictum recuperandae possessionis) begründet. Im zweyten Fall wird gleich im Anfang der Besitz übertragen, diese justa possessio aber wird erst durch die Verweigerung der Zurückgabe injusta,

(1) „ ... precario autem rogavit, non ut possideret, sed ut in possessione esset ... “ L. 10. §. 1. de poss.


(185) §. 11. Possessio plurium in solidum.

und nun ist das Verhältniß dem des ersten Falls gleich geworden. Demnach kann man durch precarium theils eine injusta possessio haben, und dann wird dieselbe Frage aufgeworfen, wie bey possessio violenta und clandestina: theils eine justa possessio, und dieses ist der einzige Fall, in welchem von manchen Juristen zwey justae possessiones nebeneinander angenommen wurden.

Also zuerst von der Regel im allgemeinen, dann von den drey Fällen ihrer Anwendung.

Die entscheidende Stelle über die Regel selbst ist von Paulus (1):

„ ... plures eandem rem in solidum possidere non possunt. Contra naturam quippe est, ut cum ego aliquid teneam, tu quoque id tenere videaris. Sabinus tamen scribit, eum, qui precario dederit, et ipsum possidere, et eum, qui precario acceperit. Idem Trebatius probabat, existimans, posse alium juste, alium injuste possidere: duos injuste, vel duos juste non posse (2): quem Labeo reprehendit: quoniam

(1) L. 3. §. 5. de poss. (Paulus lib. 54. ad edictum.).

(2) Zu diesem Theil unserer Stelle gehört L. 19. pr. de precario (Julianus lib. 49. Dig.): „Duo in solidum precario habere non magis possunt, quam duo in solidum


(186) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

in summa possessionis non multum interest, juste quis an injuste possideat: quod est verius: non magis enim eadem possessio apud duos esse potest, quam ut tu stare videaris in eo loco, in quo ego sto: vel in quo ego sedeo, tu sedere videaris.“

Die ganze Stelle ist in folgende Sätze zu zerlegen:

1. Die eigne Meinung des Paulus, die hier Justinian zu der seinigen macht, steht gleich im Anfang und wird am Ende nur wiederholt: eine solche Concurrenz mehrerer Besitzer, sagt Paulus,

vi possidere, aut clam, nam neque justae neque injustae possessiones duae concurrere possunt.“ Offenbar war es Julians Meinung, daß dagegen die possessio justa des Einen neben der possessio injusta des Andern möglich sey, welcher positive Theil seiner Meinung aber von den Compilatoren ausgelassen werden mußte. – Die Frage, die hier Julian beantworten will, ist diese: ist es möglich, eine precaria possessio mehreren Personen zugleich zu geben? Da nun die possessio precaria zunächst, nachdem sie gegeben ist, als justa possessio gilt, so ist es sehr natürlich, daß Julian die possessiones precarias, auf die sich seine Frage bezog, als possessiones justas der possessio violenta und clandestina als possessionibus injustis entgegensetzte, obgleich in andern Fällen auch die precaria possessio als injusta gelten kann. Cuperus (de nat. poss. P. 2. C. 14.) hat diesen sehr natürlichen Zusammenhang abgeläugnet, ohne einen andern an dessen Stelle zu setzen.


(187) §. 11. Possessio plurium in solidum.

ist durchaus unmöglich, und zwar deswegen, weil aller Besitz entweder auf wahre Detention (tenere) oder auf die juristische Fiction derselben (tenere videri) gegründet ist: nun ist alle Fiction nur da möglich, wo das fingirte Factum selbst nicht unmöglich wäre: aber es ist unmöglich, daß mehrere Personen die Detention derselben Sache wirklich haben: also kann auch keine juristische Fiction diese Unmöglichkeit aufheben (1).

2. Sabinus macht von dieser Regel eine Ausnahme bey dem precarium: hier sollen beide Theile zugleich den juristischen Besitz haben können, und zwar ohne Unterschied, ob die possessio precaria eine justa oder injusta possessio sey.

3. Trebatius billigt diese Meinung, doch mit der Modification, es müsse eine injusta possessio precaria seyn, wenn des Andern Besitz nicht ausgeschlossen seyn sollte: zugleich wird dieser Satz auf

(1) Cuperus (de nat. poss. P. 2. C. 18.) hat diese Erklärung am besten entwickelt; sie selbst ist sehr alt, s. d. Citate bey Gomez in L. Tauri XLV. num. 99. p. m. 289. – Paulus läugnet also nicht, was sich auch nicht läugnen läßt, daß die Rechte des Besitzes in mehreren zugleich angenommen werden könnten, aber er behauptet, diese Annahme sey inconsequent, weil sie der Natur des Besitzes widerspreche. So muß die Unmöglichkeit verstanden werden, von welcher er redet.


(188) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

alle Concurrenz einer justa und injusta possessio ausgedehnt, und für alle übrigen Fälle negirt.

4. Beide Meinungen sind schon durch den Beweis widerlegt, den Paulus für die seinige geführt hat. Aber gegen Trebatius führt Labeo (der also mit Paulus übereinstimmt) noch den besondern Grund an, auf den Unterschied der justa und injusta possessio könne nichts ankommen, wenn von der Existenz des Besitzes überhaupt die Rede sey (s. o. S. 103 u. 104.).

Eben so allgemein, wie in dieser Stelle des Paulus, wird derselbe Satz von Ulpian behauptet (1):

„Celsus filius ait, duorum quidem in solidum dominium, vel possessionem esse non posse.“

Hier ist die Meinung des Celsus, wie das in vielen Stellen geschieht, von Ulpian nur um deswillen angeführt, weil es zugleich die seinige ist: am Ende der ganzen Stelle wird dieses dadurch noch deutlicher, daß Ulpian selbst die Meinung des Celsus durch Folgerungen daraus weiter fortführt.

Nun zu den Anwendungen jener Regel, in welchen die Regel selbst bestritten war:

A. Wer mit Gewalt eine Sache nimmt, hat ohne Zweifel den juristischen Besitz derselben: aber nach

(1) L. 5. §. 15. commodati (Ulpianus lib. 28. ad edictum.).


(189) §. 11. Possessio plurium in solidum.

der Meinung des Trebatius müßte auch der vorige Besitzer noch als Besitzer gelten.

Nun ist soviel klar, daß dieser fortdauernde Besitz selbst nach dieser Meinung, nicht in jeder Rücksicht behauptet werden konnte. Da man nämlich andere Interdicte hatte, um den verlornen Besitz wieder zu erlangen (recuperandae possessionis), andere, um sich im Besitz selbst zu erhalten (retinendae possessionis), so war es in Beziehung auf die Interdicte des vorigen Besitzers weder möglich noch nöthig, jene Fortdauer zu behaupten, und diese Ansicht war nicht etwa einigen Juristen eigen, sondern sie findet sich bey allen, ja sie ist in dem Edict selbst deutlich ausgesprochen. Was man wieder erlangen will, muß man verloren haben, und was verloren ist, kann man jetzt nicht mehr haben. – Dennoch darf folgende Stelle nicht übergangen werden, die selbst hierin einigen Zweifel erregen könnte (1): „Non alii autem, quam ei qui possidet (2), interdictum unde vi competere, argumentum praebet, quod apud Vivianum

(1) L. 1. §. 45. de vi.

(2) „qui non possidet.“ So lesen außer der Rehdigerschen Handschrift folgende Ausgaben des Digesti Novi: Rom. 1476, Norimb. 1483. Venet. 1485. Venet. 1494. Lugdun. 1509. 1513. Paris. 1514. 1536. so auch wahrscheinlich noch viele andere. Daß Accursius eben


(190) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

relatum est, si quis vi me dejecerit, meos non dejecerit, non posse me hoc interdicto experiri: quia per eos retineo possessionem, qui dejecti non sunt.“ Kehren wir die Ordnung um, was auf den logischen Zusammenhang offenbar keinen Einfluß hat, so ist dieses der Inhalt: „Vivian sagt, wer aus einem Grundstück herausgeworfen wird, habe dennoch nicht das interdictum de vi, wenn seine Leute, die mit ihm zugleich den Besitz ausübten, nicht auch herausgeworfen werden: denn durch diese setzt Er selbst seinen vorigen Besitz fort. Diese Entscheidung bestätigt (argumentum praebet) die allgemeine

so las, erhellt daraus, daß er als Parallelstelle L. 1. §. 4. uti poss. citirt. – Cras (spec. ipr. Ciceronianae p. 15.) und Fleck (de interd. unde vi. p. 29.), der jenen wörtlich abschreibt, drücken das so aus: „Accursius particulam: non inseruit, “ gleichsam als ob Accurs kritische Noten zu den Florentinischen Pandekten geschrieben hätte. Haloander hat die Florentinische Leseart, obgleich Jauch (de negat. Pand. p. 82.) Cras und Fleck (l. c.) das Gegentheil sagen. Schon Markart hatte Jauchs falsche Angabe berichtigt (interpr. L. 2. C. 18.) – Qui non possidet ließt ferner eine sehr gute Handschrift der öffentlichen Bibliothek zu Metz, eine Leipziger, eine mir gehörende, zwey Wiener und 16 Pariser Mspte, in drey andern Pariser Mspten ist das non über dem Text supplirt, Eine aber (num. 4482.) ließt: qui possedit. – Auch eine Königsberger Handschrift ließt: non possidet. Dirksen Abhandlungen I. 450.


(191) §. 11. Possessio plurium in solidum.

Regel, daß nur der das Interdict gebrauchen kann, welcher jetzt nicht mehr besitzt.“ Die innere Nothwendigkeit dieses Zusammenhangs giebt der Leseart: qui non possidet so entschieden den Vorzug, daß weder das Alter des Florentinischen Manuscripts, noch die viel unbedeutendere Uebereinstimmung der Basiliken (1) dagegen angeführt werden kann. Damit aber ist alle Schwierigkeit dieser Stelle gehoben, ohne daß es nöthig wäre, den Text selbst zu verändern (2).

Also auf die Interdicte des vorigen Besitzers (dejectus) konnte die Meinung des Trebatius nicht gehen: wohl aber auf die des neuen Besitzers (dejiciens): wenn dieser nämlich gegen jenen das interdictum uti possidetis gebrauchen wollte, so schloß ihn ohne Zweifel eine Exception

(1) L. 60. T. 17. (bey Fabrot Th. 7. S. 407.).

(2) Donellus (comm. L. 15. C. 32. p. m. 801.) erklärt die Stelle sehr richtig, und folgert aus dieser Erklärung, daß nothwendig non in dem Text stehen müsse; unrichtig aber ist die Bemerkung, die er dabey macht: „mendose legitur in omnibus exemplaribus, etiam Florentinis“ etc. – Einige lesen: qui possedit, d. h. wer besessen hat, d. h. wer jetzt nicht mehr besitzt, und damit stimmt eine Pariser Handschrift überein (s. die vorletzte Note). Offenbar ist diese Erklärung sehr gezwungen. Sie steht zuerst bey Rutgers (var. lect. Lib. 6. C. 20), welchem sie von Baudius mündlich mitgetheilt worden war: Grotius hat sie


(192) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

aus (1): nun läßt es sich denken, daß die Meinung des Trebatius diesen unbestrittenen practischen Satz dadurch erklären wollte, daß sie dem vorigen Besitzer in dieser Rücksicht fortdauernden Besitz zuschrieb. Unter dieser Voraussetzung, die bald durch eine Stelle Ulpians (2) deutlicher und wahrscheinlicher werden wird, hätte der ganze Streit in dieser Anwendung keinen practischen Zweck gehabt, aber die Meinung des Paulus hätte darum nicht weniger den Vorzug der größeren Consequenz (3).

Außer den Interdicten aber könnte der Satz des Trebatius auch auf die Usucapion sich bezogen haben, und nun wäre der Sinn dieser: wer mit Gewalt den Besitz verliert, hört deswegen doch nicht auf zu usucapiren. Von diesem Satz aber ist nicht nur in Justinians Compilation

gebilligt (flor. spars. p. 185. ed. Amst. 1643. 12.).

(1) L. 1. pr. uti possidetis.

(2) L. 3. pr. uti possidetis.

(3) Auf diese Art könnte auch erklärt werden: L. 17. pr. de poss.: „Si quis vi de possessione dejectus sit, perinde haberi debet, ac si possideret: cum interdicto de vi recuperandae possessionis facultatem habeat.“ – Doch läßt sich diese Stelle besser ohne alle Beziehung auf unsre Frage erklären, und zwar entweder von der hereditatis petitio, die gegen den dejectus als possessor geht (S. 108.), oder von den Cautionen, wovon er gleichfalls frey ist. Für das letzte spricht die Inscription, vergl. mit L. 11. 12. qui satisd. cog.


(193) §. 11. Possessio plurium in solidum.

das Gegentheil entschieden (1), sondern es ist nach der ganzen Natur der Usucapion höchst unwahrscheinlich, daß ihn jemals ein Jurist behauptet habe.

B. Bey der heimlichen Occupation des Besitzes gilt ungefähr dasselbe, was über den gewaltsamen Besitz bisher gesagt worden ist. Indessen kommt hier eine besondere Regel bey Grundstücken in Betracht, die erst im dritten und vierten Abschnitt dargestellt werden kann. Deshalb ist es auch noch nicht möglich, eine Stelle von Ulpian (2) hier zu erklären, obgleich sie gerade hier manche Mißverständnisse veranlaßt hat. Doch läßt es sich schon jetzt zeigen, daß weder Ulpian, noch Labeo, den er anführt, die Meinung des Trebatius auf diesen Fall anwenden: denn erstens haben Beide diese Meinung gar nicht gehabt (s. o. S. 188.), und zweitens sagt Ulpian am Ende: wenn der bisherige Besitzer verhindert werde, in sein Grundstück zurückzukehren, so habe der Andere eine violenta possessio. Da nun dieses nicht möglich wäre, wenn derselbe bis auf diesen Augenblick eine clandestina possessio gehabt hätte (3), so hat er nach

(1) L. 5. de usurp. et usuc.

(2) L. 6. §. 1. de poss.

(3) „Non enim ratio obtinendae possessionis, sed origo nanciscendae exquirenda est.“ L. 6. pr. de poss. – Cuperus de nat. poss. P. 2. C. 20.


(194) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Ulpians Meinung bisher noch gar keinen Besitz gehabt, und Ulpian nimmt also hier nicht zwey Besitzer zu gleicher Zeit an.

C. Beide Fälle zugleich, der gewaltsame nämlich, so wie der heimliche Besitz, werden in folgender Stelle beurtheilt (1): „Si duo possideant in solidum, videamus, quid sit dicendum: quod qualiter procedat, tractemus. Si quis proponeret possessionem justam, et injustam: ego possideo ex justa causa, tu vi aut clam: si a me possides, superior sum interdicto: si vero non a me, neuter nostrum vinceretur (2): nam et tu possides et ego.“ – Ulpian spricht von dem interdictum uti possidetis, angewendet auf den Besitz, den Mehrere in solidum haben. „Wie ist das möglich? nur so, daß der Eine juste, der Andere injuste, z. B. vi oder clam, besitzt.“ Hier ist offenbar von der Meinung des Trebatius die Rede, aber ohne daß diese gebilligt wird, was auch nach andern Stellen nicht möglich wäre

(1) L. 3. pr. uti possidetis.

(2) So lesen: Rom. 1476., Nor. 1483., Ven. 1485. – Florent. cum rel. „vincetur.“ Alle Mss., die ich kenne, stimmen mit dem Florentinischen überein (nur ließt die Metzer und eben so die Leipziger Handschrift vincet anstatt vincetur): auch kann die hier gegebene Interpretation ohne diese Leseart bestehen.


(195) §. 11. Possessio plurium in solidum.

(s. o. S. 187-189.). Ulpian sagt: si quis proponeret: er nimmt also diese Meinung auf einen Augenblick als wahr an, um zu zeigen, wie das interdictum uti possidetis nach ihr zu beurtheilen wäre (1). Offenbar aber sezt er nur den Fall voraus, wenn der injustus, nicht wenn der justus possessor das Interdict gebrauchen will, denn dieser hätte nach den Worten des Edicts selbst, also nach der Meinung aller Juristen, das interdictum de vi, und nicht das interdictum uti possidetis. Also ist die Frage die: ein injustus possessor gebraucht gegen den (vorigen) justus possessor das interdictum uti possidetis, welches ist der Ausgang des Processes? entweder, sagt Ulpian, ist der Beklagte von diesem Kläger aus dem Besitz gesetzt worden, und dann verliert der Kläger, so daß selbst jene Controverse hier keinen practischen Unterschied macht („superior sum interdicto, “ nämlich nach allen Meinungen: nach der Meinung des Trebatius, weil der Beklagte noch Besitzer, und zwar besserer Besitzer war als der Andere, nach der Meinung des Paulus, wegen der bekannten Exception): oder er war von einem Dritten entsetzt worden, und diesen hat der jetzige

(1) Cuiacius in observ. Lib. 9. C. 32., Lib. 5. C. 22.


(196) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Kläger wieder herausgeworfen, dann würde der Prozeß nicht zu entscheiden seyn (1) („neuter vinceretur“, nämlich nach der hier vorausgesetzten Meinung des Trebatius: anders nach der Meinung des Paulus und Ulpian, denn nun mußte der Kläger gewinnen, weil der Beklagte weder selbst besaß, noch eine Exception gegen die Person des Klägers hatte). Hier zeigt sich also ein practischer Unterschied beider Meinungen, und dabey ist zugleich der Vorzug unserer Meinung offenbar: ja es ist wahrscheinlich, daß Ulpian in dieser ganzen Stelle keine andere Absicht hatte, als durch diese Consequenz die Unhaltbarkeit der anderen Meinung fühlbar zu machen.

D. Bey dem precarium sind zwey Fälle möglich: es ist entweder eine bloße Detention, die sich erst durch die Verweigerung in eine injusta possessio

(1) Daß dieses der einzig mögliche Sinn des: neuter vinceretur oder vincetur sey, daß also nun der Richter keinen Theil verhindern dürfte, dem Andern Gewalt anzuthun, läßt sich leicht zeigen, obgleich es oft bezweifelt worden ist. Nämlich die Condemnation des Beklagten wird, wie Alle zugeben, dadurch ausgeschlossen, aber eben so auch die Lossprechung, denn theils ist bey diesem Interdict, als einem remedium duplex, jede Lossprechung zugleich eine Condemnation, theils ist in dem ersten Fall, dem dieser zweyte entgegengesetzt wird, eben diese Lossprechung gemeint.


(197) §. 11. Possessio plurium in solidum.

verwandelt, oder es ist gleich Anfangs der juristische Besitz überlassen (S. 184. 185.): für den ersten Fall existirt außer der allgemeinen und verworfenen Meinung des Sabinus (S. 187.) durchaus keine Anwendung, wohl aber für den zweyten, und hier sind die Compilatoren so inconsequent gewesen, die Meinung des Sabinus wieder aufzunehmen, die sie schon im allgemeinen und in allen übrigen Anwendungen verworfen hatten. Die Stelle ist von Pomponius (1), und sie sagt ausdrücklich, wenn die possessio selbst einem Andern überlassen sey, habe zwar dieser Andere ohne Zweifel den Besitz bekommen, aber auch der Erste habe ihn behalten, obgleich dieses letzte bestritten worden sey. – Untersuchen wir hier wieder die Bedeutung dieses fortdauernden Besitzes: 1) auf das Interdict des Ersten (des rogatus) kann er sich nicht beziehen, weil dieser ohne Zweifel ein interdictum recuperandae possessionis (de precario) hat. 2) Auf das Interdict des Andern (des rogans) gegen den Ersten bezogen, hätte der Satz wieder keine practische Bedeutung, weil dieses Interdict auch ohne Besitz des Beklagten durch eine bloße Exception ausgeschlossen ist. 3) Bey der Usucapion aber ist die Sache von Bedeutung, und hier behauptet demnach

(1) L. 15. §. 4. de precario (Pomponius lib. 29. ad Sabinum.).


(198) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Pomponius, die Usucapion werde durch dieses precarium nicht unterbrochen. Aber gerade dieser Zweck wird auch nach der andern Meinung auf eine Art erreicht, nach welcher diese Fiction eben so unmöglich als überflüssig wird: nämlich wenn die Sache zurückgegeben ist, wird nun der Zwischenbesitz des Andern dem vorigen Besitzer mitgerechnet (1), und diese accessio possessionis gilt selbst dann, wenn er den Andern zur Restitution zwingen mußte (2), die precaria possessio also

(1) „ ... si tamen receperit possessionem rupto precario, dicendum esse, accedere possessionem ejus temporis, quo precario possidebatur.“ L. 13. §. 7. de poss. – Cuperus (P. 2. C. 22.) findet es sehr seltsam, daß die Compilatoren diese Stelle auf die Usucapion bezogen haben, da sie ursprünglich das interdictum utrubi betraf. Allein wie es nur eine possessio giebt, so giebt es auch nur eine accessio possessionis. Alle accessio, zu welchem Zwecke es sey, setzt nichts anders voraus, als ein Verhältniß juristischer Succession zwischen dem vorigen und jetzigen Besitzer. Succession nämlich gilt nie bey dem Besitz an sich (S. 26. 27.), sondern nur insofern etwas außer seinem bloßen Daseyn nöthig ist, z. B. Fortdauer durch einen bestimmten Zeitraum, wie bey dem interdictum utrubi und der Usucapion: nun aber ist diese Accession immer dieselbe in allen verschiedenen Anwendungen.

(2) L. 13. §. 9. de poss. „Si jussu judicis res mihi restituta sit, accessionem esse mihi dandam placuit.“ – Diese Regel geht auf alle Fälle überhaupt, in welchen eine juristische Succession zwar begründet ist (z. B. durch einen Kauf), die Restitution des Besitzes selbst aber erzwungen werden muß. Giphanius in L. cit. (lectur. Altorph. p. 467.).


(199) §. 11. Possessio plurium in solidum.

hinterher, durch die verweigerte Restitution, injusta geworden war. Nun ist es sehr natürlich, daß die Juristen, die diese accessio possessionis behaupten, über den Besitz des rogatus überhaupt gerade das Gegentheil von dem sagen, was Pomponius als Regel aufgestellt hatte (1), und es ist hier weniger, als in irgend einem Falle bedenklich, die eine Stelle der Pandekten durch die andere als aufgehoben zu betrachten, weil in der letzten für alles das gesorgt ist, was die erste, nur auf andere Art, bewirken wollte.

Die Resultate dieser Untersuchung über die Meinungen der Römischen Juristen sind diese:

1. Die Regel: plures eandem rem in solidum possidere non possunt ist als Regel zu jeder Zeit anerkannt worden.

2. Die Ausnahmen dieser Regel, über welche allein gestritten wurde, waren nicht von großer Bedeutung.

3. In Justinians Compilation ist die Regel selbst, als allgemeine Regel, anerkannt.

4. Schon deswegen kann in dem neuesten Römischen

(1) „ ... Si quis ... ea mente possessionem tradidit, ut postea ei restituatur, desinit possidere.“ L. 17. §. 1. de poss. – Diese Stelle und die L. 13. de poss. sind beide aus demselben Werke (Ulpianus ad edictum).


(200) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Recht von keinen Ausnahmen die Rede seyn, aber auch unabhängig davon läßt sich hier keine einzelne dieser Ausnahmen behaupten.

Hieraus folgen nun zwey sehr wichtige Regeln, die sich auf die ganze Theorie des Besitzes erstrecken:

A.) Wenn, nach der ausdrücklichen Erklärung unsrer Rechtsquellen, der bisherige Besitz fortdauert, so folgt daraus, daß noch kein neuer Besitz angefangen haben könne.

B.) Wenn das Römische Recht einen neuen Besitz anerkennt, so muß eben deshalb der vorige Besitz aufgehört haben.

Der practische Sinn beider Sätze wird durch folgende Beyspiele deutlicher werden:

A) Beyspiel für den ersten Satz: es wird ausdrücklich gesagt, daß der Besitz eines Grundstücks, welches heimlich von einem Andern occupirt wird, so lange fortdauere, bis der vorige Besitzer die Occupation erfahren habe (Abschn. 3.). Wenn nun der, welcher heimlich das Grundstück occupirt hat, von einem Dritten mit Gewalt herausgeworfen wird, so müßte dieser Dritte nach der Regel des Erwerbs überhaupt (Abschn. 2.) sogleich Besitzer geworden seyn: nach unserm Grundsatz aber hat Er den Besitz noch nicht erworben. –

B) Beyspiel für den zweyten Satz: es ist oben (S.


(201) §. 11. Possessio plurium in solidum.

122. 123.) bemerkt worden, daß bey dem ager vectigalis und der Emphyteusis der juristische Besitz dem Pachter zugeschrieben werden müsse. Von dem Verpachter sagt das Römische Recht nichts: aber nach unsrer Regel muß dessen voriger Besitz durch die Verpachtung nothwendig aufgehört haben.

Beide Sätze gehören an sich nicht zu den juristischen Modificationen des Besitzes (S. 28.), sondern sie folgen aus dessen ursprünglichem Begriff (S. 182. 183.), aber sie können mit einer andern Fiction in Verbindung gebracht werden, und das war der Fall in dem hier gegebenen Beyspiel.

Unter den neueren Juristen sind über diesen Gegenstand die Meinungen noch viel mehr getheilt gewesen, als bey den Römern, weil bey jenen, aber nicht bey diesen (1), ganz falsche Begriffe von possessio überhaupt und ihren Eintheilungen hinzukamen, wodurch die Frage völlig verwirrt werden mußte. Doch haben Mehrere die richtige Meinung gründlich vertheidigt (2): Einige

(1) Doch ist selbst dies nicht unbestritten. Nämlich Merillius (observ. L. 2. C. 31.) erklärt den ganzen Streit der Römer für Wortstreit, was Einige possessio civilis und naturalis nannten, sollen Andere durch possidere und in possessione esse unterschieden haben (s. o. S. 157.).

(2) Cuiacius in observ. L. 9. C. 32., et L. 5. C. 22. Id. in L. 3. §. 5. de poss. (opp. T. 5. p. 708., et T. 8. p. 257.). Obrecht de poss. Cap. 8. Turaminus de subst. poss.


(202) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

haben geradezu das Gegentheil behauptet (1): die Meisten haben durch Distinctionen beide Extreme zu vermitteln gesucht, also die possessio plurium theils zugelassen, theils verworfen (2). – Vaconius und Galvanus haben nicht nur mehrere gleichzeitige Besitzer derselben Sache für möglich gehalten, sondern sogar mehrere Usucapionen: wenn die erste geendigt sey, dauere die andere immer noch fort, und durch Vollendung der zweyten werde das Eigenthum wieder genommen, welches

C. 1-3. (opp. p. 235-259.). Merenda in contr. L. 12. C. 13. 23. (unter Allen am richtigsten). Valentia in ill. jur. tract. L. 1. Tr. 2. C. 3. Ramos de poss. Praetermiss. C. 1. (ap. Meerm. T. 7. p. 84.). Retes de poss. P. 1. C. 2. (ib. p. 463.).

(1) „Martinus cum suis Gosianis.“ (Glossa in L. 3. pr. uti poss.) .Auch gehören dahin Einige, die nur zum Schein, und um nicht geradezu unsern Rechtsquellen zu widersprechen, Distinctionen gebraucht haben, z. B. Zasius in L. 3. §. 5. de poss. (opp. T. 3. p. 111-116. cf. p. 125. 132. 133. 155.) und Oppenritter in Summa Poss. P. 2. C. 3.

(2) Azo in lectura tit. uti poss., et in Summa tit. de poss. n. 10-15. Glossa in L. 3. §. 5. de poss. Odofredus in L. cit. (fol. 55. 56.). Alciatus in L. 1. pr. de poss. n. 64. 65. Vaconius in declar. 72. fol. 68. Duarenus in L. 3. §. 5. de poss. (opp. p. 853.). Giphanius in L. 3. §. 5. de poss. (lect. Alt. p. 418.) Galvanus de usufructu C. 34. in fin. Cuperus de nat. poss. P. 2. C. 13-21. (seine ganze Darstellung ist sehr gründlich und gut, aber am Schlusse giebt er alle Vortheile derselben verloren, weil es ihm an einem richtigen Begriff von possessio fehlt). – Auch scheint in: C. 9. X. de probat. diese Meinung zum Grunde zu liegen.


(203) §. 11. Possessio plurium in solidum.

die erste gegeben habe. Schon früher hat die Glosse über diese Meinung ein richtiges Urtheil ausgesprochen (1). – Die merkwürdigste Meinung ist die von Westphal (2): nachdem er die Römischen Juristen völlig mißverstanden hat, erklärt er sich über die Sache selbst also: „es kommt hier bloß auf gewisse theoretische Resultate an, welche sie glaubten aus den Gesetzen oder der Natur der Sache abgeleitet zu haben, die uns also kein Gesetz machen, wenn sie unrichtig gefolgert sind.“ Nun legt er den Römern diesen Fall vor: Ich entsetze einen Andern gewaltsam aus dem Besitz, ein gleiches widerfährt Mir von Cajus, nun besitze ja Ich und Cajus zugleich! „Den Fall haben die Alten vermuthlich nicht in Erwägung gezogen.“

Die erste Regel, die aus dieser ausschließenden Natur des Besitzes für den Erwerb und Verlust desselben abgeleitet worden ist (S. 199. 200.), hat man gewöhnlich durch den Satz ausgedrückt: die possessio muß vacua seyn, um erworben werden zu können. Nämlich bey der freywilligen Uebergabe, so wie bey der gewaltsamen Entsetzung wird die possessio im Augenblick des

(1) Glossa in L. 3. §. 5. de poss. (es wird hier eine andere Meinung durch folgende Consequenz widerlegt): „ergo si omnes habeant bonam fidem ... omnes usucapiunt: quod est absurdum.“

(2) Ueber die Arten der Sachen, Besitz (et)c. Th. 2. Cap. 2. §. 65.


(204) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Erwerbs selbst vacua: wo das nicht ist, wie z. B. bey der heimlichen Occupation eines Grundstücks, kann eben wegen unseres Grundsatzes kein Besitz erworben werden, und so ist die Anwendung dieses Grundsatzes durch jenen Ausdruck ganz richtig bezeichnet (1). Mehrere Schriftsteller haben diese Bestimmung selbst in die Definition des Besitzes aufgenommen (2): allein, obgleich dieses in seinen practischen Folgen nicht unrichtig ist, führt es doch zu der falschen Ansicht, als ob in dem Begriff selbst etwas dadurch bestimmt würde, da doch dieses Merkmal bloß negativer Art ist. Die Römer selbst gebrauchen den Ausdruck zwar in ähnlichem Sinn, aber in einer enger bestimmten Beziehung, um nämlich bey der Tradition eines Grundstücks auszudrücken, daß nicht etwa ein Dritter dasselbe animo besitze. So gehört dieser Ausdruck schon der alten Kunstsprache an (3): in unsern Rechtsquellen findet er sich häufig (4), und in Urkunden über Kauf und Tradition hat er sich das Mittelalter

(1) Obrecht de possessione Cap. 8.

(2) Obrecht de possessione Cap. 2. §. 43: „ ... possessionem esse detentionem rei vacuae ... “. cf. §. 89.

(3) Cicero pro Tullio Cap. 13.: „neque tamen hanc centuriam Populianam vacuam tradidit.“ Auct. ad Heren. IV. 29.: „Necesse est ... te aut vacuum possedisse ... vacuum, cum ego adessem, possidere non potuisti.“ Bloß anspielend steht der Ausdruck bey Cicero de orat. III. 31. Quinctiliani declamat. XII. 4.

(4) Brissonius v. vacuus.


(205) §. 11. Possessio plurium in solidum.

hindurch erhalten (1). Am häufigsten kommt er vor bey dem Kauf, und hier sogar, nach dem eigenthümlichen Inhalt dieses Vertrags, mit einer etwas größeren Ausdehnung: der Verkäufer nämlich hat keine vacua possessio (im Sinn des Kaufcontracts) tradirt, wenn nur z. B. ein Dritter eine missio in possessionem hat (2), obgleich darin kein wahrer Besitz liegt, also auch nicht der Besitz des Verkäufers, die Tradition und der Uebergang des Eigenthums dadurch gehindert wird.

Cuperus hat zuerst die Regeln ausdrücklich angegeben (3), die man vorher entweder gar nicht aufzustellen, oder durch den Ausdruck vacua possessio auszudrücken pflegte: aber er macht hiervon, wie von seiner richtigen Ansicht dieser Sache überhaupt, einen sehr einseitigen Gebrauch.

§. 12.

Nun erst ist es möglich, über den Plan der folgenden Abhandlung bestimmte Rechenschaft zu geben. Es giebt überhaupt zwey juristische Beziehungen des Besitzes, auf Usucapion und auf Interdicte (§. 2.): allein bey der Usucapion ist es nicht der Besitz allein, was sie möglich macht, sondern es müssen noch andere juristische

(1) Marini papiri diplomatici p. 331. not. 17.

(2) L. 2. §. 1. de act. emti.

(3) de nat. poss. P. 2. C. 19.


(206) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Bestimmungen gleich Anfangs hinzukommen, bey den Interdicten kommt es lediglich auf das Daseyn des Besitzes an, woraus dann bei eintretender Verletzung stets die Interdicte entstehen (§. 7. num. 3.).

Da also das einzige Recht des bloßen Besitzes in den Interdicten besteht, so ist das Recht der Interdicte das, was hier dargestellt werden soll. Demnach wird von der Usucapion nicht weiter die Rede seyn: allein alles, was hier vorgetragen werden soll, steht dennoch in genauer Beziehung auf Usucapion, weil es ganz derselbe Besitz ist, der bey den Interdicten und bey der Usucapion als Bedingung vorausgesetzt wird. Nur was zu dem Besitz selbst noch hinzukommen muß, um ihn der Usucapion fähig zu machen, gehört allein in die Theorie des Eigenthums. Aber eben wegen dieser genauen Verbindung des Besitzes mit der Usucapion sind die Rechtsquellen, worin diese letzte bestimmt wird, auch in der Theorie des Besitzes überhaupt als Quellen zu gebrauchen: auch ist bereits in der Quellenkunde diese Bemerkung benutzt worden.

Es ist demnach ein Theil des Obligationenrechts, welcher hier dargestellt werden soll (§. 6.), und es werden zwey Fragen beantwortet werden müssen, um diese Aufgabe vollständig zu lösen. Erstens: wann ist Besitz vorhanden, d. h. wann ist das Daseyn des Verhältnisses anzunehmen, ohne welches diese obligatio


(207) §. 12. Erklärung der Juris quasi Possessio.

ex delicto nicht entstehen kann? Zweytens: was muß zu jenem Verhältniß hinzukommen, damit diese obligatio wirklich entstehe (1), d. h. wie muß der Besitz verletzt werden, wenn die obligatio aus dieser Verletzung entstehen soll? Die erste dieser Fragen ist wieder in zwey andere aufzulösen: wie wird der Besitz erworben? (Abschn. 2.) wie wird der erworbene Besitz wieder verloren? (Abschn. 3.) – Die zweyte Frage wird durch die Darstellung der verschiedenen Interdicte beantwortet seyn (Abschn. 4.), indem diese den verschiedenen Formen der Verletzung selbst correspondiren.

Allein noch ist einer Beziehung des Besitzes nicht erwähnt worden, die hier, wo für jeden Theil der folgenden Abhandlung der Gesichtspunct angegeben werden soll, nothwendig erklärt werden muß. Ich habe nämlich bisher stillschweigend vorausgesetzt, daß aller Besitz nur auf Körper sich beziehen könne. Auch im Römischen Recht kommt dieser Satz nur selten und beyläufig

(1) Es bedarf kaum einer Erinnerung, daß dadurch der Interdictenbesitz nicht etwa dem Usucapionsbesitz ähnlich werde, bey welchem auch etwas zu dem bloßen Daseyn des Besitzes hinzukommen mußte. Denn was bey der Usucapion hinzukommen muß, sind in der That Bestimmungen des Besitzes selbst: dagegen ist hier bloß von einer besonderen Art der Verletzung die Rede, wodurch die Natur des Besitzes durchaus keine neue Bestimmungen erhält.


(208) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

vor (1): er ist jedoch in der ganzen Darstellung der Römischen Juristen so offenbar enthalten, daß man schon von außen einen falschen Begriff mit hinzugebracht haben muß, um ihn bezweifeln zu können. Nun wird aber auch eine Beziehung des Besitzes auf unkörperliche Sachen behauptet: was dieser Besitz in dem Römischen Recht selbst und bey unseren Juristen für eine Bedeutung habe, soll also hier untersucht werden.

Das Recht der Interdicte gründet sich darauf, daß die Ausübung des Eigenthums auf eine unrechtliche Art, z. B. durch Gewalt, gestört wurde. Wenn nun bey irgend einem andern Recht auch eine gewaltsame Störung der bloßen Ausübung gedacht werden könnte, so wäre es ganz consequent, auch gegen diese Störung durch solche Interdicte zu schützen. Das ist aber der Fall bey allen Bestandtheilen des Eigenthums, welche als eigne Rechte für sich, und abgesondert vom Eigenthum selbst, existiren können. Ein solches Recht ist der ususfructus, und es ist auf den ersten Blick klar, daß hier eine gewaltsame Störung eben so leicht gedacht werden könne, als bey dem Eigenthum selbst: eben so bey allen übrigen Servituten, und eben so bey der superficies: kurz, bey allen Rechten überhaupt, welche unter

(1) L. 3. pr. de poss.: „Possidere autem possunt quae sunt corporalia.“ L. 4. §. 27. de usurp.: „quia nec possideri intelligitur jus incorporale.“


(209) §. 12. Erklärung der Juris quasi Possessio.

dem Namen jura oder jura in re, als abgesonderte Bestandtheile des Eigenthums, dem dominium, als der Totalität aller dinglichen Rechte überhaupt, entgegengesetzt werden. Von diesen Rechten ist oben (S. 119. 120.) bewiesen worden, daß kein animus domini, also auch kein wahrer Besitz, bey dem, der sie ausübt, gedacht werden könne. Da aber die Ausübung derselben auf eben die Weise gewaltsam gestört werden kann, wie die des Eigenthums, so ist hier eine mögliche Beziehung des Besitzes auf andere Rechte als das Eigenthum gefunden, und diese Beziehung ist in dem Römischen Recht wirklich enthalten. Also wie der wahre Besitz in der Ausübung des Eigenthums besteht, so besteht dieser nachgebildete Besitz in der Ausübung eines jus in re: und wie man bey dem wahren Besitz zwar die Sache besitzt (possessio corporis), aber nicht das Eigenthum, so sollte auch hier eigentlich nicht von dem Besitz der Servitut (possessio juris), die Rede seyn. Allein da wir kein anderes Wort haben, an welches wir hier den Besitz knüpfen könnten, so wie er im Eigenthum mit der Sache verknüpft ist, so bleibt nichts übrig, als dennoch jenen uneigentlichen Ausdruck zu gebrauchen: dabey ist nur nie zu vergessen, daß es wirklich ein uneigentlicher Ausdruck ist, und daß nichts anderes damit bezeichnet werden soll, als die Ausübung eines jus in re,


(210) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

welche zu dem jus in re selbst in demselben Verhältniß steht, wie der eigentliche Besitz zum Eigenthum. Die Römischen Juristen haben das alles sehr deutlich gedacht: und nur auf diese Art erklärt es sich, warum ihr Sprachgebrauch hier so schwankend zu seyn scheint. In manchen Stellen nämlich wird hier possessio geradezu geläugnet (1), in andern auch geradezu angenommen (2), in noch andern aber wird das uneigentliche, was in diesem Sprachgebrauche liegt, durch quasi possidere, quasi in possessione esse bezeichnet (3).

(1) „neque ususfructus neque usus possidetur, sed magis tenetur.“ L. 1. §. 8. quod legat. add. L. 4. §. 27. de usurp. – L. 32. §. 1. de serv. praed. urb.

(2) „jus fundi possedisse“ L. 7. de itin. – „jus possedit.“ L. 2. comm. praed. – „possessionem vel corporis vel juris.“ L. 2. §. 3. de precar. – „Nemo ambigit, possessionis duplicem esse rationem: aliam quae jure consistit, aliam quae corpore.“ L. 10. C. de poss. Nämlich consistere jure, corpore heißt hier: ein jus oder ein corpus zum Gegenstand haben. Cuperus (P. 1. C. 4.) hat diese Interpretation sehr gründlich durchgeführt, und man kann sie als den gelungensten Theil seiner Schrift betrachten.

(3) „ususfructus nomine ... quasi in possessione.“ L. 3. §. 17. de vi. – „ususfructus quasi possessio.“ L. 23. §. 2. ex quibus causis majores. – „longa quasi possessione jus aquae ducendae nactus.“ L. 10. pr. si servitus

vind. – – Quasipossessio, als ein Wort, kommt nie vor, sondern quasi wird hier, wie bey: obligatio quasi ex contractu etc. immer adverbialiter gebraucht, so daß durchaus kein Fall existirt, in welchem es nicht geradezu durch: gleichsam übersetzt werden könnte.


(211) §. 12. Erklärung der Juris quasi Possessio.

Bey diesem sogenannten Besitz unkörperlicher Sachen ist es nöthig, eine zweyfache Verwechslung sorgfältig zu vermeiden. Erstlich kann in derselben Person zugleich von einer possessio corporis oder juris die Frage seyn, diese müssen genau unterschieden werden, und dadurch, daß man sie nicht immer unterschieden hat, ist der Begriff des Besitzes nicht wenig verwirrt worden. So z. B. hat der fructuarius an der Sache selbst, d. h. in Beziehung auf das Eigenthum, gar keinen juristischen Besitz, so daß seine possessio bloß naturalis ist (1), und daß der juristische Besitz des Eigenthümers durch ihn eben so wenig verhindert wird, als durch einen bloßen Pachter: allein an seinem jus ususfructus hat er den juristischen Besitz, und deswegen kann er die possessorischen Interdicte ohne Zweifel gebrauchen. Durch die ganz unrichtige Verbindung jener possessio naturalis mit diesem Recht auf die Interdicte ist Bassian zu einem zweyfachen Irrthum geführt worden (S. 159.), indem er nicht nur den Interdictenbesitz durch naturalis possessio bezeichnete, sondern auch dem fructuarius den juristischen Besitz der Sache selbst beylegte, den der Pfandgläubiger

Vgl. Weber von der natürl. Verbindl. §. 25. not. 1. (So konnte noch in der zweyten Ausgabe dieses Werks geschrieben werden, durch Gaius Lib. 4. §. 139. ist Quasipossessio als ein für sich bestehender Ausdruck gerechtfertigt).

(1) L. 12. pr. de poss.


(212) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

wirklich hat: aus welchen Irrthümern dann nothwendig noch der dritte folgen mußte, daß

zwey juristische possessiones (nämlich eine civilis und eine naturalis) nebeneinander sollten gedacht werden können (S. 202.). – Die zweyte Verwechslung, die hier verhütet werden muß, ist diese: es wird unten von einer possessio ususfructus und von einer possessio hereditatis (bonorum) die Rede seyn, d. h. des ususfructus, oder des Erbrechts, die bloß durch das Edict, nicht nach Civilrecht, bestehen (S. 219.): eben so ist bereits oben eine juris possessio bey der hereditatis petitio und eine libertatis und servitutis possessio bey dem liberale judicium vorgekommen (S. 109.): damit steht indessen die juris quasi possessio, wovon hier die Rede ist, durchaus in keiner Verbindung, da in jenen Stellen possessio selbst gar nicht mehr den Besitz, sondern entweder ein bloß prätorisches Recht, oder das prozessualische Verhältniß eines Beklagten bezeichnet.

Ein großer Theil unserer Juristen hat dieses Stück der Theorie des Besitzes gänzlich mißverstanden. Weil man nämlich die bestimmte Bedeutung des Römischen: jus (in re) übersah, erklärte man die juris quasi possessio für Ausübung eines Rechts überhaupt (1):

(1) Indessen ist nicht zu läugnen, daß bey den meisten auch das Canonische Recht mit zu diesem Begriffe beytrug: davon unten.


(213) §. 12. Erklärung der Juris quasi Possessio.

nun läßt sich freylich bey jedem Recht auch eine Ausübung denken, aber nicht bey jedem eine gewaltsame Störung oder Usucapion, und doch sind das die einzigen Beziehungen, unter welchen die Ausübung eines Rechts als ein juristisches Verhältniß betrachtet wird. – Durch jene leere Abstraction kam Hommel (1) zu der Frage, die er selbst für unauflöslich erklärt: warum der Arzt, den man zu brauchen aufhöre, nicht im Besitz dieses Rechts geschützt werden müsse? Spangenberg (2) gieng in der Vollständigkeit so weit, daß er als den ersten möglichen Gegenstand der quasipossessio das Eigenthum nannte. Da indessen auch der Besitz als ein Recht betrachtet wird, so ist nicht einzusehen, warum es nicht auch eine possessionis quasi possessio geben sollte: dieser Besitz der zweyten Potenz wäre natürlich wieder Gegenstand eines neuen Besitzes, und so in’s unendliche fort. Sibeth ist hier, wie überhaupt, ganz originell: er läugnet alle juris quasi possessio (3), und geht übel mit den Juristen um, die sie behaupten: natürlich weiß er hier, wie überall, gar nicht, wovon die Rede ist.

(1) Rhapsod. 489.

(2) Vom Besitz §. 102.

(3) Eines seiner besten Argumente lautet so (vom Besitz S. 80.): „Die natürliche Freyheit schlägt alles zu Boden, denn sie ist nicht nur in der Vernunft, sondern auch in den Gesetzen gegründet.“ Wenn sich die natürliche Freyheit so aufführt, muß man sie ihrer natürlichen Freyheit berauben.


(214) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Es muß also nun zu der Theorie des Besitzes selbst (Abschn. 2-4.) noch die Theorie der Anwendung seiner Grundsätze auf jura in re (Abschn. 5.) hinzukommen.

Allein auch damit ist noch nicht alles geleistet. Der Begriff und die Rechte des Besitzes sind in dem Recht neuerer Zeiten auf mancherley Weise anders als bey den Römern bestimmt worden. Soll also eine Theorie des Besitzes auf practische Anwendung Anspruch machen können, so muß sie den Ansichten des Römischen Rechts die Modificationen hinzufügen, unter welchen jene Ansichten für uns practische Gültigkeit haben. Allein auch für die gründliche Kenntniß des Römischen Rechts ist dieser letzte Theil der Untersuchung (Abschn. 6.) nicht ohne Werth, indem das Wesentliche vom Zufälligen auf keine Art sicherer geschieden werden kann, als wenn die Grundsätze beybehalten, und nur die Bedingungen der Anwendung verändert werden.

Demnach ist der Gang der folgenden Untersuchung dieser: zuerst wird das Römische Recht vollständig dargestellt (Abschn. 2-5.), dann werden die Modificationen der neuern Rechte hinzugefügt werden (Abschn. 6.). Das Römische Recht betrifft theils den Besitz selbst (Abschn. 2-4.), theils die Anwendung seiner Grundsätze auf jura in re (Abschn. 5.): das Recht des Besitzes selbst aber beruht theils auf dem Daseyn des Besitzes


(215) §. 12 a. Geschichte des Besitzes.

(Abschn. 2. 3.), theils auf den bestimmten Formen seiner Verletzung (Abschn. 4.).

§. 12 a.

Zuletzt ist noch die historische Frage zu beantworten, wie man darauf kam, den Besitz, unabhängig von irgend einem Recht auf die Sache, durch Interdicte zu schützen. Man möchte nämlich glauben, daß das Recht des Eigenthums völlig hingereicht haben müßte, und daß für den Besitz und seine Interdicte kein Bedürfniß empfunden worden wäre, besonders bey einem Volk, wie das Römische, das von Natur, und bis zur gänzlichen Auflösung des alten Sinnes durch die Bürgerkriege, mehr zu rechtlicher Ordnung als zu Gewaltthätigkeiten geneigt war. Wie kamen also die Römer, und vielleicht schon sehr frühe, auf den Besitz als Grund eigener Interdicte?

Sollten sie etwa bloß dazu dienen, den Streit über Eigenthum vorzubereiten und einzuleiten, indem sie den Kläger und den Beklagten ausmittelten? aber darauf bezog sich ja bey dem Eigenthum selbst eine besondere Prozeßform, die manus consertae (1). – Oder sollten sie die angefangene, noch unvollendete, Usucapion

(1) Von dem Verhältniß der Interdicte zur Vindication ist beyläufig schon oben gesprochen worden am Schluß von §. 2., ausführlich wird es noch unten geschehen §. 36.


(216) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

schützen? (1) Aber dann wäre es natürlicher gewesen, ihnen (so wie der publiciana actio) genau dieselben Bedingungen vorzuschreiben, wie der Usucapion, anstatt daß der Besitz auch ohne bona fides und ohne justa causa durch Interdicte geschützt wird. Auf der andern Seite, wenn die Interdicte der Usucapion wegen eingeführt waren, mußten sie auch so weit ausgedehnt werden, als die Usucapion, nämlich auf bewegliche Sachen so gut, als auf Grundstücke. Allein gerade die wichtigsten, die interdicta recuperandae possessionis, giengen nur auf Grundstücke allein (2), dienten also der Usucapion nur zu einem sehr unvollständigen Schutz.

Niebuhr hat diese Entstehung des Besitzes auf eine völlig befriedigende Weise erklärt (3). Es gab zweyerley Land in der Römischen Republik, ager publicus und ager privatus, an welchem letzten allein Eigenthum galt. Allein auch der ager publicus wurde nach der alten Verfassung größtentheils an einzelne Römische Bürger zum Besitz und Genuß überlassen, jedoch so, daß stets die Republik das Recht behielt, ihn völlig willkührlich einzuziehen. Nun finden wir für diesen Besitz der Einzelnen

(1) Diese Erklärung habe ich früherhin angenommen, zweyte Ausg. S. 68.

(2) Für das int. de vi ist dieses ohnehin bekannt, für die übrigen wird davon §. 41. 42. die Rede seyn.

(3) Niebuhr Römische Geschichte Th. 2. S. 161 fg. 170. fg. der zweyten Ausgabe.


(217) §. 12 a. Geschichte des Besitzes.

am ager publicus, also für eines der wichtigsten und häufigsten Verhältnisse im alten Rom, nirgends eine bestimmte Rechtsform erwähnt, obgleich es bey dem juristischen Ordnungssinn der Römer gar nicht zu bezweifeln ist, daß eine solche Rechtsform, und insbesondere, daß ein Schutz des Inhabers gegen willkührliche Störung eingeführt war. Dürfte man nun annehmen, daß der Interdictenbesitz eben diese Rechtsform für den ager publicus gewesen wäre, so würden damit zwey Aufgaben zugleich gelößt seyn: für den Besitz wäre ein ursprünglicher Zweck, eine erste Veranlassung gefunden, für den ager publicus aber eine Rechtsform.

Ließe sich nicht mehr als dieses dafür sagen, so würde es eine Hypothese bleiben, welche nur durch inneren Zusammenhang einige Wahrscheinlichkeit erhielte. Allein es fehlt dieser Behauptung nicht an den wichtigsten historischen Bestätigungen:

1.) Vor allem andern ist zu bemerken, daß possessio, possessor und possidere nach vielen Stellen der verschiedensten Zeiten die eigenthümlichen Kunstausdrücke für den Besitz und Genuß des ager publicus waren (1).

(1) Viele Stellen sind gesammelt bey Niebuhr Th. 2. S. 359. 360. (S. 161 der zweyten Ausgabe.) Ich füge noch einige andere hinzu: Livius VII. 16. „Eodem anno C. Licinius Stolo ... est damnatus, quod mille jugerum agri cum filio possideret, emancipandoque filium fraudem legi fecisset.“


(218) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Diese Gemeinschaft der Terminologie zwischen unserm Besitz und dem ager publicus läßt sich aber gewiß nicht einfacher und befriedigender erklären, als aus der ursprünglichen Identität der Gegenstände selbst, wie sie eben hier behauptet wird.

Hieraus erklären sich ferner manche andere Bedeutungen von possessio, die nunmehr in einem höchst einfachen, ja nothwendigen Zusammenhang stehen. Nämlich possessio heißt oft das Erbrecht, oder eine Servitut, wenn diese Rechte nicht nach strengem Civilrecht gültig sind, sondern nur nach jus gentium, welches dann häufig durch das prätorische Edict bestätigt worden ist. Dahin gehören folgende einzelne Anwendungen:

a) Bey dem damnum infectum sagt der Prätor, in Beziehung auf die zweyte missio in possessionem,

Eben so bey allen andern Schriftstellern in derselben Erzählung. Columella I. 3. Plinius hist. nat. XVIII. 3. Valer. Max. VIII. 6. 3. Dieser letzte entstellt jedoch die ganze Geschichte nach seiner höchst unzuverlässigen Weise, indem er aus der offenbar richtigen Emancipation des Sohnes eine hier ganz unmögliche Emancipation des Landes an den Sohn macht: „dissimulandique criminis gratia dimidiam partem filio emancipavit.“ Eine der entscheidendsten Stellen, ohne Zweifel aus einer alten, guten Quelle genommen, ist bey Orosius V. 18. (ad a. 661.): „Namque eodem anno ... loca publica quae in circuitu Capitolii pontificibus, auguribus, decemviris et flaminibus in possessionem tradita erant, cogente inopia vendita sunt, “ d. h. sie wurden eingezogen und in ager privatus verwandelt.


(219) §. 12 a. Geschichte des Besitzes.

die dabey vorkommen konnte: possidere jubebo (1). Dieses possidere aber bedeutete bonitarisches Eigenthum mit conditio usucapiendi (2).

b) Wenn ein Ususfructus nicht nach Civilrecht, sondern nur nach prätorischem Recht bestehen konnte, so hieß das: possessio ususfructus im Gegensatz von dominium ususfructus, oder von ususfructus qui jure consistit (3).

c) Eben so ist der Ausdruck hereditatis oder bonorum possessio zu erklären, womit gar nicht etwa der wirkliche Besitz der Erbschaftssachen, sondern die besondere Natur des prätorischen Erbrechts bezeichnet wird (4). Der prätorische Erbe nämlich ist nicht heres, aber er wird durch Fiction dem heres gleich behandelt (5), so daß sich die bonorum possessio zu der hereditas genau so verhält, wie das bonitarische Eigenthum zum quiritarischen.

Diese Bedeutung von possessio aber ist aus der zuerst angegebenen (für Recht am ager publicus) sehr natürlich entstanden. Denn alle diese Fälle kamen darin überein, daß ohne streng Römisches Eigenthum (ex jure

(1) L. 7. pr. de damno inf.

(2) L. 15. §. 16. 17. de damno inf. L. 18. §. 15. eod. – L. 3. §. 23. de poss.

(3) L. 3. si usufr. petatur (cf. L. 1. pr. L. 4. L. 29. §. 2. quib. modis usufr. L. 29. de usu et usufr. leg.).

(4) L. 3. §. 1. de bon. poss.

(5) Ulpian. XXVIII. 12.


(220) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Quiritium) dennoch etwas praktisch ähnliches entstand, nämlich ein wirklicher, ausschließender Anspruch eines Einzelnen auf Genuß und Gebrauch: so verschieden nun übrigens diese Rechte noch unter einander seyn mochten, so konnte diese allgemeine Aehnlichkeit dennoch leicht die gemeinsame Bezeichnung veranlassen. Nach derselben Analogie wurde ohne Zweifel auch das Recht am Provinzialboden possessio genannt.

Dieselbe Bedeutung von possessio ist dann von dem Recht selbst auf den Gegenstand desselben übertragen worden. So sagt Javolenus in einer sehr merkwürdigen Stelle, ager und possessio seyen juristisch verschieden: ager sey ein Grundstück im quiritarischen Eigenthum; possessio aber ein solches Grundstück, das wir entweder zufällig nur im bonitarischen Eigenthum haben (wie z. B. ein bloß tradirter fundus Italicus) oder das seiner Natur nach gar nicht im quiritarischen Eigenthum seyn könne (1). Mit diesen letzten Worten

(1) L. 115. de V. S. „Possessio ab agro juris proprietate distat: quidquid enim adprehendimus, cujus proprietas ad nos non pertinet, aut nec potest pertinere, hoc possessionem appellamus. Possessio ergo usus, ager proprietas loci est.“ Alciat hat die Stelle weitläufig erklärt (de quinque pedum praescript. num 76-119. und in L. 115. de V. S., opp. T. 3. p. 350. T. 2. p. 987.), aber auf mancherley Weise mißverstanden: seine Gegner haben sich noch weniger zu helfen gewußt (opusc. de latinit. Ic. ed. Duker p. 64.


(221) §. 12a. Geschichte des Besitzes.

meinte er ohne Zweifel zunächst Provinzialgrundstücke: sie passen aber eben so gut auf den alten ager publicus.

Daß nun so durch jene historische Ansicht von der Entstehung des Besitzes mehrere sehr eigenthümliche Bedeutungen von possessio in die strengste Verbindung gebracht werden (1), ist gewiß ein sehr bedeutender Grund für die Richtigkeit jener historischen Ansicht selbst.

2) Hieraus erklärt sich denn auch ganz einfach, was außerdem so seltsam scheint, daß nämlich die int. recuperandae possessionis nur auf Grundstücke, nicht auf bewegliche Sachen giengen. Es war dieses ein Ueberbleibsel der ursprünglichen Bestimmung der possessio, nach welcher sie lediglich dem ager publicus angehörte (2).

70. 85.) Brissonius hat zuerst die richtige Erklärung angegeben (select. antiq. IV. 1.) und ihm sind die Meisten gefolgt.

(1) Man könnte noch weiter gehen, und possessio für Eigenthum überhaupt (s. o. S. 106.) hieraus ableiten wollen, wenn nicht die oben gegebene Ableitung so sehr natürlich wäre; wie natürlich sie ist, erhellt am meisten daraus, daß im deutschen Besitz und Besitzung dieselbe Bedeutung erhalten haben, gewiß ohne Einfluß des Römischen ager publicus.

(2) [Zusatz der 4ten Ausg.] Ich sage damit nicht, daß es außerdem an aller Erklärung dieses Umstandes gänzlich fehlen würde. Denn allerdings kommt auch in Betracht, daß bey beweglichen Sachen meist schon andere Klagen aushelfen, die nicht auf den Besitz gegründet sind (§. 40.).


(222) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

3) Auch das Precarium, das in unsern Rechtsquellen so räthselhaft erscheint, bekommt nunmehr eine sehr bestimmte Bedeutung, woraus sich seine Eigenheiten leicht erklären. Es bezeichnet nämlich das Verhältniß des Clienten, welcher als Lehenmann auf der possessio des Patrons wohnte. Der Patron konnte dem Clienten willkührlich kündigen, und das interdictum de precario war dazu bestimmt, ihn auszutreiben, wenn er nicht gutwillig das Grundstück räumte (§. 42.).

4) Eben so liegt hierin eine historische Erklärung für die oben bemerkte Inconsequenz, daß bey dem ager vectigalis der Pachter, obgleich ihm nur ein jus in re zugeschrieben werden kann, dennoch den Besitz der Sache hat (S. 123.). Der ager vectigalis nämlich wurde nach der Analogie des alten ager publicus gebildet, und so viele und wichtige Verschiedenheiten zwischen beiden gelten mochten (1), so ist doch auch nichts natürlicher, als daß diese Analogie ohne weiteren Grund manche praktische Rechtssätze für den ager vectigalis veranlassen mußte. Da nun gerade die possessio bey dem ager publicus sogar zuerst entstanden war, so war es natürlich, daß man sie in dem ager vectigalis, als der neueren Form des ager publicus, fortdauern ließ. Diese Erklärung ist gewiß der Hinneigung zum alterthümlichen

(1) Niebuhr Th. 2. S. 166. der zweyten Ausg.


(223) §. 12 a. Geschichte des Besitzes.

sehr angemessen, die im alten Römischen Recht unverkennbar ist.

5) Der vollständige Zusammenhang ist nun so zu denken. Ursprünglich, und von den ältesten Zeiten her, gab es zweyerley Recht am Boden: Eigenthum am ager privatus mit Vindication, und possessio am ager publicus mit einem ähnlichen Schutz, wie wir ihn jetzt in den prätorischen Interdicten finden. – Späterhin nahm der Prätor dieses Rechtsverhältniß in das Edict auf, und so entstanden die Interdicte als prätorische Rechtsmittel, vielleicht ohne eine merkliche Aenderung in den Rechtssätzen selbst. – Gleichfalls in einer späteren Zeit fand man es bequem, die possessio, die sich nun einmal für den ager publicus ausgebildet hatte, auch auf den ager privatus anzuwenden, für welchen sie weniger dringendes Bedürfniß war, und wofür man sie schwerlich zuerst erfunden haben würde. Und diese spätere Anwendung auf den ager privatus ist das einzige, was uns in unsren Rechtsquellen, die den ager publicus fast gar nicht mehr kennen, übrig geblieben ist. Ob nun diese Ausdehnung älter oder neuer ist, als die Aufnahme der Interdicte in das Edict, und wie überhaupt das Edict die Sache aufnahm und behandelte, wissen wir durchaus nicht; daß zu Cicero’s Zeit die possessorischen Interdicte schon eingeführt waren, ist das einzige historisch Gewisse. Dennoch finden sich selbst im Edict einige


(224) Erster Abschnitt. Begriff des Besitzes.

Spuren des ursprünglichen Zusammenhangs zwischen der possessio und dem ager publicus. Eine solche Spur liegt gerade in der Form der Interdicte, die man für die possessio, zugleich aber auch für den locus publicus, flumen publicum u. s. w. wählte; eine Folge davon ist, daß diese Gegenstände im Edict selbst (so wie noch jetzt in den Pandekten) ganz nahe zusammen stehen. Eine zweyte Spur liegt in der Formel des Interdicts uti possidetis. Diese lautet nämlich in den Pandekten so: uti eas aedes ... possidetis ... vim fieri veto. Allein früher war sie so abgefaßt: uti nunc possidetis eum fundum ... vim fieri veto (1). Diese frühere Formel scheint noch aus der alten Verbindung mit dem ager publicus übrig zu seyn, als aber diese immer mehr vergessen wurde, scheint man aedes gesetzt zu haben, da nun Häuser in Rom allerdings als das nächste und vornehmste Beyspiel angesehen werden konnten.

(1) Festus v. possessio. Er citirt gleich Anfang den Gallus Aelius, aus welchem auch diese Formel genommen seyn mag. – Neuerlich hat Huschke mit scheinbaren Gründen zu zeigen gesucht, das Edict habe vielmehr zwey verschiedene Formeln für dieses Interdict enthalten, eine für den fundus, die andere für aedes (Ueber die Stelle des Varro [et]c. p. 110. fg.).


(225)

Zweyter Abschnitt.

Erwerb des Besitzes.

§. 13.

Der Inhalt dieses Abschnitts ist bereits durch die Darstellung des materiellen Begriffs des Besitzes (§. 10.) vorgezeichnet. Aller Erwerb des Besitzes beruht auf einem körperlichen Handeln (corpus oder Factum), von einem bestimmten Wollen (animus) begleitet (1). Das Factum muß den, welcher den Besitz erwerben soll, in eine solche Lage setzen, daß Er, und Er allein, nach Willkühr die Sache behandeln, d. h. Eigenthum ausüben könne. Das Wollen muß darauf gerichtet seyn, daß die Sache auch wirklich als eine eigne Sache behandelt werde: nur wenn der Besitz durch eine juristische Handlung von dem früheren Besitz eines Andern

(1) „adipiscimur possessionem corpore et animo, neque per se animo aut per se corpore.“ L. 3. §. 1. de poss. – „Possessionem adquirimus et animo et corpore ... “ Paulus V. 2. §. 1. – L. 8. de poss. – L. 153. de R. I.


(226) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

abgeleitet wird, ist es genug, diese Uebertragung zu wollen, so daß nun der Besitz erworben werden kann, obgleich das Eigenthum einer andern Person anerkannt wird.

Allein der Besitz wird als Recht betrachtet, und alle Rechte überhaupt kann Jeder nicht nur durch seine eignen Handlungen, sondern auch durch die Handlungen seiner Sclaven und Kinder erwerben (1): ja der Besitz kann uns selbst außer diesen beiden juristischen Verhältnissen durch Andere erworben werden (2). In allen diesen Fällen aber, in welchen durch Andere der Besitz erworben werden soll, gilt dieselbe Regel des Erwerbs, wie bey eignen Handlungen, und es ist nur zu bestimmen, wie diese Regel hier angewendet werden müsse.

Dieser Abschnitt wird demnach folgende Gegenstände zu untersuchen haben:

1. Das körperliche Handeln, welches die erste Bedingung alles Besitzes ist.

2. Das Wollen, was mit jenem Handeln theils bey dem ursprünglichen, theils bey dem abgeleiteten Besitz verbunden seyn muß.

3. Die Anwendung aller dieser Regeln auf den Erwerb durch Andere.

(1) pr. I. per quas pers.

(2) §. 5. I. per quas pers.


(227) §. 14. Apprehension.

Erst am Schluß des ganzen Abschnitts wird vollständig angegeben werden können, wodurch der Erwerb des Besitzes von dem Erwerb aller andern Rechte sich unterscheide.

§. 14.

In der ganzen Theorie des Besitzes scheint nichts leichter und sicherer zu bestimmen, als die Beschaffenheit der körperlichen Handlung (Apprehension), welche zum Erwerb des Besitzes nöthig ist: und doch ist über keinen Punct das Römische Recht so allgemein mißverstanden worden, als über diesen. Alle Schriftsteller haben unter jenem Factum eine unmittelbare Berührung des eignen Körpers gedacht, also nur zwey Arten desselben angenommen: Ergreifen mit der Hand bey beweglichen Sachen, und Betreten mit den Füßen bey Grundstücken. Da aber im Römischen Rechte viele Fälle vorkommen, in welchen zwar auch durch körperliche Handlungen, aber ohne solche unmittelbare Berührung, Besitz erworben wird, so hat man diese als symbolische Handlungen betrachtet, wodurch vermittelst einer juristischen Fiction die wahre Besitzergreifung repräsentirt werde (actus adscititii, apprehensio ficta). Da diese Ansicht der Sache ganz allgemein ist (1), so hat man es nie

(1) Ich nenne sie allgemein, weil die Ausnahmen davon nicht nur unbedeutend, sondern auch ohne Einfluß geblieben sind. So sind


(228) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

für nöthig gehalten, ihre Richtigkeit zu beweisen, und sie kommt daher bey allen Schriftstellern so ziemlich auf dieselbe Art vor: deswegen ist es hier für die Geschichte derselben hinreichend, zu bemerken, daß schon die Glossatoren sie haben (1), und daß selbst Donellus nicht frey davon ist (2).

Nun ist oben (§. 5.) gezeigt worden, daß allerdings der Besitz im Römischen Recht oft angenommen werde, ohne daß die natürliche Detention vorhanden ist. Daß also überhaupt ein fingirter Besitz gedacht werden könne, ist kein Zweifel, und die Frage ist nun so zu bestimmen: kommt bey dem Erwerb des Besitzes eine solche Fiction wirklich vor, so daß hier symbolische Handlungen die Stelle der eigentlichen Apprehension vertreten können? (3). Daß es für die Theorie von Wichtigkeit sey, eine richtige

Einige durch naturrechtliche Mißverständnisse auf die ganz unrichtige Ansicht gekommen, die freylich zu ganz andern Resultaten führt: es komme bloß auf Willenserklärung an. Dahin gehören: S. P. Gasser diss. de apprehensione possessionis. Hal. 1731. (C. 1. 2.). Beni. Pauw. diss. de apprehensione possessionis. Trajecti 1737. (C. 1. 2.). – Spuren dieser Meinung finden sich noch früher, z. B. bey Noodt (probab. II. 6.), der sogar über den Grundsatz der Apprehension unter den Römischen Juristen Streit entstehen läßt.

(1) Azonis Summa in Cod. tit. de poss. num. 7. 8. (fol. 134.).

(2) Donelli comment. Lib. 5. Cap. 9.

(3) Also ist fingirter Besitz die Gattung, unter welcher


(229) §. 14. Apprehension.

Antwort auf diese Frage zu finden, bedarf keines Beweises: aber es fehlt auch nicht an practischen Folgen, die davon abhangen, obgleich zunächst bloß von der juristischen Erklärung der einzelnen Fälle die Rede ist, welche selbst in unsren Rechtsquellen als Besitzerwerbungen ausdrücklich bestimmt sind. Gründen sich nämlich jene Fälle bloß auf eine juristische Fiction, so ist es ganz consequent, sie auf mancherley Weise zu beschränken, und diese Einschränkungen, die keineswegs in den Quellen selbst bestimmt sind, haben unsere Juristen hinzuzuthun nicht versäumt. So soll aller Erwerb dieser Art ausgeschlossen seyn, wenn die Handlung unrechtlich ist, also den Vortheil einer juristischen Fiction nicht verdient (1): eben so, wenn nicht durch eigne Handlungen, sondern durch andere Personen Besitz erworben werden soll (2): ja es wird dieser Erwerb bloß auf die Uebertragung eines fremden Besitzes durch Tradition beschränkt (3), oder gar nur als Folge des Eigenthums betrachtet, das also

der Besitz der sich auf eine fingirte Apprehension gründet, als Art enthalten ist. Mehrere haben mit großer Mühe und ohne Zweck dieses zu widerlegen gesucht: Alciatus in L. 18. de poss. n. 3. 4. (p. 1245.) Duarenus in L. 1. §. 21. de poss. (p. 840.).

(1) Retes de poss. P. 1. C. 2. §. 18. (p. 463.). – Gomez in Leges Tauri, L. 45. num. 20-31, 45-90.

(2) Zasius in L. 1. §. 21. de poss. (p. 93.) et in L. 18. eod. (p. 150.) – Valentia in ill. jur. tract. L. 1. Tr. 2. C. 14.

(3) Alciatus in L. 1. pr. de poss. num. 56-61. – Donellus


(230) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

immer zugleich erworben werden müßte, wenn der Besitz auf diese Art erworben werden sollte (1). Andere Folgen jener Ansicht, die mehr das Detail betreffen, werden unten vorkommen.

Diese ganze Ansicht wird schon im allgemeinen sehr unwahrscheinlich, wenn man in Erwägung zieht, auf welche Art außerdem symbolische Handlungen im Römischen Recht vorkommen. Die Mancipation, die Manumission, die Vindication – alle solche Handlungen, bey welchen sich wirklich positive Formen finden, sind dem Römischen Recht ganz eigenthümlich. Bey allen juristischen Handlungen dagegen, die auch bey andern Völkern gewöhnlich waren (z. B. Kauf, Pacht u. s. w.) wurden solche positive Formen durchaus nicht gebraucht. Nun ist der Besitz an sich noch viel weniger juristisch, als die Geschäfte dieser zweyten Art: ja er ist ursprünglich gar kein juristisches Verhältniß. Zwar bekommt er eine zweyfache juristische Beziehung, unter andern auf die Usucapion, die auch ganz dem Römischen Recht eigen ist: allein gerade hier soll durch die Dauer des Besitzes erst ergänzt werden, was ihm selbst fehlt, und

in comment. L. 5. C. 9. – Obrecht de possessione. C. 6. – Was hieran wahres ist, wird im 18ten §. angegeben werden.

(1) Azo in Summa, tit. de poss. num. 7. 8. (fol. 134.) – Zasius l. c. – Wenck diss. de traditione etc. p. 6-8. p. 12. p. 43. seq.


(231) §. 14. Apprehension.

es liegt also in dieser Beziehung auf das Civilrecht durchaus kein Grund, bey der Entstehung des Besitzes Römische Formen zu gebrauchen. Demnach wäre es gegen alle Analogie, wenn der Erwerb des Besitzes wirklich durch symbolische Handlungen vor sich gehen sollte. Dieser Grund aber erhält noch ein besonderes Gewicht durch die ausgedehnte Anwendung, welche von jenen symbolischen Handlungen gemacht werden müßte. Führte die Ansicht der Gegner nur darauf, daß in einzelnen, seltenen Fällen ein symbolischer Erwerb anzunehmen wäre, so wäre es noch denkbar, daß sich eben wegen der Seltenheit dieser Fälle eine Inconsequenz in der Behandlung unvermerkt eingeschlichen und erhalten hätte. So ist es aber nicht, vielmehr wird in den allermeisten Fällen der Besitz auf die Weise erworben, welche man für symbolisch auszugeben pflegt. Bey Grundstücken z. B. würde die symbolische Erwerbung fast ganz allgemein eintreten müssen, indem ein Betreten des ganzen Grundstücks, in allen seinen Theilen, fast unmöglich ist, jedes nicht betretene Stück aber nicht für natürlich apprehendirt gelten soll: ja auch bey beweglichen Sachen ist es gewiß der seltenere Fall, daß gerade die ganze Sache mit der Hand ergriffen und umschlossen wird. Da also der symbolische Erwerb, wie man ihn behauptet, gerade in den meisten Fällen statt finden soll, so hätte die eben bemerkte Inconsequenz unmöglich den Römischen Juristen verborgen


(232) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

bleiben können, vielmehr hätten sie durch die alltägliche Anwendung darauf aufmerksam gemacht werden müssen.

Soll nun überhaupt nicht von einer fingirten Apprehension im Römischen Recht die Rede seyn, soll vielmehr aller Erwerb des Besitzes auf eine und dieselbe körperliche Handlung zurückgeführt werden können, so muß der Begriff dieser körperlichen Handlung anders bestimmt werden, als er von allen Schriftstellern stillschweigend vorausgesetzt worden ist, weil nur durch diese Voraussetzung die Annahme einer fingirten Apprehension nothwendig wurde. Es wird am leichtesten seyn, von jenem falschen Begriff selbst auszugehen, um den richtigen Begriff aufzusuchen.

Wer ein Stück Geld in der Hand hält, ist Besitzer desselben, daran ist kein Zweifel: und von diesem und andern ähnlichen Fällen wurde eben der Begriff einer körperlichen Berührung überhaupt abstrahirt, welche in allem Erwerb des Besitzes das wesentliche seyn sollte. Aber es liegt in jenem Fall noch etwas anderes, was nur zufällig mit dieser körperlichen Berührung verbunden ist: nämlich die physische Möglichkeit, auf die Sache unmittelbar zu wirken, und jede fremde Wirkung auf sie auszuschließen. Daß beides in jenem Fall enthalten sey, wird niemand läugnen: daß es mit körperlicher Berührung nur zufällig verbunden sey, folgt daraus, daß jene Möglichkeit ohne diese Berührung, und eben so diese Berührung ohne jene Möglichkeit gedacht werden


(233) §. 14. Apprehension.

kann. Das erste: denn wer in jedem Augenblick eine Sache ergreifen kann, die vor ihm liegt, ist ohne Zweifel eben so unumschränkter Herr dieser Sache, als wer sie wirklich ergriffen hat. Das zweyte: denn wer mit Stricken gebunden ist, berührt diese unmittelbar, und doch könnte man leichter behaupten, daß er von ihnen besessen werde, als daß er sie besitze.

Jene physische Möglichkeit also ist das, was als Factum in allem Erwerb des Besitzes enthalten seyn muß: aus ihr lassen sich alle einzelne Bestimmungen unsrer Rechtsquellen auf gleiche Weise erklären, körperliche Berührung ist in jenem Begriff gar nicht enthalten, und es ist kein Fall mehr übrig, für welchen eine fingirte Apprehension angenommen werden müßte (1).

(1) Mein Rec. in der A. L. Z. (1804. N. 42.) verwirft diese ganze Ansicht, und nimmt mit den bisherigen Juristen körperliche Berührung als ursprüngliche Bedingung des Besitzes an: diese Regel sey nachher in manchen einzelnen Fällen erweitert worden, aber nie im Ganzen so sehr, daß ihr die meinige substituirt werden könne. Allein jene Voraussetzung beruht auf einer petitio principii, da wir die ursprüngliche Bedingung des Besitzes durchaus nur, so wie hier geschieht, durch Abstraction aus einzelnen Stellen finden können. Die von mir aufgestellte Regel hat von Anfang an gegolten, freylich nicht so rein und allgemein gedacht, sondern in einzelnen beschränkten Anwendungen: die spätern Juristen haben sie bloß deutlicher ausgesprochen und von dem Zufälligen jener Anwendungen gereinigt, ohne sie selbst im geringsten zu erweitern. Man betrachte nur die Art, wie sich die Römischen Juristen bey einem wahren jus singulare (z.


(234) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

Der historische Beweis unsrer Behauptung kann auf einem doppelten Wege geführt werden: theils im allgemeinen, theils durch die einzelnen Anwendungen, die sich in unsern Rechtsquellen finden. Dann erst wird es möglich seyn, den Begriff der körperlichen Handlung vollständig zu bestimmen, da er hier nur angedeutet werden konnte. Im allgemeinen spricht für unsre Behauptung eine Stelle des Paulus, worin nicht etwa für einen einzelnen Fall, sondern ohne Einschränkung die Regel ausgesprochen wird: körperliche Berührung sey zum Erwerb nicht gerade nöthig, der bloße Anblick der gegenwärtigen Sache reiche schon hin (1). Dagegen spricht für die Nothwendigkeit der körperlichen Berührung keine einzige allgemeine Stelle. Man darf nämlich nicht etwa darauf beziehen das apiscimur possessionem corpore (§. 13.); wie unrichtig dieses seyn würde, erhellt deutlich daraus, daß ja derselbe Ausdruck bey dem Verlust des Besitzes vorkommt (§. 30.), wobey doch gewiß nicht

B. der Erhaltung des Besitzes an Grundstücken solo animo) ausdrücken, um sich zu überzeugen, daß hier von keinem jus singulare Rede ist.

(1) L. 1. §. 21. de poss. „Non est enim corpore et tactu necesse apprehendere possessionem, sed etiam oculis et affectu.“ Alle Handschriften lesen actu, was auch nicht unpassend ist (Wieling lect. 1. 19.). Tactu aber, was kaum eine Emendation genannt werden kann, giebt einen viel bestimmteren Sinn, und wird auch durch die Basiliken bestätigt. Vergl. Faber err. pragm. 75. 2. Noodt probab. II. 6. Wenck de trad. p. 48.


(235) §. 15. Apprehension unbeweglicher Sachen.

an körperliche Berührung gedacht werden kann. Corpus heißt die äußere Begebenheit, im Gegensatz der inneren Thatsache (animus).

§. 15.

Ich gehe nun zur Untersuchung der einzelnen Anwendungen über.

Zuerst also: was muß geschehen, damit an unbeweglichen Sachen (an Grundstücken), der Besitz erworben werde?

Um diesen Besitz zu erwerben, ist es nöthig und hinreichend, in dem Grundstück gegenwärtig zu seyn, ohne daß irgend eine Handlung darin vorgenommen werden müßte:

„Quaedam mulier fundum (ita) non marito donavit per epistolam ... Proponebatur, quod etiam in eo agro, qui donabatur, fuisset cum epistola emitteretur: quae res sufficiebat ad traditam possessionem“ ... (1).

Nun ist es klar, daß der oben angegebene Begriff der körperlichen Handlung hier völlig anwendbar ist: wer sich in einem Grundstück befindet, kann in jedem Augenblick nicht nur selbst damit vornehmen, was ihm gut dünkt, sondern auch jeden Andern davon abhalten. Allein beides ist ihm nicht etwa bloß für das Stück Boden möglich,

(1) L. 77. de rei vind.


(236) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

auf dem er steht, sondern für das ganze Grundstück überhaupt, und es ist daher nicht das Betreten selbst, was den Besitz des Bodens verschafft, sondern die unmittelbare Nähe, wodurch es möglich ist, jedes beliebige Stück augenblicklich nicht nur zu betreten, sondern auch auf jede andere Art zu behandeln:

„Quod autem diximus, et corpore et animo adquirere nos debere possessionem, non utique ita accipiendum est, ut qui fundum possidere velit, omnes glebas circumambulet: sed sufficit quamlibet partem ejus fundi introire“ ... (1).

Aus demselben Grunde ist es ferner nicht einmal nöthig, in das Grundstück einzugehen: denn wer dicht daneben steht, und das ganze übersieht, hat nicht weniger Gewalt darüber, als wer wirklich hineingegangen ist:

„si vicinum mihi fundum mercatum venditor in mea turre demonstret, vacuamque se tradere possessionem dicat: non minus possidere coepi, quam si pedem finibus intulissem“ (2).

Alles dieses steht mit unserm Begriff der körperlichen Handlung in unmittelbarer Verbindung: unsere Juristen haben hier immer eine juristische Fiction angenommen,

(1) L. 3. §. 1. de poss.

(2) L. 18. §. 2. de poss.


(237) §. 15. Apprehension unbeweglicher Sachen.

wodurch der einzige wahre Erwerb, der in der körperliche Berührung bestehen soll, supplirt werde. Doch hat hier die Glosse noch einen andern Ausweg vorgeschlagen, der sehr merkwürdig ist (1): man solle nicht körperliche Berührung, sondern sinnliche Wahrnehmung als das Factische im Erwerb des Besitzes betrachten, nun gebe es fünf Sinne, also könne durch jeden derselben Besitz erworben werden, z. B. durch das Gesicht: durch Anschauen also könne der Besitz erworben werden, und wenn auch die Sache „per decem milliaria“ entfernt wäre (2).

Körperliche Gegenwart also ist das, was die willkührliche Behandlung der Sache möglich macht: aber wie wenn zu gleicher Zeit ein Anderer gleichfalls gegenwärtig ist, und auch diese Sache besitzen will? hier ist es offenbar, daß die Gegenwart des Andern den Besitz des Ersten hindert, und es giebt nur zwey Wege, dieses Hinderniß aufzuheben: der Wille des Andern, und Gewalt.

Der Wille des Andern macht auf diese Weise den Besitz möglich bey jeder Uebergabe. Indem der Käufer von dem Verkäufer in das Grundstück eingeführt

(1) Glossa in L. 18. §. 2. de poss. – Viele Neuere haben diese Meinung, wenigstens in einigen Anwendungen, z. B. Duarenus in L. 3. pr. de poss. (p. 843.).

(2) Glossa in L. 1. §. 1. de poss.


(238) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

wird, stehen beide in demselben physischen Verhältniß zur Sache: auch hat der Verkäufer bis auf diesen Augenblick den Willen, Besitzer zu seyn. Aber indem er jetzt erklärt, daß der Käufer den Besitz haben solle, ist durch seinen eigenen Willen alles Hinderniß aufgehoben, das in seiner Gegenwart lag. Darauf gehen in der zuletzt angeführten Stelle (S. 236.) die Worte: „vacuamque se possessionem tradere dicat.“

Außer dem Willen des Andern aber kann auch durch Gewalt das Hinderniß seiner Gegenwart aufgehoben werden: denn es ist klar, daß die Herrschaft des Besitzers eben so entschieden ist, wenn er fremden Widerstand überwindet, als wenn gar kein Widerstand da ist. Das ist der Inhalt folgender Stelle (1):

„Species inducendi in possessionem alicujus rei est, prohibere ingredienti vim fieri: statim enim cedere adversarium, et vacuam relinquere possessionem jubet: quod multo plus est, quam restituere.“

Die Basiliken, die Glosse und Cujacius beziehen die Stelle auf den Prätor, der ein Urtheil exequirt, indem er in den Besitz einführt (2): aber es liegt weder

(1) L. 52. §. 2. de poss.

(2) Basil. Lib. 50. Tit. 1. (ap. Meermann. T. 5. p. 49.). – Glossa in L. 52. §. 2. de poss. – Cuiacius in L. 52. §. 2. de poss. (opp. T. 8. p. 315.).


(239) §. 15. Apprehension unbeweglicher Sachen.

in den Worten, noch in dem Inhalt irgend ein Grund, sie darauf zu beschränken, und sie ist folglich mit gleichem Recht auf jeden andern Fall zu beziehen, in welchem Widerstand geleistet und überwunden wird.

Also persönliche Gegenwart ist das eigentliche Factum, wodurch der Besitz einer unbeweglichen Sache erworben wird. Um indessen keinem Mißverständniß Raum zu lassen, will ich gleich hier auf eine Beschränkung dieser Regel aufmerksam machen, die erst im dritten Abschnitt bewiesen werden kann. Der Besitz einer unbeweglichen Sache wird nicht eher verloren, als der Besitzer um diesen Verlust weiß: da nun eine Sache nicht mehr als Einen Besitzer haben kann (§. 11.), so ist nun unsere Regel auf folgende Art anzuwenden. Entweder hatte die Sache bisher einen andern Besitzer oder nicht (vacua possessio). Im letzten Fall ist unsre Regel ohne Einschränkung wahr. Im ersten Fall aber giebt uns jenes Factum allein noch nicht den Besitz, sondern es muß des bisherigen Besitzers Bewußtseyn hinzukommen. Nun geschieht unser Erwerb entweder gegen seinen Willen (dejectio) oder mit seinem Willen (traditio), wobey er selbst entweder gegenwärtig ist (inducere in possessionem) oder nicht (mittere in possessionem).

§. 16.

Zweytens: wie wird der Besitz einer beweglichen Sache erworben?


(240) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

Daß dieses durch wirkliches Ergreifen der Sache geschehen könne, daran ist kein Zweifel: auch wird es in unsern Rechtsquellen nur stillschweigend vorausgesetzt. Demnach sind hier nur die Fälle zu erörtern nöthig, in welchen ohne wirkliches Ergreifen dennoch Besitz erworben wird.

Zuerst ist auch hier, wie bey unbeweglichen Sachen, die unmittelbare Gegenwart das, was die Stelle des wirklichen Ergreifens ohne alle juristische Fiction vertreten kann, und es ist also ganz gleichgültig, ob die Sache wirklich ergriffen ist, oder ob sie in jedem Augenblick ergriffen werden könnte. Diese Art der Apprehension ist sogar die gewöhnlichste, wenn die Sache von so großem Umfang oder Gewicht ist, daß sie nicht leicht von der Stelle gebracht werden kann. – Alles dieses ist in folgenden Stellen enthalten:

1. L. 79. de solutionibus.

„Pecuniam, quam mihi debes, aut aliam rem, si in conspectu meo ponere te jubeam: efficitur, ut et tu statim libereris, et mea esse incipiat: nam tum quod a nullo corporaliter ejus rei possessio detineretur, adquisita mihi, et quodam modo manu longa tradita existimanda est.“ – Der bisherige Besitzer ist hier wieder der einzige, der mich hindern könnte, über die Sache nach Willkühr


(241) §. 16. Apprehension beweglicher Sachen.

zu verfügen: aber eben von diesem wird ausdrücklich gesagt, daß er sogar durch seine Handlung meinen Besitz anerkannt habe.

2. L. 1. §. 21. de poss.

„Si jusserim venditorem procuratori rem tradere, cum ea in praesentia sit: videri mihi traditam Priscus ait“ [d. h. mir selbst, nicht bloß meinem Procurator, durch den ich freylich auch Besitz erwerben könnte (1)]: „idemque esse si nummos debitorem jusserim alii dare: non est enim corpore et tactu necesse adprehendere possessionem, sed etiam oculis et affectu (2): et argumento esse eas res, quae propter magnitudinem ponderis moveri non possunt“ (nicht leicht nämlich, nicht von einem einzelnen Menschen, denn mobiles sind diese Sachen dennoch), ut columnas: „nam pro traditis eas haberi, si in re praesenti consenserint: (et vina tradita videri, cum claves cellae vinariae emtori traditae fuerint“: davon bald

(1) Glossa interlin. (Ms. Par. num. 4458. und 4455. zu mihi traditam: „Y. (Irnerius) quasi expressim, praeter illam adquisitionem, quae fit per Procuratorem.“

(2) S. o. S. 234.


(242) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

nachher). – Das heißt: so wie diese Handlung bey den Sachen hinreichend ist, bey denen ohnehin nicht leicht eine andere möglich wäre, so muß sie es auch bey allen andern Sachen seyn („argumento esse eas res etc.“).

3. L. 31. §. 1. de donat.

„Species extra dotem a matre filiae nomine viro traditas, filiae quae praesens fuit donatas, et ab ea viro traditas videri respondit.“

4. L. 51. de poss. (Iavolenus lib. 5. ex Posterioribus Labeonis).

„Quarundam rerum animo possessionem apisci nos ait Labeo: veluti si acervum lignorum emero, et eum venditor tollere me jusserit: simul atque custodiam posuissem, traditus mihi videtur. Idem juris esse vino vendito, cum universae amphorae vini simul essent. Sed videamus, inquit, ne haec ipsa corporis traditio sit, quia nihil interest, utrum mihi, an et cuilibet jusserim, custodia tradatur: in eo puto hanc quaestionem consistere, an etiamsi corpore acervus aut amphorae adprehensae non sunt, nihilominus traditae videantur: nihil video interesse, utrum ipse acervum, an mandato


(243) §. 16. Apprehension beweglicher Sachen.

meo aliquis custodiat: utrobique animi (1) quodam genere possessio erit aestimanda.“ – Der Zusammenhang der Stelle des Javolenus ist dieser: „Labeo sagt, an manchen Sachen werde der Besitz unkörperlich erworben, z. B. an einem erkauften Holzhaufen, durch die bloße Bestellung eines Wächters, eben so bey gekauftem Wein. Er setzt hinzu, man könne dies aber auch wohl für eine körperliche Tradition gelten lassen, weil ja nichts darauf ankomme, ob der Käufer in eigener Person, oder durch einen Stellvertreter die Aufsicht übernehme. Ich aber glaube (sagt nun Javolenus) (2), man darf die Zuziehung eines Stellvertreters gar nicht in die gegenwärtige Frage einmischen: die Frage ist nämlich, ob hier die Tradition vollendet ist, obgleich das

(1) Cujacius liest: corporis anstatt: animi (recit. in L. 51. de poss. in opp. T. 8. p. 314, auch in: paratit. in Cod. Lib. 7. Tit. 32.). Diese Emendation aber ist eben so unnöthig, als verwegen.

(2) Dieses ist die gewöhnliche, und, wie ich nun glaube, richtige Abtheilung der Stelle. In den zwey ersten Ausgaben nahm ich an, daß die Meinung des Javolenus schon mit Sed videamus anfange. Gründlich ist dieses widerlegt von Wenck diss. de tradit. p. 56. der jedoch die Stelle im ganzen mißversteht, so wie es nach seinen allgemeinen Ansichten nothwendig ist.


(244) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

Holz oder die Weinkrüge nicht körperlich ergriffen worden sind? vollendet ist sie nun allerdings, aber man kann aus diesem Grunde sagen, daß der Besitz hier in jedem Fall (mit oder ohne Stellvertreter) gewissermaßen unkörperlich (1) erworben werde.“

5. L. 14. §. 1. de periculo et comm. rei vend. „Videri autem trabes traditas, quas emtor signasset.“ – Das Signiren kommt hier nicht als Bestandtheil der Apprehension vor, sondern weil daraus, als einem gemeinen Gebrauch, auf die Absicht der Parteyen geschlossen werden kann. Nur dadurch ist es zu erklären, warum in einem Fall, worin die körperliche Handlung genau dieselbe ist, dennoch das Gegentheil gelten soll (2).

6. L. 1. C. de donat. (Severus et Antoninus.). „Emptionum mancipiorum instrumentis

(1) „animi quodam genere, “ d. h. durch bloßen animus, insoferne man den Ausdruck corpore ganz materiell nimmt, für corpore et tactu, gegen welche Ansicht eben in L. 1. §. 21. de poss. gewarnt wird. Nimmt man ihn aber, so wie es recht ist, für äußerliche Handlung überhaupt, so wird hier allerdings auch corpore erworben, so daß die Entscheidung in unserer Stelle mit den allgemeinen Regeln in L. 3. §. 1. de poss. (et)c. (§. 13.) gar nicht im Widerspruch steht.

(2) L. 1. §. 2. de peric. et comm. (s. u. S. 251.)


(245) §. 16. Apprehension beweglicher Sachen.

donatis, et traditis, et ipsorum mancipiorum donationem et traditionem factam intelligis; et ideo potes adversus donatorem in rem actionem exercere.“

Ich erkläre mir diese Stelle so. Lucius, an den das Rescript gerichtet ist, sollte einige Sclaven geschenkt bekommen von Einem, der diese Sclaven früherhin gekauft hatte und die Kaufbriefe noch besaß. Lucius kam zu diesem Donator, der in Gegenwart der Sclaven die Absicht zu schenken erklärte, und zugleich die Kaufbriefe dem Lucius übergab. Die Sclaven blieben aber noch bey dem alten Herrn zurück, der nun seine Freygebigkeit bereute und die Sclaven vorenthielt, indem er behauptete, die Schenkung sey blos vorläufig besprochen, aber nicht vollzogen worden. War diese Behauptung gegründet, so hatte Lucius gewiß keine actio in rem, vielleicht auch überhaupt keine Klage wegen der lex Cincia, oder auch weil nur nicht stipulirt war. Alles kam hier auf die Absicht der Parteyen an, eine wirkliche Schenkung unmittelbar zu vollziehen: war nur diese Absicht gewiß, so fehlte zur Tradition nichts, weil ja die Sclaven gegenwärtig gewesen waren. Lucius fragte bey den Kaisern an,


(246) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

und diese antworteten: die Absicht eine wirkliche Schenkung augenblicklich zu vollziehen ist aus der Uebergabe der Kaufbriefe gewiß, also ist die Tradition vollzogen, Eigenthum ist übergegangen, und du hast jetzt gegen den Donator eine Vindication. – So erklärt, enthält die Stelle eine Anwendung unserer Regel, daß bey entschiedener Absicht die bloße Gegenwart der Sache, ohne andere körperliche Handlung, zur Apprehension hinreicht. Allerdings bin ich bey dieser Erklärung genöthigt, die Gegenwart der Sclaven vorauszusetzen, die in der Stelle selbst nicht ausgedrückt ist; allein die Stelle ist auch ein Rescript für einen einzelnen Fall, dessen Bedingungen also aufzusuchen sind, meine Voraussetzung ist in sich natürlich und ungezwungen (1), und sie paßt insbesondere zu der am Schluß

(1) In den zwey ersten Ausgaben hatte ich ein s. g. constitutum possessorium angenommen, so wie Fulgosius, vgl. Obrecht de poss. §. 280. Allein in einer solchen Verabredung liegt allerdings eine der Stelle selbst ganz fremdartige Annahme, und die Sclaven können ebensowohl zufällig im Hause des alten Herrn zurückgeblieben, d. h. nur nicht mit dem Lucius hinweggegangen seyn. Meine gegenwärtige Erklärung war unter den Glossatoren die herschende. Glossa interlin. anon. (Ms. Paris. 4523. 4528.) zu dem Wort mancipiorum „praesentium in traditione, sicut dicitur de clavibus traditis coram horreo.“ – Glosse des Pillius (Ms.


(247) §. 16. Apprehension beweglicher Sachen.

erwähnten in rem actio, woraus wenigstens das gewiß ist, daß jetzt der Donator die Sclaven besitzt. Jede andere Erklärung der Stelle aber nöthigt gleichfalls zu eigenen Voraussetzungen, und zwar zu viel willkührlicheren und gewagteren als die meinige (1).

Von dieser Regel, daß durch bloße Gegenwart, ohne Berührung, Besitz erworben werden könne, kommen noch folgende Anwendungen und nähere Bestimmungen vor.

Erstens: wenn ich die Sache, die ein Anderer mir

Paris. 4536.) „Sed numquid est hoc intelligendum quando mancipia absunt; respondeo nequaquam, sed cum praesentialiter adsunt ut ff. de rei ven. haec si res. Pi.“ –Accursius v. instrumentis „sc. praesentibus servis datis.“

(1) So Wenck de traditione p. 30, der die Stelle aus seiner Ansicht einer Tradition ohne allen Besitz erklären will, und nun zu den willkührlichsten factischen Voraussetzungen genöthigt ist, auch sonst noch allerley Mißverständnisse einmischt. – Hufeland neue Darstellung S. 124. nimmt ein singuläres Recht für die Tradition der Sclaven an, um die Stelle zu erklären, von einem solchen singulären Recht aber findet sich sonst nirgends eine Spur. – Auffallende Aehnlichkeit übrigens hat unsre Stelle mit einer Vorschrift von Antonin, nach welcher man es mit der Form der Schenkungen zwischen Eltern und Kindern weniger genau nehmen sollte. L. 4. C. Th. de don. Fragm. Vat. §. 297. 314. (Vgl. die Anm. von Buchholtz.) Man könnte daher mit Wahrscheinlichkeit annehmen, auch unsere Stelle habe von diesem speciellen Fall gesprochen und sey mit unüberlegter Abkürzung in den Justinianischen Codex aufgenommen worden. (Zus. der 6. Ausg.)


(248) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

übergeben will, einem Dritten geben lasse, so ist nun der juristische Besitz wirklich auf mich, und von mir auf den Dritten übertragen worden (1). Hierin liegt eine bloße Anwendung unserer Regel: denn, indem mir der Andere die Bestimmung über die (gegenwärtige) Sache überläßt, bin ich eben so unumschränkter Herr derselben, als ob ich sie wirklich ergriffen hätte, ja ich übe diese meine Herrschaft wirklich aus, indem ich ihm auftrage, dem Dritten die Sache zu übergeben. Indessen kann über die Einfachheit der äußerlichen Handlung, die hier vorgeht, das Zusammengesetzte der juristischen Handlung leicht übersehen werden (2).

Zweytens: Die Gegenwart giebt überhaupt nur insofern den Besitz, als es möglich ist, die Sache in jedem Augenblick wirklich zu ergreifen. Wer also ein Wild verfolgt, hat noch nicht den Besitz desselben, obgleich er ihm sehr nahe seyn kann: ja selbst wenn er es tödtlich verwundet hat, kann er noch auf vielerley Weise verhindert werden, es wirklich zu fangen („multa accidere possunt, ut eam non capiamus“), also ist selbst dadurch

(1) „Species extra dotem a matre filiae nomine viro traditas, filiae quae praesens fuit, donatas, et ab ea viro traditas videri respondi.“ L. 31. §. 1. de donat., cf. L. 3. §. 12. de don. inter vir. et ux., L. 1. §. 21. de poss. (S. 241.).

(2) „nam celeritate conjungendarum inter se actionum unam actionem occultari.“ L. 3. §. 12. de don. inter vir. et ux.


(249) §. 16. Apprehension beweglicher Sachen.

der Besitz noch nicht erworben, wiewohl selbst einige Römische Juristen das Gegentheil behaupten (1). Demnach muß das Wild wirklich gefangen oder getödtet seyn, wenn der Besitz desselben erworben werden soll.

Drittens: wenn die Sache in einem verschlossenen Gebäude liegt, so wird Tradition, also Erwerb des Besitzes, angenommen, wenn die Schlüssel übergeben sind. Es ist sehr natürlich, daß die Schlüssel von jeher symbolische Schlüssel haben seyn müssen, und man brauchte nicht viel weiter zu gehen, um zu behaupten, jede andere Sache könne eben so gut gebraucht werden, und die Schlüssel seyen nur Beyspielsweise im Römischen Recht genannt (2). Nun ist zwar nicht zu läugnen, daß Schlüssel so gut als jede andere Sache als bloßes Zeichen dienen können, und wenn bey dem Einzug eines Königs die Schlüssel der Stadt überreicht werden, läßt sich kaum ein anderer Zweck denken. Aber es giebt noch einen andern Gebrauch der Schlüssel, der fast noch häufiger ist als jener: nämlich etwas aufzuschließen, was verschlossen ist, und daß davon allein hier die Rede ist, soll jetzt

(1) L. 5. §. 1. de adqu. rer. dom., §. 13. 1. de rer. div. – Nach denselben Grundsätzen entscheidet einen andern, aber ähnlichen Fall: L. 55. de adqu. rer. dom. Die Entscheidung liegt in den Worten; „ut si in meam potestatem pervenit, meus factus sit.“

(2) Schmalz, Handbuch des Römischen Privatrechts (Königsb. 1801.) §. 199.


(250) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

bewiesen werden. – Nämlich daß auch bey beweglichen Sachen die bloße Gegenwart, ohne wirkliches Ergreifen, als Apprehension gelten könne, ist oben gezeigt worden. Nun muß aber zu jedem Factum auch noch animus hinzukommen, wenn der Besitz erworben seyn soll, und dieser animus muß in den meisten Fällen geschlossen werden, weil er selten ausdrücklich erklärt wird. Wenn nun ein Grundstück verkauft wird, so kann der Käufer oft mit dem Verkäufer hineingehen, ohne daß dieser die Absicht hat, den Besitz zu übertragen, jener ihn zu erwerben. So auch bey beweglichen Sachen: wenn hier der Handel völlig geschlossen ist, selbst in Gegenwart der Sache, so kann dennoch der Käufer nicht die Absicht haben, den Besitz zu erwerben, wenn die Sachen in einem verschlossenen Gebäude liegen, wozu er keinen Schlüssel hat, weil er nun in jedem künftigen Augenblick verhindert werden kann, die Sachen zu gebrauchen. Deswegen wird hier der Besitz erst dann als erworben betrachtet, wenn die Schlüssel übergeben sind.

1. L. 9. §. 6. de adqu. rer. dom. (§. 45. I. de rer. div.)

„Item si quis merces in horreo repositas vendiderit, simulatque claves horrei tradiderit emtori, transfert proprietatem mercium ad emtorem“.


(251) §. 16. Apprehension beweglicher Sachen.

2. L. 1. §. 21. de poss.

„ ... et vina tradita videri, cum claves (1) cellae vinariae emtori tradita fuerint.“

Ja selbst wenn der Käufer sein Siegel auf die Waare drückt, ist der Besitz ohne Uebergabe der Schlüssel noch nicht erworben, obgleich jene Handlung allerdings die Apprehension bezeichnen kann, wenn die Sachen nicht verschlossen sind:

1. L. 1. §. 2. de peric. et comm. rei vend.

„Si dolium signatum sit ab emtore, Trebatius ait, traditum id videri: Labeo contra. Quod et verum est: magis enim ne summutetur signari solere, quam ut tradi tum videatur.“

2. L. 14. §. 1. eod.

„Videri autem trabes traditas, quas emtor signasset.“ – Nämlich es ist eben so gewöhnlich, Bauholz unverschlossen aufzubewahren, als es bey dem Weine ungewöhnlich ist.

(1) Glossa interlin. (Ms. Paris. num. 4458. und num. 4455.) zu dem Wort claves: „Y. (Irnerius) quasi adminiculum custodiae, “ also nicht als Symbol, sondern wegen der natürlichen Herrschaft über die Sache, die dadurch entsteht. – [Zusatz der 4ten Ausg.] Auch Quentzel de litteris recognitionis. Leidae 1754. §. 26. gründet die Wirkung der Schlüssel, obgleich er ihre Uebergabe symbolisch nennt, dennoch darauf, daß man nun aufschließen und hinzukommen könne, und spricht deshalb der Uebergabe eines Connossements dieselbe Wirkung ab (Mittheilung von Herrn Professor Falck).


(252) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

In allen diesen Fällen also wird nach einer sehr wahrscheinlichen Vermuthung angenommen, die Parteyen hätten die Tradition erst gewollt, als die Schlüssel übergeben wurden: aber der animus possidendi kann natürlich ohne die Apprehension keine Wirkung haben, es wird also in jenen Stellen, die bloß davon sprechen, ob die Absicht der Tradition vermuthet oder nicht vermuthet werden solle, immer vorausgesetzt, daß an der Apprehension nichts fehle, d. h. daß die Uebergabe der Schlüssel in Gegenwart der Sache vor sich gehe. Auch haben die Compilatoren durch folgende Stelle dafür gesorgt, daß hierüber kein Zweifel entstehe:

L. 74. de contr. emt.

„Clavibus traditis, ita mercium in horreis conditarum possessio tradita videtur, si claves apud horrea traditae sint:“ (was nun folgt, ist vorzüglich brauchbar, unsern Begriff der Apprehension zu erläutern und zu bestätigen) „quo facto, confestim emtor dominium et possessionem adipiscitur, etsi non aperuerit horrea.“ – Nämlich wer durch eine verschlossene Thüre von der Sache getrennt ist, besitzt sie ebenso wenig, als wer weit davon entfernt ist, hat er aber den Schlüssel, so kann er in jedem Augenblick die Sache ergreifen, und ob er dies wirklich thue, ja ob er auch nur die


(253) §. 17. Apprehens. bewegl. Sachen. (Forts.)

Thüre öffne, ist zum Erwerb des Besitzes völlig gleichgültig (1).

§. 17.

An beweglichen Sachen also kann ohne wirkliches Ergreifen Besitz erworben werden, wenn nur die Sache gegenwärtig ist (§. 16.). Dasselbe ist aber auch noch auf eine andere Art möglich. Wer nämlich eine Sache in seinem Hause aufbewahrt, kann eben dadurch den Besitz erworben haben, ohne daß irgend eine andere Handlung hinzukommt.

L. 18. §. 2. de poss.

„Si venditorem, quod emerim, deponere in mea domo jusserim: possidere me certum est, quamquam id nemo dum attigerit.“ – Hier wird gar nicht vorausgesetzt, daß der Kauf in Gegenwart der Sache geschlossen war, und eben so wenig, daß der Käufer sich in seinem Hause befand, als die Sache niedergelegt wurde: also ist das bloße Niederlegen im Hause das Factum gewesen, wodurch der Besitz erworben wurde. Auch bemerkt der Jurist ausdrücklich,

(1) Wenck de traditione p. 50. erklärt die Stelle aus seiner falschen Voraussetzung, daß durch das Eigenthum und um des Eigenthums willen Besitz erworben werden könne, obgleich die sonst geltenden Bedingungen des Besitzes fehlten.


(254) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

daß nicht etwa im Namen des Käufers die Sache habe müssen von seinen Leuten in Empfang genommen werden („quamquam id nemo dum attigerit“), weil man sonst darin den Grund des Besitzes hätte setzen können.

L. 9. §. 3. de jur. dot.

„ ... quid enim interest, inferantur volente eo in domum ejus, an ei tradantur?“

Der Grund dieser Regel ist leicht zu finden. Jeder hat über sein Haus sichrere Herrschaft, als über alles andere Vermögen, und durch jene Herrschaft zugleich die „custodia“ aller der Sachen, die in dem Hause enthalten sind. Daß dieses die Ansicht der Römischen Juristen ist, folgt schon daraus, daß in einem andern, aber ähnlichen Fall, eben wegen der fehlenden custodia der Besitz abgeläugnet wird (1). – Hieraus lassen sich leicht die Bedingungen dieses Erwerbs ableiten, die in jener Stelle selbst nicht ausgedrückt sind.

Da es nämlich bloß auf den eigenen Gebrauch des Gebäudes ankommt, von welchem die Rede ist, so ist:

1. dieser Erwerb weder durch das Eigenthum, noch durch den juristischen Besitz des Gebäudes bedingt. Wer also ein Haus oder ein Waarenlager gemiethet

(1) L. 3. §. 3. de poss.


(255) §. 17. Apprehens. bewegl. Sachen. (Forts.)

hat, kann auf diese Weise Besitz erwerben, obgleich er an dem Gebäude selbst weder Eigenthum noch juristischen Besitz hat: denn auch ohne diese Rechte hat er ohne Zweifel die custodia aller Sachen, die in dem Gebäude sich befinden.

2. Eben so ist aber auf der andern Seite dieser Erwerb unmöglich, wenn jener eigne Gebrauch des Gebäudes fehlt, obgleich Eigenthum und Besitz desselben da seyn kann. So kann der Eigenthümer eines vermietheten Hauses aus demselben Grunde keinen Besitz dieser Art erwerben, aus welchem dieses dem Bewohner des Hauses möglich war, wiewohl hier der Eigenthümer den juristischen Besitz des Hauses keineswegs aufgegeben hat (1). – Schon aus diesem zweyten Satze läßt sich leicht folgende Stelle erklären, die außerdem zu einem Zweifel an der Richtigkeit unsrer Regel verleiten könnte (2): „Qui universas aedes possidet (possedit), singulas res, quae in aedificio sunt, non videtur possedisse:“ d. h. der juristische

(1) Beide Sätze werden durch folgende analoge Stellen erläutert und bestätigt: L. 5. §. 2-5. de injuriis. L. 22. §. 2. L. 23. §. 3. ad Leg. Iul. de adult. – Doch ist die Aehnlichkeit dieser Stellen mit unserm Fall nicht vollkommen, weil sie sich bloß auf eigentliche Wohngebäude beschränken, was hier durchaus nicht der Fall ist.

(1) L. 30. pr. de poss. – Die Glosse und die meisten neuern Juristen verstehen unter


(256) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

Besitz des Hauses giebt nicht nothwendig auch den Besitz der einzelnen Sachen im Hause, so daß man nicht von jenem auf diesen schließen kann. Sehr natürlich, weil man Besitzer eines Hauses werden kann, ohne es selbst zu bewohnen, z. B. indem man es kauft, und zugleich dem Verkäufer vermiethet (constitutum possessorium). Aber auch noch auf andere Art läßt sich der Widerspruch dieser Stelle mit unserer Regel aufheben. Nämlich wer den Besitz eines Hauses erwirbt, z. B. indem er den bisherigen Besitzer herauswirft, kann von den einzelnen Sachen im Hause vielleicht gar nichts wissen. Dann aber besitzt er sie nicht, weil ihm für sie der animus possidendi fehlt.

Aus diesen näheren Bestimmungen unserer Regel läßt sich leicht die Entscheidung eines andern Falls erklären, der mit dem unsrigen viele Aehnlichkeit hat: ich meine den Besitz der Schätze. Unter einem Schatze nämlich wird in der Theorie des Eigenthums jede verborgene Sache von Werth verstanden, die durch die Länge der Zeit so gut als herrenlos geworden ist (1): diese Beschränkung des Begriffs ist da sehr natürlich,

den „res, quae in aedificio sunt, “ die Balken und Mauersteine, aus welchen das Haus gebaut ist. Der Inhalt hätte dann auch keinen Zweifel, aber die Erklärung selbst ist gezwungen.

(1) „Thesaurus est vetus quaedam depositio pecuniae


(257) §. 17. Apprehens. bewegl. Sachen. (Forts.)

weil außerdem von einem besondern Erwerb des Eigenthums gar nicht die Rede seyn kann, so daß die ganze Sache nur unter jener Bedingung in die Theorie des Eigenthums gehört. Ganz anders bey dem Besitze, wo das fremde Eigenthum ganz gleichgültig ist: hier ist alles vergrabene Geld ein Schatz, und es ist ganz einerley, ob der Eigenthümer noch auszumitteln ist oder nicht, deswegen beziehen hier auch die Römischen Juristen das Wort thesaurus ohne Unterschied auf beide Fälle zugleich, und dieser Sprachgebrauch ist so natürlich, daß sie es nicht einmal nöthig finden, ihn besonders anzugeben. Ganz anders die Glosse und die neueren Juristen. Sie unterscheiden bey den Stellen des Römischen Rechts, die den Besitz der Schätze betreffen, einen thesaurus im weitern und im engern Sinn, was denn allein schon hinreichend ist, die einfachen Regeln der Römischen Juristen völlig zu verwirren. Endlich ist auch das für sich klar, daß ein Schatz von jeder andern beweglichen Sache, die in einem Grundstück verborgen wird, juristisch sich durchaus nicht unterscheidet, daß also von dem Besitz der Schätze bloß als von dem wichtigsten und häufigsten

cujus non exstat memoria, ut jam dominum non habeat: sic enim fit ejus, qui invenerit, quod non alterius sit.“ L. 31. §. 1. de adquir. rer dom.


(258) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

Fall dieser Art in unseren Rechtsquellen die Rede ist.

Wenn also ein Schatz oder irgend eine andere bewegliche Sache in einem Grundstück vergraben wird, kann dadurch allein der Besitzer des Grundstücks auch an jener Sache den Besitz erwerben, d. h. liegt in jenem Vergraben das Factum, welches, wenn der animus hinzutritt, den Besitz wirklich begründet? dieser Fall hat mit dem oben erklärten (S. 254.) die Aehnlichkeit, daß eine bewegliche Sache mit einer unbeweglichen Sache in Verbindung gesetzt wird, ohne doch ein Theil der unbeweglichen zu werden: durch diese Verbindung wurde oben (wenn die Sache in der Wohnung niedergelegt wurde) der Besitz erworben, dasselbe scheint also auch hier erfolgen zu müssen, wenn nur das Grundstück von uns besessen wird. Allein bey dem Hause lag der Grund, warum der Besitz der beweglichen Sache erworben wurde, in der ganz eignen custodia, die nur darin möglich ist: demnach ist in unserm Fall der Besitz des Schatzes dem Besitzer des Grundstücks durchaus nicht erworben (1). Also muß dieser, wie jeder Andere, um diesen Besitz zu erwerben, den Schatz

(1) Wie wenn der Schatz in meinem Hause vergraben ist? Weiß ich, wo er liegt, so bin ich auch ohne Ausgraben Besitzer, quia est sub custodia nostra: weiß ich den Ort nicht, sondern nur überhaupt das Daseyn desselben im Hause, so bin ich freylich


(259) §. 17. Apprehens. bewegl. Sachen. (Forts.)

ausgraben, heben, da denn der Besitz, auf ganz gewöhnliche Weise, durch Ergreifen oder unmittelbare Gegenwart (§. 16.) erworben ist. Das ist der Inhalt folgender Stellen des Römischen Rechts:

1. L. 15. ad exhibendum:

„Thesaurus meus (1) in tuo fundo est, nec eum pateris me effodere: cum eum loco non moveris, furti quidem aut ad exhibendum, eo nomine agere recte non posse me, Labeo ait: quia neque possideres eum, neque dolo feceris, quo minus possideres“ rel.

2. L. 44. pr. de poss.

„ ... cum, si alius in meo condidisset (pecuniam), non alias possiderem, quam si

noch nicht Besitzer, weil das Finden vom bloßen Zufall abhängt. Allerdings also ist auch bey dem Schatze ein Unterschied zwischen Haus und Feld. Mit Unrecht läugnet diesen Unterschied Pfeiffer Recht der Kriegseroberung, Cassel 1823, p. 17., welcher auch eben so irrig behauptet, ich könne den Besitz einer gekauften Sache dadurch erwerben, daß ich sie nicht in meinem Hause, sondern auf einem andern Grundstück niederlegen lasse. (Zus. der 6. Ausg.)

(1) Hier ist also nicht von einem solchen thesaurus die Rede, wie bey dem Erwerb des Eigenthums (S. 256. 257.). Ebendasselbe gilt von der folgenden Stelle.


(260) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

ipsius rei possessionem (1) supra terram adeptus fuissem“ ...

3. L. 3. §. 3. de poss. (2).

„Neratius et Proculus, (et) solo animo non (3) posse nos adquirere possessionem, si non antecedat naturalis possessio (4). Ideoque si thesaurum in

Neratius und Proculus sagen, durch bloßes Wollen könne nur dann Besitz erworben werden, wenn das physische in allem Besitz, die Detention, schon vorher da gewesen sey. Hieraus folgern sie, daß der Besitzer eines Grundstücks an einem Schatz, der

(1) Possessio heißt hier Besitz im natürlichen Sinn (S. 99. 100.), und das possessionem adipisci wird hier auf dieselbe Weise als Bedingung des (juristischen) possidere gedacht, wie in andern Stellen die naturalis possessio als eine solche Bedingung angegeben wird. (L. 3. §. 3. 13. de poss.).

(2) Mit dieser Stelle haben sich von jeher viele Interpreten beschäftigt. Das beste, was darüber gesagt worden ist, findet sich bey: Engelb. de Man diss. de thesauro ad L. 3. §. 3. de poss. (Thes. Diss. Belg. Vol. 1. Tom. 2. p. 305-386.; natürlich enthalten diese 81 S. auch sehr viel unnützes) und bey Cuperus (P. 2. Cap. 32. 33.). Ich werde meine Erklärung in einer freyen Uebersetzung geben, und diese durch Anmerkungen erläutern und rechtfertigen.

(3) s. die Note 2 S. 261.

(4) also: posse nos adquirere (solo animo) possessionem, si antecedat naturalis possessio. Durch die doppelte Negation ist das deutlich genug ausgedrückt, und es ist also durchaus nicht nöthig anzunehmen, dieser positive Theil des Satzes sey von Paulus oder von einem Abschreiber ausgelassen worden.


(261) §. 17. Apprehens. bewegl. Sachen. (Forts.)

fundo meo (1) positum sciam, continuo me possidere, simul atque possidendi affectum habuero: quia, quod desit naturali possessioni, id animus implet (2). Ceterum

darin vergraben sey, durch bloßes Wollen den Besitz erwerben könne: denn die Detention sey schon da, was also der bloßen Detention zum juristischen Besitz noch fehle, sey nur der animus possidendi, der eben jetzt hinzugethan werde. Die Meinung von Brutus und Manilius übrigens, daß der Schatz ein

(1) Auf das Eigenthum des fundus kommt es dabey nicht an, sondern auf die Detention, und er wird nur deswegen meus fundus genannt, weil ursprünglich und in der Regel die Detention mit dem Eigenthum verbunden ist. Bey einem verpachteten Grundstück würde von dem Rechte des Pachters, nicht des Eigenthümers, die Rede seyn.

(2) Der Zusammenhang der ganzen Stelle ist dieser: zuerst wird aus den Schriften jener beiden Juristen eine allgemeine Regel angeführt, worüber kein Streit war: dann aus denselben Schriften eine Anwendung dieser Regel auf Schätze: dann über diesen Fall eine andere Meinung, die verworfen wird: endlich über denselben Fall eine dritte Meinung, und diese letzte wird gebilligt. Unsere Juristen haben geglaubt, die Regel des Neratius stehe mit seiner Anwendung (in der That oder scheinbar), im Widerspruch: dieser Irrthum hatte zwey Ursachen. Erstens sah man wohl ein, daß naturalis possessio hier das physische im Besitz (das Factum) bezeichne: weil man aber dieses Factum irrig durch körperliche Berührung erklärte (S. 227.), so konnte man nicht begreifen, daß hier naturalis possessio des Schatzes angenommen werden sollte: alles dieses ist leicht begreiflich, wenn man unter dem Factum die unmittelbare Möglichkeit der Einwirkung (die


(262) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

quod Brutus et Manilius putant, eum, qui fundum longa possessione

Theil des Grundstücks sey, also mit diesem zugleich usucapirt werde, selbst wenn der Besitzer gar nichts von dem Schatze wisse diese

custodia) versteht, und diese war das, was Neratius irrigerweise voraussetzte. Zweytens übersetzte man: „quod desit nat. poss.“ durch: „was an der nat. poss. noch fehlt:“ aber die nat. poss. soll ganz vorhanden seyn, und es soll ihr nur der äußere Zusatz fehlen, durch den sie juristischer Besitz wird. Die Glosse sagt deswegen bey den Worten: si non antecedat naturalis possessio: „et supple, vel aliud, quod pro ea habeatur.“ In der Folge bezog man die naturalis possessio auf das Grundstück: durch dieses sey indirect auch an dem Schatz, und selbst ohne dessen naturalis possessio, juristischer Besitz möglich (Paul. de Castro in Dig. nov. P. 1. fol. 56. ed. Lugd. 1548. f., ferner: Zasius, Cujacius, Chesius und viele Andere). Einige haben noch viel schlechter das erste non (solo animo non posse) weggestrichen (N. a Salis sicilim. j. civ. Hannov. 1614. 8. p. 354. Noodt probabil. L. 2. C. 6. num. 4.). Jensius erklärt zuerst richtig, aber ganz kurz (strictur. p. 328. ed. 1739.). Bey Man ist die richtige Erklärung von „desit“ ausführlich dargestellt (l. c. p. 351-353.). – Auch die naturalis possessio erklärt er richtig, doch meint er, weil hier doch eine juristische Fiction nöthig sey, müsse wohl das Wort uneigentlich gebraucht seyn, und dieser Scrupel macht ihm so viel zu schaffen, daß er, nach vielfältigen Versuchen ihm zu entgehen, endlich doch noch zu der gemeinen Meinung zurückkehrt, und die naturalis possessio auf den fundus bezieht (l. c. p. 351. 359-379.) Cuperus (P. 2. C. 32.) erklärt völlig richtig, aber ganz kurz, so daß man nicht sieht, wie er sich wegen der naturalis possessio gegen die gewöhnlichen Einwürfe vertheidigt haben würde. – Wenck de trad. p. 12. erklärt die Stelle so: In der ersten


(263) §. 17. Apprehens. bewegl. Sachen. (Forts.)

cepit, etiam thesaurum cepisse, quamvis nesciat in fundo esse, non est verum: is enim qui nescit, non possidet thesaurum, quamvis fundum possideat: sed et si sciat, non capiet longa possessione: quia scit alienum esse (1). Quidam

Meinung ist ohne Zweifel falsch, selbst nach der zuerst angeführten Ansicht: denn der Schatz ist in der That kein Theil des Grundstücks, folglich wird er von dem Besitzer des Grundstücks nicht zugleich mit besessen, sondern dieser muß noch besonders um den Schatz wissen: aber selbst wenn er darum weiß, also nach jener ersten Meinung den Besitz des Schatzes hat, kann er ihn doch nicht usucapiren, weil er nicht anders von dem Schatz wissen

Hälfte (von Neratius bis implet) sey von einem herrenlosen Schatz die Rede; hier werde die wirklich fehlende naturalis possessio durch das Eigenthum supplirt, und diese Meinung des Neratius werde auch von Paulus gebilligt. In der zweyten Hälfte aber (von Ceterum bis quibus consentio) sey blos von einem Schatz in fremdem Eigenthum die Rede. Nicht nur ist die erste Voraussetzung (Erwerb des Besitzes durch Eigenthum) falsch, sondern auch diese ganze Unterscheidung zweyer Fälle ist willkührlich in die Stelle hinein getragen.

(1) In dieser ganzen Stelle wird unter thesaurus alles vergrabene Geld überhaupt verstanden, ohne Unterschied, ob es herrenlos ist oder nicht (S. 256. 257.). Also nicht bloß ein herrenloser Schatz, welches durch die Worte: „quia scit alienum esse“ unläugbar bewiesen ist. Eben so wenig aber bloß ein solcher Schatz, der noch in fremdem Eigenthum ist, sondern eben sowohl ein herrenloser Schatz, welches letzte von Cuperus aus einem falschen Grunde behauptet (s. u. §. 33.), von den meisten aber aus folgenden zwey Gründen bezweifelt wird: A) weil


(264) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

putant, Sabini sententiam veriorem esse; nec alias eum, qui scit, possidere, nisi si loco motus sit: quia non sit sub

kann, als indem er zugleich einen fremden Eigenthümer desselben weiß, also in mala fide ist. Einige glauben nach Sabinus, der Besitzer des Grundstücks könne nicht durch bloßes Wollen den Besitz des Schatzes erwerben, sondern er müsse ihn ausgraben, weil er erst dadurch

von der Usucapion des Schatzes die Rede ist, diese aber bey einer herrenlosen Sache gar nicht nöthig wäre. Allein zu aller Occupation mußte vor Justinian noch Usucapion hinzukommen, um das bonitarische Eigenthum in ein justum dominium zu verwandeln: demnach beruht dieser ganze Zweifel auf den gewöhnlichen Irrthümern über das Verhältniß der res nec mancipi zu dem Römischen Eigenthum, welche Irrthümer erst von Hugo völlig weggeräumt worden sind. B) wegen der Worte: quia scit alienum esse. Man hat vergeblich versucht, theils durch Emendation, theils durch Interpretation diesem Einwurf zu begegnen. (Bynkershoek, obss. VII. 1. Cuperus P. 2. C. 33. Man l. c. p. 343-345.). Meine Meinung ist diese: der Besitzer des Grundstücks soll den Schatz noch nicht selbst gefunden haben, und dennoch davon wissen. Wie ist das möglich? nicht anders als dadurch, daß er von dem Vergraben des Schatzes irgend eine Nachricht erhalte: dann aber weiß er zugleich, daß der Schatz in fremdem Eigenthum ist (L. 31. § 1. de adq. rer. dom. „depositio ... cujus memoria non exstat“). Also ist hier von einem Schatz in fremdem Eigenthum die Rede, nicht als ob die ganze Stelle nur davon handelte, sondern weil das Wissen um den Schatz nicht wohl anders gedacht werden kann.


(265) §. 17. Apprehens. bewegl. Sachen. (Forts.)

custodia nostra: quibus consentio“ (1).

den Schatz in seine Verwahrung bekomme. Diese Meinung ist die richtige.

(1) Die Glosse und fast alle übrigen Interpreten finden diese Entscheidung sehr sonderbar, da doch Bewegung der Sache in andern Fällen nicht zum Erwerb des Besitzes gehört, ja sogar bei manchen Sachen (den Grundstücken nämlich) unmöglich ist. Die Meisten erklären deswegen die ganze Stelle bloß von einem Schatz, der noch in fremdem Eigenthum ist (s. die vorige Note): deswegen sey hier, wie in L. 15. ad exhib. und L. 44. pr. de poss. die Bewegung, als etwas besonderes, nöthig, um den bisherigen Besitzer auszutreiben: welche Erklärung selbst wieder von ganz falschen Grundsätzen ausgeht. Odofred (fol. 55.) macht gerade die entgegengesetzte Unterscheidung, indem er die Stelle auf einen eigentlichen, d. h. herrenlosen Schatz bezieht, und deshalb bey allen herrenlosen Sachen Berührung fordert „quia possunt intervenire multi casus, quibus nostra non fiunt ... praeterea non est ibi aliquis, qui velit in me transferre possessionem.“ Bynkershoek (obs. VII. 1.) ließt: loco notus, anstatt: loco motus, und bringt so mit Hülfe einer Emendation und einer sehr gezwungenen Erklärung endlich einen ganz falschen Satz als Resultat heraus. – Aber hier, wie in allen Fällen überhaupt, ist die unmittelbare Gegenwart der Sache das, was die Apprehension ausmacht: da es sich indessen kaum denken läßt, daß Jemand einen Schatz völlig aufgraben wird, ohne ihn auch wirklich aus der Erde zu nehmen und weg zu tragen, so konnte die loco motio ohne Bedenken als Apprehension angegeben werden, um so mehr, da es hier bloß darauf ankam, den Gegensatz gegen die Meinung des Neratius auszudrücken, nach welcher das bloße Wissen den Besitz begründen sollte. Diese richtige Erklärung der Worte nisi si loco motus sit findet sich bloß bey den ältesten Glossatoren. Glossa interl. (Ms. Paris. 4458. a.) „G.


(266) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

§. 18.

Es ist jetzt durch Interpretation bewiesen, was oben vorausgesetzt wurde, daß es die Möglichkeit einer unmittelbaren Einwirkung auf die Sache, und nicht die körperliche Berührung ist, was die Apprehension ausmacht (S. 232. 233.). Damit sind zugleich alle fingirten Apprehensionen aufgehoben, weil alle die Fälle, in welchen man eine solche nach willkührlichen Voraussetzungen annahm, ohne Ausnahme unter dem Begriff der natürlichen Apprehension enthalten sind.

Dieser Begriff selbst aber, dessen Realität nun erwiesen ist, muß jetzt näher bestimmt werden. Die Vergleichung einiger bereits erklärten Fälle wird am leichtesten zu diesem Zweck führen.

Wer ein Stück Wild tödtlich verwundet hat, und es sehr nahe verfolgt, ist dennoch nicht Besitzer

(Guarnerius) vel pro moto habeatur veluti si coram positum thesaurum oculis et affectione videatur apprehendisse, sicut in aliis rebus ut I. e. l. 1.“ – Glossa interl. (Ms. Paris. 4455.) „vel pro moto habeatur veluti si praesens thesaurus oculis et affectu apprehendatur quod in possessione necessarium est. M.“ (Martinus.). Demnach ist das Resultat der drey angeführten Stellen (L. 15. ad exhib. – L. 44. pr. de poss. – L. 3. §. 3. de poss.) völlig dasselbe, und es ist dabey ganz gleichgültig, ob das vergrabene Geld herrenlos ist oder nicht, und eben so, ob es bisher in fremdem Besitze war oder nicht.


(267) §. 18. Nähere Bestimmung der Apprehens.

desselben, solange er es nicht wirklich gefangen oder getödtet hat; denn noch ist es auf vielerley Art möglich, daß ihm dieses Thier ganz entgehe (S. 248.), dann aber ist es ihm in keinem Moment möglich gewesen, willkührlich darauf zu wirken, was doch zum Erwerb des Besitzes nothwendig ist. Eben so, und aus denselben Gründen, erwirbt selbst der Eigenthümer eines Grundstücks den Besitz eines Schatzes erst dann, wenn der Schatz wirklich ausgegraben ist (S. 258. 259.), weil es auch hier leicht möglich ist, daß nicht er, sondern ein Anderer den Schatz findet, dann aber der Schatz in keinem Augenblick wirklich in der Gewalt jenes Eigenthümers war.

Dagegen kann der Besitz einer Sache bloß dadurch erworben werden, daß sie in unserer Wohnung niedergelegt wird, obgleich wir nicht selbst gegenwärtig sind (S. 253.): und doch ist es auch hier nicht unmöglich, daß gleich nachher das Haus selbst von Andern mit Gewalt occupirt wird, so daß wir alsdann in keinem Augenblick jene Sache in unsrer Gewalt hatten. Eben so soll von einem nahen Thurme aus der Besitz eines Grundstücks übergeben werden können (S. 237.), und doch ist es auch da möglich, daß der neue Besitzer die wirkliche Herrschaft über die Sache nie erhält, weil in demselben Augenblick, in welchem er hineingehen will, ein Anderer angekommen seyn kann, der auch auf diesen


(268) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

Besitz Anspruch macht, und von welchem er mit Gewalt zurückgewiesen wird.

Worin liegt nun der Grund, warum in jenen Fällen kein Besitz erworben ist, wohl aber in diesen? offenbar bloß darin, daß die Möglichkeit, von der Sache völlig ausgeschlossen zu werden, noch ehe man sie wirklich in der Gewalt gehabt hat, in jenen Fällen sehr nahe, in diesen aber so entfernt ist, daß sie für das Bewußtseyn des Besitzers völlig verschwindet. Jeder wird es für leicht möglich halten, daß ihm ein verwundetes Thier entgehe, oder daß er solange vergeblich nach einem Schatze suche, bis ihm ein Anderer zuvorgekommen seyn wird: aber daß das Hausrecht gewaltsam verletzt werde, oder daß in den wenigen Augenblicken, die man braucht, um in ein ganz nahes Feld zu gehen, ein neuer Besitzer ankomme, der vorher nicht zu sehen war, das ist so unwahrscheinlich, daß auf diese Möglichkeit Niemand Rücksicht nehmen wird. Demnach kann nicht in jenen, wohl aber in diesen Fällen das Bewußtseyn physischer Herrschaft entstehen, und damit ist der Begriff der Handlung, wodurch der Besitz erworben werden muß, völlig bestimmt. Es muß nämlich die Möglichkeit, auf die Sache nach Willkühr zu wirken, von dem, welcher den Besitz erwerben will, als unmittelbare, gegenwärtige Möglichkeit gedacht werden können.


(269) §. 18. Nähere Bestimmung der Apprehens.

Damit ist zugleich ein neuer Ausdruck für den materiellen Begriff des Besitzes (§. 9.) aufgefunden, in welchem zugleich der Erwerb und Verlust des Besitzes am leichtesten übersehen werden kann. Es beruht nämlich aller Besitz einer Sache auf dem Bewußtseyn unbeschränkter physischer Herrschaft (1). Damit dieses Bewußtseyn entstehe, muß der Wille (animus) vorhanden seyn, die Sache als eigen zu haben (2): zugleich

(1) Wenn man diesen Satz so erklärt: „wer die physische Herrschaft über eine Sache zu haben meint, hat den Besitz, “ so ist nichts leichter, als ihn zu widerlegen, und er ist in dieser Gestalt von Zachariä (de poss. p. 27.) wirklich widerlegt worden. Aber ich glaube mich so deutlich vor diesem Mißverständniß verwahrt zu haben, daß ich selbst für die Bestimmtheit des Ausdrucks nichts hinzuzuthun weiß. Ich habe nämlich sehr bestimmt gesagt, daß die Thatsachen, welche jenes Bewußtseyn erzeugen können, wirklich vorhanden seyn müssen, so daß dieses Bewußtseyns blos erwähnt worden ist, in Beziehung auf jene Thatsachen; theils um zu erklären, warum es auf dieselben ankomme, theils um den Begriff derselben genauer zu bestimmen. Was aber die Fortdauer des Besitzes betrifft, so habe ich eben so deutlich gesagt, daß dieselbe auf der möglichen Reproduction alles dessen beruhe, wodurch der Besitz erworben wird (erste Ausgabe §. 29. und 32.), welche Möglichkeit zwar nicht durch Entfernung von der Sache und durch Vergessen des Besitzes, wohl aber durch Verlieren und durch animus non possidendi aufgehoben wird.

(2) Von dem abgeleiteten Besitz nämlich, als einer bloßen Modification des ursprünglichen Begriffs (§. 9.) kann hier nicht die Rede seyn.


(270) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

müssen die physischen Bedingungen der Möglichkeit vorhanden seyn, deren Bewußtseyn entstehen soll (corpus). Fortgesetzt wird der Besitz durch die Fortsetzung derselben Bedingungen (corpore et animo), wodurch der Besitz erworben wurde: aber es ist sehr natürlich, daß hier zur Fortdauer des Besitzes nicht die unmittelbare physische Herrschaft nöthig ist, die zum Anfang desselben erfordert wurde; vielmehr kommt es bloß auf die fortdauernde Möglichkeit an, jenes unmittelbare Verhältniß nach Willkühr zu reproduciren. Darum verlieren wir nicht durch bloße Entfernung von der Sache den Besitz, den wir uns einmal zugeeignet haben, obgleich das physische Verhältniß, in welchem wir nun in der That zu dieser Sache stehen, durchaus nicht hinreichen würde, uns den Besitz allererst zu verschaffen (1): welcher Unterschied unter den physischen Bedingungen des Erwerbs und der Fortdauer ohne jene Beziehung auf das Bewußtseyn des Besitzers durchaus nicht erklärbar wäre (2).

(1) Diese Unterscheidung zwischen Fortdauer und Erwerb des Besitzes ist selbst in den Ausdrücken sichtbar. So wird in einem und demselben Fall die custodia abgeläugnet (L. 3. §. 3. de poss.), und in einer andern Stelle angenommen (L. 44. pr. de poss.): aber in der ersten Stelle ist vom Erwerb, in der zweyten von der Fortsetzung des Besitzes die Rede.

(2) Zachariä hält es für einen nicht geringen Vorzug seines Begriffs des Besitzes, daß nach demselben der Erwerb und


(271) §. 18. Nähere Bestimmung der Apprehens.

Und diese Ansicht kann vielleicht dazu dienen, den bisher geführten Streit über die Natur der Apprehension zu vermitteln. Es ist nämlich schon oben (§. 14.) bemerkt worden, daß die Meisten jede Apprehension, welche nicht auf körperlichem Ergreifen beruht, für eine bloß fingirte, künstliche halten, so daß Viele sie nur bey der Tradition oder gar nur um des Eigenthums willen zulassen. Andere haben zwar einen richtigen Begriff von der Apprehension überhaupt, sind aber doch geneigt, in derselben einen Unterschied anzunehmen, je nachdem von einseitiger Bemächtigung oder von Tradition die Rede ist (1). In der That läßt sich auch ein solcher Unterschied zugeben, wenn man ihn nur nicht auf den Grundsatz selbst, sondern auf die Anwendung bezieht. Fragt man nämlich, unter welchen Bedingungen durch die Gegenwart zugleich

die Fortdauer des Besitzes auf ganz gleichen Bedingungen beruhe (de poss. p. 27.). Allein diese Gleichheit folgt nicht aus seinem Begriff, sondern aus dem Satz: initio possessionis probato, tamdiu ejus retentio praesumitur, donec probetur contrarium, i. e. finis (p. 16.). Dieser Satz aber ist gänzlich erschlichen, und er folgt so wenig aus seinem Begriff, daß er demselben vielmehr widerstreitet. Denn nach dem Begriff gehörten die Signa e quibus constet alicui inesse animum etc. zum Wesen des Besitzes: in diesem Satz hingegen erscheinen sie als bloßes Beweismittel, das durch eine (erschlichene) Präsumtion ersetzt werden soll.

(1) So z. B. Hufeland neue Darstellung S. 88 fg.


(272) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

auch das Bewußtseyn physischer Herrschaft entstehen könne, so wird dieses, besonders wegen der möglichen Gegenwirkung eines Dritten, sehr von individuellen Umständen abhängen können. Am leichtesten aber wird jenes Bewußtseyn entstehen bey der Tradition, indem sich meist für den vorigen Besitzer durch Gewohnheit ein höherer Grad von Sicherheit in der Herrschaft über die Sache gebildet haben wird, und indem nun der neue Besitzer in diese allmählig erworbene Sicherheit mit einemmal eintritt. So wird oft dieselbe äußere Thatsache bey der Tradition zum Erwerb des Besitzes hinreichen können, bey der einseitigen Occupation aber nicht. Nimmt man hierauf Rücksicht, so wird der unmittelbar practische Streit größtentheils verschwinden, indem nun für die meisten Fälle die Frage: ob Besitz erworben ist oder nicht? nach beiden streitenden Meinungen ganz gleich beantwortet werden wird. Uebrig ist dann noch der Streit über die wissenschaftliche Ansicht und Begründung, und zugleich über manche practische Folge eben dieser Ansicht, indem die Gegner so manchen Erwerb durch Tradition, der mir natürlich scheint, für einen künstlichen halten, und eben darum, ganz gegen die Natur des Besitzes, von bloß juristischen Bedingungen abhängig machen wollen (S. 229. 230.). Am meisten entfernen sich von der richtigen Ansicht des Besitzes diejenigen, welche den Besitz oft nur als Folge des Eigenthums


(273) §. 18. Nähere Bestimmungen der Apprehens.

entstehen lassen wollen (S. 230.). Nicht nur kehren diese alles natürliche Verhältniß der Begriffe um, sondern sie haben auch nicht einmal den Buchstaben für sich; denn viele der Stellen, aus welchen ich oben (§. 15. 16. 17.) den allgemeinen Begriff der Apprehension abstrahirt habe, sprechen zwar allerdings nur von der Tradition, aber sie fordern gar nicht, daß der Tradirende Eigenthümer oder auch nur b. f. possessor gewesen seyn müsse, sie passen also auf Fälle des übertragenen Eigenthums nicht mehr und nicht weniger, als auf solche Fälle, in welchen wirklich gar kein Recht an der Sache durch die Tradition erworben wird.

Aus dem allgemeinen Grundsatz der Apprehension, der hier durch bloße Abstraction aus den einzelnen Entscheidungen der Römischen Juristen aufgefunden worden ist, sind nun alle Fälle zu entscheiden, welche nicht ausdrücklich im Römischen Recht bestimmt sind.

Gesetzt, es wäre von dem Besitz eines Gutes die Rede, das in einem beträchtlichen Umfang mehrere Höfe enthielte: wäre es auch hier genug, das Ganze bloß an einem Ende zu betreten, um Besitzer zu werden? das Römische Recht nennt diesen Fall nicht, denn die fundi, wovon die Römischen Juristen sprechen, sind offenbar einzelne Stücke Landes von beschränktem Umfang, die mit einem Blick übersehen werden können. Nach unserm


(274) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

Grundsatz ist durch jene Handlung der Besitz noch keineswegs erworben, sondern dieses ist nur durch solche Handlungen möglich, wodurch die sinnliche Ueberzeugung physischer Herrschaft über jeden Theil des Gutes entstehen kann: das Gut also, welches juristisch als Einheit (universitas) gilt, wird bey dieser Handlung, die gar keine juristische Form hat, als zusammengesetzt betrachtet. Ganz anders, wenn man nach der gemeinen Meinung den Besitz der Grundstücke durch symbolische Handlungen erwerben läßt; die Wirkung dieser symbolischen Handlung müßte sich auf die ganze Sache erstrecken, weil diese als juristische Einheit betrachtet wird: und dabey könnten physische Lage und Umfang keinen Unterschied machen.

§. 19.

Der Begriff der äußern Handlung ist jetzt völlig bestimmt, die, in Verbindung mit animus, den Besitz begründet. Es ist nur noch der Fall zu bestimmen übrig, wenn das physische Verhältniß schon vorher existirt, ehe der Besitz erworben werden soll.

Daß auch hier der animus, als die zweyte Bedingung alles Erwerbs, hinzukommen müsse, ist klar: aber für die Apprehension, womit wir uns hier noch allein beschäftigen, ist durchaus nichts neues zu thun nöthig. Insofern wird hier durch bloßen animus Besitz


(275) §. 19. Erwerb durch frühere Apprehension.

erworben (1), weil nämlich jetzt, in dem Augenblick des Erwerbs, außer dieser Bestimmung des Willens, durchaus nichts neues zu geschehen braucht.

Zugleich ist es klar, daß hier zum Erwerb des Besitzes schon das entferntere physische Verhältniß hinreiche, wodurch außerdem der schon erworbene Besitz erhalten werden kann (S. 270.), vorausgesetzt, daß auch hier eine andere Apprehension vorhergegangen ist.

Der wichtigste Fall, welcher hierher gehört, betrifft die sogenannte traditio brevi manu. Man versteht darunter zwey sehr verschiedene Dinge: theils Uebertragung des Eigenthums, da der Besitz schon übergegangen war (2), welcher Fall uns hier nicht interessirt, indem

(1) L. 3. §. 3. de poss. „Neratius et Proculus, (et) solo animo non posse nos adquirere possessionem, si non antecedat naturalis possessio.“ (S. 260. Not. 4.).

(2) L. 21. §. 1. de adqu. rer. dom. „Si rem meam possideas, et eam velim tuam esse: fiet tua, quamvis possessio apud me non fuerit.“ – cf. L. 46. de rei vind. Daß die Sache gegenwärtig seyn müsse bey einem solchen Vertrag, ist durchaus nicht nöthig, denn L. 47. de rei vind. geht offenbar auf den s. g. fictus possessor, d. h. auf den Beklagten, der nicht wirklicher Besitzer ist („cum possessionem ejus possessor nactus sit“), also heißt res absens eine Sache, die nicht in seinem Besitze ist. Gar nicht hierher gehören endlich: L. 11. pr. – L. 15. de reb. cred. – L. 34. pr. mandati: denn wer einem Andern Geld ex mandato schuldig ist, hat jetzt das Eigenthum und den Besitz der Geldstücke: wird also die obligatio in ein mutuum


(276) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

er durchaus keine Veränderung des Besitzes begründet: theils Uebertragung des Besitzes, da der Andere bisher die bloße Detention hatte, wodurch denn auf die oben angegebene Weise der Besitz erworben wird. Hierauf beziehen sich folgende Stellen:

1. L. 9. §. 5. de adqu. rer. dom. (§. 44. I. de rer. divis.)

„Interdum etiam sine traditione nuda voluntas domini sufficit ad rem transferendam:

verwandelt, so ändert sich in dem Eigenthum, so wie in dem Besitz, nicht das geringste, folglich gehört die Frage, ob jene Verwandlung möglich sey (über welche Frage jene Stellen in offenbarem Widerspruch stehen), gar nicht in die Theorie des Besitzes oder des Eigenthums. – Mein Rec. im juristischen Archiv (B. 4. S. 411.) bemerkt dagegen, daß der Mandatar, welcher Geld eincassire, keineswegs Eigenthümer und Besitzer der Geldstücke sey „vorausgesetzt natürlich, daß die erhobenen Gelder beym Mandatar specifisch vorhanden seyen.“ Aber gerade von dieser Voraussetzung kann man hier sehr sicher das Gegentheil annehmen: 1) weil hier bloß von den Obligationen=Verhältnissen gesprochen wird, bey welchen es natürlich und gewöhnlich ist, ganz davon zu abstrahieren, ob der Mandatar die vorigen Geldstücke aufbewahrt hat. 2) Weil L. 34. pr. cit. gerade in dieser Rücksicht das depositum dem Mandate entgegensetzt: „Nec huic simile esse, quod si pecuniam apud te depositam convenerit, ut creditam habeas, credita fiat: quia tunc nummi, qui mei erant, tui fiunt.“ Ganz natürlich, das Aufbewahren der species, welches bey dem Mandatar sehr zufällig ist, ist eben die Schuldigkeit des Depositars.


(277) §. 19. Erwerb durch frühere Apprehension.

veluti si rem, quam commodavi, aut locavi tibi, aut apud te deposui (1), vendidero tibi: licet enim ex ea causa tibi non tradiderim, eo tamen, quod patior eam ex causa emtionis apud te esse, tuam efficio.“

2. L. 62. pr. de evictionibus:

„Si rem, quae apud te esset (2), vendidissem tibi, quia pro tradita habetur, evictionis nomine me obligari placet.“

3. L. 9. §. 9. de rebus creditis:

„Deposui apud te decem, postea permisi tibi uti: Nerva, Proculus, etiam antequam moveantur (3), condicere quasi mutua tibi haec posse ajunt: et est verum, ut et Marcello videtur: animo enim coepit possidere“ ...

In diesen Stellen ist zunächst von Uebertragung des

(1) Durch alle diese Handlungen geht kein juristischer Besitz über (s. u. §. 23.).

(2) L. 63. de V. S. „Penes te amplius est, quam apud te: nam apud te est, quod qualiterqualiter a te teneatur: penes te est, quod quodam modo possidetur.“

(3) Also ohne neue Apprehension. – In der folgenden Stelle (L. 10. de reb. cred.) wird in einem andern Fall gerade das Gegentheil gesagt, aber um deswillen, weil da das wirkliche Brauchen des Geldes die Bedingung war, ohne welche nach dem Willen der Parteyen selbst gar nicht von einem mutuum die Rede seyn konnte.


(278) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

Eigenthums die Rede, aber durch eine solche Handlung, wovon es heißt: per possessionem dominium quaeritur, so daß sie auch für den Besitz völlig beweisen (S. 12.), d. h. daß nicht nur in diesen Fällen selbst Besitz zugleich mit dem Eigenthum übergeht, sondern daß auch auf diese Art der Besitz ohne Eigenthum übertragen werden kann, wenn z. B. der Verkäufer selbst gar nicht Eigenthümer ist, oder wenn der Empfänger durch Pfandrecht oder Precarium oder Emphyteuse eine wahre possessio erhalten soll.

Zu dieser Art den Besitz zu erwerben, gehört auch die bedingte Uebergabe. Zunächst geht hier noch gar kein Besitz über, aber sobald die Bedingung eintritt, wird nun der Besitz unmittelbar erworben, der bis dahin nur in fremdem Namen ausgeübt wurde:

L. 38. § 1. de poss.

„ ... existimandum est, possessiones sub conditione tradi posse, sicut res sub conditione traduntur (1), neque aliter accipientis fiunt, quam conditio exstiterit.“

Bey dieser ganzen Art den Besitz zu erwerben, ist

(1) d. h. wie bey dem Eigenthum, (also mittelbar auch bey dem Besitz) eine bedingte Uebergabe vorkommt, so auch bey dem Besitz allein, und ohne Beziehung auf Eigenthum. Vgl. L. 2. §. 5. de don. – L. 38. pr. de damno inf.


(279) §. 20. Animus possidendi.

indessen eine Beschränkung wohl zu bemerken, die erst unten ganz deutlich werden kann. Wer nämlich seinen Besitz einer beweglichen Sache durch andere Personen ausüben läßt, verliert den Besitz nicht durch den bloßen Willen dieser Personen, sondern es muß ein wahres furtum, also auch contrectatio hinzukommen (Abschn. 3.): folglich kann auch der Repräsentant diesen Besitz nur durch contrectatio erwerben, weil sonst zwey Besitzer derselben Sache vorhanden wären (S. 200.), und darin liegt eine wahre Ausnahme von unserer Regel.

§. 20.

Die Beschaffenheit der körperlichen Handlung, wodurch der Besitz erworben wird, ist jetzt vollständig bestimmt: zu dieser Handlung aber muß ein bestimmtes Wollen (animus) hinzukommen, wenn der Besitz wirklich entstehen soll, und dieser Punct ist hier zunächst zu erörtern.

Nun besteht dieses Wollen ursprünglich darin, daß der Besitzer die Sache als eine eigne Sache behandle (animus domini); dieser Begriff ist für sich deutlich genug, und es ist nur nöthig, von der Verwechslung dieses animus domini mit der Ueberzeugung, daß man Eigenthümer sey (opinio domini) zu warnen (S. 113.). Das Recht des Besitzes aber kann in einigen Fällen, unabhängig vom Eigenthum, veräußert


(280) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

werden, und bey dem abgeleiteten Besitz, der dadurch entsteht, ist es nicht mehr der animus domini, was zu der Apprehension hinzukommen muß, um den Besitz zu begründen, sondern der bloße animus possidendi, d. h. man muß nur den Besitz auf diese Weise, also in Beziehung auf ein solches Rechtsgeschäft, erwerben wollen. Auch dieser Begriff bedarf keiner weitern Erörterung: dagegen ist es sehr wichtig, die Fälle zu wissen, in welchen ein abgeleiteter Besitz im Römischen Recht anerkannt, folglich eine Ausnahme von der Regel des animus domini gemacht wird. Diese Untersuchung also gehört ganz eigentlich hierher.

Allein es giebt Fälle, in welchen, ohne Rücksicht auf diese Unterscheidung, und doch wegen des fehlenden animus, kein Besitz erworben werden kann. Wer nämlich überhaupt nicht wollen kann, ist auch den Besitz zu erwerben unfähig: und eben so kann kein Besitz an einer solchen Sache entstehen, deren wir uns nicht als einer einzelnen Sache für sich bewußt werden können.

Demnach sind hier, bey dem animus possidendi, drey Fragen zu beantworten:

1. Welche Personen können keinen Besitz erwerben, weil sie überhaupt nicht wollen können? (§. 21.)

2. An welchen Sachen kann kein Besitz erworben werden, weil kein animus possidendi an ihnen möglich ist? (§. 22.)


(281) §. 21. Des animus possidendi unfäh. Pers.

3. In welchen Fallen ist ein abgeleiteter Besitz möglich? d. h. in welchen Fällen ist es möglich, ohne animus domini den Besitz zu erwerben? (§. 23-25.).

§. 21.

Zuerst also: welche Personen können keinen Besitz erwerben, weil sie überhaupt nicht wollen können? (1)

Dahin gehören zunächst: juristische Personen, d. h. solche, die bloß durch eine juristische Fiction als Subjecte von Rechten betrachtet werden. So kann eine Erbschaft (hereditas jacens) alle übrigen Rechte, z. B. Eigenthum, haben und selbst erwerben, Besitz aber nicht. Die Apprehension ließe sich noch einigermaßen denken, indem z. B. in einem Hause, das der Erbschaft gehörte, die Sache eingeschlossen wäre: aber der animus possidendi ist hier durchaus unmöglich, und deswegen kann eine Erbschaft das Recht des Besitzes durchaus nicht erwerben.

L. 1. §. 15. si is, qui testamento liber.

„ ... possessionem hereditas non habet, quae (i. e. quippe quae) est facti et animi ...

(1) Alle diese Personen nämlich (Corporationen, Wahnsinnige, Kinder) können durch sich selbst allein keinen Besitz erwerben: inwieferne es durch Stellvertreter möglich ist, wird unten (§. 26.) bestimmt werden.


(282) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

Auf dieselbe Art sind auch Corporationen Besitz zu erwerben unfähig.

Dieselbe Unfähigkeit aber, welche bey juristischen Personen allgemein vorhanden ist, kann auch bey physischen Personen durch die besondere Beschaffenheit mancher Individuen begründet werden. So können Wahnsinnige, wegen des unmöglichen animus possidendi, keinen Besitz erwerben: auch kann von einer auctoritas curatoris, durch welche der Wahnsinnige in Stand gesetzt würde, selbst Besitz zu erwerben, hier, wie bey Wahnsinnigen überhaupt, nicht die Rede seyn:

L. 1. §. 3. de poss.

„Furiosus, et pupillus sine tutoris auctoritate, non potest incipere possidere: quia affectionem tenendi non habent, licet maxime corpore suo rem contingant: sicuti si quis dormienti aliquid in manu ponat. Sed pupillus tutore auctore incipiet possidere.“

L. 18. §. 1. de poss.

So wie Wahnsinn, schließt auch Jugend von dem Erwerb des Besitzes aus: dabey ist aber der Zeitpunkt zu bestimmen, mit welchem diese Unfähigkeit aufhört. – Nun ist es sicher, daß durch die Pubertät hier, wie in allen ähnlichen Fällen, jede Unfähigkeit aufgehoben ist,


(283) §. 21. Des animus possidendi unfäh. Pers.

demnach sind nur zwey Fälle zu erwägen übrig: Impubertät im engern Sinn, und Kindheit.

Ueber die Fähigkeit der Pupillen, die nicht mehr Kinder sind, gilt diese Regel: durch Auctorität des Vormundes ist der Erwerb des Besitzes immer möglich, ohne diese nur dann, wenn in dem gegebenen Fall der Pupill ausgebildet genug ist, um diesen Erwerb begreifen und ernstlich wollen zu können:

L. 1. §. 3. de poss.

„ ... pupillus tutore auctore incipiet possidere. Ofilius quidem et Nerva filius, etiam sine tutoris auctoritate possidere incipere posse pupillum ajunt: eam enim rem facti, non juris esse: quae sententia recipi potest, si ejus aetatis sint, ut intellectum capiant“.

L. 26. C. de donat.

„Si quis in emancipatum minorem, prius quam fari possit, aut habere rei quae sibi donatur adfectum, fundum crediderit conferendum ... per ... servum transigi placuit“ ... (1)

(1) Aus diesen sehr bestimmten Stellen müssen einige andere erklärt werden, welche ganz unbestimmt der Möglichkeit eines


(284) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

Mehr Schwierigkeit hat die Sache, wenn von Kindern die Rede ist. Daß das Kind allein den Besitz nicht erwerben kann, folgt schon daraus, daß selbst die Pupillen dieses Recht nicht ohne Einschränkung haben: daß der Vormund im Namen des Kindes Besitz erwerben kann, ist eben so gewiß, und gehört noch nicht hierher. Aber ist auch durch des Kindes eigne Handlung Erwerb des Besitzes möglich, wenn die auctoritas des Vormunds hinzukommt? aus zwey Gründen scheint diese Frage verneint werden zu müssen: erstens, weil in allen andern Fällen nur bei eigentlichen Pupillen, nicht bey Kindern, eine auctoritas des Vormunds von den Gesetzen anerkannt wird (1): zweytens, weil der Erwerb des Besitzes keine juristische Handlung ist, folglich auf den Willen des Besitzers gesehen werden muß, ohne daß dieser durch juristische Fiction supplirt werden kann. Da aber der Vormund selbst, im Namen des Kindes, Besitz erwerben kann, obgleich dabey noch weniger eine

solchen Erwerbs erwähnen, ohne die Bedingungen dieser Möglichkeit anzugeben: L. 1. §. 11. de poss. L. 32. §. 2. eod. L. 9. pr. de auct. et const. tutor. Besonders nach L. 26. C. de don. glaube ich, daß die Fähigkeit des Pupillen ganz individuell bestimmt werden muß, so daß §. 10. I. de inut. stip., worin ohne Unterschied jeder infantia major für fähig erklärt wird, allein auf die Stipulation bezogen werden darf.

(1) §. 10. I. de inutil. stip. – L. 1. §. 2. de admin. tut. – L. 5. de R. I.


(285) §. 21. Des animus possidendi unfäh. Pers.

Einwilligung des Kindes statt findet, so darf der zweyte Grund consequenterweise auch nicht gegen die Gültigkeit der auctoritas angeführt werden: und da man, nach der Analogie eines andern Falls der Apprehension (1), die ganze Handlung auch so betrachten kann, als ob der Vormund selbst, im Namen des Kindes, den Besitz ergriffe, so fällt auch der erste Grund weg, welcher bloß aus der juristischen Natur der auctoritas hergenommen ist. – Die Römischen Juristen selbst haben zuerst über diese Frage gestritten: späterhin wurde die Gültigkeit der auctoritas als entschieden angenommen, und es wird ausdrücklich die Analogie des Erwerbs durch den Vormund, deren Bedeutung so eben entwickelt worden ist, als Grund dieser Gültigkeit angegeben:

L. 32. §. 2. de poss.

„Infans possidere recte potest, si tutore auctore coepit: nam judicium infantis suppletur auctoritate tutoris: utilitatis enim causa hoc receptum est: nam alioquin

(1) L. 1. §. 21. de poss. „Si jusserim venditorem procuratori rem tradere, cum ea in praesentia sit: videri mihi traditam Priscus ait.“ (S. 241.).


(286) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

nullus consensus infantis est (1) accipienti (2) possessionem.“

Der tutor auctoritatem interponens wird offenbar dem tutor accipiens possessionem entgegen gesetzt, und

(1) So lesen: Cod. Rehd., zwey Pariser Mspte (num. 4456. und 4485.) eine Münchner Handschrift (N. 21.), die Löwener Handschrift, und Ed. Ven. 1494. nebst noch zwey neuern Ausgaben von Tortis (1499. und 1502.). Fünf Pariser Mspte (num. 4479. 4480. 4486. 4486. a. ein Ms. du fonds de Notre-Dame), meine eigene Handschrift und Edd. Ven. 1485., Ven. 1491., Lugd. 1508. 1509. lesen: consensus infanti est (oder est infanti, was keinen Unterschied macht). – Flor. „ ... sensuse sit infantis:“ schon in der Handschrift war der Fehler corrigirt und: sensus est gesetzt; dennoch hat Gebauer abdrucken lassen: sensus sit, was weder in der Handschrift steht, noch einen Sinn giebt. – Edd. Rom. 1476., Nor. 1483., Lugdun. 1513. Lugd. 1519. Haloandr., Paris. 1514. 1536: „sensus infantis est.“ Dabey bemerkt Gebauer: „Hal. trajicit voces: sensus infantis est, ut nunc existimo, auctoritate alicujus codicis suffultus:“ d. h. Gothofred hatte hier zufällig keine Variante alter Ausgaben notirt. Die übrigen Ms. lesen theils sensus infantis est, theils sensus infanti est, theils sensus est infanti.

(2) Accipienti lesen: Cod. Rehd., drey Pariser Mspte (num. 4458. 4479. 4487.), die Münchner Handschrift num. 21. und Ed. Ven. 1485. Doch ist in der Rehdigerschen Handschrift von einer neuern Hand: accipientis anstatt accipienti gesetzt. – Die übrigen Ausgaben und Mspte lesen mit dem Florentinischen Manuspt: accipiendi; die Löwener Handschrift: acquirendi. – Aus dieser Uebersicht erhellt, daß die vollständige Leseart, die ich als richtig annehme, nur allein in der Münchner Handschrift num. 21. zu finden ist, daß aber jeder ihrer Theile auf mehreren Mspten und alten Ausgaben beruht.


(287) §. 21. Des animus possidendi unfäh. Pers.

durch die (unbestrittene) Gültigkeit der zweyten Handlung soll die Gültigkeit der ersten bewiesen werden. Demnach ist der Sinn der ganzen Stelle dieser: „die Gültigkeit der auctoritas ist, abweichend von der allgemeinen Regel (utilitatis causa), angenommen worden: denn, wenn man sie verwerfen wollte, so würde das aus dem Grunde geschehen müssen, weil es nicht der Besitzer selbst ist, der den animus possidendi hat: das ist aber auch der Fall, wenn nicht das Kind, auctore tutore, sondern der Vormund selbst, im Namen des Kindes, den Besitz erwirbt, da auch hier nicht das Kind den animus possidendi hat (1). Da nun in diesem Fall dennoch der Besitz als erworben angenommen wird, so war es consequent, auch in jenem Fall den Erwerb zu behaupten.“ – Diese Erklärung beruht auf der oben angenommenen Leseart. Nach der gewöhnlichen Leseart („nam alioquin nullus sensus infantis est accipiendi possessionem“) erklären mehrere (2) auf diese Art: „denn außerdem, d. h. ohne Auctorität des Vormunds, würde das Kind gar keinen animus

(1) nam alioquin (für nam et alioquin „auch in einem andern Fall:“ dieser Fall selbst wird sogleich durch das Wort: accipienti bestimmt) nullus consensus infantis est accipienti (sc. tutori) possessionem.“

(2) Glossa in h. L. – Cuiacius in h. L. (opp. T. 8. p. 297.). – Giphanius in h. L. (lectur. Altorph. p. 394.).


(288) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

possidendi (sensus s. intellectus accipiendi possessionem) haben können.“ Diese Erklärung ist unmöglich, theils weil das Kind auch dann keinen sensus hat, wenn der Vormund seine Auctorität interponirt, folglich das: alioquin keinen Sinn hätte, theils auch deswegen, weil der ganze Satz da steht, nicht um die Nothwendigkeit der auctoritas zu beweisen, sondern um zu erklären, warum durch die auctoritas nach der nun recipirten Meinung Besitz erworben werden könne. – Doch ist die oben gegebene Erklärung auch nach der gewöhnlichen Leseart nicht unmöglich, aber der Sinn derselben ist weit unbestimmter und schwankender. – Wie aus der unsrigen die andern Lesearten entstanden sind, läßt sich leicht zeigen. Da nämlich die Beziehung des „accipienti“ auf den tutor etwas versteckt liegt, so suchten die Abschreiber dieses Wort auf: infans zu beziehen: theils, indem sie infanti anstatt infantis setzten (1): theils, indem sie das accipienti in accipientis (2) oder in accipiendi (3) verwandelten, welche letzte Veränderung wieder die Verwandlung des consensus in sensus zur Folge hatte.

Hierher gehört endlich auch eine andere Stelle, die durch vielfache Interpretationen, und durch den practischen

(1) Ed. Ven. 1485., Ven. 1491., Lugd. 1508. 1509.

(2) Cod. Rehd.

(3) Cod. Flor. rel.


(289) §. 21. Des animus possidendi unfäh. Pers.

Gebrauch, den man von ihr gemacht hat, vorzüglich berühmt geworden ist (1). Bey ihrer Erklärung muß vorzüglich der Umstand in Erwägung gezogen werden, daß der Kaiser am Ende der Stelle einen Grund seiner Entscheidung angiebt, und dabey sagt: dieser Grund stehe auch schon in einem responsum von Papinian. Wo der Grund jener Entscheidung steht, muß auch die Regel selbst stehen, es ist also sehr natürlich, vor allem die Stelle aus Papinian’s responsis aufzusuchen, die hier citirt wird. Diese Stelle aber ist keine andere als die L. 32. de poss., die so eben erklärt worden ist. In dem Florentinischen Manuscript zwar ist sie überschrieben: Paulus lib. 15. ad Sabinum (2), allein Alciat führt aus andern Handschriften diese Inscription an: Papinianus lib. 11. Responsorum (3), und, die Wahrheit dieses Zeugnisses

(1) L. 3. C. de poss.

(2) Die Sennetonsche Ausgabe (Lugd. 1550. f.) ließt „Pauli li. 12.“ Eben so hat die Ed. Iuntina von 1594. 4. im Text: Paulus Lib. 12. und führt bloß am Rande die Florentinische Leseart an. Ein Pariser Ms. (num. 4487.) hat als Inscription: Pomp. die übrigen Ms. und Ed., die ich kenne, stimmen mit der Florentinischen Handschrift überein.

(3) Alciatus in L. 1. §. 3. de poss. (opp. T. 1. p. 1208.): „suadetur et auctoritate Papiniani, quem adducit, qui infra expresse loquitur, cum tutor intervenit: dict. L. quamvis (32.) in fin. adscribitur enim aliquibus in codicibus ea lex Papiniano lib. Respons. 11.“ – An einer


(290) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

vorausgesetzt (1), hat diese Leseart offenbar mehr Wahrscheinlichkeit, als die erste. Denn die L. 30. de poss. ist gleichfalls überschrieben: Paulus lib. 15. ad Sabinum, dagegen kommt vorher im ganzen 41ten Buch keine Stelle aus Papinian’s responsis vor. Daher läßt es sich durchaus nicht erklären, wie ein Abschreiber die Inscription des Alciat an die Stelle der Florentinischen gesetzt haben sollte: dagegen ist der umgekehrte Fall sehr leicht zu begreifen, weil es sich sehr oft in den Pandekten findet, daß eine Stelle bloß durch eine andere unterbrochen ist, der Abschreiber also auch hier die L. 30. und L. 32. als eine Stelle ansehen konnte, in welche die kleine L. 31. bloß eingeschoben wäre. (2)

andern Stelle beschreibt Alciat sein altes Manuscript ohne Glosse und mit Inscriptionen (dispunct. lib. 1. prooem).

(1) Nämlich Cujacius erklärt einmal alle solche Angaben des Alciat für erlogen (Comm. in L. 133. de verb. obl., opp. T. 1. p. 1249.). Rechnet man dabey die Uebertreibung ab, so bleibt als Factum bloß das übrig, daß Alciat einige Florentinische Lesearten falsch citirt, und gerade dabey hat Augustin (emend. III. 3, bey Otto IV. p. 1504.) den Irrthum so befriedigend erklärt, daß wir durch nichts berechtigt sind, in irgend einem Fall, wie z. B. in dem unsrigen, eine absichtliche Unwahrheit anzunehmen.

(2) [Zusatz der 4ten Ausg.] Es darf indessen nicht verschwiegen werden, daß Bluhme’s Entdeckung über die Folge der Pandektenfragmente nicht für die hier angenommene Leseart spricht. (Zeitschrift für geschichtl. Rechtswiss. IV. 418.).


(291) §. 21. Des animus possidendi unfäh. Pers.

Aus dieser Verbindung unserer Stelle (L. 3. C. de poss.) mit L. 32. de poss. folgt, daß der Inhalt jener Stelle kein anderer als dieser seyn kann: ein Kind erwirbt den Besitz einer Sache, wenn der Vormund durch seine auctoritas den fehlenden animus des Kindes supplirt. Diese Regel ist hier in einem Rescript auf einen einzelnen Fall angewendet, und dieser Fall muß so gedacht werden: einem Kinde war etwas geschenkt worden, der donator hatte dem Kinde selbst den Besitz übergeben, und der Vormund hatte seine auctoritas interponirt. Nachher entstand ein Zweifel, ob auf diese Art der Besitz erworben worden sey? Dieser Zweifel gründete sich darauf, daß hier die Apprehension und der animus nicht in derselben Person vereinigt waren: der Vormund nämlich hatte den animus possidendi für das Kind, aber das Kind selbst hatte die körperliche Handlung vorgenommen, die zur Apprehension gehört, demnach wurde gezweifelt, ob durch diesen letzten Umstand der Erwerb des Besitzes nicht verhindert worden sey? Diese Frage wurde dem Kaiser vorgelegt, welcher durch das Rescript antwortete, das in unserer Stelle enthalten ist:

„Donatarum rerum a quacunque persona infanti vacua possessio tradita

Durch die körperliche Handlung des Kindes kann allerdings in einem solchen Fall


(292) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

corpore (1) quaeritur. Quamvis enim sint auctorum sententiae dissentientes (2): tamen consultius videtur interim (3), licet animi plenus non fuisset affectus (4), possessionem per traditionem esse

der Besitz der geschenkten Sache erworben werden. Denn obgleich ältere Schriftsteller anderer Meinung sind, ist es doch besser, den Besitz einstweilen durch diese Tradition als erworben anzunehmen, wiewohl das Kind selbst, das die körperliche Handlung vornahm, nicht zugleich den animus haben konnte. Der Grund dieser Entscheidung,

(1) Aus diesem Worte folgt offenbar, daß nicht in dem Kinde selbst, gegen die Regel, animus angenommen werden, sondern bloß die körperliche Handlung desselben eine gültige Apprehension seyn soll. Da nun bey allem Besitz auch animus nöthig ist, so muß hier der animus außer dem Kinde vorhanden seyn, also in der auctoritas des Vormunds liegen.

(2) L. 32. §. 2. de poss. „utilitatis enim causa hoc receptum est.“ – Vorher also wurde natürlicherweise das Gegentheil auch von Schriftstellern behauptet.

(3) Nämlich bis das Kind die Pubertät erreicht hatte, denn alsdann konnte der Besitz auf gewöhnliche Art anfangen.

(4) Dieser affectus minus plenus soll hier nicht durch Fiction als affectus plenus gelten, sondern er ist juristisch betrachtet so gut als gar kein animus, und dieser Umstand soll hier nur nichts hindern.


(293) §. 21. Des animus possidendi unfäh. Pers.

quaesitam: alioquin, sicuti consultissimi viri Papiniani responso continetur (1), nec quidem per tutorem (2) possessio infanti poterit acquiri“ (3).

welchen schon Papinian in einem responsum anführt, liegt darin, daß man außerdem consequenterweise nicht einmal einen Erwerb des Besitzes durch die körperliche Handlung des Vormunds selbst annehmen könnte.

Die bedeutendern Interpretationen dieser Stelle lassen sich unter drey Classen bringen.

Schon die ältesten Glossatoren scheinen die auctoritas des Vormunds hinzugedacht zu haben, worauf hier alles ankommt. Alciat gab dieser Erklärung durch seine Variante neues Gewicht (S. 289.): daß kein Schriftsteller nach ihm dieselbe bemerkt hat, mag mit daher kommen, weil er selbst sie so schlecht benutzt. Aber auch ohne diese Combination hat Donellus

(1) L. 32. §. 2. de poss.

(2) Dieses: per tutorem entgegen gesetzt dem: auctore tutore, geht auf den Erwerb des Besitzes durch körperliche Handlung des Vormunds im Namen des Kindes (L. 1. §. 20. de poss.).

(3) Papinian drückt diesen Schluß von der Gültigkeit des Erwerbs per tutorem auf die Gültigkeit der auctoritas so aus: „nam alioquin nullus consensus infantis est accipienti possessionem, “ (S. 285).


(294) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

diese Erklärung bloß aus dem innern Zusammenhang unserer Stelle so vortrefflich entwickelt, daß aller Streit seitdem als geendigt hätte betrachtet werden sollen (1).

Nach einer zweyten Meinung soll in unserer Stelle etwas ganz neues verordnet seyn: das Kind soll nämlich auch allein, ohne den Vormund, Besitz erwerben können (2). – Einige lassen diesen Satz ganz allgemein, für jede Tradition überhaupt, gelten (3): Andere

(1) Glossa interlin. L. 3. C. de poss. (Ms. Paris. num. 4517.) wahrscheinlich von Irnerius bey dem Wort corpore: „sed auctoritate tutoris“ – bey alioquin: „Y (Irnerius) utrumque enim fit magis favore benignitatis, quam stricta ratione juris, remoto itaque altero consequenter et alterum removetur.“ – Glossa in L. 3. C. de poss.: „vel dic secundum Ioannem quod hic fuit tradita cum auctoritate tutoris. Et quod dicit: alioquin, id est: si diceres non acquiri cum auctoritate tutoris per infantem, eadem ratione nec per ipsum tutorem.“ (cf. Azo in h. L., lectura p. 568. Odofred. in h. L., fol. 104.). – Alciatus in L. 1. §. 3. de poss. (opp. T. 1. p. 1208.). – Cuiacius in L. 1. §. 3. de poss. (opp. T. 5. p. 695., T. 8. p. 241.), und: in L. 3. C. de poss. (opp. T. 9. p. 1014.). – Obrecht de poss. C. 10. §. 365-374. – Donellus in comm. j. civ. Lib. 5. C. 11. (p. 191. ed. Hannov. 1612.). – Giphanius in L. 26. C. de donat. (lectur. Altorph. p. 196.).

(2) Glossa in L. 3. C. de poss. Azo in h. L. (lectura p. 567.). – Duarenus in L. 1. §. 3. de poss. (opp. p. 827.). – Giphanius in L. 3. C. de poss. (Explanat. Cod. P. 2. p. 243.: vergl. die vorige Note). – Cuperus de poss. P. 2. C. 24.

(3) Azo l. c. – Cuperus l. c.


(295) §. 21. Des animus possidendi unfäh. Pers.

beschränken ihn auf Schenkungen, weil bloß davon in der Stelle selbst die Rede sey (1): noch Andere beschränken ihn auf solche Gegenstände, deren Besitz die Kinder vorzüglich interessirt, z. B. Spielsachen (2). – Auch nach dieser Erklärung kann freylich ein Zusammenhang der letzten Worte unserer Stelle mit der Entscheidung derselben gedacht werden (3), aber der Schluß, den nun Papinian und mit ihm der Kaiser machen würde, wäre so unlogisch, daß schon dadurch die erste Meinung ein entschiedenes Uebergewicht erhält (4).

(1) Duarenus l. c. – Giphanius l. c. – Duaren fordert außerdem, daß eine bewegliche Sache Gegenstand der Schenkung sey.

(2) Azo l. c. „Alii distinguunt, aut dedit eis res, quarum voluit infans retinere possessionem, ut denarios, castaneas, et similia ludicra: aut quarum noluit retinere possessionem, ut castrum, vel talia. In primis bene habet affectum, et acquirit possessionem: in aliis non. Et in eis intellexerunt veteres“ d. h. frühere Glossatoren. Demnach ist es ganz falsch, wenn Dinus († um 1298.) als Urheber dieser Meinung genannt wird.

(3) Glossa in L. 3. C. de poss. „id est, si non quaeritur infanti, quia non habet affectum: nec tutor ei quaeret eadem ratione. Utroque ergo modo ei quaeritur favore benignitatis magis, quam stricti juris ratione. Irnerius. – Sunt ergo hic duo, quorum altero remoto, et alterum removetur.“ – Eben so Duaren und Cuperus.

(4) Donellus l. c. (S. 294.).


(296) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

Eine dritte Meinung endlich steht zwischen beiden ersten in der Mitte (1). Nach ihr soll das Kind allein den Besitz erwerben, aber nur einstweilen („interim“) d. h. bis in der Folge durch Auctorität des Vormunds das Fehlende ergänzt wird. Auch nach dieser Erklärung enthielte unsere Stelle etwas ganz neues: theils weil doch einstweilen gegen die Regel der Besitz erworben würde (2), theils weil es ganz ungewöhnlich ist, daß die auctoritas erst in der Folge hinzukommen darf. – Uebrigens ist hier der Zusammenhang der Schlußworte mit der ganzen Stelle eben so schlecht als nach der vorigen Erklärung.

(Zusatz der 6. Ausg.) Neuerlich sind die zwey in diesem §. erklärten Stellen in einer ausführlichen Abhandlung ausgelegt worden von Puchta, Rhein. Museum B. 5. S. 33-64, worin wiederum ältere Meinungen vertheidigt werden, aber mit so viel Methode und Feinheit, wie es früher niemals geschehen war. In der L. 32. erkärt der Verfasser die von ihm als richtig angenommene Leseart: sensus est accipiendi so: „denn außerdem freylich (abgesehen von der utilitas) fehlt dem

(1) Beyma in var. tit. jur. p. 325. 414. – Retes de poss. P. 1. C. 4. (Meerm. VII. p. 469.).

(2) Doch soll nach Retes dieser Besitz einstweilen eine bloße Detention seyn. Dann aber verstände sich die Sache so sehr von selbst, daß es auf keine Weise eines Kaiserlichen Rescripts mit juristischen Gründen bedurft hätte.


(297) §. 22. Besitz an einzelnen Theilen einer Sache.

Kinde der auf den Besitzerwerb gerichtete Sinn.“ Die Stelle des Codex erklärt er von dem ohne Tutor handelnden Kinde, in welchem der an sich unzulängliche animus hier durch den bestimmten Willen des tradens erweckt und ergänzt werde, auf ähnliche Weise wie es sonst durch die auctoritas des Vormundes (gleichfalls gegen die strenge Regel) geschehe. – Durch die treffliche Art der Ausführung hat der Vf. die Akten spruchreifer gemacht, indem nun der Leser jede Erklärung in ihrer besten Gestalt sieht, also mit sichrerer Ueberzeugung wählen kann.

§. 22.

Soll der animus possidendi als möglich gedacht werden, so muß auch der Gegenstand so beschaffen seyn, daß wir uns seiner als einer einzelnen Sache bewußt werden können (S. 280.). Unter welchen Bedingungen ist es also möglich, an einem einzelnen Theil eines Ganzen Besitz zu erwerben?

Dieser Erwerb läßt sich auf zweyerley Art denken: entweder so, daß der einzelne Theil allein, oder daß er in dem Ganzen und durch dasselbe besessen werden soll. Auf den ersten Fall beziehen sich die drey ersten Regeln, auf den zweyten die vierte Regel.

Erstens: Ist der Theil so beschaffen, daß er auch ein eignes Ganze für sich ausmacht, d. h. ist der Begriff


(298) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

des Ganzen selbst, auf welches dieser Theil sich bezieht, willkührlich angenommen, so hat die Möglichkeit, an diesem Theil allein Besitz zu erwerben, keinen Zweifel. Dabey werden also reelle Theile eines Ganzen vorausgesetzt, welche Voraussetzung aber nur bey Grundstücken zum Behuf eines abgesonderten Besitzes möglich ist (1): bey Grundstücken ist es demnach völlig willkührlich, wo die Grenze eines Ganzen angenommen werden soll, folglich kann an jedem Stück Land von bestimmtem Umfang Besitz erworben werden, obgleich der bisherige Besitzer es als Theil eines größern Ganzen behandelt hat. Aber auf bestimmten Umfang des Theils, welcher erworben werden soll, kommt es allerdings an, d. h. es wird nur so weit Besitz an der Sache erworben, als der neue Besitzer sich die Sache als Gegenstand des Besitzes bestimmt vorstellt.

Zweytens: Ist das Ganze bloß ideell, nicht reell getheilt, so ist gleichfalls Besitz eines einzelnen Theils möglich, vorausgesetzt, daß auch hier der Umfang dieses Theils völlig bestimmt sey. Nun ist in diesem Fall die Bestimmung der Theile überhaupt bloß arithmetisch, also ist es das Verhältniß dieses Theils zum Ganzen, was man kennen muß, um den Besitz des Theils erwerben

(1) L. 8. de rei vind. „ ... quae distinctio neque in re mobili, neque in hereditatis petitione locum habet: numquam enim pro diviso possideri potest.“


(299) §. 22. Besitz an einzelnen Theilen einer Sache.

zu können, d. h. das Ganze wird als Einheit behandelt, der Theil als ein Bruch, und man muß den Zähler und Nenner dieses Bruchs kennen, wenn der Besitz erworben werden soll. Wer z. B. den dritten Theil eines Vermögens geerbt hat, hat dadurch an jeder einzelnen Sache, die dem Verstorbenen gehörte, den dritten Theil des Eigenthums erworben. Verkauft und übergiebt er nun einen Acker, der zur Erbschaft gehörte, so erwirbt der Käufer den Besitz eines Drittheils dieses Ackers, denn dieses Drittheil ist das, was er sich als Gegenstand seines neuen Besitzes denkt. – Die erste und zweyte Regel zugleich sind in folgenden Stellen enthalten:

1. L. 26. de poss. (Pomponius lib. 26. ad Q. Mucium).

„Locus certus ex fundo et possideri et per longam possessionem capi potest: et certa pars pro indiviso, quae introducitur vel ex emptione, vel ex donatione, vel qualibet alia ex causa. Incerta autem pars nec tradi, nec (usu) capi potest (1): veluti si ita tibi tradam, Quidquid mei juris in eo fundo est (2): nam qui

(1) d. h. es kann kein Besitz daran erworben werden.

(2) Dieses Beyspiel, so wie die Regel selbst, geht auf beide oben erklärte Fälle zugleich. Besitz also ist auf gleiche Weise


(300) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

ignorat (1), nec tradere, nec accipere id quod incertum est, potest.“

2. L. 32. §. 2. de usurp. (Pomponius lib. 32. ad Sabinum).

„Incertam partem possidere nemo potest. Ideo si plures sint in fundo, qui ignorent, quotam quisque partem possideat: neminem eorum mera subtilitate possidere Labeo scribit.“ (2).

unmöglich, es mag von einem locus incertus ex fundo, oder einer incerta pars pro indiviso die Rede seyn.

(1) sc. quanta pars sit.

(2) Was ist es eigentlich, was hier als bloße Subtilität stillschweigend mißbilligt wird? Die Regel nicht, denn diese stellt Pomponius in dieser und in der vorigen Stelle geradezu als wahr auf, auch folgt sie unmittelbar aus dem Begriff des animus possidendi. Also ist es nur diese Anwendung der Regel, was getadelt wird, und diese Anwendung muß so gedacht werden: zwey Personen, deren jede auf ein vacantes Grundstück Anspruch macht, occupiren dasselbe zu gleicher Zeit. Keiner will vorjetzt dem Andern den Besitz streitig machen, weil beide vor einem Dritten am meisten sich fürchten, sie erkennen sich also stillschweigend als Mitbesitzer an. Nun kann, streng genommen, bloß durch eine juristische Handlung ein ideeller Theil entstehen („introducitur ex emptione“ etc. L. 26. de poss.), folglich ist hier Keiner Besitzer geworden, folglich kann der Dritte mit Gewalt den Besitz occupiren. Aber diese ganze Folgerung beruht auf bloßer Subtilität, und es ist offenbar viel natürlicher, jeden zur Hälfte als Besitzer zu betrachten, obgleich keine ausdrückliche Verabredung hierüber nachgewiesen werden kann. – Noch einfacher und natürlicher ist es aber


(301) §. 22. Besitz an einzelnen Theilen einer Sache.

3. L. 3. § 2. de poss.

„Incertam partem rei nemo possidere potest: veluti si hac mente sit, ut quidquid Titius possidet, tu quoque velis possidere.“

Drittens: Außer diesen beiden Fällen ist es immer unmöglich, den Besitz eines einzelnen Theils für sich zu erwerben. Gewöhnlich wird diese Unmöglichkeit selbst eine physische seyn, also einer positiven Bestimmung nicht bedürfen: so z. B. versteht es sich von selbst, daß Niemand an einem Balken in einer Wand, oder an einem Wagenrad Besitz erwerben kann, so lange die Verbindung dieser Theile mit ihrem Ganzen fortdauert. Aber auch abgesehen von dieser physischen Unmöglichkeit ist dieser Besitz aus juristischen Gründen allgemein unmöglich: so kann z. B. ein Gebäude ohne den Boden, worauf es ruht, nicht besessen werden, und der Grund liegt offenbar darin, daß ein Gebäude, als Theil eines Ganzen, für unzertrennlich von dem Boden angesehen

wohl, folgenden Fall in der Stelle vorauszusetzen. Gajus, der Besitzer eines Grundstückes, stirbt. Sejus und Titius wissen, daß sie die einzigen Erben sind, aber nicht, zu welchem Theile ein Jeder eingesetzt ist, da sie das Testament noch nicht gesehen haben. In dieser Ungewißheit ergreifen sie den Besitz. Der Subtilität nach wäre Keiner von Beiden Besitzer: in der That aber müssen Beide zusammen so viel Recht genießen, als ein Einzelner durch Apprehension des Ganzen haben würde: sie haben also gemeinschaftlich die Interdicte. (Zus. der 6. Ausg.)


(302) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

wird. Dieser Satz selbst nämlich, daß Boden und Gebäude juristisch zusammen hängen, daß sie nur Theile eines und desselben Ganzen sind, also nicht verschiedene, für sich bestehende Sachen, dieser Satz ist in vielen Stellen deutlich ausgesprochen (1). Eine bloße Folge dieses Satzes ist es, daß nicht an dem Boden und Gebäude (und eben so an verschiedenen Stockwerken desselben Hauses) verschiedene Eigenthümer vorkommen können (2). Eben so folgt daraus, daß auch das Pfandrecht nicht an einem Einzelnen dieser Bestandtheile, sondern nur an dem Ganzen, gegeben werden kann (3). Aber mit derselben Nothwendigkeit folgt daraus auch die gleiche Unmöglichkeit für den Besitz: Boden und Haus also, und eben so auch verschiedene Stockwerke, können nicht verschiedene Besitzer haben, gerade so wie an einer Bildsäule nicht einer den Kopf und die Arme, ein anderer das übrige zu gleicher Zeit besitzen kann. Auch fehlt es für diese Anwendung auf den Besitz nicht an unmittelbaren Zeugnissen (4).

(1) L. 49. pr. de rei vind. – L. 20. §. 2. de S. P. U. – L. 98. §. 8. de solut. – L. 21. de pign. act. – L. 23. pr. de usurp. – L. 44. §. 1. de O. et A.

(2) L. 50. ad L. Aquil. – L. 2. de superfic. – L. 98. §. 8. de solut. – L. 17. comm. praed.

(3) L. 21. de pign. act.

(4) L. 44. §. 1. de O. et A. „ ... Sic et in tradendo si quis dixerit, se solum sine superficie tradere, nihil proficit quo minus et superficies transeat, quae natura solo cohaeret.“ (Tradition


(303) §. 22. Besitz an einzelnen Theilen einer Sache.

Viertens: Wer den Besitz eines Ganzen erwirbt, besitzt nur das Ganze, nicht jeden Theil für sich. – Die drey ersten Regeln betrafen den Besitz des Theils, welcher abgesondert von dem Ganzen erworben werden sollte: hier ist die Rede von dem Theil, welcher in dem Ganzen und durch dasselbe, aber dennoch als eine besondere Sache besessen werden soll: dieser Besitz ist es, dessen Möglichkeit geläugnet wird. Uebrigens ist diese Regel zwar vorzüglich bey der Usucapion von Bedeutung, indessen kann sie doch auch bey den Interdicten vorkommen, wenigstens bey der alten Form des int. utrubi, wobey sie ganz auf dieselbe Art, wie bey der Usucapion anzuwenden ist (1).

aber geht zunächst auf den Besitz, und nur mittelbar auf das Eigenthum). – L. 15. §. 12. de damno infecto „ ... si ex superficie, inquit, damnum timeatur, non habebit res exitum: nec profuturum in possessionem ejus rei mitti, quam quis possidere non possit“ ... – L. 25. 26. de usurp. „Sine possessione usucapio contingere non potest. – Nunquam superficies sine solo capi longo tempore potest.“ (Ich betrachte nämlich den zweyten Satz als eine bloße Folgerung aus dem ersten. Vergl. jedoch Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft IV. 415.)

(1) Gegen die Beyspiele, welche Thibaut (Anh. zu Cuperus S. 163. [et]c.) anführt, läßt sich noch manches einwenden. Denn die Pertinenzqualität einer beweglichen Sache, die mit einer unbeweglichen verbunden wäre, könnte auch neben dem Besitz der beweglichen Sache an sich bestehen. Ueberdem kommt es bey dem int. quod vi auf Besitz gar nicht an, bey dem int. de vi


(304) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

Die erste Anwendung, in welcher diese Regel sich findet, ist diese: wer einen Wagen in Besitz nimmt, hat nicht auch den Besitz der Räder als einzelner Sachen für sich erworben, und eben so verhält es sich mit andern zusammengesetzten Sachen (1). Wenn z. B. der Wagen gestohlen ist, so kann er nicht usucapirt werden: befindet sich nun darin ein nicht gestohlenes Rad, so wird dieses dennoch nicht usucapirt, weil nicht das Rad für sich, sondern der Wagen besessen wird. Eben so wird umgekehrt ein gestohlenes Rad mit dem ganzen Wagen zugleich usucapirt werden, wenn nur dieser nicht gestohlen ist. – Wird umgekehrt das Ganze, welches ich besaß, zerlegt, so fängt für die einzelnen Theile (weil ich diese bisher nicht besaß) ein neuer Besitz an, welcher Satz wieder durch die Usucapion am besten erläutert werden kann. Ist nämlich in einem solchen Fall die Usucapion des Ganzen vollendet, so ist auch an jedem Theil Eigenthum erworben, und dieses Eigenthum wird natürlich durch die Trennung der Theile nicht aufgehoben (2): geschieht die Trennung vor geendigter

ist die dejectio aus der beweglichen Sache immer zugleich mit der dejectio vom Boden selbst verbunden, und bey dem int. uti possidetis könnte die Störung in dem Besitz des Theiles, selbst wenn dieser für sich besessen würde, doch immer zugleich als eine Störung im Besitz des Ganzen betrachtet werden.

(1) Das eigenthümliche Recht der Gebäude wird noch besonders bemerkt werden.

(2) Unterholzner Verjährung


(305) §. 22. Besitz an einzelnen Theilen einer Sache.

Usucapion, so muß für den getrennten Theil eine neue Usucapion angefangen werden, aber die justa causa des Ganzen erstreckt sich auch auf diesen Theil (1), und eben so auch die Apprehension des Ganzen, so daß also der Besitz des abgetretenen Theiles durch die bloße Trennung, ohne neue Handlung des Besitzers erworben wird (2). Beide Sätze würden, selbst abgesehen von ihren speciellen historischen Beweisen, schon deswegen als wahr angenommen werden müssen, weil die ganze Beschränkung des Besitzes, die den Inhalt dieses Paragraphen ausmacht, lediglich den fehlenden animus possidendi betrifft, also die Apprehension, oder gar die justa causa possessionis, gar nicht afficirt.

Zweyte Anwendung: Wer ein Grundstück kauft, besitzt dieses Grundstück im Ganzen, und nicht einzelne Stücke desselben für sich (3). Dieser Fall unterscheidet

S. 95. bestreitet diesen Satz, ohne den jedoch practisch die Usucapion gar nicht bestehen kann. Habe ich nämlich eine bewegliche Sache usucapirt, so würde mir jeder durch Zerschlagen oder Zerbrechen dieser Sache das erworbene Eigenthum willkührlich entziehen können: eben so, wenn ich ein Grundstück usucapirt habe, das Eigenthum der Bäume durch bloßes Abhauen derselben.

(1) L. 11. §. 6. de public. in rem act. – Was diese Stelle über zerstörte Gebäude bestimmt, muß von jedem getrennten Ganzen gelten.

(2) Die Anwendung dieser Grundsätze auf die fructuum perceptio s. in dem folg. §.

(3) L. 2. §. 6. pro emtore:


(306) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

sich indessen von den übrigen dadurch, daß der Begriff des Ganzen willkührlich angenommen, folglich auch eine reelle Zerlegung unmöglich ist. Demnach beschränkt sich die Anwendung unserer Regel auf die justa causa, wobey sie auch allein in unsern Rechtsquellen angeführt wird (1).

Dritte Anwendung: Wer ein Grundstück usucapirt, erwirbt nach der falschen Meinung einiger Juristen zugleich mit dem Grundstück auch den Schatz, der darin vergraben ist (2). Aber das Falsche in dieser Meinung liegt nicht darin, daß Usucapion des Theils zugleich mit dem Ganzen behauptet wird, sondern in der Betrachtung des Schatzes als eines Theils des Grundstücks. Demnach ist hier nur die Anwendung unserer Regel unrichtig gemacht.

Vierte Anwendung: Wer ein Haus besitzt, hat nicht auch den Besitz der einzelnen Balken und Mauersteine.

„Cum Stichum emissem, Dama per ignorantiam mihi pro eo traditus est. Priscus ait, usu me eum non capturum: quia id, quod emptum non sit, pro emptore usucapi non potest. Sed si fundus emptus sit, et ampliores fines possessi sint, totum longo tempore capi: quoniam universitas ejus possideatur, non singulae partes.“

(1) Gesetzt also, ich kaufe ein Grundstück, wovon ein Theil dem Käufer gehört, der andere nicht, so kann ich diesen fremden Theil gewiß usucapiren, insofern also besitze ich ihn als eine besondere Sache (Zus. der 6. Ausg.).

(2) L. 3. §. 3. de poss. (s. o. S. 262. 263.).


(307) §. 22. Besitz an einzelnen Theilen einer Sache.

Hätte er diesen, so würde er die Balken und Steine, als bewegliche Sachen, früher erwerben als das Haus: das ist nach unserer Regel unmöglich (1). Eben so ist es eine bloße Folge unserer Regel, und ganz den übrigen Fällen analog, daß, wenn ein Haus vor vollendeter Usucapion abgerissen wird, die Balken und Steine von neuem, als bewegliche Sachen, usucapirt werden müssen (2). – Aber etwas ganz eignes ist es, daß auch

(1) L. 23. pr. de usurp. „Eum, qui aedes mercatus est, non puto aliud, quam ipsas aedes, possidere: nam si singulas res possidere intelligetur, ipsas aedes non possidebit: separatis enim corporibus, ex quibus aedes constant, universitas aedium intellegi non poterit: accidit (accedit) eo, quod si quis singulas res possidere dixerit, necesse erit, (ut) dicat (in) possessione superficiei temporibus de mobilibus statutis locum esse, solum se capturum esse ampliori (tempore): quod absurdum, et minime juri civili conveniens est, ut una res diversis temporibus capiatur: ut puta cum aedes ex duabus rebus constant, ex solo et superficie, et universitas earum possessione temporis immobilium rerum dominium mutet.“ (So lesen: Cod. Rehd., Edd. Rom. 1476., Nor. 1483., Ven. 1485., Ven. 1494., Lugdun. 1509. 1513., Hal., Paris. 1514. 1536. Eben so sieben der besten Handschriften zu Paris, die zu Metz, die Leipziger Handschrift, und meine eigene. – Die Florentinische Leseart ist ganz ohne Sinn: („possessionem temporis immobilium rerum omnium mutet“). – cf. L. 8. quod vi.

(2) L. 23. §. 2. de usurp. „Si autem demolita domus est, ex integro res mobiles possidendae sunt, ut tempore, quod in usucapione rerum mobilium constitutum


(308) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

die vollendete Usucapion des Gebäudes sich nicht auf die Baumaterialien, als Theile jenes Ganzen, erstreckt, diese also nach der Trennung von neuem usucapirt werden müssen, obgleich das Haus selbst längst erworben war. Dieses gilt jedoch nur für den Fall, wenn das Haus und die Baumaterialien verschiedene Eigenthümer haben: haben sie denselben Eigenthümer, so bleibt es auch hier bey der gewöhnlichen Regel, so daß der vorige Eigenthümer nach der Usucapion weder das Hauß noch die abgebrochenen Balken und Steine vindiciren kann (1). Der Grund dieser Ausnahme liegt darin: wird irgend eine andere Sache, als Theil, mit einem Ganzen verbunden, so kann der Eigenthümer durch die actio ad exhibendum die Trennung fordern, dann aber die getrennte Sache wie jede andere vindiciren. Nicht so bey Baumaterialien: hier darf der Eigenthümer keine Trennung verlangen (2), und es war eine natürliche Folge davon, daß man die Usucapion gar nicht zuließ, die der

est, usucapiantur: et non potest recte uti eo tempore, quo in aedificio fuerunt“ rel.

(1) L. 23. §. 7. de rei vind. „Item si quis ex alienis cementis in solo suo aedificaverit, domum quidem vindicare poterit, cementa autem resoluta prior dominus vindicabit, etiamsi post tempus usucapionis dissolutum sit aedificium, postquam a bonae fidei emptore possessum sit: nec enim singula cementa usucapiuntur, si domus per temporis spatium nostra fiat.“ – cf. L. 59. in f. eod., – L. 7. §. 11. de adquir. rer. dom.

(2) §. 29. I. de rer. div., Dig. Lib. 47. Tit. 3. – Daß


(309) §. 22. Besitz an einzelnen Theilen einer Sache.

Eigenthümer nicht das Recht hatte, durch eine Vindication zu unterbrechen.

Auch in der Anwendung dieser Regel unterscheidet sich wieder der Erwerb von dem Verlust des Besitzes. Ist nämlich der Besitz einer Sache einmal angefangen, so wird er dadurch nicht verloren, daß diese Sache mit andern Sachen zu einem neuen Ganzen verbunden wird (1), und es ist nöthig, dieses Satzes hier zu erwähnen, weil man in der Stelle des Römischen Rechts, welche ihn enthält (2), einen Widerspruch gegen unsre

hierin wirklich der Grund jener Ausnahme liegt, erhellt aus: L. 23. §. 6. 7. de rei vind.

(1) Das übrigens versteht sich von selbst, daß durch die Verbindung der Theil selbst nicht etwa ein anderer Körper als vorher geworden seyn müsse (specificatio): denn dadurch hätte die Existenz der vorigen Sache in der That aufgehört, folglich auch ihr Besitz L. 30. §. 4. de poss. „ ... desinimus possidere ... si, quod possidebam, in aliam speciem translatum est.“ – L. 30. §. 1. de usurp. „ ... cum utrumque maneat integrum.“

(2) L. 30. §. 1. de usurp. „Labeo libris epistolarum ait, si is, cui ad tegulorum (tegularum) vel columnarum usucapionem decem dies superessent, in aedificium eas conjecisset, nihilominus eum usucapturum, si aedificium possedisset. Quid ergo in his, quae non quidem implicantur rebus soli, sed mobilia permanent, ut in annulo gemma? In quo verum est, et aurum et gemmam“ (d. h. jedes als eine Sache für sich) „possideri, et usucapi, cum utrumque maneat integrum.“ (Aus dem Worte: maneat folgt nothwendig, daß die Sachen erst einzeln besessen, und dann zu einem Ganzen verbunden wurden.)


(310) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

Regel zu finden geglaubt hat (1). Aber hier, wie bey dem Erwerb, muß eine Ausnahme gemacht werden,

(1) Westphal (Arten der Sachen [et]c. §. 46. 548.) hat, soviel ich weiß, zuerst auf diesen Unterschied des Erwerbs von dem Verlust des Besitzes aufmerksam gemacht. Ihm folgt: Winkler diss. de interrupt. usuc. ac praescr., Lips. 1793. p. 37. (Dagegen erklärt sich Unterholzner Verjährungslehre §. 50.). – Cuperus (p. 29.) behauptet einen unauflöslichen Widerspruch der Römischen Juristen. Eben so: Fleck de adqu. poss. p. 31. etc. – Das besondere Recht der Baumaterialien hat Man (ad L. 3. §. 3. de poss., §. 15., p. 339.) richtig angegeben, aber er verwechselt diese Ausnahme mit der allgemeinen Regel, die hier auseinander gesetzt worden ist. – Unterholzner Verjährung S. 97. läugnet allgemein die Fortdauer des Besitzes im Fall der Verbindung einzeln besessener Sachen zu einem neuen Ganzen. Die angeführte L. 30. §. 1. de usurp. sucht er dadurch zu entfernen, daß er in der ersten Hälfte anstatt nihilominus emendirt nihilomagis (ganz willkührlich, und ganz gegen das folgende: si aedificium possedisset, was ja doch offenbar eine beschränkende Bedingung des Satzes seyn soll). (Er hat späterhin diese Meinung aufgegeben, und nimmt nun die decem dies buchstäblich und als eine unerklärlich Singularität. Verjährungslehre §. 49.). Für die zweyte Hälfte S. 94. behauptet er, das Einsetzen des Edelsteins in den Ring werde gar nicht als Verbindung betrachtet, sondern etwa wie das Einschließen in ein Futteral; (Späterhin von ihm aufgegeben. Verjährungslehre §. 50.); dieser Behauptung aber widersprechen geradezu L. 6. ad exhib. – L. 23. §. 2. 5. de rei vind. – Wäre unsre L. 30. §. 1. de usurp. allein vorhanden, so bliebe kein Zweifel übrig, aber große Schwierigkeit macht allerdings L. 7. §. 1. ad exhib. (s. o. S. 83.). Diese Stelle nämlich kann den Sinn haben, daß eben durch die Verbindung des Rades mit dem Wagen der Usucapionsbesitz des Rades, oder


(311) §. 22. Besitz an einzelnen Theilen einer Sache.

wenn von Baumaterialien die Rede ist: zwar wird auch ein Fall dieser Art angeführt, in welchem die angefangene Usucapion nicht unterbrochen seyn soll, aber der Jurist setzt ausdrücklich hinzu, daß zur vollendeten Usucapion nur noch eine Zeit von zehn Tagen gefehlt habe, also eine so kurze Zeit, daß eine usurpatio durch Vindication kaum noch möglich gewesen wäre. (1)

auch aller Besitz des Rades überhaupt (S. 83.), aufhören soll. Dann müssen wir annehmen, daß über diesen Satz die Römischen Juristen verschiedener Meinung waren (denn der Vereinigungsversuch in den zwey ersten Ausgaben dieses Werks S. 213. 254. ist unhaltbar). Es kann aber auch angenommen seyn, daß das Rad gestohlen und deswegen nicht in der civilis possessio war. Endlich kann auch das quamvis so heißen: „selbst wenn auch (aus irgend einem nicht ausgedrückten Grunde) die civilis possessio fehlen sollte“, so wie in einer andern Stelle Thibaut das licet erklärt (S. o. S. 71.). Bey dieser Vieldeutigkeit der Stelle scheint es, daß die ganz unzweydeutige L. 30. §. 1. de usurp. den Vorzug verdienen müsse. – Weniger Schwierigkeit macht L. 1. §. 2. de tigno juncto, denn wenn gleich der Besitzer des Hauses die wahre possessio der Balken hätte, so könnte er doch nicht gezwungen werden, diese Balken zu restituiren, also wäre er für den Erfolg der Vindication (wovon hier allein die Rede ist) doch nicht als possessor zu betrachten.

(1) Die decem dies also bedeuten nur überhaupt eine kurze Zeit: ganz eben so die decem dies in L. 50. de minor. und die paucissimi dies in L. 16. de fundo dotali. – (Ich habe hier die Darstellung der dritten Ausgabe unverändert gelassen. Seitdem hat mir zur ersten Hälfte der L. 30. §. 1. de usurp. Herr Prof. Falck folgende Erklärung mitgetheilt, welcher ich nunmehr beystimme. Die tegulae


(312) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

§. 22 a.

Nur aus den Regeln des vorigen §. ist die sogenannte fructuum perceptio des bonae fidei possessor, zu erklären, welche wegen ihres mannigfaltigen Zusammenhangs mit dem Besitz hier eine Erwähnung verdient, aber nicht anders deutlich gemacht werden kann, als durch den Gegensatz der übrigen Fälle, in welchen Früchte erworben werden (1).

et columnae stehen hier nicht als eigentliche Baumaterialien, sondern als Stücke, die dem Gebäude bloß äußerlich angefügt sind [versteht sich, insofern die Säulen nicht das Gebäude tragen, sondern nur zur Verzierung aufgestellt sind]: eine so lose Verbindung soll die angefangene Usucapion nicht stören, und die decem dies bezeichnen daher nicht etwa eine sehr kurze Zeit, sondern überhaupt den Rest der Usucapionszeit, wobey die bestimmte Zahl etwa aus einem wirklichen Rechtsfall hergenommen seyn könnte. Für diese Erklärung spricht L. 23. §. 1. de usurp., nach welcher auch columnae [nämlich in dem oben genauer bestimmten Fall] vindicirt werden können und zu einem Evictionsregreß Anlaß geben (anders tabulae L. 36. de evict.). Freylich sagt L. 1. §. 1. de tigno juncto für die tegulae das Gegentheil, aber nur mit quidam ajunt und bey solchen einzelnen Anwendungen konnte leicht Streit seyn. – Die im Text aufgestellten Regeln bleiben bey dieser neuen Erklärung unverändert). – (Gegen diese in der vierten Ausgabe aufgenommene neue Erklärung hat sich erklärt Thibaut im Archiv für die civilistische Praxis B. 7. S. 79-86. Durch die näheren Bestimmungen, die ich jetzt in jener Erklärung gegeben habe, möchten wohl seine Einwürfe beseitigt seyn).

(1) Da dieser Gegenstand nur indirectes Interesse für uns hat, so versteht es sich von selbst, daß er hier nicht in allen seinen Details verfolgt werden darf. –


(313) §. 22 a. Besitz an einzelnen Theilen einer Sache.

I) Der wahre Eigenthümer erwirbt das Eigenthum der Frucht, in dem Moment ihrer Entstehung, durch Accession, welche nichts anders ist, als eine Anwendung der Regel: fructus rei frugiferae pars est auf das Eigenthum. Erst durch die Absonderung der Frucht von der Hauptsache wird er Eigenthümer der Frucht als einer besonderen, für sich bestehenden Sache, aber dieser Umstand ist für das Eigenthum völlig unbedeutend, und wird deshalb in unsren Rechtsquellen mit Recht ignorirt. Ueberhaupt hat es mit dieser Absonderung der Frucht genau dieselbe Bewandniß, wie mit der reellen Theilung jedes andern Ganzen (z. B. der Zerlegung eines Thieres, oder dem Abbrechen eines Hauses), welche auch für das Eigenthum völlig gleichgültig ist. Demnach muß auch das Eigenthum an der Frucht quiritarisch oder bonitarisch seyn, je nachdem das Eigenthum an der Hauptsache quiritarisch oder bonitarisch ist, so daß es in jenem Fall einer Usucapion der abgesonderten Frucht niemals bedurfte, wohl aber in diesem.

II) Der Pachter, Fructuar und überhaupt jeder, der sein Recht auf die Früchte von dem des Eigenthümers ableitet, erwirbt sie durch perceptio, d. h. durch Apprehension des Besitzes (1). In dem Pacht (et)c. nämlich

Aus demselben Grunde werden hier die zahlreichen neueren Schriften über diesen Gegenstand nicht erwähnt (Zus. der 6. Ausg.).

(1) L. 13. quibus modis usufr. – L. 25. §. 1. de usuris.


(314) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

liegt in Beziehung auf die Früchte, theils die justa causa dominii quaerendi, theils die Erlaubniß, selbst Besitz zu ergreifen, folglich ist nun die Apprehension eine wahre traditio, durch welche das Eigenthum der Frucht von dem Eigenthümer der Hauptsache (s. num. I.) auf den Pachter (et)c. übergeht. War nun der Verpachter (et)c. quiritarischer Eigenthümer der Hauptsache, mithin auch der Frucht, so erwarb der Pachter (et)c. durch die Perception bald quiritarisches, bald aber nur bonitarisches Eigenthum: quiritarisches nämlich, wenn die Frucht eine res nec mancipi war (wie alle Feldfrüchte), bonitarisches aber, wenn sie eine res mancipi war (z. B. ein Pferd) (1).

III) Für den bonae fidei possessor gilt natürlich ganz dieselbe Accession, wie für den wahren Eigenthümer (num. I.), weil die Regel, welche den Grund jener Accession enthält, ganz allgemein ist. Wer also an einem Grundstück die bonae fidei possessio hat, erwirbt auf dieselbe Art die Früchte in dem Augenblick ihrer Entstehung. Von diesem Erwerb aber ist dabey nie die Rede: denn solange die Frucht mit der Hauptsache verbunden ist, kann bey dem b. f. possessor, wie bey dem wahren Eigenthümer, nach dem Recht auf die

(1) Dieses folgt daraus, daß eine res nec mancipi schon durch bloße Tradition quiritarisch veräußert werden konnte, eine res mancipi aber nicht. Ulpian. Tit. 19. §. 3. 7.


(315) §. 22 a. Besitz an einzelnen Theilen einer Sache.

Frucht niemals die Frage seyn, weil die Frucht selbst in der Hauptsache mit begriffen ist: durch die Absonderung aber entsteht ein ganz neues Recht, und das vorige hört auf. Dieses neue Recht ist so zu erklären: die Grundlage der b. f. possessio ist juristischer Besitz. Wenn aber ein Ganzes in seine Theile zerlegt wird, so fängt für diese Theile ein neuer Besitz an, weil sie (als besondere Körper für sich) bisher gar nicht im Besitz waren. Also muß für diese Theile (d. h. in unserm Fall für die Früchte) auch eine neue b. f. possessio anfangen. Aber nach den Regeln des Besitzes wird bey der Zerlegung des Ganzen sowohl die Apprehension als die justa usucapionis causa von dem Ganzen auf den Theil übertragen: also entsteht auch in unserm Fall die neue b. f. possessio an der Frucht durch die bloße Absonderung derselben, und es ist weder eine neue Apprehension (eigentliche fructuum perceptio), noch eine neue justa causa hierzu nöthig (1). Demnach unterscheidet

(1) L. 48. pr. de A. R. D. – L. 25. §. 1. de usuris. – L. 13. quibus modis ususfr. Diesen Satz als etwas ganz singuläres, als eine Belohnung der bona fides, zu betrachten, ohne weitern Zusammenhang mit dem Rechtssystem, ist ganz gegen den Geist des classischen Römischen Rechts. Hier ist er aus Gründen erklärt worden, welche oben bereits für sich selbst gerechtfertigt worden sind. Auf der andern Seite ist aber freylich nicht zu läugnen, daß in der That dem b. f. possessor an den Früchten etwas ganz besonderes zugewendet werden sollte, pro


(316) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

sich der b. f. possessor von dem Fructuar und dem Pachter dadurch, daß jener schon durch die bloße Separation, auch wenn sie durch Zufall oder durch fremde Handlung erfolgt, sein neues Recht erwirbt, diese aber erst durch die eigene Perception (S. 313.). Auf der andern Seite ist der Unterschied des wahren Eigenthümers von dem b. f. possessor so zu bestimmen: jener hat vor und nach der Absonderung der Frucht das wahre Eigenthum derselben, und in beiden Perioden

cultura et cura (§. 35. I. de div. rer.). Allein dieses besondere geht gar nicht auf den Erwerb des Eigenthums an den Früchten, sondern auf die obligatorischen Verhältnisse. Nämlich wenn der Besitzer die Früchte verkauft oder verzehrt, und sich dadurch bereichert hatte, so hätte er eigentlich diesen Gewinn herausgeben müssen: dazu konnte er gezwungen werden nicht nur durch die Vindication der Hauptsache, sondern auch durch eine besondere Condiction auf den Werth der verzehrten Früchte. Davon nun wurde er freygesprochen, diesen Gewinn sollte er behalten dürfen, und das ist es, was man mit den Ausdrücken: ejus fiunt fructus, fructus consumtos suos facit bezeichnet, welche Ausdrücke man fälschlich auf Erwerb des Eigenthums gedeutet hat. Daß sie mit dem Eigenthum hier nichts zu schaffen haben, erhellt am deutlichsten daraus, daß sie gerade von consumirten Früchten gebraucht werden, da doch durch Consumtion alles Eigenthum vielmehr untergehen muß: ferner daraus, daß jenes besondere Recht gewiß auch bey den s. g. fructus civiles (z. B. Miethgeld) gilt, obgleich dabey von dieser Art Eigenthum zu erwerben gar nicht die Rede seyn kann. Die ganze Ansicht läßt sich übrigens so strenge beweisen, wie irgend etwas im Römischen Recht, wozu aber eine eigene, ausführliche Abhandlung gehört.


(317) §. 22 a. Besitz an einzelnen Theilen einer Sache.

dasselbe Eigenthum: dieser hat vor und nach der Absonderung die b. f. possessio der Frucht, aber von dem Moment der Absonderung an eine neue, obgleich nicht aus einem neuen Grunde, indem der Grund des vorigen auf diese neue übertragen wird. Diese Eigenheit der b. f. possessio, welche auf den ersten Blick als eine leere Subtilität erscheint, hat die wichtigsten practischen Folgen:

A.) Wegen der Verbindung der b. f. possessio mit der Usucapion. Durch die Absonderung nämlich fängt mit der neuen b. f. possessio auch eine neue Usucapion an, und zwar immer eine dreyjährige, weil jede Frucht beweglich ist. Vor der Absonderung war die Frucht mit in der Usucapion der Hauptsache enthalten, also bey einem Grundstück in einer 10-20jährigen Usucapion (1).

B.) Wegen der speciellen Ausnahmen der b. f. possessio und der Usucapion, besonders bey res furtiva und vi possessa. Solange die Frucht als Theil in der Hauptsache existirt, erstrecken sich jene Ausnahmen nothwendig auch auf sie: aber die neue

(1) In dieser Rücksicht übrigens kam auch das bonitarische Eigenthum des alten Rechts (num. I.) mit der b. f. possessio völlig überein. Wer also einen Acker in bonis hatte, brauchte zur Usucapion zwey Jahre: wenn er aber Holz fällte, so usucapirte er nun dieses besonders in Einem Jahr.


(318) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

b. f. possessio, welche durch die Absonderung entsteht, ist davon unabhängig. So bey der res furtiva: existirte die Frucht schon bey dem Diebe, so war sie freylich für immer res furtiva, aber nicht, weil die Hauptsache es war, sondern weil sie selbst noch mit in dem furtum begriffen gewesen war. Wenn sie dagegen erst bey dem b. fid. possessor erzeugt wurde, so fiel dieser Grund weg, und in diesem Fall ist es unbezweifelt, daß für die Frucht die Usucapion statt fand (1). – So auch (und noch deutlicher) bey der res vi possessa. Denn hier kann sich in keinem Fall das Verbot der Usucapion auf die (abgesonderte) Frucht erstrecken, weil dieses Verbot auf unbewegliche Sachen eingeschränkt, alle Frucht aber beweglich ist. – Diese Anwendung unserer Regel ist also weit entfernt, die Regel selbst zu widerlegen (2): dagegen führt sie auf eine genauere Bestimmung derselben, als bisher gegeben werden konnte. Der Erwerb der Früchte nämlich

(1) L. 48. §. 5. de furtis. – L. 33. pr. de usurp. etc. – Die Streitigkeiten der Römischen Juristen über den partus ancillae beruhen auf ganz speciellen Gründen.

(2) Dazu gebraucht sie Zachariä (de poss. p. 30.). Ein zweyter Einwurf desselben Schriftstellers hat offenbar noch viel weniger auf sich: die fructuum perceptio nämlich sey eine adquisitio naturalis, die b. f. possessio aber sey ein positives Institut, sogar später als die Usucapion eingeführt.


(319) §. 22 a. Besitz an einzelnen Theilen einer Sache.

durch Absonderung, welcher hier erklärt worden ist, gilt nicht bloß (wie ich vorläufig angenommen hatte) für den, welcher den Usucapionsbesitz der Hauptsache wirklich hat, sondern für jeden, der nur die positiven Bedingungen desselben (possessio, bona fides (1), justa causa) in sich vereiniget, die Hauptsache mag nun der Usucapion entzogen seyn oder nicht (2).

IV.) Der Pachter eines ager vectigalis, und eben so der Emphyteuta, erwirbt im allgemeinen, als Pachter, das wahre Eigenthum der Früchte durch Tradition (N. II.), aber diese Tradition liegt hier nicht, wie bey jedem andern Pachter, in einer neuen Apprehension, sondern, da er den juristischen Besitz der Hauptsache hat, in der bloßen Absonderung, so wie bey dem b. f. possessor. Zugleich gab ihm diese Tradition immer Römisches Eigenthum, weil alle Feldfrüchte res nec mancipi waren. Folglich ist sein Recht auf die Früchte sogar noch vortheilhafter,

(1) In welchem Zeitpunct ist bona fides nöthig? Bey der Apprehension der Hauptsache, oder bey dem Erwerb der Früchte? Die Römischen Juristen sind nicht einig über die Frage; s. L. 48. §. 1. de A. R. D. – L. 23. §. 1. eod. – L. 11. §. 3. 4. de publiciana. – L. 25. §. 2. de usuris. Auf unsere Untersuchung hat die Frage keinen Einfluß.

(2) L. 48. pr. de A. R. D., und eben so §. 1. derselben Stelle, „ ... is qui non potest capere propter rei vitium, fructus suos facit.“


(320) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

als das des b. f. possessor. Aber der Zeitpunct, in welchem der Erwerb vor sich geht, ist für beide derselbe (1), und hat für beide denselben Grund, nämlich die oben (§. 22.) entwickelten Regeln des Besitzes. Da ferner eine andere Erklärung jenes Zeitpuncts, als aus diesen Regeln, unmöglich ist, so liegt auch umgekehrt in diesem Umstand ein directer Beweis für den juristischen Besitz des ager vectigalis.

Genau in demselben Fall aber ist der Pfandgläubiger eines Grundstücks, welchem durch antichretischen Vertrag die Früchte desselben überlassen sind. Auch er nämlich leitet sein Recht auf diese Früchte zwar aus einem Vertrag mit dem Eigenthümer ab, so wie ein Pachter, aber zugleich hat er die possessio des Bodens, gleich dem Emphyteuta (§. 24.), und es muß also auch ihm das Eigenthum der Früchte schon von der Separation an zugeschrieben werden, obgleich unmittelbare Beweise für diese Behauptung nicht vorhanden sind.

§. 23.

Bey dem animus possidendi ist zuletzt noch die Beschaffenheit des abgeleiteten Besitzes zu untersuchen (S. 281. f. vgl. S. 125-128.).

Das Eigenthümliche dieses Besitzes liegt darin, daß ein früherer Besitzer sein jus possessionis ohne Eigenthum

(1) L. 25. §. 1. de usuris.


(321) §. 23. Abgeleiteter Besitz.

überträgt: demnach ist die Apprehension gar nicht von jeder andern unterschieden, auch ein bestimmtes Wollen muß mit derselben verbunden seyn, aber dieses Wollen muß bloß darauf gerichtet seyn, das jus possessionis zu erwerben. Die Sache als eine eigne Sache behandeln zu wollen (animus domini), ist also hier nicht einmal möglich, weil das Eigenthum eines Andern ausdrücklich anerkannt wird.

Hier kommt es darauf an, die Fälle des abgeleiteten Besitzes vollständig anzugeben: d. h. es sind alle juristische Geschäfte überhaupt zu untersuchen, in welchen Detention ohne Eigenthum übertragen wird, und es ist bey jedem derselben zu bestimmen, ob das jus possessionis zugleich mit der Detention übertragen werde oder nicht. Demnach sind diese juristischen Geschäfte überhaupt in drey Classen abzutheilen: einige begründen einen abgeleiteten Besitz nie (§. 23.), andere immer (§. 24.), noch andere nur zuweilen (§. 25.). Für alle überhaupt ist es nöthig, an eine Bemerkung sich zu erinnern, die schon oben gemacht worden ist (S. 279. f.): aller abgeleitete Besitz ist Ausnahme von der Regel, demnach ist es Regel, daß durch die juristischen Geschäfte dieser Art kein juristischer Besitz entstehe, und es muß für jeden Fall, in welchem dennoch Besitz übertragen seyn soll, die Existenz desselben besonders bewiesen und erklärt werden.


(322) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

Erste Classe: Fälle, in welchen mit der Detention nie zugleich der juristische Besitz übertragen wird. – Alle diese Fälle kommen darin überein, daß der bisherige Besitzer durch diese Uebertragung sein jus possessionis durchaus nicht verliert, der Andere also diesen Besitz nicht erwirbt, sondern bloß als Stellvertreter einen fremden Besitz ausübt.

Der erste dieser Fälle, welcher am wenigsten einem Zweifel unterworfen seyn kann, ist dieser: die Detention wird eben zu dem Zweck übertragen, daß der Andere unsern Besitz verwalte, und zwar entweder diesen Besitz allein, oder auch unser gesammtes Vermögen (procurator im engern Sinn) (1).

Zweytens gehört hierher das commodatum. Wer seine Sache einem Andern unter dieser Form zum Gebrauch überläßt, verliert folglich den Besitz eben so wenig, als der Commodatar ihn erwirbt (2).

Ganz eben so verhält es sich Drittens mit dem Pachtcontract, da auch in der Natur dieses Vertrags kein Grund liegt, den Besitz als veräußert anzunehmen (3). Was nämlich die Usucapion betrifft, so kann

(1) „Quod servus, vel procurator, vel colonus tenent, dominus creditur possidere.“ L. 1. §. 22. de vi. – cf. L. 9. de poss.

(2) „Rei commodatae et possessionem et proprietatem retinemus.“ L. 8. commodati. – cf. L. 3. §. 20. de poss.

(3) „ ... et colonus et inquilinus sunt in praedio:


(323) §. 23. Abgeleiteter Besitz.

dieser Vertrag durchaus keinen Einfluß darauf haben: aber auch wegen der Interdicte ist es gar nicht nöthig, dem Pachter den Besitz zuzusprechen. Denn gegen die Gewaltthätigkeit des Eigenthümers schützt den Pachter schon der bloße Vertrag, und stört ein Dritter den Besitz, so sind die Interdicte des Eigenthümers hinreichend, da auch in diesem Fall der Pachter aus dem Vertrag fordern kann, daß der Eigenthümer ihn schadlos halte, oder ihm die Interdicte cedire (1). – Von dieser Regel, daß der Pachter nur im Namen des Verpachters besitze, werden ohne Grund folgende Ausnahmen behauptet: A) wenn der Pachter zugleich Eigenthümer der Sache ist, die bisher in fremdem Besitz war, so hört der bisherige Besitz in der That auf (2). Allein der Grund davon liegt bloß darin, daß in diesem Fall gar kein Pachtcontract anerkannt wird, folglich ist darin keine

et tamen non possident.“ L. 6. §. 2. de precario. – „Et per colonos, et inquilinos, aut servos nostros possidemus.“ – L. 25. §. 1. de poss. – – Einige haben sich durch zwey Stellen irre machen lassen, in welchen dem Pachter die Interdicte zugesprochen werden (L. 12. 18. de vi.). Allein da wird vorausgesetzt, daß der Pachter den Eigenthümer mit Gewalt aus dem Besitz gesetzt habe: von dieser dejectio also, und nicht von dem Pacht fing der Besitz des Pachters an.

(1) Vgl. oben §. 9. Zus. der 6. Ausg.

(2) vergl. über diesen Satz sowohl, als über seine Ausnahme bey der locatio possessionis, oben §. 5. S. 29. Eine Anwendung dieser Ausnahme s. u. §. 24.


(324) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

Ausnahme, sondern eine reine Anwendung unsrer Regel enthalten. – B) Wenn der Uebergang des Besitzes ausdrücklich ausgemacht wird. Eine solche Verabredung aber widerspricht der Natur des Pachts so sehr, daß der Pacht als aufgehoben gilt, wenn durch ein anderes Geschäft der Besitz übertragen wird (1). Mehrere haben diesen Satz geläugnet, indem sie die possessionis locatio, die oben (§. 5.) erklärt worden ist, mißverstanden haben: diese bezeichnet nicht einen Pacht, wodurch der Besitz erworben werden soll; sondern wobey der bloße Besitz in dem Verpachter vorausgesetzt wird. Nur dadurch unterscheidet sich dieser Fall von den gewöhnlichen, in welchen der Verpachter Besitz und Eigenthum zugleich hat: das hat er mit allen übrigen Fällen gemein, daß der Pachter nur den Besitz verwaltet, den der Verpachter wirklich hat (2).

Ein vierter Fall, worin Detention ohne Besitz übertragen wird, bezieht sich auf eine Form des Römischen Prozesses, die missio in possessionem. Diese Erlaubniß des Prätors, Besitz zu ergreifen, wurde zu zwey

(1) L. 10. de poss. (s. u. §. 25.). – Bey vielen ist dieses bloß eine Folge des noch weit bedenklicheren allgemeinen Satzes, nach welchem das Besitzrecht überall nach bloßer Willkühr an denjenigen soll abgetreten werden können, welcher nach der allgemeinen Regel als bloßer Verwalter eines fremden Besitzes zu betrachten seyn würde. Vgl. oben §. 9. (Zus. der 6. Ausg.)

(2) L. 37. de pign. act. (s. u. §. 24.).


(325) §. 23. Abgeleiteter Besitz.

verschiedenen Zwecken gebraucht; A) um Eigenthum zu übertragen, (bonitarisches nämlich, mit conditio usucapiendi) (1). Dadurch konnte freylich auch Besitz erworben werden, aber dieser Besitz war kein abgeleiteter, sondern ein ursprünglicher Besitz, weil der Besitzer pro suo besaß, d. h. um die Sache als seine eigne zu behandeln. – B) Um vor einer Veräußerung sicher zu stellen, Früchte genießen zu lassen u. s. w. Diese Fälle sind es, in welchen bloße Detention ohne Besitz, erworben wird. Der Grund liegt darin: Usucapion soll der missus in possessionem nicht haben, denn dadurch eben unterscheidet sich diese missio von der ersten Art: der Interdicte wegen ist es auch nicht nöthig, ihm Besitz zuzuschreiben, weil er ohnehin ein eignes Interdict hat, das von den possessorischen verschieden, und selbst vortheilhafter als diese ist (2). Demnach ist es leicht zu erklären, daß bey jeder missio dieser Art der missus durchaus keinen Besitz erhält, sondern nur im Namen des vorigen Besitzers die Detention der Sache hat (3).

(1) Dahin gehört die missio ex secundo decreto damni infecti causa (L. 7. pr. de damno infecto): auch wird ausdrücklich bemerkt, daß durch diese juristischer Besitz entstehe, was bey dem primum decretum nie der Fall war (L. 3. §. 23. de poss. add. L. 15. §. 16. 17. L. 18. §. 15. de damno infecto.). – Auf gleiche Weise und mit derselben Wirkung auf das Recht einzelner Sachen wurde alle B. P. gegeben, obgleich das Wort missio bey der B. P. edictalis vielleicht nie vorkommt.

(2) Digest. lib. 43. tit. 4.

(3) L. 3. §. 23. et L. 10. §. 1.


(326) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

Der fünfte und letzte Fall dieser Classe betrifft die Detention, die sich auf ein jus in re gründet. Wer also die Sache einem Andern um deswillen übergiebt, weil dieser den ususfructus, oder usus u. s. w. an derselben hat, verliert dadurch den Besitz nicht, und der Fructuar übt auf dieselbe Art wie ein bloßer Pachter, diesen Besitz des Eigenthums aus. – Der Grund ist leicht anzugeben. Wegen der Usucapion ist keine Veränderung des Besitzes nöthig, indem durch das jus in re keine Veränderung im Eigenthum entstehen soll. Wegen

de poss. L. 3. §. 8. uti poss. – Thibaut (über Besitz S. 13.) behauptet eine Ausnahme im Fall der fraudulenta absentia (L. 7. §. 1. quibus ex causis in poss.): aber das „bona possidere“ in dieser Stelle geht eben so wenig auf juristischen Besitz als jede andere missio der Creditoren (L. 3. §. 8. uti poss.), und selbst der Ausdruck: „bona possidere“ wird von andern Fällen dieser Art gebraucht, worin gewiß kein juristischer Besitz existirt (L. 12. quib. ex c. in poss.). – Der Regel selbst scheint zu widersprechen L. 30. §. 2. de poss. „Item cum Praetor idcirco in possessionem rei (ire) jussit, quod damni infecti non promittebatur: possessionem invitum dominum amittere Labeo ait.“ Daß aber hier nicht den vorigen Stellen widersprochen werden soll, erhellt schon daraus, daß diese Stelle, und die L. 3. §. 23. de poss. denselben Verfasser (Paulus) haben, demnach ist hier die Meinung des Labeo auf keine andere Art angeführt, als in: L. 3. cit. die des Q. Mucius, und das: ineptissimum est, das der letzten ausdrücklich hinzugefügt ist, muß bey der ersten supplirt werden. Als Meinung des Paulus kann sie nur für das secundum decretum gelten.


(327) §. 23. Abgeleiteter Besitz.

der Interdicte aber eben so wenig: denn gegen den Eingriff eines Dritten wird das jus in re durch eigne Interdicte geschützt (§. 12.), und dieser Schutz verliert dadurch nichts, daß auch der Eigenthümer wegen seines Besitzes ein Interdict gegen den Verletzer hat: aber auch die mögliche Collision des Eigenthümers selbst mit dem Fructuar (et)c. macht es nicht nöthig, dem Eigenthümer den Besitz abzusprechen. Beide haben Interdicte: aber diese Interdicte verhalten sich wie die rei vindicatio zu der confessoria actio, d. h. wie die Regel zur Ausnahme, folglich kann auch durch dieses Verhältniß keine Collision entstehen, die nicht sehr leicht zu entscheiden wäre (§. 9. Zus. der 6. Ausg.). – Alle diese Sätze sind jetzt zu beweisen.

Für den ususfructus ist es am leichtesten zu beweisen, daß der Fructuar durchaus keinen Besitz hat:

L. 6. §. 2. de precario (1).

„ ... et fructuarius, inquit, et colonus et inquilinus sunt in praedio: et tamen non possident.“

(1) Vergl. L. 1. §. 8. de poss. – L. 10. §. 5. de adqu. rer. dom. (§. 4. I. per quas pers.) – L. 5. §. 1. ad exhibendum. – Dagegen sagt Cicero (pro Caecina C. 32. p. m. 308.): „Caesenniam possedisse propter usumfructum, non negas.“ Daß damals ein anderes Recht gegolten, oder daß Cicero aus Unwissenheit oder zum Vortheil seiner Partey einen falschen Satz für wahr ausgegeben habe, ist nicht nöthig


(328) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

L. 12. pr. de poss.

„Naturaliter videtur possidere (1) is qui usumfructum (2) habet.“

Eben so wird in einer andern Stelle das Verhältniß des ususfructus zum Eigenthum ausdrücklich so angegeben, daß die Ausübung des Eigenthums (d. h. der Besitz), und die Ausübung des ususfructus ganz unabhängig von einander gedacht werden sollen, ohne daß die eine durch die andere gehindert werde:

L. 52. pr. de poss.

„Permisceri causas possessionis, et ususfructus non oportet: quemadmodum nec possessio, et proprietas misceri debent: neque (3) impediri possessionem, si alius

anzunehmen. Denn daß der Fructuar irgend eine possessio wirklich hat, nämlich die juris quasi possessio, mit dem Recht der Interdicte, ist nicht zu läugnen: auch kam es in jener Rechtssache bloß auf das Daseyn der Interdicte an. Nur eine eigentliche possessio, d. h. eine possessio ipsius rei, soll der Fructuar nicht haben, auch behauptet diese Cicero nicht. Die Folgen freylich, die er aus jenem Satze ableitet, kommen bloß auf Rechnung des Advocaten.

(1) i. e. jus possessionis habere non videtur. Völlig bestimmt wird der Sinn dieser Stelle erst durch die Verbindung mit den übrigen Stellen: weil der Ausdruck: naturalis possessio zweydeutig ist (S. 95-99.). – Glossa interlin. ad v. Naturaliter (ms. Paris. 4458. a.) „id est corporaliter tantum. M.“ (d. h. Martinus).

(2) Rom. 1476: „usum.“

(3) Neque lesen sieben Pariser, Ein Metzer Ms., das Leipziger, und das meinige, ferner


(329) §. 23. Abgeleiteter Besitz.

fruatur: neque alterius fructum amputari (1), si alter possideat.“

Dieses sehr einfache Verhältniß des Besitzes zu dem ususfructus ist von jeher nur von Wenigen anerkannt worden (2). Die Meisten geben dem Fructuar neben der juris quasi possessio auch an der Sache selbst juristischen Besitz (3), theils wegen der mißverstandenen possessio naturalis, theils weil hier nicht, wie bey andern

Cod. Rehd., Edd. Rom. 1476., Nor. 1483., Ven. 1485., Ven. 1494., Lugd. 1509. 1513., Hal., Paris. 1514. 1536. Auch die Basiliken bestätigen diese Leseart. (Meerman. VII. 49.). – Flor. „namque.“

(1) amputari lesen die in der vorigen Stelle citirten Mss. und Edd. Bekanntlich wird durch non usus der ususfructus verloren; dazu soll also nach dieser Stelle die bloße possessio eines Andern nicht hinreichen, weil Ausübung des ususfructus und des Eigenthums von einander unabhängig sind. – Florent. „computari.“

(2) Placentini Summa in Cod. L. 8. T. 4. (p. 373.) et L. 8. T. 5. (p. 376.). – Alciatus in L. 1. pr. de poss. n. 42. 43. (p. 1200.). – Retes de poss. P. 1. C. 4. §. 11-13. (Meermann. T. 7. p. 472. 473.).

(3) Ioannes Bassianus (s. o. S. 159. 211.). – Glossa in L. 23. §. 2. quibus ex c. maj., in L. 3. §. 9. L. 9. de vi, in L. 4. uti poss., in L. 6. §. 2. de prec. – Bartolus in L. 1. pr. de poss. num. 9. 12. – Cuiacius in obs. IX. 33. XVIII. 24., not. prior. in §. 4. I. per quas pers., Comm. in L. 12. pr. de poss. (opp. T. 8. p. 271.), Comm. in Cod. L. 7. T. 32. (opp. T. 9. p. 1007.). – Galvanus de usufructu C. 34. – Accurs und Cujacius haben eigentlich alle mögliche Meinungen zusammen: Galvanus hat andere Mittel gefunden, die Sache völlig zu verwirren.


(330) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

Servituten, ein eignes Interdict gegeben wird, sondern das interdictum de vi und uti possidetis selbst. Allein unter welchem Namen ein Interdict zugelassen werde, ist offenbar von dem Recht überhaupt ein Interdict zu gebrauchen sehr verschieden: daß der Fructuar dieselben Interdicte hat, die bey dem eigentlichen Besitz gelten, ist freylich etwas besonderes, und beruht auf einer Ausdehnung jener Interdicte über ihren ursprünglichen Begriff (1): aber zugleich ist dieser Umstand sehr zufällig, das Recht des Fructuars auf Interdicte überhaupt wird ganz unrichtig als Ausnahme von der Regel betrachtet, und weder dieses Recht, noch jene zufällige Beziehung, machen es nöthig, ihm an der Sache selbst irgend einen Besitz zuzuschreiben.

Was von dem ususfructus gilt, muß um so mehr bey dem usus und den übrigen Servituten behauptet werden, mit welchen Detention der Sache verbunden ist, da in allen diesen Fällen noch weniger Recht von dem Eigenthum abgesondert wird, als bey dem ususfructus selbst. Auch mag hierin der Grund liegen, warum des Besitzes in diesen Verhältnissen vielleicht (2) gar nicht in unsern Rechtsquellen Erwähnung geschieht.

(1) Donelli comm. j. civ. – L. 15. C. 32. (p. 801.) C. 33. (p. 803.).

(2) s. o. S. 328. Note 2.


(331) §. 23. Abgeleiteter Besitz.

Dasselbe gilt aber nicht bloß bey Servituten, sondern bey allem jus in re überhaupt, also auch bey der superficies. Denn auf diese gründet sich ein ganz eignes Interdict (1), also nicht das interdictum uti possidetis, welches doch bey jedem juristischen Besitz statt findet. Dazu kommt noch folgende Stelle, die ausdrücklich das oben entwickelte Verhältniß des Eigenthums zu allem jus in re, wie einer Regel zu ihrer Ausnahme, bey der superficies vorschreibt:

L. 3. §. 7. uti possidetis.

„Sed si supra aedes, quas possideo, coenaculum sit, in quo alius quasi dominus moretur, interdicto uti possidetis me uti posse, Labeo ait, non eum, qui in coenaculo moraretur: semper enim superficiem solo cedere. Plane si coenaculum ex publico aditum habeat, ait Labeo, videri non ab eo aedes possideri qui χρυπτας possideret, sed ab eo cujus aedes supra χρυπτας essent: verum est in eo, qui aditum ex publico habuit. Ceterum superficiarii proprio interdicto et actionibus a Praetore utentur: dominus autem soli, tam adversus alium, quam adversus superficiarium potior erit

(1) Digest. Lib. 43. Tit. 18.


(332) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

interdicto uti possidetis: sed Praetor superficiarium tuebitur secundum legem locationis et ita Pomponius quoque probat.“

Diese Stelle ist stets dadurch mißverstanden worden, daß man angenommen hat, sie rede von Anfang bis zu Ende von demselben Fall. Allein sie besteht aus zwey unabhängigen Theilen, indem von Ceterum an eine ganz neue Betrachtung angestellt wird. In der ersten Hälfte ist der Fall dieser. Ich besitze ein Haus, in einem obern Stock desselben wohnt ein Anderer, und zwar nicht als Miether oder Fructuar, sondern quasi dominus, auf ähnliche Weise, wie ich in dem untern Theile, so daß jeder von uns einzeln, d. h. wenn nicht der andere neben ihm in Betracht käme, ohne Frage als wahrer Besitzer gelten würde. Wie soll es nun mit dem Besitz und den Interdicten gehalten werden? Man könnte glauben, jeder bekomme die Interdicte für sein Stockwerk: diese Meinung, wodurch alles am leichtesten entschieden wäre, widerlegt der Jurist nicht, aber er setzt sie stillschweigend als unmöglich voraus, und der Grund liegt offenbar darin, daß überhaupt verschiedene Besitzer verschiedener Stockwerke unmöglich sind (S. 302.). Es bleibt also nichts übrig, als einen von uns ausschließend für den Hausbesitzer zu erklären, und diesem allein die Interdicte zu geben. Nun sagt der Jurist, in der Regel ist der untere Bewohner dieser wahre Hausbesitzer,


(333) §. 23. Abgeleiteter Besitz.

und der obere muß weichen, weil nämlich die Wohnung des untern mit dem Boden zusammenhängt, nach dem sich das Gebäude richten muß. Doch ist dieses nicht allgemein wahr; denn wenn der obere die eigentliche Hauptwohnung des Hauses inne hat, mit einem eignen Zugang unmittelbar von der Straße her, der untere aber bewohnt nur ein Souterrain, eine Kellerwohnung (χρυπτη), dann wird der obere als der wahre Hausbesitzer angesehen, und durch die Interdicte geschützt, der untere aber muß weichen. In diesem ersten Fall also war vorausgesetzt, daß jeder quasi dominus wohnte: jetzt folgt der zweyte Fall. – Ganz anders aber verhält es sich, wenn der obere nicht quasi dominus, sondern vermöge einer superficies, im Hause wohnt. Hier treten ähnliche Schwierigkeiten gar nicht ein, sondern alles ist leicht nach dem gewöhnlichsten Verhältniß von possessio und quasi possessio zu entscheiden. Der Eigenthümer nämlich ist allein Besitzer des ganzen Hauses, und hat das int. uti possidetis gegen jeden, auch gegen den Superficiar: dieser aber, so wie er als Kläger das besondere int. de superficiebus gegen jeden, auch gegen den Eigenthümer, erhalten würde, so erhält er dieses jetzt als Beklagter in Form einer Exception, wodurch er gegen das int. uti possidetis des Eigenthümers geschützt wird. – Diese ganze Erklärung beruht also auf der gehörigen Abtheilung der Stelle, die durch das Ceterum


(334) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

deutlich genug bezeichnet ist, und wohl dadurch am meisten verkannt wurde, weil auch in der ersten Hälfte das Wort superficies vorkommt: allein es ist offenbar, daß es da (gerade so wie vorher im §. 5.) gar nicht dazu bestimmt ist, ein Rechtsverhältniß zu bezeichnen, sondern daß es im materiellen Sinn gebraucht wird, da es das Gebäude im Gegensatz des Bodens bezeichnete. Nimmt man nun diese Abtheilung und Erklärung an, so ist es gerade durch den Gegensatz der zwey Fälle recht klar, daß der Jurist bey der superficies dem Grundeigenthümer allein die corporis possessio des Ganzen und aller Theile, dem Superficiar dagegen die juris quasi possessio derjenigen Theile, worauf sich der Contract erstreckt (secundum legem locationis) zusprechen will (1).

(1) du Roi spec. observ. de jure in re. Heidelb. 1812. 8. p. 62. sq. behauptet, die superficies sey kein jus in re, sondern eine Art von bonitarischem Eigenthum oder dominium utile. Er bedient sich dazu ganz ähnlicher Argumente, wie die, durch welche ich in der zweyten Ausgabe versucht habe, dem Emphyteuta ein bonitarisches Eigenthum zu retten, nämlich daß ihm praktisch fast alle Vortheile des Eigenthums verschafft werden. Nun geht er wohl darin zu weit, wenn er aus L. 73. 75. de R. V. „Superficiario … Praetor causa cognita in rem actionem pollicetur“ schließt, der Superficiar habe die rei vindicatio, weil nämlich diese Stellen im Titel de R. V. stehen. Auch ist er genöthigt, p. 65. eine aequitas anzunehmen, die nicht nur dem jus civile, sondern auch dem jus naturale entgegen seyn soll, was gewiß mit dem Begriff der aequitas im geraden Widerspruch steht. Ich glaube,


(335) §. 23. Abgeleiteter Besitz.

Placentin (1) ist vielleicht der einzige Schriftsteller, der diese völlige Gleichheit des Besitzes bey allem jus in re, d. h. bey ususfructus, superficies (et)c. (et)c. anerkannt hat. Die Meisten haben sich damit begnügt, theils bey dem ususfructus, theils bey der superficies die Verhältnisse des Besitzes zu untersuchen, weil zufällig nur dabey in unsren Rechtsquellen des Besitzes erwähnt wird (2).

§. 24.

Zweyte Classe: Detention, welche nie ohne Besitz übertragen wird (S. 321.).

wir können für die Superficies, wie für die Emphyteuse, keine andere Rechtsform aufsuchen, als die eines jus in re, durch dessen Verhältniß zum Eigenthum sich alles befriedigend erklärt. Nur freylich sind diese neueren jura in re dem Eigenthum sehr nahe gebracht worden, viel näher, als man es nach den alten strengen Begriffen von Eigenthum für möglich oder räthlich hielt. Nach dieser alten, reineren Ansicht des Eigenthums, die auch nimmermehr ein Pfandrecht im neueren Sinn zugelassen haben würde, ist die Theorie der Servituten gebildet, und aus ihr sind die engen Gränzen der erlaubten Servituten zu erklären, die von den neueren Juristen als müßige Subtilitäten des alten Rechts angesehen zu werden pflegen.

(1) Summa in Cod. L. 4. T. 4. (p. 373.) L. 8. T. 5. (p. 376.).

(2) Neuerlich ist wiederum von Mehreren mit großer Sorgfalt die Meinung verfochten worden, der Superficiar habe die corporis possessio, woraus denn von selbst der von ihnen nicht besonders berücksichtige Satz folgt, daß der Grundeigenthümer sie nicht haben kann. Schröter in Linde’s Zeitschrift Band 2.


(336) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

Unter dieser Classe sind zwey Fälle enthalten:

I. Der Besitz des Emphyteuta. Da nämlich dieser Besitz im allgemeinen entschieden, zugleich aber ohne animus domini ist, so kann er nur als ein abgeleiteter Besitz betrachtet werden. Daß überhaupt ein abgeleiteter Besitz für diesen Fall angenommen wird anstatt einer bloßen juris quasi possessio, läßt sich bloß aus historischen Gründen, nicht aus der Natur und Bestimmung dieses Rechtsverhältnisses selbst, erklären (1).

II. Der Besitz des Pfandgläubigers, d. h. der Besitz, welcher durch den contractus pignoris begründet ist. Dieser allein also ist es, wodurch jener Besitz entsteht, nicht jede Verpfändung überhaupt: namentlich nicht bloß ein prätorisches Pfand (2), denn ein solches

S. 244-255. Buchholtz Versuche S. 83. (Zus. der 6. Ausg.)

(1) S. o. S. 128. §. 12 a. und §. 22 a. – Anders erklärt den Besitz des Emphyteuta Schröter in Linde’s Zeitschrift B. 2. S. 237-243. (Zus. der 6. Ausg.)

(2) Wenn bey einer Vindication der Beklagte nicht erscheint, und deshalb dem Kläger eine missio gegeben wird, so scheint ihm nach L. 8. in f. C. de praescr. 30. l. 40. ann. der Besitz gegeben zu seyn. Bulgarus sprach ihm denselben erst nach einem Jahr zu, Martinus sogleich, jedoch so, daß er binnen dem ersten Jahr zurückgefordert werden könnte (Odofredus in L. 3. in f. de poss., fol. 57.). Allein jene Stelle kann eben so natürlich von bloßer Detention erklärt werden, und die Natur des prätorischen Pfands


(337) §. 24. Abgeleiteter Besitz. (Forts.)

entsteht aus jeder missio in possessionem (1), und doch hat die missio in den meisten Fällen keinen Besitz zur Folge (S. 324.): eben so wenig das pignus in causa judicati captum, welches nach der Analogie des prätorischen Pfands zu bestimmen ist (2): endlich auch nicht ein bloßer Vertrag, wodurch ohne Uebergabe eine Sache verpfändet wird (3).

Der Besitz des Pfandgläubigers ist so zu erklären. Die Römer hatten lange Zeit nur zwey Arten, durch das Eigenthum des Schuldners die Erfüllung einer obligatio zu sichern. Man pflegte erstens das Eigenthum einer Sache durch Mancipation dem Gläubiger gleich Anfangs zu überlassen, jedoch so, daß dieser bey

überhaupt macht diese Erklärung nothwendig.

(1) L. 26. pr. de pign. act. – L. 12. pro emtore.

(2) Odofredus l. c.

(3) L. 33. §. 5. de usurp. Für diesen Fall ließe sich daher sehr wohl eine juris quasi possessio denken, die jedoch nirgends erwähnt wird. Eben so haben wir keinen Grund anzunehmen, daß hier der Gläubiger, der sich durch die actio hypoth. die Detention verschafft, damit auch den juristischen Besitz erhalte. – Man könnte glauben, er bedürfe die possessio, um verkaufen und tradiren zu können; allein er tradirt ja in fremdem Namen, ähnlich einem Mandatar, der auch keine eigene possessio bedarf, um das Eigenthum übertragen zu können. (Zus. der 6. Ausg.) – Das pactum hypothecae aber ist nicht zu verwechseln mit einem andern Geschäft, das auf den ersten Blick dasselbe zu seyn scheint, nämlich pignus, verbunden mit constitutum possessorium. Davon unten mehr.


(338) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

der Mancipation selbst versprach, die Sache wieder einlösen zu lassen (pactum de remancipando, fiducia). Diese Form aber war nicht nur beschwerlich, sondern auch auf bestimmte Arten von Sachen (die res mancipi) beschränkt (1): deswegen war es zweytens gewöhnlich, die Sache dem Gläubiger bloß hinzugeben, ohne daß durch dieses Hingeben ein anderes Recht entstand, als das des Schuldners, in Zukunft die Zurückgabe zu verlangen (actio pigneratitia). Daß in diesem Fall kein animus domini, also auch kein ursprünglicher Besitz, angenommen werden könne, ist schon oben vorgekommen. Soll also dennoch Besitz statt finden, so muß es ein abgeleiteter seyn, und davon ist hier die Rede. Zunächst erhält demnach der Gläubiger durch diese Uebergabe bloß die natürliche Sicherheit, die ihm die Aufbewahrung einer Sache gewährt, aus welcher er sich in Zukunft bezahlt machen kann: verliert er den natürlichen Besitz, so ist alle Sicherheit verloren. Nun kommen aber auch die possessorischen Interdicte in Betracht, und es läßt sich leicht aus der Natur jenes Contracts zeigen, welchem von beiden Theilen diese Interdicte überlassen werden mußten: nicht dem Schuldner, denn sonst würde es diesem nicht schwer seyn, auf unrechtliche Art den natürlichen

(4) [Zusatz der 4ten Ausg.] Es konnte jedoch zu demselben Zweck auch eine in jure cessio angewendet werden (Gajus II. 59), und diese war auf Sachen jeder Art anwendbar.


(339) §. 24. Abgeleiteter Besitz. (Forts.)

Besitz der Sache wieder zu erhalten (1): wohl aber dem Gläubiger, denn daß dieser die Detention habe, war der Inhalt des Contracts, und die Interdicte sind bloß dazu da, Detention zu erhalten oder wieder zu geben (2). Etwas änderte sich die Sache, als dem Pfandgläubiger späterhin eine Realklage (actio quasi Serviana) gestattet wurde, um den verlornen Besitz wieder zu erlangen. Nun waren ihm die Interdicte weniger unentbehrlich, aber er behielt sie dennoch, denn auch der Eigenthümer bekam die Interdicte, obgleich er von jeher eine Vindication hatte: ein großer Irrthum also ist es, wenn man die possessio des Gläubigers auf jene Realklage, als auf ihren Grund oder ihre Folge, bezieht, und sie erst durch diese und um dieser willen entstehen läßt, da sie im Gegentheil durch die Realklage hätte aufhören können. – Demnach wäre nun das Verhältniß

(1) Man könnte einwenden, dieses passe auch auf den Miether, Commodatar u. s. w. Allein das Faustpfand hat gerade im Unterschied von anderen Verträgen den Zweck, dem Gläubiger gegen den Schuldner eine besondere Sicherheit zu verschaffen: es beruht also, wie keiner jener andern Verträge auf einem Mißtrauen gegen den Schuldner wozu es nicht passen würde, wenn man diesem die Interdicte geben wollte. So wird dieses Verhältniß sehr richtig, und mit bestimmterem Ausdruck als es von mir geschehen, angegeben von Thibaut Archiv B. 18. S. 324. (Zus. der 6. Ausg.)

(2) Es ist also nicht nöthig, diesen Besitz des Pfandrechts mit Unterholzner (Verjährung S. 160.) als Ueberbleibsel der alten fiducia anzusehen.


(340) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

dieses: der Gläubiger hätte den juristischen Besitz, d. h. das Recht der Interdicte, aber nicht auch das Recht der Usucapion (civilis possessio), weil weder justa causa noch bona fides vorhanden ist: der Schuldner hätte nicht das Recht der Interdicte, also überhaupt keinen juristischen Besitz, also wäre selbst die Usucapion aufgehoben, die er etwa bis zu dieser Zeit gehabt hätte (S. 92). – Allein dieser letzte Punct ist nicht nur keine unmittelbare Folge aus dem Zweck des Pfandcontracts, sondern sogar dem Interesse des Pfandgläubigers gerade entgegengesetzt. Denn wenn an der Sache, welche der Schuldner bisher usucapirte, ein Anderer das Römische Eigenthum hatte, so konnte dessen Vindication bloß durch die vollendete Usucapion ausgeschlossen werden: war diese jetzt unterbrochen, so verlor der Eigenthümer nie das Recht, gegen den Gläubiger, wie gegen jeden andern Besitzer, seine Vindication zu gebrauchen. – Dieses entgegengesetzte Interesse des Gläubigers in Beziehung auf Interdicte und Usucapion hat bey dem Pfandcontract eine Ausnahme von den Regeln des Besitzes veranlaßt, wie sie bey keinem andern Geschäfte sich findet. Das Ganze nämlich ist nun so zu bestimmen: der Gläubiger hat possessio, d. h. das Recht der Interdicte, aber keine civilis possessio, d. h. nicht das Recht der Usucapion: der Schuldner hat nicht das Recht der Interdicte: ja er hat überhaupt gar keinen Besitz, aber er setzt


(341) §. 24. Abgeleiteter Besitz. (Forts.)

dennoch die angefangene Usucapion fort, gleich als ob er noch immer den Besitz hätte. Es ist nicht so gleichgültig, als es auf den ersten Blick scheint, ob man den letzten Satz so ausdrückt, wie es hier geschehen ist, und durch eine Stelle des Römischen Rechts gerechtfertigt wird (1), oder ob man sagt, der Schuldner habe wirklich den Besitz, es sey folglich der Besitz zwischen ihm und dem Gläubiger getheilt. Denn erstens bezieht sich nach unsrem Ausdruck die ganze Ausnahme auf die Regel: sine possessione usucapio contingere non potest, nicht auf die andere Regel: plures eandem rem in solidum possidere non possunt, wodurch denn die Allgemeinheit dieser letzten Regel auch gegen diesen Einwurf gesichert ist. Zweytens läßt sich daraus zeigen, auf welcher Seite allein die Ausnahme von der Regel liegt: das Recht des Schuldners ist das, was von der Regel abweicht, das des Gläubigers ist ganz unter der Regel des abgeleiteten Besitzes enthalten, und aus diesem Grunde konnte der Besitz des Pfandgläubigers mit allem Rechte dazu gebraucht werden, die allgemeinen Begriffe von civilis und naturalis possessio festzusetzen, welches Verfahren im entgegengesetzten Fall völlig unmethodisch gewesen wäre.

Von diesen Behauptungen über den Besitz des Pfandes sind jetzt die Beweise zu führen:

(1) L. 36. de poss.


(342) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

A) Der Gläubiger hat den juristischen Besitz, nur nicht das Recht der Usucapion:

L. 16. de usurp. (1)

„ ... Qui pignori dedit, ad usucapionem tantum possidet: quod ad reliquas omnes causas pertinet, qui accepit, possidet.“

B) Eine Folge des ersten Satzes ist es, daß der Gläubiger, wie jeder andere Besitzer, die Sache vermiethen kann (2): dieses kann selbst an den Schuldner geschehen, obgleich dieser zugleich Eigenthümer ist: nun besteht der Pacht als eine possessionis locatio (S. 324.), und der Schuldner verwaltet an seiner eignen Sache fremden Besitz.

L. 37. de pign. act. (3)

„Si pignus mihi traditum locassem domino,

(1) Vergl. L. 40. pr. de poss. – L. 15. §. 2. qui satisd. cog. – L. 35. §. 1. de pign. act. – L. 3. §. 15. ad exhibendum (S. 67). – Die L. 7. §. 2. C. de praescr. 30. l. 40. ann. kann nicht im Ernste dagegen angeführt werden, denn: „in fremdem Namen besitzen“ kann in sehr verschiedenem Sinn gesagt werden, der debitor wird auch in der That so behandelt, als ob er possessio (ad usucapionem) hätte, und endlich müßte, wenn das Gegentheil wahr seyn sollte, in jener Constitution das alte Recht wirklich geändert seyn, da doch Justin gar nicht das Recht des Besitzes, sondern bloß die Verjährung der actio hypothecaria bestimmen will.

(2) L. 23. pr. de pignoribus.

(3) Vergl. L. 37. de poss. – Aus beiden Stellen folgt offenbar, daß die possessionis locatio


(343) §. 24. Abgeleiteter Besitz. (Forts.)

per locationem retineo possessionem: quia, antequam conduceret debitor, non fuerit ejus possessio: cum et animus mihi retinendi sit, et conducenti non sit animus possessionem apiscendi.“

C) Der Schuldner hat eigentlich gar keinen Besitz, aber es wird in seiner Person eine possessio ad usucapionem fingirt, d. h. er wird, was die Usucapion betrifft, so behandelt, als ob er Besitz hätte, obgleich er denselben nicht hat.

L. 36. de poss.

„Qui pignoris causa fundum creditori tradit, intelligitur possidere. Sed etsi eundem precario rogaverit, aeque per diutinam possessionem capiet ... cum plus juris in possessione habeat, qui precario rogaverit, quam qui omnino non possidet“ (1).

L. 16. de usurp.

„Qui pignori dedit, ad usucapionem tantum possidet ...

(L. 28. de poss.) keine solche locatio seyn könne, wodurch dem Pachter der juristische Besitz erworben würde (s. o. §. 5. 23.).

(1) Diese Worte, mit dem Anfang der Stelle und mit den folgenden Stellen verbunden, geben dieses Resultat: debitor omnino non possidet, sed ad unam causam (usucapionis) intelligitur possidere.


(344) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

L. 1. §. 15. de poss.

„ ... ad unam enim tantum causam videri eum a debitore possideri: ad usucapionem ...

D) Dieser fingirte Besitz des Schuldners gründet sich lediglich auf die juristische Natur des Pfandcontracts: wo also kein Pfandcontract als gültig anerkannt wird, da gilt auch jener Besitz nicht: das ist unter andern der Fall, wenn der Gläubiger Eigenthümer der verpfändeten Sache ist:

L. 29. de pign. act. (1)

„Si rem alienam bona fide emeris, et mihi pignori dederis, ... deinde me dominus heredem instituerit, desinit pignus esse ... idcirco usucapio tua interpellabitur.“

Bey den neueren Juristen finden sich über den Besitz des Pfandes sehr verschiedene Meinungen: der größte Theil derselben gehört nicht hierher, indem sie die Begriffe der civilis und naturalis possessio betreffen. – Placentin (2) giebt sich viele Mühe, dem Gläubiger allen Besitz abzustreiten. Donellus ist nicht ganz ohne

(1) Vergl. L. 33. §. 5. de usurp. Auch hängt damit zusammen die schwierige L. 16. de O. et A., worüber zu vergleichen ist Chesius in jurispr. Rom. et Att. T. 2. p. 872.

(2) Summa in Cod. tit. de poss. in fin. (p. m. 333.).


(345) §. 24. Abgeleiteter Besitz. (Forts.)

seine Schuld so mißverstanden worden, als ob er dieselbe Meinung vertheidigte: allein er läugnet den Besitz des Gläubigers nur da, wo er den ursprünglichen Begriff des Besitzes, mit animus domini angiebt (1): in der Folge redet er erst von der Uebertragung des bloßen Besitzes, und erwähnt dabey sehr richtig auch des Pfandgläubigers (2). Der Fehler liegt also nur darin, daß er die Unterscheidung des ursprünglichen und abgeleiteten Besitzes, mit ihrer Anwendung auf diesen Fall, mehr stillschweigend zum Grunde legt, als ausdrücklich darstellt. – Duaren und vorzüglich Valentia haben die Verhältnisse des Gläubigers und Schuldners richtig bestimmt (3). – Westphals Meinung (4) lautet wörtlich also: „Daß bloß zur usucapion ein Besitz des Verpfänders angenommen werde, ist ein großer Irrthum des Juristen. ... Man sieht, wie wenig man sich oft auf die Behauptungen der alten Rechtslehrer verlassen könne.“ (5)

(1) comm. j. civ. L. 5. C. 6. (p. m. 183.).

(2) comm. j. civ. L. 5. C. 13. (p. m. 197.).

(3) Duarenus in L. 1. §. 15. de poss. (opp. p. m. 834. 835.). – Valentia in ill. jur. tract. L. 1. Tr. 2. C. 11.

(4) Arten der Sachen (et)c. §. 151.

(5) Neuerlich ist für den Besitz des Pfandgläubigers eine andere Erklärung versucht worden von Schröter in Linde’s Zeitschrift B. 2. S. 255-263. Diesen hat ausführlich zu widerlegen gesucht Sintenis ebendas. B. 7. S. 414-435. (Zus. der 6. Ausg.)


(346) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

§. 25.

Dritte Classe: Detention, welche theils mit dem Besitz, theils ohne denselben, übertragen wird. – Zu dieser Classe gehören zwey Fälle: Depositum und Precarium.

Was zuerst das Depositum betrifft, so hat die Regel keinen Zweifel. Der Besitz also wird hier in der Regel eben so wenig, als bey dem Pacht (et)c., veräußert.

L. 3. §. 20. de poss. (1).

„Sed si is, qui apud me deposuit, vel commodavit, eam rem vendiderit mihi, vel donaverit, non videbor causam possessionis mihi mutare, qui ne possidebam quidem.“

Die Ausnahme bezieht sich nur auf einen sehr beschränkten Fall. Wenn das Eigenthum einer Sache vindicirt, die Sache selbst aber bey einem Dritten (sequester) deponirt wird, so können die Parteyen ausdrücklich bestimmen, daß dieser Dritte den Besitz haben solle, damit durch diesen Besitz alle bisherige Usucapion unterbrochen werde: und dieses ist der einzige Fall, in welchem das Depositum eine Veränderung des Besitzes zur Folge hat (2):

(1) Vergl. L. 33. §. 4. de usurp. – L. 9. §. 9. de reb. cred.

(2) Abweichende Meinungen über den Sequester haben Schröter, Bartels und Sintenis,


(347) §. 25. Abgeleiteter Besitz. (Forts.)

L. 39. de poss.

„Interesse puto, qua mente apud sequestrum deponitur res: nam si omittendae possessionis causa, et hoc aperte fuerit approbatum: ad usucapionem possessio ejus partibus non procederet: at si custodiae causa deponatur, ad usucapionem eam possessionem victori procedere (1) constat.“

L. 17. §. 1. depositi.

„Rei depositae proprietas apud deponentem manet, sed et possessio, nisi apud sequestrem deposita est (2): nam tum demum sequester possidet: id enim agitur ea depositione, ut neutrius possessioni id tempus procedat.“

Zeitschr. von Linde B. 2. S. 266. B. 6. S. 205. B. 7. S. 249. (Zus. der 6. Ausg.)

(1) Indem nämlich in diesem Fall, d. h. wenn nur nicht das Gegentheil ausdrücklich ausgemacht ist, der sequester bloß einen fremden Besitz verwaltet.

(2) „deposita (possessio) est“ nicht: „deposita (res) est.“ Der Sinn also ist nicht: „Depositum giebt keinen Besitz, außer dem Fall einer sequestratio, “ sondern: „Depositum giebt keinen Besitz, außer wenn von einem sequester die Rede ist, und zwar dergestalt, daß diesem der Besitz ausdrücklich übertragen wird (deposita possessio).“ Daß nämlich auch der sequester nicht immer, sondern nur Ausnahmsweise Besitzer seyn soll, sagt nicht nur die erste Stelle, sondern auch die


(348) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

Bey dem Precarium verhält es sich gerade umgekehrt: auch dabey wird theils Besitz, theils bloße Detention übertragen, aber das erste ist Regel, das zweyte muß besonders verabredet seyn, um behauptet werden zu können (1). – Der Grund, warum Uebertragung des Besitzes hier als Regel angenommen wird, liegt darin, daß sie dem Eigenthümer (rogatus) nicht schadet (2): Sein Usucapionsbesitz wird nämlich durch accessio possessionis fortgesetzt (3), und er hat sein eigenes interdictum recuperandae possessionis, um den veräußerten Besitz wieder zu erlangen.

A) In der Regel wird der Besitz selbst durch Precarium übertragen:

L. 4. §. 1. de prec. (4)

„Meminisse autem nos oportet, eum, qui precario habet, etiam possidere.“

unsrige in den gleich folgenden Worten: „nam tum demum sequester possidet.“ – Diese Erklärung hat zuerst Duarenus de sacris eccles. minist. III. 10. (opp. p. m. 1567): doch erklärt er ohne Noth das deposita est durch omissa est. – Die Glosse zu beiden Stellen nimmt gerade das umgekehrte Verhältniß von Regel und Ausnahme an.

(1) Duarenus in L. 10. de poss. (opp. p. m. 869.). – Abweichende Meinungen über Precarium haben Schröter und Bartels in Linde’s Zeitschrift B. 2. S. 263. B. 6. S. 179. (Zus. der 6. Ausg.)

(2) Noch weniger Zweifel hat dieser Punct nach der verworfenen Meinung älterer Juristen, welche dem rogatus sowohl als dem rogans Besitz zuschrieb (S. 196-199.).

(3) L. 13. §. 7. de poss.

(4) Vgl. L. 22. pr. eod.


(349) §. 25. Abgeleiteter Besitz. (Forts.)

B) Daß bloße Detention übergehen solle, kann durch ausdrückliche Verabredung bestimmt werden;

L. 10. pr. §. 1. de poss. (1)

„Si quis ante conduxit, postea precario rogavit, videbitur discessisse a conductione. ... Idem Pomponius bellissime temptat dicere, numquid qui conduxerit quidem praedium, precario autem rogavit, non ut possideret, sed ut in possessione esset? (2) ... quod si factum est, utrumque procedit.“

Zwar wird auch in diesem letzten Fall der Besitz verloren, wenn der rogans zugleich Eigenthümer der Sache ist: allein dieser Verlust gründet sich hier, wie bey dem Pacht bloß darauf, daß nun in Wahrheit kein Precarium vorhanden ist. Deswegen leidet der Satz selbst eine Ausnahme, wenn der Eigenthümer wissentlich, also bloß mit Rücksicht auf den fremden Besitz, das Precarium eingeht (3): welches Precarium solius possessionis mit der Uebertragung des juristischen Besitzes durch Precarium nicht zu verwechseln ist, indem sowohl der Besitz, als die bloße Detention, dadurch, wie durch jedes andere Precarium, übertragen werden kann. – Eine wichtige Anwendung kommt bey dem Pfandcontract vor.

(1) Vgl. L. 6. §. 2. de prec.

(2) Im ersten Fall war von precario rogare schlechthin die Rede.

(3) s. o. §. 5. und 25.


(350) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

Wenn der Schuldner das Pfand precario rogirt, so gilt diese rogatio, weil sie offenbar mit Rücksicht auf den juristischen Besitz des Gläubigers geschieht (1): der Usucapionsbesitz des Schuldners dauert natürlich fort, weil dieser durch die rogatio sogar mehr erhält, als er vorher hatte (2): der Besitz des Gläubigers dauert gleichfalls fort, wenn das Precarium die bloße Detention zum Gegenstand hat, welches in diesem Fall, nach dem Zweck des ganzen Pfandcontracts, sogar präsumirt wird (3).

§. 26.

Für den Erwerb des Besitzes ist nun noch das einzige zu untersuchen übrig, wie durch fremde Handlungen Besitz erworben werden könne, und diese Frage muß, nach einem oben erklärten Ausdruck für den Begriff des Besitzes (S. 268. f.), abgesehen von bloßen Ausnahmen, auch so gefaßt werden dürfen: wie ist es möglich, durch fremde Handlungen das Bewußtseyn physischer Herrschaft über eine Sache zu erlangen?

Diese ganze Art des Erwerbs, besonders aber Ein

(1) L. 6. §. 4. de prec.

(2) L. 36. de poss. – L. 29. de pign. act. – L. 33. §. 6. de usurp. (Alle drey Stellen sind aus den Digestis des Julian). – Von L. 16. de O. et A., die aus demselben Werk des Julian genommen ist, wird unten, bey dem s. g. constitutum possessorium, die Rede seyn.

(3) L. 33. §. 6. de usurp.


(351) §. 26. Erwerb durch Stellvertreter.

Fall derselben (das s. g. constitutum possessorium), wird gewöhnlich als eine fingirte Apprehension betrachtet, welche Ansicht hier, wie überall, von wichtigen practischen Folgen ist (S. 228. f.). Nun ist nicht zu läugnen, daß dieser Erwerb etwas ganz Eigenthümliches hat: aber man hat vergessen, zu untersuchen, worin dieses Eigenthümliche liege. Es kommt dabei überhaupt auf Drey Puncte an: was muß der thun, durch welchen der Besitz erworben werden soll (der Repräsentant)? was muß der (neue) Besitzer selbst thun? welches Verhältniß muß zwischen Beiden existiren? – Der erste und zweyte Punct enthalten durchaus nichts, was von der Regel alles Erwerbs überhaupt beträchtlich abwiche, ganz anders der dritte, folglich kommen bey diesem juristische Bestimmungen vor, welche die ersten Puncte durchaus nicht betreffen. Durch zwey Beyspiele wird diese Unterscheidung deutlicher werden. Nach der gewöhnlichen Meinung (1) soll durch unrechtliche Handlungen, z. B. durch Gewalt, ein solcher Erwerb unmöglich seyn, weil eine unrechtliche Handlung keiner Fiction werth sey: allein in der Apprehension ist hier so wenig, als in jedem andern Fall, etwas juristisches enthalten. Dagegen ist das Verhältniß zwischen dem Repräsentanten und Besitzer allerdings etwas juristisches: deswegen kann die juristische Ungültigkeit dieses Verhältnisses den Erwerb des

(1) Duarenus in L. 1. §. 13. de poss. (opp. p. m. 833.).


(352) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

Besitzes verhindern. – Demnach beruht jene irrige Ansicht auf einer ähnlichen Verwechslung, wie die des Labeo (1), und unsere Juristen hätten wohl gethan, die Berichtigung des Javolenus auch für sich zu benutzen.

Der erste Punct also, welcher hier bestimmt werden muß, ist die Handlung des Repräsentanten. Nun ist auf den ersten Blick klar, daß Dieser nicht weniger thun darf, als wenn er für sich selbst Besitz erwerben wollte, d. h. daß eine Apprehension vorkommen muß, verbunden mit animus possidendi, und daß eben deshalb Jeder, der überhaupt nicht wollen kann, auch zu dieser Repräsentation unfähig ist (2). Allein der animus possidendi hat hier das Eigenthümliche, daß der Repräsentant nicht für sich, sondern für den Andern muß Besitz erwerben wollen, wenn dieser Andere in der That Besitzer werden soll: will der Repräsentant selbst Besitzer werden, oder einen Dritten zum Besitzer machen, so erfolgt dieses wirklich aus seiner Handlung, wenn nur nicht besondere Verhältnisse (z. B. das Sclavenverhältniß) im Wege stehen, in welchem Fall gar kein Besitz erworben wird (3). –

(1) L. 51. de poss. (S. 242.).

(2) L. 1. §. 9. 10. de poss.

(3) L. 1. §. 19. 20. de poss. „ ... cum autem suo nomine nacti fuerint possessionem, non cum ea mente, ut operam duntaxat suam accomodarent nobis: non possumus adquirere.“ Diese Leseart (in zehen Pariser Mspten, in dem zu Metz, dem zu Löwen, und in Edd. Rom. 1476. Nor.


(353) §. 26. Erwerb durch Stellvertreter.

Diese Regel hat keinen Zweifel, aber bey der Tradition muß eine Ausnahme davon gemacht werden. Denn hier entscheidet die Absicht des tradens, so daß der Erwerb des Besitzes nach dieser Absicht vor sich geht, selbst wenn der Repräsentant untreuerweise für sich selbst oder für einen Dritten erwerben will (1). Es versteht sich aber von selbst, daß dieses nur auf die nächste, unmittelbare Wirkung

1483. Ven. 1485. Lugd. 1509. 1513. Paris 1514.) ist offenbar besser, als die Florentinische: „ ... nobis non possunt adquirere, “ indem der Repräsentant es nicht einmal will, also von seinem Können noch gar nicht die Rede ist. Haloander liest: „nobis accomodarent: non possunt adquirere, “ gleich als ob nun der Repräsentant nicht selbst Besitzer würde, was ganz falsch ist.

(1) Ganz deutlich sagt dieses Ulpian in L. 13. de donationibus, der unzweydeutigsten unter allen hierher gehörigen Stellen. Ihr aber scheinen folgende Stellen zu widersprechen: a) Julian in L. 37. §. 6. de adqu. rer. dom. Allein bey dem nihil agetur ist jederzeit hinzuzudenken ex mente procuratoris, so wie es in L. 13. cit. heißt: „nihil agit in sua persona, sed mihi adquirit“ (Wenck de tradit. p. 64.), so daß das nihil agetur aufgelöst werden kann durch id non agetur. b) Ulpian selbst in L. 43. §. 1. de furtis. Allein in dieser ganzen Stelle ist die Rede von einem falsus procurator, der nur der Kürze wegen nachher schlechtweg procurator genannt wird, es fehlt also an aller Repräsentation, und das non ejus nomine accepit heißt: er hat es ohne Auftrag desselben empfangen. c) L. 59. de adqu. rer. dom. L. 2. C. de his qui a non dom. Aber in diesen Fällen war das Mandat selbst darauf gerichtet, daß der Procurator die Sache in eignem Namen kaufen, also selbst das Eigenthum erwerben, und dann auf den mandans übertragen sollte. – Man hat übrigens


(354) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

der Tradition selbst geht, daß also der untreue Repräsentant gleich nachher für sich selbst dennoch Besitz erwerben kann, wobey die Regeln über den Verlust des Besitzes durch Stellvertreter (§. 33.) anzuwenden sind.

Zweytens ist es nöthig, daß der Besitzer selbst diesen Besitz erwerben wolle, also wird dieser Erwerb dadurch ausgeschlossen, daß der, für welchen der Besitz erworben werden soll, gar nichts davon weiß (ignoranti possessio non adquiritur). – Dieser Satz indessen kann leicht mißverstanden werden, weil der Ausdruck selbst eine zweyfache Bedeutung haben kann. Denn ignorantis possessio kann erstlich der Besitz Desjenigen heißen, welcher von der ganzen Handlung nichts weiß, folglich auch diesen Erwerb nicht wollen kann: das ist der Gegenstand unserer Regel, diese ignorantis possessio ist unmöglich, aber von dieser Unmöglichkeit giebt es drey Ausnahmen, wobey Besitz überhaupt und Usucapion durch jene ignorantia nicht gehindert wird: beym Peculium, bey dem Erwerb durch Vormünder, und bey Corporationen (1). Zweytens kann aber auch Derjenige

sehr verschiedene Versuche gemacht, diesen Widerspruch aufzulösen, vgl. Glossa in L. 37. §. 6. de adqu. rer. dom. – Duarenus in L. 1. §. 20. de poss. (opp. p. m. 838. 839). – Beyma in var. Dig. tit. p. 330. – Valentia in ill. jur. tract. L. 1. Tr. 2. C. 13. (p. m. 66.) et in epistolar. exerc. 9. (ib. p. 159.) – Retes ap. Meermann. T. 7. p. 475. 476. et p. 406.

(1) Die Regel steht bey Paulus


(355) §. 26. Erwerb durch Stellvertreter.

Ignorans genannt werden, welcher den Besitz der Sache erwerben will, einem Andern den Auftrag dazu gegeben hat, aber nur von der Erfüllung dieses Auftrags, d. h. von der wirklichen Apprehension, noch nicht unterrichtet ist: auf diese ignorantia bezieht sich unsere Regel nicht, sie macht den Besitz überhaupt nicht unmöglich, wohl aber die Usucapion. Wer also jenen Auftrag gab, fängt an zu besitzen, sobald der Auftrag erfüllt ist, aber die Usucapion nimmt erst ihren Anfang, wenn der Besitzer von dieser Erfüllung Nachricht erhält. – Die Beweise aller dieser Sätze können erst bey dem dritten Puncte nachgeholt werden.

Drittens ist ein juristisches Verhältniß zwischen dem Repräsentanten und dem Besitzer nöthig, wenn auf diese Weise Besitz entstehen soll. Man kann sagen, daß in der Regel entweder Befehl, oder Auftrag dem Erwerb selbst vorhergehen müsse, je nachdem von einem Verhältniß juristischer Gewalt (des Vaters über seine Kinder, und des Herrn über seine Sclaven), oder von einem freien Verhältniß die Rede ist.

in rec. sent. Lib. 5. Tit. 2. §. 1. „Possessionem adquirimus et animo, et corpore: animo utique nostro: corpore vel nostro, vel alieno.“ Vergl. L. 3. §. 12. de poss. Die Ausnahmen werden weiter unten in diesem §. vorkommen (S. 358-367.) – Die Ausnahme der Peculien bringt Paulus selbst sehr gut mit dieser Regel in Verbindung (L. 1. §. 5. L. 3. §. 12. de poss.).


(356) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

A) Juristische Gewalt des Besitzers über den Repräsentanten (1). – Daß hierdurch das Recht des Besitzes erworben wird, ist gar nichts besonderes, indem alle Rechte überhaupt durch Sclaven und durch Kinder in väterlicher Gewalt erworben werden können.

Durch einen Sclaven erwirbt den Besitz der Eigenthümer desselben, der bonae fidei possessor, und der fructuarius. – Der Eigenthümer muß, um dieses Erwerbs fähig zu seyn, zugleich den Besitz des Sclaven haben: ist der Sclave selbst in fremdem Besitz, oder wird er von Niemanden besessen, so kann der Eigenthümer, als solcher, durch ihn keinen Besitz erwerben, so daß nun oft gar kein Erwerb des Eigenthums oder auch nur des Besitzes vor sich geht (2). Eine bloße Folge davon ist es, daß auch durch einen verpfändeten Sclaven

(1) Sehr gründlich handelt Cuperus von diesem Fall (de nat. poss. p. 52. p. 100-106.).

(2) L. 21. pr. L. 54. §. 4. de adqu. rer. dom. – L. 1. §. 6. de poss. Bey einem flüchtigen Sclaven dauert die possessio servi und die adquisitio per servum fort, so lange er nicht in fremden Besitz kommt, oder sich selbst für frey hält. L. 1. §. 14. L. 50. §. 1. de poss. (auf diese zwey Ausnahmen gehen die Worte: „quem non possidet“ der L. 54. §. 4. de adqu. rer. dom.: und die „possessio“ der L. 15. de public. in rem act. ist offenbar die natürliche Detention). – Durch die libertatis possessio ist natürlich die possessio servi ausgeschlossen, außerdem aber durch das bloße liberale judicium nicht: nun ist nämlich die adquisitio per servum, so wie die servi possessio


(357) §. 26. Erwerb durch Stellvertreter.

der Eigenthümer keinen Besitz erwerben kann (1). – Der bonae fidei possessor, als solcher, erwirbt den Besitz, wie alles andere, durch den Sclaven nur insofern, als dieser Erwerb auf die Arbeit des Sclaven, oder auf das Vermögen des possessor gegründet ist (2): bonae fidei possessor aber heißt hier nur der, welcher sich selbst für den Eigenthümer hält, folglich erwirbt der Pfandgläubiger durch den verpfändeten Sclaven gar nichts (3), obgleich auch er den Sclaven besitzt, und auf rechtliche Weise besitzt, also in anderem Sinne die bona fides ihm nicht abzusprechen ist. – Der fructuarius erwirbt durch den Sclaven unter denselben Einschränkungen, wie der bonae fidei possessor (4). Dabey findet sich also wieder das gewöhnliche Verhältniß des Eigenthums zu jedem jus in re: in der Regel nämlich erwirbt durch diesen Sclaven der Eigenthümer, weil er zugleich den juristischen Besitz des Sclaven hat (S. 326.), aber in jenen zwey ausgenommenen Fällen

selbst, in suspenso. L. 3. §. 10. de poss. – L. 25. §. 2. de lib. causa.

(1) L. 1. §. 15. de poss.

(2) Gajus Lib. 2. §. 94. L. 1. §. 6. de poss. – L. 21. pr. de adqu. rer. dom.

(3) L. 1. §. 15. de poss.

(4) L. 1. §. 8. L. 49. pr. de poss. – [Zusatz der 4ten Ausgabe.] Indessen war dieser Erwerb bestritten, weil der Sclave selbst nicht vom Fructuar besessen wird. Gajus Lib. 2. §. 94., der sich selbst nicht über die Frage erklärt. Die angeführten Pandektenstellen nehmen sichtbar Rücksicht auf diese Controverse.


(358) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

ist es nicht der Eigenthümer, sondern der Fructuar, welchem der Sclave den Besitz, wie alles andere, erwirbt.

Wie der Herr durch den Sclaven, so erwirbt der Vater durch seine Kinder alle Rechte überhaupt, also auch den Besitz. Nur gründet sich dieser Erwerb lediglich auf das Recht der väterlichen Gewalt, nicht wie bey dem Sclaven, auf den Besitz an dem Kinde selbst, weil dieser überhaupt nicht denkbar ist: auch kann hier weder ususfructus vorkommen, noch ein der bonae fidei possessio analoges Verhältniß. Wer also aus Irrthum einen Sohn in seiner Gewalt zu haben glaubt, kann durch diesen auf keine Weise erwerben (1).

Für beide Fälle der juristischen Gewalt zusammen tritt eine ganz besondere Regel ein, wenn der Erwerb des Besitzes auf ein peculium sich gründet. Nun wird der Besitz erworben, obgleich der Herr oder der Vater von diesem Erwerb gar nichts weiß (2), und selbst die Usucapion kann zugleich mit diesem Besitz anfangen (3). Da also hier auf den Willen des Besitzers selbst gar nicht gesehen wird, wenn nur ein peculium wirklich vorhanden ist, so können auch solche Personen auf diese Art den Besitz erwerben, welche überhaupt keinen Willen

(1) L. 50. pr. de poss.

(2) L. 1. §. 5. de poss. – L. 4. de poss. – L. 44. §. 1. L. 24. L. 3. §. 12. de poss.

(3) L. 1. §. 5. de poss. – L. 31. §. 3. L. 47. de usurp.


(359) §. 26. Erwerb durch Stellvertreter.

haben (1): ja selbst im Namen eines Gefangenen ist dieser Erwerb möglich (2), obgleich in diesem Fall nicht bloß der animus possidendi, sondern die Persönlichkeit des Besitzers selbst fehlt.

Im älteren Recht kamen außer der Gewalt des Herrn und des Vaters auch noch zwey andere Arten der Gewalt vor, manus und manicipium genannt. Ob aber auch durch diese der Besitz erworben werden konnte, war bestritten, weil diese Arten der Gewalt nicht mit einer possessio an der abhängigen Person selbst verbunden waren (3). Es ist auffallend, daß nur bey diesen Verhältnissen und bey dem Sclaven im ususfructus, ein solcher Zweifel erwähnt wird, obgleich bey dem Sohn in väterlicher Gewalt eben so viel Grund dazu gewesen wäre.

(1) z. B. Kinder, Wahnsinnige, Erbschaften. – L. 1. §. 5. de poss. – L. 29. de captivis. – L. 16. de O. et A.

(2) Unter den älteren Römischen Juristen war die Sache bestritten, in den Pandekten wird jene Regel als ausgemacht angenommen, ohne Unterschied, ob vor der Gefangenschaft oder in derselben der Besitz anfieng: folglich betrifft diese Regel den Erwerb und Verlust zugleich. – Entweder stirbt nun der Gefangene als solcher, oder er wird frey: im ersten Fall gilt die lex Cornelia, im zweyten das postliminium. – L. 29. L. 22. §. 3. de captivis. – L. 23. §. 3. ex quib. caus. maj. – L. 44. §. 7. de usurp. – L. 12. §. 2. de capt. – L. 15. pr. de usurp.

(3) Gajus Lib. 2. §. 90. [Die Erwähnung dieser Verhältnisse ist in der 4ten Ausg. neu hinzugekommen].


(360) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

B) Das Verhältniß zwischen dem Besitzer und Repräsentanten kann zweytens ein freyes Verhältniß seyn. – Nämlich es ist Regel, daß außer jenen zwey Verhältnissen juristischer Gewalt kein Recht durch fremde Handlungen erworben werden kann, aber diese Regel gilt (wenigstens schon zur Zeit der classischen Juristen) nur von civilen Erwerbungen, nicht von natürlichen, unter welche der Besitz gehört. Besitz also kann auch ohne juristische Gewalt über den Repräsentanten erworben werden, und eben so das Eigenthum, wenn es vermittelst des Besitzes, d. h. durch Tradition oder Occupation, erworben werden soll (1).

Worin muß nun dieses Verhältniß bestehen? in einem Auftrag, Besitz zu erwerben: bestimmter läßt sich diese Regel nicht ausdrücken. Denn dieser Auftrag bedarf durchaus nicht solcher Bestimmungen, wodurch außerdem ein juristisches Geschäft bedingt ist, um im Civilrecht als gültig behandelt zu werden: so z. B. kann auch ein Sclave denselben übernehmen, vorausgesetzt, daß er von Niemanden als Sclave besessen werde (2), weil er

(1) L. 1. C. per quas pers., – §. 5. I. eod. – Paulus V. 2. §. 2. – L. 53. de adqu. rer. dom. – L. 20. §. 2. eod. – L. 8. C. de poss.

(2) L. 31. §. 2. de usurp. – L. 34. §. 2. de poss. – Auf diese Art kann ohne allen Zweifel auch der Eigenthümer selbst, dessen Sclave im Besitz der Freyheit ist, durch diesen Sclaven Besitz erwerben (S. 356.): ja es ist consequent, den bonae fidei possessor auch dann durch


(361) §. 26. Erwerb durch Stellvertreter.

sonst über keine seiner Handlungen Herr ist, also auch durch diese Handlungen keinem Andern die Herrschaft über eine Sache geben kann: eben so ist ein Pupill dieser Repräsentation fähig (1), wiewohl er außerdem kein juristisches Geschäft eingehen kann. Allein solche Gründe der Ungültigkeit juristischer Geschäfte, wodurch der Wille des Repräsentanten selbst ausgeschlossen wird, wie z. B. Irrthum über einen wesentlichen Punct, machen freylich auch diesen Erwerb des Besitzes unmöglich (2). – Aber auch umgekehrt ist ein juristisches Verhältniß allein, wenn nicht ganz bestimmt jener Auftrag darin enthalten ist, zu dieser Art des Erwerbs nicht hinreichend: so z. B. hat der Verpachter den juristischen Besitz der verpachteten Sache (S. 322.), stirbt nun der Verpachter, so geht das jus obligationis aus dem Pacht durch den bloßen Antritt der Erbschaft auf den Erben über, nicht so der

den Sclaven Besitz erwerben zu lassen, wenn es nicht ex operis servi oder e re possessoris geschieht (S. 357.), indem ja die Möglichkeit dieses Erwerbs keinen Zweifel hätte, wenn der Sclave ganz ohne Besitzer wäre: endlich scheinen es ganz specielle Ausnahmen zu seyn, daß der malae fidei possessor und der Pfandgläubiger nicht durch den Sclaven erwerben können, den sie besitzen (L. 1. §. 6. 15. de poss.).

(1) L. 32. pr. de poss. – Was hier von der Fortsetzung des Besitzes, im Gegensatz einer obligatio, gesagt ist, muß natürlich auch von dem Anfang gelten.

(2) So z. B. wenn der Pachter oder der Pfandgläubiger zugleich Eigenthümer der Sache ist (S. 323. 344.).


(362) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

Besitz: damit auch dieser erworben werde, muß irgend etwas gethan werden, wodurch der Pachter zugleich Repräsentant des Besitzes für diesen neuen Verpachter wird (1).

Jene Regel nun, daß auch durch freye Menschen in unsrem Namen Besitz erworben werden könne, ist wahrscheinlich schon ziemlich frühe durch Gerichtsgebrauch eingeführt worden:

1. L. 51.de poss.

„ ... ait Labeo, ... si acervum lignorum emero, et eum venditor me tollere jusserit: simul atque custodiam posuissem, traditus mihi videtur ... “ (2).

2. L. 41. de usurp. (Neratius L. 7. membr.).

„ ... quamvis per procuratorem possessionem apisci nos, jam fere conveniat ... “

(1) L. 30. §. 5. de poss. „Quod per colonum possideo, heres meus, nisi ipse nactus possessionem, non poterit possidere.“ Merenda in jur. contr. L. 2. C. 32. – Cicero zwar scheint das Gegentheil zu sagen (pro Caecina C. 32.): allein, wie wenig er selbst auf die Gewißheit dieser Behauptung baut, sieht man aus dem Zusatz, den er gleich in den folgenden Worten nöthig findet: „Deinde ipse Caecina“ rel.

(2) Die Stelle selbst ist oben erklärt worden (S. 242. f.), hier kommt es bloß auf das Resultat der Meinung des Labeo an. Uebrigens könnte unter der custodia auch wohl ein Sclave verstanden seyn: allein Javolenus, der in dem folgenden Theil der Stelle offenbar denselben Fall vor Augen hat, braucht


(363) §. 26. Erwerb durch Stellvertreter.

3. L. 13. pr. de adqu. rer. dom. (Neratius Lib. 6. reg.).

„Si procurator rem mihi emerit ex mandato meo, eique sit tradita meo nomine: dominium mihi, id est proprietas adquiritur, etiam ignoranti.“

4. L. 1. C. de poss. (Impp. Sever. et Antonin.)

„Per liberam personam ignoranti quoque acquiri possessionem, et postquam scientia intervenerit, usucapionis conditionem inchoari posse, tam ratione utilitatis, quam juris pridem (1) receptum est.“

ausdrücklich das Wort „mandato.“

(1) Glossa in h. L. „alias: pridem, et alias: prudentia.“ Die erste Leseart ist viel wahrscheinlicher, denn gegen ratione utilitatis giebt das ratione juris einen viel reineren Gegensatz als juris prudentia; die ratio juris nämlich steht in: L. 53. de adqu. rer. dom. („quod naturaliter adquiritur, sicuti est possessio“ rel.). – Zudem läßt es sich leichter begreifen, wie aus einer Abbreviatur das Wort jurisprudentia entstehen konnte, das jedem juristischen Abschreiber so geläufig seyn mußte – leichter, als wenn man pridem, als die falsche Leseart, voraussetzen wollte, die sich in den Text eingeschlichen hätte. Pridem übrigens ließt auch die Göttingische Handschrift, worin zwar etwas corrigirt zu seyn scheint, aber so, daß von der vorigen Leseart keine Spur mehr übrig ist. Pridem lesen endlich auch sieben Pariser Mss. des Codex, ein Ms., das ich selbst besitze, eine sehr alte Fuldaische, eine Münchner (N. 22.), eine Wiener Handschrift (N. 16.), desgleichen eine alte Handschrift der Bamberger Bibliothek (D. I. 2.).


(364) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

Aus diesen Stellen ist klar, daß zur Zeit des zuletzt angeführten Rescripts der Satz schon längst (pridem) recipirt war, daß er schon zur Zeit des Neratius, ja sogar des Labeo galt: dennoch haben ihn Mehrere durch diese Stelle des Codex neu einführen lassen, wozu wohl Ulpian und die Institutionen Veranlassung gewesen sind (1): allein daß Ulpian ein Rescript des regierenden Kaisers citirt, wenn auch der Inhalt desselben schon vorher ohne ausdrückliches Gesetz angenommen war, ist sehr natürlich, und die Stelle der Institutionen, die wohl aus jener entstanden seyn mag, sagt eben so wenig, daß Sever diesen Satz neu eingeführt habe, sondern nur daß er in einer seiner Constitutionen ausgesprochen sey (2).

Jetzt erst ist es möglich, einige nähere Bestimmungen dieser Regel zu entwickeln, welche oben nur angedeutet werden konnten. – Ist jenes Verhältniß der Repräsentation

(1) L. 11. §. 6. de pign. act. „ ... constitutum est ab Imperatore nostro, posse per liberam personam possessionem adquiri.“ – §. 5. I. per quas pers. „ ... per liberam personam, veluti per procuratorem, placet non solum scientibus, sed et ignorantibus nobis adquiri possessionem, secundum Divi Severi constitutionem.“

(2) [Zusatz der 4ten Ausg.]. Wäre der §. 95. im zweyten Buch des Gajus ganz erhalten, so würden vielleicht alle Zweifel hierüber verschwinden: in ihrer gegenwärtigen Gestalt kann die Stelle hier gar nicht benutzt werden.


(365) §. 26. Erwerb durch Stellvertreter.

wirklich begründet, so wird der Besitz durch die Apprehension des Repräsentanten unmittelbar erworben, auch wenn der Besitzer noch keine Nachricht von der Erfüllung seines Auftrags hat, und man kann in diesem Sinne sagen: ignoranti adquiritur possessio. Die Usucapion aber fängt erst an, wenn der Besitzer den erworbenen Besitz erfährt (1). Einige haben behauptet, daß wenigstens in dieser Bestimmung etwas neues enthalten sey, was Sever der älteren Regel hinzugefügt habe, allein diese Meinung ist fast noch unhaltbarer, als die, nach welcher die Regel selbst von Sever herrühren soll. – Nur in dem eben angegebenen Sinn aber darf die ignorantis possessio genommen werden, wenn sie möglich seyn soll: also muß der Besitzer allerdings wissen und wollen, daß dieser Besitz für ihn erworben werde, ja es ist in den meisten Fällen die Repräsentation selbst nicht anders zu denken möglich. Demnach kann auch ein negotiorum gestor den Besitz verschaffen, aber erst von der Zeit der ratihabitio an (2): und dasselbe muß von einem procurator universorum bonorum behauptet

(1) L. 1. C. de poss. (S. 363.). – §. 5. I. per quas. pers. (S. 364.). – L. 49. §. 2. de poss. – L. 47. de usurp. – Die Ausnahme der L. 41. de usurp. betrifft nicht sowohl diese Regel, als vielmehr die der lex Atinia (L. 4. §. 6. de usurp.).

(2) L. 24. de neg. gestis. Ein Zurückrechnen, welches hier, bey eigentlich juristischen Handlungen, statt findet, gilt bey dem Besitz natürlich nicht.


(366) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

werden, weil auch in dessen Auftrag nicht besonders dieser einzelne Erwerb enthalten ist:

1. Paulus in rec. sent. L. 5. T. 2. §. 2.

„Per liberas personas, quae in potestate nostra non sunt, adquiri nobis nihil potest. Sed per procuratorem adquiri nobis possessionem posse, utilitatis causa receptum est (1). Absente autem domino comparata non aliter ei, quam si rata sit, quaeritur“ (2).

2. L. 42. §. 1. de poss.

„Procurator, si quidem mandante domino rem emerit (3), protinus illi adquirit possessionem: quod si sua sponte emerit, non: nisi ratam habuerit dominus emptionem.“

(1) d. h. „aber bey dem Besitz ist eine Ausnahme von jener Regel angenommen worden.“

(2) Der Ausdruck procurator war zweydeutig, deswegen erinnert Paulus ausdrücklich, daß bloß von einem Stellvertreter in Beziehung auf diesen bestimmten Besitz die Rede sey, nicht von einem procurator bonorum, den man für die Zeit der Abwesenheit bestellt habe, und der während dieser Abwesenheit dem Herrn irgend einen Besitz erwerben wolle.

(3) d. h. „wenn er einen Auftrag für diesen Erwerb hatte“ (gewöhnlich geht nämlich ein solcher Auftrag zugleich auf den Vertrag und auf den Erwerb des Besitzes und Eigenthums). – Der Gegensatz ist also derselbe, wie in der vorigen Stelle.


(367) §. 26. Erwerb durch Stellvertreter.

Ungeachtet dieser sehr deutlichen Stellen haben mehrere Juristen auch durch einen solchen Procurator die ignorantis possessio für möglich gehalten: und weil einmal Sever durchaus etwas Neues bestimmt haben sollte, so ist auch das als Inhalt seiner Constitution, und als Zusatz zu dem ältern Recht betrachtet worden, obgleich der Satz selbst weder für das ältere, noch für das neuere Recht behauptet werden kann.

Zwey Fälle sind indessen auch bey diesem Erwerb durch freye Personen von der Regel ausgenommen, nach welcher der Wille des Besitzers zur Entstehung des Besitzes erfordert wird (vgl. S. 280. 354. 358.).

1) Juristische Personen, obgleich sie keines unmittelbaren Bewußtseyns fähig sind, können dennoch auch durch freye Mittelspersonen Besitz erwerben. Für Municipien ist dieses unmittelbar gewiß (1), und da in einer andern Stelle der Besitzerwerb anderer Corporationen dem der Städte gleichgestellt wird (2), so dürfen wir dasselbe auch von diesen andern Corporationen annehmen.

2) Bevormundete Personen, welche eben so wenig juristisch einen Willen haben, können durch die Handlungen ihrer Tutoren und Curatoren (also gleichfalls durch freye Mittelspersonen) Besitz erwerben (3).

(1) L. 1. §. 22. – L. 2. de poss.

(2) L. 7. §. 3. ad exhibendum.

(3) L. 13. §. 1. de adqu. rer. dom. – L. 1. §. 20. de poss. –


(368) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

Dieser Erwerb des Tutor im Namen des Pupillen ist schon oben zu Erklärung zweyer Stellen gebraucht worden, in welchen auch die bloße auctoritas tutoris bey dem Erwerb des Besitzes zugelassen wird (S. 285-294.). Mehrere haben jene Stellen so mißverstanden, als ob die adquisitio per tutorem sogar abgeläugnet werden sollte (1), die doch weder nach diesen noch nach andern Stellen (2) mit einigem Schein geläugnet werden kann.

Es versteht sich übrigens von selbst, daß das Repräsentationsverhältniß, durch welches der Erwerb begründet werden soll, auch durch mehrere Personen hindurch gehen kann. Giebt also A. dem B. den Auftrag, für ihn Besitz zu erwerben, so ist es einerley, ob B. selbst oder durch C. diesen Auftrag vollzieht: in beiden Fällen wird A. Besitzer. (Zusatz der 6. Ausg.)

§. 27.

Von der Regel, daß ein bloßer Auftrag, ohne juristische Gewalt, hinreichend ist, den Erwerb des Besitzes durch fremde Handlungen zu begründen – von

L. 11. §. 6. de pign. act. – Die L. 26. C. de don. ist offenbar bloß ein Supplement dieser Regel: in dem bestimmten Fall dieser Stelle nämlich soll dem Pupillen, dessen Vormund hier verhindert ist, einstweilen ein Sclave diesen Erwerb vollziehen dürfen (L. 2. C. Th. de don.).

(1) Besonders die Schlußworte der L. 3. C. de poss. (S. 293.).

(2) s. die vorletzte Note.


(369) §. 27.Costitutum possessorium.

dieser Regel ist jetzt noch eine einzelne Anwendung zu erklären übrig, in welche sich unsere Juristen weit weniger zu finden gewußt haben, als in die Regel selbst. Wer überhaupt durch seine Handlungen einem Andern den Besitz zu erwerben im Stande ist, kann dieses natürlich um deswillen nicht weniger, weil etwa er, der Repräsentant, bis auf diesen Augenblick den juristischen Besitz der Sache gehabt hat. Zugleich ist es klar, daß für diesen Fall zwar nicht die Regel, wohl aber ihre Anwendung etwas anders, als für die übrigen Fälle, bestimmt werden müsse. Denn da die Apprehension schon früher vorgekommen ist, so braucht sie jetzt nicht wiederholt zu werden, und die ganze Handlung muß folglich als eine umgekehrte brevi manu traditio betrachtet werden: wie nämlich bey dieser Art der Tradition der, welcher bisher die Detention ohne den Besitz hatte, durch bloßen animus possidendi, ohne neue Handlung, den Besitz erwirbt (S. 274. 275.), so verwandelt sich hier gleichfalls durch bloßes Wollen der Besitz in Detention, und (worauf es hier noch allein ankommt) das Recht des Besitzes selbst wird unmittelbar auf eine andere Person übertragen. – Unsere Juristen nennen diese Art, den Besitz zu übertragen: Constitutum possessorium. Das Wort kommt bey den Römern nicht vor, wohl aber die Sache, und selbst wenn sie nicht


(370) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

besonders im Römischen Recht genannt wäre, würde sie um nichts weniger gewiß seyn.

Der Satz selbst, der hier aufgestellt wurde, ist eben so allgemein, und ganz als bloße Anwendung bekannter Grundsätze, in folgender Stelle enthalten:

L. 18. pr. de poss.

„Quod meo nomine possideo, possum alieno nomine possidere: nec enim muto mihi causam possessionis, sed desino possidere, et alium possessorem ministerio meo facio: nec idem est, possidere, et alieno nomine possidere. Nam possidet, cujus nomine possidetur. Procurator alienae possessioni praestat ministerium.“

Also durch bloßen Vertrag, ohne alles körperliche Handeln auf die Sache selbst, ist dieser Erwerb des Besitzes möglich: dennoch wird in einer sehr bekannten Stelle der bloße Vertrag der Tradition gerade entgegengesetzt: durch diese soll Eigenthum übergehen können, durch jenen nicht (1). – Dieser Umstand führt zu einer genaueren Bestimmung des s. g. Constitutum selbst. Der Vertrag nämlich, wodurch der Uebergang des Eigenthums bestimmt wird, z. B. der Kauf, ist von dem

(1) L. 20. C. de pactis: „Tradictionibus et usucapionibus dominia rerum, non nudis pactis transferuntur.“


(371) §. 27. Constitutum possessorium.

Constitutum sehr verschieden: in diesem liegt die Bestimmung, daß der bisherige Besitzer Repräsentant eines fremden Besitzes seyn wolle, welche Bestimmung weder in einem bloßen Kauf enthalten ist, noch auch überhaupt angenommen werden kann, sie müßte denn ausdrücklich erklärt seyn, oder aus andern Erklärungen nothwendig folgen. Ist eine ausdrückliche Erklärung vorhanden, daß der bisherige Besitzer nur noch fremden Besitz verwalten wolle, so hat die Sache keinen Zweifel, aber dieser Fall ist sehr selten. Außerdem ist ein Constitutum nicht anzunehmen, außer insofern es als Folge anderer Handlungen betrachtet werden muß (1).

Erstens: ein Constitutum ist in der Regel nicht anzunehmen. – Eine Anwendung dieses Satzes ist schon oben vorgekommen: wer Fässer mit Wein kauft und versiegelt, ist dadurch nicht Besitzer und Eigenthümer der Fässer geworden (2). Nun ist es klar, daß er selbst noch nicht die natürliche Detention dieser Sachen hat, so

(1) Wenn aber die Bedingungen eines constituti vorhanden sind, so ist es gleichgültig, ob der bisherige Besitzer die Detention selbst hat, oder ob ein Dritter diese für ihn verwaltet. Wenn also der Besitzer eines Hauses dasselbe vermiethet hat, so kann er mir durch constitutum den Besitz eben sowohl übertragen, als wenn er es selbst bewohnte, da nach §. 26. die Repräsentation auch durch mehrere Personen hindurch gehen kann. Vgl. unten §. 33. (Zus. der 6. Ausg.)

(2) L. 1. §. 2. de peric. et comm. rei vend. (S. 251.).


(372) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

lange sie in einem Keller des Verkäufers liegen: aber eben so sicher ist es, daß der Verkäufer durch bloßes Constitutum den Besitz auf ihn übertragen könnte, und nur weil ein Constitutum überhaupt nicht präsumirt wird, ist in jenem Fall ohne weitere Unterscheidung der Uebergang des Besitzes verneint worden. – Eine zweyte Anwendung des Satzes enthält folgende Stelle:

L. 48. de poss.

„Praedia cum servis donavit, eorumque se tradidisse possessionem, litteris declaravit: si vel unus ex servis, qui simul cum praediis donatus est, ad eum, qui donum accepit, pervenit, mox in praedia remissus est: per servum praediorum possessionem quaesitam ceterorumque servorum constabit.“ – Der donator hatte in einem Briefe geschrieben: „er wolle hiermit das Gut und die Sclaven übergeben haben.“ Wie ist diese Erklärung zu interpretiren? etwa so, daß er, der donator, von jetzt an als procurator alienae possessionis betrachtet würde? nein, denn ein Constitutum ist nicht zu präsumiren: also ist nur dem donatarius erlaubt, in jedem Augenblick selbst Besitz zu ergreifen (missio in possessionem), diese Handlung ist vorläufig durch des donator Einwilligung zu einer Tradition


(373) §. 27. Constitutum possessorium.

gemacht, aber erst mit ihr kann der neue Besitz seinen Anfang nehmen.

Zweytens: Ein Constitutum wird dennoch angenommen, wenn sein Daseyn aus einer andern Handlung nothwendig folgt. – Dieser Satz wird durch folgende Anwendungen deutlich und gewiß werden.

A.) Wer eine Sache verschenkt und zugleich miethet, hat über den Besitz nichts ausdrücklich erklärt: allein er will, daß gleich jetzt ein Pacht zwischen ihm und dem Andern existiren solle, davon ist eine nothwendige Folge, daß der Andere Besitzer, er aber Verwalter des fremden Besitzes sey, folglich ist hier durch Constitutum der Besitz wirklich übertragen (1).

B.) Eben so verhält es sich mit dem ususfructus: wer also eine Sache verschenkt oder verkauft, und den ususfructus für sich zurückbehält, hat durch Constitutum den Besitz und das Eigenthum wirklich übertragen, und verwaltet von jetzt an, wie jeder Fructuar, einen fremden Besitz (2).

(1) L. 77. de rei vind.

(2) L. 28. L. 35. §. 5. C. de donat. (Von diesem Satz, den im allgemeinen gewiß kein Römischer Jurist je bezweifelte, hatte Theodos II. bey Schenkungen, wobey überhaupt viele besondere Bestimmungen vorkommen, eine Ausnahme verordnet, die er selbst zwey Jahre später wieder aufhob. L. 8. 9. C. Th. de donat.). – Ein Fall dieser Art kam bey einem Theil der Hanauischen Succession vor. Cramer (opusc. T. 1. p. 641.) demonstrirte die gewöhnlichsten


(374) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

C.) Wenn eine Sache Gegenstand eines Pfandcontracts ist, zugleich aber der Gebrauch dieser Sache dem Schuldner precario überlassen wird, so ist gleichfalls durch bloßes Constitutum dem Gläubiger der Besitz der Sache erworben (1). Dieses ganze Geschäft hat mit einem bloßen pactum hypothecae viele Aehnlichkeit: ob das Eine oder das Andere gemeint sey, kann nur für jeden gegebenen Fall besonders bestimmt werden, aber wenn es ausgemacht ist, daß nicht dieses pactum, sondern ein contractus pignoris, verbunden mit precarium, eingegangen war, so ist davon die Uebertragung des Besitzes durch Constitutum eine unmittelbare Folge (S. 350.), und bedarf nicht etwa noch eines besonderen Beweises.

D.) Bey einer Societas universorum bonorum wird die Tradition aller einzelnen Sachen als geschehen angenommen, sobald der Vertrag abgeschlossen ist (2), was

Irrthümer der Praktiker in mathematischer Methode, aber die Antwort, die von Darmstädtischer Seite erfolgte, ist eine der beßten (!) Schriften, die je über den Besitz erschienen sind: Kortholt de possessione ea lege, ne contra trad., dum vivit, exerc., tradita. Giessae 1738. – Ueber die Anwendung dieser Regel im Mittelalter s. Savigny Gesch. des R. R. im Mittelalter B. 2. S. 153.

(1) L. 15. §. 2. qui satisdare cog. „Creditor, qui pignus accepit, possessor non est, tametsi possessionem habeat, aut sibi traditam, aut precario debitori concessam.“

(2) L. 1. §. 1. L. 2. pro socio.


(375) §. 27. Constitutum possessorium.

wieder nicht anders, als durch ein Constitutum gedacht werden kann. Der Grund liegt wahrscheinlich darin: wegen der Mannigfaltigkeit der Gegenstände ist hier eine wirkliche Tradition sehr beschwerlich, folglich ungewöhnlich, folglich ist im Gegentheil dasjenige Geschäft gewöhnlich und zu präsumiren, welches allein eine wahre Tradition ersetzen kann, und dieses Geschäft ist eben das Constitutum.

Unsere Juristen sind von jeher weit entfernt gewesen, diese einfache Ansicht des Römischen Rechts, nach welcher nicht einmal ein eigner Name für dieses Institut nöthig gefunden wurde, zu der ihrigen zu machen. Das Constitutum schien Ihnen immer etwas sehr seltsames, eine der auffallendsten Fictionen bey dem Erwerb des Besitzes überhaupt, und es sind daher Viele darin übereingekommen, die allgemeine Anwendung des Constitutum für eine Erfindung der Praktiker zu erklären, in der Theorie also das Constitutum nur als Ausnahme, und nur in den Fällen gelten zu lassen, welche die Römischen Juristen zufällig gebraucht haben, die Anwendung ihrer Regel daran zu erläutern (1).

(1) Schon Azo (Summa in Cod. tit. de poss. n. 7. 8.) sagt bey dem Constitutum durch ususfructus: „et est hoc unum mirabile mundi.“ – Die gründlichste Schrift ist von G. Mascov (de const. poss., Harderov. 1733, auch in: opusc. ed. Püttmann. p. 101.), der aber auch die gewöhnliche Ansicht zum Grunde legt, und besonders durch das Eigenthümliche


(376) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

§. 28.

Der Erwerb des Besitzes ist jetzt vollständig dargestellt, und es ist aus dieser Darstellung klar, daß in diesem Erwerb Bestimmungen enthalten sind, welche ihn von dem Erwerb jedes andern Rechts unterscheiden. Alle bloß juristischen Gründe nämlich, welche außerdem den Erwerb eines Rechts begründen, oder unmöglich machen, haben diese Wirkung bey dem Besitz nicht.

Erstens also: bloß juristische Handlungen, in welchen nicht zugleich eine Apprehension liegt, geben den Besitz nicht. – So der Erwerb einer Erbschaft: alle Rechte überhaupt, insofern sie zum Vermögen gehören, also nicht bloß persönlich sind, gehen dadurch unmittelbar auf den Erben über, nur nicht der Besitz, da in dem Antritt der Erbschaft durchaus keine Apprehension für die einzelnen Sachen der Erbschaft liegt (1). Selbst bey

der Schenkung (S. 331.) sich verleiten läßt, das Verhältniß von Regel und Ausnahme völlig umzukehren. – Einige haben alles Constitutum abgeläugnet, die Sache selbst aber in jenen einzelnen Fällen dennoch zugelassen, und nur etwa anders erklärt: Giphanius in L. 10. de donat. (lectur. Altorph. p. 120. 121.). Schorch de const. poss. in LL. Rom. non fundato. Erf. 1732. – Völlig unbrauchbar ist: Tiraquellus de jure const. poss. (opp. T. 4. p. 135. ed. Frf. 1574).

(1) L. 23. pr. de poss. „Cum heredes instituti sumus, adita hereditate, omnia quidem jura ad nos transeunt: possessio tamen nisi naturaliter comprehensa ad nos non pertinet.“ – L. 1. §. 15. si is, qui test.


(377) §. 28. Resultate dieses Abschnitts.

dem suus heres gilt von dieser Regel keine Ausnahme (1). Mehrere neue Gesetzgebungen haben bey Erben überhaupt sehr inconsequent das Gegentheil bestimmt (2), was wohl aus einer mißverstandenen Stelle des Römischen Rechts selbst entstanden seyn mag (3). – Wie mit dem Erwerb der Erbschaft, so verhält es sich auch mit der Mancipation: diese konnte ohne Zweifel so vorgenommen werden, daß zugleich der Erwerb des Besitzes daraus erfolgte, ja bey beweglichen Sachen war dieses nothwendig; nicht so bey Grundstücken (4), folglich gieng bey diesen das Eigenthum ohne Besitz über, denn eine Apprehension war nicht vorhanden, und ein Constitutum,

liber. „ ... nec heredis est possessio, antequam possideat: quia hereditas in eum id tantum transfundit, quod est hereditatis: non autem fuit possessio hereditatis.“

(1) Giphanius lect. Alt. p. 480. Der Satz ist übrigens sehr bestritten.

(2) Das ist der Sinn der Regel: „le mort saisit le vif.“ (Tiraquellus in tract. le mort etc. opp. T. 4). Dasselbe gilt bey den Spanischen Majoraten. Leges Tauri num. 45. (Gomez in LL. Tauri p. 232. ed. Lugd. 1744. f.). – Vergl. C. A. Braun de poss. ipso jure in heredem transeunte. Erlang. 1744.

(3) L. 30. pr. ex quib. caus. maj. „ ... possessio defuncti, quasi juncta, descendit ad heredem.“ Cuiacius in L. 23. pr. de poss. (opp. T. 8. p. 287.). – Jene Stelle geht bloß auf die Fiction bey der Usucapion.

(4) Ulpianus in fragm. Tit. 19. §. 6: „Res mobiles non nisi praesentes mancipari possunt ... immobiles autem etiam plures simul, et quae diversis locis sunt, mancipari possunt.“


(378) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

wodurch dieselbe hätte ersetzt werden können, ist nicht zu präsumiren.

Zweytens: wenn die Bedingungen des Erwerbs vorhanden sind, so wird durch juristische Gründe der Ungültigkeit der Besitz nicht ausgeschlossen. – Im allgemeinen ist dieser Satz von jeher anerkannt worden, aber man hat ihn durch Ausnahmen beschränkt, welche in allen Fällen der fingirten Apprehension eintreten sollten (S. 229.): diese Ausnahmen sind ungegründet, weil es überhaupt keine fingirte Apprehension giebt.

Nach dieser Regel also kann selbst durch eine strafbare Handlung, namentlich durch körperliche Gewalt, Besitz erworben werden, und dieser Satz liegt so vielen bekannten Anwendungen zum Grunde, daß er auch durch folgende Stelle nicht zweifelhaft werden kann (1):

„Non videtur possessionem adeptus is, qui ita nactus est, ut eam retinere non possit.“

Das non videtur muß schon nach den Worten, nur in einer besondern Beziehung wahr seyn sollen, denn

(1) L. 22. de poss. (Javolenus lib. 13. ex Cassio). – Cuperus (P. 2. C. 23.) bezieht die Stelle äußerst gezwungen auf das interdictum quod legatorum, weil Javolenus in demselben Buche zweymal von Interdicten redet (L. 5. de tab. exhib. – L. 198. de R. I.): allein in zwey nicht sehr entfernten Stellen (lib. 15. ex Cassio) ist auch von furtum die Rede (L. 71. 73. de furtis).


(379) §. 28. Resultate dieses Abschnitts.

was man nicht behalten kann, muß man wohl für diesen Augenblick wirklich haben. Auch ist jene Beziehung leicht zu finden (1): eine res furtiva oder vi possessa kann nicht usucapirt werden, und diese Unmöglichkeit hört erst dann auf, wenn der Eigenthümer wieder in den Besitz derselben gekommen ist. Aber dieser Besitz muß auch so beschaffen gewesen seyn, daß er dauerhaft seyn konnte, d. h. er muß nicht wegen der Art seiner Entstehung haben angefochten werden können (2). Wenn aber der fundus vi possessus von dem Eigenthümer selbst mit Gewalt wieder eingenommen wird, oder wenn der Eigenthümer diese res furtiva durch ein gültiges precarium (3) wieder in den Besitz bekommt, so ist die Unmöglichkeit der Usucapion nicht aufgehoben, weil der Besitz des Eigenthümers in beiden Fällen durch Interdicte angefochten werden kann.

Was von dem gewaltsamen Erwerb gilt, muß um so mehr von solchen Handlungen behauptet werden, die

(1) Die Glosse zu unserer Stelle hat sie wirklich gefunden.

(2) L. 4. §. 12. 26. de usurp. – L. 13. §. 2. de V. S.

(3) S. o. S. 349. – Cujacius (obss. XXIV. 12.) scheint um ein taugliches Beyspiel für bewegliche Sachen sehr verlegen zu seyn: in dem Fall, welchen er anführt, ist gar keine res furtiva vorhanden. – Nach altem Recht gehörte dahin auch der Fall, wenn der Eigenthümer die ihm gestohlne Sache irgendwo mit Gewalt wegnahm, weil sie ihm durch das Int. utrubi wieder entzogen werden konnte. (Zus. der 6. Ausg.)


(380) Zweyter Abschnitt. Erwerb des Besitzes.

ihrer Form nach rechtlich, aber aus juristischen Gründen ungültig sind. – So wird durch die Schenkung eines Ehegatten kein Recht übertragen: der Besitz allein geht über (S. 73.). – Eben so kann durch die Tradition, die ein Rasender oder ein Pupill vornimmt, kein Eigenthum erworben werden, wohl aber Besitz (1). – Aus diesen juristischen Gründen nämlich ist immer nur die Succession für ungültig zu halten: Succession aber bezieht sich überhaupt nicht auf die Existenz des Besitzes (S. 26.), folglich kann diese nicht darum ausgeschlossen seyn, weil jene unmöglich ist.

(1) Die Gründe, aus welchen dieser Satz etwa bezweifelt werden könnte, gehören in den folgenden Abschnitt, denn sie betreffen die Frage: ob der Rasende oder der Pupill den Besitz in diesem Fall verliere? Daß unter dieser Voraussetzung der Andere ihn erwirbt, wird Niemand läugnen.


(381)

Dritter Abschnitt.

Verlust des Besitzes.

§. 29.

Im zweyten Abschnitt ist von dem Anfang des Besitzes geredet worden: hier soll das Ende desselben bestimmt werden. Diese Frage ist offenbar mit der nach der Fortdauer des Besitzes völlig gleichbedeutend, da jeder Besitz genau so lange fortdauern muß, als er nicht verloren wird. Hätten unsere Juristen diese einfache Bemerkung, die schon sehr frühe gemacht worden ist (1), benutzt, so würden sie ihren Theorien

(1) Azo in Summa Cod. tit. de poss. „Cum enim intitulatur de amittenda possessione, ergo de retinenda, vel quousque retineatur: tamdiu enim retinetur, quamdiu non amittitur.“ – Glossa in rubr. Dig. tit. de poss. not., „quod hic dicit amittenda, sed Cod. eod. dicit retinenda, quod in idem recidit, quia contrariorum eadem est disciplina.“ Bey dieser Gelegenheit pflegen die Commentatoren nach Accurs, selbst Alciat nicht ausgeschlossen, sehr gelehrt zu untersuchen, ob die Regel: „contrariorum


(382) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

nicht nur ein ganzes Kapitel, sondern auch manche Widersprüche erspart haben, indem nun zuweilen bey dem Verlust des Besitzes das Gegentheil von dem gesagt wird, was bey der Fortdauer behauptet worden war.

Es ist also jetzt die Regel aufzusuchen, nach welcher die Fortdauer, und mit dieser zugleich der Verlust des Besitzes, bestimmt werden könne. Wir wollen es versuchen, diese Regel zuerst aus dem Begriff des Besitzes abzuleiten: dieser Begriff hat durch die Untersuchung über den Erwerb des Besitzes bereits volle Bestimmtheit und Realität erhalten, und selbst diese Beziehung auf Fortdauer und Verlust ist schon oben (S. 271. 272.) vorläufig angedeutet worden.

Weil nämlich der Besitz gedacht wurde als physische Herrschaft, bezogen auf das Bewußtseyn, so war zu allem Erwerb zweyerley nöthig: ein körperliches Verhältniß und animus. Dasselbe muß sich auch bey der Fortdauer wieder finden: auch diese muß auf derselben Verbindung beruhen, wie der Erwerb, sie muß also ausgeschlossen seyn, wenn diese Verbindung aufgehoben ist, d. h. wenn entweder das körperliche allein, oder der animus allein, oder beide zugleich aufhören. Aller

eadem est disciplina“ auch wirklich überall wahr sey, z. B. auch im Canonischen Recht, im Lehnrecht u. s. w.


(383) §. 29. Regel für den Verlust.

Unterschied nämlich, der zwischen den Bedingungen des Erwerbs und der Fortdauer angenommen werden soll (S. 271.), kann durchaus nur den Grad, nicht das Wesen dieser Bedingungen betreffen, d. h. es muß sich immer ein Punct annehmen lassen, auf welchem aller Unterschied völlig verschwindet. Ein solcher Punct wäre z. B. bey dem körperlichen Verhältniß die völlige Unmöglichkeit, auf die Sache einzuwirken, bey dem animus der bestimmte Entschluß, nicht Besitzer zu seyn: und es ist klar, daß in beiden Fällen der Besitz eben so wenig anfangen als fortgesetzt werden könne, daß also hier die Bedingungen des Erwerbs und der Fortdauer völlig zusammen fallen.

Was hier gesagt worden ist, läßt sich in folgende Sätze zusammen fassen:

1. Soll der Besitz fortdauern, so muß ein körperliches Verhältniß und animus vorhanden seyn.

2. Hat das eine allein, oder das andere allein, oder haben beide zugleich aufgehört, so ist der Besitz verloren.

3. Diese Regel steht in einer unmittelbaren logischen Verbindung mit der Regel, welche den Erwerb des Besitzes bestimmt.

Wir wollen uns jetzt nach historischen Beweisen jener Regel umsehen: vielleicht, daß uns dabey der


(384) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

Standpunkt, aus welchem sie hier zuerst betrachtet worden ist, gute Dienste leistet.

§. 30.

Die Regel, die im vorigen §. aufgestellt worden ist, wird theils in vielen Anwendungen (1), theils in einigen Ausnahmen so bestimmt vorausgesetzt, daß schon dadurch der historische Beweis derselben als vollständig geführt gelten könnte. Außerdem steht die Regel selbst in einer Stelle, die man gerade dabey gewöhnlich übersieht.

L. 44. §. 2. de poss.

„ ... ejus quidem, quod corpore nostro teneremus (2), possessionem amitti vel animo, vel etiam corpore ...

Doch auch hier wird dieser Gegenstand nur gelegentlich berührt: dagegen findet sich eine andere Stelle, worin recht absichtlich eine allgemeine Regel für unsern Fall aufgestellt werden soll, und diese Regel – scheint der unsrigen gerade entgegengesetzt, indem sie weder das körperliche allein, noch den animus allein

(1) Hier nur vorläufig einige der bestimmtesten: L. 3. §. 13. L. 29. de poss. (Verlust durch bloßes factum). – L. 3. §. 6. L. 17. §. 1. de poss. (Verlust durch bloßen animus).

(2) Dieser Fall macht die Regel aus, und es sollen eben hier die Modificationen für den entgegengesetzten Fall angegeben werden.


(385) §. 30. Regel für dem Verlust (Forts.).

für hinreichend erklärt, den Besitz verlieren zu machen.

L. 153. de R. I. (1).

„Fere, quibuscunque modis obligamur, hisdem (iisdem) in contrarium actis liberamur: cum quibus modis adquirimus, hisdem in contrarium actis amittimus. Ut igitur (2) nulla possessio adquiri, nisi animo et corpore potest: ita nulla amittitur, nisi in qua utrumque in contrarium actum“ (3).

An einen Streit der alten Juristen ist theils nach der Natur des Gegenstandes, theils auch deswegen nicht zu denken, weil die Stelle von Paulus herrührt, in dessen Schriften gerade die entscheidendsten Anwendungen der richtigen Regel sich finden (4).

Bey weitem die meisten Interpreten suchen diese Schwierigkeit dadurch aufzuheben, daß sie die ganze Stelle bloß auf einen besondern, ausgenommenen Fall beziehen. Nämlich Grundstücke werden auch dann noch besessen, wenn schon ein Anderer sie occupirt hat, so

(1) Ich nenne diese Stelle die einzige, weil die L. 8. de poss. offenbar bloß ein Fragment derselben ist: die ganz unbedeutenden Abweichungen sollen sogleich bemerkt werden.

(2) Die L. 8. de poss., die erst hier anfängt, liest „quemadmodum“ anstatt „ut igitur.“

(3) L. 8. de poss.: „actum est.“

(4) L. 3. §. 6. 13. de poss.


(386) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

lange nur der bisherige Besitzer noch keine Nachricht davon hat. Deswegen unterscheidet man nun so: entweder soll solo animo der Besitz verloren werden, dann hat der Verlust keine Schwierigkeit, folglich ist dann die Regel des Paulus falsch: oder solo corpore, dann ist die Regel wahr, aber doch auch nur bey Grundstücken (1). – Allein der Jurist hat so offenbar die Absicht, eine allgemeine Regel aufzustellen, daß diese Erklärung durch alle Nebengründe, die man dafür aufgesucht hat (2), unmöglich entschuldigt werden kann.

(1) Bulgari et Placentini ad titt. ff. de R. I. comm., Colon. 1587. 8., p. 113. – Azo in Summa Cod. tit. de poss. num. 15. – Glossa in L. 3. §. 6. et in L. 8. de poss. Odofredus in L. 3. cit. (fol. 56.). – Cuiacius in notis ad §. 5. de interdictis, et in paratit. in Cod. tit. de poss. (auch: opp. T. 4. p. 625., T. 5. p. 710., T. 8. p. 258. 269. 877., T. 9. p. 1015.). – Giphanius in lect. Altorph. p. 420. 421. 422. – Merenda in contr. L. 12. C. 24. – Cuperus de poss. P. 2. C. 36. Man lasse sich nicht dadurch irren, daß Cuperus und Andere damit anfangen, eben diese Erklärung zu widerlegen, denn am Ende ist es immer dieselbe, nur etwas anders ausgedrückt. – Romuleus p. 18, der selbst dieser Meinung zugethan ist, führt eine merkwürdige Emendation anderer, von ihm nicht genannter, Juristen an: diese lesen in L. 8. de poss. „Non quemadmodum“ anstatt „Quemadmodum.“

(2) Cujacius legt viel Gewicht auf das Wort „fere“ („c’est à dire, le plus souvent, ou presque le plus souvent.“ Opp. T. 4. p. 625.), welches doch weder bey dem Besitz gebraucht ist, noch auch dabey einen so


(387) §. 30. Regel für den Verlust. (Forts.)

Alle Schwierigkeit liegt offenbar in dem Wort „utrumque:“ daß beides zugleich (corpus und animus) aufgehoben werden müsse, damit der Besitz verloren sey, das ist es, was allen übrigen Anwendungen zu widersprechen scheint. Zuerst ist also die Bedeutung von uterque festzustellen (1).

Uterque wird überhaupt gebraucht, wenn die gemeinschaftliche Beziehung eines Prädicats auf mehrere Subjecte (oder umgekehrt) bezeichnet werden soll. Hierin kann nun aber ein dreyfacher Fall eintreten:

großen Unterschied machen könnte. Giphanius und Cuperus sehen vorzüglich auf die Inscription.

(1) Ich kenne nur Eine Erklärung, die einen etwas ähnlichen Weg einschlägt, indem sie den Text ändert und „utrumcunque“ liest (Friesen de genuina poss. indole, Ienae 1725. §. 14.): selbst diese Emendation ist weit weniger gewaltsam, als die gewöhnliche Erklärung. – Die bescheidenste Emendation wäre: utcumque, und nun wäre der Sinn dieser: „kein Besitz ist verloren, in welchem nicht auf irgend eine Weise in contrarium gehandelt worden ist, “ nämlich in contrarium der Bedingungen des Erwerbs, die unmittelbar vorher genannt wurden. Nun wäre alle Schwierigkeit gehoben (§. 29.). Diese Emendation findet sich auch bey Suse in Gurlitt animadv. ad auctt. veteres Spec. 3. p. 18. (1806). Man hat dagegen eingewendet, actum est ohne ein ausgedrücktes Subject könne in dieser Verbindung nicht gebraucht werden: aber gerade so gebraucht es derselbe Paulus in L. 5. de her. vel act. vend. – Indessen hat freylich jede Emendation hier noch den besondern Grund gegen sich, daß die Stelle mit derselben gleichförmigen Leseart aller Handschriften zweymal in den Pandekten steht.


(388) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

1) Bestimmte Behauptung einer conjunctiven Beziehung, so daß in jedem gegebenen Fall das eine Subject nie ohne das andere seyn soll. Dieses ist die gewöhnliche Bedeutung von uterque.

2) Bestimmte Behauptung einer disjunctiven Beziehung, so daß in jedem gegebenen Fall das eine Subject nie mit dem andern vereinigt seyn soll, so daß das Prädicat so gut dem einen allein, als dem andern allein, aber nie beiden neben einander, zukommt. Das ist die gewöhnliche Bedeutung von alteruter.

3) Unbestimmte Behauptung, so daß nur die gemeinschaftliche Beziehung überhaupt ausgedrückt wird, daß es aber völlig unentschieden bleibt, ob dieselbe eine conjunctive oder disjunctive seyn soll, sey es nun, daß man dieses nicht weiß, oder daß man es nur jetzt nicht beachtet und ausdrückt. Auch in dieser Bedeutung kommt uterque und alteruter vor, so daß dadurch beide Ausdrücke oft gleichbedeutend werden, ja daß für einzelne Fälle der falsche Schein entsteht, als solle uterque genau das disjunctive Verhältniß im Gegensatz des conjunctiven, alteruter eben so das conjunctive im Gegensatz des disjunctiven bezeichnen.

So kommt uterque vor gleichbedeutend (in dem


(389) §. 30. Regel für den Verlust. (Forts.)

angegebenen Sinn) mit alteruter, unter andern in folgenden Stellen (1):

Varro de re rust. I. 2. §. 14.

„Quocirca principes, qui utrique rei praeponuntur, vocabulis quoque sunt diversi, quod unus vocatur vilicus, alter magister pecoris.“

Cicero de officiis III. 15.

„Uterque, si ad eloquendum venerit, non plus quam semel eloquetur.“

Paulus in L. 10. §. 13. de gradibus:

„Frater quoque per utrumque parentem accipitur, id est, aut per matrem tantum, aut per patrem, aut per utrumque.“ (Das

(1) Diese Bedeutung von uterque steht schon in der Glosse (in L. 8. §. 5. C. de bon. quae lib.): ferner in den Zusätzen zu Brisson (p. 1372. ed. Heinecc.), aber Eine Stelle, die da angeführt wird (L. 2. pr. de eo, quod certo loco), beweißt nichts, und die L. 16. de leg. 2. fehlt ganz. – Azonis Brocardica (Basil. 1576. 8.) p. 199. „Utrumque id est alterum. C. de bon. quae lib. l. ult. §. ipse: ff. de contr. emt. l. sed Celsus §. si fundum, ff. de pact. l. rescriptum §. si pactum, ff. de pignor. l. si grege §. 2.“ – Azonis Glossa in L. 8. §. 5. C. de bon. quae lib. (Ms. Paris. num. 4519. und gleichlautend in der Fuldaischen Handschrift des Codex) zu v. utraque: „disjunctive id est ex hac vel ex illa, non conjunctim: sic ff. de pactis rescriptum §. si pacto ff. de lib. et posth. Si ita, et ita ponitur unicuique disjunctive S. comm. divid. penult. Az.“


(390) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

erstemal steht hier utrumque unbestimmt, das zweytemal bestimmt als Ausdruck des conjunctiven Verhältnisses).

Celsus in L. 16. de leg. 2.

„Si Titio aut Sejo, utri heres vellet, legatum relictum est: heres alteri dando, ab utroque liberatur: si neutri dat, uterque perinde petere potest, atque si ipsi soli legatum foret, nam ut stipulando duo rei constitui possunt (1), ita et testamento potest id fieri.“

Justinian in L. 8. §. 5. C. de bon. quae liberis (2).

„Ipsum autem filium ... alere patri necesse est ... et ab ipsis liberis parentes, si inopia ex utraque parte vertitur.“

(1) Aus dieser Vergleichung mit gewöhnlichen Correis erhellt ganz offenbar, daß durch die wirkliche Forderung des Einen das Recht des Andern ausgeschlossen seyn soll, und daß es nur gleichgültig ist, Wer von Beiden fordert, daß also nicht beide neben einander auftreten können.

(2) In dieser Stelle ist die Sache so klar, daß Haloander in den Text gesetzt hat: alterutra. Allein daraus folgt nicht, daß er diese Leseart in einer Handschrift gefunden habe, die Glosse sucht die besondere Bedeutung, die hier utraque hat, ausführlich zu rechtfertigen, ohne einer Variante zu erwähnen, und die späteren Editoren haben das alterutra offenbar bloß nach Haloander in den Text aufgenommen, oder als Variante


(391) §. 30. Regel für den Verlust. (Forts.)

In derselben Bedeutung steht in einer Constitution von Alexander Sever unusquisque: L. 3. C. de comm. div.

„ ... Cum autem regionibus dividi commode aliquis ager inter socius non potest, vel ex pluribus singuli: aestimatione justa facta, unicuique sociorum adjudicantur ...

Endlich auch umgekehrt steht alteruter in derselben Bedeutung unter andern in einer Stelle des Ulpian: L. 1. §. 3. uti possidetis:

„ ... aut convenit inter litigatores, uter possessor sit, uter petitor, aut non convenit. Si convenit, absolutum est ... Sed si inter ipsos contendatur, uter possideat, quia alteruter se magis possidere adfirmat“ etc. (Wenn zwischen beiden Streit über den Besitz seyn soll, so muß wohl Jeder (uterque) behaupten, se magis possidere).

In unserer Stelle nun ist der Gang der Gedanken dieser. Bey Obligationen ist in der Regel die Auflösung

bemerkt. Russard z. B. sagt ausdrücklich, in allen seinen Handschriften stehe utraque. Auch die 9 Pariser Mspte, worin ich die Stelle nachgeschlagen habe, lesen utraque (einige mit der Interlinarglosse i. e. ex altera, wodurch die Sicherheit unserer Leseart noch verstärkt wird), eben so zwey Wiener Handschriften, zwey mir gehörige, und die Fuldaische.


(392) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

ähnlich der Entstehung, so daß sie auf demselben Handeln beruht, wie diese, und weder ohne alles Handeln, noch auch durch ein Handeln anderer Art (z. B. durch pactum anstatt einer acceptilatio) vor sich gehen kann. Eben so ist es bey dem Besitz. So wie nämlich dieser durch ein bestimmtes Handeln (und zwar durch zwiefaches Handeln, körperliches und geistiges) erworben wird, so wird er auch nur durch das umgekehrte Ereigniß verloren, und zwar ist dieses wahr für beide Erwerbgründe, d. h. sowohl für das körperliche Ereigniß, als für das geistige Handeln. – Offenbar liegt also hier der Accent nicht auf utrumque, sondern auf in contrarium actum est; es sollte gesagt werden, daß der Verlust eintreten könne weder ohne alle neue Thatsache (1), noch durch eine Thatsache anderer Art, sondern nur durch dieselbe, wodurch auch der Erwerb vor sich gehe, und zwar gelte diese nothwendige Gleichartigkeit nicht etwa bloß für das körperliche, noch auch bloß für das geistige, sondern für beide gemeinschaftlich. – Man hätte nun allerdings noch weiter fragen können, ob diese gemeinschaftliche Beziehung eine conjunctive oder eine disjunctive sey; allein

(1) Hierin eben liegt das Positive und Wichtige dieser Regel; es wird darin gewarnt gegen den möglichen Irrthum, als könne der Besitz auch verloren werden durch bloße Entfernung des Besitzers von der Sache, oder durch bloßes Nichtbewußtseyn. (§. 31. 32.) (Zus. der 6. Ausg.)


(393) §. 30. Regel für den Verlust (Forts.)

davon war hier gar nicht die Frage gewesen, dieses bleibt also in unserer Stelle gänzlich dahin gestellt, und uterque ist daher in der dritten unter den oben entwickelten Bedeutungen gebraucht, so daß unsre Stelle über diesen Punct gar nichts aussagt (1).

Die Richtigkeit dieser Erklärung könnte indessen wegen des innern Zusammenhangs unserer Stelle von einer andern Seite bestritten werden. Offenbar nämlich soll der Verlust mit dem Erwerb verglichen werden (2), nun ist

(1) Ich halte also jetzt die Behauptung der ersten und zweyten Ausgabe für unrichtig, nach welcher hier uterque gerade für alteruter stehen, also ausdrücken sollte, daß nur eins von beiden erfordert werde, nicht beides zugleich. Wenn das Wort auch wirklich jemals diese bestimmte Bedeutung hätte, so wäre es doch eine ganz unbegreifliche Nachlässigkeit, wenn Paulus, um das disjunctive Verhältniß auszudrücken, den Ausdruck gewählt hätte, der in den allermeisten Fällen gerade dazu dient, das conjunctive im Gegensatz des disjunctiven zu bezeichnen. – Das wesentliche meiner gegenwärtigen Erklärung findet sich schon bey Thibaut A. L. Z. Ergänzungsblätter 1806. B. 2. S. 534. Desgleichen auch (nur von anderer Seite aufgefaßt) bey Hugo Gött. Anz. 1804. S. 295, 1807. S. 1909; denn allerdings wird nunmehr nicht sowohl eine eigenthümliche Bedeutung des Worts uterque behauptet, als vielmehr eine verschiedenartige logische Beziehung, worin der Ausdruck angewendet wird, und insofern kann man wohl sagen, daß derselbe Fall in allen Sprachen vorkommen könne.

(2) „ ... quibus modis adquirimus, iisdem in contrarium actis amittimus. Ut igitur nulla possessio adquiri … potest: ita nulla amittitur … “ (S. 385.).


(394) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

zu dem Erwerb das körperliche und zugleich der animus nöthig, also (scheint es) auch zu dem Verlust. Allein selbst abgesehen davon, daß Paulus diese Frage eigentlich gar nicht beantworten will, ist auch in der That dieses Resultat der Vergleichung nur scheinbar: „corpus und animus zugleich ist zum Erwerb nothwendig“ heißt nichts anders, als: „der Erwerb ist bedingt durch die Verbindung von corpus und animus, “ demnach wird nur dann der Erwerb mit dem Verlust verglichen werden können, wenn der Verlust eine Folge dieser aufgehobenen Verbindung ist. Aufgehoben aber ist diese Verbindung nicht erst dann, wenn beide Stücke zugleich aufgehört haben, sondern wenn auch nur Eins von Beiden nicht mehr vorhanden ist.

So ist folglich auch durch Interpretation bewiesen, daß die Fortdauer des Besitzes, wie der Erwerb desselben, auf corpus und animus zugleich beruhen müsse, oder (was dasselbe sagt), daß sowohl durch corpus als durch animus allein der Besitz verloren werden könne. – Diese Regel soll jetzt durch die Anwendung theils erläutert, theils näher bestimmt werden.

Nun kann aber, wie der Erwerb, so auch die Fortdauer des Besitzes, durch fremde Handlungen begründet seyn: demnach wird das Detail dieser Untersuchung überhaupt auf folgende Puncte gerichtet seyn müssen:


(395) §. 31. Verlust durch äußere Begebenheit.

A) Das körperliche Verhältniß, als erste Bedingung der Fortdauer des Besitzes (§. 31.).

B) Animus, als zweyte Bedingung derselben (§. 32.).

C) Modification dieser Regeln bey der Fortsetzung des Besitzes durch Stellvertreter (§. 33.).

§. 31.

Die erste Bedingung der Fortdauer des Besitzes ist ein physisches Verhältniß zu der besessenen Sache, wodurch es uns möglich ist, auf dieselbe einzuwirken. Diese Möglichkeit aber muß nicht etwa, wie bey dem Erwerb des Besitzes, eine unmittelbare, gegenwärtige Möglichkeit seyn (S. 270.), sondern es ist hinreichend, wenn nur dieses Verhältniß unmittelbarer Herrschaft nach Willkühr reproducirt werden kann (1), und der Besitz ist auf diese Weise erst dann verloren, wenn die willkührliche Einwirkung ganz unmöglich geworden ist. – Diese Regel soll jetzt theils auf bewegliche, theils auf unbewegliche

(1) L. 3. §. 13. de poss. „Nerva filius, res mobiles, excepto homine, quatenus sub custodia nostra sint, hactenus possideri: idem quatenus, si velimus, naturalem possessionem nancisci possimus.“ Daß Nerva die Regel nur für bewegliche Sachen, und noch mit Ausnahme der Sclaven, gelten lassen will, thut ihrer Realität als Regel keinen Eintrag. Denn bey Sclaven und bey Grundstücken sind Ausnahmen im Römischen Recht ausdrücklich anerkannt: bey Sclaven, indem der servus fugitivus besessen wird, bey Grundstücken, indem ihr Besitz nicht eher verloren wird, als der Besitzer den Verlust erfährt.


(396) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

Sachen angewendet werden. Mehrere Anwendungen aber verstehen sich so sehr von selbst, daß sie einer näheren Erläuterung nicht bedürfen. Dahin gehört der Tod des Besitzers, die Sclaverey, in welche derselbe fällt (1), und der Untergang der besessenen Sache, sowohl der körperliche Untergang, als der juristische (2). Andere Anwendungen dagegen müssen genauer unersucht und bestimmt werden.

Der Besitz einer beweglichen Sache wird zuerst dadurch verloren, daß ein Anderer sich derselben bemächtigt, einerley, ob mit Gewalt oder heimlich (3): und hier ist die Ausschließung unsrer eignen Herrschaft über diese Sache sehr entschieden. Ob der Andere den Besitz wirklich erworben habe, ist ganz gleichgültig; wenn z. B. ein fremder Sclave, ohne Befehl seines Herrn, sie entwendet, so erwirbt diesen Besitz weder der Sclave (S. 136.), noch der Herr (4), aber Wir verlieren ihn dennoch, da uns die physische Möglichkeit, über die Sache zu verfügen, darum nicht weniger entzogen ist, weil kein

(1) L. 30. §. 3. de poss.

(2) Wenn die Sache extra commercium kommt oder specificirt wird. L. 30. §. 3. 4. de poss.

(3) L. 15. de poss. „Rem quae nobis subrepta est, perinde intelligimur desinere possidere, atque eam, quae vi nobis erepta est ... “

(4) Denn sonst müßte entweder in dem Willen des Herrn (S. 354.), oder in der peculiaris causa (S. 358.) der Grund des Besitzes liegen: beides aber fehlt (vergl. L. 24. de poss.).


(397) §. 31. Verlust durch äußere Begebenheit.

Anderer das Recht des Besitzes hat. Anders verhält es sich freylich, wenn der Sclave des Besitzers selbst die Sache stiehlt (1), aber hier gründet sich die Fortsetzung des Besitzes bloß darauf, daß der Dieb selbst, also vermittelst desselben auch die gestohlene Sache, in unsrem Besitze ist. – Aber auch ohne die Einwirkung eines Andern kann die Möglichkeit der unsrigen ausgeschlossen seyn, wenn nämlich der Ort, an welchem sie sich befindet, uns entweder unzugänglich (2), oder unbekannt ist (3). Doch ist bey dem letzten Punct noch eine besondere Bemerkung nöthig. Wer eine Sache in seinem Hause aufbewahrt, oder einen Schatz im Felde vergräbt, verliert den Besitz nicht, wenn er auch die Sache nicht sogleich finden kann (4): denn die besondere Anstalt, die

(1) L. 15. de poss. (s. u. §. 33.).

(2) L. 13. pr. de poss. „ ... cum lapides in Tiberim demersi essent naufragio et post tempus extracti ... dominium me retinere puto, possessionem non puto.“ Es versteht sich, daß ein vorübergehendes Hinderniß, wie z. B. die Ueberschwemmung des Ackers, den man besitzt, die Zerstörung einer Brücke, die dahin führt u. s. w., den Besitz nicht entzieht.

(3) L. 25. pr. de poss. „Si id, quod possidemus, ita perdiderimus, ut ignoremus, ubi sit: desinimus possidere.“ Vergl. L. 3. §. 13. de poss.

(4) L. 3. §. 13. de poss. „ ... desinere a nobis possideri ... Dissimiliter atque si sub custodia mea sit, nec inveniatur: quia praesentia ejus sit, et tantum cessat interim diligens inquisitio.“ – L. 44. pr. de poss. „Peregre profecturus, pecuniam in terra custodiae causa condiderat:


(398) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

zu ihrer Aufbewahrung getroffen ist (custodia) (1), sichert ihm das Finden für die Zukunft. Also der Besitzer muß entweder bestimmt den Ort wissen, wo seine Sache ist, oder sie in einer besondern custodia haben: allgemeine Bedingung der Fortdauer ist die custodia nicht (2), und wer z. B. eine Sache im Walde liegen läßt, und sich nachher bestimmt derselben erinnert, hat ihren Besitz durchaus nicht verloren. Daraus ist folgende Stelle zu erklären:

L. 3. §. 13. de poss.

„Nerva filius (3), res mobiles ... quatenus sub custodia nostra sint, hactenus

cum reversus locum thesauri immemoria non repeteret ... Dixi quoniam custodiae causa pecunia condita proponeretur, jus possessionis ei, qui condidisset, non videri peremptum: nec infirmitatem memoriae damnum adferre possessionis, quam alius non invasit.“

(1) Das nämlich ist die allgemeine Bedeutung von custodia, und die Verschiedenheit bey dem Erwerb und Verlust (S. 273.) ist bloß graduell.

(2) Dagegen kann durchaus nicht angeführt werden: L. 47. de poss. „ ... rerum mobilium neglecta atque omissa custodia, quamvis eas nemo alius invaserit, veteris possessionis damnum adferre consuevit: idque Nerva filius retulit.“ Das „consuevit“ bezeichnet nicht eine juristische Regel, sondern das, was aus der omissa custodia sehr oft erfolgt, und das läßt sich dabey nicht läugnen. Papinian citirt ohnehin den jüngern Nerva, von dessen Meinung sogleich weiter die Rede seyn wird.

(3) sc. ait.


(399) §. 31. Verlust durch äußere Begebenheit.

possideri: Idem (1), quatenus si velimus naturalem possessionem nancisci possimus.“ – D. h. „Nerva sagt, die Fortdauer des Besitzes könne begründet werden durch custodia: derselbe (Nerva) sagt, sie könne auch bloß dadurch begründet seyn, daß der Besitzer im Stande ist, die natürliche Detention zu erlangen, sobald er will.“ – Nämlich wer seine Sache im Hause hat, aber nicht finden kann, von dem kann man nicht sagen: si velit, naturalem possessionem nancisci potest, und wer sich erinnert, an welchem Ort im Walde seine Sache liegen müsse, von dem kann man nicht sagen: sub custodia ejus est. Also sollen diese zwey Sätze nicht sich wechselseitig erläutern (weshalb die Florentinische Leseart id est zu verwerfen ist), sondern zwey verschiedene Wege der Fortsetzung des Besitzes beschreiben: auch zeigen die Beyspiele, die in unserer Stelle folgen, sehr deutlich, daß in keinem der hier angegebenen Fälle der Besitz als verloren gelten soll.

(1) sc. ait, hactenus possideri. „Idem“ lesen drey Pariser Mss. (num. 4454. 4458. 4458 a.) und Ed. Rom. 1476., die Florentinische Handschrift hat: „id est“, die meisten Manuscripten und Ausgaben aber eine bloße Abbreviatur (i.). „Item“ gäbe auch einen richtigen Sinn.


(400) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

Auf den Besitz der Thiere sind diese Regeln so anzuwenden.

A) Zahme Thiere werden besessen, wie alle andere bewegliche Sachen, d. h. ihr Besitz hört auf, wenn sie nicht wieder gefunden werden können (1). – B) Wilde Thiere werden nur so lange besessen, als eine besondere Anstalt (custodia) vorhanden ist, die es uns möglich macht, sie wirklich zu ergreifen (2). Also nicht jede custodia überhaupt ist hier hinreichend; wer z. B. wilde Thiere in einem Park hält, oder Fische in einem See, hat allerdings etwas gethan, um sie aufzubewahren, aber es hängt nicht von seinem Willen,

(1) L. 3. §. 13. de poss. „ ... pecus simul atque aberraverit ... desinere a nobis possideri.“ – Ganz ähnliche Grundsätze galten bey dem Besitz der Sclaven, nur machte der animus revertendi einigen Unterschied (L. 47. de poss.), an einem flüchtigen Sclaven wurde Besitz fingirt (L. 15. §. 1. de usurp., L. 13. pr. L. 15. de poss., s. o. S. 356.), und durch das liberale judicium wurde er bloß suspendirt (S. 356.).

(2) L. 3. §. 2. L. 5. pr. de adqu. rer. dom. (§. 12. I. de rer. div.) „Quidquid autem eorum ceperimus, eo usque nostrum esse intelligitur, donec nostra custodia coercetur, cum vero evaserit custodiam nostram, et in naturalem libertatem se receperit: nostrum esse desinit, et rursus occupantis fit. – Naturalem autem libertatem recipere intelligitur, cum vel oculos nostros effugerit, vel ita sit in conspectu nostro, ut difficilis sit ejus persecutio.“ – Hier ist nämlich der einzige Fall, in welchem der Verlust des Besitzes zugleich den Verlust des Eigenthums zur Folge hat, so daß das Eine für das Andere gesetzt werden kann.


(401) §. 31. Verlust durch äußere Begebenheit.

sondern von vielen Zufällen ab, ob er sie wirklich fängt, wenn er will, folglich ist hier der Besitz nicht erhalten: ganz anders, wenn Fische in einem Fischkasten, oder andere Thiere in einem Zwinger eingeschlossen sind, weil sie nun in jedem Augenblick ergriffen werden können (1). – C) Thiere, die von Natur wild, aber durch Kunst gezähmt sind, werden den zahmen Thieren gleich behandelt, so lange sie zu dem Orte zurückzukehren pflegen (donec animum i. e. consuetudinem

(1) L. 3. §. 14. 15. de poss. „Item feras bestias, quas vivariis incluserimus, et pisces, quos in piscinas conjecerimus, a nobis possideri. Sed eos pisces, qui in stagno sint, aut feras, quae in silvis circumseptis vagantur, a nobis possideri ... Aves autem possidemus, quas inclusas habemus“ etc. – Daß hier der Gegensatz durch den größeren und geringeren Umfang bestimmt werde, ist sehr klar, und schon die Glosse hat so die Stelle verstanden. Eine silva circumsepta kann sehr groß seyn, und man kann vergeblich darin jagen, ohne ein bestimmtes Thier zu fangen, das darin eingeschlossen ist, also hat man den Besitz desselben nicht, obgleich das Thier in dem Walde selbst eingeschlossen ist. Es ist demnach nicht nöthig, mit Hotmann (obss. VIII. 7.) zu lesen: „silvis non circumseptis“, oder mit Fleck (de poss. p. 82.) diese Worte von einer solchen Begränzung zu verstehen, die das Thier nicht hindert, zu entfliehen, oder endlich mit Sammet (opusc. p. 162.) zu sagen „sylva circumsepta est, quae fines habet arcifinios.“. Daß sich viele mit der Leseart „evagantur“ aufhalten, ist ganz unbegreiflich, da alles, was dadurch etwa geändert werden könnte, durch das „in silvis“ ausgeschlossen ist. Sehr ausführlich, aber nicht sehr gut,


(402) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

revertendi habent), an welchem der Besitzer sie aufbewahrt (1).

Bey unbeweglichen Sachen ist die Regel für den Verlust des Besitzes ganz dieselbe. Auch dabey also wird der Besitz verloren, sobald die Möglichkeit der Einwirkung auf die Sache aufgehoben ist – fortgesetzt, so lange diese Möglichkeit dauert, nur daß der Begriff dieser Möglichkeit auch hier dem Grade nach anders bestimmt werden muß, als bey dem Erwerb (S. 274.).

Verloren also wird der Besitz eines Grundstücks durch jede Handlung, welche dem bisherigen Besitzer die Einwirkung auf die Sache unmöglich macht. Eine solche Handlung kann erstens darin liegen, daß der Besitzer in dem Grundstück als Sclave behandelt oder eingesperrt wird (2): zweytens (und dieser zweyte Fall ist bey weitem der häufigste), darin, daß dem

handelt von dieser Stelle und ihren Interpreten: Nettelbladt, diss. de vero sensu L. 3. §. 14. de poss. Hal. 1774.

(1) L. 4. L. 5. §. 4. 5. de adqu. rer. dom. (§. 14. 15. I. de rer. div.) L. 3. §. 15. 16. de poss.

(2) L. 1. §. 47. de vi: „Quid dicturi essemus, tractat, si aliquo possidente ego quoque ingressus sum in possessionem, et non dejiciam possessorem, sed vinctum opus facere cogam? quatenus res, inquit, esset? Ego verius puto, eum quoque dejectum videri, qui illic vinctus est. – Paulus V. 6. §. 6.: „Vi dejectus videtur et qui in praedio vi retinetur ... “


(403) §. 31. Verlust durch äußere Begebenheit.

Besitzer die Gegenwart in dem Grundstück unmöglich gemacht wird (1). Ob und in diesem Fall der, welcher die Gegenwart hindert, selbst besitzen, oder bloß den fremden Besitz aufheben will, z. B. um die angefangene Usucapion zu unterbrechen, ist völlig gleichgültig (2). Mehr Schwierigkeit hat die Frage, ob auch dann der Besitz verloren sey, wenn der Besitzer nicht wirklich herausgeworfen ist, sondern aus Furcht das Grundstück vorher verläßt? Einige Stellen nehmen hier ganz bestimmt den Besitz als verloren an:

L. 33. §. 2. de usurp.

„Si dominus fundi homines armatos venientes extimuerit (3), atque ita profugerit, quamvis nemo eorum fundum ingressus fuerit, vi dejectus videtur.“

L. 9. pr. quod metus.

„ ... non videor vi dejectus, qui dejici non exspectavi, sed profugi. Aliter atque

(1) Der technische Ausdruck ist dejectio (s. u. §. 40.)

(2) L. 4. §. 22. de usurp.

(3) extimuerit ist eine Conjectur von Cujacius (in L. 9. pr. qu. metus und L. 33. §. 2. de usurp., opp. T. 1. p. 962. 1133.), die durch Russard’s Variante: „extimaverit“ sehr viel an Wahrscheinlichkeit gewinnt, weil nun allein das a. wegzustreichen ist. Das gewöhnliche „existimaverit“ giebt einen falschen Sinn und zugleich eine falsche Construction („venientes existimaverit“ anstatt „venire existimaverit.“)


(404) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

si posteaquam ingressi sunt (1), tunc discessi.“

Cicero pro Caecina Cap. 16.

„ ... usitatum, cum ad vim faciundam veniretur, si quos armatos, quamvis procul, conspexissent, ... optime sponsionem facere possent, ni adversus edictum praetoris vis facta esset.“

L. 3. §. 6. de vi:

„Si quis autem visis armatis, qui alibi tendebant ... profugerit, non videtur dejectus ...

Andere Stellen dagegen scheinen den Besitz für fortdauernd zu erklären:

L. 9. pr. quod metus:

„Denique tractat (Pomponius), si fundum meum dereliquero audito quod quis cum armis veniret, an huic Edicto locus sit? et refert, Labeonem existimare, Edicto locum non esse, et unde vi interdictum cessare: quoniam non videor vi dejectus, qui dejici non exspectavi, sed profugi ... “

(1) Auf das wirkliche Eingehen kommt es hier, wie überall, nicht an, sondern auf die unmittelbare Gegenwart, die durch das „ingressi sunt“ bezeichnet werden soll.


(405) §. 31. Verlust durch äußere Begebenheit.

L. 1. §. 29. de vi:

„Idem Labeo ait, eum qui metu turbae perterritus fugerit, (vi) videri dejectum. Sed Pomponius ait, vim sine corporali vi locum non habere. Ergo (1) etiam eum qui fugatus est supervenientibus quibusdam, si illi vi occupaverunt possessionem, videri vi dejectum.“

L. 3. §. 7. de vi.

Paulus V. 6. §. 4.

Diesen Widerspruch haben Mehrere dadurch aufzuheben gesucht, daß sie die erste Classe von Stellen auf gegenwärtige, die zweyte auf zukünftige Gefahr bezogen haben (2). Allein so richtig auch diese Unterscheidung an sich ist, so ist es doch irrig, sie auf die Fortdauer des Besitzes zu beziehen, indem sie nur

(1) Ergo lesen drey Pariser Mss. (4458. a., 4486., 4486. a.), ferner Cod. Rehd., Edd. Rom. 1476. Nor. 1483. Ven. 1485. Ven. 1494. Lugd. 1509. 1513. Paris. 1514. 1536. – Florent. „ego“ , eben so auch viele andere Handschriften. – Glossa: „al. ergo, al. ego.“ – Ließt man ego, so macht Ulpian den Vermittler zwischen Labeo und Pomponius: allein zwischen beiden war kein Streit, wie die vorhergehende Stelle zeigt, und Pomponius will hier nur den unbestimmten Ausdruck des Labeo berichtigen.

(2) Cujacius (s. o. S. 403.) und Cras spec. jpr. Cic. p. 22-25. Ich habe in der zweyten Ausgabe dieselbe Meinung vertheidigt.


(406) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

für die dejectio wahr ist: in der That sprechen nämlich die Stellen der letzten Classe gar nicht von der wirklichen Fortdauer des Besitzes, sondern sie läugnen nur die dejectio: das int. de vi also soll hier nicht begründet seyn (und eben so wenig die actio quod metus causa), das ist der einzige Inhalt dieser Stellen, der Besitz aber ist auf jeden Fall verloren, wenn auch nicht corpore, doch wenigstens animo (1). – In allen diesen Fällen aber ist es ganz einerley, auf welche Art die Gegenwart in dem Grundstück unmöglich gemacht wird: d. h. es ist einerley, ob der Besitzer in der That herausgeworfen, oder ob er hineinzugehen gehindert wird (2).

Dagegen dauert der Besitz eines Grundstücks fort, so lange die Möglichkeit willkührlicher Einwirkung nicht aufgehoben wird, und stete körperliche Gegenwart des Besitzers, die in den meisten Fällen sogar völlig unmöglich wäre, ist dazu durchaus nicht

(1) Hufeland neue Darstellung S. 157. u. fg.

(2) L. 1. §. 24. de vi: „ ... si quis de agro suo, vel de domo processisset nemine suorum relicto, mox revertens, prohibitus sit ingredi vel ipsum praedium, vel si quis eum in medio itinere detinuerit et ipse possederit, “ (d. h. das detinere muß eben diesen Zweck erreicht haben) „vi dejectus videtur.“ Vergl. L. 3. §. 8. de vi. Paulus V. 6. §. 6.


(407) §. 31. Verlust durch äußere Begebenheit.

nöthig (1). Es ist wichtig, diesen Satz aus dem Gesichtspunct zu betrachten, aus welchem er hier aufgestellt worden ist, d. h. als bloße Folge aus der allgemeinen Regel der Fortdauer, durchaus nicht als Ausnahme dieser Regel. Nur von diesem Standpunct aus kann eine Ausdehnung dieses Satzes völlig verstanden werden, worin in der That eine Ausnahme der vorher für den Verlust des Besitzes unbeweglicher Sachen aufgestellten Regel enthalten ist.

Daß nämlich durch bloße Abwesenheit des Besitzers von der besessenen Sache der Besitz nicht aufhöre, wurde um deswillen als Folge eines allgemeinen Grundsatzes betrachtet, weil durch diese Abwesenheit die physische Möglichkeit willkührlicher Behandlung zwar in eine

(1) L. 3. §. 11. de poss. „Saltus hibernos aestivosque animo possidemus, quamvis certis temporibus eos relinquamus.“ – L. 1. §. 25. de vi. „Quod vulgo dicitur, aestivorum hibernorumque saltuum nos possessiones animo retinere: id exempli causa didici Proculum dicere, nam ex omnibus praediis, ex quibus non hac mente recedemus (recedimus), ut omisisse (amittere) possessionem vellemus, idem est.“ – Die saltus hiberni aestivique sind große Viehweiden, auf denen das Vieh theils im Winter (wie in den Maremmen), theils bloß im Sommer (wie oben auf den Apenninen) sich aufhält, die also ihrer Bestimmung nach die andere Hälfte des Jahrs unbenutzt liegen. L. 67. de leg. 3. Varro de re rust. Lib. 2. Cap. 1. (T. 1. p. 220. script. rei rust. ed. Schneider).


(408) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

entferntere Möglichkeit verwandelt, aber nicht überhaupt aufgehoben wird. Tritt also zu dieser Abwesenheit noch etwas anders hinzu, was jene Möglichkeit in der That aufhebt, so müßte, wenn jene Regel rein angewendet werden sollte, der Verlust des Besitzes allgemein behauptet werden. Hier aber ist es, wo jene Regel durch eine merkwürdige Ausnahme beschränkt wird. Denn wenn in unserer Abwesenheit das Grundstück, welches wir besaßen, von einem Andern occupirt wird, der unsere Rückkehr gewaltsam zu verhindern im Stande ist, so ist uns von diesem Augenblick an die physische Möglichkeit auf die Sache zu wirken eben sowohl entzogen, als wenn ein Dieb eine bewegliche Sache aus unsrem Hause entwendet: dennoch soll in jenem Fall der bisherige Besitz so lange noch fortdauern, als der vorige Besitzer von jener Occupation keine Nachricht hat.

Ehe ich den Satz selbst beweise, der hier aufgestellt worden ist, will ich auf einige andere Sätze aufmerksam machen, die, wenn er wahr ist, nothwendig auch wahr seyn müssen: A) Der, welcher das Grundstück in Abwesenheit des Besitzers occupirt, erwirbt dadurch vor der Hand noch keinen juristischen Besitz (S. 200. 237. fg.) (1). – B) Soll der Besitz an Grundstücken durch

(1) Man kann also sagen, daß der alte Kunstausdruck: possessionem vacuam tradere (S. 203. 204.), mit diesem Satz in Verbindung steht. Indessen kann dieser Kunstausdruck auch vor


(409) §. 31. Verlust durch äußere Begebenheit.

fremde Handlungen verloren werden (1), so kann dieses nicht anders, als durch animus geschehen (2), nicht als ob der Besitzer das Recht des Besitzes freywillig aufgeben müsse, sondern insofern immer eine neue Bestimmung seines Bewußtseyns vorkommen muß, wenn der Besitz wirklich verloren seyn soll, welches nach der bloßen Regel des Verlusts, also bey beweglichen Sachen, bey welchen diese Regel rein angewendet wird, keineswegs behauptet werden kann. Von dieser Bemerkung übrigens wird im folgenden §. Gebrauch gemacht werden. – C) Heimlicher Besitz eines Grundstücks kann nicht entstehen, wenn zu derselben Zeit der Gegner selbst das Grundstück besitzt. Clandestina possessio nämlich heißt alsdann ein solcher Besitz, der mit absichtlicher Verheimlichung der Apprehension vor dem gegenwärtigen Besitzer angefangen wird (3). Wenn nun ein Grundstück auf diese Weise occupirt wird, so

der positiven Modification des Besitzes gebraucht worden seyn, von welcher hier die Rede ist, nämlich um den bloßen Scheinbesitz auszuschließen, der in Abwesenheit des Besitzers statt finden konnte, wenn gleich gar nichts vorhanden war, was dem Besitzer die Einwirkung auf die Sache entzog.

(1) Denn freylich, wenn der Besitz durch bloße Natursachen, z. B. durch veränderten Flußlauf, verloren geht, so ist dazu des Besitzers Bewußtseyn auf keine Weise nöthig.

(2) Aller Besitz – nämlich mit Ausnahme der Fortsetzung durch Stellvertreter, von welchem besondern Fall im 33sten §. die Rede seyn wird.

(3) S. u. §. 41.


(410) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

ist nach dem Satz, dessen Folgen jetzt betrachtet werden, der ganze Hergang so zu bestimmen: durch die Occupation selbst ist noch gar kein Besitz erworben, also auch keine clandestina possessio. Erfährt der vorige Besitzer die Occupation, so setzt er entweder mit Gewalt seinen Besitz durch, und dann hat er ihn eigentlich nie verloren, und der Andere ist nie wahrer Besitzer gewesen (1); oder er wird umgekehrt mit Gewalt zurückgewiesen (2), dann hat der Andere von diesem Augenblick an den Besitz, aber dieser Besitz ist keine clandestina, sondern eine violenta possessio: oder endlich es ist keins von beiden der Fall, d. h. der vorige Besitzer unterläßt es nur überhaupt, und zwar nicht aus Furcht, seinen vorigen Besitz zu behaupten, in welchem Fall überhaupt keine vitiosa possessio vorhanden ist, indem der neue Besitz durch den Willen des vorigen Besitzers selbst seinen Anfang nimmt, mit welchem Willen aber, da er bloß auf den Besitz sich bezieht, sehr wohl

(1) Gerade so, wie in dem Fall der L. 17. de vi: „Qui possessionem vi ereptam vi in ipso congressu recuperat, in pristinam causam reverti potius quam vi possidere intelligendus est ... , “ also der Besitz war hier eigentlich in keinem Augenblick verloren.

(2) Dabey ist es denn wieder ganz gleichgültig, ob die Gewaltthätigkeit wirklich vorfällt, oder ob sie aus Furcht vermieden wird (S. 403.), nur muß diese Furcht gegründet seyn, d. h. es muß wirklich eine Occupation existiren, worauf sie sich bezieht.


(411) §. 31. Verlust durch äußere Begebenheit.

die Absicht bestehen kann, auf andere Art, z. B. durch Vindication, die verlorne Sache wieder zu erlangen. In diesem letzten Fall also ist nicht corpore, sondern animo der Besitz verloren.

Bis jetzt sind bloß die Folgen jenes Satzes entwickelt worden: nunmehr ist der Satz selbst zu beweisen, ohne welchen diese Folgen keine Realität haben würden. Zugleich ist es aus Gründen, die erst unten angegeben werden können, nothwendig, nicht bloß überhaupt zu zeigen, daß derselbe von Römischen Juristen anerkannt werde, sondern so genau als möglich die Zeit zu bestimmen, in welcher man ihn angenommen hat.

I) Papinian, Paulus und Ulpian behandeln den Satz als unbezweifelte Regel:

L. 46. de poss. (Papin. lib. 23. qu.).

„Quamvis saltus proposito possidendi fuerit alius ingressus, tamdiu priorem possidere dictum est, quamdiu possessionem ab alio occupatam ignoraret.“

L. 3. §. 7. 8. de poss. (Paul. lib. 54. ad ed.).

„si animo solo possideas, licet alius in fundo sit, adhuc tamen possides. Si quis nuntiet, domum a latronibus occupatam, et dominus


(412) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

timore conterritus, noluerit accedere, amisisse eum possessionem placet.“

L. 6. §. 1. de poss. (Ulpian. lib. 70. ad ed.) (1).

L. 7. de poss. (Paul. lib. 54. ad ed.) (2).

II) Celsus, Neratius und Pomponius erwähnen gleichfalls dieses Satzes, aber so, daß er wahrscheinlich zu ihrer Zeit weder ganz in derselben Ausdehnung, noch von allen Juristen als entschiedene Regel kann betrachtet worden seyn (3).

L. 18 §. 3. 4. de poss. (Celsus lib. 23. Dig.).

„Si dum in alia parte fundi sum, alius quis clam animo possessoris intraverit: non desiisse illico possidere existimandus sum, facile expulsurus finibus, simul atque sciero. Rursus si cum magna vi ingressus est exercitus, eam tantummodo partem, quam intraverit optinet“ (4).

(1) s. u. N. III.

(2) s. u. N. III.

(3) Nämlich von Neratius haben wir überhaupt nichts anderes, als ein ganz unbestimmtes Citat des Paulus (L. 7. de poss.): jene Behauptung geht also nur auf die zwey andern Juristen.

(4) Also nur wenn es wahrscheinlich ist, daß ich den Andern vertreiben würde (von welcher Beschränkung Papinian u. s. w. kein Wort mehr sagen), soll mir durch jene Fiction der Besitz erhalten werden, außerdem nicht, doch soll außerdem wenigstens das Besondere eintreten, daß der neue Besitz nur auf den Theil des Grundstücks sich erstreckt, der unmittelbar betreten worden ist.


(413) §. 31. Verlust durch äußere Begebenheit.

L. 25. §. 2. de poss. (Pomp. lib. 23. ad Q. Mucium.)

„Quod autem solo animo possidemus, quaeritur, utrumne usque eo possidemus, donec alius corpore ingressus sit, ut potior sit illius corporalis possessio? an vero, quod quasi magis probatur, usque eo possideamus, donec revertentes non (1) aliquis repellat: aut nos ita animo desinamus possidere, quod suspicemur repelli nos posse ab eo, qui ingressus sit in possessionem? et (id) videtur utilius esse.“

III) Bey Labeo wird gerade das Gegentheil dieses Satzes vorausgesetzt, weswegen eine Entscheidung desselben von Ulpian ganz nach diesem Satze modificirt wird:

Der Umstand, daß der vorige Besitzer sich eben in dem Grundstück aufhielt, soll offenbar nur die Möglichkeit den Andern zu vertreiben gegenwärtiger, anschaulicher darstellen.

(1) „donec non“ solange als (uns) nicht – „donec nos, “ bis uns: das erste ist die Florentinische Leseart, die auch Haloander hat: das zweyte haben viele Mspte bey Gebauer, ferner: Ed. Rom. 1476. u. s. w. Beides giebt denselben Sinn, wegen der zwey möglichen Bedeutungen von donec und die Transposition, die Brenkmann vorschlägt, ist ganz unnöthig.


(414) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

L. 6. §. 1. de poss. (Ulp. lib. 70. ad ed.)

L. 7. de poss. (Paul. lib. 54. ad ed.) (1).

„Qui ad nundinas profectus, neminem reliquerit, et dum ille a nundinis redit, aliquis occupaverit possessionem, videri eum clam possidere, Labeo scribit (2). Retinet ergo possessionem is qui ad nundinas abiit (3). Unde (4) si revertentem dominum non admiserit, vi magis

(1) Beide Stellen müssen zusammen genommen werden, weil aus ihrer Verbindung das oben (S. 409.) beschriebene Resultat am deutlichsten erhellt.

(2) Also behauptet Labeo etwas, das mit jenem Satze im Widerspruch steht (S. 409.).

(3) Damit fängt die Berichtigung des Ulpian an: das ergo steht dieser Verbindung nicht entgegen, denn die Meinung des Labeo wird nicht als irrig verworfen, sondern als durch eine andere, spätere Regel modificirt angegeben. Man konnte nun sagen: „in jedem Fall, in welchem ehemals clandestina possessio angenommen wurde, muß jetzt dieses neue Resultat gelten, “ und dazu paßt das ergo vollkommen.

(4) Unde lesen Edd. Ven. 1485. 1491. 1494. Lugd. 1508. 1509. 1513. 1519. Paris. 1514. 1536. – Florent. „verum, “ und eben so alle Pariser Mss.: allein es soll vielmehr eine Folgerung als ein Gegensatz dadurch verknüpft werden.


(415) §. 31. Verlust durch äußere Begebenheit.

intelligitur (1) possidere, non clam (2). – Et si nolit in fundum reverti, quod vim majorem vereatur, amisisse possessionem videbitur (3): et ita Neratius quoque scribit“ (4).

Jetzt wird es leicht seyn, den Inhalt dieses §. kurz und im Zusammenhang zu übersehen. Damit der Besitz fortdauere, muß jederzeit die Möglichkeit vorhanden seyn, das als Bedingung des Erwerbs dargestellte unmittelbare Verhältniß, also durch dieses das Bewußtseyn physischer Herrschaft über die besessene Sache, zu

(1) Intellegitur lesen fünf Pariser Mspte. (num. 4477. a., 4477. b. 4480. 4482. und das aus der Bibliothek von S. Victor), eben so Edd. Rom. 1476. Nor. 1483, Ven. 1485, Ven. 1491.Ven. 1494. Lugd. 1508. 1509. 1513. 1519. Paris. 1514. 1536. – Dagegen ließt Florent. „intellegi.“ Durch diese Leseart wird der Sinn entstellt: der letzte Satz gehört dann zu der Meinung des Labeo, dann ist der Satz: retinet ergo etc. eine bloße Parenthese des Ulpian, und das verum (anstatt unde), das jetzt unmöglich ist, wird dann nothwendig. Aber dann ist es auch schlechterdings unmöglich, in die Meinung des Labeo selbst und in die Berichtigung, die Ulpian beyfügt, auch nur einen erträglichen Zusammenhang zu bringen, besonders wenn man die sehr natürliche Regel hinzu denkt, die sogar in dem princ. derselben Stelle sich findet: non ratio optinendae possessionis, sed origo nanciscendae exquirenda est.

(2) Also: „bis auf diesen Zeitpunct hatte der Andere keinen Besitz, von jetzt an hat er vielmehr violenta als clandestina possessio.“

(3) Dadurch wird die Regel des Ulpian nur näher bestimmt (S. 410. N. 2.).

(4) s. o. S. 412.


(416) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

reproduciren: mit dieser Möglichkeit wird zugleich der Besitz selbst aufgehoben. Allein bey Grundstücken leidet dieser letzte Satz eine Ausnahme: hier ist die physische Unmöglichkeit nicht hinreichend, den Besitz zu entziehen, so lange sie nicht zum Bewußtseyn des vorigen Besitzers gekommen ist.

§. 32.

Die zweyte Bedingung der Fortdauer des Besitzes ist der Wille des Besitzers (animus), und damit verhält es sich auf ähnliche Art, wie mit dem physischen Verhältniß, das als die erste Bedingung bereits dargestellt worden ist.

Also ist zur Fortsetzung des Besitzes, wie bey dem körperlichen Verhältniß, so bey dem animus, nur das nöthig, daß die Möglichkeit einer Reproduction des ursprünglichen Wollens in jedem Augenblick erhalten werde: daß das Bewußtseyn des Besitzes selbst in jedem folgenden Augenblick wirklich fortdauere, ist weder nöthig, noch auch überhaupt möglich. Dadurch also, daß der Besitzer eine kurze oder lange Zeit hindurch nicht an die Sache, also auch nicht an ihren Besitz denkt, ist der Besitz nicht aufgehoben, ja es muß dasselbe behauptet werden, wenn der Besitzer in eine solche Lage kommt, in welcher er überhaupt nicht wollen kann, so z. B. wenn er wahnsinnig wird. Denn


(417) §. 32. Verlust durch Animus.

da in diesem Fall die Unmöglichkeit, einen bestimmten Besitz zu wollen, lediglich subjectiv und zufällig ist, so ist im Verhältniß zu jeder besessenen Sache gar kein wesentlicher Unterschied, ob dieser Besitz bloß auf längere Zeit vergessen, oder ob der Besitzer selbst wahnsinnig geworden ist. Es ist nur ein anderer Ausdruck derselben Ansicht, daß zum Verlust des Besitzes, wenn er durch animus vor sich gehen soll, wieder ein neuer, aber umgekehrter Entschluß (animus in contrarium actus) erfordert wird (§. 30.).

Daher ist denn durch bloßen animus der Besitz verloren, wenn der Besitzer in irgend einem Moment den Besitz aufgeben will (1): denn in diesem Moment ist die Reproduction des ursprünglichen Wollens durch die entgegengesetzte Bestimmung des Willens schlechthin unmöglich, und diese Unmöglichkeit ist es, worauf eben sowohl, als auf die physische Unmöglichkeit, der Verlust des Besitzes erfolgen muß. Demnach kann selbst dann, wenn nachher der vorige Besitzer von neuem zu besitzen sich entschließt, höchstens eine neue Apprehension dadurch veranlaßt werden, indem der vorige Besitz

(1) L. 3. §. 6. de poss. „ ... si in fundo sis, et tamen nolis eum possidere: protinus amittes possessionem.“ – L. 17. §. 1. de poss. „ ... possessio autem recedit, ut quisque constituit nolle possidere.“ – cf. L. 30. §. 4. L. 34. pr. de poss.


(418) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

schon mit jenem Moment völlig zu existiren aufgehört hat.

Da also in diesem Fall der Verlust des Besitzes nicht auf ein bloßes Nichtwollen, sondern auf ein neues Wollen, das dem ersten (dem animus possidendi) entgegengesetzt ist, sich gründet, so ist es klar, daß zu dieser Art des Verlustes, wie zu dem Erwerb, Jeder unfähig seyn müsse, der überhaupt nicht wollen kann (1). Demnach kann ein Rasender auf diese Art den Besitz durchaus nicht verlieren (2): dasselbe gilt von einem Pupillen, und zwar ganz allgemein, so daß die besondere Beschränkung, die oben (S. 282. f.) bey dem Erwerb hinzugefügt wurde, hier keinesweges anwendbar ist (3). – Dieselbe Unfähigkeit muß sogar

(1) Die Modificationen dieses Satzes im Fall einer Repräsentation gehören in den folgenden §.

(2) Glossa in L. 1. §. 3. de poss.: „licet enim desinat habere animum possidendi, non tamen habet animum non possidendi.“ – L. 27. de poss. (s. u. S. 420.).

(3) L. 29. de poss. „Possessionem pupillum sine tutoris auctoritate amittere posse constat: non ut animo, sed ut corpore desinat possidere: quod est enim facti, potest amittere. Alia causa est, si forte animo possessionem velit amittere: hoc enim non potest.“ Hier ist eben so klar bestimmt, daß durch eine äußere Thatsache der Besitz dem Pupillen verloren werden könne, als (was zunächst hierher gehört) daß es durch animus unmöglich sey: auch stimmt jener erste Satz ganz mit allgemeinen Grundsätzen überein, und der einzige Zweifel daran gründet sich auf folgende Stelle: (L. 11.


(419) §. 32. Verlust durch Animus.

in einem andern Fall des Verlustes behauptet werden, der dem unsrigen ähnlich, aber nicht damit zu verwechseln ist. Der Besitz der Grundstücke nämlich wird durch fremde Occupation erst dann verloren, wenn dieselbe zu des vorigen Besitzers Bewußtseyn gekommen ist (S. 408. f.). Dieses bloße Bewußtseyn ist von

de adqu. rer. dom.) „Pupillus ... alienare ... nullam rem potest, et ne quidem possessionem quae est naturalis.“ Allein alienare possessionem heißt so den Besitz verlieren, daß darin eine juristische Succession liegt, diese aber ist unmöglich, weil es dabey auf den animus des vorigen Besitzers ankommt. Gesetzt also, ein Pupill verkauft und tradirt eine Sache, so erwirbt der Andere zwar den Besitz, aber nicht zugleich das, was außer dem Daseyn des Besitzes noch ein besonderes Successionsverhältniß voraussetzt, also keine accessio possessionis, und zwar weder für die possessio civilis (ad usucapionem), noch für die possessio naturalis (bey dem alten interdictum utrubi: darauf geht unsre Stelle: „ne quidem (eam) possessionem, quae est naturalis“). Eine ähnliche Unterscheidung der omissio und alienatio possessionis steht in L. 4. §. 1. 2. de alien. jud. mut. causa, und eine ähnliche Anwendung ist oben (S. 75.) in dem Satz vorgekommen: inter virum et uxorem nec possessionis ulla donatio est. – Glossa interlin. zu den Worten quae est naturalis (Ms. Paris. num. 4483.): „amittere tamen eam poterit (civilem vero ne amittere quidem potest) nec sunt contraria haec cum sit aliud possessionem alienare et aliud amittere.“ Auch Muret (epp. III. 81., opp. Vol. 1. p. 647.) erklärt die alienatio von einem solchen Verlust, der sich auf animus gründet. Cuperus (P. 2. C. 38.) nimmt einen unauflöslichen Widerspruch zwischen L. 11. de adqu. rer. dom. und L. 21. de poss. an.


(420) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

dem Entschluß, nicht zu besitzen, noch sehr verschieden, da, wenn dasselbe eintritt, noch immer drey Fälle möglich sind: Erhaltung des Besitzes, Verlust welcher corpore, und Verlust welcher wirklich animo (d. h. durch den Willen) statt findet. Allein darin kommen beide Fälle (jenes Bewußtseyn, und der wirkliche animus non possidendi) überein, daß sie in allen Fällen, worin die Fähigkeit des Bewußtseyns fehlt, gleich unmöglich sind, so daß also Pupillen und Wahnsinnige den Besitz eines Grundstücks durch die Handlung eines Andern gar nicht verlieren können (1): diese praktische

(1) L. 29. de poss. (s. die vor. Note.). – L. 27. de poss. „Si is qui animo possessionem saltus retineret, furere coepisset, non potest, dum fureret, eius saltus possessionem amittere: quia furiosus non potest desinere animo possidere.“ – Cuperus (P. 1. C. 6. p. 66.) behauptet eine Ausnahme dieser Regel, wenn der Pupill oder der Wahnsinnige eine Sache verkaufe, und der Käufer in bona fide sey (L. 2. §. 15. 16. pro emt.): aber diese Stelle bestimmt nur, daß in einem solchen Fall, gegen die Regel, Usucapion anfangen sollte – versteht sich, wenn überhaupt Besitz da ist: daß aber durch jene Handlung Besitz übergeht (nämlich corpore, nicht animo), ist ohnehin Regel (s. die vor. Note), und leidet nur bey Grundstücken eine Ausnahme: auf die Ausnahme allein beziehen sich L. 27. 29. de poss., und daß dieselbe in jenem Fall nicht gelten solle, sagt L. 2. §. 15. 16. pro emt. gar nicht, indem sie überhaupt nicht das Daseyn des Besitzes, sondern die Möglichkeit der Usucapion unter Voraussetzung des Besitzes bestimmt. – Selbst wenn der körperlich gegenwärtige wahnsinnige Besitzer dejicirt wird, geht ihm der Besitz nicht verloren,


(421) §. 32. Verlust durch Animus.

Aehnlichkeit mag die Römischen Juristen veranlaßt haben, beide Fälle, ihrer Verschiedenheit ungeachtet, mit demselben Namen (1) zu bezeichnen.

Die Regel, daß durch bloßes Wollen der Besitz verloren werde, ist jetzt erläutert und bewiesen: es ist nur noch nöthig, über die Anwendung derselben einiges hinzuzufügen. – Nun ist es eben so klar, daß durch ausdrückliche Erklärung des Besitzers die Anwendung derselben außer allen Zweifel gesetzt werde, als daß eine solche Erklärung nur sehr selten die Sache entscheiden könne, da eben in den Fällen, in welchen sie fast allein vorkommt, z. B. bey der Tradition, ohnehin schon auf andere Art, nämlich corpore (§. 31.), der Verlust des Besitzes entschieden zu seyn pflegt. Es kommt also hier, wie in vielen andern Fällen, hauptsächlich auf eine Interpretation anderer Handlungen des Besitzers an, aus welchen jener Entschluß gefolgert werden kann: in den Schriften der Römischen Juristen sind uns mehrere Proben einer solchen Interpretation übrig geblieben, wodurch über die ganze Sache vieles Licht verbreitet wird.

Eine Interpretation dieser Art liegt dem s. g.

indem er wegen seines Wahnsinns stets einem Abwesenden zu vergleichen ist.

(1) „animo desinere possidere.“


(422) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

Constitutum zum Grunde. Wer eine Sache verkauft und zugleich miethet, verändert sein physisches Verhältniß zu dieser Sache im geringsten nicht, und da er dennoch aufhört, zu besitzen, so kann der Grund dieses Verlusts lediglich in einer Bestimmung seines Willens aufgesucht werden. Auf welche Art überhaupt ein Constitutum angenommen werden könne, ist bereits oben (§. 27.) untersucht worden, wo das Constitutum als Grund des Erwerbs betrachtet wurde: hier wird darauf Rücksicht genommen, indem der bisherige Besitz dadurch aufhört, aber die Bedingungen jenes Erwerbs und dieses Verlustes sind ganz dieselben.

Ein zweyter Fall, in welchem jene Interpretation vorkommt, betrifft die rei vindicatio. Es ist eine bekannte Regel, daß gegen den Besitzer diese Klage angestellt wird (S. 16.). Wenn also der Besitzer selbst die Sache vindicirt; so scheint er dadurch dem Besitz zu entsagen; so daß ihm nachher das interdictum uti possidetis abgeschlagen werden müßte, wenn er dazu zurückkehren wollte. Dennoch ist das Gegentheil ausdrücklich bestimmt (1), und der Grund dieser Bestimmung liegt

(1) L. 12. §. 1. de poss. „ ... non denegatur ei interdictum uti possidetis, qui coepit rem vindicare: non enim videtur possessioni renuntiasse, qui rem vindicavit.“ (S. 39.). Die hier ausgelassenen Worte können erst im folgenden Abschnitt erklärt werden.


(423) §. 32. Verlust durch Animus.

bloß in jener Interpretation. Denn wer eine Sache vindicirt, zeigt eben dadurch, daß er die Sache haben wolle, und es ist kein Zweifel, daß er den Besitz, den ihm dieser Prozeß für immer sichern soll, auch jetzt schon zu haben geneigt wäre, wenn dieser Besitz mit der Qualität des Klägers im Vindicationsprozeß vereinbar wäre. Nun ist zwar diese Vereinigung unmöglich, allein man ist doch dadurch nicht genöthigt, eine freiwillige Entsagung auf den Besitz anzunehmen, weil es leicht möglich ist, daß der Besitzer entweder seinen Besitz ignorirt (1), oder den Rechtssatz, worauf sich jene Unvereinbarkeit gründet (2). Da nun in diesen beiden möglichen Fällen der Besitzer gewiß nicht die Absicht gehabt hat, den Besitz aufzugeben, so ist überhaupt nichts vorgefallen, woraus diese Absicht mit Sicherheit gefolgert werden könnte, folglich ist der Besitz

(1) Auf diesen Fall wird von der Glosse unsere Stelle bezogen (Glossa in L. cit., et in C. 5. X. de causa poss.). Sehr gründlich hat Merenda (controv. XII. 16.) diese Erklärung durchgeführt, die nicht unrichtig, aber einseitig ist.

(2) Der error juris schadet hier gar nichts, denn erstens wird dadurch überhaupt nur Erwerb verhindert (L. 7. de jur. et f. ign.), da hier im Gegentheil von Verlust die Rede ist, und zweytens geht selbst jener Satz bloß darauf, daß eine unbefolgte Rechtsvorschrift nicht durch einen solchen Irrthum entschuldigt werden soll: hier aber soll bloß eine Handlung interpretirt, also bloß ein Factum bewiesen werden.


(424) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

nicht verloren, folglich das interdictum uti possidetis noch immer begründet.

Drittens kann die Absicht, den Besitz aufzugeben, auch aus einer bloßen Unterlassung gefolgert werden. Bey Grundstücken nämlich ist gewöhnlich die Benutzung an bestimmte Zeiten des Jahres gebunden, wenn nun z. B. der Besitzer eine Reihe von Jahren hindurch sein Feld unbenutzt liegen läßt, so kann man annehmen, daß er diesen Besitz habe aufgeben wollen. Denn daß er ihn bloß vergessen habe, ist höchst unwahrscheinlich, und ob er denselben überhaupt nicht haben will, oder ob er ihn aus bloßer Nachlässigkeit aufgegeben hat, oder weil ihm etwa eine Reise viel wichtiger war – das alles ist hier ganz gleichgültig, indem dadurch nur die Motive seines Entschlusses modificirt werden, nicht aber der Entschluß selbst: da nämlich in allen diesen Fällen der Entschluß frey und mit vollem Bewußtseyn auf etwas gerichtet ist, was die Ausübung des Besitzes ganz unmöglich macht, so ist nothwendigerweise auch die Entsagung des Besitzes in ihm enthalten (1).

(1) L. 37. §. 1. de usurp. (cf. §. 7. I. de usuc.) „Fundi quoque alieni potest aliquis sine vi nancisci possessionem: quae vel ex negligentia domini vacet, vel quia dominus sine successore decesserit, vel longo tempore abfuerit.“ Daß durch des Eigenthümers Nachlässigkeit oder Abwesenheit die Sache nicht bloß ohne Aufsicht und Detention, sondern wirklich ohne Besitzer müsse gewesen


(425) §. 32. Verlust durch Animus.

Gesetzt also, der Besitzer hätte nicht aus freyem Entschluß, sondern aus Furcht die Benutzung des Feldes eine Zeitlang unterlassen, so könnte jener Schluß durchaus nicht gemacht werden, es wäre nun kein Entschluß vorhanden, den Besitz aufzugeben, und dieser wäre in der That erhalten (1). Noch entschiedener ist diese Fortdauer des Besitzes, wenn die Benutzung der Sache so beschaffen ist, daß sie nur zu gewissen Zeiten wiederkehrt: wer in dieser Zwischenzeit die Sache gar nicht besucht, hat damit durchaus nicht die Absicht erklärt, den Besitz aufzugeben. Hieraus erklärt es sich, warum die Römischen Juristen, um das besondere Recht der

seyn, erhellet nicht nur aus dem Ausdruck vacans possessio, sondern auch daraus, daß sonst selbst durch die neue Occupation kein Besitz hätte anfangen können. – Unsere Juristen (z. B. Cuperus p. 65. 66.) haben diese Bestimmung gewöhnlich als etwas ganz positives betrachtet, was sie nicht ist, ja Einige haben sogar die Zeit genau bestimmen wollen, nach welcher der Besitz für verloren zu halten wäre.

(1) L. 4. C. de poss. „Licet possessio nudo animo acquiri non possit, tamen solo animo retineri potest. Si ergo praediorum desertam possessionem non derelinquendi affectione transacto tempore non coluisti, sed metus necessitate culturam eorum distulisti: praejudicium tibi ex transmissi temporis injuria generari non potest, “ also soll auch der Besitz nicht verloren seyn. Das übrigens versteht sich von selbst, daß keine dejectio vorgefallen seyn darf, denn sonst wäre schon solo corpore der Besitz verloren. Man denke sich also ein sehr entferntes Grundstück, das der Besitzer durch Kriegsunruhen lange verhindert war zu bauen.


(426) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

Grundstücke in der Erhaltung des Besitzes zu bestimmen, fast immer die saltus hiberni und aestivi als Beyspiel wählen (1): weil nämlich diese die eine Hälfte des Jahrs hindurch unbesucht bleiben, dieser Umstand aber, indem er auf die eigenthümliche Bestimmung solcher Weiden sich gründet, den animus derelinquendi ausschließt, folglich für jeden einzelnen Fall die Bemerkung unnöthig macht, daß dieser animus weggedacht werden müsse.

§. 33.

Das einzige, was jetzt noch für die Fortdauer des Besitzes zu bestimmen übrig bleibt, ist das Verhältniß der Repräsentation, wodurch die Erhaltung des Besitzes eben sowohl, als der Erwerb, möglich ist.

Bey dieser Art der Fortsetzung kommen dieselben drey Fragen vor, die oben (S. 350.) bey dem Erwerb aufgeworfen wurden, nur daß hier die Ordnung etwas verändert werden muß.

Erstens also: Was ist in der Person des Besitzers zur Erhaltung des Besitzes nöthig, und wie kann umgekehrt bloß in seiner Person der Besitz verloren werden? – Was zuerst das physische Verhältniß

(1) L. 1. §. 25. de vi „Quod vulgo dicitur, aestivorum hibernorumque saltuum nos possessiones animo retinere: id exempli causa didici Proculum dicere ... “ (S. 407.)


(427) §. 33. Forts. des Besitzes durch Stellvertreter.

zu der Sache betrifft, so ist es klar, daß dadurch allein der Besitz nicht verloren werden könne. Wer also ein Grundstück verpachtet hat, verliert den Besitz nicht, wenn gleich ein Dritter ihn selbst herauswirft, da seine Herrschaft über die Sache durch den bloßen Pachter immer noch völlig gesichert ist (1). – Ganz anders verhält es sich mit dem animus possidendi: folglich kann auch der, welcher durch Andere den Besitz ausübt, durch bloßes Wollen (animus non possidendi) den Besitz verlieren.

Zweytens: das Verhältniß zwischen dem Besitzer und Repräsentanten kann hier, wie bey dem Erwerb, eben sowohl ein Verhältniß juristischer Gewalt (2), als ein freyes Verhältniß seyn (3), und im zweyten Fall ist auch hier wieder der Auftrag, worin es besteht, durchaus nicht als eine besondere,

(1) L. 1. §. 45. de vi: „ ... si quis me vi dejecerit, meos non dejecerit, non posse me hoc interdicto experiri: quia per eos retineo possessionem, qui dejecti non sunt.“ (S. 321.).

(2) Bey Sclaven gilt hier die besondere Regel, daß sie auch gegen ihren Willen ihrem Herrn den Besitz fortsetzen, z. B. wenn sie ihm selbst die Sache stehlen wollen. L. 15. de poss. – Eine merkwürdige Anwendung auf den Besitz des Pfandes s. in: L. 33. §. 6. de usurp. – L. 40. pr. de poss.

(3) L. 9. de poss. „Generaliter quisquis omnino nostro nomine sit in possessionem (possessione), veluti procurator, hospes, amicus, nos possidere videmur.“


(428) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

juristische Form genauer zu bestimmen (S. 360.). Auch ist es gar nichts besonderes, und nur zufällig bey der Fortsetzung gewöhnlicher, als bey dem Erwerb, daß diese Repräsentation durch mehrere Personen hindurch gehen kann. So kann der Pachter die Sache wieder verpachten, der Depositar sie wieder deponiren, und der vorige Besitz dauert immer auf dieselbe Weise fort (1). Eben so kann umgekehrt der Verpachter seine Sache einem Dritten verkaufen, und zugleich von ihm pachten, so daß also der durch Repräsentanten ausgeübte Besitz, wie jeder andere, durch bloßes Constitutum übertragen werden kann (2). – Das bloße Aufhören des juristischen Repräsentationsverhältnisses hebt den bisherigen Besitz nicht auf (3).

(1) L. 30. §. 6. de poss. – Das wird natürlich vorausgesetzt, daß nicht etwa der Pachter bey der neuen Verpachtung die Absicht gehabt habe, sich selbst den Besitz zuzueignen: dann wäre der Verlust allerdings möglich, was aber erst zu dem dritten Punct gehört. Wenn aber nur jene Absicht nicht da ist, so hat die Fortdauer des Besitzes keinen Zweifel, wiewohl die neue Verpachtung u. s. w. immer noch eine unrechtliche Handlung seyn kann, z. B. eine Verletzung des Contracts, oder auch ein furtum usus: auf dieses letzte geht L. 54. §. 1. de furtis, die folglich der Fortsetzung des Besitzes durchaus nicht entgegen steht.

(2) S. o. §. 27. – Dieser Satz wird indessen von Vielen geläugnet, z. B. von Merenda (contr. III. 21.), was sich aus der Art, wie das Constitutum gewöhnlich mißverstanden wird, leicht erklären läßt.

(3) L. 60. §. 1. locati.


(429) §. 33. Forts. des Besitzes durch Stellvertreter.

Drittens (und dieser Punct ist bey weitem der wichtigste): was ist in der Person des Repräsentanten zu dieser Art der Fortdauer nöthig, d. h. wie kann bloß in seiner Person der Besitz verloren werden? – Dieser Verlust läßt sich auf zweyerley Art denken: theils so, daß der Repräsentant selbst den Besitz erwerben will, den er bisher bloß ausübte (Verlust an den Repräsentanten), theils so, daß ein Dritter oder auch Niemand diesen Besitz erwirbt (Verlust durch den Repräsentanten). – Warum eben so und nicht anders diese Fälle entgegengesetzt werden müssen, wird sich in der Darstellung selbst zeigen.

Der Verlust an den Repräsentanten hat am wenigsten Schwierigkeit. Der Repräsentant hat als solcher den animus possidendi nicht, aber er steht zu der Sache in dem physischen Verhältniß eines Besitzers. Deswegen kann er ohne eine neue Bestimmung seines Willens den vorigen Besitz nicht aufheben, durch diese Bestimmung müßte es unmittelbar und ohne neue Handlung geschehen, so wie dieses bey der s. g. traditio brevi manu (S. 275.) behauptet werden mußte. – Das erste hat keinen Zweifel. So lange also der Repräsentant nicht Besitzer seyn will, kann von dieser Art des Verlustes nicht die Rede seyn, selbst wenn aus andern Gründen die Zurückgabe der Sache verweigert würde:


(430) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

L. 20. de poss.

„Si quis rem, quam utendam dederat, vendiderit, emptorique tradi jusserit, nec ille tradiderit: alias videbitur possessionem domini (1) intervertisse, alias contra. Nam nec tunc quidem semper dominus amittit possessionem; cum reposcenti ei commodatum non redditur: quid enim si alia quaepiam fuit justa et rationabilis causa non reddendi (2) ? non utique ejus rei possessionem intervertit“ (3).

Dagegen müßte zweytens, wenn bloß die allgemeine Regel des Erwerbs anzuwenden wäre, der animus possidendi allein hinreichend seyn, den Repräsentanten zum Besitzer zu machen. Allein diese Regel kann hier in keinem Fall rein zur Anwendung kommen. – Zuerst: nicht bey Grundstücken, indem bey diesen, wie überall, so auch hier, der Besitz nicht früher verloren

(1) So lesen mehrere Pariser Mspte, viele Handschriften bey Gebauer, ferner: Edd. Rom. 1476. Nor. 1483. u. s. w. – Florent. „possessione dominum.“

(2) Vergl. L. 12. in f. de vi. – Eine solche justa causa wäre z. B. das jus retentionis wegen der actio commodati contraria.

(3) Nor. 1483, Hal. – Eben so, mit einer ganz unbedeutenden Transposition (poss. ejus rei), Ven. 1485. – Florent. et rel. „non utique ut possessionem ejus rei interverteret.“


(431) §. 33. Forts. des Besitzes durch Stellvertreter.

wird, als der Besitzer die aufgehobene physische Möglichkeit der Einwirkung weiß (S. 408.). Dazu kommt noch die Regel nemo sibi causam possessionis mutare potest (§. 7. S. 75.), welche außerdem verletzt seyn würde: und auch eine einzelne Stelle deutet auf denselben Satz hin (1). – Zweytens: nicht bey beweglichen Sachen. Auch hier steht zunächst schon die Regel nemo sibi causam etc. im Wege. Dann aber nahm man auch bey diesen aus einem Grund, der erst im folgenden Abschnitt angegeben werden kann, die Regel an, daß der Repräsentant erst dann als Besitzer gelte, wenn er zugleich ein furtum begangen habe: dazu aber, folglich auch zu diesem Erwerb des Besitzes, ist contrectatio nöthig, d. h. körperliche Berührung der Sache zu dem Zweck des Diebstahls selbst (2). Nun ließe sich freylich denken, daß der

(1) L. 12. de vi. „ ... quem dejecisse tunc videretur, eum emtori possessionem non tradidit.“

(2) L. 1. §. 2. de furtis: „Sic is, qui depositum abnegat, non statim etiam furti tenetur: sed ita, si intercipiendi causa occultaverit.“ – L. 67. pr. eod.: „Infitiando depositum, nemo facit furtum; nec enim furtum est ipsa infitiatio, licet prope furtum est. Sed si possessionem ejus apiscatur intervertendi causa, facit furtum. Nec refert, in digito habeat anulum, an dactyliotheca, quem cum deposito teneret, habere pro suo destinaverit.“ Also ist erstens die bloße infitiatio unzureichend zum furtum, zweytens furtum und Erwerb des Besitzes unzertrennlich verbunden, also auch (worauf hier alles ankommt)


(432) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

Repräsentant aus diesem Grund noch nicht angefangen hätte zu besitzen, und dennoch der bisherige Besitz verloren wäre, da offenbar die physische Möglichkeit, über die Sache zu verfügen, schon durch den bloßen Entschluß des Repräsentanten dem Besitzer entzogen ist: dann wäre die Sache einstweilen ganz ohne Besitzer (1). Allein eben deswegen ist es sehr begreiflich, daß man jener Abweichung noch diese zweyte hinzugefügt

der Besitz nicht durch die bloße infitiatio erworben, drittens sind zwey Beyspiele angeführt, in welchen weder furtum noch Besitz vorhanden ist: für die dactyliotheca ist das klar, aber auch für den anulus in digito hat es keinen Zweifel, denn dabey ist zwar körperliche Berührung, aber nicht zu dem Zweck der Entwendung, welcher Zweck eben in der vorigen Stelle durch das „occultaverit“ bezeichnet wird. Averanius (interpr. I. 28. §. 12.) hat diese Beyspiele so mißverstanden, als ob darin furtum und Besitz angenommen würde. So vor ihm die Glosse, die auch schon die Leseart: „datus hypothecae“ notirt.

(1) Auf diese Meinung geht L. 47. de poss., deren Inhalt kurz folgender ist: „Verloren ist der Besitz einer solchen Sache, sobald der Depositar die Absicht hat, selbst zu besitzen: daß der Depositar damit nicht auch den Besitz erwirbt, steht jenem Satze nicht entgegen, weil auch in andern Fällen der Besitz beweglicher Sachen oft verloren wird, ohne daß ein Anderer diesen Besitz erlangt. Nur bey Sclaven leidet der Satz eine Ausnahme, wegen des möglichen animus revertendi: da also dauert der Besitz des deponens solange fort, bis der depositarius (durch ein wahres furtum) zu besitzen anfängt.“ (Daß nun durch diesen Anfang der vorige Besitz nothwendig aufhören muß, folgt schon aus dem Satz: plures eandem rem etc.)


(433) §. 33. Forts. des Besitzes durch Stellvertreter.

hat, so daß nun nicht nur der Anfang des neuen Besitzes (des Repräsentanten nämlich), sondern auch das Ende des bisherigen, durch alle juristischen Bestimmungen bedingt ist, welche das furtum enthält (1).

(1) L. 3. §. 18 de poss.: „Si rem apud te depositam, furti faciendi causa contrectaveris, desino possidere: sed si eam loco non moveris, et (al. etiamsi) infitiandi animum habeas, plerique veterum, et Sabinus et Cassius recte responderunt, possessorem me manere: quia furtum sine contrectatione fieri non potest, nec animo (solo) furtum admittatur (al. committitur.)“ Die Stelle selbst ist klar, aber wie ist damit L. 47. de poss. (s. die vor. Note) zu vereinigen? nicht anders als so: Papinian (L. 47.) referirt bloß, daß auch für jene andere Meinung responsa existirten („responsum est“), was auch schon aus der unsrigen wahrscheinlich ist („plerique ... responderunt“): zugleich sucht er die Gründe dieser andern Meinung zu entwickeln („cujus rei forsitan illa ratio est“), ohne sich dadurch selbst dafür zu erklären. – Die gewöhnliche Vereinigung ist diese: Papinian sagt „si ... tibi possidere ... constitueris: confestim amisisse me possessionem, “ nämlich vorausgesetzt, daß auch noch contrectatio vorgegangen sey. Diese Erklärung ließe sich dem Anfang der Stelle zur Noth noch anpassen, aber alles nachfolgende hätte durchaus keinen Sinn (s. die vor. Note). Sie steht übrigens schon in der Glosse, und außerdem bey folgenden Schriftstellern: Duarenus in L. 3. §. 18. de poss. (opp. p. 861). – Merenda in contr. L. 2. C. 21. – Averanius in interpr. L. 1. Cap. 28. §. 19. 20. (T. 1. p. 323.). – Uebrigens gehört jene Controverse der alten Juristen mit in die Geschichte der zwey Schulen: die bloß referirte Meinung (in L. 47. de poss.) ist die der Proculianer, die in der Compilation aufgenommene (L. 3. §. 18. de poss.) die der Sabinianer. Hugo civilist. Magazin B. 5. S. 123.


(434) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

Diese Abweichung indessen darf durchaus nicht über den Fall ausgedehnt werden, für welchen sie hier bestimmt worden ist, d. h. sie darf bloß gelten für den Fall einer Repräsentation des Besitzes, welche durch die Untreue des Repräsentanten selbst aufgehoben werden soll (1).

Also bey unbeweglichen Sachen kann die Untreue des Repräsentanten erst dann den Besitz entziehen, wenn diese Untreue dem Besitzer bekannt geworden ist: bey beweglichen Sachen erst dann, wenn zugleich ein furtum in dieser Untreue enthalten ist.

Bisher war von dem Verlust an den Repräsentanten die Rede: es ist jezt noch der Verlust durch denselben zu bestimmen, d. h. die Art des Verlustes, wobey in dem Repräsentanten selbst das Verhältniß zur Sache aufgehoben wird, welches unsern Besitz bisher sicherte. Die Fälle, die hierher gehören, sind zum Theil schon unter den Römischen Juristen so bestritten gewesen, daß es für die Sicherheit der Resultate sehr

(1) Cuperus (P. 2. C. 33.) hat sie auf eine seltsame Weise mißverstanden. Er scheint die Regel so zu fassen: „wo nur überhaupt ein furtum gedacht werden kann, sind die Bedingungen des furti zugleich Bedingungen für den Verlust des Besitzes“ und er folgert aus dieser falschen Regel den übrigens sehr wahren Satz, daß in L. 3. §. 3. de poss. nicht bloß von einem Schatz in fremdem Eigenthum die Rede seyn könne (s. oben S. 263. Note 1.).


(435) §. 33. Forts. des Besitzes durch Stellvertreter.

vortheilhaft ist, die Gegenstände dieses Streites so viel als möglich zu beschränken. – Nun kann der gegebene Fall so beschaffen seyn, daß der Besitz der Sache verloren wäre, auch wenn kein Repräsentant ihn ausgeübt hätte: alsdann ist er immer auch hier verloren, und dieser Fall darf gar nicht als Gegenstand des Streites betrachtet werden. Wenn also der Pachter eines Grundstücks dasselbe verkauft, der Käufer es bezieht, und ihn der vorige Besitzer nicht zu stören wagt (S. 410.), so ist ohne Zweifel von diesem Augenblick an der Besitz verloren. Eben so, wenn der Repräsentant eine bewegliche Sache verliert, so daß weder er noch der Besitzer sie wieder finden kann (S. 399.): oder wenn er die Sache einem Dritten übergiebt, indem dieser auf dieselbe Art, wie ein Dieb (S. 397.), den vorigen Besitz ausschließt, ganz ohne Rücksicht auf das Bewußtseyn des vorigen Besitzers. – Ohnehin wird in vielen Fällen dieser Art der Repräsentant selbst bereits Besitzer geworden seyn (S. 432. fg.) und dann hat es keinen Zweifel, daß er diesen Besitz veräußern kann. Demnach ist nun unsere Frage so zu bestimmen, kann durch den Repräsentanten der Besitz verloren seyn, wenn er ohne Rücksicht auf Repräsentation als fortdauernd angenommen werden müßte? (1)

 (1) Diese Frage wird also bey beweglichen Sachen weit seltener vorkommen können, als bey unbeweglichen.


(436) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

Nun kann das Verhältniß des natürlichen Besitzes, in welchem bisher der Repräsentant zu der besessenen Sache stand, auf zweierley Weise aufgehoben werden: ohne seinen Willen, und mit seinem Willen.

Für den ersten Fall ist wieder kein Streit. Ist es nämlich fremde Gewalt, die den Repräsentanten verdrängt, so ist ohne Zweifel der Besitz verloren, und es kommt nicht auf das Bewußtseyn des vorigen Besitzers an (1). Dagegen dauert sicher der Besitz fort, wenn ohne fremde Gewalt der Repräsentant unfähig wird unsern Besitz auszuüben, z. B. durch den Tod, oder durch Wahnsinn (2), und dieses gilt von beweglichen Sachen so gut, als von unbeweglichen.

Nun ist noch der letzte Fall zu untersuchen übrig, wenn nämlich durch den Willen des Repräsentanten

(1) L. 1. §. 22. de vi: „Quod servus, vel procurator, vel colonus tenent, dominus videtur possidere: et ideo his dejectis ipse dejici de possessione videtur, etiam si ignoret eos dejectos, per quos possidebat.“ Denn nun ist auch sogleich das Interdict begründet, und das Grundstück als fundus vi possessus der Usucapion entzogen, also der ganze Erfolg wenig bedenklich.

(2) L. 60. §. 1. locati – L. 25. §. 1. de poss. L. 40. §. 1. de poss. – Bloß die Ausnahmen in der letzten Stelle: „cum dominus possessionem apisci neglexerit“ und: si nemo „extraneus“ etc. können einigen Zweifel erregen: allein die erste derselben läßt sich auf Analogien zurück führen (S. 424. f.), und die zweyte hängt mit dem gleich folgenden Streite zusammen.


(437) §. 33. Forts. des Besitzes durch Stellvertreter.

selbst sein Verhältniß zur Sache aufgehoben wird, und dieser Fall ist wieder auf zweyerley Art zu denken möglich:

A) so, daß nun überhaupt Niemand den natürlichen Besitz hat. – Hier haben vielleicht einige Juristen den Besitz als verloren betrachtet: beweisen läßt sich das Daseyn dieser Meinung nicht, wiewohl man es gewöhnlich als entschieden annimmt, vielmehr ist in vielen Stellen gerade das Gegentheil bestimmt, ohne daß dabey eines Streites Erwähnung geschieht (1). Alles kommt auf folgende Stelle an (2):

L. 40. §. 1. de poss.

„Si ... colonus ... decessisset ... non statim dicendum, eam (sc. possessionem) interpellari ... Idem (3) existimandum ait, si colonus sponte possessione discesserit.

(1) L. 3. §. 8. L. 44. §. 2. de poss. – L. 7. pr. pro emtore. – L. 31. de dolo.

(2) Das argumentum a contrario, wodurch noch eine andere Stelle den Streit beweisen soll (L. 31. de poss. „ ... si non deserendae“), ist hier ziemlich unbedeutend, da uns aller Zusammenhang der Stelle fehlt.

(3) Glossa: „alias aliud ... alias idem“ (Giphanius in lect. Alt. p. 535.). – Florent. „aliud“: eben so die gedruckten Ausgaben. Die meisten Pariser Mspte lesen aliud, sechse aber lesen idem, eben so die Handschrift zu Metz, die Leipziger und die meinige. – Bey Gebauer findet sich hier, wie gewöhnlich, keine Spur einer Variante.


(438) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

Sed haec ita esse vera, si nemo extraneus eam rem interim possederit, sed semper in hereditate coloni manserit.“ Ist „aliud“ die richtige Leseart, so ist jener Streit bewiesen, ist es „idem, “ so ist kein Grund dafür da. Für die zweyte Leseart ist der Zusammenhang der ganzen Stelle, indem nun die Worte: „Sed haec ita esse vera“ beide vorhergehende Sätze zugleich umfassen, da sie nach der ersten Leseart sehr gezwungen bloß auf den entfernteren Satz bezogen werden müssen: die erste Leseart hat die Schlußworte für sich („sed semper in hereditate“ etc.) die jedoch auch nach der zweyten erklärt werden können.

B) So, daß nun ein Dritter den natürlichen Besitz bekommt. Die Tradition ist bloß ein Fall dieser Art, und die Römischen Juristen behandeln es, wie billig, als ganz gleichgültig, ob der natürliche Besitz unmittelbar (durch Tradition) auf den Dritten übergeht, oder mittelbar, indem erst der Repräsentant ohne Rücksicht auf einen neuen Besitzer die Sache verläßt, und dann dieser sie occupirt. – Für diesen Fall nahmen die Meisten den Besitz als verloren an (1):

(1) L. 40. §. 1. L. 44. §. 2. de poss. – L. 33. §. 4. de usurp.


(439) §. 33. Forts. des Besitzes durch Stellvertreter.

in folgender Stelle aber wird sehr bestimmt das Gegentheil behauptet (1):

L. 3. §. 6. 7. 8. 9. de poss.

„In amittenda quoque possessione affectio ejus, qui possidet, intuenda est. Igitur etc. etc. – Sed et si animo solo possideas, licet alius in fundo sit, adhuc tamen possides. – Si quis nuntiet, domum a latronibus occupatam, et dominus timore conterritus, noluerit accedere: amisisse eum possessionem placet. Quod si servus vel colonus, per quos corpore possidebam, decesserint discesserintve, animo (2) retinebo

(1) Nämlich L. 32. §. 1. de poss. kann nicht hierher gezogen werden, da sie bloß den Satz enthält: „der Repräsentant kann nicht quasi ex Constituto den Besitz übertragen.“ – (Cuperus P. 2. C. 40.) Diesem wichtigen Satze, der auch ganz die Analogie für sich hat, steht nicht entgegen L. 21. §. 3. de poss. („Qui alienam rem precario rogavit, si eandem a domino conduxit: possessio ad dominum revertitur“), denn der rogans ist in der Regel selbst Besitzer (S. 348.) also nicht Verwalter eines fremden Besitzes.

(2) Cod. Rehd., Edd. Rom. 1476. Ven. 1485. Ven. 1484. Lugd. 1509. 1513. Paris. 1536: „possidebam, decesserit vel animo.“ – Nor. 1483. Hal. „possidebam, discesserit (Hal. discesserint) vel animo.“ – Die Handschriften haben decesserit oder decesserint oder discesserit oder discesserint, nie die ganze oben abgedruckte Florentinische Leseart.


(440) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

possessionem (1). – Et si alii tradiderim (2), amitto possessionem. Nam constat possidere nos, donec aut nostra voluntate discesserimus, aut vi dejecti fuerimus“ (3). – Paulus bestimmt den Verlust des Besitzes an unbeweglichen Sachen (die beweglichen Sachen folgen erst §. 13. [et]c.). „Dabey“ sagt er, „ist der animus (4) des Besitzers entscheidend, “ und diese Regel wird durch eine Reihe von Anwendungen durchgeführt: a) durch den bloßen animus non possidendi wird der Besitz verloren. b) Durch bloße Occupation wird er nicht verloren. c) Kommt aber das Bewußtseyn des Besitzers hinzu, der seinen Besitz mit Gewalt durchzusetzen nicht wagt, so hört nun der Besitz auf. d) Wenn der Sclave oder der Pachter, durch den wir den

(1) Ohne Unterschied, ob auf den discessus eine fremde occupatio gefolgt ist oder nicht.

(2) Edd. Rom. 1476. Nor. 1483. Ven. 1485. Ven. 1494. Lugd. 1509. 1513, Hal., Paris. 1514. 1536., „Sed si alii tradiderit“, (Hal. „tradiderint“).

(3) Hal. „discesserint ... fuerint.“ Das Resultat ist nicht wesentlich verschieden, aber die Stelle verliert an Zusammenhang.

(4) Animus bezeichnet hier, wie gewöhnlich, zwey verschiedene Begriffe (S. 421.).


(441) §. 33. Forts. des Besitzes durch Stellvertreter.

Besitz ausüben, stirbt oder freywillig die Sache verläßt, dauert dennoch der vorige Besitz fort. e) Wenn der Besitzer selbst die Sache tradirt, so hört der Besitz auf (1). – Alle diese einzelne Anwendungen werden nun unter die allgemeine Regel zusammengefaßt: „Wir verlieren den Besitz (einer unbeweglichen Sache) nicht anders, als entweder durch unsern Willen, oder durch eine dejectio“. Durch diesen Schluß ist die Nothwendigkeit der Florentinischen Leseart, und damit zugleich die Richtigkeit unserer Erklärung völlig bewiesen.

Also es war überhaupt von zwey Fällen die Rede: in dem ersten hatte der Repräsentant den natürlichen Besitz bloß aufgegeben, in dem zweyten hatte überdem ein Dritter den Besitz occupirt: für den ersten Fall waren vielleicht, für den zweyten gewiß die Meinungen der alten Juristen getheilt. – Justinian

(1) Mehrere haben um deswillen die Richtigkeit der Leseart: „tradiderim“ bezweifelt, weil dann der Satz zu bekannt wäre, als daß ihn Paulus ausdrücklich aufstellen sollte. Allein einmal kam es hier nur darauf an, den Zusammenhang mehrerer (zum Theil sehr bekannter) Sätze mit einer allgemeinen Regel darzustellen, und zweytens gab es auch bey der Tradition Fälle, in welchen es gar nicht überflüssig war, den Verlust des Besitzes zu behaupten und zu beweisen: vgl. L. 17. §. 1. de poss. (S. 199.).


(442) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

hat, mit ausdrücklicher Beziehung auf einen Streit der alten Juristen, in einer eignen Constitution (1) verordnet: „die Untreue der Repräsentanten soll dem Besitzer nicht schaden“ (2), (also auch seinen Besitz nicht aufheben): betrifft nun diese Verordnung bloß den ersten, oder auch den zweyten Fall? (3)

Ich glaube, beide Fälle zugleich, und zwar aus folgenden Gründen:

A) Der Streit der alten Juristen ist für den ersten Fall gar nicht bewiesen (S. 436. f.), und doch will Justinian einen Streit entscheiden.

B) Dagegen ist für den zweyten Fall der Streit völlig bewiesen (S. 438.), und dieser würde sonst auf eine unbegreifliche Weise unentschieden bleiben, da er so genau mit dem ersten verbunden ist.

C) Die Worte:

„ ... definimus, ut sive servus, sive procurator ... corporaliter nactam possessionem dereliquerit, vel alii prodiderit, desidia

(1) L. 12. C. de poss.

(2) Einige haben das bloß von einem Recht der Zurückforderung erklärt, allein einmal existirte ein solches Recht nach allgemeinen Grundsätzen gar nicht, und hier soll ja nicht etwa ein neues Rechtsmittel eingeführt werden: zweytens wäre dann doch ein praejudicium nicht zu läugnen.

(3) Nämlich daß sie den ersten betrifft, darüber kann kein Streit seyn: ohnehin ist der erste in dem zweyten vollständig enthalten.


(443) §. 33. Forts. des Besitzes durch Stellvertreter.

forte vel dolo, ut locus aperiatur alii eandem possessionem detinere: nihil penitus domino praejudicii generetur etc. etc.“

bezeichnen offenbar jeden dieser zwey Fälle besonders, und sie müssen sehr gezwungen erklärt werden, und als ganz unbedeutend und überflüssig, wenn nicht dieser Gegensatz darin enthalten seyn soll: um so mehr, da hier schon die alten Juristen zwischen Tradition, und Dereliction auf welche nachher Occupation folgt, gar nicht unterscheiden.

D) Endlich die allgemeine Wiederholung:

„Hoc enim tantum sancimus, ut dominus nullo modo aliquod discrimen sustineat ab his quos transmiserit ...

Nach der andern Erklärung würde ganz eigentlich durch die Handlung des Repräsentanten der Verlust begründet seyn, da die bloße Occupation eines Grundstücks, ohne Wissen des Besitzers, den Besitz nicht entziehen kann.

Schon unter den Glossatoren war die Interpretation dieser Stelle sehr bestritten (1). Sie und

(1) Glossa in L. 12. C. de poss. – Azo in L. 12. C. de poss. (lectura p. 570.). – Azo in Summa, tit. de poss. num. 15. (fol. 135.). – Placentinus in Summa, tit. de poss. (p. 332.) Rogerius de antinomicis sententiis p. 198. (hinter Placentin de var. act. ed. Mog. 1530. 8.). Rofredus in tract. jud. ord. p. 428. 429. Odofredus in L. 3. et L. 40. ff. de


(444) Dritter Abschnitt. Verlust des Besitzes.

die neueren Interpreten theilen sich zwey Hauptparteyen: die erste, deren Meinung auch hier vertheidigt worden ist, nimmt die Fortdauer des Besitzes an, ohne Unterschied ob der Repräsentant die Sache bloß verläßt, oder einem Dritten übergiebt (1): die zweyte läßt nur in dem ersten dieser beiden Fälle die Fortsetzung des Besitzes zu (2). Von beiden Meinungen finden sich unter den Glossatoren sowohl, als unter den späteren Juristen, noch mancherley Modificationen, die meist auf einer unvollständigen Uebersicht der Quellen beruhen.

Uebrigens geht diese Stelle an sich sowohl auf bewegliche, als auf unbewegliche Sachen (possessionem cujuscunque rei): nur werden bey jenen fast immer die Bedingungen der Anwendung fehlen (S. 435. Note 1.).

poss. (f. 56. 65.) et in L. fin. C. eod. (f. 108.). – Die Juristen der folgenden Periode citirt in großer Anzahl: Menoch. de recup. poss., remed. 14, num. 17-23.

(1) Giphanius in L. 12. C. de poss. (lect. Alt. p. 536: kurz vorher (p. 423. 424.) war er noch anderer Meinung). – Merillius in 50 Decis. (opp. P. 2. p. 130.). – Vinnius in §. 5. I. de interdictis. – Mylius in diss. ad L. f. C. de poss., Lips. 1690. – Oppenritter in Decis. Imp. Synt., cont. 50. Imp. Iustin. Decis., Viennae 1735. 4. p. (792-794.).

(2) Cuiacius in L. 3. §. 8. 9. de poss. (opp. VIII. 258, cf. V. 711, IX. 1018.). – A. Faber de err. pragm. IV. 2. – Ramos de poss. P. 2. C. 1. §. 12. (Meerm. T. 7. p. 97.). – Cuperus de poss. P. 2. C. 39. – Fleck de poss. p. 112. 113., de interd. unde vi p. 77-80. – Thibaut über Besitz §. 23.


(445)

Vierter Abschnitt.

Interdicte.

Als besondere Quellen für diese Lehre sind die Titel de interdictis in den Institutionen, den Pandekten und dem Codex zu bemerken. Dazu kommt jetzt noch Gaius Lib. 4. §. 138 sq.

Schriftsteller:

Roffredi Tractatus iudicarii ordinis, Colon. 1591. f. – Hierher gehört: Pars 2. de Interdictis (p. 62-109.) und Pars 8. de constitutionibus quibus violentiae puniuntur (p. 397-435). – Nicht so wichtig als die übrigen Werke aus dieser Periode: weniger theoretische Untersuchung als practische Regeln und Formeln zu Klaglibellen.

Menochius de adquirenda, retinenda et recuperanda possessione (die zwey ersten Abschnitte: Colon. 1557., das ganze: Colon. 1577., nachher sehr oft, z. B. Colon. 1624. f. Das


(446) Vierter Abschnitt. Interdicte.

Druckjahr der (Venetianischen) Originalausgabe ist mir unbekannt). Ein Werk für Praktiker, das alles enthalten sollte, was gute und schlechte Schriftsteller über den Gegenstand gesagt hatten. Eine eigene Bearbeitung sucht man vergebens, aber die Zusammenstellung ist ganz erträglich, so daß das Werk als Materialiensammlung nicht unbrauchbar ist.

Donellus XV. 32-38., et in Cod. VIII. 4. 5. 6. 9. s. die Einleitung.

Friderus Mindanus de interdictis, s. die Einleitung:

Retes de interdictis, s. die Einleitung.

Haubold, Zeitschr. f. geschichtl. Rechtswiss. B. 3. S. 358. fg.

Die wichtigste Schrift ist nunmehr:

Hollweg Handbuch des Civilprozesses B. 4. Bonn 1834. §. 37.

§. 34.

Aller Besitz wird durch Interdicte geschützt: demnach ist zunächst der Begriff der Interdicte zu bestimmen.

Das Wesen der actio bestand darin, daß der Prätor für die Fälle derselben schon im Edict ankündigte, nicht daß er selbst etwas thun, sondern daß er einen judex zur Entscheidung besorgen und instruiren wolle (judicium dabo). Indessen trat dieses doch nur ein,


(447) §. 34. Begriff der Interdicte.

wenn über irgend eine Thatsache gestritten wurde: wenn dagegen nur ein Rechtssatz streitig war, oder wenn einer dem andern mit offenbarer Willkühr ohne allen Vorwand ein Unrecht zufügte, oder wenn auch nur jetzt vor dem Prätor der Beklagte die Behauptung des Klägers einräumte (confessio), so wurde niemals ein judex gegeben, sondern der Prätor selbst endigte die Sache auf der Stelle (1).

Ganz anders bey den Interdicten. Bey diesen war schon im Edict von einem judex nie die Rede, sondern von einem unmittelbaren Befehl oder Verbot des Prätors: veto, exhibeas, restituas (2). Kam nun ein einzelner Fall dieser Art vor, so erließ sogleich der Prätor diesen schon im Edict verzeichneten Befehl, zwar ohne vorher geführten Beweis, aber doch unter beiden vor ihm gegenwärtigen Parteyen (3), so daß dieses

(1) Auf Fälle des offenbaren Unrechts, also deshalb ohne factischen Streit, und zur unmittelbaren Execution geeignet, gehen L. 3. §. 1. 2. L. 5. §. 10. de op. nov. nunc. Vergl. Tacitus ann. XI. 6. „Suilius et Cossutianus et ceteri qui non judicium, quippe ut in manifestos, sed poenam statui videbant“ etc. – Auf die confessio geht Digest. XLII. 2. – Cod. VII. 59. – Paul. II. 1. §. 5.

(2) Zeitschrift für geschichtl. Rwiss. B. 3. S. 306. 367. – Das ist denn auch gemeint, wenn es bey Gajus §. 139. heißt: praetor aut proconsul principaliter auctoritatem suam finiendis controversiis proponit, vgl. Zeitschrift B. 3. S. 305. 366.

(3) Hollweg S. 384. (Aenderung der 6. Ausg.)


(448) Vierter Abschnitt. Interdicte.

Verfahren die größte Aehnlichkeit mit unserm Mandatsproceß hatte (1). Jetzt waren zwey Fälle möglich: entweder räumte der Beklagte des Klägers Behauptung ein, dann war wieder alles geendigt (2): oder der Beklagte läugnete, oder brachte etwa auch Exceptionen vor, dann wurde ein judex oder arbiter gegeben (3), und das, was Anfangs als Befehl des Prätors gelautet hatte, verwandelte sich nun von selbst in die Instruction des judex (formula) (4).

Der wesentliche Erfolg also konnte oft bey den Interdicten genau derselbe seyn, wie bey den Actionen, und der Unterschied lag dann mehr in der Form und dem Ausdruck, als in der Sache selbst; allein dieser

(1) Weniger passend ist die Vergleichung mit dem summariissimum. Huber praelect. lib. 43. epilog.

(2) L. 6. §. 2. de confessis. – Jedoch hat das nicht den Sinn, daß nun unmittelbar die Execution erfolgt wäre; vielmehr bestanden nur indirecte Zwangsmittel in dem periculum judicii wegen der Sponsionen, in dem jusjurandum in litem u. s. w. Hollweg S. 389. fg. (Zus. der 6. Ausg.)

(3) Gaius Lib. 4. §. 141.: „Nec tamen cum quid jusserit fieri, aut fieri prohibuerit, statim peractum est negotium, sed ad judicem recuperatoresve itur et ibi editis formulis quaeritur an aliquid adversus praetoris edictum factum sit, vel an factum non sit quod is fieri jusserit.“ Vgl. Theophilus ad pr. I. de interdictis.

(4) Darauf gehen die editae formulae (s. die vor. Note). Vgl. Aggenus bey Goesius p. 68.: „interdicti formula litigatur“ , und Theophilus l. c.


(449) §. 34. Begriff der Interdicte.

formelle Unterschied hatte ohne Zweifel den factischen Grund, daß in den Fällen der Interdicte weit häufiger ein bloßer Befehl die Sache zu Ende bringt, als in den Fällen der Actionen (1). Aus dieser inneren Gleichheit der Interdicte mit den Actionen erklärt es sich nun, daß auch jene stets als ordinaria judicia angesehen (2), und daß sie allem demjenigen entgegengesetzt werden, was extra ordinem geschieht, sey es nun, daß dieses letzte in einer factischen Untersuchung vor dem Prätor (ohne judex) besteht (3), oder aber in einer unmittelbaren

(1) [Zusatz der 4ten Ausg.] Diese Ansicht ist im Wesentlichen diejenige, welche Hugo in den Gött. Anz. 1804. S. 296. aufgestellt hat, und welcher ich in den zwey ersten Ausgaben durch eine zu weit getriebene Gleichstellung der Interdicte mit den Actionen widersprochen habe. Gajus §. 139. 141. bestätigt dieselbe vollkommen. – Zu jenem Grund der Einführung der Interdicte kam noch der Umstand, daß hier das privatrechtliche Interesse so sehr mit dem polizeilichen gemischt war. Hollweg S. 387. Vgl. auch oben Zus. zu §. 6. (Zus. der 6. Ausg.)

(2) Frontinus bey Goesius p. 41. (vgl. p. 56.) „ad interdictum, hoc est jure ordinario, litigatur.“ (Diese Stelle jedoch gehört nicht hierher, da sie nur den Gegensatz gegen den Proceß vor den Agrimensoren ausdrückt). L. 1. §. 2. si ventris nom. „si eum per interdictum ad jus ordinarium remiserit.“ Eben darauf geht die in der vorigen Note erwähnte formula, die stets ein Kennzeichen von ordinarium judicium ist. Vgl. Ulpian. XXV. 12.

(3) L. 3. §. 3. de lib. exhib. „Caeterum cessat interdictum, et succedere poterit notio praetoris, ut apud eum disceptetur, utrum quis in potestate sit, an non sit.“


(450) Vierter Abschnitt. Interdicte.

Execution bey ganz klarem Recht (1): genau so, wie es so eben von den Actionen bemerkt worden ist.

Daraus erklärt sich denn auch der Untergang der eigentlichen Interdicte zugleich mit dem ganzen ordo judiciorum. Zwar scheint es, daß ein Befehl oder Verbot der Obrigkeit in jeder Prozeßform hätte anwendbar seyn müssen, allein so allgemein wurden die alten interdicta nicht gedacht. Sie waren vielmehr förmliche Befehle, die als Einleitung zu dem ganzen oben beschriebenen Verfahren und als Instruction für den judex dienen sollten, und die folglich keinen Sinn mehr hatten, seitdem dieses Verfahren und dieser judex nicht mehr vorkamen. Darum verwandelten sie sich jetzt in Rechtsmittel oder Klagen überhaupt, denen von ihrer alten Eigenthümlichkeit nichts als der Name übrig geblieben ist (2). In dieser Gestalt sind sie schon in den Justinianischen

(1) L. 1. §. 1. de tab. exhib. L. 1. §. 2. de migrando. L. 3. pr. ne vis fiat ei. L. 5. §. 27. ut in poss. legat. L. 1. §. 2. si ventris nom. L. 1. §. 1. de inspic. ventre.

(2) L. 3. C. de interdictis. „ ... Interdicta autem licet in extraordinariis judiciis proprie locum non habent, tamen ad exemplum eorum res agitur.“ rubr. Digest. XLIII. 1. „de interdictis sive extraordinariis actionibus quae pro his competunt.“ Vergl. §. 8. I. de interd. L. 2. 4. C. unde vi. L. 17. C. de act. emti. Nach diesen Stellen geht die Veränderung wenigstens bis in die Regierung von Diocletian hinauf, und es ist durchaus kein Grund vorhanden, mit


(451) §. 34. Begriff der Interdicte.

Rechtsbüchern zu finden, und eben so sind sie zu uns herüber gekommen, so daß sie in dieser neueren Gestalt eben so gut actiones heißen könnten (1).

Sieht man nun bei den Interdicten, außer dem hier allein berührten allgemeinen Verhältniß der Parteyen, auch auf die Prozeßform im einzelnen (welche nicht eigentlich hierher gehört), so lernen wir jetzt aus Gajus, daß dieselbe oft höchst verwickelt war, indem dabey Sponsionen, Restipulationen und daneben noch eine sehr merkwürdige Versteigerung der Früchte vorkommen konnten, wodurch es geschah, daß der Beklagte nicht selten zu fünf verschiedenen Leistungen verurtheilt wurde (2). Wenn daher die meisten Neueren wenigstens stillschweigend voraussetzen, der Interdictsprozeß sey höchst summarisch gewesen, so ist dieses nicht nur überhaupt völlig unbegründet, sondern auch durch jene Thatsachen nunmehr geradezu widerlegt. Alles, was man davon zugeben kann, ist dieses: die Interdicte waren höchst

Giphan. explan. Cod. P. 2. p. 262. 270. diese Stellen für interpolirt und Justinian für den Urheber der Neuerung zu halten. – Indessen muß man doch annehmen, daß noch eine Zeitlang nach der durchgreifenden Prozeßreform die Interdicte als bloße Form dennoch fortdauerten. Hollweg S. 393. (Zus. der 6. Ausg.)

(1) Fälschlich wird dem Prätor selbst die Untersuchung und Entscheidung zugeschrieben von Sigonius de jud. I. 16. Cuiacius paratit. Cod. VIII. 1. Vinnius ad pr. I. de interd.

(2) Gaius Lib. 4. §. 167.


(452) Vierter Abschnitt. Interdicte.

summarisch, wenn der Beklagte sogleich gehorchte, also es gar nicht zum Prozeß kommen ließ: kam es dagegen zum Prozeß, so war dieser nicht summarischer als der Actionenprozeß (1). Auch besitzen wir ja in Cicero’s Rede pro Caecina ein Stück eines Interdictsprozesses, welches durchaus nicht summarischer erscheint, als irgend eine andere gerichtliche Rede Cicero’s (2).

§. 35.

Der Interdicte überhaupt ist hier nur deswegen erwähnt worden, weil auch der Besitz durch Klagen dieser Art geschützt wird. Die possessorischen Klagen also sind Interdicte, ohne darum mit den übrigen Interdicten in einer andern Berührung zu stehen, als durch den gemeinschaftlichen Prozeß, welche Berührung für uns völlig verschwindet. Der Begriff der possessorischen Klagen, oder

(1) Diese Schlußbemerkung ist in der 4ten. Ausgabe neu hinzugekommen: die Verweisung auf Cicero in der 5ten.

(2) Vgl. über diese Frage Savigny in der Zeitschr. f. geschichtl. Rwiss. B. 6. S. 229-272. Besonders beachtenswerth ist die von Hollweg S. 390. fg. aufgestellte Ansicht. Die Interdicte waren in dem Sinn summarisch, daß manche Gefahren für den Kläger (durch Prozeßstrafen) die Beendigung der Sache zu beschleunigen bestimmt waren, ferner durch manche Abkürzungen im neueren Prozeß; sie waren es aber nicht in dem wichtigeren Sinn, daß bey ihnen ein unvollständiger Beweis hingereicht hätte. (Zus. der 6. Ausg.)


(453) §. 35. Possessorische Interdicte.

(weil alle possessorische Klagen zugleich Interdicte sind) der possessorischen Interdicte ist jetzt zu bestimmen.

Diese Bestimmung hat im allgemeinen keine Schwierigkeit. Rei vindicatio heißt die Klage, welche der Kläger durch sein Eigenthum, actio emti die, welche er durch eine emtio begründet: eben so sind possessorische Klagen die, welche auf den Besitz des Klägers sich gründen, d. h. die unter der Bedingung angestellt werden können, daß der Kläger ein jus possessionis wirklich erworben hat. Die Anwendung dieses Begriffs auf die interdicta retinendae und recuperandae possessionis hat keine Schwierigkeit: allein bey den interdictis adipiscendae possessionis behauptet der Kläger weder jetzt zu besitzen, noch ehemals den Besitz gehabt zu haben. Dennoch ließe sich eine zweyfache Art denken, diese Interdicte mit den übrigen possessorischen Klagen in Verbindung zu bringen: A) Indem man eine Fiction hinzudächte, durch welche der Besitz als erworben behandelt würde, den wir bloß das Recht haben, zu erwerben (1). Allein eine solche Fiction darf nicht willkührlich angenommen werden, und für diese wäre der erste Beweis noch vorzubringen: ja sie hat alle Analogie gegen sich, denn bey den int. retin. und recup.

(1) Diese Ansicht hat Donellus in comm. jur. civ. XV. 37. (p. 814.).


(545) Vierter Abschnitt. Interdicte.

poss. beruht das Klagrecht außer dem Besitz auch noch auf einer bestimmten Form der Verletzung (Gewalt u. s. w.), diese ist bey den int. adip. poss. gewiß nicht nöthig, folglich hätte ein fingirter Besitz sogar noch mehr Recht, als ein wirklich erworbener. – B) Indem man den Besitz einer andern Person, deren successor der Kläger wäre, als Bedingung betrachtete. So könnte z. B. das int. quorum bonorum nur dann gelten, wenn der Verstorbene den juristischen Besitz der Sache gehabt hätte, und eben durch diese Beziehung auf den Besitz würde es ein possessorisches Rechtsmittel. Allein eben diese Beziehung ist falsch; die possessio des Verstorbenen wird durchaus nicht als Bedingung dieses Interdicts angegeben (1), und es wäre völlig willkührlich, wenn wir auf diese Weise das Klagrecht des Erben beschränken wollten. – Demnach stehen die int. adipiscendae possessionis auf keine Weise mit jenem Begriff der possessorischen Klagen in Verbindung.

(1) Die einzige Stelle, die hieran einen Augenblick könnte zweifeln lassen, ist: Paulus III. 5. 18.: „In possessionem earum rerum, quas mortis tempore testator non possedit, heres scriptus, priusquam jure ordinario experiatur, improbe mitti desiderat.“ Allein diese missio des Testamentserben, worauf sich auch das edictum D. Hadriani bezieht, ist von dem Interdict sehr verschieden, ja es wird ihr eben hierin auch das Interdict entgegengesetzt („jure ordinario“ s. o. S. 450. 451.), so daß diese Stelle im Gegentheil für meine Behauptung völlig beweißt.


(455) §. 35. Possessorische Interdicte.

Dennoch ist nicht zu läugnen, daß die Römer selbst die int. adipiscendae, recuperandae und retinendae possessionis zusammenstellen (1): aus dieser Zusammenstellung haben alle unsere Juristen ihren allgemeinen Begriff der possessorischen Interdicte construirt. Possessorische Interdicte waren nun solche, welche den Besitz zum Zweck haben. – Allein diese Bestimmung ist so gut, als gar keine, da der Besitz als Zweck bey den meisten Klagen vorkommen und nicht vorkommen kann, was offenbar ganz zufällig ist. So z. B. ist der eigentliche Zweck der actio pigneratitia die Restitution des Besitzes, derselbe Zweck ist bey der actio emti und locati und bey unzähligen anderen Klagen möglich, und es wäre durchaus kein Grund da, alle diese Klagen von jenem unbestimmten Begriff der possessorischen Klagen auszuschließen. Auch werden in der einzigen Stelle, in welcher wirklich von possessorischen Rechtsmitteln in jenem unbestimmten Sinn die Rede ist, ausdrücklich Interdicte, Actionen und Exceptionen zugleich darunter begriffen (2): dagegen werden jene drey Classen gar

(1) L. 2. §. 3. de interd., §. 2. I. eod. Gaius Lib. 4. §. 143.

(2) L. 1. §. 4. uti poss. „ ... omnis de possessione controversia aut eo pertinet, ut quod non possidemus, nobis restituatur: aut ad hoc, ut retinere nobis liceat quod possidemus. Restitutae (restituendae) possessionis ordo aut interdicto expeditur, aut per actionem. Retinendae itaque possessionis duplex


(456) Vierter Abschnitt. Interdicte.

nicht als possessoria interdicta, sondern als interdicta rei familiaris überhaupt zusammengestellt (1), oder gar in solchen Ausdrücken, als ob in ihnen alle Interdicte enthalten wären (2), ja es wird eine Eintheilung der Interdicte als Haupteintheilung genannt (3), welche jene Zusammenstellung geradezu ausschließt. Der entscheidendste Grund endlich gegen die gewöhnliche Zusammenstellung ist dieser: die wahren possessorischen Interdicte gründen sich auf Delicte (S. 32. 33.): hätte nun der Prätor kein Interdict, sondern eine actio für den Fall einer dejectio angeordnet, so wäre diese actio de vi ohne Zweifel mit der actio vi bonorum raptorum u. a. m. zusammengestellt worden: dann aber hätte Niemand darauf fallen können, sie mit dem int. quorum bonorum u. s. w. in eine Classe zu setzen, folglich darf dieses auch jetzt nicht geschehen, indem jene Anordnung eines Interdicts, anstatt einer actio, für uns völlig unbedeutend, und selbst nach der Ansicht der Römer zufällig ist, d. h. die Natur des Klagrechts selbst nicht afficirt.

Also sind die int. retinendae und recuperandae poss. die einzigen possessorischen Klagen überhaupt, und die

via est, aut exceptio, aut interdictum ...

(1) L. 2. §. 3. de int.

(2) §. 2. I. de interdictis. Gaius Lib. 4. §. 143.

(3) §. 1. I. de int. Gaius Lib. 4. §. 142.


(457) §. 35. Possessorische Interdicte.

int. adipiscendae poss. haben nichts mit ihnen gemein. Ja noch mehr: diese haben untereinander selbst nichts gemein, welches sich leicht durch eine Aufzählung derselben zeigen läßt, und auch schon daraus erhellt, daß sie an so ganz verschiedenen Stellen der Quellen abgehandelt werden. Das int. quorum bonorum ist von der hereditatis petitio possessoria im Justinianischen Recht nicht verschieden: das int. quod legatorum beruht, wie der ganze Besitz und so vieles andere, auf einem ganz eigenen Rechtssatz, den das Edict zuerst aufgestellt hatte: das int. de glande legenda ist im Wesentlichen eine actio ad exhibendum für einen speciellen Fall: das int. Salvianum eine andere Prozeßform für die actio Serviana (1), so wie das int. fraudatorium (2) für die actio Pauliana.

(Zusatz der 6. Ausgabe.) Die hier aufgestellte Ansicht muß jetzt, mit besonderer Rücksicht auf ein neuerlich

(1) Donellus (comm. XV. 37.) rechnet außer jenen vier zuerst genannten noch zwey: das int. de tabulis exhibendis, und das, was der missus in possessionem hat. Allein diese beiden haben gar nicht den Besitz zum Zweck, gehören also gar nicht dahin. – Auch die beiden Interdicte, deren Daseyn wir erst durch Gajus §. 145. 146. kennen lernen, das possessorium und sectorium haben nur etwa mit dem int. quorum bonorum Verwandtschaft.

(2) L. 67. §. 1. 2. ad Sc. Trebell. – L. 96. pr. de solut. – L. 10. pr. quae in fraud. cred.


(458) Vierter Abschnitt. Interdicte.

entdecktes Fragment Ulpians, auf folgende Weise modificirt werden.

Wenn wir zuerst, ganz absehend von dem quellenmäßigen Sprachgebrauch, lediglich den innern Zusammenhang der Rechtsinstitute erwägen, so ist es einleuchtend, daß gewisse Klagen lediglich dazu bestimmt sind, die possessio gegen gewisse Formen der Verletzung zu schützen, und zwar indem einer solchen Verletzung gegenüber die possessio bald erhalten, bald aber wiederhergestellt werden soll. Dahin gehören für die corporis possessio: Int. uti possidetis, utrubi, unde vi, (de clandestina possessione), de precario; für die Juris quasi possessio verschiedene Interdicte, welche unten in den §§. 45. 46. 47. angegeben werden sollen. Die innere Verwandtschaft dieser Rechtsmittel kann eben so wenig bezweifelt werden, als ihre wesentliche Verschiedenheit von allen übrigen Klagen, wenn man ihren Entstehungsgrund und ihre Bestimmung in’s Auge faßt. Da es nun aber, wegen des mannigfaltigen Einflusses jener inneren Verwandtschaft, ein wahres Bedürfniß ist, die angegebene Familie von Klagen durch einen Kunstausdruck zu bezeichnen, so nenne ich sie possessorische Klagen, oder (mit Rücksicht auf die Römische Prozeßform) possessorische Interdicte. Ein historischer Werth wird damit diesen Ausdrücken nicht beigelegt. Ihre Bildung empfiehlt sich jedoch dadurch, daß sie in


(459) §. 35. Possessorische Interdicte. (Zus. d. 6. Ausg.)

der That nur diejenigen Klagen bezeichnen sollen, welche durch eine juristische possessio bedingt und begründet sind. Auch liegt in diesem Sprachgebrauch so wenig etwas Neues und Willkührliches, daß vielmehr die meisten Juristen ohnehin die Ausdrücke gerade in demselben Sinne zu nehmen gewohnt sind, und daß sie nur in Folge besonderer Ueberlegung dazu kommen, auch noch andere Klagen (namentlich die Int. adipiscendae possessionis) darunter zu begreifen.

Eine ganz andere Frage aber ist es, ob sich auch bey den alten Juristen dieselbe Zusammenstellung findet. Und hier muß ich nun nach meiner gegenwärtigen Ueberzeugung behaupten, daß sie sich nicht findet, sondern an ihrer Stelle eine andere, von ihr ganz verschiedene. Es sind dieses die drey Klassen der Interdicta adipiscendae, recuperandae, retinendae possessionis. Ich glaubte in den früheren Ausgaben, diese Klassen auf den oben angegebenen Begriff der possessorischen Interdicte zurückführen zu können, wenn nur die erste Klasse ganz ausgestoßen würde; allein aus dem neu entdeckten Fragment des Ulpian ist es klar, daß selbst durch dieses (an sich schon sehr gewaltsame) Verfahren Nichts gewonnen seyn würde. Denn dort kommen zwey Interdicte vor, Quem fundum und quam hereditatem, von welchen gesagt wird, daß sie duplicia, das heißt nach Umständen bald adipiscendae, bald recuperandae


(460) Vierter Abschnitt. Interdicte.

possessionis seyen (1). Da nun diese ganz und gar nicht auf einer possessio und deren besonders gestalteter Verletzung, sondern lediglich auf einer unerfüllten Verpflichtung im Prozeß beruhen, so ist es klar, daß selbst die Klasse der Int. recuperandae bey den Römischen Juristen nicht in den Grenzen unsers Begriffs der possessorischen Interdicte gehalten wird. Hieraus folgt nun, daß ihre drey Klassen mit diesem unserm Begriff in gar keiner Verbindung stehen, daß sie aber auch überhaupt wissenschaftlich unbrauchbar sind, indem sie blos auf den ganz äußerlichen und für das Wesen der Klage gleichgültigen Zweck sehen, ob nämlich irgend ein Besitz neu erworben, wieder verschafft, oder erhalten werden soll.

Eine dritte Frage endlich, von beiden ersten verschieden, ist die nach der Aechtheit des oben erklärten Kunstausdrucks. Die Römer nennen possessoriae actiones die zu einer Erbschaft gehörenden Klagen, wenn sie nicht einem heres, sondern als fictitiae actiones einem Bonorum possessor, gegeben werden (2). Eben so heißt possessoria die hereditatis petitio in ihrer auf den Bonorum possessor ausgedehnten Anwendung (3).

(1) Rudorff in der Zeitschr. f. geschichtl. Rwiss. B. 9. S. 18.

(2) L. 50. de bonis libert. L. 4. de Carbon. ed.

(3) Rubrik des Digestentitels Lib. 5. Tit. 5.


(461) §. 35. Possessorische Interdicte. (Zus. d. 6. Ausg.)

Dagegen wird bey den oben erwähnten drey Klassen der Name possessoria interdicta, als Bezeichnung des gemeinsamen Gattungsbegriffs, gerade nicht gebraucht, obgleich man ihn da vorzugsweise erwarten möchte. Nur in einer Stelle kommt der Ausdruck in Verbindung mit unserm Begriff vor, aber hier nur sehr beiläufig (1). In der That also hat unser Sprachgebrauch keinen quellenmäßigen Grund. Da indessen hier eine Verwirrung der Begriffe nicht zu befürchten ist, so halte ich es nicht für nöthig, ihn aus seinem uralten Besitzstand zu verdrängen. Wer indessen hierin strenger verfahren wollte, dem wäre zum ausschließenden Gebrauch des deutschen Ausdrucks Besitzklagen zu rathen.

Der aufgestellte Grundsatz, daß die possessorischen Interdicte stets auf dem juristischen Besitz des Klägers beruhen, entscheidet auch über den Beweis, der dabey zu führen ist: es ist also Sache des Klägers, das Daseyn des Besitzers in seiner Person zu beweisen. Dabey entsteht jedoch folgende Frage (2). Die Behauptung des Klägers ist nothwendig auf das Daseyn des Besitzes in

(1) L. 20. de servitut. … „Ego puto usum ejus juris pro traditione possessionis accipiendum esse. Ideoque et interdicta veluti possessoria constituta sunt.“

(2) Diese Untersuchung über den Beweis ist in der 4ten Ausg. neu hinzugekommen.


(462) Vierter Abschnitt. Interdicte.

einem bestimmten Zeitpunct gerichtet, z. B. bey dem int. uti possidetis auf Besitz zur Zeit der Klage, bey dem int. de vi zur Zeit der Dejection. Muß nun nothwendig das Daseyn des Besitzes in diesen Zeitpuncten dargethan werden, oder ist es genug zu beweisen, der Kläger oder auch sein Erblasser habe irgend einmal Besitz erworben, so daß alsdann die stete Fortdauer solange angenommen würde, bis der Beklagte bewiese, dieser Besitz sey in der Folge wieder verloren worden? Bekanntlich kommt bey der rei vindicatio dieselbe Frage vor, und hier wird ganz bestimmt angenommen, daß es genug sey, den Erwerb des Eigenthums in irgend einer früheren Zeit zu beweisen, und daß dann der Beklagte, wenn er den Verlust desselben behaupten wolle, diesen beweisen müsse (1). Die Analogie dieser Regel scheint nun auch für die possessorischen Klagen gelten zu müssen. Dennoch glaube ich bey diesen das Gegentheil. Der Unterschied zwischen Eigenthum und Besitz in dieser Rücksicht liegt darin, daß bey jenem die Fortdauer gar nicht auf fortgehenden Thatsachen

(1) L. 16. C. de probationibus. Voetius ad pandectas VI. 1. §. 24. Krazer über den Beweis des Eigenthums. Wien 1810. 8. – Eigentlich liegt dieser Satz auch schon in der exceptio rei venditae et traditae, wenigstens nach der Gestalt, worin sie im Justinianischen Recht erscheint, nicht nach der ursprünglichen.


(463) §. 35. Possessorische Interdicte.

beruht, folglich nicht wahrgenommen werden kann, folglich auch nicht etwa bloß schwer zu beweisen, sondern absolut unerweislich ist. Anders bey dem Besitz, dessen Fortdauer auf einem stets fortgehenden factischen Verhältnisse zur Sache beruht, folglich allerdings wahrgenommen und bewiesen werden kann. Alles, was man von der entgegengesetzten Meinung etwa zugeben kann, ist folgendes. Das erwähnte factische Verhältniß hat eine etwas unbestimmte Natur (S. 269. 270.). Deshalb muß der Richter in der Beurtheilung des Beweises desselben vorzüglich freye Hand behalten, und er wird dabey auch den erwiesenen Erwerb des Besitzes berücksichtigen, insofern aus demselben die gegenwärtige Fortdauer vermuthet werden kann; diese Vermuthung wird um so mehr Gewicht haben, je kürzere Zeit seit dem Erwerb verflossen ist. Wollte man aber auch annehmen, daß bey dem Besitz wie bey dem Eigenthum lediglich der Beweis des Erwerbs gefordert würde, so müßte man doch in jedem Fall den Unterschied einräumen, daß der Erwerb bey dem Eigenthum auch in der Person irgend eines Erblassers statt finden dürfe, bey dem Besitz hingegen nothwendig für die eigene Person des Klägers bewiesen werden müsse, indem durch Beerbung zwar Eigenthum übergeht, Besitz aber nicht (§. 28.). – Die hier untersuchte Frage kommt bey der Usucapion ganz eben so, wie bey den Interdicten, vor,


(464) Vierter Abschnitt. Interdicte.

so daß auch bey jener der Beweis des Anfangs des Besitzes keineswegs hinreicht. – Diese Frage übrigens hat die älteren Juristen ungemein viel beschäftigt, obgleich in neueren Zeiten nicht viel mehr die Rede davon gewesen ist. Placentin und Hugolinus nahmen die Präsumtion aus dem früheren Besitz auf den gegenwärtigen an, Johannes verwarf sie, und zwar aus dem Grunde, weil der Besitz leichter verloren werde als das Eigenthum (1). Die späteren Juristen nahmen meistens die Präsumtion an, aber mit so vielen Einschränkungen und Ausnahmen, daß die Sache im letzten Resultat ungefähr auf den Punct kommt, wohin ich sie zu führen gesucht habe (2). So z. B. nahmen Mehrere an, die Präsumtion höre auf, wenn der erwiesene Besitz vor länger als zehen Jahren statt gefunden habe: Andere sagten richtiger, ein alter Besitz gebe allerdings weniger Wahrscheinlichkeit als ein neuer, aber man müsse darüber dem Richter ein freyes Urtheil überlassen (3). Darin war man schon etwas mehr

(1) Glossa in L. 16. C. de probat.

(2) Sehr ausführlich handeln davon Alciatus de praesumtionibus, reg. 2. praes. 21. Mascard. de probat. vol. 1. conclus. 170. vol. 3. concl. 1202.

(3) Mascard l. c. concl. 170. num. 22. 23. – Dieses ist auch eigentlich die Meinung, welche dem C. 9. X. de prob. zum Grunde liegt, s. u. §. 51.


(465) §. 36. Possessorische Interdicte. (Forts.)

einig, daß, wenn der Besitz in zwey verschiedenen Zeitpuncten bewiesen wäre, die Fortdauer desselben in der ganzen Zwischenzeit präsumirt werde, und diese Regel ist in dem französischen Gesetzbuch angenommen worden (1).

§. 36.

Der Begriff der possessorischen Interdicte ist jetzt vollständig bestimmt: aber es ist noch Einem Einwurf zu begegnen, der für die ganze Darstellung außerordentlich wichtig ist. Die meisten neueren Praktiker nämlich haben mehr oder weniger deutlich die Interdicte als provisorische Vindicationen, d. h. als provisorische Rechtsmittel in Beziehung auf das Eigenthum, betrachtet (2): diese Ansicht soll hier geprüft werden.

(1) Code civil. art. 2234. – Maleville T. 4. p. 366. 367. verwirft die Regel olim possessor, hodie possessor, erwähnt aber als gemeine Meinung, der Besitz dauere solo animo zehn Jahre lang fort, was gewiß so viel heißen soll, als nach zehn Jahren sey jene Präsumtion erloschen.

(2) s. o. S. 10. u. 38., und über die Entstehung dieser Meinung bey Bartolus und Cujacius S. 160-162. Der Gegensatz des petitorii und possessorii wird gewöhnlich auf diese Art gedacht. – Vielleicht hat unter andern die Stelle des Isidor zu dieser Meinung beygetragen, worin alle Interdicte überhaupt als provisorische Entscheidungen definirt werden (orig. V. 25. bey Gothofred p. 932.): „Interdictum est, quod a judice non in perpetuum, sed pro reformando momento ad tempus interim dicitur: salva propositione


(466) Vierter Abschnitt. Interdicte.

Provisorische Rechtsmittel sind solche, deren Entscheidung den Streit nur vorläufig endigt, indem noch eine andere (peremtorische) Untersuchung und Entscheidung derselben Rechtsfrage möglich ist. So ist z. B. bey der missio heredis scripti aus einem scheinbar gültigen Testament, das Erbrecht des Klägers ganz eigentlich das was untersucht und entschieden wird: aber derselbe Punct kann nachher bey der hereditatis petitio, Gegenstand einer neuen Untersuchung seyn. Beide Untersuchungen stehen demnach in einem ähnlichen Verhältniß zu einander, wie die Untersuchung vor einer ersten und zweyten Instanz.

Wenn also die possessorischen Klagen in der That solche provisorische Rechtsmittel wären im Verhältniß zum Eigenthum, so müßte das Recht derselben so betrachtet werden: wer besitzt, wird nach einer allgemeinen Präsumtion vorläufig als Eigenthümer angenommen, aber diese Entscheidung der provisorischen Vindication (des possessorii) kann bey einer folgenden Untersuchung (dem petitorio) eben sowohl geändert als bestätigt werden. – Daß diese Ansicht falsch sey, indem das Recht der Interdicte auf Gründen beruhe, die in gar keiner Beziehung auf Eigenthum stehen – dieser Satz ist gleich

actionis ejus.“ – Eben so Interpr. Goth. in Paul. V. 6. §. 1., woraus die Stelle des Isidor genommen seyn könnte.


(467) §. 36. Possessorische Interdicte. (Forts.)

im Anfang dieser Abhandlung (§. 2.) vorausgesetzt, in der Folge aber vollständig bewiesen worden, indem gezeigt wurde, daß das Recht der Interdicte als das einzige Recht des bloßen Besitzes von den Römern betrachtet werde (S. 87-91.), der Erwerb des Besitzes selbst aber so beschaffen sey, daß der Besitz weder mit dem Eigenthum, noch mit einem andern Rechte in Verbindung stehen könne (Abschn. 2., besonders §. 28.). – Hier ist es nöthig, die Veranlassungen jenes Irrthums zu entfernen, die, weil sie den Interdicten eigenthümlich sind, bisher noch nicht berührt werden konnten.

Die interdicta retinendae possessionis werden als nöthige Vorbereitungen der Vindication angegeben, ja es wird gesagt, daß dieser Umstand Gelegenheit zu ihrer Einführung gegeben habe (1): in einer andern Stelle wird jedem Eigenthümer der Rath gegeben, wo möglich ein Interdict und nicht die Vindication zu gebrauchen (2). – Allein dieses vorbereitende Verhältniß ist offenbar von dem eines provisorischen Rechtsmittels sehr verschieden, da gerade das Wesentliche dieses letzten (nämlich die Untersuchung derselben Rechtsfrage) bey dem ersten ganz gleichgültig ist, so daß selbst eine Civilsache

(1) L. 1. §. 2. 3. uti possid. (§. 4. I. de interd.) – L. 35. de poss.

(2) L. 24. de rei vind. – Vergl. Festus v. possessio (bey Gothofred p. 372.), und Simplicius (bey Gösius pag. 79.).


(468) Vierter Abschnitt. Interdicte.

zur Vorbereitung einer Criminaluntersuchung dienen kann. Ferner: jenes vorbereitende Verhältniß zur Vindication läßt sich bey sehr vielen anderen Klagen (z. B. aus Contracten) denken, und es ist kein Zweifel, daß jeder Jurist dem Eigenthümer, der außer der Vindication auch eine Klage aus einem Contract hat, zu dieser letzten rathen wird, wiewohl sie sicher nicht eine provisorische Vindication ist. Endlich, was die Hauptsache ist: jenes vorbereitende Verhältniß ist bey den Interdicten selbst bloß zufällig. Denn da das Recht der Interdicte durch den bloßen Besitz völlig begründet ist, so können sie ohne Zweifel auch dann gebraucht werden, wenn keiner der streitenden Theile Eigenthum zu haben behauptet.

Demnach kann der Gebrauch der Interdicte zur Vorbereitung der Vindication sehr gewöhnlich seyn (1),

(1) Ulpian (L. 1. §. 2. 3. uti poss.) giebt sogar diesen Gebrauch als Grund der Einführung des int. uti possidetis an, weil nämlich ohne dieses Interdict der Besitzstand im Prozeß über Eigenthum nicht hätte regulirt werden können. Nun muß freylich, wie auch Ulpian sagt, in jedem Prozeß über Eigenthum vor allem untersucht werden können, welcher von beiden Theilen als Kläger (petitor), welcher als Beklagter (possessor) gelten solle; aber gerade für diese Untersuchung existirte seit den ältesten Zeiten eine ganz eigene Prozeßform vor dem Prätor selbst, die manus consertae, die noch zur Zeit des Gellius, also lange nach Einführung der Interdicte, im Gebrauch war (noct. att. XX. 10. „verba ... quae ... dici nunc.


(469) §. 36. Possessorische Interdicte. (Forts.)

dennoch ist dieser Umstand bloß zufällig, und es darf kein Gebrauch davon gemacht werden, wo es darauf ankommt, die juristische Natur jener Interdicte zu bestimmen (1). Diese letzte Bemerkung wird vorzüglich durch eine Stelle des Ulpian bestätigt, die schon mehrmals in dieser Abhandlung vorgekommen ist (2).

quoque apud Praetorem solent.“). Nun gab es freylich Fälle, in welchen in rem geklagt wurde ohne Römische Vindication, namentlich wenn ein peregrinus Partey war, wenn über ein Provinzialgrundstück gestritten wurde, und bey der publiciana actio. Allein die zwey ersten Fälle gehörten gar nicht in das Interdict des praetor urbanus, und bey der publiciana actio müßte erst noch bewiesen werden, daß sie älter sey, als das Edict. Ueberhaupt aber erhellt ein so genauer Zusammenhang der possessorischen Interdicte unter einander aus ihren Formeln und Rechtssätzen, daß es mir schon deswegen gewagt scheint, so ungleichartige Entstehung und so verschiedene Zwecke bey ihnen anzunehmen. Der entscheidendste Grund gegen Ulpian, aus den Worten des Edicts selbst, kann erst im folgenden §. entwickelt werden. – (Albert über das int. uti poss. §. 127. widerspricht dieser Erklärung der Stelle des Ulpian, indem er den §. 3. als einen vom §. 2. völlig getrennten Satz ansieht; mir aber scheinen beide Paragraphen durch den Ausdruck in unzertrennliche Verbindung gesetzt, so daß §. 3. nur als Fortsetzung und Entwicklung des §. 2. gelten kann.)

(1) Am wenigsten aber kann ich zugeben, daß das Interdict eine ganz andere Natur annehme, je nachdem es zur Vorbereitung der Vindication oder zu anderen Zwecken gebraucht werde. Nach dieser Ansicht, welche Albert über das int. uti poss. §. 131. aufstellt, würde es im Grunde zwey verschiedene int. uti poss geben.

(2) L. 12. §. 1. de poss. –


(470) Vierter Abschnitt. Interdicte.

Es war nämlich die Frage, ob der Besitzer durch den Gebrauch der Vindication den Besitz, folglich auch das interdictum uti possidetis, verliere: diese Frage wird hier verneint. Wäre nun das interdictum uti possidetis nicht bloß zufällig und in den meisten Fällen, sondern seinem Wesen nach eine Vorbereitung der Vindication, d. h. der Anfang des Vindicationsprozesses, gewesen, so läge darin der entscheidendste Grund, den wirklichen Gebrauch der Vindication als Entsagung auf das Interdict zu betrachten: deswegen leitet Ulpian seine Entscheidung der Frage durch die Bemerkung ein, daß der Streit über Besitz und der Streit über Eigenthum ihrer Natur nach unabhängig von einander seyen, und folgert daraus, daß durch die Vindication dem Interdicte nicht entsagt werde (1):

„Nihil commune habet proprietas cum possessione: et ideo non denegatur ei interdictum uti possidetis, qui coepit rem vindicare: non enim videtur possessioni renuntiasse, qui rem vindicavit.“

Die possessorischen Interdicte also sind die Klagen, die durch den bloßen Besitz begründet sind (S. 452.),

s. o. S. 39., und vorzüglich S. 422.

(1) Allerdings konnte diese Renuntiation konnte noch aus einem andern Grunde behauptet werden (S. 422.), den hier Ulpian nicht ausdrücklich nennt.


(471) §. 36. Possessorische Interdicte. (Forts.)

und dieser Begriff ist jetzt durch den Beweis gerechtfertigt, daß sie mit der Vindication in keiner nothwendigen Verbindung stehen. Aber nicht jede Verletzung des Besitzes überhaupt, sondern nur die Verletzung in bestimmten Formen giebt dem Besitzer das Recht der Interdicte, und durch diese Formen der Verletzung werden die einzelnen Interdicte selbst von einander unterschieden. Nämlich alle Interdicte gründen sich entweder auf Gewalt, oder auf Verheimlichung, oder auf den Mißbrauch eines precarii: aber Gewalt kann den Besitz entweder bloß stören, oder entziehen, und wegen der bloßen Störung giebt es wieder verschiedene Interdicte, je nachdem ein Grundstück, oder eine bewegliche Sache, Gegenstand des Besitzes ist. – Demnach sind hier überhaupt folgende Interdicte abzuhandeln:

I. Interdicta retinendae possessionis:

A) im allgemeinen (§. 37.).

B) Uti possidetis (§. 38.).

C) Utrubi (§. 39.).

II. Interdictum de violenta possessione. (§. 40.).

III. Interdictum de clandestina possessione. (§. 41.).

IV. Interdictum de precaria possessione. (§. 42.).

V. Constitutionen der Kaiser über die possessorischen Interdicte (§. 43.).


(472) Vierter Abschnitt. Interdicte.

§. 37.

Verginii de Boccatiis a Cingulo, Ic. Romani, Tract. de int. uti poss. s. de manuten. in poss., Colon. 1581. 8., auch in: Tract. Tom 3. P. 2 (Ven. 1584. f.) und öfters.

Alle Interdicta retinendae possessionis (auch für die Quasi Possessio) zusammengestellt: schlecht und sehr entbehrlich.

Die Interdicta retinendae poss. sollen den gegenwärtigen Besitzer gegen gewaltsame Eingriffe in seinen Besitz schützen.

Um diesen Satz näher bestimmen zu können, wird es nöthig seyn, die verschiedenen Fälle zu erwägen, in welchen diese Interdicte wirklich vorkommen können:

1) wenn der Besitzer durch die Störung des Besitzes Schaden gehabt hat, welchen er jetzt ersetzt haben will.

2) wenn eine zukünftige Störung des Besitzes zu fürchten ist, gegen welche der Besitzer geschützt seyn will;

3) wenn Prozeß über das Eigenthum durch die vorläufige Untersuchung des Besitzstandes regulirt werden soll, sollte auch gar keine gewaltsame


(473) §. 37. Interdicta retinendae possessionis.

Störung des Besitzes vorgefallen oder zu erwarten seyn.

Unstreitig haben in allen diesen Fällen unsre Interdicte statt. Eben so gewiß ist es, daß für diese verschiedenen Fälle dennoch dasselbe Interdict gebraucht wird, und daß dieselbe Stelle des Edicts als Quelle dafür gilt. Welches ist also der logische und historische Zusammenhang dieser verschiedenen Fälle der Anwendung desselben Interdicts?

Der erste Fall ist im Edict namentlich angegeben (1), und insbesondere hat die Verjährung des Interdicts für jeden andern Fall gar keinen Sinn. Auch hat es gar keinen Zweifel, daß diesem Fall eine obligatio ex maleficio zum Grunde liege.

Auch der zweyte Fall steht namentlich im Edict (2), und auch dieser kann auf eine obligatio ex maleficio reducirt werden, nur daß das maleficium dabey nicht als geschehen, sondern als unvollendet gedacht werden muß. Denn es ist offenbar, daß das (zu verhütende) maleficium durchaus der einzige Grund des Interdicts in diesem Fall ist, und daß dabey kein

(1) neque pluris quam quanti res erit intra annum, quo primum experiundi potestas fuerit, agere permittam.

(2) Uti possidetis ... quo minus ita possideatis vim fieri veto.


(474) Vierter Abschnitt. Interdicte.

anderes Recht mit ins Spiel kommt. So daß also auch dieser Fall der oben angenommenen Classification (§. 6.) auf keine Weise widerspricht. Der erste und zweyte Fall kommen darin überein, daß sie den jetzigen Besitzer gegen Störung schützen sollen, so daß in beiden die Untersuchung, ob der Kläger Besitzer sey, die Hauptsache ist. Dagegen ist ihre Verschiedenheit, juristisch betrachtet, nicht wesentlich, so daß also ihre Zusammenstellung dem Edict auf keine Weise zum Vorwurf gereichen kann.

Der zweyte Fall insbesondere wird sehr oft bey dem Prozeß über das Eigenthum statt finden, wenn es nämlich in diesem darauf ankommt, während des Prozesses alle Thätlichkeiten zu verhindern. Nur ist er hier ja nicht mit dem dritten Fall zu verwechseln. Denn es kann sehr wohl der jetzige Besitzstand ganz entschieden seyn, und dennoch von einem unruhigen Gegner Störung befürchtet werden: in einem solchen Fall bedurfte es des Interdicts zwar auf Veranlassung der rei vindicatio, aber gar nicht um den Prozeß über das Eigenthum zu reguliren (Num. 3.), sondern bloß, um Gewalt zu verhindern (Num. 2.). Es kann aber eben sowohl zugleich der Besitzstand zweifelhaft seyn, und dann muß nach der oben gegebenen Regel zugleich hierüber entschieden werden.

Jetzt wird es leicht seyn, auch den dritten Fall


(475) §. 37. Interdicta retinendae possessionis.

zu erklären. Bey jedem Prozeß über Eigenthum muß vor allem der Besitzstand entschieden werden, wenn derselbe bestritten wird. Nun war eben dazu bey der vindicatio im alten Recht die Feyerlichkeit der manus consertae eingeführt. Allein dabey trat die große Schwierigkeit ein, daß immer der Prätor selbst, ohne judex, die Sache entscheiden mußte, da doch auch schon diese Untersuchung sehr verwickelt seyn konnte. Zudem kam bey vielen Realklagen diese Form gar nicht vor (s. o. S. 468.) (1). Dagegen lag ein Ausweg sehr nahe. Wenn nämlich in einem solchen Fall zugleich Thätlichkeiten zu befürchten gewesen wären, so hätte man das Interdict gebraucht, welches nun, um sein selbst willen, eben die Frage entschieden hätte, die für das Eigenthum entschieden werden sollte, und dabey kam nicht nur ein judex vor, sondern es war auch gar nicht auch die vindicatio ex jure quiritium eingeschränkt. Man brauchte also nur jeden Fall des streitigen Besitzstandes so zu behandeln, als ob dabey Thätlichkeiten verhütet werden sollten, so war mit Hülfe dieser Fiction das interdictum retinendae possessionis die juristische Form, wodurch alle jene Forderungen vollständig erfüllt wurden. Diese Fiction aber war ganz unbedenklich, indem

(1) Endlich hörte die Form seit der Abschaffung der legis actiones in der Regel ganz auf, und dauerte nur noch ausnahmsweise in den Contumacialprozessen fort. (Zus. der 6. Ausg.)


(476) Vierter Abschnitt. Interdicte.

sie das Resultat der Präliminaruntersuchung im wesentlichen gar nicht modificirte, also keiner Partey Unrecht thun konnte. Auf diese Weise war der dritte der oben aufgezählten Fälle für die interdicta retinendae possessionis gefunden. Dieser Fall war in den Worten des Edicts selbst nicht enthalten, denn das vim fieri veto hatte damit nichts zu schaffen (1), allein er wurde durch eine ganz unschuldige Fiction der Regel des Edicts subsumirt. Durch diese Fiction wird der dritte Fall in der theoretischen Ansicht dem zweyten völlig gleich, kann also eben so wenig, als dieser, dazu dienen,

(1) Da dieser Fall also nicht einmal in den Worten des Edicts lag, so kann er am wenigsten die Entstehung dieses Interdicts veranlaßt haben, wodurch denn die historische Bemerkung von Ulpian (S. 468.) völlig weggeräumt wird. Es scheint verwegen, in solchen Dingen einem römischen Juristen zu widersprechen, allein erstens muß das Edict mehr gelten, als Ulpian, d. h. ich will lieber annehmen, daß Ulpian in einer historischen Erklärung ungenau ist, als daß das Edict etwas ganz anders sagen will, als es wirklich sagt. Besonders hier lag die Verwechslung so nahe, denn es ist wohl zu bemerken, daß jener dritte Fall, der in historischer Rücksicht und für das System so subordinirt erscheint, practisch betrachtet, gerade der allerwichtigste und häufigste ist. Zudem lebte Ulpian mehrere hundert Jahre später, als die Interdicte eingeführt wurden. Zweytens wissen wir nicht, wie vieles in der Stelle des Ulpian von den Compilatoren zugesetzt oder ausgelassen ist. Drittens giebt es ganz ähnliche Fälle, worin die historischen Erklärungen der alten Juristen erweislich ungenügend sind.


(477) §. 37. Interdicta retinendae possessionis.

unsere Classification dieser Interdicte (§. 6.) zu widerlegen. – Jetzt zu den Bedingungen der Anwendung der int. ret. poss.

Die erste Bedingung hier, wie bey allen possessorischen Interdicten (S. 87-92.), ist die, daß Besitz wirklich erworben sey: nicht etwa civilis possessio, wohl aber juristische possessio, im Gegensatz des bloß natürlichen Verhältnisses der Detention (1). – Die zweyte Bedingung ist eine gewaltsame Verletzung (2), und damit verhält es sich so: Der Ausdruck Vis wird im Allgemeinen von jeder Handlung gebraucht, welche gegen den Willen eines Andern vorgenommen wird. Dazu ist bey dem Int. quod vi aut clam nöthig, daß dem Handelnden dieser Wille wirklich erklärt wurde, oder daß er selbst diese Erklärung verhinderte (3). Hier aber liegt dieser Widerspruch des Willens gegen die Störung schon in dem Besitz selbst, so lange nicht die Störung besonders erlaubt wird (4). Daher ist dann im Sinn dieser Interdicte die Gewalt

(1) Hierher gehört: Klepe diss. de nat. et ind. poss. ad int. uti poss. et utrubi necess., Lips. 1794. (s. die Einl. num 32.) – Die Einwürfe gegen diesen Satz können erst bey den einzelnen Interdicten dieser Classe widerlegt werden.

(2) „Vim fieri veto“ L. 1. pr. uti poss. – L. 1. pr. de utrubi.

(3) L. 1. §. 5-7. L. 20. pr. §. 1. quod vi. – L. 73. §. 2. de R. I.

(4) L. 5. de serv. praed. urb.


(478) Vierter Abschnitt. Interdicte.

schon vorhanden, wenn nur unser freyer Gebrauch der Sache beschränkt wird, mag dieses auch selbst durch die Sache des Nachbars geschehen, z. B. durch eine überhangende Mauer (1): Denn obgleich er das nicht hervorgebracht hat, ja vielleicht nicht einmal weiß, so besitzt er doch sein Gebäude auf diese für mich beschwerende Weise, und das ist hier zum Begriff der Gewalt hinreichend. Es gehen also hierin diese Interdicte völlig parallel mit der Negatorienklage, und dieser Parallelismus wird ausdrücklich anerkannt (2). Wie diese gewaltsame Verletzung theils als vergangen, theils als zukünftig gedacht, theils endlich bloß fingirt werden müsse, ist bereits erklärt worden. – Drittens: die gewaltsame Verletzung des Besitzes muß den Besitz selbst nicht aufgehoben haben, welche Bedingung schon aus dem Namen dieser Classe der possessorischen Interdicte (retinendae possessionis) erhellt (3). Die nähere Bestimmung dieser bloß negativen Bedingung ist bereits in dem dritten Abschnitt dieses Werks gegeben, indem daselbst alle Fälle überhaupt bestimmt sind, in welchen der

(1) L. 14. §. 1. L. 17. pr. si serv.

(2) L. 8. §. 5. si serv. – Diese ganze Stelle des Textes ist in der 6. Ausgabe neu hinzugekommen, veranlaßt durch eine Mittheilung von Hollweg.

(3) Die Glosse nennt diese Art der Gewalt, „vis inquietativa, “ und setzt ihr die „vis expulsiva“ entgegen (Gl. in §. 4. I. de interd., et in L. 1. §. 9. uti poss.).


(479) §. 37. Interdicta retinendae possessionis.

Besitz als verloren angenommen wird. Es versteht sich von selbst, daß diese Bedingung bloß für den Fall einer vergangenen Störung des Besitzes Sinn hat, und für diesen Fall kann der Besitzer auf zweyerley Art das Recht zu jenen Interdicten erwerben: theils indem ihm selbst nur einzelne Aeußerungen seiner Willkühr in Beziehung auf diese Sache verhindert werden (1), theils indem sich ein Anderer Handlungen eines Besitzers anmaaßt, ohne ihn selbst aus dem Besitz zu verdrängen (2).

Als Beklagter gilt Jeder, dem wir die Besitzstörung vorwerfen können, also unter andern auch unser Repräsentant in diesem Besitz, z. B. der Miether eines Hauses,

(1) Beyspiele: der Besitzer wird verhindert, sein Feld zu bauen (L. 3. §. 4. uti poss.), oder ein Gebäude aufzuführen oder zu verändern (L. 3. §. 2. 3. uti poss. – L. 52. §. 1. de poss. – L. 12. comm. divid.) oder seinen Schatz aus einem fremden Grundstück auszugraben (L. 15. ad exhibendum.)

(2) L. 11. de vi: „Vim facit, qui non sinit possidentem eo, quod possidebit, uti arbitrio suo: sive inserendo, sive fodiendo, sive arando, sive quid aedificando, sive quid omnino faciendo, per quod liberam possessionem adversarii non relinquit.“ Aus den letzten Worten, so wie aus den ersten (vim facit, bezogen auf „vim fieri veto“), erhellt am deutlichsten, daß von einer bloßen Störung, nicht von Aufhebung des Besitzes die Rede ist. Donell. XV. 33. (p. 804.). – Durch die Stelle, an welcher dieses Fragment eingeschaltet ist (tit. ff. de vi), sind mehrere Juristen veranlaßt worden, es auf das interdictum de vi, zu beziehen.


(480) Vierter Abschnitt. Interdicte.

der gegen den Willen des Vermiethers etwas bauen oder einreißen will. Man könnte daran zweifeln, weil der Vermiether die actio locati hat; allein eben deshalb hat er zwischen beiden Klagen die Wahl. In demselben Fall hat er sogar auch noch eine dritte Klage als Gegenstand der Wahl (1), durch welche Analogie unsere Behauptung von den possessorischen Interdicten noch bestätigt wird. Eben so hat er unstreitig, wenn der Miether ihn aus dem Besitz herauswirft, die Wahl zwischen der actio locati und dem Int. de vi.

Der Zweck dieser Interdicte ist dreyfach:

1) Für den Fall einer vergangenen Störung: Schadensersatz.

2) Für den Fall einer gedrohten zukünftigen Störung (welche aber auch aus einer vergangenen Verletzung geschlossen werden kann, so daß beide Zwecke coincidiren können): Verhinderung der befürchteten unrechtlichen Handlung. Ob diese Handlung durch das bloße Verbot des Richters gehindert wird, oder ob eine thätliche Execution dieses Befehls nöthig ist, oder ob durch Cautionen die Ruhe des Besitzes gesichert wird, ist für den allgemeinen Zweck dieser Interdicte ganz gleichgültig.

(1) Nämlich das Int. quod vi aut clam. L. 25. §. 5. locati. – Diese ganze Stelle des Textes ist in der 6. Ausg. neu hinzugekommen.


(481) §. 37. Interdicta retinendae possessionis.

3) Für die Anwendung dieser Interdicte auf den Prozeß über Eigenthum: Entscheidung der Frage, welcher von beiden Theilen den Besitz gegenwärtig habe? Auch dieser Zweck kann mit den beiden ersten coincidiren (1).

Für den Erfolg unserer Interdicte finden wir noch eine besondere Regel aufgestellt, die hier zu erläutern ist. Diese Interdicte nämlich sollen duplicia seyn (2), oder als mixtae actiones betrachtet werden (3), und darin liegt

(1) Wenn man die Int. retinendae possessionis, ihrem eigentlichen Wesen nach, als Vorbereitungen zur Vindication betrachtet (§. 36.), so muß man diesen dritten für den Hauptzweck, die beiden ersten als Nebenzwecke ansehen, und so verfahren auch in der That die meisten Vertheidiger jener Ansicht. Neuerlich aber ist Wiederhold so weit gegangen, jeden anderen Zweck als den des Eigenthumsregulativs, gänzlich zu verwerfen. S. o. den Zusatz am Schluß des §. 10. (Zus. der 6. Ausg.)

(2) Durch das neuerlich entdeckte Fragment Ulpians ist es klar geworden, daß die Römer diesen Kunstausdruck auch noch in einem anderen, völlig verschiedenen Sinn gebrauchten, nämlich von solchen Interdicten, die nach Umständen bald recuperandae, bald adipiscendae possessionis u. s. w. seyn konnten; und aus diesem neu entdeckten Sinn ist nun zuerst die bisher unerklärliche L. 2. §. 3. de interd. verständlich geworden. Vgl. Rudorff in der Zeitschr. f. geschichtl. Rwiss. B. 9. S. 11-18. (Zus. der 6. Ausg.)

(3) Für beide Interdicte: Gaius Lib. 4. §. 160. – L. 37. §. 1. de O. et A. – §. 7. I. de interd. – Für das int. uti possidetis allein: L. 2. pr. de interd. – L. 3. §. 1. uti poss.


(482) Vierter Abschnitt. Interdicte.

in der That zweyerley: a) Jeder der streitenden Theile kann die Klage anstellen, oder als Kläger auftreten (1). b) Sie sollen im Prozeß gleiche Rechte haben, und nicht, wie bey den meisten Klagen, durch bestimmte Functionen einander entgegengesetzt seyn (2). Die wichtigste praktische Folge dieses Satzes ist die, daß der Kläger eben sowohl, als der Beklagte, condemnirt werden kann. Nun läßt sich dieses auf zweyerley Art denken: theils

(1) Mit Unrecht habe ich in den zwey ersten Ausgaben (S. 346. 406.) diesen Satz aus dem Grund geläugnet, weil doch nur   der Besitzer gewinnen könne. Gewinnen kann in der rei vindicatio auch nur der Eigenthümer, aber auch der Nichteigenthümer kann sie anstellen, denn ob er Eigenthümer ist, soll erst der Ausgang zeigen. Gerade so auch bey unsern Interdicten in Ansehung des Besitzes. Der Unterschied ist aber der, daß bey dem Eigenthum Eine feststehende, im voraus erkennbare Qualität dem Kläger als Bedingung vorgeschrieben ist, nämlich Nichtbesitz: bey unsern int. retin. poss. kommt gar keine solche Qualität vor, und darum eben sind sie duplicia. – Uebrigens sind bekanntlich auch die Theilungsklagen duplices: die actio confessoria und actio negatoria sind es zwar nicht, aber das willkührliche Auftreten des Klägers haben auch sie mit jenen Klagen gemein.

(2) §. 7. I. de interd. „ ... duplicia vocantur, quia par utriusque litigatoris in his conditio est, nec quisquam praecipue reus vel actor intelligitur: sed unusquisque tam rei, quam actoris partes sustinet.“ Gaius Lib. 4. §. 160. Noch deutlicher ist: L. 10. fin. regund. „Iudicium comm. div., fam. erc, fin. reg. tale est, ut in eo singulae personae duplex jus habeant: agentis, et ejus cum quo agitur.“


(483) §. 37. Interdicta retinendae possessionis.

so, daß nicht der Kläger, sondern der Beklagte, in der That den Besitz hat (1), und hier hat es keinen Zweifel, daß der Beklagte, der sogar selbst als Kläger hätte auftreten können, auf dieselbe Weise, wie wenn er wirklich geklagt hätte, den Prozeß gewinnen muß: theils läßt es sich so denken, daß der Kläger zwar den Besitz hat, aber durch Exceptionen des Beklagten den Prozeß verlieren muß. In diesem Fall hätte der, welcher jetzt Beklagter war, nicht als Kläger auftreten können, dennoch wird ihm jetzt der Besitz zugesprochen (2),

(1) In den meisten Fällen ist eben dies die Behauptung des Beklagten und der Gegenstand des Streits: daraus erklärt sich die Formel „uti possidetis“ d. h. „So, wie Einer von Euch, die Ihr Beide zu besitzen behauptet, wirklich besitzt (et)c. (et)c.“ Die Glossatoren haben mancherley Vermuthungen über diese Formel: unter andern nehmen sie an, der Prätor habe aus Höflichkeit den Besitzer durch „Sie“ angeredet. Eine andere Erklärung war von sehr bedeutenden Folgen: man bezog nämlich das „uti possidetis“ auf die possessio plurium in solidum, die eben dadurch theils überhaupt, theils für das int. uti possidetis allein bestätigt seyn sollte, indem bey diesem Interdict auch wohl der dejectus noch als Besitzer gelten könne (s. u. S. 488.). – Glossa in rubr. Tit. C. uti poss., Azo in Summa h. t. num. 19., et in lectura h. t. p. 622., Placentin. in Summa h. t. p. 376. 377. – Donellus in Cod. h. t. num. 6. 7. 8. (p. 288. 289.). – (Der Widerspruch, welchen neuerlich Albert über das int. uti poss. §. 116-121. gegen die hier aufgestellte Ansicht erhoben hat, scheint mir nicht gegründet).

(2) Daß dieses wirklich der Fall sey, folgt nicht nur aus dem Begriff des int. duplex,


(484) Vierter Abschnitt. Interdicte.

und diese scheinbare Inconsequenz läßt sich leicht rechtfertigen. Soll nämlich, wie hier, der Kläger abgewiesen werden, so muß der Richter entweder gar nicht über den Besitz entscheiden, oder den Beklagten zum Besitzer machen. Durch das Erste aber würde jedem Theile erlaubt, dem Andern nach Belieben Gewalt anzuthun: da nun dieses auf keine Weise das Resultat eines Richterspruchs seyn kann und darf, so bleibt nur das Zweyte übrig, d. h. das Interdict muß als duplex behandelt, und der Beklagte muß in den Besitz gesetzt werden, wiewohl er als Kläger mit diesem Interdict (1) nicht hätte gewinnen können.

Indessen darf doch diese prozessualische Gleichheit der Partheyen bey unsern Interdicten nicht zu weit ausgedehnt werden. Namentlich in Ansehung des Beweises gelten dieselben Regeln, wie bey allen andern Klagen, und in dieser Beziehung ist ohne Zweifel derjenige als Kläger zu betrachten, welcher zuerst vor

sondern auch aus L. 3. pr. uti poss. „ ... si a me possides, superior sum interdicto,“ d. h. ich soll gewinnen, was sich auf keine andere Art denken läßt.

(1) In den meisten Fällen würde er freylich ein anderes Interdict auch als Kläger haben gebrauchen können, z. B. das int. de vi, wenn ihn der Andere mit Gewalt aus dem Besitz warf, und dann das int. uti possidetis gegen ihn gebrauchte, das er durch eine Exception ausschloß (L. 1. §. 5. uti poss.).


(485) §. 37. Interdicta retinendae possessionis.

dem Richter aufgetreten ist (1). Für diesen Beweis nun gilt zuvörderst der oben (S. 456.) für die possessorischen Klagen überhaupt aufgestellte Grundsatz. Dann aber entsteht dabey noch folgende besondere Frage: wenn der Beklagte des Klägers Besitz im allgemeinen einräumt, seinerseits aber den Mitbesitz behauptet (S. 179), wer muß nun beweisen? Man könnte das als eine Exception ansehen, und deshalb dem Beklagten den Beweis auflegen; ich glaube aber vielmehr, daß der Kläger beweisen muß. Denn eigentlich behauptet der Kläger den Besitz an allen Theilen der Sache, dieser wird ihm an einigen Theilen zugestanden, an andern aber bestritten; es ist demnach eine partiell negative Litiscontestation, weshalb der Kläger beweisen muß. Als Unterstützung kann noch angeführt werden, daß außerdem bey entschiedenem Mitbesitz jeder Theil unredlicherweise klagen, und dann seinem Gegner, dem Beklagten, den Beweis aufbürden könnte. (2).

(1) L. 2. §. 1. comm. div. – L. 13. de jud. Beide Stellen sprechen zwar von Theilungsklagen, die Analogie derselben muß aber auch für unsere Interdicte gelten.

(2) Diese Schlußbemerkung ist in der 4ten Ausg. neu hinzugekommen.


(486) Vierter Abschnitt. Interdicte.

§. 38.

Eigene Quellen für das Interdictum uti possidetis:

http://t2.gstatic.com/images?q=tbn:ANd9GcRMbUJhTQZiZsQQZ4ONo2ZHMxhmmEjLvUmZaApkpG7gfvhle1CRrhsIVzjb§. 4. I. de interd.

Digest. Lib. 43. Tit. 17. s. die Einleitung.

Cod. Lib. 8. Tit. 6.

Carl Albert über das Interdictum uti possidetis der Römer, Halle 1824. 8. (Eine recht gründliche, achtungswerthe Arbeit).

Wiederhold das Interdictum uti possidetis und die Novi operis Nunciatio. Hanau 1831. 8. (S. o. Zusatz am Schluß des §. 10.).

Die Regeln, die in dem vorigen §. für die int. retinendae possessionis überhaupt aufgestellt wurden, sind jetzt auf den Besitz der Grundstücke, also auf das Int. uti possidetis (1) anzuwenden.

Die allgemeinen Bedingungen dieser Interdicte waren: Besitz überhaupt, gewaltsame Verletzung desselben, und eine solche Verletzung, durch welche der Besitz nicht

(1) Die Stelle des Edicts steht in: L. 1. pr. uti possidetis, und mit etwas verändertem Ausdruck bey Festus (v. possessio, ap. Gothofr. p. m. 372.). – Vgl. oben die Anmerkung am Ende von §. 12 a.


(487) §. 38. Interdictum uti possidetis.

aufgehoben ist. Die erste und dritte dieser Bedingungen sind in der Anwendung auf das int. uti possidetis bezweifelt worden. – Was den ersten Punkt betrifft, so fordert Cuperus (1), daß die possessio auch civilis sey, wenn das Interdict begründet seyn soll: diese Behauptung ist eine bloße Folge seines falschen Begriffs von possessio civilis, mit welchem sie folglich zugleich widerlegt ist. Allein Cuperus beweißt seinen Satz noch besonders für unser Interdict, und dieser Beweis gehört hierher. Ulpian nämlich sagt in einer sehr bekannten Stelle, bey dem int. unde vi müsse die possessio nicht nothwendig civilis seyn: also – folgert Cuperus – muß sie es bey dem int. uti possidetis allerdings seyn (2). – Die dritte Bedingung, daß der Kläger noch gegenwärtig Besitzer seyn müsse, ist gerade bey dem int. uti possidetis so klar bestimmt (3), daß sie eben hier am wenigsten hätte bezweifelt werden sollen.

(1) Und nunmehr eben so auch Thibaut, S. o. Zusatz der 6. Ausg. am Schluß von §. 10.

(2) de nat. poss. P. 2. C. 8. „in L. 1. §. 9. de vi scribit Ulpianus de Interdicto unde vi: Nam et Naturalis Possessio ... ad Hoc Interdictum pertinet; aperto indicio, eam non pertinere ad Interdictum Uti possidetis, aut Utrubi.“

(3) L. 1. §. 4. uti possidetis „ ... interdictum ... uti possidetis ... redditur, ne vis fiat ei, qui possidet ... hoc interdictum tuetur, ne amittatur possessio: denique Praetor possidenti vim fieri vetat“ etc.


(488) Vierter Abschnitt. Interdicte.

Der erste Grund dagegen beruht auf der falschen Erklärung der civilis possessio als possessio quae animo retinetur (S. 153-156. und S. 483. f.): diese Art der Fortsetzung sey auch dem dejectus möglich, folglich habe dieser die Wahl zwischen dem int. de vi (wegen der verlornen naturalis possessio) und uti possidetis (wegen der fortdauernden civilis possessio) (1). Ein zweyter Grund liegt in einer unrichtigen Erklärung der L. 11. de vi (S. 477. f.): in dieser Stelle sey bey einer bloßen Störung des Besitzes das int. de vi zugelassen, folglich müsse auch umgekehrt der dejectus das int. uti possidetis gebrauchen dürfen. Drittens sagen Einige, da der dejectus als Beklagter ohne Zweifel den Prozeß gewinne, so müsse er auch als Kläger das Interdict haben (2): dabey hat man also die Gleichheit der Partheyen in dem int. duplex in zu großer Ausdehnung genommen, wogegen schon oben gewarnt worden ist (S. 484.).

Auch die Wirkung dieses Interdicts kommt völlig mit dem überein, was oben über die Wirkung der int.

(1) Azo in Summa Cod. tit. uti possid. num. 16. 17. (fol. 145.). – Menoch. de retin. poss., remed. 3. num. 35. 36. 37. – Giphanius in antinom., Lib. 4. Disp. 48. n. 24-30.

(2) Die zwey letzten Gründe zusammen haben: Busius in subtil. juris Lib. 6. C. 8., Giphanius l. c. (s. die vorige Note).


(489) §. 38. Interdictum uti possidetis.

retinendae poss. im allgemeinen bestimmt worden ist. – Zuerst also ist die Handlung zu verhindern, wodurch der Besitz gestört werden soll. Dieser Zweck wird gewöhnlich durch das bloße Urtheil des Richters, welches die Störung verbietet, vollständig erreicht seyn: außerdem hat es keinen Zweifel, daß dieses Urtheil, wie jedes Urtheil überhaupt, exequirt werden müsse, und diese Execution kann unter andern darin liegen, daß der Richter von dem Verurtheilten, von welchem eine fortgesetzte Störung des Besitzes zu befürchten ist, deshalb Caution leisten läßt. Das Recht also, eine solche Caution aufzulegen, liegt schon in dem allgemeinen Recht der Execution, und es bedarf der positiven Bestätigung nicht, die auch bloß mit Hülfe einer falschen Interpretation hat behauptet werden können (1). – Für die Störung

(1) L. un. C. uti possidetis: „Uti possidetis fundum, de quo agitur, cum ab altero, nec vi, nec clam, nec precario possidetis, Rector provinciae vim fieri prohibebit: ac satisdationis, vel transferendae possessionis Edicti perpetui forma servata, de proprietate cognoscet.“ Nämlich entweder, sagt man, ist der Beklagte nicht im Besitz, dann muß er jene Caution leisten: oder er ist im Besitz, dann wird der Besitz selbst durch dieses Interdict von ihm weggenommen (s. o. S. 487.). Duarenus in tit. uti poss., et in Disp. anniv. I. 21. (opp. p. 944. 1386.). – Allein mit den Worten „vim fieri prohibebit“ ist die Bestimmung des Interdicts zu Ende, was darauf folgt, betrifft die Vindication, und bey dieser war es allgemeine Regel, daß der Beklagte entweder de judicato caviren oder den Besitz


(490) Vierter Abschnitt. Interdicte.

des Besitzes in der vergangenen Zeit muß dem Besitzer Ersatz geleistet werden, und bey der Bestimmung dieses Ersatzes kommt alles das in Betracht, was der Besitzer durch jene Störung wirklich verloren, oder zu erwerben versäumt hat (1).

Soviel von den Bedingungen und der Wirkung dieses Interdicts im allgemeinen. Allein es sind einige Fälle besonders ausgenommen, in welchen das Interdict entweder gar nicht, oder nur zum Theil zugelassen wird: die Exceptionen des Beklagten, die sich auf diese Fälle beziehen, sind nun noch hinzuzufügen. – Die erste dieser Exceptionen betrifft die Art, wie der Besitz des Klägers entstanden ist: wenn dieser Besitz

abgeben mußte („satisdationis, vel transferendae possessionis“) welche Regel aber nachher aufgehoben wurde. (Für das ältere Recht vergl. Gaius IV. 91., für das neuere §. 2. I. de satisd.). Diese richtige Erklärung haben: Glossa in L. cit. Azo in Summa C. h. t. num. 23. – Baro in manual. in Dig. P. 6. (p. 184.), Cuiacius in Paulum I. 11. §. 1. (heftiger Ausfall gegen Duaren), Donellus in Cod. h. t. n. 25-28. (der jedoch andere Irrthümer in diese Interpretation bringt), ganz vorzüglich aber: C. F.Conradi in diss. cautio de non ampl. turb. in jud. poss. usu fori recepta, Helmst. 1737., wo außer der Interpretation jener Stelle auch diese Caution überhaupt gründlich dargestellt ist. – Vgl. nunmehr Rudorff in der Zeitschrift für geschichtl. Rwiss. B. 9. S. 27, von welchem diese Stelle mit der neuesten Quellenentdeckung in Verbindung gebracht worden ist.

(1) L. 3. §. 11. uti possidetis.


(491) §. 38. Interdictum uti possidetis.

selbst mit Gewalt, oder heimlich, oder durch ein precarium angefangen hat, so gewinnt nicht der Kläger, sondern der Beklagte (1): doch muß diese unrechtliche Handlung zwischen denselben Personen vorgefallen seyn, die jetzt als Kläger und Beklagter im Prozeß auftreten: also gilt die Exception nicht, wenn entweder von dem auctor des Klägers (2), oder gegen eine andere Person, als den Beklagten (3), die dejectio etc. etc. verübt worden ist. – Der Grund dieser Exception liegt ganz allgemein darin, daß der Beklagte ohnehin ein Int. recuperandae possessionis hat (4): anstatt also den Beklagten, der freylich nicht Besitzer ist, in dem Int. uti possidetis verlieren, und dann in einem zweyten Prozeß gewinnen zu lassen, wird durch eine sehr natürliche Abkürzung

(1) L. 1. pr. §. 5. L. 3. pr. uti poss. (s. o. S. 195.).

(2) L. 3. §. 10. uti poss. „Non videor vi possidere, qui ab eo, quem scirem vi in possessione esse, fundum accipiam.“

(3) L. 1. §. 9. „ ... ut, si quis possidet vi, aut clam, aut precario, si quidem ab alio: prosit ei possessio: si vero ab adversario suo, non debet eum propter hoc, quod ab eo possidet, vincere ... “ cf. L. 2. eod. – L. 53. de poss. – §. 4. I. de interd. – L. 17. de prec.

(4) In der 5ten Ausg. sagte ich, so sey es in den meisten Fällen gewesen. Dieser Ausdruck gründete sich auf meine damalige Ansicht, nach welcher die clandestina possessio eine andere und ausgedehntere Bedeutung bey der Exception haben sollte als bey dem Interdict. Die Berichtigung dieser Ansicht findet sich in den neuen Zusätzen des §. 41. (Zus. der 6. Ausg.)


(492) Vierter Abschnitt. Interdicte.

des Prozesses gleich jetzt der Kläger abgewiesen, ja sogar aus einem besondern Grunde (S. 487.) der Besitz dem Beklagten eingeräumt. – Die zweyte Exception betrifft die Verjährung des Interdicts. Wenn nämlich Ein Jahr verflossen ist, seitdem der Besitz verletzt wurde, so kann von diesem Interdict kein Gebrauch gemacht werden, um Schadensersatz zu fordern (1): es müßte denn durch den Verlust des Besitzers zugleich der Verletzer gewonnen haben (2). – Andere als die hier genannten Exceptionen können nicht angenommen werden (3).

§. 39.

Eigene Quellen für das Interdictum utrubi:

http://t2.gstatic.com/images?q=tbn:ANd9GcRMbUJhTQZiZsQQZ4ONo2ZHMxhmmEjLvUmZaApkpG7gfvhle1CRrhsIVzjb§. 4. I. de interd.

Digest. Lib. 43. Tit. 31.     s. die Einl.

Cod. Theod. Lib. 4. Tit. 23.

(1) L. 1. pr. uti possidetis „intra annum, quo primum experiundi potestas fuerit, agere permittam.“

(2) L. 4. de interd. „Ex quibus causis annua interdicta sunt, ex his de eo, quod ad eum, cum quo agitur, pervenit, post annum judicium dandum, Sabinus respondit.“

(3) So z. B. die exceptio possessionis nullae, welche Albert a. a. O. §. 94. behauptet. Diese ist in der That nichts als eine negative Litiscontestation, deren Natur durchaus nicht verändert wird, es mag der Beklagte sich auf die bloße Negation einschränken, oder für sich den Besitz in Anspruch nehmen. (Zusatz der 5ten Ausg.).


(493) §. 39. Interdictum Utrubi.

Wie bey Grundstücken durch das Int. uti possidetis, so wird bey allen beweglichen Sachen durch das Int. utrubi der Besitz geschützt, wiewohl es nach den Worten des Edicts nur Sclaven betraf (1).

Die erste Bedingung, hier wie bey dem Int. uti possidetis, ist juristischer Besitz, ohne Unterschied, ob es civilis possessio ist oder nicht (2). Allein Besitz überhaupt war dennoch nicht hinreichend, sondern der Besitz mußte in dem letztverflossenen Jahre längere Zeit als von dem Gegner ausgeübt worden seyn (3): in diese Zeit wurde natürlich der Besitz des Verkäufers (et)c. mit eingerechnet, so daß hier, wie bey der Usucapion und der Verjährung mancher Klagen, die accessio possessionis von großer Wichtigkeit war (4). Das neuere

(1) L. 1. pr. §. 1. de utrubi „Praetor ait, utrubi hic homo, quo de agitur, majore parte hujusce anni fuit: quo minus is eum ducat, vim fieri veto. – Hoc interdictum de possessione rerum mobilium locum habet ... “ Gaius Lib. 4. §. 149. 150.

(2) Cuperus (II. 8.) behauptet auch hier das Gegentheil: Einer seiner Gründe ist schon bey dem Int. uti possidetis (S. 487.) vorgekommen: ein zweyter beruht auf L. 46. de don. int. vir. et ux., welche Stelle auch schon oben (S. 74.) erklärt worden ist.

(3) Die major pars anni also ist relativ zu nehmen. L. 156. de V. S. Gaius Lib. 4. §. 152.

(4) Cuperus (II. 8.) macht, zum Theil nach Schulting, die sehr gute Bemerkung, daß L. 46. de don. int. vir. et ux. (s. o. S. 74.) und L. 13. de poss., durch die Inscription unter einander und mit L. 1. de utrubi verbunden sind, also wahrscheinlich bey Gelegenheit dieses


(494) Vierter Abschnitt. Interdicte.

Recht hat diese Beschränkung aufgehoben, und das Int. utrubi dem Int. uti possidetis völlig gleich gesetzt (1): zuverlässig rührt diese Aenderung erst von Justinian her, und die Stelle des Ulpian, worin sie vorkommt (2), ist interpolirt, denn es findet sich bey Paulus noch keine Spur von dieser Neuerung (3), und eben so bey Gaius (4) und in einer Constitution von Diocletian (5). – Die zweyte Bedingung ist ein gewaltsamer Eingriff in den Besitz, und dabey findet sich hier nichts besonderes. – Endlich muß drittens der Besitz noch gegenwärtig fortdauern, also auch nicht etwa durch die Verletzung aufgehoben seyn. Für das Justinianische Recht kann dieser Satz nicht bezweifelt werden, und alles was oben bey dem Int. uti possidetis darüber gesagt worden ist, ist auch hier anwendbar. Aber wie verhält

Interdicts von der accessio possessionis handelten. – Ferner gehört dahin L. 14. §. 3. de div. temp. praescr. (Klepe de nat. et ind. poss. p. 27.). – Ferner L. 11. de adquir. rer. dom. (s. o. S. 418. a. E. und S. 419.) – Endlich Gaius Lib. 4. §. 151.

(1) §. 4. I. de Int.

(2) L. 1. §. 1. de utrubi.

(3) Rec. Sent. V. 6. §. 1.: „ ... in altero vero (sc. in Int. utrubi) potior est, qui majore parte anni retrorsum numerati ... possedit.“

(4) Gaius Lib. 4. §. 150.

(5) Fragmenta Vaticana §. 293. – Eben dahin deutet, nur weniger ausdrücklich, eine Stelle des Paulus, fragm. vat. §. 311. – Vielleicht auch L. 11. §. 13. de act. emti vend., die wenigstens durch die Beziehung auf das alte Int. utrubi den bestimmtesten Sinn erhält. (Zus. der 6. Ausg.).


(495) §. 39. Interdictum Utrubi.

sich die Sache im älteren Recht, vor der Gleichstellung beider Interdicte? ist es auch hier ein reines Interd. retinendae possessionis, d. h. ist hier außer der possessio majoris anni partis auch noch gegenwärtiger Besitz nöthig, oder kommt es auf den gegenwärtigen Besitz dabey nicht an? ich bin jetzt überzeugt, daß diese letzte Meinung die richtige ist, obgleich aus ganz andern Gründen, als welche bisher dafür angeführt worden sind. Man pflegte sich nämlich auf folgende Stellen zu berufen, welche insgesammt nichts beweisen:

A) L. 3. §. 5. ad exhibendum:

„Sed et si quis interdicturus, rem exhiberi desideret, audietur.“

B) L. 3. §. 12. ad exhibendum (1):

„Pomponius scribit, ejusdem hominis recte plures ad exhibendum agere posse: forte, si homo primi sit, secundi in eo ususfructus sit, tertius possessionem suam contendat, quartus pigneratus sibi eum adfirmet. Omnibus igitur ad exhibendum actio competit: quia omnium interest exhiberi hominem.“

(1) Beide Stellen hat: A. A. Pagenstecher in admonitor. ad Pand. Lib. 43. Tit. 31. (ed. Groning. 1715. 8. p. 775.), und vor ihm Cuiac. obss. V. 23. und Paratit. in Dig. tit. utrubi.


(496) Vierter Abschnitt. Interdicte.

In beiden Stellen, sagt man, soll das Int. utrubi durch die actio ad exhibendum präparirt werden, also muß es auch den verlornen Besitz wieder fordern können. Aber erstens ist es gar nicht nöthig, diese Stellen auf das Int. utrubi zu beziehen, und zweytens ist der Schluß aus dieser Beziehung ganz falsch. Das erste – denn der §. 5. kann von jedem Int. adipiscendae possessionis eben so gut verstanden werden, und der §. 12. setzt gar kein Klagrecht auf die possessio nothwendig voraus, vielmehr ist es aus andern Stellen gewiß, daß die actio ad exhibendum ohne Beziehung auf ein anderes Klagrecht gebraucht werden konnte, wenn nur Interesse und justa causa vorhanden war (1): unter diesen Bedingungen konnte die possessio selbst unmittelbar durch jene Klage erlangt werden (2). – Zweytens war der Schluß falsch: denn wenn in der That die actio ad exhibendum das Int. utrubi vorbereiten kann, so ist es doch nicht nöthig, bey diesem Interdict den Besitz als verloren anzunehmen. Denn da der commodans etc.

(1) L. 3. §. 9. 10. 11. 14. ad exhib.

(2) L. 5. §. 1. ad exhibendum.


(497) §. 39. Interdictum Utrubi.

seinen Besitz nicht verliert, wenn ihm der commodatarius die Restitution bloß verweigert, ohne durch contrectatio ein wahres furtum zu begehen, so kann in diesem Fall das Int. utrubi als Int. retinendae possessionis allerdings durch die actio ad exhibendum vorbereitet werden: dasselbe ließe sich in dem Fall der L. 14. C. de agricolis denken, die sogleich erklärt werden wird.

C) L. 14. C. de agricolis (vgl. Cod. Theod. IV. 23.) (1):

„Si coloni, quos bona fide quisque possidet (2), ad alios fugae vitio transeuntes necessitatem propriae conditionis declinare tentaverint, bonae fidei possessori primum

(1) I. Gothofr. in L. cit., Klepe de nat. et ind. poss. p. 25.

(2) „Possedit“ lesen Sieben Pariser Mss. des volumen, das Göttingsche Ms. Ed. Mog. 1477. f. (ap. Schoeffer), Basil. 1478. f. (ap. Wenssler), Ven. 1491. f. (ap. Arrivabene), Ven. 1498. f. (ap. Tortis), Lugd. 1508. f. (ap. Nicol. de Benedictis), Lugd. 1512. f. (ap. Fradin), Paris. 1511. 1515. 4. (ap. A. Boucardum et I. Parvum), Hal., Cont. I. (Paris 1559. f.) Cont. II. (Paris. 1562. 8.), Russard. Eben so: Cod. Theod. (aber aus dem Breviarium). – – „Possidet“ lesen: Cont. III. (Paris. 1566. f.), Cont IV. (Lugd. 1571. 12.), Charondas, Cont. V. (Paris. 1576. f.), ferner alle Gothofredische Ausgaben, und aus diesen auch Gebauer.


(498) Vierter Abschnitt. Interdicte.

oportet celeri reformatione succurri: et tunc causam originis et proprietatis agitari.“ Die Leseart „possidet“, die sicher aus Handschriften genommen ist, da sie das Zeugniß so bewährter Editoren für sich hat, wird durch das nachfolgende „possessori“ bestätigt, da dieses, wenn es natürlich erklärt werden soll, nicht anders, als so aufgelößt werden kann, „ei, qui possessor est“ . Ein noch wichtigerer Grund für jene Leseart ist der Inhalt der Stelle selbst. Die Leibeigenen (coloni) nämlich, die hier, wie in vielen andern Rücksichten, dem Sclaven gleich behandelt werden (1), waren entflohen, und gaben sich unter den Schutz einer Dritten Person für Freygeborne aus: gegen diesen Dritten sollte geklagt werden. Also war dieser Dritte nicht Besitzer der Leibeigenen, weil er es gar nicht seyn wollte, sie selbst wurden als servi fugitivi behandelt, und so wie diese (S. 400.) von ihrem vorigen Besitzer auch jetzt noch besessen (2). Demnach ist freylich in unserer Stelle von dem Int. utrubi

(1) I. Gothofredi paratit. in Cod. Theod. V. 9.

(2) Wenck Cod. Theod. libri V. priores p. 268 vertheidigt die Leseart possedit, indem er einen falschen Begriff von civilis possessio einmischt. (Zus. d. 6. Ausg.)


(499) §. 39. Interdictum Utrubi.

die Rede, was auch aus der Ueberschrift des Titels im Cod. Theod. erhellt, und worauf der Zusatz „bonae fidei possessori“ sich bezieht, um die Exceptionen anzudeuten, durch welche dieses Interdict, wie das Int. uti possidetis ausgeschlossen werden kann: allein das Interdict selbst ist hier, wie überall, ein Int. retinendae possessionis.

D) Petron. C. 13. (1) S. o. S. 64.

Petron erzählt, es sey ein Kleid verloren worden, ein Anderer habe es aufgehoben, und gegen diesen sollte ein Interdict gebraucht werden. Diese Stelle würde freylich den Satz beweisen, wenn überhaupt Petron bey einem Satz, der so sehr in das Detail des Civilrechts hineingeht, ein gültiger Zeuge seyn könnte.

Alle diese Gründe also beweisen den Satz nicht, dagegen sind folgende ganz entscheidend (2):

A) Theophilus (3), welcher selbst die alte Form des Interdicts noch gekannt haben muß, führt ausdrücklich folgendes Beyspiel zur Erläuterung derselben an: „wenn ich eine Sache sieben Monate

(1) Pagenstecher l. c.

(2) Ich bin auf diese Gründe erst durch Hugo aufmerksam gemacht worden.

(3) Theophilus in §. 4. I. de interdictis. Bei Gajus Lib. 4. §. 152. wird der umgekehrte Fall angenommen.


(500) Vierter Abschnitt. Interdicte.

besitze, der Andere besitzt sie in den fünf darauf folgenden Monaten, so gewinne ich den Prozeß, und der Andere muß mir den Besitz herausgeben.“

B) Außerdem wäre in vielen Fällen (z. B. eben in dem, welchen Theophilus anführt), der Streit gar nicht zu entscheiden gewesen.

Der practische Rechtssatz also hat keinen Zweifel, aber durch welche theoretische Ansicht ist derselbe zu erklären? ist deshalb das Int. utrubi als recuperandae poss. zu betrachten? Dieser Punct ist für meine Ansicht der possessorischen Interdicte überhaupt von der größten Wichtigkeit, indem die formelle Verletzung, worauf ich sie durchaus beziehe, bey dem Int. utrubi, wenn es recuperandae possessionis ist, gewiß nicht statt findet. Allein es läßt sich durch sehr deutliche Zeugnisse beweisen, daß die Römer dieses Interdict niemals als recuperandae poss. betrachteten. Sowohl Gaius, als Paulus, welche beide von der neuen Gestalt dieses Interdicts nichts wissen, nennen es ausdrücklich als Int. retinendae possessionis neben dem Int. uti possidetis (1):

(1) Gaius Lib. 4. §. 148. Paulus V. 6. §. 1. „Retinendae possessionis gratia comparata sunt interdicta, per quae eam possessionem, quam jam habemus, retinere volumus: quale est uti possidetis de rebus soli, et Utrubi de re mobili.“ Vielleicht ließe sich von dieser Ansicht


(501) §. 39. Interdictum Utrubi.

Paulus spricht bald nachher von dem Int. de vi, stellt den bekannten Satz auf, daß es bey beweglichen Sachen nicht gebraucht werden dürfe, und nennt eine andere Klage, durch welche es in diesem Falle ersetzt werden könne: und hier, wo das Int. utrubi vor allen andern hätte vorkommen müssen, wenn es je auf den verlornen Besitz als solchen sich erstreckt hätte – nennt er es nicht (1).

Nun verhält sich die ganze Sache so. Das Int. utrubi ist retinendae poss., nur wird dabey durch eine besondere Fiction (2) der Besitz der major anni pars für den gegenwärtigen Besitz genommen (3). Ist

aus sogar die Leseart possidet bey Gaius Lib. 4. §. 150. p. 238. lin. 5. vertheidigen, die in der Ausgabe auf meinen Vorschlag in possedit verwandelt worden ist.

(1) Paulus V. 6. §. 5. „De navi vi dejectus hoc interdicto (de vi) experiri non potest: sed utilis ei actio de rebus recuperandis, exemplo de vi bonorum raptorum, datur. Itemque de eo dicendum est, qui carruca, aut equo dejicitur ... “ – Eine ähnliche Stelle bey Ulpian (L. 1. §. 6. de vi) ist um deswillen weniger entscheidend, weil dabey immer eine Interpolation möglich wäre.

(2) Diese Fiction, folglich die ganze Eigenthümlichkeit des alten Int. utrubi, würde uns wahrscheinlich sehr natürlich, wohl gar nothwendig vorkommen, wenn wir den ganzen Römischen Prozeß im Zusammenhang kennten.

(3) Ich finde diese Ansicht schon bey Wieling fragment. edicti perpet. Franequ. 1733. 4. p. 325. 326.: „duplex fuisse hoc interdictum videtur: unum prohibitorium, cujus verba hoc tit. referuntur: alterum


(502) Vierter Abschnitt. Interdicte.

nun der Kläger nicht zugleich gegenwärtiger Besitzer, so liegt die formelle Verletzung in der gegenwärtigen Verweigerung der Sache. Ob der Gegner vorher etwa mit Gewalt dem Kläger den Besitz genommen, oder ob er ihn auf eine untadelhafte Weise erlangt hatte, ist dabey ganz gleichgültig. Beides (ich meine die major anni pars und die Gewaltthätigkeit) kann coincidiren, aber dieses Zusammentreffen ist bloß zufällig (1), wodurch denn die wesentliche Verschiedenheit unseres Interdicts von den Interdictis recuperandae poss. recht klar wird (2). – Indessen soll damit nicht geläugnet werden, daß dieses an sich zufällige Zusammentreffen dennoch in den meisten Fällen wirklich statt finden mag, so daß dann dieses Interdict für den practischen Erfolg zugleich denselben Dienst leisten wird, wie wenn es recuperandae possessionis wäre. Dieses ist besonders noch

restitutorium, quod omittitur ... ceterum retinendae magis possessionis hoc Interdictum fuisse, quam recuperandae, si proprie et ex arte loquamur: possessio enim, quae hoc Interdicto retineri dicitur, non est praesens, verum majoris anni partis: ita ut vere retineatur possessio, illa nempe majoris anni partis, quam dixi; sed recuperetur tantum praesens, si tempore interdicti mutata adpareat.“

(1) Daraus erklärt es sich, warum Paulus (l. c.) in dem Fall einer gewaltsamen Besitzentsetzung das Int. utrubi gar nicht nennt.

(2) Die nun im Text folgende Bemerkung ist in der 4ten Ausg. neu hinzugekommen.


(503) §. 39. Interdictum Utrubi.

aus folgendem Grund anzunehmen. Wenn mir wirklich der Besitz einer beweglichen Sache gewaltsam genommen wird, und ich nur noch binnen einem Jahr das Interdict gebrauche, so muß ich wegen der gleich folgenden exc. vitiosae poss. nothwendig gewinnen. Auch ist überhaupt dieser strengen Vertheidigung des int. utrubi als eines bloßen int. retinendae possessionis lediglich ein theoretischer Werth beyzulegen, indem unten (§. 40.) gezeigt werden wird, daß dieses Interdict im practischen Erfolg als ein Surrogat des int. unde vi gebraucht wurde und werden sollte (1).

Bisher ist von den Bedingungen dieses Interdicts die Rede gewesen: die Wirkung desselben hat gar nichts Eigenthümliches. Also auch hier muß vorzüglich die Störung des Besitzes selbst verhindert (2), außerdem aber auch für die vergangene Zeit Schadensersatz geleistet werden.

Endlich sind noch die Exceptionen bey diesem

(1) Es wäre daher mit dieser Ansicht wohl vereinbar, wenn die Römer, obgleich sie das Interdict vorzugsweise als retinendae possessionis behandeln, dasselbe doch in andern Stellen als ein int. duplex bezeichnet hätten, d. h. als ein solches, das nach Umständen bald retinendae bald recuperandae seyn konnte. Ja ich halte es sogar für wahrscheinlich, daß bey ihnen auch diese Ausdrucksweise vorgekommen ist. Vgl. oben die Zusätze der 6. Ausg. zu §. 35. u. 37. (Zusatz der 6. Ausg.)

(2) L. 1. pr. de utrubi „ ... Vim fieri veto.“


(504) Vierter Abschnitt. Interdicte.

Interdict zu bestimmen. – Die erste gründet sich hier, wie bey dem Int. uti possidetis, auf die vitiosa possessio des Klägers (1), und es muß auch hier, wenn die Exception gelten soll, die Gewalt (et)c. gegen den jetzigen Beklagten gebraucht worden seyn. Für das neuere Recht hat auch dieser letzte Satz keinen Zweifel (2): und selbst für das ältere Recht ist es bloß ein seltsamer Einfall von Cuperus (3) gewesen, ihn zu läugnen. Seine Gründe sind diese: A) Paulus wiederholt nicht ausdrücklich die Worte „ab adversario“ (4): aber auf dieselbe Art hätte auch für das neuere Recht dieser Beweis geführt werden können, da auch in den Pandecten, und zwar in einer wahrscheinlich interpolirten Stelle (5), jene Worte fehlen. B) Ein argumentum a contrario (6), das offenbar noch viel schlechter

(1) Hier kann man ebenso wie bey dem int. uti poss. sagen, daß der zu dieser Exception berechtigte Beklagte auch als Kläger durch dasselbe int. utrubi hätte gewinnen müssen; vergl. unten §. 41. (Zusatz der 5ten Ausg., in der 6ten modificirt.)

(2) §. 4. in fin. I. de interd.

(3) de nat. poss. P. 2. C. 7. – Bey neueren Schriftstellern gilt dieser Einfall schon als historische Gewißheit.

(4) Paulus V. 6. §. 1. „Et in priore quidem (uti poss.) is potior est, qui redditi interdicti tempore nec vi, nec clam, nec precario ab adversario possidet. In altero vero (utrubi) potior est, qui majore parte anni retrorsum numerati nec vi, nec clam, nec precario possedit.“

(5) L. 1. §. 1. de utrubi.

(6) L. 2. uti poss. „Iusta enim an injusta adversus ceteros possessio sit, in hoc


(505) §. 39. Interdictum Utrubi.

ist, als jener erste Grund. Dagegen wird das ausdrückliche Zeugniß der Institutionen, welches gerade das ältere Recht betrifft (1), ganz übersehen, und es läßt sich kein Grund denken, warum dieses Zeugniß nicht als vollständiger Beweis sollte gelten können. Völlig entschieden wird die Sache durch Gaius (2). – Die zweyte Exception bezog sich bey dem Int. uti possidetis auf die Verjährung (S. 492.): diese Exception scheint hier nicht zu gelten, weil sie weder in dem Edict selbst (3), noch in den Institutionen (4) vorgeschrieben ist; in der That aber war sie im älteren Recht durch die besondere Zeitrechnung bey diesem Interdict absorbirt, im neueren Recht aber folgt ihre Gültigkeit aus der absoluten Gleichstellung beider Interdicte (5).

§. 40.

Eigene Quellen für die Int. de vi:

Cicero pro A. Caecina.

interdicto nihil refert.“ Also (schließt Cuperus) macht es bey dem Int. utrubi allerdings einen Unterschied.

(1) §. 4. de interd. „Utrubi vero Interdicto is vincebat, qui majore parte ejus anni nec vi, nec clam, nec precario ab adversario possidebat. Hodie tamen ... “

(2) Gaius Lib. 4. §. 150.: „si vero de re mobili, tunc eum potiorem esse jubet, qui majore parte ejus anni nec vi, nec clam, nec precario ab adversario possedit.“

(3) L. 1. pr. §. 1. de utrubi.

(4) §. 4. I. de interd.

(5) Diese Bemerkung ist in der 4ten Ausgabe neu hinzugekommen.


(506) Vierter Abschnitt. Interdicte.

Cicero pro Tullio (in: Ciceronis orat. fragm. ed. Peyron. Stuttgard. 1824. 4. p. 96-109.).

Gaius Lib. 4. §. 154. 155.

http://t2.gstatic.com/images?q=tbn:ANd9GcRMbUJhTQZiZsQQZ4ONo2ZHMxhmmEjLvUmZaApkpG7gfvhle1CRrhsIVzjb§. 6. I. de interdictis.

Digest. Lib. 43. Tit. 16.

Cod. Iust. Lib. 8. Tit. 4. 5.      s. die Einl.

Cod. Theod. Lib. 4. Tit. 22.

Schriftsteller:

Zu Erklärung der Rede des Cicero pro Caecina dienen außer den notis variorum der Gräv’schen und Neapolitanischen Ausgabe der Reden einige specielle Editoren und Commentatoren dieser einzelnen Rede: Iac. Omphalius (Paris. 1535. 8.), Barth. Latomus (Argent. 1539. 8.) und Pet. Pellitarius (Paris. 1540. 4.).

Aber ungleich wichtiger und brauchbarer ist folgende Schrift:

Henr. Const. Cras. diss. qua spec. jpr. Ciceron. exhib., s. Ciceronem justam pro. A. Caecina causam dixisse ostenditur. Lugd. Bat. 1769. 4.

Eine gründliche Schrift, die nicht bloß von der Rede des Cicero handelt, sondern über das ganze Interdict sich


(507) §. 40. Interdictum de vi.

verbreitet. Daß indessen Cicero eine gute Sache vertheidigt habe, ist auch durch diese Schrift nicht wahrscheinlicher geworden.

Ferd. Gotth. Fleck comm. binae de interd. unde vi et remediis spolii, Lips. 1797. 8. (s. die Einl.). Nur der erste Theil des Buchs gehört hierher, und dieser erste Theil ist aus Cras abgeschrieben, Zusätze abgerechnet, die nicht von Bedeutung sind.

Wer durch Gewalt den Besitz verloren hatte, forderte ihn auf verschiedene Weise zurück, je nachdem die Gewaltthätigkeit mit oder ohne Waffen ausgeübt worden war. Man nimmt deshalb gewöhnlich zwey verschiedene Interdicte an, de vi quotidiana und de vi armata. Im Grunde aber war es nur ein einziges int. de vi, welches bald auf regelmäßige Weise gebraucht wurde (int. de vi schlechthin, ohne Zusatz), bald mit einigen schärfenden Ausnahmen zum Nachtheil des Beklagten (int. de vi armata) (1). Die gewöhnliche, alltägliche Gewaltthätigkeit, worin ja der regelmäßige Fall enthalten war, führte eben deshalb keinen besonderen Namen: Cicero nennt sie einmal, der schärferen Unterscheidung

(1) Beide Fälle können mit einem mandatum cum clausula und sine clausula verglichen werden.


(508) Vierter Abschnitt. Interdicte.

wegen, vis quotidiana, so wie das Interdict in diesem Fall quotidianum interdictum (1), was aber durchaus nur als eine beschreibende Bezeichnung, nicht als Kunstausdruck, verstanden werden darf. Völlig verschieden davon ist die alte Einleitung zu dem vollständigen Vindicationsprozeß, deren Form hauptsächlich auf symbolischer Gewaltthätigkeit beruhte, nämlich auf der deductio quae moribus fit und den manus consertae, die von Gellius vis civilis und festucaria genannt werden (2). Hierin war alles nur Schein, nicht ernstlich, während jedem int. de vi eine wahre, ernstliche Gewalt zum Grunde lag, sie mochte nun mit oder ohne Waffen verübt seyn. Unsere Juristen haben fast immer diese s. g. vis civilis mit der s. g. vis quotidiana auf irgend eine Weise verwirrt, und bald das int. de vi als ein Stück der manus consertae, bald umgekehrt die deductio quae moribus fit als einen zu den Interdicten gehörigen Ritus betrachtet, durch welche Verwechslungen die richtige Einsicht in diese Institute durchaus verhindert werden mußte (3).

(1) Cicero pro Caecina Cap. 31. 32.

(2) Gellius Lib. 20. Cap. 10. am Ende.

(3) Ich habe diesen Gegenstand in einer eigenen Abhandlung erörtert: Zeitschrift f. geschichtl. Rechtswiss. B. 3. S. 421. fg., in welcher ich jedoch stets den symbolischen Prozeß im Anfang der Vindication mit dem Ausdruck lis vindiciarum bezeichnet habe, den ich jetzt nach Gaius Lib. 4. §. 16. 91. 94.


(509) §. 40. Interdictum de vi.

Die Unterscheidung der zwey Grade der Gewaltthätigkeit wurde bei dem int. de vi zu den Zeiten der classischen Juristen noch beobachtet, aber da sie Justinian nicht mehr kennt (1), so würden Wir selbst die Spuren jenes älteren Rechts in den Fragmenten der Juristen (2) nicht mit Sicherheit unterscheiden können, wenn uns nicht bey Cicero ziemlich genaue

für völlig verwerflich halte. – Zur Entschuldigung der oben im Text gerügten Verwechslungen dient es, daß in der That zuweilen das Interdict und die manus consertae zu ähnlichen Zwecken gebraucht werden konnten. Wollte nämlich jemand ein Grundstück vindiciren, woraus er dejicirt war, so konnte er sogleich durch die manus consertae den Besitzstand zum Zweck der Eigenthumsklage reguliren lassen, und er wurde auch dabey wahrscheinlich wieder vorläufig in Besitz gesetzt: er konnte aber auch mit dem Interdict anfangen, und dann war die etwa noch nachfolgende symbolische Handlung eine bloße Formalität, indem nun alles schon in dem Interdictsprozeß wirklich entschieden war, was zur Vorbereitung der Eigenthumsklage diente.

(1) Nur Ein Unterschied steht wirklich in den Pandekten: Kinder und Freygelassene sollen das Int. de vi armata gegen ihre Eltern und Patronen haben, das gewöhnliche Int. de vi nicht, sondern an dessen Stelle eine actio in factum (L. 1. §. 43. de vi.). In zwey andern Stellen aber wird ihnen das Interdict allgemein abgesprochen (L. 2. §. 1. L. 7. §. 2. de obsequ.), und ohnehin war schon zu Justinian’s Zeit der Unterschied zwischen Interdict und actio eine bloße Antiquität.

(2) Auf den Fall der s. g. vis quotidiana geht L. 1. de vi, auf den der vis armata aber L. 3. de vi (Cuiac. in Paul. V. 6. §. 3.). Auch erklärt sich daraus die Rubrik der Pandekten: „de vi et de vi armata.“ – Die Spuren der


(510) Vierter Abschnitt. Interdicte.

Nachrichten von demselben übrig geblieben wären. Im neuesten Recht also giebt es nur Eine Regel für das Int. de vi (1), und diese richtet sich theils nach der vis armata, theils nach der sogenannten vis quotidiana des alten Rechts: da indessen auch in dem älteren Recht die Verschiedenheit nur einzelne Rechtssätze betraf, so wird es hinreichend seyn, bey der Darstellung des neuesten Rechts bloß diese Abweichungen zu bemerken.

Die erste Bedingung dieses Interdicts ist die, daß der Kläger juristischen Besitz zur Zeit der Dejection wirklich gehabt habe (2). Für das neueste Recht kann an der Richtigkeit dieser Bestimmung nicht gezweifelt werden, da unsre Rechtsquellen eben so deutlich sagen, daß der Besitz überhaupt nöthig, als daß civilis possessio unnöthig sey, wenn dieses Interdict gebraucht

einzelnen Rechtssätze werden unten vorkommen.

(1) Dieses int. de vi beruht nun noch jetzt auf der einfachen Regel des Edicts: unde illum vi dejecisti, id illi restituas. Auf diese Formel des Interdicts bezog sich der Ausdruck in der Antwort des Beklagten. Dieser mochte das factum des Klägers (z. B. die dejectio) läugnen, oder sich auf eine Exception berufen, immer drückte er das so aus: „se illum restituisse.“ Cicero pro Caecina Cap. 8. cf. Cap. 19. 21. 28. 29. 32. – In den Pandekten ist aus dem restituas des Edicts gemacht worden: judicium dabo. Vgl. Zeitschrift f. g. R. B. 3. S. 306.

(2) Ueber den Beweis dieser Thatsache gilt auch hier der oben (S. 456. f.) für die possessorischen Klagen überhaupt aufgestellte Grundsatz.


(511) §. 40. Interdictum de vi.

werden soll (1). Desto schwerer ist diese Frage für das ältere Recht zu beantworten. Cicero sagt ausdrücklich, das Int. de vi armata sey gar nicht durch Besitz bedingt (2), und diese Behauptung ist wohl einer nähern Erwägung werth. Der Fall, in welchem Cicero als Advocat des Klägers auftritt, ist kurz dieser: Cäcina behauptet, ein Stück Land geerbt zu haben, Aebutius macht aus andern Gründen auf das Eigenthum Anspruch: Cäcina will in das Grundstück hinein gehen, wird aber von Aebutius und einem Haufen bewaffneter Leute mit Gewalt zurück gehalten. Höchst wahrscheinlich war Cäcina noch gar nicht im Besitz gewesen, denn Cicero sagt zwar, daß er besessen habe, aber diese Behauptung, die unter allen die entscheidendste gewesen wäre, kommt ganz zuletzt, nur mit zwey Worten, und gleichsam zum Ueberfluß vor (3), so daß es offenbar seine Absicht war, sie in Schatten zu stellen: und doch findet sich in diesen wenigen Worten mehr als Eine Spur, woraus gerade das Gegentheil jener Behauptung

(1) L. 1. §. 9. 10. 23. de vi. L. 4. §. 28. de usurp. – Es ist jedoch hier zu bemerken, daß in neueren Zeiten vielfältig die Meinung vertheidigt worden ist, der Besitz bey dem Int. de vi sey ein anderer und leichterer, als der bey dem Int. uti possidetis; namentlich die bloße Detention des Miethers, Commodatars u. s. w. gebe schon ein Recht auf das Int. de vi. Vgl. oben den Zusatz am Schluß des §. 10. (Zus. der 6. Ausg.)

(2) pro Caec. Cap. 31. 32.

(3) pro Caec. C. 32.


(512) Vierter Abschnitt. Interdicte.

geschlossen werden kann (1). Wenn nun Cäcina in der That nie den Besitz gehabt hatte, so konnte seine Sache bloß dadurch gewonnen werden, daß der Richter den Besitz überhaupt zu diesem Interdict nicht für nöthig hielt: folglich war es die Aufgabe seines Advocaten, diesen falschen Satz so wahrscheinlich als möglich zu machen, Cicero hat das wirklich gethan, und er kann also nicht als historische Autorität aufgeführt werden (2). Ein Ausdruck in jener Stelle bedarf indessen einer nähern Erklärung: „Cur ergo aut in illud quotidianum interdictum, unde ille me vi dejecit, additur, cum ego possiderem: si dejici nemo potest, qui non

(1) Vorzüglich wichtig sind die Worte: „Caesenniam possedisse propter usumfructum non negas“ (s. o. S. 327.): denn dadurch wird das folgende: „Caecina ... venit in istum fundum, rationes a colono accepit, sunt in eam rem testimonia“ ganz unbedeutend und enthält durchaus keine Apprehension des Besitzes, indem bloß für das Vergangene abgerechnet worden war. Selbst Cras (p. 30.) findet die Worte „propter usumfructum“ so bedenklich, daß er sie wegstreicht, was zwar durch das Beyspiel mehrerer Editoren, aber durch keine Handschrift unterstützt wird (s. die Note von Beck in opp. vol. 2. T. 2. p. 308. ed. Lips. 1800. 8.).

(2) Auch Cras (p. 35) wagt es bey dieser einzigen Stelle nicht, den Redner zu vertheidigen, und er begnügt sich, ausführlich zu beweisen, daß wegen Eines schlechten Grundes nicht gerade die ganze Sache für schlecht gehalten werden dürfe. – Dieselbe Meinung von dieser Stelle hatte schon Giphanius in Cod. tit. unde vi (expl. Cod. P. 2. p. 276.).


(513) §. 40. Interdictum de vi.

possidet: aut in hoc interdictum, de hominibus armatis, non additur, si oportet quaeri, possederit, nec ne?“ Cicero beruft sich hier auf den Gerichtsstyl, dieser war allgemein bekannt, also muß doch Etwas dabey zum Grunde liegen, was nur etwa falsch ausgelegt wurde. Vielleicht läßt sich die Sache so erklären: das Int. de vi wurde gewöhnlich, d. h. wenn keine Waffen gebraucht waren, in dieser Formel gefordert: „unde ille me vi dejecit, cum ego nec vi, nec clam, nec precario ab illo possiderem“ (1). Der ganze Zusatz also enthielt bloß die bekannten drey Exceptionen, und das „cum ego possiderem“ stand hier dieser Exceptionen wegen, nicht um den Besitz überhaupt zu bezeichnen, der ja schon durch das „unde me dejecisti“ deutlich genug ausgedrückt war (2). Waren Waffen gebraucht worden, so galten die Exceptionen überhaupt nicht, folglich wurde auch in der Formel der ganze

(1) Dieses folgt: 1) Aus Cicero pro Caecina C. 32. „ ... ne id quidem satis est, nisi docet ita se possedisse, ut nec vi, nec clam, nec precario possederit.“ 2) Aus einer Stelle der Lex Thoria bey Sigon. de ant. jure Italiae II. 2.: „quod ejus is quei ejectus est possederit, quod neque vi neque clam neque precario possederit ab eo, quei eum ea possessione vi ejecerit.“

(2) Eine Bestätigung dieser Ansicht liegt auch noch in Cicero pro Tullio C. 44.: „deinde additur illius causa quicum agitur cum ille possideret, et hoc amplius, quod nec vi nec clam nec precario possideret.“ (Zusatz der 5ten Ausgabe.)


(514) Vierter Abschnitt. Interdicte.

Zusatz („cum ego ... possiderem“) weggelassen, ohne daß hier der Besitz zur Begründung des Klagrechts weniger nöthig gewesen wäre. Es ist also sehr wahrscheinlich, daß Cicero jene Auslassung benutzte, um eine Folge daraus zu ziehen, die eben so unrichtig, als für die Sache des Cäcina unentbehrlich war. – Unsere Juristen haben meistens die Behauptung des Cicero für wahr genommen, und so erklärt, als ob die bloße Detention, ohne juristischen Besitz, Bedingung des Interdicts im Fall der Waffen gewesen wäre (1): allein dieser Unterschied wird nicht nur nicht ausdrücklich von Cicero angegeben, sondern er kann ihn auch unmöglich gemeint haben: denn Cäcina war nicht etwa ein Pachter, dem nur der juristische Besitz der Sache abgeläugnet worden wäre, sondern er hatte entweder juristischen Besitz, oder nicht einmal die bloße Detention, so daß hier auf jenen Unterschied gar nichts ankommen konnte. Da nun für Uns die Stelle des Cicero die einzige Nachricht von der ganzen Sache enthält, so ist es ein völlig willkührliches Verfahren, jenen Unterschied dennoch dabey zum Grunde zu legen. Westphal (2) vermeidet glücklich alle diese Schwierigkeiten: Er hält die

(1) So z. B. Cuiacius in Paul. V. 6. §. 3., und: in L. 18. de vi (lib. 26. quaest. Papin., opp. IV. p. 652. – Hier scheint der Satz sogar als geltendes Recht behandelt!).

(2) Arten der Sachen (et)c. §. 245.


(515) §. 40. Interdictum de vi.

Behauptung des Cicero für wahr, nimmt sie ganz buchstäblich, und erklärt folglich das Int. de vi armata zugleich für ein Int. adipiscendae und recuperandae possessionis.

Die zweyte Bedingung dieses Interdicts ist gewaltsame Verletzung des Besitzes. Auch ist hier nicht, wie bey den vorigen Interdicten (S. 477. f.), jede Gewalt überhaupt hinreichend, sondern es muß „atrox vis“ (1) seyn. Atrox vis aber bezeichnet nicht etwa eine besonders grobe Gewaltthätigkeit, wie z. B. Mißhandlung oder Verwundung (2), sondern nur eine solche Gewalt, wodurch die Fortsetzung des Besitzes unmöglich gemacht wird (3). Diese ist eben darum unmittelbarer und vollständiger gegen die Person gerichtet,

(1) L. 1. §. 3. de vi „Ad solam autem atrocem vim pertinet hoc interdictum.“ Westphal (§. 275.) übersetzt das so: „eine ziemliche Gewalt.“ Er hätte sie besser „eine unziemliche Gewalt“ genannt.

(2) Deswegen steht folgende Stelle des Cicero gar nicht mit unserer Regel im Widerspruch (pro Caec. Cap. 16., p. 274.): „Cum de jure et legitimis hominum controversiis loquimur, et in his rebus vim nominamus, pertenuis vis intelligi debet.“

(3) L. 1. §. 29. de vi „ ... Pomponius ait, vim (sc. in hoc interdicto) sine corporali vi locum non habere.“ (s. o. S. 405.). Ulpian läugnet gar nicht diesen Satz, sondern er bestimmt nur seine Anwendung. Nämlich ob die corporalis vis wirklich ausgeübt, oder nur gedroht und vermieden wird, das soll


(516) Vierter Abschnitt. Interdicte.

als die zu den Int. retinendae possessionis erforderliche bloß störende Gewalt (§. 37.), und insofern kann man sie stets auch als einen höheren Grad der Gewalt betrachten, obgleich beide Arten der Gewalt das mit einander gemein haben, daß sie den Willen des Besitzers von außen bestimmen, also die Freyheit der Person verletzen (1). Die unmittelbar persönliche Gewaltthätigkeit also ist die Bedingung, wodurch sich hier das Interdict von dem Int. retinendae possessionis unterscheidet. Ob Waffen zu der gewaltsamen Störung des Besitzes gebraucht worden sind, oder nicht, ist nach dem neueren Recht ganz gleichgültig.

Dritte Bedingung: die Gewaltthätigkeit muß von dem Beklagten selbst verübt worden seyn. – Diese Regel hat indessen mehrere Ausnahmen: A) Derjenige, mit dessen Willen die Handlung geschehen ist, z. B. indem

keinen Unterschied machen: bey dem Int. uti possidetis war nicht einmal das letzte nöthig. – Ein zweyter Beweis für jene Erklärung der atrox vis liegt in L. 3. §. 1. quod metus: „ ... Vim accipimus atrocem, “ nämlich in dem Edict: quod metus causa; in anderen Stellen aber wird die Gewalt, von welcher in diesem Edict die Rede ist (also die vis atrox), so erklärt: „vis enim fiebat mentio, propter necessitatem impositam contrariam voluntati“ (L. 1. eod.). und: „Vis autem est majoris rei impetus, qui repelli non potest“ (L. 2. eod.).

(1) Die hier im Text enthaltene Darstellung ist in der 6ten Ausgabe neu hinzugekommen.


(517) §. 40. Interdictum de vi.

er einem Andern den Auftrag dazu gab, hat dieselbe Verbindlichkeit, wie der Handelnde selbst. – Die Geschichte dieses Satzes ist folgende (1). Ursprünglich lautete das Interdict so: unde tu ... dejecisti. Diese Fassung mißbrauchten manche Beklagte, indem sie behaupteten, die Dejection sey nicht von ihnen selbst, sondern von Anderen (obgleich auf ihren Auftrag) geschehen. Um dieser Chicane zu begegnen, setzten die Prätoren eine zweyte Formel in das Edict mit dieser Fassung: unde dolo malo tuo ... vi detrusus est, welche diesen Fall ausdrücklich in sich schloß, und der Kläger hatte nun zwischen der alten und neuen Formel die Wahl (2). Späterhin interpretirte man aber das ursprüngliche dejecisti so, daß auch das dejici fecisti mit darin enthalten sey, so daß nun die erwähnte Vorsicht überflüssig, und die ältere Formel hinreichend war (3). B) Der Erbe ist nur insoweit verbunden, als er selbst vermittelst jener Handlung etwas bekommen hat (in id

(1) Dieser Zusatz ist in der 5ten Ausgabe hinzugekommen.

(2) So erzählt die Sache ausführlich Cicero pro Tullio Cap. 29. 30. 44. 46. Die ältere Formel steht Cap. 44., die neuere Cap. 29.; sie war von ihm wiederholt worden Cap. 46., wo jedoch die Handschrift eine Lücke hat. Cap. 46. ist also bloße Wiederholung von Cap. 29., und es würde ganz irrig seyn, wenn man jenes von dem int. de vi armata erklären wollte.

(3) L. 1. §. 12-15., L. 3. §. 10-12. de vi.


(518) Vierter Abschnitt. Interdicte.

ad quod eum pervenit) (1), oder ohne seinen dolus bekommen haben würde (2). Nicht so der sogenannte singularis Successor, z. B. der Käufer des Hauses, aus welchem die dejectio geschehen ist: denn dieser steht in gar keiner Verbindlichkeit (3). – C) War die Gewalt von Sclaven ausgeübt worden, und zwar ohne Willen des Herrn (s. o. A), so hatte der Herr eine zweyfache Verbindlichkeit: Er mußte erstens das Interdict selbst, wie jede andere actio ex delicto, als Noxalklage übernehmen, und zweytens herausgeben, was er durch die Gewaltthätigkeit seiner Sclaven hinterher erworben hatte (id quod ad eum pervenerat) (4). Diese zweyte Verbindlichkeit gilt sogar noch viel allgemeiner, nämlich in allen Fällen überhaupt, in welchen Wir unmittelbar durch die Gewaltthätigkeit, die ein Anderer in unserm Namen verübt hat, oder auch nur ein solcher, der in Abhängigkeit von uns steht, Etwas erworben haben (5).

(1) L. 1. §. 48., L. 3. pr. L. 9. pr. de vi, L. 11. C. de poss.

(2) L. 2. de vi.

(3) L. 3. §. 10. uti possidetis.

(4) L. 1. §. 11. §. 15-19. §. 21. de vi.

(5) Anwendungen: A) L. 4. de vi: „Si vi me dejecerit, qui nomine municipum, in municipes mihi interdictum reddendum Pomponius scribit: si quid ad eos pervenit.“ – B) L. 1. §. 20. de vi: „Si filiusfamilias vel mercenarius vi dejecerit, utile interdictum competit.“


(519) §. 40. Interdictum de vi.

Viertens: Durch die gewaltsame Handlung muß der Besitz verloren seyn (1), d. h. die Handlung selbst muß als dejectio betrachtet werden können (2). In welchen Fällen überhaupt durch körperliche Handlung (corpore) der Besitz verloren werde, ist oben untersucht worden. In allen diesen Fällen also kommt es bloß darauf an, ob fremde Gewalt die Ursache des Verlustes war, und diese Bestimmung wird gewöhnlich keine Schwierigkeit haben. So z. B. ist es ganz gleichgültig, ob die Gewalt wirklich ausgeübt, oder aus einer gegründeten Furcht vermieden wird, vorausgesetzt, daß die Gefahr keine zukünftige, sondern eine unmittelbar gegenwärtige war (3): eben so, ob der Besitzer aus seinem Hause herausgeworfen, oder hinein zu gehen abgehalten wird (4): und, diese beiden Regeln zusammen gefaßt, ist es sehr klar, daß der Besitzer, dessen Haus in seiner

(Nämlich gegen den conductor des Sclaven, oder gegen den Vater, und zwar in id quod pervenit, denn davon war in den vorhergehenden Worten die Rede gewesen. – L. 16. de vi gehört noch nicht hierher).

(1) L. 1. §. 45. de vi (s. o. S. 189.).

(2) Dejicere war schon zur Zeit des Cicero technischer Ausdruck: vorher detrudere. Cic. pro Caec., Cap. 17., was aber auch noch in L. 4. §. 27. de usurp. vorkommt.

(3) So sind die scheinbar widersprechenden Stellen zu vereinigen, s. o. S. 405.

(4) „Ex aliquo loco“ und „ab aliquo loco dejicere“: beides zusammen ausgedrückt durch „unde dejecisti.“ Cic. pro Caec., Cap. 30. 31.


(520) Vierter Abschnitt. Interdicte.

Abwesenheit besetzt wird, als dejectus das Interdict gebrauchen kann, wenn er gleich nicht einmal den Versuch macht, seinen Besitz mit Gewalt zu behaupten (1). Dagegen ist das Interdict nie begründet, wenn durch Tradition der Besitz übertragen wird: selbst wenn die Tradition durch Furcht bewirkt worden ist, können andere Klagen begründet seyn (2), das Interdict ist es nicht (3). – In den meisten Fällen also wird selbst die Anwendung des Begriffs der dejectio keine Schwierigkeit haben: Ein Fall muß indessen noch besonders bestimmt werden. Wer durch Gewalt den Besitz verliert, und unmittelbar darauf wieder mit Gewalt den Besitz occupirt, hat den Besitz eigentlich nie verloren (4). Es wird also nicht

(1) s. o. S. 410. Note 2., und vorzüglich L. 3. §. 8. 9. de poss. (s. o. S. 439. [et]c.).

(2) L. 9. pr. quod metus (Ulp. lib. 11. ad Ed.) „ ... Sed et si per vim tibi possessionem tradidero: dicit Pomponius hoc (huic) Edicto (sc. quod metus) locum esse.“

(3) L. 5. de vi (Ulp. lib. 11. ad Ed.): „Si rerum“ (Accurs. al. incipit „si metu“ et al. si rerum“) „tibi possessionem tradidero, dicit Pomponius, unde vi interdictum cessare: quoniam non est vi dejectus, qui compulsus est in possessionem inducere.“ – Cras (p. 18. not. 1.) vermuthet mit vieler Wahrscheinlichkeit, daß diese und die vorige Stelle (L. 9. quod metus) nur Eine Stelle gewesen seyen, folglich in der unsrigen gelesen werden müsse: „Si per vim“ etc. (Vgl. Dirksen Abhandlungen I. 451.).

(4) L. 17. de vi. „Qui possessionem vi ereptam, vi in ipso congressu recuperat, in pristinam causam reverti potius quam vi possidere intellegendus est: ideoque


(521) §. 40. Interdictum de vi.

als eine doppelte dejectio betrachtet, sondern als Eine, ungetheilte Handlung, wodurch der vorige Besitzer seinen Besitz mit Gewalt vertheidigte. Das practische Interesse dieser Ansicht ist bedeutend: enthielte die Handlung eine doppelte dejectio, so könnte die Rechtlichkeit der zweyten dejectio nur durch eine Exception gegen das Interdict des Andern behauptet werden, und diese Exception selbst gilt im neueren Recht gar nicht mehr (1): nach jener Ansicht hingegen ist eine Exception unnöthig, weil das Factum (dejectio) fehlt, wodurch allein das Interdict begründet seyn könnte, und die Rechtlichkeit der Handlung ist eine bloße Folge des allgemeinen Rechts der Vertheidigung (2). Eine wichtige Anwendung dieser Regel betrifft den Besitz der Grundstücke, die in Abwesenheit

si te vi dejecero, ilico tu me, deinde ego te: unde vi interdictum tibi utile erit.“ Die Anwendung in den letzten Worten kann erst bey den Exceptionen erklärt werden.

(1) L. 3. §. 9. de vi sagt zunächst nichts anders als: „eine solche Handlung des vorigen Besitzers ist rechtlich, “ welche Rechtlichkeit denn auch durch die Exception erklärt werden könnte, so daß daraus nicht auf jene Regel geschlossen werden müßte. Allein da bey der vis armata, wovon in dieser Stelle die Rede ist, die Exception gar nicht galt, und da die Beschränkung „sed hoc confestim, non ex intervallo“ bey der Exception ganz falsch wäre, so ist dennoch die Stelle nicht anders, als durch jene Regel, zu erklären, so daß sie eben sowohl, als L. 17. de vi, den Beweis dieser Regel enthält.

(2) L. 1. §. 27. 28. de vi.


(522) Vierter Abschnitt. Interdicte.

des Besitzers occupirt werden (S. 408 [et]c.). Denn wenn der Besitzer in das Grundstück zurückzukehren durch Gewalt verhindert wird, so hat er nun erst, und zwar durch dejectio, den Besitz verloren (1): gelingt es ihm also umgekehrt, seinen Gegner zu vertreiben, so ist überhaupt keine dejectio vorgefallen, und der vorige Besitz ist nie verloren, sondern nur vertheidigt worden, so daß an der Rechtlichkeit dieser Handlung nicht gezweifelt werden kann.

Die fünfte Bedingung des Interdicts betrifft den Gegenstand des Besitzes: es muß eine unbewegliche Sache seyn, wenn das Interdict gelten soll (2). Da nun bey beweglichen Sachen derselbe Grund vorhanden ist, den bloßen Besitz zu schützen, wie bey unbeweglichen, so wäre es eine Inconsequenz, wenn nicht auch dabey ein Interdict oder eine andere Klage möglich wäre, wodurch das Int. de vi ersetzt werden könnte. Ulpian nennt drey andere Klagen, durch welche das Int. de vi bey beweglichen Sachen entbehrlich werde: die actio furti, actio vi bonorum raptorum, und actio ad exhibendum (3). Die actio furti aber, wie das furtum

(1) L. 6. §. 1. de poss.

(2) L. 1. §. 3-8. de vi, Paulus V. 6. §. 5.

(3) L. 1. §. 6. de vi: „Illud utique in dubium non venit, interdictum hoc ad res mobiles non pertinere. Nam ex causa furti, vel vi bonorum raptorum actio competit: potest et ad exhibendum


(523) §. 40. Interdictum de vi.

selbst, durch dessen Daseyn sie bedingt ist, setzt Umstände voraus, auf welche bey dem bloßen Besitze nichts ankommt: den lucri animus nämlich, die contrectatio, und in der Person des Klägers selbst ein Interesse, das durch ein anderes Recht begründet ist (1): dasselbe gilt von der conditio furtiva, die in jener Stelle gar nicht genannt ist. Die actio vi bonorum raptorum ist auch durch ein solches rechtliches Interesse bedingt (2), und zugleich durch die Absicht des Räubers, ein solches Recht (außer dem bloßen Besitze) zu verletzen (3). Die actio ad exhibendum endlich kann zwar auch ohne Rücksicht auf eine andere Klage gebraucht werden, allein dasselbe Interesse, was bey den vorigen Klagen erfordert wurde, ist auch hier

agi.“ [Zusatz der 4ten Ausg.] Nach einer Mittheilung von Hugo, die nur zum Theil in den Gött. Anz. 1818. S. 1556. steht, nehme ich folgende Erklärung der Stelle an. Ex causa heißt „nach Umständen“ (L. 28. §. 1. ad L. Aquil.) und darf nicht mit furti zusammen construirt werden; der ganze Sinn ist dieser: „nach Umständen gilt a. furti, oder vi bon. rapt., auch wohl a. ad exhibendum.“ Daß die a. furti nicht rei persecutoria ist, hindert nichts, denn zum Ersatz des Interesse war sie ja doch mehr als hinreichend. Vollständig ist die Aufzählung ohnehin nach keiner Erklärung.

(1) L. 53. §. 4. L. 71. §. 1. de furtis.

(2) L. 2. §. 22-24. vi bon. rapt. – §. 2. I. eod. Nur wird es in einigen Fällen weniger streng damit genommen, als bey dem furtum.

(3) L. 2. §. 18. vi bon. rapt. – §. 1. I. eod.


(524) Vierter Abschnitt. Interdicte.

nöthig (1). Demnach finden sich bey jeder dieser drey Klagen Bedingungen, die in dem Rechte des Besitzes nicht enthalten sind, und es lassen sich folglich Fälle denken, in welchen das Recht des bloßen Besitzes gewaltsam verletzt ist, ohne daß irgend eine Klage gegeben ist, obgleich das Int. de vi sicher begründet seyn würde, wenn der Gegenstand des Besitzes eine unbewegliche Sache gewesen wäre. Diese Lücke zu erklären dient nun zuvörderst die oben (S. 216. 221. f.) versuchte Ableitung der Interdicte aus der allgemeinen Geschichte des Besitzes. Indessen möchte diese Hypothese vielleicht von vielen nicht angenommen werden, Andere könnten glauben, daß durch sie nicht alles erklärt sey, indem wenigstens bey dem Uebergang des Besitzes in seine gegenwärtige Gestalt auch für alle dabey vorkommende Bedürfnisse hätte gesorgt werden müssen. Deshalb soll nun noch eine Erklärung jener Lücke aus unsern bekannten Rechtsquellen versucht werden. Jene drey Klagen, welche Ulpian als Surrogate des Interdicts bey beweglichen Sachen anführt, sind älter als die Interdicte, folglich waren durch sie die meisten Fälle des verlornen Besitzes beweglicher Sachen erschöpft, als die Interdicte eingeführt wurden. Die Interdicte aber, wie das ganze Edict, wurden nicht durch Räsonnement, sondern durch Bedürfnisse

(1) L. 3. §. 9. 10. 11. ad exhibendum (S. 496.).


(525) §. 40. Interdictum de vi.

veranlaßt, und es war daher sehr natürlich, daß man bey beweglichen Sachen nicht um einiger seltenen Fälle wegen ein eignes Int. recuperandae possessionis erfand, wenn gleich eine strenge Consequenz auch hier darauf geführt haben müßte, das Recht des bloßen Besitzes zu schützen. Die Richtigkeit dieser Ansicht wird durch folgenden Umstand bestätigt. Wer als Repräsentant eines Andern den Besitz einer beweglichen Sache ausübt, kann dem Besitzer untreu werden, und selbst den Besitz der Sache erwerben: allein das Römische Recht bestimmt ausdrücklich, daß dieser Erwerb und Verlust des Besitzes nur durch eine solche Handlung des Repräsentanten vor sich gehen könne, worin zugleich ein furtum enthalten sey (1). Ein Grund dieser Ausnahme mag darin liegen, daß der Besitz nicht eher verloren seyn soll, bis die Sache als res furtiva der Usucapion entzogen sey: allein ein zweyter Grund, der noch allgemeiner ist als der erste, scheint hierher zu gehören. Der Besitzer nämlich soll nicht früher den Besitz (also das Int. utrubi) verlieren, bis er zugleich durch das furtum des Repräsentanten eine neue Klage erworben hat, so daß also diese Bestimmung darauf ausgeht, die Fälle zu beschränken, in welchen das Recht des Besitzes einer beweglichen Sache verletzt wird, ohne daß der

(1) L. 4. §. 18. de poss. (S. 430. 431.).


(526) Vierter Abschnitt. Interdicte.

vorige Besitzer wegen dieser Verletzung klagen kann. – So erklärt sich die Sache, wenn man auch strenge bey der Ansicht stehen bleibt, die durch die angegebene Stelle des Ulpian aufgestellt ist. Sieht man aber von dem Inhalt dieser Stelle ab, und auf den wirklich unläugbaren Zusammenhang des älteren Rechts, so erklärt sich alles noch viel vollständiger und befriedigender aus der älteren Gestalt des int. Utrubi, da durch dieses der Zweck wirklich erreicht wurde, für welchen wir gegenwärtig ein Interdict vermissen (S. 503). Denn mit jenem Interdict sollte Jeder gewinnen, der den Besitz einer beweglichen Sache länger als sein Gegner binnen dem letzten Jahre gehabt hätte; bei dieser Vergleichung der beiden Besitzeszeiten aber sollte kein Theil einen vitiösen Besitz in Anrechnung bringen dürfen (1). Wer demnach aus dem Besitz einer beweglichen Sache mit Gewalt verdrängt war, mußte nur innerhalb eines Jahres klagen, dann war er gewiß zu gewinnen; denn nun war sein Besitz gewiß länger als der des Gegners, weil dessen Besitz wegen des gewaltsamen Anfangs gar nicht zählte. In der That erfüllte also jenes Interdict bey beweglichen Sachen zugleich vollständig den Zweck,

(1) Gaius Lib. 4. §. 150: „si vero de re mobili, tunc eum potiorem esse jubet, qui majore parte ejus anni nec vi, nec clam, nec precario ab adversario possedit (possidet)“.


(527) §. 40. Interdictum de vi.

für welchen das int. de vi bey Grundstücken bestimmt war, wenn man nur die einjährige Verjährungszeit beobachtete. Auch wird man nicht diese Ansicht dadurch widerlegen wollen, daß Ulpian in der oben angeführten Stelle das int. Utrubi, welches daselbst vor allem zu erwarten war, dennoch nicht nennt: denn da im Justinianischen Recht dieses Interdict eine ganz andere Natur erhalten hat, so war es sehr natürlich, daß jede Beziehung der alten Juristen auf dessen frühere Gestalt in den Pandekten weggestrichen wurde (1). – Nach dieser Darstellung scheint es also, daß die erwähnte Lücke zwar im älteren Recht nicht vorhanden war, wohl aber im Justinianischen Recht durch die Umänderung des int. Utrubi entstanden ist. Allein selbst dieses läßt sich nicht behaupten, indem schon lange vor Justinian von einer andern Seite her für diesen Zweck gesorgt war. Denn das int. de vi selbst war von seiner ursprünglichen Beschränkung auf Grundstücke längst befreyt worden, und es muß im Justinianischen Recht auf bewegliche und unbewegliche Sachen ohne Unterschied angewendet werden.

Valentinian nämlich verordnete, daß die gewaltthätige Besitznahme jeder Sache überhaupt eine zweyfache

(1) Diese Erklärung aus dem int. Utrubi ist in der 4ten Ausg. neu hinzugekommen.


(528) Vierter Abschnitt. Interdicte.

Folge haben sollte: erstens Restitution des Besitzes, und zweytens (als Strafe der Verletzung) Verlust des Eigenthums, oder, wenn der Verletzer nicht Eigenthümer sey, Bezahlung einer Summe, die dem Werthe des Eigenthums gleich sey (1). Bloß die erste dieser zwey Obligationen gehört hierher, und darin ist eine reine Ausdehnung des Int. de vi auf bewegliche Sachen enthalten. Daß die Gesetzgeber selbst die Sache so betrachten, d. h. als bloße Modification des alten Int. de vi, zeigt nicht nur die Verbindung mit dem Interdict, in welcher dieser Satz in den Quellen selbst vorgetragen wird (2), sondern auch besonders der Umstand, daß die Bedingungen seiner Anwendung durchaus nicht näher bestimmt werden, was bey der Wichtigkeit

(1) L. 3. C. Th. unde vi – L. 7. C. I. eod. (Bloß die Veranlassung war speciell, das Gesetz selbst war gleich anfangs allgemein), §. 1. I. de vi bon. rapt., §. 6. I. de interd. – Bloße Anwendungen sind: L. 34. C. de loc. – L. 10. C. unde vi. – Nov. Theod. (Valent.) Tit. 19. (bey Ritter p. 56.). – Verwandte Rechtssätze kommen vor in L.12. §. 2. L. 13. quod metus causa. – L. 7. ad L. Jul. de vi priv. – Frühere Spur desselben Rechtssatzes: L. 2. C. Th. fin. reg. – L. 4. C. I. eod. – Hauptschriftsteller für die historische Erklärung: J. Gothofred zu den angeführten Stellen des Cod. Theod.

(2) L. 3. C. Th. unde vi. – L. 7. 10. C. I. eod. – §. 6. I. de interd. – Ueber die Verbindung des Besitzrechts mit dem Recht der Selbsthülfe vgl. oben den Zusatz am Schluß des §. 6., da wo von Rudorffs Meinung die Rede ist.


(529) §. 40. Interdictum de vi.

dieses Satzes, so wie der andern damit verbundenen Folge durchaus unbegreiflich wäre, wenn nicht eben darin eine stillschweigende Hindeutung auf die bekannten Bedingungen des Int. de vi enthalten wäre.

[Zusatz der vierten Ausgabe.] Die aufgestellte Ansicht von dem Einfluß der Gesetze über die Selbsthülfe auf das int. de vi ist aus den drey ersten Ausgaben unverändert beybehalten worden. Neuerlich hat Thibaut diese Ansicht in einer eigenen Abhandlung bestritten (1), und es ist dadurch nöthig geworden, diesen Gegenstand von neuem zu prüfen und von dieser wiederholten Prüfung ausführliche Rechenschaft zu geben. – Thibaut sagt im wesentlichen folgendes. Auf der einen Seite sey in den Pandekten ausdrücklich bestimmt, das int. de vi gehe nur auf Grundstücke: auf der andern Seite seyen die Strafen der Selbsthülfe in den Institutionen und im Codex zu dem Interdict gestellt. Allein bey der sorglosen Construction der Justinianischen Rechtsbücher sey dieser letzte Umstand wenig bedeutend, folglich entscheide nur jener erste, das Interdict habe mithin seine alte Natur unverändert beybehalten, und die Strafen der Selbsthülfe seyen nur zufällig bey Gelegenheit des Interdicts erwähnt worden. Er zieht hieraus das Resultat, daß wegen der gewaltsamen

(1) Gensler’s Archiv. B. 1. Heidelberg 1818. 8. S. 105-111.


(530) Vierter Abschnitt. Interdicte.

Besitzentziehung beweglicher Sachen noch jetzt, wie ehemals, nur durch Actionen, d. h. im ordentlichen Prozeß, nicht durch Interdicte, d. h. im summarischen Prozeß, geklagt werden könne. – Zuvörderst ist hier der Gegenstand unseres Streites genau zu bestimmen. Als solchen aber kann ich durchaus nicht die Frage anerkennen, ob in solchen Fällen der summarische, oder vielmehr der ordentliche Prozeß gelte? Denn die Eigenthümlichkeit des Interdictsprozesses ist im Justinianischen Recht völlig verschwunden; früherhin bildete sie allerdings einen Unterschied zwischen Interdicten und Actionen (obgleich niemals einen Unterschied wie zwischen summarischem und ordentlichem Prozeß, s. o. S. 451), allein dieser Unterschied war zu allen Zeiten ein untergeordneter, und gewiß ganz unbedeutend in Vergleichung mit der Frage, ob überhaupt ein Klagerecht vorhanden war oder nicht? Der eigentliche Gegenstand des Streites ist also, wie ich glaube, gar nicht die Prozeßform, welche bey dem entzogenen Besitz beweglicher Sachen eintreten soll, sondern vielmehr folgender. Bey dem int. de vi, uti possidetis, und utrubi kann unstreitig derjenige gewinnen, welcher gar kein Recht auf die Sache hat, keines zu haben behauptet, ja selbst wer auf die unrechtlichste Weise, z. B. durch Gewalt gegen einen Dritten, zum Besitz gekommen ist, und dieses offen bekennt. Hierüber ist kein Streit, und hierauf eben beruht


(531) §. 40. Interdictum de vi.

die Eigenthümlichkeit der possessorischen Klagen, welches alles eben so gewesen seyn würde, wenn diese Klagen von jeher Actionen und nicht Interdicte gewesen wären. Wenn mir nun aber der Besitz einer beweglichen Sache durch Gewalt entzogen ist, so entsteht die Frage, wie dieser Fall behandelt werden soll? Wird er nach den Grundzügen behandelt, welche für die possessorischen Interdicte gelten, so bekomme ich den Besitz wieder, auch wenn ich ganz ohne Recht, ja ohne Vorwand, besaß. Gelten dagegen diese Grundsätze nicht, so bekomme ich den Besitz gar nicht wieder, weder durch summarischen, noch durch ordentlichen Prozeß. Denn will ich die Sache vindiciren, so muß ich Eigenthum haben: zur actio furti und vi bonorum raptorum muß ich gleichfalls Eigenthum oder ein anderes dingliches Recht haben, oder wenigstens einem so Berechtigten responsabel seyn (z. B. als Miether): eben so setzt die actio ad exhibendum ein rechtlich begründetes Interesse an der Sache voraus; zu allen diesen Klagen also gehört, als unerläßliche Bedingung, ein wirkliches, materielles Recht in Beziehung auf die Sache, und der bloße Besitz reicht dazu auf keine Weise hin. Dieses letzte nun ist, wenn ich recht verstehe, Thibaut’s Meinung, so daß jenem Besitzer überhaupt alles Klagerecht fehlen soll. Meine Meinung dagegen ist vollständig diese. In einem solchen Fall habe ich auch aus dem bloßen Besitz, ohne alles materielle


(532) Vierter Abschnitt. Interdicte.

Recht, allerdings eine Klage. Bis auf Justinian diente dazu, wie ich gezeigt habe, das int. Utrubi, welches freylich jetzt nicht mehr dazu gebraucht werden kann. Allein durch die Gesetze über die Selbsthülfe ist mir von einer anderen Seite ein Klagerecht gegeben worden, und dieses soll nunmehr bewiesen werden. Die L. 7. C. unde vi umfaßt unstreitig bewegliche und unbewegliche Sachen ohne Unterschied: dieses folgt theils aus der Allgemeinheit ihres Ausdrucks, theils aus der Anwendung in §. 1. I. de vi bon. rapt. Ihr Inhalt aber ist kurz folgender: wer mir eigenmächtig einen Besitz entzieht, soll erstlich diesen Besitz zurückgeben, und zweytens eine dem Sachwerth gleiche Strafe erlegen: d. h. er soll an mich, wenn er Eigenthümer ist, dieses Eigenthum verlieren, wenn er es nicht ist, den Werth in Geld bezahlen. Also ist hier (abgesehen von der Strafe) die Restitution des Besitzes für jeden Fall der Selbsthülfe ausgesprochen, ohne Unterschied zwischen beweglichen und unbeweglichen Sachen, besonders aber ohne Unterschied, ob der Besitzer selbst irgend ein Recht an der Sache hat oder nicht. Folglich ist der bloße Besitz, verbunden mit formeller Verletzung, die einzige Bedingung jenes Anspruchs, ganz wie bey den alten Interdicten, oder mit anderen Worten, der alte Grundsatz des int. de vi ist hier auf den Besitz beweglicher Sachen ausgedehnt. Eigentlich aber war es nicht


(533) §. 40. Interdictum de vi.

einmal eine Ausdehnung zu nennen, indem zur Zeit dieser Constitution der bloße Besitzer auch schon durch das int. Utrubi die Restitution bewirken konnte. Diese ganze Ansicht beruht demnach nicht darauf, daß im Codex und in den Institutionen die Strafe der Selbsthülfe bey dem int. de vi eingerückt ist, nicht auf einer buchstäblich strengen Auslegung der Worte possessionem quam abstulit, restituat possessori in L. 7. C. unde vi, sondern auf einer einfachen Folgerung aus der unläugbaren Vorschrift dieser Stelle des Codex. Die Hauptfrage ist dabey: soll der oben beschriebene bloße Besitzer der beweglichen Sache, der den Besitz durch Gewalt verlor, ein Klagerecht auf Rückgabe haben oder nicht? Ich behaupte ein solches Klagerecht, und wer mir dieses zugiebt, ist in der Hauptsache mit mir einig. Die zweyte Frage, ob dieses ganz eigenthümliche (d. h. von der actio furti, vi bon. rapt. u. s. w. völlig verschiedene) Klagerecht ein Interdict oder eine Action seye, erkenne ich für das Justinianische Recht gar nicht mehr als eine Streitfrage an. Allerdings aber bleibt nun noch die dritte Frage übrig, nach welchen Grundsätzen dieses Klagerecht des bloßen Besitzers im Detail beurtheilt werden soll? Wie ich glaube, ist es eine Erweiterung des int. de vi, dessen ganze Theorie folglich darauf anzuwenden ist. Eine der wichtigsten Folgen davon besteht darin, daß nun dieses Recht nicht der bloßen


(534) Vierter Abschnitt. Interdicte.

Detention, sondern lediglich dem wahren juristischen Besitz verliehen ist. Und für diese Behauptung finde ich allerdings entscheidende Beweise: 1) in den Worten possessionem ... restituat possessori, 2) darin, daß die Constitution in den Titel unde vi eingerückt ist, 3) in dem Umstand, daß es außerdem an allen Detailbestimmungen für das neue Klagerecht fehlen würde, welcher Vorwurf für den Gesetzgeber ganz verschwindet, wenn dieser es bloß als eine Erweiterung des int. de vi ansah. Thibaut bemerkt dagegen, nach den Pandekten sey dieses Interdict noch immer auf Grundstücke eingeschränkt. Allein ein ähnliches Verhältniß bey allmählich veränderten Rechtssätzen findet sich ja in vielen Fällen, woran Niemand Anstoß nimmt, z. B. wenn gesagt wird, die actio legis Aquiliae habe nur der Eigenthümer (1), bald nachher aber: der Fructuar habe eine actio utilis (2). – Zum Schluß muß ich noch folgendes zur Unterstützung meiner Meinung anführen. Im alten Recht gab dem Besitzer das int. Utrubi den Schutz, wovon hier die Rede ist. Dieses hat im Justinianischen Recht aufgehört, so daß eben hier für das praktische Recht eine große Lücke entstanden seyn müßte. Nun wäre es allerdings nicht unmöglich, daß dieses durch die Unbedachtsamkeit

(1) L. 11. §. 6. ad L. Aquil.

(2) L. 11. §. 10. eod.


(535) §. 40. Interdictum de vi.

der Compilatoren so gekommen wäre: aber viel natürlicher ist es doch anzunehmen, daß die Aenderung mit dem int. Utrubi gerade deswegen vorgenommen wurde, weil man einsah, daß für die bisherigen Zwecke desselben nun schon längst auf andere Weise gesorgt sey.

Die Wirkung des Interdicts ist ganz einfach so zu bestimmen: Der dejectus muß wieder in die Lage gesetzt werden, in welcher er vor der dejectio war. – A) Das erste also ist die Restitution des verlornen Besitzes selbst. Hat der Beklagte gegenwärtig diesen Besitz, so hat die Restitution ohnehin keinen Zweifel: aber auch wenn er ihn nie gehabt oder wieder verloren hat, ist er darum nicht weniger verbunden, ihn zu restituiren, d. h. den Werth desselben (1) zu bezahlen (2). – B) Außer dem verlornen Besitz selbst muß aller Schade ersetzt werden, der durch die dejectio verursacht worden

(1) Dieser Werth des Besitzes ist von dem Werthe der Sache, d. h. des Eigenthums wohl zu unterscheiden, und auf diesen letzten kommt hier nichts an. L. 6. de vi. – Die Glosse nimmt ganz unrichtig an, der Werth der Sache müsse immer bezahlt werden, und das specielle Interesse des Besitzes könne nur noch diesen Werth erhöhen.

(2) L. 1. §. 42. de vi: „Ex Int. unde vi etiam is, qui non possidet, restituere cogetur.“ L. 15. eod. „Si vi me dejeceris ... quamvis sine dolo et culpa amiseris possessionem, tamen damnandus es, quanti mea


(536) Vierter Abschnitt. Interdicte.

ist (1). Einige der wichtigsten Anwendungen der Regel sind diese: a) Wenn durch die dejectio zugleich andere Sachen verloren worden sind, so müssen auch diese oder der Werth derselben restituirt werden. In dieser Rücksicht konnte schon nach dem älteren Recht das Interdict auf bewegliche Sachen gehen, und selbst in den Worten des Edicts war dieser Fall besonders bestimmt (2): auf

intersit: quia in eo ipso culpa tua praecessit, quod omnino vi dejecisti ... “ (cf. L. 1. §. 36. eod.). – Eine merkwürdige Anwendung der Regel enthält die unmittelbar darauf folgende Stelle (L. 16. eod.): wenn nämlich ein filiusfamilias die dejectio vornimmt, so ist sein Vater verbunden in id quod pervenit (S. 518.), es scheint also, daß der Sohn für dasselbe Object nicht mehr zur Restitution verbunden seyn müßte, weil er es gar nicht mehr hat; ganz anders nach unserer Regel, nach welcher der Sohn auch für dieses Object einstehen muß: „Interdicto unde vi uti potes, si a filiofamilias dejectus es, ut et ejus causa quod ad patrem pervenit ipse teneatur.“ So lesen: mehrere Pariser Mss., ferner Edd. Ven. 1485, Lugd. 1509. 1513., Paris. 1514. 1536.; eben so (nur mit einem zweyten „et“ vor „ad patrem“) Rom. 1476., Nor. 1483., Ven. 1494. – Die Florentinische Leseart ist außerordentlich abweichend, und offenbar corrupt: die des Haloander ist aus Mehreren compilirt.

(1) L. 1. §. 41. (cf. §. 31.) de vi: „ ... Vivianus refert, in hoc int. omnia, quaecunque habiturus vel adsecuturus erat is qui dejectus est, si vi dejectus non esset, restitui, aut eorum litem a judice aestimari debere: eumque tantum consecuturum, quanti sua interesset, se vi dejectum non esse.“

(2) L. 1. pr. de vi: „ ... quaeque tunc ibi habuit.“ Commentar über diese Worte:


(537) §. 40. Interdictum de vi.

juristischen Besitz dieser Sache kommt es nicht einmal an (1), und es ist bey ihnen, wie bey der Hauptsache selbst, ganz gleichgültig, ob der Beklagte den Besitz dieser Sachen hat oder nicht hat (2). – b) Auch die Früchte der durch die dejectio verlornen Sachen müssen restituirt werden: sie werden berechnet von dem Augenblick der dejectio an (3), und es kommt nicht darauf an, ob der Beklagte sie wirklich erhalten hat, sondern ob der dejectus sie hätte erhalten können (4). – c) Ist die Sache nach der dejectio beschädigt worden (z. B. das Haus abgebrannt), so muß dieser Verlust ersetzt werden, selbst wenn er durch keine culpa des Beklagten verursacht ist: doch muß in diesem Fall die Beschädigung so beschaffen seyn, daß sie ohne die dejectio gar nicht statt gefunden haben würde (5). – d) Eine sehr wichtige Frage endlich ist diese: wenn der Besitzer zugleich usucapirte, muß auch für die unterbrochene Usucapion Ersatz geleistet werden? (6) Nach der allgemeinen Vorschrift, daß der dejectus völlig schadlos gehalten werden

L. 1. §. 32. 33. 34. 37. 38. eod.

(1) L. 1. §. 33. de vi.

(2) L. 1. §. 34. L. 19. de vi. – Paulus V. 6. §. 8.

(3) L. 1. §. 40. de vi.

(4) L. 4. C. unde vi.

(5) L. 1. §. 35. de vi. – Paulus V. 6. §. 8. – L. 14. §. 11. quod metus causa.

(6) Wiederum eine andere Frage ist es, worin dieser Ersatz besteht? Gesetzt, es wären nur noch wenige Tage zur Vollendung der Usucapion übrig gewesen, so könnte ohne Bedenken


(538) Vierter Abschnitt. Interdicte.

soll, ist diese Frage zu bejahen, und selbst die Stelle der Pandekten, welche bey dem furtum das Gegentheil bestimmt (1), kann als Bestätigung dieser Entscheidung gelten. Denn der einzige Grund, den sie anführt, besteht

der Werth des Eigenthums selbst dafür angenommen werden, da dieses schon so wahrscheinlich war. Außerdem läßt sich kein anderer Weg denken, die Sache mit völliger Sicherheit zu entscheiden, als durch Cautionen: vindicirt nachher der Eigenthümer, ehe die Zeit der ersten Usucapion geendigt ist, so hätte die Usucapion ohnehin nichts geholfen, und es ist kein Ersatz dafür zu leisten, wenn nämlich bewiesen werden kann, daß der Eigenthümer ohnehin vindicirt hätte, und nicht erst durch die gewaltthätige Handlung auf die Sache aufmerksam geworden ist.

(1) L. 71. §. 1. de furtis: „Ejus rei, quae pro herede possidetur, furti actio ad possessorem non pertinet, quamvis usucapere quis possit: quia furti agere potest is, cujus interest rem non subripi: interesse autem ejus videtur, qui damnum passurus est: non ejus, qui lucrum facturus esset.“ (Ich habe diese Stelle in den drey ersten Ausgaben allgemein, d. h. von jeder Usucapion, verstanden, bin aber nunmehr überzeugt, daß sie nur auf die improba pro herede usucapio des älteren Rechts geht (Gajus II. 55. 56.), und aus Versehen in die Pandekten gekommen ist. Denn im Justinianischen Recht kann Niemand usucapiren, als ein b. f. possessor, dieser hat aber wirklich die actio furti (L. 12. §. 1. de furtis – §. 15. I. de obl. quae ex del.), und zwar ganz consequent, da die b. f. possessio selbst schon ein gegenwärtiges, erworbenes Recht ist, und als Stück des Vermögens anerkannt wird (L. 49. de V. S.), ja in den meisten Fällen sogar eine eigene Klage, die a. publiciana, mit sich führt. Demnach ist das lucrum facere in unserer Stelle nicht so, wie bey der Schenkung, von einer Bereicherung überhaupt zu verstehen, sondern es


(539) §. 40. Interdictum de vi.

darin, es sey hier kein solches Interesse vorhanden, das durch ein anderes, schon erworbenes Recht begründet werden könne: und gerade durch diese Beziehung auf ein rechtliches Interesse unterscheidet sich die obligatio furti von dem Rechte des bloßen Besitzes (S. 523.). – Wenn über die einzelnen Sachen, die durch die dejectio verloren worden sind, kein Beweis geführt werden kann, so wird der Verlust selbst und der Werth desselben durch den Eid des Klägers entschieden: nur muß vorher der Richter nach den Umständen ein maximum bestimmen, welches der Kläger nicht überschreiten darf (1).

Die Bedingungen und die Wirkung des Interdicts

bezeichnet, so wie bey Gajus, die Unredlichkeit dieses Gewinns, also die m. f. possessio. (Zus. der 4. Ausg.)

(1) L. 9. C. unde vi (Iuramentum Zenonianum). – Der Unterschied von dem gewöhnlichen Iusjurandum in litem wird gewöhnlich darin gesetzt, daß dieses letzte bloß den Werth der geforderten Sache betreffe, alles andere aber als bewiesen voraussetze. A. Faber conject. XVI. 13. num. 21. XVI. 17. n. 26. Andere halten es lediglich für eine Anwendung des gewöhnlichen jusjur. in litem. Cuiacius in h. L. opp. T. 9. p. 1160. (In den drey ersten Ausgaben habe ich die erste Meinung angenommen, halte aber jetzt die zweyte für die richtige. Denn die dejectio aus dem Grundstück, als der eigentliche Klagegrund, muß auch hier schon anderwärts bewiesen seyn, und wenn nun der Verlust beweglicher Sachen beschworen wird, so betrifft dieser Eid doch lediglich die Größe des Schadens, der aus der dejectio entstanden ist).


(540) Vierter Abschnitt. Interdicte.

sind jetzt bestimmt, und es ist nichts mehr zu bestimmen übrig, als die Exceptionen, durch welche dieses Interdict beschränkt ist (1). – Die erste Exception betraf hier, wie bey den Int. retinendae possessionis, die Entstehung des Besitzes, aus welchem der Kläger vertrieben war. Hätte dieser Besitz selbst vi, clam oder precario angefangen, und zwar so, daß die Gewaltthätigkeit (et)c. (et)c. gegen den jetzigen Beklagten selbst vorgefallen war (ab adversario vi possidere), so war das Interdict ausgeschlossen (2), nur gegen

(1) Es ist gleich hier zu bemerken, daß das Int. de vi armata von allen Exceptionen frey war: Cic. pro Caec. C. 8.: „P. Dolabella praetor interdixit, ut est consuetudo, de vi, hominibus armatis, sine ulla exceptione.“ C. 22.: „Vim, quae ad caput et vitam pertinet, restitui sine ulla exceptione voluerunt.“ C. 32. „ ... ut, qui armatus de possessione contendisset, inermis plane de sponsione certaret.“

(2) Cic. pro Tullio Cap. 44. (s. o. S. 513.) Cic. pro Caec. Cap. 32.: „In illa vi quotidiana ... ne id quidem satis est, nisi docet, ita se possedisse, ut nec vi, nec clam, nec precario possederit.“ Cic. ep. ad fam. VII. 13. (p. 390. ed. Graev.) „neque est, quod illam exceptionem in interdicto pertimescas, Quod tu prior vi hominibus armatis non veneris.“ (Das „non, “ das Manutius sehr seltsam erklärt, und Mehrere sogar wegstreichen wollen, gehörte zu der gewöhnlichen Formel der Exception, worin der Beklagte und auch der Prätor den Kläger anredete; vergl. L. 1. §. 7. de cloacis: „ ... non esse in interdicto addendum: quod non vi, non clam, non precario, ab illo usus“ (al. usus es): quod non steht für nisi. Die Erklärung


(541) §. 40. Interdictum de vi.

das Int. de vi armata galt diese Exception nicht (1). Der Grund, warum (außer diesem letzten Fall) die Exception zugelassen wurde, lag ganz allgemein (2) darin: der Beklagte hätte in denselben ein eignes Int. recuperandae possessionis gehabt, das er nach dem verlornen ersten Prozeß mit Erfolg hätte anstellen können, und es war wieder eine bloße Abkürzung des Prozesses, daß man anstatt eines neuen Edicts eine Exception gegen das erste Interdict gab. Nur wer sich einer vis armata schuldig gemacht hatte, sollte diesen Vortheil nicht genießen. – Justinian verwirft diese Exception ganz allgemein, ja er behandelt diese Ungültigkeit als eine ganz bekannte Sache (3): unsere Juristen

dieser Negation s. bey Gajus IV. 119.). – Paulus V. 6. §. 7: „Qui vi, aut clam, aut precario possidet, ab adversario impune dejicitur.“ (Impune – nämlich so, daß kein Interdict zu befürchten ist, wovon hier allein die Rede war. Ein Verbrechen konnte es dennoch seyn). Fragm. Legis Thoriae (in Haubold monumenta legalia p. 15.). „Qui ... ex . possessione . vi . ejectus . est . quod . ejus . is . quei . ejectus . est . possederit . quod . neque . vi . neque . clam . neque . precario . possederit . ab . eo . quei . eum . ea . possessione . vi . ejecerit . rel.“

(1) Cic. pro Tullio Cap. 44. (S. o. S. 513.) Cic. pro Caec. Cap. 32. Gaius Lib. 4. §. 154. 155.

(2) Vgl. oben S. 491. Note 4.

(3) §. 6. I. de interd. „Nam ei (sc. dejecto) proponitur interdictum Unde vi, per quod is, qui dejecit, cogitur ei restituere possessionem, licet is ab eo, qui dejecit, vi,


(542) Vierter Abschnitt. Interdicte.

haben darüber allerley Meinungen. Bald soll Justinian das alte Recht stillschweigend geändert haben, bald soll die Aenderung selbst in einer verlorenen Constitution vorgenommen worden seyn, bald soll Tribonian über das alte Recht völlig unwissend gewesen seyn (1): die letzte dieser Meinungen, die vorzüglich Hotman vertheidigt, könnte wohl eher für unwissend gelten. Die ganze Sache bedurfte keines neuen Gesetzes, da sie sich als Folge eines andern sehr bekannten neuen Rechtssatzes von selbst verstand.

Nach den Constitutionen nämlich sollte durch die dejectio sogar das Eigenthum verloren werden, wenn dieses der Verletzer vorher hatte: um so mehr also alles Recht aus dem bloßen Besitz, wenn er etwa vorher Besitzer der Sache gewesen war. Nun gründete sich diese Exception auf das vorige jus possessionis, welches früher gewaltsam verletzt worden war: also war es sehr natürlich, daß die Exception seit jenen Constitutionen nicht mehr gelten konnte, ohne daß es eines besondern Gesetzes darüber bedurfte (2). Daß Justinians Juristen

vel clam, vel precario possidebat.“

(1) Duarenus in disp. anniv. I. 20., Hotomanus in obss. VII. 6., Cuiacius et Schulting in Paulum V. 6. §. 7.

(2) Schon Schulting (s. die vor. Note) glaubt, durch diese Constitutionen sey der neue Rechtssatz veranlaßt worden: allein den eigentlichen Zusammenhang scheint er nicht deutlich gedacht zu haben, sonst hätte er die übrigen Meinungen geradezu


(543) §. 40. Interdictum de vi..

selbst die Sache auf diese Art ansahen, folgt nicht nur aus der angeführten Stelle der Institutionen, die schwerlich auf eine andere Art zu erklären ist (1), sondern vorzüglich daraus, daß in den Pandekten mehrere Spuren des alten Rechts übrig geblieben sind, und doch recht künstlich alles das weggelassen ist, woraus eine Abweichung des alten Rechts direct (d. h. anders, als durch ein argumentum a contrario etc.) bewiesen werden könnte. Folgende Stellen dienen zu Beweisen dieser Behauptung (2):

verwerfen müssen, die er doch auch gelten läßt. – Einen Einwurf könnte man etwa daher nehmen, daß in dem Edictum Theoderici C. 76. das Interdict mit den Exceptionen erwähnt wird („Illi res occupata per violentiam ... reddetur, qui ... nec violenter, nec abscondite, nec precario possidet.“), da doch zu dieser Zeit die Gesetze über die Selbsthülfe auch schon vorhanden waren. Allein es ist sehr begreiflich, daß in der Justinianischen Gesetzgebung die innere Consequenz anerkannt wurde, die man in dem gedankenlosen Edict übersah. (Zus. der 6. Ausg.)

(1) Denn daß in diesem §. erst das Interdict selbst mit Inbegriff jener Modification (also überhaupt die rei persecutio), und dann die Strafe der Constitutionen angeführt wird, und bey der letzten allein die Constitutionen als Quelle genannt werden, beweißt durchaus nicht dagegen.

(2) Schon daraus, daß in L. 1. pr. de vi die Exception ausgelassen ist, die doch sicher in dem Edict stand, folgt nothwendig, daß die Art, wie in Justinians Gesetzgebung die Sache bestimmt ist, nicht durch bloße Unwissenheit der Compilatoren verursacht worden seyn kann.


(544) Vierter Abschnitt. Interdicte.

L. 1. §. 30. de vi: „Qui a me vi possidebat, si ab alio dejiciatur, habet interdictum.“

L. 18. pr. de vi: „ ... emptorem quoque ... interdicto ... teneri: non enim ab ipso, sed a venditore, per vim fundum esse possessum ... “

L. 17. de vi: „ ... ideoque si de vi dejecero, ilico tu me, deinde ego te: unde vi interdictum utile illi erit“ (1).

L. 14. de vi: „Sed si vi armata dejectus es, sicut ipsum fundum recipis, etiam si vi, aut clam, aut precario eum possideres (2): ita res quoque mobiles omnimodo recipies.“

Die zweyte Exception gegen das Interdict betrifft die Verjährung. Wenn Ein Jahr verflossen ist,

(1) Der erste Theil der Stelle lautet so: „wer in continenti den dejector wieder aus dem Besitz setzt, hat eigentlich nie den Besitz verloren.“ (S. 520.). Daraus wird hier die Folgerung gezogen: „wenn Ich Dir den Besitz mit Gewalt nehme, von Dir unmittelbar darauf (ilico) wieder vertrieben werde, in der Folge aber (deinde) denselben Besitz wieder gewaltsam occupire, so ist gegen Mich, das Interdict von Wirkung (utile tibi erit), “ d. h. es wird nicht durch eine Exception ausgeschlossen, was doch ohne Zweifel behauptet werden müßte, wenn die zweyte dejectio („ilico tu me“) eine wahre dejectio, und nicht vielmehr bloße Vertheidigung des Besitzes gewesen wäre.

(2) und zwar ganz allgemein, ohne Unterschied, ob ab adversario oder ab alio vi, clam, precario besessen wird.


(545) §. 40. Interdictum de vi.

so wird das Interdict durch diese Exception ausgeschlossen (1), allein diese Regel ist wieder durch folgende Ausnahmen beschränkt: A) Insofern der Beklagte durch die dejectio etwas erlangt hat (in id quod ad eum pervenit), hat er kein Recht auf diese Exception (2). Demnach kann gerade in dem ersten und wichtigsten Fall des Interdicts überhaupt, d. h. wenn der Beklagte den Besitz der Sache noch hat, und es dem Kläger um diesen Besitz selbst und nicht um Schadensersatz gilt, von der Exception kein Gebrauch gemacht werden (3). –

(1) L. 1. pr. de vi „ ... de eo ... tantummodo intra annum ... judicium dabo.“ – (L. 1. §. 39. eod. „Annus in hoc Interdicto utilis est.“ Cf. L. 2. C. eod.).

(2) L. 1. pr. de vi „ ... post annum de eo, quod ad eum, qui vi dejecit, pervenerit, judicium dabo.“ – L. 7. §. 5. comm. divid. „ ... placuit, etiam post annum in eum, qui vi dejecit, interdictum reddi“ (nämlich unter jener Voraussetzung, die nicht ausgedrückt zu werden brauchte, weil sie sich in dem vorliegenden Fall von selbst verstand). Cf. L. 3. §. 1. de vi – L. 2. C. unde vi.

(3) Man kann über diese Exception unmöglich mehr Irrthümer haben, als Domat in wenigen Worten vorbringt, (Loix civiles III. 7., S. 1. §. 18., und S. 2. §. 30.): „Wer mit Gewalt aus dem Besitz gesetzt wird, behält noch ein Jahr lang den Besitz, und durch diesen das Interdict: nach dieser Zeit ist der Besitz und das Interdict verloren, und es ist nichts mehr übrig, als die Vindication.“ Er stellt hier die Praxis des Französischen Rechts dar und beruft sich auch auf die ordonnances: aber entschuldigen können ihn diese nicht, da er zugleich auf das Römische Recht sich gründet.


(546) Vierter Abschnitt. Interdicte.

B) Bey der vis armata galt die Exception nicht (1), aber von dieser Ausnahme ist in Justinians Sammlungen keine Spur übrig geblieben. – C) Nach einer Constitution von Constantin (2) endlich fällt die Exception weg, wenn während des Besitzers Abwesenheit (3) seine Leute aus dem Besitz gesetzt werden. Hier soll das Interdict auf keine Zeit beschränkt seyn, ohne Unterschied, ob der Besitzer selbst nach seiner Rückkehr klagen will, oder ob noch vorher seine Leute die Klage vorbringen: denn auch diesen hat die Constitution das besondere Recht ertheilt, ohne ausdrücklichen Auftrag und doch als Procuratoren des Besitzers das Interdict zu gebrauchen.

Beide Exceptionen haben eine eigenthümliche Beziehung auf dieses Interdict: aber auch von den übrigen Exceptionen, welche bey allen Klagen auf dieselbe Weise gedacht werden können, muß eine um deswillen

(1) Cic. ep. ad fam. XV. 16. (p. 415. ed. Graev.) „postulabimusque, ex qua haeresi, vi, hominibus armatis dejectus sis, in eam restituare. In hoc interdicto non solet addi, In hoc anno. Quare si jam biennium, aut triennium est, ... in integro res nobis erit.“

(2) L. 1. C. si per vim (L. 1. C. Th. unde vi).

(3) Die Abwesenheit selbst aber ist hier etwas anders zu bestimmen, als bey dem Verlust des Besitzes, denn hier ist bloß von langer Abwesenheit die Rede.


(547) §. 40. Interdictum de vi.

hier erwähnt werden, weil gerade hier ihre Anwendung beschränkt ist. Die exceptio pacti ist hier, wie bey anderen unrechtlichen Handlungen, verboten, wenn das pactum vor der unrechtlichen Handlung selbst eingegangen wird.

L. 27. §. 4. de pactis:

„Pacta, quae turpem causam continent, non sunt observanda: veluti si paciscar, ne furti agam, vel injuriarum, si feceris: expedit enim timere (timeri) furti vel injuriarum poenam. Sed post admissa haec, pacisci possumus. Item, ne experiar interdicto unde vi, quatenus publicam causam contingit (1), pacisci non possumus.“

§. 41.

Das Interdictum de clandestina possessione scheint ganz dem Int. de vi ähnlich gewesen zu seyn. So wie dieses, setzte es nach der ganzen Analogie zuerst juristischen Besitz voraus. Dieser Besitz mußte verloren seyn, und auf die unrechtliche Form der Handlung, welche den Verlust nach sich zog, gründete sich das Recht, durch

(1) d. h. „weil der Staat selbst dabey interessirt ist, daß keine Gewalt geübt werde, diese aber durch die Furcht vor dem Interdict verhütet werden kann.“ – S. o. Zusatz am Schluß des §. 6., da wo von Rudorff’s Schrift die Rede ist.


(548) Vierter Abschnitt. Interdicte.

dieses Interdict den Besitz wieder zu fordern. Clandestina possessio heißt nun ein solcher Besitz, dessen Apprehension einem Andern, dessen Widerspruch man befürchtete, verheimlicht worden ist (1). Auf den Anfang des Besitzes also kommt alles an: ist durch diesen Anfang der Besitz als clandestina possessio bestimmt, so hört er nicht auf, es zu seyn, wenn er gleich nachher dem Andern bekannt gemacht wird (2): eben so wird umgekehrt der Besitz nicht etwa dadurch zu einer clandestina possessio, wenn der Besitzer erst nach dem Erwerb ihn zu verheimlichen anfängt (3). Eine ganz besondere Ausnahme liegt darin, daß der Eigenthümer

(1) L. 6. pr. de poss. „Clam possidere eum dicimus, qui furtive ingressus est possessionem ignorante eo, quem sibi controversiam facturum suspicabatur, et, ne faceret, timebat.“

(2) L. 40. §. 2. de poss. „ ... si sciens tuum servum non a domino emerim, et tum (al. cum) clam eum possidere coepissem, postea certiorem te fecerim: non ideo desinere me clam possidere.“

(3) L. 6. pr. de poss. „ ... Is autem, qui cum possideret non clam se celavit, in ea causa est, ut non videatur clam possidere: non enim ratio obtinendae possessionis sed origo nanciscendae exquirenda est.“ Dagegen: L. 4. pr. pro suo („ ... tum enim clam possedisse videberis“), allein diese Stelle bezieht sich wohl auf das besondere Recht der ancilla furtiva, das ohnehin so viel abweichendes hat. Cuiac. in L. 40. §. 2. de poss. (African. Tr. 7. – Nachher anders und schlechter: in L. 6. de poss., opp. VIII. 268.). Andere betrachten es als eine Ausnahme für das furtum


(549) §. 41. Interdictum de clandestina poss.

der Sache, wenn gleich sein Besitz in der That einen solchen Anfang hat, dennoch nicht als clandestinus possessor betrachtet wird (1). – Es hat jedoch dieser allgemeine Begriff der clandestina possessio eine juristische Bedeutung nur insofern damit eine Besitzverletzung verbunden ist. Zwar haben Mehrere angenommen, es könne auch ohne diese, also bloß in Beziehung auf Eigenthum, jene possessio vorkommen, so daß dadurch die Usucapion gehindert werde (2). Allein die res clam possessa als solche ist der Usucapion in der That gar nicht entzogen, sondern nur die res furtiva, welche freylich sehr oft, aber doch nicht immer, mit jener identisch seyn wird. Jene Meinung ist entstanden aus solchen Stellen, worin eine clandestina possessio erwähnt wird, da wo der Besitzer die Sache von einem Dritten gekauft hat, in welchen Fällen also, sagt man, eine Besitzverletzung gar nicht denkbar ist (3). Allein

überhaupt. Glossa in L. 6. de poss., Duaren. in L. 6. de poss. (opp. p. 865.).

(1) L. 40. §. 3. de poss. – Cuiacius in h. L. (Afric. Tr. 7.).

(2) Albert §. 57. und die daselbst citirten Schriftsteller. Ich selbst hatte diese Meinung in der 5ten Ausg. S. 501. 502. zwar dem Ausdruck nach bestritten, der Sache nach eigentlich angenommen. Die ganz entgegengesetzte Darstellung, die sich jetzt im Texte findet, gehört der 6. Ausg. an.

(3) L. 40. §. 2. de possess. L. 4. pr. pro suo. In der ersten Stelle hat meine gegenwärtige Erklärung gar kein Bedenken. In der zweyten wird allerdings aus dem clam possidere auf die Unmöglichkeit der Usucapion geschlossen, aber bloß


(550) Vierter Abschnitt. Interdicte.

auch in diesen Fällen konnte der Besitzer in dem alten Int. utrubi unterliegen, welches ja gar nicht dem in seinem Besitz Verletzten den Sieg zuerkennt, sondern dem, welcher am längsten besessen hat, jedoch so, daß bey dieser Vergleichung der zwey Possessionen die violenta, clandestina, precaria als gar nicht vorhanden angesehen werden soll. Giebt es also überhaupt nur Eine Art der clandestina possessio, so ist sie auch immer dieselbe, man mag sie als Grundlage des Interdicts, oder einer Exception ansehen. Ja selbst diejenigen, welche eine zweyfache clandestina possessio annehmen, müßten doch bey der Exception dieselbe Art der Heimlichkeit annehmen, wie bey dem Interdict, nämlich die besitzverletzende, und zwar theils wegen des inneren Zusammenhangs der Exception mit dem Interdict, theils weil überall die Exception nur denjenigen ausschließen soll, welcher clam ab altero besitzt, was nur bey einer besitzverletzenden Heimlichkeit denkbar ist (1).

deswegen, weil dadurch der hier allein denkbare Usucapionstitel pro suo ausgeschlossen werde. Auch war hier nach der Meinung des Juristen die Sache gewiß furtiva, so daß beides coincidirte.

(1) L. 1. pr. L. 3. pr. uti poss. Gajus 4. §. 151. – Ich hatte noch in der 5ten Ausg. mit Unrecht angenommen, die clandestina possessio bey der Exception sey eine andere als die bey dem Interdict. Diese Inconsequenz war schon früher mit Recht gerügt worden von Albert §. 71.


(551) §. 41. Interdictum de clandestina poss.

Also ein juristischer Besitz mußte entzogen seyn, und durch die Art, wie dieses geschah, mußte der neue Besitz als clandestina possessio betrachtet werden können, wenn das Interdict möglich seyn sollte. Zu diesen Bedingungen ist endlich noch die hinzuzusetzen, daß eine unbewegliche Sache Gegenstand des Besitzes seyn müsse. Dieser Satz hat kein ausdrückliches Zeugniß für sich, wohl aber eine so vollständige Analogie, daß ein anderer Beweis fast entbehrlich ist. Das Int. de vi nämlich war bey beweglichen Sachen ausgeschlossen, und zwar deswegen, weil andere Klagen für diesen Fall bereits vorhanden waren, als die Interdicte überhaupt eingeführt wurden (S. 522). Diese anderen Klagen (mit Ausnahme der actio vi bonorum raptorum) galten auf dieselbe Weise bey der clandestina possessio beweglicher Sachen, und es ist um so unwahrscheinlicher, daß dafür ein eigenes Interdict wäre gegeben worden, da es für die violenta possessio nicht geschah, die doch sicher als ein viel wichtigerer Fall betrachtet wurde (1).

(1) Dazu kommt nun noch der Grund, daß das Int. utrubi in seiner älteren Gestalt gegen die heimliche Entziehung des Besitzes völlig denjenigen Schutz gewähren mußte, wie es oben (§. 40.) für die gewaltsame dargethan worden ist. Denn wenn mir z. B. Einer eine bewegliche Sache heimlich entwendete, so gab mir das Int. utrubi sichern Schutz, weil mir der Beklagte seine clandestina possessio nicht in Gegenrechnung bringen konnte, ich also gewiß länger als er besaß. Ist diese Ansicht richtig, so


(552) Vierter Abschnitt. Interdicte.

Die Bedingungen dieses Interdicts sind jetzt vollständig bestimmt, aber eine ganz andere Frage ist noch zu beantworten übrig; die Frage nämlich, ob ein solches Interdict überhaupt existirt? Warum diese Frage erst hier aufgeworfen werden kann, wird sich sogleich zeigen.

Für die Existenz dieses Interdicts ist nur Ein Zeugniß vorhanden, und selbst dieses ist sehr zweydeutig. Ulpian nämlich sagt bey einer ganz andern Gelegenheit: „Julian nimmt auch für die clandestina possessio ein eigenes Interdict an“: er selbst erklärt sich darüber nicht (1). Dagegen wird nicht nur in der ganzen Darstellung der Interdicte in den Institutionen

muß zugleich anerkannt werden, daß hier das Justinianische Recht bey beweglichen Sachen eine Lücke gelassen hat. Denn die Gesetze über die Selbsthülfe, die bey der Gewalt ergänzend aushelfen, passen auf den heimlichen Besitz nicht. So hat also der Bestohlene, wenn er nicht durch ein Recht an der Sache ein furtum motiviren kann, gegen den Dieb in der That gar keine Klage, und für diesen Fall wäre noch jetzt das Int. de clandestina possessione ein wirkliches Bedürfniß. (Zus. der 6. Ausg.)

(1) L. 7. §. 5. comm. divid. (Es ist die Rede von dem Rechte des Besitzers, auf ein judicium communi dividundo zu provociren): „Iulianus scribit, si alter possessor provocet, alter dicat eum vi possidere, non debere hoc judicium dari, nec post annum quidem: quia placuit, etiam post annum in eum, qui vi dejecit, interdictum reddi: et si precario, inquit, dicat eum possidere, adhuc cessabit hoc judicium: quia et de precario interdictum datur. Sed


(553) §. 41. Interdictum de clandestina poss.

und Pandekten dieses Interdict nicht genannt, sondern es ist kein Zweifel mehr übrig, in welchem es angewendet werden könnte, indem in allen den Fällen, in welchen es sonst allein gegolten haben kann, jetzt entweder kein Besitz verloren ist, oder das Int. de vi anwendbar ist (1). – Alles dieses erklärt sich leicht aus der historischen Untersuchung, die oben bey dem Verlust des Besitzes angestellt worden ist. Grundstücke werden so lange besessen, als der Besitzer von einer neuen Occupation nichts weiß, und daraus folgt, daß clandestina possessio, welche ja überhaupt nur als Verheimlichung gegen einen bisherigen Besitzer denkbar ist (S. 549. 550.), an Grundstücken nicht mehr möglich ist (S. 409.). Aber das Interdict bezog sich überhaupt bloß auf Grundstücke (S. 551), folglich ist seitdem auch das Interdict

et si clam dicatur possidere qui provocat, dicendum esse ait, cessare hoc judicium: nam (al. nam et) de clandestina possessione competere interdictum inquit.“

(1) Aus der älteren Zeit freylich findet sich für das Daseyn dieses Interdicts ein wichtiges Zeugniß in folgender Stelle des Cicero in Rullum III. 3.: „Haec trib. pl. promulgare ausus est, ut quod quisque post Marium et Carbonem possidet, id eo jure teneret, quo qui optimo jure privatum. Etiamne si vi ejecit? etiamne si clam, si precario venit in possessionem? Ergo hac lege jus civile, causae possessionum, praetorum interdicta tollentur.“ Das heißt, in diesen drey Fällen hätten bis jetzt Interdicta recup. poss. gegolten, die nun durch jenes ungerechte Gesetz dem vorigen Besitzer entzogen werden würden. (Zus. der 6. Ausg.)


(554) Vierter Abschnitt. Interdicte.

unmöglich geworden. Nun hat jener Satz mit allen seinen Folgen zu der Zeit des Labeo noch nicht gegolten (S. 411 [et]c.), folglich konnte in der noch früheren Zeit, in welcher die Interdicte eingeführt wurden, ein solches Interdict allerdings gegeben werden: zur Zeit des Papinian, Ulpian und Paulus war der Satz allgemein angenommen, also konnten diese Juristen das Interdict nicht mehr als gültig betrachten, und es konnte noch viel weniger in die Pandekten aufgenommen werden: im Anfang und um die Mitte des zweyten Jahrhunderts war wohl der Satz selbst noch nicht völlig entschieden, und gewiß noch nicht in allen seinen Folgen durchgeführt, also konnte Julian das Interdict noch als geltendes Recht anführen. – Mit der exceptio clandestinae possessionis verhält es sich etwas anders als mit dem Interdict. Wenn Jemand mein Grundstück heimlich occupirt, und nun sogleich das int. uti possidetis gegen mich anstellt, so daß ich erst durch diese Klage die Occupation erfahre, so war zu dem alternativen Erfolg der versuchten erlaubten Selbsthülfe (S. 410.) noch gar keine Gelegenheit, und es konnte daher das ganze Streitverhältniß nicht einfacher und befriedigender erledigt werden, als durch unveränderte Beybehaltung der alten exceptio clandestinae possessionis.

Unsere Juristen haben meistens dieses Interdict mit Stillschweigen übergangen, was nicht sowohl wegen der gelegentlichen Erwähnung des Julian, als wegen der Verbindung zu tadeln ist, in welcher überall die clandestina und violenta possessio genannt werden. Der Verfasser der alten Statuten von Pisa, welche Grandi


(555) §. 42. Interdictum de precario.

in das zwölfte Jahrhundert setzt, hat das Interdict gerade in dieser Verbindung angeführt (1). Cujacius erwähnt nicht nur des Interdicts, sondern behauptet, es müsse noch jetzt angewendet werden: aber die Erklärung, die er von dem Fall seiner Anwendung giebt, ist freylich sehr unbefriedigend (2).

§. 42.

Eigene Quellen für das Precarium:

http://t2.gstatic.com/images?q=tbn:ANd9GcRMbUJhTQZiZsQQZ4ONo2ZHMxhmmEjLvUmZaApkpG7gfvhle1CRrhsIVzjbPaulus Lib. 5. Tit. 6. §. 10-12.

Digest. Lib. 43. Tit. 26.           s. d. Einl.

Cod. Lib. 8. Tit. 9.

Schriftsteller:

Christ. Rau s. Aug. Corn. Stockmann diss. de precario, Lips. 1774.

(1) Grandi epist. de Pand. ed. 2. (Flor. 1727. 4.) p. 224.: „Hac saluberrima Constitutione sancimus, quod si aliquis fuerit possessor ... aliquo tempore prius illo qui nunc invenitur in possessione, licet non probetur quod vi, vel clam, vel precario possideat, ab Adversario tamen in possessione recuperanda semper potior sit prior possessor: nisi etc.“, d. h. der frühere Besitz an sich soll in der Regel ein Recht gegen den jetzigen Besitzer geben, obgleich keines der drey Römischen interd. recup. poss. begründet ist.

(2) Cuiacius in obss. IX. 33., in L. 40. §. 2. de poss. (African. Tr. 7.), et in L. 6. §. 1. pr. de poss. (opp. VIII. 267. 268.).


(556) Vierter Abschnitt. Interdicte.

I. G. Vogel diss. de precario. Gött. 1786.

Beide Schriften sind nicht sehr bedeutend.

Wenn die bloße Ausübung eines Rechts einem Andern übertragen werden soll, so kann das unter sehr verschiedenen juristischen Formen geschehen: der Pacht z. B., das commodatum u. s. w. sind nichts, als solche Formen, durch welche die bloße Ausübung des Eigenthums gewöhnlich auf bestimmte Zeit von dem Eigenthum selbst getrennt wird. In allen diesen Fällen ist durch jene juristische Form selbst für das Recht der Zurückforderung gesorgt: nicht so, wenn ohne alle juristische Form, wie z. B. durch ein bloßes pactum, jenes Geschäft vor sich gegangen ist. Allein für zwey Fälle dieser Art hat das Römische Recht ein eignes Recht der Zurückforderung bestimmt. Wer die Ausübung des Eigenthums (d. h. den natürlichen Besitz), oder die Ausübung einer Servitut, einem Andern verstattet, sich selbst aber das Recht vorbehält, nach Willkühr diese Erlaubniß zurück zu nehmen, hat dieses besondere Recht, und das juristische Verhältniß, das dadurch entsteht, heißt precarium (1). Der Name dieses Verhältnisses ist daher entstanden, daß die Erlaubniß selbst durch eine Bitte

(1) L. 2. §. 3. de prec. „Habere precario videtur, qui possessionem vel corporis vel juris adeptus est, ex hac solummodo causa, quod preces adhibuit, et impetravit, ut sibi possidere aut uti liceat.“


(557) §. 42. Interdictum de precario.

veranlaßt zu werden pflegt: nothwendig ist diese Bitte durchaus nicht, ja selbst eine stillschweigende Erlaubniß ist hinreichend (1). Hierher übrigens gehört nur noch der erste der beiden Fälle, welcher die Ausübung des Eigenthums betrifft.

Wenn also die Detention auf diese Weise übertragen wird, so ist es Regel, daß damit zugleich der juristische Besitz übergeht, und es muß das Gegentheil besonders verabredet seyn, wenn diese Regel nicht gelten soll (S. 348 [et]c.). In beiden Fällen aber kann die Erlaubniß nach Willkühr zurück genommen werden: wird die Sache dennoch nicht zurück gegeben, so ist nun der Besitz unrechtlich (vitiosa, injusta possessio) (2) und

(1) Paulus V. 6. §. 11.: „Precario possidere videtur non tantum qui per epistolam, vel quacunque alia ratione hoc sibi concedi postulavit, sed et is, qui nullo voluntatis indicio, patiente tamen domino possidet.“ Cujacius (in einer Note zu dieser Stelle) beschränkt das auf die Fortsetzung eines früheren precarii, und zwar ohne allen Grund, wenn nicht der folgende §. bey Paulus diesen Grund enthalten soll: „ ... magis dicendum est, clam videri possidere (also nicht precario): nullae enim preces ejus videntur adhibitae.“ Allein gerade diese letzten Worte fehlen in der edit. princ. (s. die Note von Hugo).

(2) Einige Stellen nennen die precaria possessio: justa, andere: injusta, offenbar weil sie beides wirklich ist, nur zu verschiedenen Zeiten: sie fängt an, injusta zu seyn, sobald die Restitution verweigert ist. Dieser Mißbrauch des guten Willens und Zutrauens hat hier dieselbe Wirkung, wie bey der violenta


(558) Vierter Abschnitt. Interdicte.

kann auf ähnliche Weise durch ein Interdict eingeklagt werden, wie der gewaltsame Besitz. Demnach gehört das precarium hierher, und bloß hierher, denn die vitiosa possessio ist das einzige, was hier ein juristisches Verhältniß begründet, und als Vertrag wird es durchaus nicht betrachtet (1). Eine Folge davon ist es,

possessio die Gewalt. Cuperus (II. 7.) verwirft diese sehr natürliche Vereinigung der Stellen, die längst vorgeschlagen und angenommen war: sein Hauptgrund dagegen ist der, daß nicht etwa das revocatum precarium, sondern das precarium schlechthin als Grund einer injusta possessio mit vi und clam bey den Exceptionen verbunden werde: allein wenn eine Exception gebraucht wird, so versteht es sich ja von selbst, daß die Erlaubniß zurückgenommen ist. (Die Meinung des Cuperus wird weiter ausgeführt und vertheidigt von Albert a. a. O. §. 58-61.).

(1) Alles dieses ist sehr klar bestimmt in: L. 14. L. 22. §. 1. de prec., L. 14. §. 11. de furtis, und es wird dadurch bestätigt, daß das Interdict sogar wegfällt, wenn ein anderes Klagrecht, aus einem juristischen Geschäft, vorhanden ist. L. 2. §. 3. de prec. („ex hac solummodo causa“), L. 15. §. 3. eod. – Aus zwey Gründen könnte jedoch der Satz bezweifelt werden: A) in L. 23. de R. I. heißt das precarium ein Contractus: allein dieses Wort wird da offenbar für jeden möglichen Grund einer Obligation genommen, denn auch tutela und negotiorum gestio ist darunter begriffen. – B) In späteren Zeiten wurde, außer dem Interdict, auch eine actio (praescriptis verbis) gegeben, L. 2. §. 2, L. 19. §. 2. de prec., Paulus V. 6. §. 10. Davon wird noch am Ende des §. die Rede seyn. Für das praktische Recht hieß das nur soviel, der Kläger soll nun zwischen beiden Prozeßarten die Wahl haben. Die Natur der obligatio selbst wurde dadurch nicht geändert.


(559) §. 42. Interdictum de precario.

daß das Recht der willkührlichen Zurückforderung selbst dadurch nicht ausgeschlossen wird, wenn der, welcher die Erlaubniß gab, jenem Rechte entsagt (1), da doch die Klage aus einem Vertrage immer durch eine exceptio pacti beschränkt werden kann.

Das int. de precario gieng ursprünglich nur auf Grundstücke, theils nach der Analogie des int. de vi, theils nach ausdrücklichen Zeugnissen: schon zur Zeit der classischen Juristen war es auf bewegliche Sachen ausgedehnt worden (2).

Die obligatio betrifft nur den, welcher durch das precarium den Besitz bekommen hat, einerley, ob er

(1) L. 12. pr. de prec. – G. F. Kraus diss. de precario ad certum tempus dato, Viteb. 1750. – Eine solche Beschränkung der Zurückforderung widerspricht der Natur des precarii so sehr, daß, wenn nur dessen Daseyn gewiß ist, eine Verabredung dieser Art nicht als beschränkender Vertrag, sondern bloß als Erinnerung für den Empfänger, zu dieser Zeit von selbst zurückzugeben, betrachtet werden muß.

(2) Isidori orig. V. 25.: „Precarium est dum prece creditor rogatus permittit debitorem in possessione fundi sibi obligati demorari et ex eo fructus capere.“ Das scheint aus älteren Quellen geschöpft. – L. 4. pr. de precario. „In rebus etiam mobilibus precarii rogatio constitit, “ was darauf zu deuten scheint, daß man diesen Rechtssatz erst späterhin angenommen hat. So lesen nämlich die Florentinische Handschrift und Haloander: andere Handschriften und alte Ausgaben lesen freylich consistit, wodurch alle Hindeutung auf eine solche Aenderung verschwindet.


(560) Vierter Abschnitt. Interdicte.

selbst darum bat, oder durch Andere bitten ließ (1). – Der Erbe besitzt die Sache nicht eigentlich als ein precarium (2), ob aber das Interdict gegen ihn gebraucht werden könne, war unter den Römischen Juristen selbst streitig. Einige läugneten es schlechthin, und nahmen vielmehr eine clandestina possessio an, ohne Zweifel also auch das int. de clandestina possessione (3). Andere ließen das Interdict auch gegen den Erben schlechthin zu (4). Diese letzte Meinung ist als die

(1) L. 4. §. 2., L. 6. §. 1., L. 13. de prec.

(2) L. 12. §. 1. de prec. – Eine wichtige Folge ist die, daß nun die accessio possessionis (S. 198.) wegfällt.

(3) L. 11. de div. temp. praescr. „Quamvis precarium heredem ignorantem non teneat, nec Interdicto recte conveniatur.“ Diese Stelle für sich allein ist noch nicht entscheidend, weil das Beywort ignorantem so gedeutet werden kann, daß precarium und Interdict nicht gelten sollen, so lange nicht der Erbe darum weiß, so daß er nämlich durch sein Mitwissen gleichsam selbst Theil nähme an dem precarium worauf denn auch L. 12. §. 1. de prec. (Note 2.) bezogen werden könnte. Allein ganz deutlich ist Paulus V. 6. §. 12.: „Heres ejus, qui precariam possessionem tenebat, si in ea manserit, magis dicendum est, clam videri possidere: nullae enim preces ejus videntur adhibitae. Et ideo persecutio ejus rei semper manebit, nec interdicto locus est“. (Nämlich interdicto de precario).

(4) L. 8. §. 8. de prec. „Hoc interdicto heres ejus, qui precario rogavit, tenetur, quemadmodum ipse“ etc. L. 2. C. eod. „Habitantis precario heredes ad restituendum habitaculum teneri, contra eos interdicto proposito, manifeste declaratur.“


(561) §. 42. Interdictum de precario.

herrschende unsrer Rechtsbücher zu betrachten, indem die unzweydeutigsten Stellen derselben dafür sprechen, anstatt daß aus der andern Meinung nur eine schwankende, auch anders zu deutende, Stelle aufgenommen worden ist. – Gegen den Eigenthümer der Sache kann das Interdict um deswillen nicht gebraucht werden, weil in diesem Fall gar kein precarium anerkannt wird: die näheren Bestimmungen dieses Satzes sind schon oben (S. 348. [et]c.) vorgekommen.

Die obligatio selbst, worauf dieses Interdicts geht, ist zunächst auf Restitution der Sache gerichtet, nicht auf den Ersatz ihres Werthes (wenn sie selbst verloren oder verdorben ist), außer insofern dolus oder lata culpa des Beklagten nachgewiesen werden kann (1). Allein von der Zeit an, in welcher die Klage angestellt wird, ist der Beklagte in mora: nun muß er, wie bey den vorigen Interdicten, für jede culpa überhaupt einstehen, die Früchte der Sache zurückgeben – kurz, den Kläger ganz in die Lage setzen, in welcher derselbe seyn würde,

(1) L. 2. pr. de poss. „Ait Praetor, quod precario ab illo habes, aut dolo malo fecisti ut desineres habere, qua de re agitur illi restituas.“ L. 8. §. 6. eod. „Et generaliter erit dicendum, in restitutionem venire dolum et culpam latam dumtaxat, cetera non venire.“ Cf. L. 8. §. 3. 5. eod., L. 23. de R. I.


(562) Vierter Abschnitt. Interdicte.

wenn die freywillige Restitution nicht verweigert worden wäre (1).

Besondere Exceptionen giebt es bey diesem Interdict nicht, namentlich keine, die sich auf Verjährung gründet (2): und selbst die allgemeine Verjährung, die das neuere Recht eingeführt hat, kann doch nur in dem Fall angewendet werden, wenn nach der verweigerten Restitution der Besitz noch 30 Jahre fortgesetzt worden ist.

Ich habe hier das precarium dargestellt, so wie wir es in unsern Rechtsquellen finden: es ist aber nicht zu läugnen, daß dieses Rechtsverhältniß viel räthselhaftes hat. Zuerst, wie kamen die Römer, die von Natur nicht freygiebig und mittheilend waren, schon sehr frühe zu dem Bedürfniß dieses besondern Rechtsinstituts, woraus doch immer auf den häufigen Gebrauch im wirklichen Leben geschlossen werden kann? Und wenn sie es auch gebrauchten, warum behandelten sie es nicht geradezu als einen Realcontract, nämlich entweder als Commodat, oder wenigstens als einen Innominatcontract nach der Form do ut des? (3) Denn das ursprüngliche

(1) L. 8. §. 4. 6. de prec.

(2) L. 8. §. 7. de prec.

(3) [Zusatz der 4ten Ausg.] Daß kein Commodat angenommen wurde, ließe sich etwa daraus erklären, daß man in früherer Zeit das Precarium nur auf Grundstücke bezog (S. 559.), das Commodat aber nur an beweglichen Sachen gelten ließ (L. 1. §. 1. commod. L. 17. pr. de praescr. verb.).


(563) §. 42. Interdictum de precario.

Hingeben und die Verabredung der Rückgabe war unläugbar vorhanden, und mehr als dieses gehört zum Daseyn eines Realcontracts durchaus nicht. Ferner: wie konnten eben über diesen Punct die Römischen Juristen verschiedener Meinung seyn, indem einige das Daseyn einer civilis obligatio abläugnen und daraus das Bedürfniß des Interdicts ableiten, andere die actio praescriptis verbis gestatten? (S. 558.) Warum gilt hier für die culpa eine andere Regel, als aus den allgemeinen Grundsätzen folgen würde? Warum gieng das Interdict zuerst nur auf Grundstücke, und warum hat sich hierin das Recht geändert? (S. 559.). Endlich warum konnte über die Verpflichtung des Erben gestritten werden? (S. 560.).

Alle diese Räthsel lösen sich, wenn man die oben (§. 12 a.) angedeutete Entstehung des precarii annimmt. Es war ursprünglich das Lehenverhältniß zwischen dem Patron und seinem Clienten über das auf den ager publicus verliehene Bauergut. Solche Güter wurden auf willkührliche Kündigung gegeben, und gegen den Clienten, der nicht weichen wollte, gieng das int. de precario (1). Weil nun zwischen dem Patron und seinen

(1) Niebuhr Römische Geschichte Th. 2. S. 167. der 2ten Ausg., hauptsächlich aus Festus v. patres: „ ... quique agrorum partes adtribuerint tenuioribus perinde ac


(564) Vierter Abschnitt. Interdicte.

Clienten eine Art von Familienverhältniß bestand, ähnlich dem des Vaters zu seinen Kindern (1), so wurde keine eigentliche obligatio, kein Contract angenommen, obgleich in ähnlichem Fall unter fremden Personen ein Contract gewiß vorhanden gewesen wäre. Daß dieses Verhältniß nicht auf die Erben gieng, daß die gewöhnlichen Grundsätze der culpa in Contracten dabey nicht beobachtet wurden, daß es nur an Grundstücken statt fand – das alles macht nun keine Schwierigkeit. Daß es nicht mit dem ager publicus völlig aufhörte, hatte ähnliche Gründe, wie bey der possessio überhaupt (§. 12 a.). War es nämlich zu diesem besonderen Zweck einmal eingeführt und ausgebildet, so konnte es nun auch in dieser Eigenthümlichkeit auf andere Gegenstände angewendet werden, für welche es wohl nie zuerst eingeführt worden wäre: und als der alte ager publicus aufhörte, war diese Ausdehnung das einzige, was noch von dem alten precarium übrig blieb. Darum wurde es nunmehr auch bey beweglichen Sachen gebraucht, und darum konnten nun die oben bemerkten Controversen unter den Römischen Juristen entstehen, indem einige an dem Buchstaben des alten precarii fest hielten, andere

liberis“, also wie ein Peculium, wobey sich ja auch das Recht willkührlicher Zurücknahme von selbst verstand.

(1) Festus l. c.


(565) §. 42. Interdictum de precario.

aber auf die gänzlich veränderte Lage desselben neue Regeln gründen wollten, welche letzte Ansicht denn, wie billig, in unsern Rechtsbüchern den Vorzug erhalten zu haben scheint.

Vielleicht wäre aber das precarium als überflüssig dennoch ganz verschwunden, wenn es nicht zufällig wieder für ein anderes Rechtsinstitut wichtig geworden wäre. Die älteste Form des Pfandrechts beruht darauf, daß die Sache gleich jetzt dem Gläubiger mancipirt wurde unter der Verpflichtung künftiger Remancipation (fiducia) (S. 337.). Dabey war nun aber gewöhnlich gar nicht die Absicht, die Sache dem Gebrauch des Schuldners zu entziehen, und es entsteht daher die Frage, unter welcher Rechtsform dieser Gebrauch dem Nichteigenthümer verschafft wurde. Ohne Zweifel diente eben dazu auf die zweckmäßigste Weise das precarium, welches eben darum noch zur Zeit der classischen Juristen wichtig genug gewesen seyn mag (1). Im Justinianischen Recht ist auch diese Anwendung verschwunden.

(1) Interpr. Pauli V. 6. §. 7. „ ... precario (possidet) qui per precem postulat, ut ei in possessione permissu domini vel creditoris fiduciam commorari liceat.“ Schulting emendirt fiduciarii mit großer Wahrscheinlichkeit; meine Handschrift indessen ließt fidutia. – Vgl. auch Isidori orig. V. 25. (s. o. S. 559. Not. 2.), ganz vorzüglich aber Gaius Lib. 2. §. 60.


(566) Vierter Abschnitt. Interdicte.

§. 43.

Das ganze Recht der possessorischen Interdicte, welches bis hierher dargestellt worden ist, beruhte auf bestimmten Formen der Verletzung des Besitzes, aus welchen allein die obligatio entstand, die durch die Interdicte verfolgt werden sollte. Viele Juristen betrachten diese ganze Theorie als bloße Antiquität: durch die Constitutionen, glauben sie, sey ein allgemeines Rechtsmittel eingeführt, die actio momentariae possessionis, wodurch jeder verlorne Besitz überhaupt wieder gefordert werden könne, ohne Rücksicht auf die Art, wie er verloren worden sey: durch dieses allgemeine Klagrecht seyen die alten Interdicte nicht sowohl aufgehoben, als ganz überflüssig geworden (1). Nach dieser Ansicht wäre das neue Recht der possessorischen Klagen eben so unbestimmt und willkührlich, als das alte Recht bestimmt und zusammenhängend war, und es ist um so nöthiger, die historische Richtigkeit derselben streng zu prüfen.

(1) Cujacius hat vorzüglich diese Behauptung aufgestellt (obss. I. 20, XIX. 16., paratit. in Cod. tit. unde vi, Comment. in Cod. tit. unde vi in opp. T. 9. p. 1148. 1153. 1159.) und ihm sind viele Andere gefolgt. – Dagegen sind: Giphanius in proleg. lib. 8. Cod. (expl. Cod. P. 2. p. 269.), Westphal §. 320., Fleck de interd. p. 66-71.


(567) §. 43. Neues Recht der Constitutionen.

Der neue Rechtssatz selbst soll nicht sowohl in einem einzelnen Gesetz eingeführt, als in mehreren Constitutionen als entschieden vorausgesetzt seyn. Allein selbst ohne diese Constitutionen erklärt zu haben, kann man ihn bestimmt widerlegen. Denn Justinian hat nicht nur in den Pandekten ganz das alte Recht aufgenommen, sondern selbst in den Institutionen wird es vorgetragen, und zwar hier mit den neueren Modificationen, die zum Theil erst von Ihm selbst hinzugesetzt waren, zum deutlichen Beweise, daß es nicht bloß Antiquität, sondern praktisches Recht ist, was daselbst gelehrt wird. Ja, was noch entscheidender ist, in einer der jüngsten Constitutionen, die das neue Recht beweisen sollen (1), wird gerade im Gegentheil das alte Recht als geltend vorausgesetzt, indem für einen ganz speciellen Fall ein eigenes Klagrecht bloß deswegen eingeführt wird, weil die alten Interdicte für diesen Fall nicht zureichten. Das also ist jetzt schon entschieden, daß jener Rechtssatz nicht der Inhalt der Constitutionen seyn kann, deren Erklärung nun gegeben werden soll.

A) L. 5. C. unde vi (2):

„Invasor locorum poena teneatur legitima: si tamen vi loca eadem invasisse

(1) L. 11. C. unde vi.

(2) Vgl. L. 1. C. Th. fin. reg. – Cuiac. obs. XIX. 16., I. Gothofr. in L. cit. C.


(568) Vierter Abschnitt. Interdicte.

constiterit. Nam si per errorem aut incuriam domini loca ab aliis possessa sunt: sine poena possessio restitui debet.“

„Also (sagen Jene) – soll der Besitz auch dann wieder gefordert werden können, wenn er nicht durch Gewalt verloren worden ist.“ – Allein den Besitz fordert auch der Eigenthümer durch die Vindication, und daß gerade davon die Rede ist, zeigt der Ausdruck „domini“ deutlich genug (1). Die ganze Stelle ist also nur, wie so viele andere, von Tribonian an einem unrichtigen Orte eingerückt worden.

B) L. 8. C. unde vi (2):

„Momentariae possessionis interdictum, quod non semper ad vim publicam pertinet, vel privatam, mox audiri, interdum etiam sine inscriptione meretur.“ Also es soll Fälle

Th., Goesius in notis ad scr. rei agr. p. 183. (auch bey Ritter zu der Stelle des Cod. Th.), Westphal §. 320., Fleck de interd. p. 67.

(1) Cujacius selbst erklärt in einer ganz ähnlichen Stelle (L. 6. C. de poss.) die restitutio possessionis auf dieselbe Art (Comm. in Cod., opp. IX. 1016.), ohne sich hier dieser Erklärung zu erinnern.

(2) L. 8. C. Th. de jurisd. – Cuiac. obss. I. 20., Giphan. in h. L. (expl. Cod. P. 2. p. 288.).


(569) §. 43. Neues Recht der Constitutionen.

geben, in welchen zwar das Interdict, aber keine accusatio ex lege Iulia möglich wäre. Solche Fälle lassen sich allerdings denken: wenn z. B. in Abwesenheit des Besitzers sein Grundstück ohne besondere Gewaltthätigkeit occupirt wird, und er zurück zu kehren nicht wagt, so ist kein crimen vis begangen, das Interdict aber dennoch begründet (S. 519.).

C) L. 11. C. unde vi:

„Cum quaerebatur inter Illyricianam advocationem, quid fieri oporteret propter eos, qui vacuam possessionem (1) absentium sine judiciali sententia detinuerunt, quia veteres leges nec Unde vi interdictum, nec quod vi aut clam, vel aliam quandam actionem ad recipiendam talem possessionem definiebant, violentia in ablatam possessionem

(1) Vacua possessio kann gesagt werden, theils von einer Sache die keinen Besitzer hat (S. 203.), theils von einem Besitz der eben jetzt nicht körperlich ausgeübt wird (z. B. possessio fundi quae animo retinetur). Hier ist der Ausdruck in der ersten Bedeutung genommen, die ohnehin die technische ist: die Gründe werden weiter unten angegeben werden. Azo in Summa h. t. num. 31. (fol. 146.), et in lect. in h. L. (p. 619.), Glossa in h. L., Giphanius in h. L. (expl. Cod. P. 2. p. 295.).


(570) Vierter Abschnitt. Interdicte.

minime praecedente, nisi domino tantummodo in rem exercere permittentes (1): nos non concedentes aliquem alienas res, vel possessiones (2) per suam auctoritatem usurpare, sancimus, talem possessorem, uti praedonem intelligi, et generali jurisdictione ea teneri, quae pro restituenda possessione contra hujusmodi personas veteribus declarata sunt legibus (3) ... si non ex die, ex quo possessio detenta est, triginta annorum excesserint curricula“ (4). Der Fall, welchen dieses Gesetz bestimmt, muß so gedacht werden: der Besitz einer Sache war durch bloße Abwesenheit verloren worden (S. 424.), und diese vacua

(1) Dieser Theil der Stelle macht sie selbst am deutlichsten. Der Fall nämlich muß nun nothwendig so gedacht werden, daß keine persönliche Klage nach dem ältern Recht statt finden könnte.

(2) Res, im Gegensatz von possessiones (S. 106.) sind bewegliche Sachen: also beide zugleich soll das Gesetz umfassen, was auch sehr natürlich ist, da das Int. de vi längst auf bewegliche Sachen ausgedehnt war.

(3) d. h. es soll nach dieser Ausdehnung des Int. recuperandae possessionis (s. de vi) auf diesen Fall, nun auch alles das in demselben beobachtet werden, was bey dem Int. de vi schon nach altem Recht galt („quae ... contra hujusmodi personas (sc. praedones) veteribus declarata sunt legibus“).

(4) Daß die Klage nicht über 30 Jahre dauert, ist eine Folge


(571) §. 43. Neues Recht der Constitutionen.

possessio hatte ein Anderer occupirt (1). Für diesen Fall nun galt keine der bisherigen possessorischen Klagen, ja keine Klage überhaupt außer der Vindication. Justinian will, daß auf diesen Fall das Int. de vi angewendet werde: etwas Neues liegt darin allerdings, aber einmal betrifft dieses Neue einen einzelnen, sehr genau bestimmten Fall, und zweytens wird dadurch überhaupt keine Regel modificirt, welche für die possessorischen Klagen außerdem gegolten hätte. Denn da der Besitz schon vor der Occupation verloren war, so ist von einer unmittelbaren Verletzung

der allgemeinen 30jährigen Verjährung: daß sie nicht auf Ein Jahr beschränkt ist, erklärt sich aus der Voraussetzung, daß der Beklagte selbst den Besitz der Sache noch hat, in welchem Fall auch das Int. de vi nicht auf Ein Jahr beschränkt ist (S. 545.). Folglich enthält diese Bestimmung nichts besonderes, und sie ist wohl von einer ähnlichen Bestimmung der L. 1. C. si per vim zu unterscheiden, welche in der That eine Ausnahme vorschreibt (S. 546.).

(1) Daß so und nicht anders der Fall gedacht werden müsse, ist oben vorausgesetzt worden, und kann jetzt bewiesen werden. Wäre nämlich erst durch die Occupation des jetzigen Besitzers der vorige Besitz aufgehoben worden, so hätte bey Grundstücken das Int. de vi gegolten (S. 519), bey beweglichen Sachen die condictio furtiva. Der Fall aber ist nach Justinian’s eigener Erklärung so beschaffen, daß das alte Recht keine Klage gestattet hätte.


(572) Vierter Abschnitt. Interdicte.

des Besitzes gar nicht die Rede, so daß selbst die Entscheidung dieses speciellen Falls keine Aehnlichkeit mit der Regel hat, die als allgemeine Regel dadurch bewiesen werden sollte.

D) L. 12. C. de poss.

Die Stelle selbst ist oben erklärt worden (S. 442 [et]c.). Sie verordnet, daß in bestimmten Fällen durch die Untreue des Repräsentanten der Besitz nicht verloren seyn solle: von einem besondern Klagrecht ist darin überhaupt nicht die Rede, am wenigsten von einer neuen actio recuperandae possessionis, da das Gesetz gerade die Fortdauer des Besitzes zum einzigen Gegenstand hat.

E) Endlich muß noch die bloße Ueberschrift eines Titels (1) dahin gerechnet werden, die wohl viel zu jener unrichtigen Meinung beygetragen haben mag. Sie lautet so: „si per vim vel alio modo perturbata sit possessio.“ Was in diesen beiden Fällen einer perturbata possessio (per vim vel alio modo) erfolgen soll, ist nicht gesagt: dieser Erfolg kann also wohl nicht anders als aus den Constitutionen des Titels selbst bestimmt werden. Die erste dieser Constitutionen spricht

(1) Cod. Iust. Lib. 8. Tit. 5.


(573) §. 43. Neues Recht der Constitutionen.

bloß von einer possessio per vim perturbata. Der Inhalt der zweyten ist dieser: „bey einem Rechtsstreit soll der Besitzstand weder durch ein Rescript des Kaisers, noch durch ein Decret des Richters geändert werden können, wenn Eine Partey abwesend ist.“ Diese Verordnung betrifft offenbar bloß den Prozeß, und sie ist nur an einer unschicklichen Stelle von den Compilatoren eingeschaltet worden. Die Verletzung des Besitzes also, gegen welche das Gesetz gerichtet ist (possessio alio modo quam per vim perturbata) ist eine prozessualische Nullität, und hat mit einer solchen Verletzung, welche ein Interdict veranlassen könnte, nicht die geringste Aehnlichkeit.

Demnach ist das alte Recht der Interdicte durch die Constitutionen auf keine Weise aufgehoben oder entbehrlich gemacht worden, und die Ansicht des Besitzes, welche jenen Interdicten zum Grunde lag, ist auch in Justinian’s Gesetzgebung dieselbe geblieben.


(574)

Fünfter Abschnitt.

Iuris quasi possessio.

§. 44.

Das Recht des Besitzes beruht auf dem Schutz der bloßen Ausübung des Eigenthums gegen bestimmte Formen der Verletzung. Diese Formen der Verletzung und jener Schutz lassen sich auf dieselbe Weise auch bey solchen Rechten denken, die als einzelne Bestandtheile des Eigenthums von dem Eigenthum selbst abgesondert sind (Iura in re), und das Römische Recht hat diese Anwendung wirklich gemacht. Das Verhältniß dieser Iuris quasi Possessio zum wahren Besitz ist oben entwickelt worden (§. 12.). Hier sind dieselben drey Fragen zu beantworten, wie bey dem Besitze selbst, d. h. es ist der Erwerb, der Verlust und der Schutz durch Interdicte für die Iuris quasi Possessio zu bestimmen. Diese Untersuchung aber muß für jede Classe jener Rechte


(575) Fünfter Abschnitt. Iuris quasi Poss. §. 44.

besonders angestellt werden; daher zerfällt dieser Abschnitt in drey Theile:

1. Persönliche Servituten (§. 45.).

2. Dingliche Servituten (§. 46.).

3. Iura in re, die nicht unter die Servituten gehören (§. 47.).

Für diese drey Classen von Rechten ist indessen noch eine allgemeine Bemerkung voraus zu schicken. Hier, wie bey dem eigentlichen Besitz, beruht der Erwerb und die Fortdauer des Rechts auf körperlichem Verhältniß und animus zugleich. Die zweyte dieser Bedingungen ist dem Grundsatz nach bey allen diesen Rechten ganz auf dieselbe Weise, wie bey dem Besitze selbst, zu bestimmen. Ohne animus possidendi also kann keine Iuris quasi Possessio erworben werden, und durch bloßen animus possidendi muß das Recht des Besitzes jedesmal aufhören. Deswegen mag diese allgemeine Bemerkung hinreichend seyn, und bey den einzelnen Rechten selbst wird der animus possidendi nur insofern erwähnt werden, als derselbe bey ihnen in einer besonderen Gestalt zur Erscheinung kommt (1).

Die meisten und wichtigsten Servituten haben einen Besitzesschutz durch Interdicte erhalten: einige durch

(1) Bona fides ist nur allein bey dem Int. de aqua nöthig (§. 46.), im allgemeinen nicht.


(576) Fünfter Abschnitt. Iuris quasi Poss.

dieselben Interdicte, welche schon bey dem eigentlichen Besitz dargestellt worden sind, andere durch eigenthümliche Interdicte. Ihnen gegenüber kann der corporis possessor seinen Besitz der Freyheit durch das Int. uti possidetis oder utrubi schützen; und dagegen kann dann der Servitutenbesitzer stets sein Interdict in der Gestalt einer Exception geltend machen. (Zus. der 6. Ausg.)

§. 45.

Die persönlichen Servituten (d. h. vorzüglich ususfructus und usus) haben das Eigenthümliche, daß die Ausübung derselben immer mit dem natürlichen Besitz der Sache selbst verbunden ist. Darum hat ihre quasi possessio mehr Aehnlichkeit mit dem eigentlichen Besitz, als die der übrigen Rechte, und diese Aehnlichkeit zeigt sich nicht nur in dem Erwerb und Verlust, sondern auch in den Interdicten.

Erworben also wird diese Art des Besitzes durch dasselbe Handeln, wie der Besitz der Sache selbst: namentlich durch Uebergabe der Sache, oder dadurch, daß der Eigenthümer in das Grundstück einführt, oder den fructuarius selbst in Besitz nehmen läßt (1): vorausgesetzt,

(1) L. 3. pr. de usuf. „Omnium praediorum jure legati potest constitui ususfructus, ut heres jubeatur dare alicui usumfructum. Dare autem intelligitur, si induxerit in fundum legatarium, eumve patiatur uti


(577) §. 45. Persönliche Servituten.

daß dieses alles in bestimmter Beziehung auf den ususfructus geschehe.

Fortgesetzt wird dieser Besitz, wie jeder andere Besitz, durch die ununterbrochene Möglichkeit, die ursprüngliche Herrschaft zu reproduciren (1): verloren also durch die Aufhebung dieser Möglichkeit. Indessen muß hier außerdem noch eine andere Art des Verlustes angenommen werden. Da nämlich durch bloßen non usus am Ende eines bestimmten Zeitraums die Servitut selbst verloren wird, so muß in der ganzen Zwischenzeit der Besitz verloren gewesen seyn, obgleich jene Reproduction stets möglich gewesen seyn kann. Auf der andern Seite aber kann man nicht behaupten, daß jeder auch noch so kurze Nichtgebrauch den Besitz wirklich entziehe, weil sonst gar keine Gränze übrig bliebe, und weder Erhaltung des Besitzes noch besonders Ersitzung möglich seyn

frui. Et sine testamento autem si quis velit usumfructum constituere, pactionibus et stipulationibus id efficere potest.“ Die „pactiones et stipulationes“ gehen nicht auf den Besitz, sondern auf das Recht selbst, welches früherhin durch in jure cessio erworben wurde, im neuesten Recht aber durch bloßen Vertrag erworben wird. Jenes bezeugt Ulp. XIX. 11., dieses §. 4. I. de serv. praed. §. 1. I. de usufructu.

(1) Selbst das besondere Recht des Besitzes an einem servus fugitivus gilt auch hier, und es ist hier sogar noch vortheilhafter bestimmt. L. 12. §. 3. 4. de usufructu.


(578) Fünfter Abschnitt. Iuris quasi Poss.

würde. Deswegen bleibt nichts übrig, als anzunehmen, daß während des bloßen Nichtgebrauchs (ohne fremde Occupation) der Besitz in suspenso ist, und daß es sich erst durch Erneuerung des Gebrauchs oder durch Ablauf des ganzen Zeitraums zeigt, ob er in der ganzen Zwischenzeit da gewesen oder nicht da gewesen ist (1). Eben wegen dieser vorläufigen Unentschiedenheit ist aber diese Art des Verlustes bey den Interdicten ganz ohne Einfluß (2).

Darin kommt dieser Besitz mit jedem andern überein, daß er durch Repräsentanten, z. B. durch Pachter, fortgesetzt werden kann, und nur in der Anwendung dieser Regel ist es nöthig, einige Fälle besonders zu erörtern: A) Das Recht dieser Servituten ist an eine bestimmte Person gebunden, folglich unveräußerlich, folglich hat selbst die Veräußerung derselben (durch Verkauf, Schenkung [et]c.) im wesentlichen keine andere Wirkung, als eine

(1) Eine ähnliche Unentschiedenheit gilt bey dem Ususfructus zuweilen auch für das Eigenthum der Früchte.

(2) Eine etwas verschiedene Bewandniß hat es mit der Fortsetzung des Besitzes, insofern diese zu einem Erwerb durch Ersitzung führen soll. Hier nimmt Unterholzner (Verjährungslehre §. 214.) an, der Besitz daure fort, wennmöglich gewöhnliche Unterbrechungen der Ausübung statt finden, dagegen sey er unterbrochen, wenn man die Ausübung ganz ungewöhnlich lange Zeit hindurch unterlassen habe. Diese Annahme, bey welcher freylich ein sehr freies Ermessen des Richters unvermeidlich ist, scheint richtig. (Zus. der 6. Ausg.)


(579) §. 45. Persönliche Servituten.

bloße Verpachtung: es entsteht ein bloß persönliches Recht gegen den fructuarius, und nur die Form dieser obligatio ist verschieden. Die Folge dieses Satzes für den Besitz ist die, daß in allen den Fällen, in welchen der Besitz einer Sache übertragen zu werden pflegt, der Besitz des ususfructus etc. ungeändert bleibt, so daß der fructuarius auf gleiche Weise das Recht des Besitzes behält, er mag den ususfructus bloß verpachten, oder aber verkaufen, verschenken, oder durch precarium einem Andern überlassen (1). B) Auch an den Eigenthümer der Sache kann der ususfructus verpachtet werden, so daß nun durch den Eigenthümer der Besitz fortgesetzt wird. Wenn aber der Eigenthümer die Sache ohne Rücksicht auf den ususfructus, (d. h. ohne ihn vorzubehalten) verkauft, oder in eigenem Namen (also gleichfalls ohne Rücksicht auf den ususfructus) verpachtet, so ist dadurch der Besitz aufgehoben (2).

(1) L. 12. §. 2. de usufructu: „Usufructuarius vel ipse frui ea re, vel alii fruendam concedere (für dieses letzte folgen nun Beyspiele), vel locare, vel vendere potest: nam et qui locat, utitur: et qui vendit, utitur. Sed et si alii precario concedat vel donet, puto eum uti: atque ideo retineri usumfructum ... “ Die letzten Worte beziehen sich darauf, daß durch non usus in einer bestimmten Zeit der ususfructus selbst verloren wird: so ist also hier die Fortsetzung des Besitzes für die Erhaltung des Rechts selbst indirect nöthig.

(2) L. 29. pr. quib. mod.


(580) Fünfter Abschnitt. Iuris quasi Poss.

Die Interdicte endlich sind hier ganz dieselben, wie bey dem eigentlichen Besitz, und dieser Umstand mag wohl am meisten dazu beygetragen haben, beide Rechte mit einander zu verwechseln (1). Da nämlich die Ausübung dieser Servituten, wie die des Eigenthums, von dem natürlichen Besitz der Sache selbst abhängt, so ist die Art der Störung in beiden Fällen ganz dieselbe, und eben so ist der Schutz gegen diese Störung in beiden auf gleiche Weise bestimmt:

I) Ist der Gegenstand eine unbewegliche Sache, so ist das Int. uti possidetis anwendbar, wenn die Iuris quasi Possessio zwar gestört, aber nicht aufgehoben ist. Dieses Interdict ist demnach auf folgende Fälle

ususfr. Diese Stelle darf durchaus nicht bey der Streitfrage gebraucht werden, die oben (§. 33.) für den Besitz selbst abgehandelt worden ist. Denn einmal ist die Iuris quasi Possessio überhaupt mit dem eigentlichen Besitz nicht einerley, und zweytens kommt in diesem Fall alles auf das besondere Verhältniß des fructuarius zum Eigenthümer an, mit welchem Verhältniß bey dem eigentlichen Besitz sich gar nichts ähnliches findet.

(1) Nur das erfahren wir aus fragm. Vat. §. 90. 91. 92. 93., daß in diesen Fällen jedes Interdict nur als ein utile interdictum zur Anwendung kam. Die Hauptstelle, §. 90., muß so emendirt werden: „Si usufructu legato legatarius fundum nanctus sit, competit utile interdictum adversus eum, quia non possidet legatum, sed potius fruitur. Inde et interdictum uti possidetis utile hoc nomine proponitur, et unde vi, quia non possidet“ etc. (Zusatz der 5ten Ausg.).


(581) §. 45. Persönliche Servituten.

anzuwenden: A) wenn Mehrere an derselben Sache (d. h. an partibus indivisis) den ususfructus haben, und sich gegenseitig im Besitze stören, B) wenn sich der fructuarius gegen Eingriffe des Eigenthümers schützen will oder umgekehrt (S. 326.), C) wenn ein Fremder, d. h. der gar kein Recht hat, den Besitz des fructuarius stört, D) wenn verschiedene Rechte, z. B. usus und ususfructus, an derselben Sache neben einander bestehen, und die Ausübung derselben gegen wechselseitige Störung gesichert werden soll (1).

II) Auf dieselbe Art, wie das Int. uti possidetis bey unbeweglichen Sachen, muß bey beweglichen das Int. utrubi auch auf diese Iuris quasi Possessio angewendet werden: daß diese Anwendung nicht ausdrücklich in unsern Rechtsquellen vorgeschrieben ist, erklärt sich leicht wenn man bedenkt, wie wenig überhaupt von dem Int. utrubi die Rede ist.

III) Ist der Besitz nicht bloß gestört, sondern gewaltsam

(1) L. 4. uti possidetis: „In summa puto dicendum, et inter fructuarios hoc interdictum reddendum, et si alter usumfructum, alter possessionem sibi defendat. Idem erit probandum, et si ususfructus quis sibi defendat possessionem: et ita Pomponius scribit. Proinde et si alter usum, alter fructum sibi tueatur, et his interdictum erit dandum.“ – Eine ganz verkehrte Erklärung dieser Stelle nach seiner Ansicht des Interdicts giebt Wiederhold S. 51. (Zus. der 6. Ausg.)


(582) Fünfter Abschnitt. Iuris quasi Poss.

aufgehoben, so ist das Int. de vi begründet (1). Nach dem alten Recht war es auch hier bey beweglichen Sachen ausgeschlossen, den Fall ausgenommen, wenn mit dem Grundstück zugleich solche Sachen (quae ille tunc ibi habuit) verloren wurden (2): die Ausdehnung dieser obligatio auf bewegliche Sachen, durch die Constitutionen, muß auch hier gelten. Gegenstand der Klage ist erstens die Restitution der Sache, weil von dem natürlichen Besitz derselben die Möglichkeit der Ausübung jener Rechte abhängt: zweytens, vollständiger Schadensersatz (3). In vielen Fällen wird dieser Ersatz sogar der einzige Gegenstand der Klage seyn, wenn nämlich das Recht der Servitut selbst durch den Tod des fructuarius, oder durch capitis deminutio, oder durch non usus einstweilen aufgehört hat: in den zwey ersten Fällen betrifft der Ersatz bloß die vergangene Zeit, weil auch ohne die dejectio der Verlust hätte erfolgen müssen (4):

(1) L. 3. §. 13. 14. de vi. – L. 60. pr. de usufructu (über ususfructus) L. 3. §. 16. de vi. – L. 27. de donat. (über usus). Huenerer diss. de restitutione usufructuarii ex int. unde vi, Arg. 1631. G. A. Struv. diss. de int. unde vi, quatenus usufructuarius ex eo restituatur, Ien. 1658.

(2) L. 3. §. 15. de vi.

(3) L. 9. §. 1. de vi: „Dejectum ab usufructu in eandem causam Praetor restitui jubet: id est, in qua futurus esset, si dejectus non esset.“

(4) L. 60. pr. de usufructu. L. 3. §. 17. de vi.


(583) §. 45. Persönliche Servituten.

wenn dagegen durch non usus das Recht verloren worden ist, so enthält die dejectio selbst die Ursache des Verlustes, folglich muß nun der Ersatz zugleich auf die künftige Zeit gerichtet seyn (1).

IV) Von dem Int. de clandestina possessione ist hier natürlich gar nicht die Rede, da selbst bey dem eigentlichen Besitz der Name desselben nur sehr zufällig aufbehalten worden ist.

V) Endlich kann auch die Ausübung einer solchen Servitut precario einem Andern überlassen werden (2), und nun wird die Restitution der Sache schon nach den Worten des Edicts mit dem Int. de precario gefordert (3).

§. 46.

Der Besitz der dinglichen Servituten ist nicht so einfach zu bestimmen, wie der der persönlichen: es müssen hier mehrere Fälle genau unterschieden werden, und diese Fälle selbst sind zum Theil sehr streitig (4).

Alle dingliche Servituten nämlich bestehen in einzelnen Ausnahmen

(1) L. 9. §. 1. L. 10. de vi.

(2) L. 12. §. 2. de usufructu.

(3) L. 2. pr. de prec. „ ... Quod precario ab illo habes ... id illi restituas.“ L. 2. §. 3. eod. „Habere precario videtur, qui possessionem vel corporis vel juris adeptus est ...

(4) Oppenritter, Summa poss., P. 1. C. 5. de acquisitione quasi Possessionis: fast bloß von dinglichen Servituten.


(584) Fünfter Abschnitt. Iuris qausi Poss.

von der allgemeinen Regel eines fremden Eigenthums: so daß entweder der, welcher das Recht der Servitut hat, selbst etwas thun darf, das ihm außerdem untersagt werden könnte (servitus quae in patiendo consistit), oder daß nur der Eigenthümer etwas unterlassen muß, das er außerdem thun dürfte (servitus quae in non faciendo consistit) (1). Die erste Art der Servituten nennen wir positive, oder affirmative, die zweyte: negative Servituten, oder Untersagungsrechte. Bey den positiven Servituten ist das, was vermöge der Servitut geschehen darf, entweder eine eigene Handlung für sich, die nur mittelbar auf ein anderes Grundstück sich bezieht (z. B. jus itineris), oder es ist mit dem Besitz eines andern Grundstücks unmittelbar verbunden (z. B. jus tigni immittendi). Diese drey Classen von dinglichen Servituten sind hier sorgfältig zu unterscheiden (2).

Erste Classe: Positive Servituten (serv. quae in patiendo consistunt), deren Ausübung in einer eigenen, unabhängigen Handlung besteht. – Im allgemeinen

(1) Bey den persönlichen Servituten kommt dieser Unterschied nicht vor, indem sie alle eine positive Natur haben.

(2) Diese Eintheilung fällt mit einer andern fast zusammen, was aber bloß zufällig und eben deshalb nicht allgemein wahr ist: die erste Classe enthält jura praediorum rusticorum, die 2te und 3te jura praediorum urbanorum.


(585) §. 46. Dingliche Servituten.

läßt sich hier der Erwerb der Iuris quasi Possessio so bestimmen: die Handlung, die den Gegenstand des Rechts ausmacht, muß irgend einmal ausgeübt seyn und zwar als ein Recht ausgeübt seyn (1). Wer also über des Nachbars Grundstück geht, um mit diesem zu reden, hat dadurch kein jus itineris ausgeübt: wer dagegen ein solches Recht ausüben will, und es gegen den Widerspruch des Eigenthümers mit Gewalt durchsetzt, hat allerdings den Besitz erworben, so daß die „patientia“ des Eigenthümers durchaus nicht zum Erwerb dieses Besitzes nöthig ist (2). Von dem Verluste

(1) L. 25. quemadm. serv. „Servitute usus non videtur, nisi is, qui suo jure uti se credidit: ideoque si quis pro via publica vel pro alterius servitute usus sit, nec interdictum, nec actio utiliter competit.“ Aus diesem Gegensatz erhellt, daß das an sich zweydeutige credidit des ersten Satzes nicht die bona fides, sondern den wahren animus possidendi ausdrücken soll. – L. 7. de itinere. „Si per fundum tuum nec vi, nec clam, nec precario commeavit aliquis, non tamen tanquam id suo jure faceret, sed, si prohiberetur, non facturus: inutile est ei Interdictum de itinere actuque: nam ut hoc Interdictum competat, jus fundi possedisse oportet.“ Vgl. L. 1. §. 6. de itinere. Diese wichtige Bedingung eines solchen Quasibesitzes ist lediglich als die besondere Gestalt anzusehen, worin hier der animus possidendi erscheint. Denn das Gehen über ein Grundstück um mit dem Besitzer zu reden, ist eine solche Handlung, die an sich unfähig ist, den animus possidendi zu enthalten, mag auch der Gehende dabey heimlich denken was er will. (Zus. der 6. Ausg.)

(2) L. 20. de serv. „ ...


(586) Fünfter Abschnitt. Iuris quasi Poss.

des Besitzes gilt hier ganz dasselbe, was oben (S. 577.) bey den persönlichen Servituten bemerkt worden ist. Nur ist hier noch hinzuzufügen, daß der Besitz durch die Handlung jeder fremden Person (auch ohne Repräsentationsverhältniß) erhalten werden kann, wenn nur diese Handlung fundi nomine geschieht. L. 5. L. 6. pr. L. 20. L. 24. quemadm. serv. – L. 1. §. 7. L. 3. §. 4. de itinere. Für die Interdicte ist hier der Verlust des Besitzes wegen mancher eigenthümlichen Bestimmungen von Wichtigkeit. – Die Interdicte endlich sind hier auf ganz eigene Art bestimmt, und die gewöhnlichen possessorischen Klagen können durchaus nicht gebraucht werden (1). Das Int. de vi ist

Ego puto, usum ejus juris (es war von jus fundi die Rede) pro traditione possessionis accipiendum esse.“ Also „usus“ ohne nähere Bestimmung, ist die Apprehension. Derselbe Satz folgt aus den Exceptionen der einzelnen Interdicte, welche Exceptionen („vi, clam, precario“), hier, wie bey dem eigentlichen Besitz, durchaus keinen Sinn hätten, wenn in den Fällen derselben selbst die Apprehension nicht behauptet werden könnte. Die Stellen, um deren willen man das Gegentheil behauptet (L. 11. §. 1. de public. in rem act. – L. 1. §. 2. de serv. pr. rust.) reden nicht von dem Erwerb des Besitzes, sondern des Rechts selbst, und damit verhielt es sich so: 1) cessio und mancipatio begründeten ein solches Recht in der That (Ulp. XIX. 1. 11.). 2) Traditio gab nicht das Recht selbst, sondern nur eine publiciana actio (LL. cit.): aber auch dazu, wie zu jeder Tradition, gehört der Wille des tradens, und dieser setzt hier immer patientia voraus.

(1) Mehrere Juristen haben sie dennoch zugelassen, z. B.


(587) §. 46. Dingliche Servituten.

um deswillen nicht anwendbar, weil eine eigentliche dejectio sich nicht denken läßt (1): das Int. de precario ist wenigstens ganz überflüssig: denn wer einem Andern precario verstattet, durch ein Grundstück zu gehen, und dann diese Erlaubniß zurück nimmt, kann durch das Int. uti possidetis dieses Verbot durchsetzen (2), und ohnehin ist das Int. de precario schon den Worten nach nur auf Rückgabe eines Gegebenen gerichtet, was sich hier gar nicht denken läßt (3). Das Int. uti possidetis

Busius in subtil. jur. VII. 5. und ganz neuerlich Thibaut, Archiv B. 1. S. 111-116. B. 18. S. 325. Pandekten §. 769. der 8ten Ausg. Dagegen s. Giphan. in Cod. tit. uti poss., P. 2. p. 302.

(1) L. 4. §. 27. de usurp.: „Si viam habeam per tuum fundum, et tu me ab ea vi expuleris: per longum tempus non utendo amittam viam: quia nec possideri intelligitur jus incorporale, nec de via quis, id est mero jure, detruditur.“

(2) Das Verhältniß ist vollständig so zu bestimmen: der Eigenthümer hat vermöge seines bloßen Besitzes das Int. uti possidetis: ist der Beklagte im Besitz der Servitut, so gebraucht derselbe das Int. de itinere, und zwar als Exception (S. 327.): ist aber der Besitz der Servitut auf ein precarium gegründet, so kann der Kläger den Besitz selbst zugeben, und dennoch die Exception durch eine Replik entkräften. – Eigentlich würde hier die Anwendung des Int. de precario wohl so gedacht werden müssen, daß der Besitzer der Servitut ihre Ausübung precario einem Andern überlassen hätte und nun zurück haben wollte; allein eben dieser Hergang kann bey Servituten gar nicht vorkommen. (Zus. der 6. Ausg.)

(3) Nämlich das habere precario läßt sich bey jedem jus


(588) Fünfter Abschnitt. Iuris quasi Poss.

also wäre das einzige, welches sich hier denken ließe, und doch ist nicht dieses Interdict hier zugelassen, sondern es sind eigene Interdicte für die wichtigsten Fälle dieser Art gegeben (1): demnach gilt überhaupt nur in diesen bestimmten Fällen ein Klagrecht (2) und nur in

in re denken (L. 2. §. 3. de prec.), und namentlich bey den Servituten dieser ersten Classe (L. 3. L. 15. §. 1. de prec.), aber nicht das restituere precarium, worauf das Interdict einzig und allein gerichtet ist (L. 2. pr. de prec.). Dennoch ist es auch bey diesen Servituten nicht gleichgültig, zu wissen, ob sie sich auf precarium gründen oder nicht, weil davon wenigstens Exceptionen abhängen (L. 1. pr. de itin. etc.)

(1) L. 20. in f. de serv. „ ... Ideoque et interdicta veluti possessoria constituta sunt.“ Thibaut a. a. O. S. 116. nimmt diesen unbestimmten Ausdruck für einen allgemeinen, was indessen ganz willkührlich ist. Denn dieser Satz kann eben so gut den Sinn haben: „Deshalb giebt es auch in (manchen, oder vielen ) Fällen dieser Art possessorische Rechtsmittel.“

(2) Da alle possessorischen Interdicte ganz positiver Natur sind, so ist das Int. uti possidetis für diese nicht genannten Fälle unzulässig, indem in dem Gebrauch desselben nicht etwa die Anwendung eines allgemeinen Grundsatzes auf einen einzelnen Fall, sondern vielmehr eine Ausdehnung desselben auf ganz neue Fälle liegen würde, und indem sonst die unbedeutendern Servituten dieser Art im Verhältniß zu den ältesten und wichtigsten (via, actus, iter, aquaeductus) begünstigt seyn würden. Eben so wenig ist eine analogische Anwendung der besonderen Interdicte dieser Servituten auf die übrigen nicht genannten Fälle denkbar, da die positiven Bedingungen jener besondern Interdicte zu verschiedenartig sind. – [Zusatz der 4ten Ausg.] Vorzüglich ist bey dieser Streitfrage folgendes zu beachten. Daß für mehrere dieser Servituten


(589) §. 46. Dingliche Servituten.

den Formen, die hier ausdrücklich vorgeschrieben sind und jetzt erklärt werden sollen. – Aber obgleich hier durch die eigenthümliche Natur des Gegenstandes besondere Interdicte nöthig gemacht wurden, so sind diese dennoch dem Int. uti possidetis verwandt und beruhen mit demselben auf einem gleichen Grunde. Sie sind nämlich so wie jenes prohibitorisch und beruhen ganz eben so auf einer obligatio ex maleficio, welches durch die in allem

besondere Interdicte gegeben sind, nicht die allgemeinen, ist gar nicht etwa zufällig, sondern es hat seinen Grund in der besonderen Natur dieser Servituten, welche in intermittirenden Handlungen bestehen, und worauf eben deshalb die allgemeinen Interdicte nicht anwendbar schienen. Es bedurfte einer näheren Bestimmung, welche Ausübung zu einem possessorischen Schutz hinreiche? Bey den Wegeservituten nahm man die 30 Tage an, bey den Wasserservituten irgend eine Ausübung im letzten Jahr. Damit waren denn aber auch alle den Römern wichtige Fälle dieser Art erschöpft, und in den minder wichtigen Fällen, worin die allgemeinen Interdicte eben so unanwendbar waren, wie in den wichtigeren, mußte man sich mit der petitorischen Klage begnügen. Was die Weideservitut betrifft, so ist es mir aus ihrer seltenen und unbestimmten Erwähnung höchst wahrscheinlich, daß dieses Recht als Servitut bey den Römern selten und darum wenig wichtig war, woraus sich denn der gänzliche Mangel eines possessorischen Schutzes bey derselben historisch (wenn gleich nicht für unser praktisches Bedürfniß befriedigend) erklärt. – Uebrigens nehme ich nunmehr an, daß diese für die Theorie wichtige Streitfrage für die Praxis dadurch verschwindet, daß auch diese Servituten die Spolienklage anzuwenden ist. Vgl. unten den Zusatz zu §. 50. (Zus. der 6. Ausg.)


(590) Fünfter Abschnitt. Iuris quasi Poss.

wörtlich gleichlautende Formel: vim fieri veto außer Zweifel gesetzt wird (1).

I) Ius itineris, Actus, Viae.

Quellen:

Digest. Lib. 43. Tit. 19.

C. Albert über den Besitz unkörperlicher Sachen. N. I. Darstellung des possessorischen int. de itinere actuque privato. Leipzig 1826.

I. C. Althof das Int. de itinere actuque privato. Rinteln 1836.

Die erste Bedingung dieses Interdicts ist Besitz der Servitut, und dieser Besitz muß hier näher bestimmt werden. Darin nämlich kommt er mit aller Iuris quasi Possessio dieser Classe überein, daß das Recht von dem Kläger selbst oder von andern Personen in seinem Namen (2) muß ausgeübt worden seyn, und zwar als

(1) Unbegreiflicherweise hat diesen Satz ausführlich zu widerlegen gesucht: Albert Besitz unkörperlicher Sachen §. 140. fg., indem er behauptet, das vim fieri veto heiße bei diesen Servituten etwas ganz Anderes als bey uti possidetis (§. 145.); was es Anderes bedeuten soll, hat er vergeblich deutlich zu Machen versucht. Wären diese Worte einmal gelegentlich von einem interpretirenden Juristen gebraucht worden, so möchte das noch etwa hingehen; aber sie stehen gleichlautend in der Formel jedes dieser Interdicte, genau wie in der Formel uti possidetis, und doch sollen sie da einen anderen Sinn haben! (Der Satz des Textes, wozu diese Anm. gehört, ist in der 6. Ausg. neu hinzugekommen.)

(2) L. 1. §. 7. 8. 11. L. 3. §. 4. de itin.


(591) §. 46. Dingliche Servituten.

ein Recht ausgeübt: wer also aus einer andern Ursache den Weg über ein fremdes Grundstück nimmt, z. B. weil der gewöhnliche Weg überschwemmt ist, hat dadurch gar keine Handlung eines Besitzers ausgeübt, und sein Verhältniß wird sehr genau selbst von dem einer precaria possessio unterschieden (1). – Allein Ausübung der Servitut überhaupt ist nicht einmal hinreichend, sondern es ist ein bestimmtes Maaß derselben als Bedingung des Interdicts vorgeschrieben. Wer nämlich das Interdict gebrauchen will, muß in dem verflossenen Jahre (von der Klage an gerechnet) wenigstens an 30 verschiedenen Tagen das Recht ausgeübt haben (2). Doch ist gegen diese Art der Berechnung eine Restitution möglich: wenn z. B. die Ausübung in dem letzten Jahre durch

(1) L. 1. §. 6, L. 7. de itin. (s. o. S. 584.).

(2) L. 1. §. 2. 3. de itin. – Die Schrift von Althof ist fast ganz dazu bestimmt, dieser Regel einen ganz andern Sinn unterzulegen (§. 1-39.). Er verlangt nämlich nur mehrmaligen Gebrauch, jedoch so, daß die Gebrauchsacte wenigstens einen Monat einschließen. Also 29 Tage hintereinander wären unzureichend, 2 Tage aber, die 3 Monate auseinander lägen, hinreichend; doch wird dieses letzte dem richterlichen Ermessen überlassen. Hätte man dieses gewollt, so war es gewiß besser, gar keine Zahl anzugeben. Sein Hauptgrund liegt darin, daß man nicht leicht an 30 Tagen auf Einen Acker fahren werde. Allein es wird ja nicht verlangt, daß an jedem Tage alle Gebrauchsarten vereinigt waren. Wer also beweist, daß er an 10 Tagen gieng, an 10 ritt, an 10 fuhr, der hat dem Interdict auch für die servitus actus genügt. (Zus. d. 6. Ausg.)


(592) Fünfter Abschnitt. Iuris quasi Poss.

Gewalt oder andere hinreichende Ursachen verhindert worden ist, so kann durch Restitution das vorhergehende Jahr der Berechnung zum Grunde gelegt werden (1). – Endlich ist bey dieser Bedingung die accessio possessionis zu bemerken, indem es ganz gleichgültig ist, ob der Kläger selbst, oder sein auctor (Erblasser, Verkäufer [et]c. [et]c.) oder beide zugleich das Recht an 30 Tagen des letzten Jahres ausgeübt haben (2). Insofern nun der auctor allein das Recht ausgeübt hatte, ist für den gegenwärtigen Kläger das Rechtsmittel ein int. adipiscendae possessionis (3). – Die zweyte Bedingung des Interdicts ist gewaltsame Störung, und der Begriff derselben ist auf dieselbe Weise zu bestimmen, wie bey dem Int. uti possidetis. Das Interdict geht gegen jeden Störer, ohne Unterschied ob es der durch die Servitut beschränkte Eigenthümer, oder irgend ein anderer ist, und das Interdict bezieht sich folglich durchaus nicht bloß auf das Verhältniß der Servitut zum Eigenthum (4).

Der Kläger fordert durch dieses Interdict zunächst, daß die Störung seines Besitzes aufgehoben (5), zweytens,

(1) L. 1. §. 9. de itin.

(2) L. 3. §. 6-10., L. 6. de itin.

(3) L. 2. §. 3. de interdictis: „Apiscendae possessionis sunt Interdicta … ex hoc genere est et: quo itinere venditor usus est, quominus emtor utatur, vim fiero veto.“

(4) L. 3. §. 5. de itin.

(5) L. 1. pr. de itin. „ ... vim fieri veto.“


(593) §. 46. Dingliche Servituten.

daß ihm vollständiger Schadensersatz geleistet werde (1). Die Wirkung des Interdicts ist also der des Int. uti possidetis ganz ähnlich.

Die Exceptionen endlich beziehen sich bloß auf die Art, wie die Servitut ausgeübt worden ist, denn für die Verjährung ist eine eigene Exception um deswillen nicht nöthig, weil schon in dem Factum, das der Kläger beweisen muß, eine solche Zeitbeschränkung enthalten ist. Die Regel, auf welcher jene Exceptionen beruhen, ist also diese: in die 30 Tage werden alle die Tage nicht eingerechnet, an welchen nur durch Gewalt, oder heimlich, oder precario die Servitut ausgeübt wurde (2). Dieses ist die einzige Bedeutung jener Exceptionen: wenn also 30 Tage hindurch ohne jene Fehler die Servitut ausgeübt wurde, so ist nicht etwa um deswillen eine Exception begründet, weil außer den 30 Tagen auch noch mit Gewalt, oder heimlich, oder precario die Servitut ausgeübt worden ist (3). Dagegen ist es ganz gleichgültig, ob gegen den jetzigen Beklagten selbst, oder gegen seine Repräsentanten, oder gegen einen vorigen Besitzer die Gewalt (et)c. gebraucht wurde, worauf sich die Ausübung der Servitut in den

(1) L. 3. §. 3. de itin.

(2) L. 1. pr. L. 3. pr. §. 1. de itin.

(3) L. 1. §. 12., L. 2., L. 6. de itin.


(594) Fünfter Abschnitt. Iuris quasi Poss.

30 Tagen gründete: also auch, wer ein Grundstück kauft oder erbt, erwirbt damit zugleich die Exceptionen, welche der vorige Besitzer, dessen juristischer Successor er ist, hätte gebrauchen können:

L. 3. §. 2. de itinere:

„Si quis ab actore meo (1) vi aut clam, aut precario usus est: recte a me via uti prohibetur, et interdictum ei inutile est: quia a me videtur vi; vel clam, vel precario possidere, qui ab actore (2) meo vitiose possidet. Nam et Pedius scribit, si vi aut clam, aut precario ab eo sit usus, in cujus locum (3) hereditate vel emptione, aliove quo jure successi, idem esse

(1) So lesen vier Pariser Mss. (N. 4455. 4486. 4487. und 4456.) und (vielleicht unter allen Ausgaben allein) Paris. 1536. 4. Glossa anon. interlin. (Ms. Paris. 4479.) „id est administratore“ (diese Glosse setzt die Leseart actore voraus, ist also aus einem Ms. genommen, worin sich diese fand). – Odofred. in h. L. (fol. 102.): „alii habent, ab actore: i. e. a castaldione.“ – Florent. „ab auctore vi.“ Rom. 1476. etc. etc. und selbst zwey frühere Ausgaben aus derselben Officin wie die vorher angeführte Pariser Ausgabe (Paris. 1510. und 1514. 4.) „ab auctore meo vi.“ Das meo haben auch sehr viele Mss. Ueber die häufige Verwechslung des actor und auctor, actio und auctio siehe Cuiac. obss. XXIV. 8.

(2) So ließt abermals: Paris. 1536. 4., und eben so die drey ersten unter den angeführten Pariser Mss. (das vierte hat hier auctore).

(3) So lesen die alten


(595) §. 46. Dingliche Servituten.

dicendum ... “ Die Florentinische Leseart ist höchst unwahrscheinlich, weil nach ihr Ulpian zweymal ganz dasselbe sagen, und sich doch gerade so ausdrücken würde, als ob er etwas anderes sagen wollte, ganz vorzüglich gilt das von den Worten „idem esse dicendum“ die nicht wohl anders, als bey einem zweyten Fall gebraucht werden können, der aber mit dem ersten gleich entschieden werden soll. Die hier angenommene Leseart hebt die Schwierigkeit völlig: nun ist zuerst die Rede von einer gewaltsamen Handlung, die gegen meinen actor (d. h. den Sclaven, der über mein Landgut die Aufsicht hat), zweytens von der, die gegen meinen auctor (Erblasser, Verkäufer [et]c. [et]c.) gebraucht worden ist: im ersten Fall soll ich die Exception haben,

Ausgaben, mit Einschluß der Haloand. und der Paris. 1536. 4. „Non in cujus locum“ hat im Text: Basil. 1541. f. (ap. Hervag.). – Bloß als Variante haben diese Leseart: Lugd. 1551. 1557. 4. (Portanae). Als Variante eines Cod. Medic. hat sie die Vintimillische Ausgabe (Paris. 1548. 8.), und nach ihr viele andere (Lugd. 1551. 12., Paris. 1552. 8., Russard., Charond., Paciana, Baudoz.): diese Mediceische Handschrift übrigens ist mit der berühmten Florentinischen nicht zu verwechseln, s. Brencmann hist. Pfand. p. 254. Ich habe das non in keiner Handschrift gefunden.


(596) Fünfter Abschnitt. Iuris quasi Poss.

die sich auf die gewaltsame Handlung gründet, und von dem zweyten Fall soll das nämliche gelten („idem esse dicendum“). – Nach der Hervag’schen Leseart wäre dieselbe Schwierigkeit auch aufgehoben, aber auf ganz andere Art: im ersten Satz wäre von einem juristischen successor die Rede („ab auctore“), im zweyten Fall von einem nicht juristischen („non in cujus locum ... jure successi“): aber der zweyte Satz wäre dann nicht nur sehr schlecht ausgedrückt, sondern auch gegen alle Analogie.

II) Ein zweytes Interdict bezieht sich zwar auf dieselben Servituten, wie das vorige, aber es hat die Ausbesserung des Weges zum Gegenstand, dessen Gebrauch durch das vorige Interdict gesichert werden sollte.

Quelle: Digest. Lib. 43. Tit. 19. (L. 3. §. 11. etc.).

Der Kläger also fordert in diesem Interdict, daß der Eigenthümer ihn nicht hindere, den Weg in brauchbaren Stand zu setzen.

Dieses Interdict ist indessen, aus leicht begreiflichen Ursachen, mehr als das vorige eingeschränkt: der Kläger nämlich muß wegen des Schadens, der aus seiner Arbeit


(597) §. 46. Dingliche Servituten.

entstehen kann, Caution stellen (1): er muß ferner (und in diesem Punct unterscheidet sich das Interdict von allen anderen possessorischen Klagen) sein jus reficiendi beweisen, und außer diesem auch noch den Besitz, so wie er bey dem vorigen Interdict als Bedingung vorausgesetzt wurde. Das jus reficiendi aber wird als Folge der Servitut selbst angenommen, so lange keine besondere Ausnahme nachgewiesen werden kann: demnach muß hier der Kläger außer dem Besitz der Servitut auch noch das Recht derselben beweisen (2).

Indessen ist hier das Recht der Servitut nicht bloß Bedingung, sondern zugleich Gegenstand dieses Interdicts, so daß der Kläger durch dasselbe nicht nur gegen alle Störung seiner Arbeit geschützt wird, sondern daß ihm, wie durch die confessoria actio, das Recht der Servitut selbst zugesprochen werden muß, wenn er seinen Beweis führt (3). Das Verhältniß des Interdicts

(1) L. 3. §. 11. L. 5. §. 4. de itin.

(2) L. 3. §. 13. 14. de itin.

(3) L. 2. §. 2. de interdictis: „Quaedam interdicta rei persecutionem continent, veluti de itinere actuque privato (sc. reficiendo): nam proprietatis causam continet hoc interdictum.“ Die Beschränkung dieser Stelle auf das Int. de itinere reficiendo wird durch die Vergleichung mit L. 3. §. 13. de itin. unzweifelhaft. Costa in pr. I. de interd. – Wie diese Stelle von Hasse, vom Standpunkt einer allgemeineren Ansicht aus, unrichtig erklärt wird, ist oben bemerkt worden in dem Zus. der 6. Ausg. am Schluß des §. 6.


(598) Fünfter Abschnitt. Iuris quasi Poss.

zu der confessoria actio ist folglich so zu bestimmen: Wer das Recht der Servitut beweisen kann, schützt durch die confessoria actio jede Ausübung seines Rechts: allein für diesen bestimmten Fall hat er sogar die Wahl zwischen einer Action und einem Interdict: nur muß er, wenn der letzte Weg gewählt werden soll, außer dem Recht der Servitut auch noch den Besitz derselben beweisen. – Da also dieses Interdict nichts anderes ist, als eine actio confessoria in der Form eines Interdicts, so kann nicht mehr die Rede davon seyn, seitdem die Prozeßform aufgehört hat, wodurch es sich allein von jener Klage unterschied.

III) Ius aquae quotidianae vel aestivae ducendae (1).

Quelle: Digest. Lib. 43. Tit. 20.

Bedingung des Interdicts ist zuerst der Besitz dieser Servitut. Die Servitut muß zugleich in der Ueberzeugung ausgeübt seyn, daß das Recht selbst

(1) Ursprünglich bezog sich wohl dieses Interdict bloß auf Ackerbau: in der Folge wurde es auf alle Wasserleitungen überhaupt erstreckt. L. 1. §. 11. 13. 14. L. 3. pr. de aqua. Ja es wurde nun so weit ausgedehnt, daß es auch für Wasserleitungen galt, die gar nicht als Präsidialservitut, sondern aus einem bloß persönlichen Recht und zu persönlichem Gebrauch gestattet wurden. L. 1. §. 12. 24. eod.


(599) §. 46. Dingliche Servituten.

vorhanden sey (bonae fidei possessio) (1). Sie muß endlich in dem letztverflossenen Jahre, oder, wenn die Wasserleitung nur im Sommer oder nur im Winter gebraucht wird, wenigstens in den letzten anderthalb Jahren ausgeübt worden seyn (2). – Außer dem Besitz wird hier wieder gewaltsame Störung des Besitzes vorausgesetzt, und es ist ganz gleichgültig, ob dieses durch die Handlung des Eigenthümers oder eines Dritten geschehen ist (3). Wenn Mehrere auf dieselbe Wasserleitung Anspruch machen, so gilt die Klage, wie das int. uti possidetis, als Int. duplex (4).

Gegenstand der Klage ist zunächst die ungestörte Ausübung des Besitzes (5): ferner Ersatz des zugefügten Schadens, der hier, wie bey allen Servituten, in dem Verlust des Rechts selbst durch non usus bestehen kann (6).

(1) L. 1. §. 10. 19. de aqua.

(2) L. 1. §. 31-36, L. 6. de aqua.

(3) L. 1. §. 25. de aqua.

(4) L. 1. §. 26. de aqua: „Si inter rivales, id est, qui per eundem rivum aquam ducunt, sit contentio de aquae usu, utroque suum usum esse contendente: duplex interdictum utrique competit.“ (Ueber die Definition von rivalis s. Glossa in c. 18. C. 32. q. 5.). Cf. L. 4. de aqua, Paulus V. 6. §. 9.

(5) L. 1. pr. de aqua: „ ... vim fieri veto.“ L. 1. §. 27. eod.

(6) L. 1. §. 23. de aqua.


(624) Fünfter Abschnitt. Iuris quasi Poss.

Die Exceptionen gründen sich darauf, daß die Servitut zwar ausgeübt worden sey, aber auf unrechtliche Art, nämlich vi, clam, precario (1).

IV) Auf die Ausbesserung der Wasserleitung bezieht sich auch wieder ein eigenes Interdict (de rivis).

Quelle: Digest. Lib. 43. Tit. 21.

Dieses Interdict hat ganz dieselben Bedingungen wie das vorige (2): auf das Recht der Servitut also kommt es hier gar nicht an, sondern allein auf den Besitz (3). Nur wegen des Schadens, der durch die Arbeit etwa zugefügt werden könnte, ist auch hier eine Cautionsleistung nöthig (4).

V) Auf ähnliche Art und unter denselben Bedingungen, wie die zwey vorigen Interdicte, sind zwey andere dazu bestimmt, das jus aquae hauriendae gegen Störung zu sichern.

Quelle: Digest. Lib. 43. Tit. 22.

Wer also dieses Recht in dem letzten Jahre nicht gewaltsam (et)c. ausgeübt hat, der kann das erste dieser Interdicte gebrauchen, um die künftige Ausübung selbst zu sichern: das zweyte, um den Brunnen (et)c., worauf die Servitut sich bezieht, wieder herstellen zu können.

(1) L. 1. pr. §. 10. 20. de aqua.

(2) L. 3. §. 7. de rivis.

(3) L. 1. §. 9. L. 4. de rivis.

(4) L. 3. §. 9. de rivis.


(601) §. 46. Dingliche Servituten.

Zweyte Classe der dinglichen Servituten: Positive Servituten, die mit dem Besitz eines Grundstücks in unmittelbarer Verbindung stehen.

Der Erwerb und die Erhaltung ihres Besitzes ist sehr leicht zu bestimmen, da sie immer in einer dauernden Anstalt bestehen, durch deren Daseyn das Recht wirklich ausgeübt wird. Wenn z. B. von dem jus tigni immittendi die Rede ist, so hängt die Iuris quasi Possessio davon ab, ob die immissio wirklich statt findet oder nicht (1).

Die Interdicte können erst bey der dritten Classe erklärt werden.

Dritte Classe: Negative Servituten.

Wer ein solches Recht hat, kann von dem Eigenthümer einer Sache fordern, daß derselbe irgend eine Handlung unterlasse, die er als Eigenthümer auszuüben berechtigt wäre. Wie wird nun der Besitz eines solchen Rechts erworben?

Diese Frage wird gewöhnlich zuerst, aber mit Unrecht, auf den Erwerb des Rechts selbst bezogen. Man behauptet nämlich, daß es dazu, so wie bey dem Eigenthum, der Tradition bedürfe, da doch im alten Recht

(1) L. 20. pr. de serv. pr. urb. „Servitutes, quae in superficie consistunt, possessione retinentur ... , “ nämlich vermittelst des Besitzes der Sache (des Körpers), durch welche das Recht ausgeübt wird.


(602) Fünfter Abschnitt. Iuris quasi Poss.

die in jure cessio, im Justinianischen Recht aber der bloße Vertrag allein, zu diesem Erwerb völlig hinreicht (1). Wichtig aber ist die Frage: A) Für das Recht auf die Interdicte. B) Für die Ersitzung. C) Für die publiciana actio, die auch hier nur durch Tradition entsteht, deren es aber nur da bedarf, wo die Servitut nicht von dem erweislichen Eigenthümer gegeben worden ist (2).

Ein Fall des Besitzerwerbs ist hier unbestritten, wenn nämlich das der Servitut entgegengesetzte Handeln wirklich versucht, aber verhindert wird, sey es durch bloßen Einspruch des Gegners, durch Gewalt oder durch richterliches Verbot (3). Außer diesem Fall aber ist der Erwerb sehr streitig. Einige fordern, daß nach der Analogie des ersten Falls jener Versuch zum Schein angestellt, und eben so zum Schein durch Verbot verhindert werden müsse (4). Eine solche Art symbolischer Handlung paßt aber durchaus nicht zur Natur des Besitzes, wir können keinen positiven Beweis für dieselbe führen, und man hat sich zur Annahme derselben überhaupt nur aus Noth, in Ermangelung einer bessern

(1) Ulpian. XIX. 11. – §. 4. I. de serv. praed.

(2) L. 11. §. 1. de public. in rem act.

(3) L. 15. de op. novi nunt. L. 45. de damno inf.

(4) Heisler, Untersuchung des Satzes, daß die verneinenden Dienstbarkeiten durch bloße Verträge ohne Uebergabe erlangt werden (Abhandlungen, Halle 1783. 4. St. 3.) §. 14-16. Thibaut über Besitz §. 16.


(603) §. 46. Dingliche Servituten.

Auskunft, entschlossen. Andere behaupten im Gegentheil, daß das bloße Nichtthun des Gegners schon den Besitz der negativen Servitut verschaffe, so daß z. B. jeder Hauseigenthümer gegen alle seine Nachbarn den Besitz eines jus altius non tollendi für die gegenwärtige Höhe der Häuser haben würde (1). Auch diese Meinung ist nur aus Noth entstanden, indem es etwas sehr unnatürliches hat, daß nun jeder Grundeigenthümer gegen all seine Nachbarn in jedem Augenblick unzählige Servituten wirklich besitzen müßte. – Ich glaube, die Entscheidung liegt in demselben Grundsatz, der oben (S. 584.) schon für die affirmativen Servituten angewendet worden ist. Der Besitz derselben ist nicht durch jede Ausübung überhaupt begründet, sondern nur dadurch, daß man sie als Recht ausübt (tanquam id suo jure faceret). Es wird also dabey der bloß factische und

(1) Auch ich habe diese Meinung in den zwey ersten Ausgaben vertheidigt. Dazu bestimmte mich vorzüglich L. 6. §. 1. si serv. vindic. „Si forte non habeam aedificatum altius in meo, adversarius meus possessor est.“ Allein possessor est drückt hier nicht den Besitz aus, sondern das Beklagtenverhältniß: „der Gegner ist derjenige, der (wenn er will) Beklagter im Prozeß werden kann.“ Für diese Erklärung sprechen die gleich folgenden Worte. Denn wäre der Besitz gemeint, so würde nichts natürlicher gewesen seyn, als dem Gegner die possessorischen Interdicte zuzuschreiben. Das geschieht aber nicht, und es wird ihm lediglich das int. quod vi aut clam beygelegt, welches ohne allen Besitz bestehen kann.


(604) Fünfter Abschnitt. Iuris quasi Poss.

zufällige Gebrauch von demjenigen unterschieden, der juristische Gründe und eine Art von Nothwendigkeit hat, und der Grund dieses Unterschieds liegt hier, wie bey den oben erwähnten Servituten, lediglich darin, daß es außerdem an jeder Basis für den animus possidendi fehlen würde. Wenden wir denselben Unterschied auf die negativen Servituten an, so ist damit die zweite der angeführten Meinungen widerlegt. Denn wenn mein Nachbar nur bis auf eine gewisse Höhe gebaut hat, so genieße ich den Vortheil davon auf eine bloß factische und zufällige Weise, habe also keinen Besitz. Dagegen ist aus diesem Grundsatze klar, warum der verhinderte ernstliche Versuch den Besitz geben muß, weil nämlich unmittelbar nachher das Unterlassen nicht mehr zufällig, sondern durch den Einspruch bewirkt war. Aber dieselbe Wirkung muß nun auch der bloße Rechtstitel haben. Denn wenn mir mein Nachbar das jus altius non tollendi durch Vertrag oder durch Testament wirklich überläßt, so ist auch hier unmittelbar nachher das Unterlassen des Höherbauens nicht zufällig, sondern nothwendig, nämlich auf den Vertrag oder das Testament gegründet; folglich ist mir durch dieselbe Handlung, welche das Recht selbst geben konnte, zugleich der Besitz verschafft, ohne daß es dazu des oben bemerkten Scheinverbots bedarf. Der Unterschied zwischen dem Erwerb des Rechts selbst und des Besitzes liegt hier nur darin, daß jenes


(605) §. 46. Dingliche Servituten.

lediglich von dem wahren Eigenthümer des benachbarten Grundstücks, dieser gewiß auch von dem bloßen Besitzer desselben verschafft werden kann.

Hieraus ergiebt sich, daß der Besitz der negativen Servituten überhaupt auf zweyerley Weise erworben wird, durch Einspruch, und durch einen Rechtstitel, d. h. 1) dadurch, daß die entgegengesetzte Handlung versucht und verhindert wird; 2) durch jede juristische Handlung, welche ihrer Form nach das Recht der Servitut übertragen kann: mag sie es nun in dem gegebenen Fall wirklich übertragen oder nicht.

Verloren wird der Besitz der negativen Servituten dadurch, daß der Gegner die entgegengesetzte Handlung wirklich vollführt: wenn also das Haus eines Nachbars, gegen welches Ich ein jus altius non tollendi behaupte, wirklich höher gebaut worden ist, so ist dadurch mein Besitz der Servitut nothwendig ausgeschlossen.

Endlich sind noch die Interdicte zu bestimmen, wodurch die Ausübung der zweyten und dritten Classe der dinglichen Servituten geschützt werden kann. Jede dieser Servituten ist eigentlich nur eine Qualität des Besitzes der Hauptsache: wer z. B. das jus tigni immittendi oder altius non tollendi besitzt, hat eigentlich nur den Besitz eines Hauses, so oder anders modificirt. Deswegen war es ganz unnöthig, für den Besitz dieser Servituten eigene Interdicte einzuführen, da durch jede


(606) Fünfter Abschnitt. Iuris quasi Poss.

Störung derselben zugleich der Besitz der Hauptsache mit gestört wird. Die Klage also, welche für den Besitz aller dieser Servituten allein gilt, ist zwar niemals das Int. de vi, indem die stärkste Verletzung dieser Art den Besitz des Grundstücks nicht aufhebt, wohl aber das Int. uti possidetis (1). Dieser Satz zeigt sich recht deutlich in Einer Ausnahme. Bey dem jus cloacae nämlich fand man es für nöthig, die possessorische Klage etwas anders zu bestimmen, als das Int. uti possidetis wirklich bestimmt war: deswegen wurde für diesen Fall nicht nur ein eigenes Interdict gegeben (2), sondern auch das Int. uti possidetis noch besonders

(1) L. 8. §. 5. si serv. vind.: „ ... agi poterit, jus esse fumum immittere, quod et ipsum videtur Aristo probare. Sed et interdictum uti possidetis poterit locum habere, si quis prohibeatur, qualiter velit, suo uti.“ – Hier ist bloß von einer affirmativen Servitut (und zwar der zweyten Classe) die Rede, aber es ist kein Zweifel, daß dasselbe auch bey negativen Servituten gelten müsse. Indessen tritt ein besonderer Grund ein, warum bey diesen seltener von possessorischen Klagen Gebrauch gemacht werden wird: bey ihnen kommt es gewöhnlich nicht bloß darauf an, eine Störung abzuwenden und Ersatz zu bekommen, sondern das, was wirklich gebaut ist, niederreißen zu lassen (et)c. (et)c. Zu diesem Zweck aber giebt es ein ganz eigenes Interdict (quod vi aut clam), welches nicht unter die possessorischen Klagen gehört, und sogar noch vortheilhafter ist, indem es andere und leichtere Bedingungen hat, als diese.

(2) Digest. Lib. 43. Tit. 23. de cloacis (sc. purgandis, reficiendis). – Das Unterscheidende


(607) §. 46. Dingliche Servituten.

ausgeschlossen (1). – Diese Ansicht wird durch den Gegensatz der ersten Classe dinglicher Servituten (welche in unabhängigen Handlungen bestehen) noch deutlicher werden. Auch diese Servituten sind Qualitäten der Grundstücke, d. h. das Recht derselben ist eine Qualität des Eigenthums der Grundstücke (2): nicht so ihr Besitz. Denn da dieser auf Handlungen beruht, die von dem Besitz der Hauptsache ganz unabhängig sind, so kann man nicht sagen, daß die Servituten selbst zugleich mit der Hauptsache besessen werden, und daß die Störung derselben zugleich den Besitz des Grundstücks verletze. Darum sind für die wichtigsten Rechte dieser Classe eigene Interdicte angeordnet, ohne daß man es für

dieses Interdicts liegt in der Ausschließung der gewöhnlichen Exceptionen (L. 1. §. 7. de cloacis), und der Grund dieser Ausschließung ist leicht einzusehen. Die ganze Stadt ist dabey interessirt („ad publicam utilitatem spectare videtur“), daß die Reinigung (et)c. nicht aufgehalten werde: die Untersuchung des Rechts selbst, oder auch nur der justa possessio, hat schon eher Zeit.

(1) L. 1. pr. uti possidetis: „ ... De cloacis hoc interdictum non dabo ...

(2) L. 86. de V. S.: „Quid aliud sunt jura praediorum, quam praedia qualiter se habentia, ut bonitas, salubritas, amplitudo?“ d. h. die Servituten sind eben so bloße Qualitäten der Grundstücke, wie der gute Boden, die gesunde Lage (et)c. die gar nichts juristisches enthalten. – Der Satz wird übrigens allgemein behauptet, also auch von den Servituten der ersten Classe: von diesen allein steht etwas ähnliches in L. 12. quemadm. serv. amitt.


(608) Fünfter Abschnitt. Iuris quasi Poss.

nöthig fand, sie von dem Int. uti possidetis ausdrücklich auszunehmen: und darum mußte oben (S. 587.) behauptet werden, daß sie außer diesen bestimmten Fällen überhaupt gar nicht durch Interdicte geschützt werden können.

§. 47.

Der letzte Fall der Iuris quasi Possessio betrifft die Superficies, (§. 23.), als das einzige jus in re überhaupt, auf welches (außer den Servituten) die Quasi possessio angewendet wird (1).

Eigene Quelle für die Superficies:

Digest. Lib. 43. Tit. 18.

Jedes Gebäude wird bloß als Theil des Bodens betrachtet, auf welchem es ruht, und das Eigenthum

(1) Man könnte die Quasi possessio auch noch beziehen wollen auf folgende Fälle, in welchen sie jedoch durch eine wahre corporis possessio ausgeschlossen und überflüssig gemacht ist: A) Provinzialgrundstücke (§. 9.), für welche sich eine sehr unbestimmte Erwähnung der Interdicte bey Simplicius findet (Goesius p. 76.). Vgl. über die dunkle Stelle Trekell kleine deutsche Aufsätze, Leipzig 1817. S. 39. B) Pfandrecht (§. 24.). C) Emphyteuse (§. 12 a. §. 22 a. §. 24.). Für diesen Fall scheint zwar ein besonderes possessorisches Interdict eingeführt, das Int. de loco publico fruendo (Digest. XLIII. 9., L. 1. §. 7. ut in flum. pub., L. 13. §. 7. de injur.). Allein dieses Interdict bezog sich gar nicht auf den Besitz, die conductio allein reichte dazu hin, selbst ohne allen Besitz: kam etwa noch Besitz hinzu, so concurrirte nun das Interdict mit den possessorischen.


(609) §. 47. Superficies.

sowohl als der Besitz desselben ist mit dem Eigenthum und Besitz des Bodens unzertrennlich verbunden. Die einzige Trennung, die hier möglich ist, besteht in einer eigenen Art von jus in re, welches von dem Eigenthümer einem Andern übertragen werden kann. Wer dieses jus in re hat, ist eben so wenig Besitzer als Eigenthümer des Hauses, allein er hat eine Iuris quasi Possessio, und durch diese auch possessorische Klagen. Diese Iuris quasi Possessio hat die größte Aehnlichkeit mit dem Besitz der persönlichen Servituten, weil sie, wie dieser, von dem natürlichen Besitz der Sache selbst abhängt. In dem Erwerb und Verlust des Besitzes ist gar kein Unterschied, und auch in den Interdicten ist er wenigstens nicht practisch.

I) Gewaltsame Störung des Besitzes begründet nicht, wie der ususfructus etc., das Int. uti possidetis, sondern ein ganz eigenes Interdict (1), das aber alle Rechte des Int. uti possidetis hat (2). Dieser Unterschied betrifft also nur den Namen, und er ist wohl so zu erklären: die Superficies war ein bloß prätorisches Institut, und sie mußte also durch eine eigene Stelle des Edicts allererst juristische Existenz erlangen. Daß diese Stelle vielmehr bey den Interdicten als bey den

(1) L. 1. pr. de superfic. L. 3. §. 7. uti possid.

(2) L. 1. §. 2. de superfic.


(610) Fünfter Abschnitt. Iuris quasi Poss.

Realklagen eingerückt wurde, war wohl bloßer Zufall. Ganz anders verhielt es sich mit dem ususfructus: alle Servituten waren schon auf das Civilrecht gegründet, und es bedurfte also dabey bloß einer ganz einfachen Anwendung der gewöhnlichen possessorischen Interdicte.

II) Ist der natürliche Besitz durch dejectio wirklich aufgehoben, so gilt das Int. de vi, hier wie bey dem eigentlichen Besitz (1).

III) Hat endlich der Superficiarius die Ausübung seines Rechts einem Andern precario überlassen, der ihm jetzt die Restitution verweigert, so muß das Int. de precario angewendet werden, indem dieses Interdict für alle Iura überhaupt gilt, bey welchen sich nur eine Restitution denken läßt (S. 587.), die Superficies aber ganz auf eben die Weise, wie die Servituten (S. 152.), unter die Iura (in re) gerechnet werden muß.

(1) L. 1. §. 5. de vi: „Proinde et si superficiaria insula fuerit, qua quis dejectus est, apparet interdicto fore locum.“


(611)

Sechster Abschnitt.

Modificationen des Römischen Rechts.

§. 48.

Die Theorie des Besitzes ist in den fünf ersten Abschnitten dieses Werks mit völliger Abstraction von allem demjenigen dargestellt worden, was dem Römischen Rechte in neuerer Zeit etwa beygemischt seyn könnte: und diese Methode der Untersuchung ist schlechthin nothwendig, wenn nicht über der Vermischung des Alten und Neuen, Beides zugleich mißverstanden werden soll.

Allein jene Untersuchung ist jetzt geschlossen, und nun ist es erlaubt, nach den Modificationen zu fragen, welche das Römische Recht in neueren Zeiten erfahren hat. Zugleich tritt hier ein besonderer Grund ein, warum diese Frage nicht übergangen werden darf. Unter allen bedeutenden Irrthümern, die man über die Römische Ansicht des Besitzes zu hegen pflegt, ist


(612) Sechster Abschnitt. Modific. des Röm. R.

vielleicht keiner, der nicht zugleich durch das Canonische oder Deutsche Recht veranlaßt wäre. Deswegen ist für die Anwendung wenig gewonnen, wenn jene Meinungen bloß aus dem Römischen Rechte völlig widerlegt sind: Man kann diese Widerlegung zugeben, und dennoch bloß eine falsche Deduction einer richtigen Ansicht entdeckt zu haben glauben. Soll also eine civilistische Theorie des Besitzes auf Anwendung Anspruch zu machen berechtigt seyn, so muß das Verhältniß, in welchem sie zu den Bestimmungen des neuern Rechts steht, untersucht und dargestellt werden: dieses Verhältniß wenigstens anzudeuten, ist die Bestimmung der folgenden §§.; es vollständig auszuführen liegt nicht in den Gränzen dieses Werks, indem dazu ein ganz verschiedener historischer Standpunct genommen werden muß.

Drey Puncte sind es, auf welche diese Untersuchung gerichtet seyn muß: der erste hat den Begriff des Besitzes selbst (§. 49.), die zwey letzten haben possessorische Klagen zum Gegenstand: die Spolienklage nämlich (§. 50.) und das possessorium summarium oder summariissimum (§. 51.).

§. 49.

Die erste Untersuchung also, die hier anzustellen ist, betrifft den Begriff des Besitzes. Der Besitz bezog sich nach Römischem Recht bloß auf Eigenthum und jura


(613) §. 49. Begriff des Besitzes.

in re (S. 212.): in der Folge (und besonders durch das Canonische Recht) soll er auf jedes mögliche Recht überhaupt ausgedehnt worden seyn.

Nun beruhte das ganze Recht des Besitzes darauf, daß die bloße Ausübung eines Rechts, ohne alle Rücksicht auf die Existenz des Rechts selbst, gegen bestimmte Formen der Verletzung geschützt werden sollte: dieser Schutz also konnte sich nur auf solche Rechte erstrecken, bey welchen diese Formen der Verletzung gedacht werden konnten, und solche Rechte gab es, außer Eigenthum und jus in re, nicht. Allein durch die Verfassung der christlichen Kirche und der europäischen Staaten sind Rechte erzeugt und mit dem Besitz und Genuß des Bodens verbunden worden, welche die Römer theils nicht kannten, theils als eigene Rechte der Einzelnen zu betrachten sehr entfernt waren. So hängt die Ausübung der bischöfflichen Gewalt von dem Besitz der bischöfflichen Kirche und ihrer Güter ab, und ein ähnliches Verhältniß der Staatsgewalt oder einzelner Zweige derselben zeigt sich bey der Landeshoheit der Fürsten, wie bey der Jurisdiction der Güterbesitzer. Eben so verhält es sich endlich mit den aus dem Deutschen Rechte herrührenden Reallasten, wie Grundzinsen, Zehnten und Frohnden. Bey allen diesen Rechten ist ein ähnlicher Schutz der bloßen Ausübung denkbar, wie bey dem Eigenthum, und der Besitz solcher Rechte, der auf diese Weise angenommen


(614) Sechster Abschnitt. Modific. des Röm. R.

würde, ließe sich in den meisten und wichtigsten Fällen auf den Besitz des Bodens, d. h. auf die Ausübung des Grundeigenthums, reduciren. In vielen Fällen ist die Richtigkeit dieser Beziehung sehr auffallend: wenn z. B. ein Bischoff von seinem Gegner mit Gewalt aus seinem Bisthum vertrieben wird, so ist die Störung des Besitzes am Boden mit der Störung der bischöfflichen Rechte unzertrennlich verbunden, und dieselbe Verbindung ist auch in jedem Schutz gegen diese Störung nothwendig. Aber selbst in den Fällen, in welchen nur eine einzelne Ausübung jener Rechte, z. B. der Jurisdiction, gewaltsam gehindert wird, ist zwar nicht jene Beziehung auf den Besitz des Bodens, wohl aber auf ein Analogon desselben denkbar, ganz wie bey der Römischen Iuris quasi Possessio. Denn bey diesen Rechten ist eben so wohl gewaltsame Störung denkbar, als bey Servituten, also auch derselbe Schutz der bloßen Ausübung consequent, der bey diesen schon durch das Römische Recht bestimmt ist.

Die hier beschriebene Beziehung des Besitzes ist aber nicht bloß denkbar, sondern sie ist längst wirklich gemacht worden. In dem Canonischen Rechte ist sehr häufig von dem Besitz der Diöcesanrechte und anderer kirchlichen Rechte, so wie von den damit verbundenen Zehnten die Rede: und eben so hat nie Jemand gezweifelt, daß die Jurisdiction und andere publicistische Rechte auf ähnliche


(615) §. 49. Begriff des Besitzes.

Art gegen gewaltsame Eingriffe der Ausübung geschützt werden müssen, als das Eigenthum, obgleich bey allen diesen Rechten nie ein Römer an ein Recht des Besitzes denken konnte. Diese Ansicht wird durch eine sehr merkwürdige Einschränkung bestätigt, welche das Canonische Recht dieser neuen Art des Besitzes hinzufügt. Wenn nämlich geistliche Personen in einer fremden Parochie einen Zehnten besitzen, und von dem parochus derselben aus dem Besitze verdrängt werden, so sollen sie dennoch keinen Schutz des Besitzes zu erwarten haben, sondern ihr Recht selbst beweisen müssen, weil das jus commune, d. h. die Regel der Kirchenverfassung, gegen sie spricht (1).

Wie verhält sich also diese Art des Besitzes zu dem Römischen Recht? auf unmittelbarer Anwendung desselben beruht sie nicht, denn die Gegenstände dieser Anwendung sind dem Römischen Recht fremd: wohl aber beruht sie auf einer sehr natürlichen und consequenten Anwendung seiner Grundsätze. Die Ansicht des Besitzes also ist dadurch auf keine Weise verändert: sie ist nur auf Gegenstände bezogen worden, worauf schon die Römer

(1) C. 2. de restitut. spoliat. in VI. „ ... cum ... sit ... manifestum (nisi aliud ostendatur) eas de jure communi ad eamdem ecclesiam pertinere.“


(616) Sechster Abschnitt. Modific. des Röm. R.

sie vielleicht angewendet haben würden, wenn sie diese Gegenstände gekannt hätten (1).

Außer diesen Rechten aber, bey welchen eine Ausdehnung des Römischen Rechts, und zwar ganz im Geiste desselben, nicht geläugnet werden kann, werden vorzüglich zwey andere Classen von Rechten genannt, auf welche der Besitz sich beziehen soll, Rechte des persönlichen Zustandes, und Obligationen. Durch die Prüfung dieser Meinung wird der allgemeine Begriff des Besitzes, durch welchen der sehr bestimmte Römische Begriff verdrängt seyn soll, hinlänglich widerlegt seyn.

Zuerst also wird ein Recht des Besitzes behauptet bey Familienrechten, und diese Behauptung scheint gerade bey dem wichtigsten Fall dieser Art, bey der Ehe, ausdrückliche Stellen des Canonischen Rechts für sich zu haben (2). Die Vergleichung mit einem Fall des eigentlichen Besitzes wird die Sache völlig ins Licht setzen. – Wenn über das Eigenthum eines Grundstücks gestritten würde, so ließe sich dieser Streit ohne Zweifel selbst dann entscheiden, wenn das positive Recht

(1) Es ist sehr merkwürdig, daß schon die Glossatoren ganz dieselbe Ansicht gehabt zu haben scheinen. Roffredi tract. jud. ord. p. 81-83., p. 89. 90.

(2) C. 8. 10. 13. X. de restit. spoliat.


(617) §. 49. Begriff des Besitzes.

über das Recht des bloßen Besitzes gar nichts bestimmt hätte: aber selbst dann wäre es möglich, ja es könnte nöthig seyn, daß der Richter den Besitzstand vorläufig besonders regulirte, nur wäre diese provisorische Verfügung von einem Schutz des Besitzes, als eines eigenen Rechts für sich, sehr verschieden. Setzen wir, um diesen Schutz im Gegensatz jener Verfügung deutlich zu denken, daß keine der beiden Parteyen das Eigenthum wirklich habe, daß aber Eine von den andern einmal mit Gewalt aus dem Besitz gesetzt worden sey: hier könnte jene provisorische Verfügung nichts ändern, da in diesem Augenblick der Besitz ruhig und entschieden ist, allein durch die obligatio, die das einzige Recht des Besitzes ausmacht, wird die Restitution des Besitzes gefordert, der in einer vorigen Zeit gewaltsam aufgehoben worden war. – Kehren Wir nun zu den Familienrechten zurück, deren Besitz vom Richter geschützt werden soll. Dieser Schutz ist offenbar nichts anderes, als eine provisorische Verfügung über den Besitzstand, welche in unmittelbarer Verbindung mit der endlichen Entscheidung des Rechts selbst steht. Die Form der Ehe z. B. wird nicht abgeleugnet, sondern es werden andere Gründe gegen ihre Gültigkeit angeführt: diese Gründe sind nun zu untersuchen, aber vorläufig, sagt das Canonische Recht, soll das eheliche Verhältniß fortgesetzt werden, wenn nicht aus besondern Gründen selbst diese Fortsetzung


(618) Sechster Abschnitt. Modific. des Röm. R.

sündlich wäre (1). In diesem allen ist also durchaus nicht ein Recht des bloßen Besitzes enthalten, d. h. ein jus obligationis, wodurch die Ausübung eines andern Rechts gesichert würde, ohne alle Rücksicht auf das Daseyn dieses andern Rechts selbst.

Alles, was hier gegen den Besitz der Familienrechte bemerkt worden ist, gilt in noch weit höherem Grade gegen den Besitz der Obligationen. In den meisten Fällen dieser Art läßt sich an einen Besitz gar nicht denken, und es ist sehr zufällig, daß auch nur in Einem Fall die Rede davon seyn konnte. Wer nämlich für ein Capital Zinsen empfangen hat, soll durch diesen Empfang den Besitz des Rechts auf das Capital und die künftigen Zinsen erworben haben. Daß nun in diesem Fall ein wahres Recht des Besitzes eben so wenig, als bey Familienrechten angenommen werden könne, bedarf nicht noch eines besondern Beweises. Aber selbst die provisorische Verfügung über den Besitzstand, welche bey Familienrechten behauptet werden mußte, ist hier weder nöthig, noch positiv vorgeschrieben, wiewohl man wegen einiger selbst aus dem Römischen Recht hergenommenen Stellen, die eher alles andere enthalten, häufig das Gegentheil angenommen hat.

Bis jetzt ist bewiesen worden, daß die Ansicht, aus

(1) C. 10. 13. X. de restit. spoliat.


(619) §. 50. Spolienklage.

welcher im Römischen Recht der Besitz selbst betrachtet wird, nicht sowohl verändert, als auf eine ganz consequente Weise fortgebildet und in der Anwendung auf neue Gegenstände ausgedehnt worden ist. Es ist nun noch zu untersuchen übrig, wie die Klagrechte aus dem Besitz, d. h. die Formen, unter welchen der Besitz gegen Verletzung geschützt wird, modificirt worden sind.

§. 50.

Schriftsteller über Spolienklage:

C. Ziegler ad can. redintegranda (zuletzt, mit Anmerkungen, in: Woltaer observ. ad jus civ. et Brand., fasc. 2., Hal. 1779. 8. obs. 35.).

I. H. Boehmer in I. Eccl. Prot. Lib. 2. Tit. 13.

Ej. notae in c. 3. C. 3. q. 1. etc. etc. (ed. Corp. jur. can. Hal. 1744.)

Fleck de interdictis unde vi et remedio spolii, p. 83-136.

Unter den erdichteten Decretalen, wodurch die Pseudisidorische Sammlung das Ansehen der Erzbischöffe und der Provincialsynoden untergrub (1), findet sich auch eine ganze Reihe folgenden Inhalts (2): „Ein

(1) (Spittler) Geschichte des kanonischen Rechts, Halle 1778. 8. S. 261. 272.

(2) c. 3. 4. 5. 6. C. 2. q. 2. c. 1. 2. 3. 4. C. 3. q. 1.


(620) Sechster Abschnitt. Modific. des Röm. R.

Bischoff, der aus seinem Sitze vertrieben, oder seines eigenen Vermögens beraubt ist, soll wegen keines Verbrechens vor die Synode gezogen werden können, so lange er nicht in den Besitz der verlornen Güter wieder eingesetzt ist.“ Gewiß hat Niemand weniger, als der Betrüger selbst, der diese Briefe Römischer Bischöffe verfertigte, daran gedacht, daß aus einer unter jenen Stellen einst ein ganz neues System des possessorischen Klagrechts, ja des Besitzes selbst, hergeleitet werden würde. Die Stelle, welcher diese zufällige Ehre widerfahren ist, lautet so (1):

(1) c. 3. C. 3. q. 1. (Diese Stelle findet sich in folgenden verschiedenen Stücken der Pseudisidorischen Sammlung: 1) in einer Decretale von Johannes, 2) in einer Decretale von Eusebius, 3) in der fünften Synode von Symmachus (vom I. 504). Daß insbesondere auch diese Synode eben so unächt ist, als jene beide Decretalen, zeigt ausführlich Ballerin. P. III. Cap. VI. §. II. Num. VII. p. 532. ed. Mogunt. 1790. 4. vgl. ibid. p. 551-553. Es ist also völlig grundlos, wenn neuerlich behauptet worden ist, die Stelle sey doch dem Inhalt nach ächt, indem sie ja in dieser Synode vorkomme: denn diese ganze Synode ist um nichts weniger untergeschoben, als jene Decretalen. Uebrigens stimmt die Stelle wörtlich zum Theil überein mit derjenigen, welche in den Akten eines im I. 838 in Aachen geführten Prozesses vorkommt, und welche selbst aus der Interpretation des Breviarii entstanden zu seyn scheint. Vgl. Gesch. des R. R. im Mittelalter B. 2. §. 41. – (Zusatz der 5ten Ausgabe, aus einer Mittheilung von Biener.) – Damit ist jedoch nicht gesagt, daß jene Sätze, auch ihrem Inhalt nach, reine Erfindung gewesen wären; vielmehr lag bey ihnen wirklich älteres


(621) §. 50. Spolienklage.

„Redintegranda sunt omnia exspoliatis, vel ejectis episcopis praesentialiter ordinatione pontificum, et in eo loco, unde abscesserant, funditus revocanda quacunque conditione temporis aut captivitate, aut dolo, aut violentia malorum (1), aut per quascunque injustas causas, res ecclesiae, vel proprias, id est substantias (2), suas perdidisse noscuntur (3) ante accusationem, aut regularem ad synodum vocationem eorum, “ et rel.

canonisches Recht zum Grunde, aber diese Abfassung und die darauf beruhende specielle Ausbildung der älteren Regeln war erdichtet. Car. Blascus de collect. Isidori cap. 8. §. 5., bey Galland T. 2. p. 59. (Zus. der 6. Ausg., Mittheilung von Biener.)

(1) Diese Leseart einer alten Berliner Handschrift findet Böhmer mit Recht viel wahrscheinlicher, als die gewöhnlichen: violentia majorum, violentia majore, virtute majorum. Die richtige Leseart findet sich auch in einer sehr schönen Handschrift des Decrets in der Universitätsbibliothek zu Marburg. – Indessen steht freylich virtute majorum in den angeführten Quellen Gratians: virtus, im Sinn des Mittelalters, für Gewalt. (Zus. der 6. Ausg.)

(2) So lesen die vier Handschriften, die Böhmer gebraucht hat. Ms. Marburg. „i. suas substantias.“ – Al. aut substantias.

(3) Diese Worte bis zum Schluß, fehlen in den Mss. und alten Ausgaben des Gratian, und die Correctores bemerken dabey: Haec addita sunt ex originali etc. d. h. aus Gratians Quellen. Daß er selbst nicht durch die Weglassung derselben den Sinn ändern wollte,


(622) Sechster Abschnitt. Modific. des Röm. R .

Wenn es wahr ist, was Uns die Praktiker versichern, so ist durch diese Stelle Alles, was das Römische Recht über den Besitz bestimmt hat, völlig überflüssig geworden. Sie soll nämlich nicht weniger als folgende Sätze enthalten:

1) Das Klagrecht gilt ohne alle Rücksicht auf juristischen Besitz des Klägers.

2) Es gilt auch bey beweglichen Sachen. – Davon ist schon oben (§. 40.) bey dem Römischen Recht geredet worden.

3) Es gilt auch bey unkörperlichen Sachen, d. h. als Schutz der Ausübung aller Rechte überhaupt. – Davon s. §. 49.

4) Es ist nicht bedingt durch gewaltsame Verletzung des Besitzes, sondern es gilt auf dieselbe Weise bey jedem Verlust des Besitzes ohne rechtlichen Grund.

5) Es gilt auch gegen jeden dritten Besitzer.

6) Es ist nicht auf ein Jahr beschränkt. – Davon s. §. 40.

Unter diesen Sätzen ist vorzüglich der erste, vierte und fünfte zu bemerken: wären diese Sätze in der

zeigt seine additio am Ende der ganzen quaestio, worin er den Inhalt kurz so wiederholt: „Patet ergo quod exspoliati prius sunt praesentialiter restituendi, antequam ad causam sint vocandi.“ (Zus. der 6. Ausg.)


(623) §. 50. Spolienklage.

That in jener Stelle enthalten, so würde es wenig bedeuten, daß eigentlich bloß von Bischöffen die Rede ist: die Bischöffe könnten beyspielsweise genannt seyn, oder Wir könnten durch bloße Analogie das für Uns verwenden, was der Verfasser jener Stelle und nach ihm Gratian, bloß den Bischöffen zugedacht hatte.

Von jeher aber haben sich alle gründliche Juristen durch jene Behauptungen gar nicht oder doch nur wenig täuschen lassen: sie haben einstimmig behauptet, es sey kein neues Klagrecht in jener Stelle eingeführt, sondern der Verfasser habe das Römische Recht, also das Interdictum de vi gemeint, wiewohl auch unter den gründlichen Juristen Manche nicht abgeneigt sind, kleine Modificationen des Interdicts durch die Stelle des Decrets anzunehmen.

Allein es lassen sich wohl alle jene Behauptungen auf eine weit sicherere Art widerlegen. Die ganze Stelle sagt überhaupt kein Wort davon, daß ein beraubter Bischoff restituirt werden, sondern daß er nicht angeklagt werden soll, so lange er nicht restituirt ist. Sie sagt nicht: „Redintegranda sunt omnia episcopis, “ sondern: „Redintegranda sunt omnia episcopis ... ante accusationem, aut regularem ad synodum vocationem eorum.“ Wäre die Stelle so ausgedrückt, wie die folgende (und es ist offenbar bloß zufällig, daß es nicht geschehen ist):


(624) Sechster Abschnitt. Modific. des Röm. R.

„Nullus episcopus exspoliatus debet accusari priusquam integerrime restauretur“ (1), so hätte wohl Niemand darauf verfallen können, ein eigenes Klagrecht in derselben zu suchen. Also von Klagrecht ist in der ganzen Sache überhaupt nicht die Rede, sondern von einer Exception gegen die Anklage vor der Synode, und hieraus folgt für uns zweyerley. Erstens, daß die Ausdehnung dieser für die Bischöffe gegebenen Verordnung auf alle übrige Menschen, die oben vorläufig zugegeben wurde, unmöglich ist: denn ein Klagrecht wegen des verlornen Besitzes läßt sich bey andern Menschen ungefähr auf dieselbe Weise denken, aber jene Exception hat keinen Sinn, außer in dem bestimmten Verhältniß des Bischoffs zur Synode. – Zweytens, daß in jener Stelle ein Klagrecht gewiß nicht neu eingeführt, sondern höchstens als existirend vorausgesetzt ist. Auf diese Voraussetzung also muß alles das bezogen werden, was aus dieser Stelle für die possessorischen Klagen bewiesen werden soll.

Nun waren es vorzüglich drey neue Bestimmungen, die das Klagrecht hier erhalten haben sollte: Klagrecht ohne juristischen Besitz, ohne gewaltsame Verletzung und gegen jeden dritten Besitzer. Die erste dieser Bestimmungen hat am wenigsten Veranlassung

(1) c. 3. C. 2. q. 2.


(625) §. 50. Spolienklage.

in der Stelle selbst, für die zwey letzten scheint wirklich einiger Grund darin enthalten zu seyn. Für die zweyte: denn in den Worten: „aut captivitate, aut dolo, aut violentia malorum, aut per quascunque injustas causas“ ist ausdrücklich dafür gesorgt, daß die Vorschrift nicht auf den Fall gewaltsamer Entsetzung beschränkt werde. Für die dritte: denn die unbestimmten Worte: „redintegranda sunt“ unterscheiden durchaus nicht unter den verschiedenen Personen, die jetzt den Besitz haben können. Also: es ist wahrscheinlich, daß der Verfasser jener Stelle und eben so Gratian vorausgesetzt hat, selbst außer diesen zwey Bedingungen sey ein Klagrecht möglich. Aber auch ein Klagrecht aus dem bloßen Besitz? davon enthält die ganze Stelle keine Spur. Der Bischoff, der durch eine „injusta causa“ nicht im Besitze des Bisthums ist, soll ja wirklich Bischoff seyn: das Vermögen, das er durch eine „injusta causa“ verloren hat, soll wirklich sein Vermögen seyn: nun, in diesen Fällen hat sein (petitorisches) Klagrecht kein Bedenken, wenn gleich von einer possessorischen Klage vielleicht nicht die Rede seyn kann.

Ich fasse diese ganze Erklärung nochmals kurz zusammen. Ein Klagrecht ist hier nicht vorgeschrieben, sondern vorausgesetzt. Dieses Klagrecht wird in den


(626) Sechster Abschnitt. Modific. des Röm. R.

meisten Fällen (1) ein Römisches Interdict seyn, und in den übrigen Fällen (2) ist es eine Vindication. Also läßt sich das Klagrecht, welches die Stelle voraussetzt, völlig aus dem Römischen Recht erklären, und es ist selbst um dieser Voraussetzung willen nicht nöthig, eine neue Art von Klagrecht anzunehmen.

Wenn also in den Worten jener Stelle ein neues Recht des Besitzes nicht enthalten ist, und wenn noch viel weniger der Verfasser derselben und Gratian daran dachten, ein solches Recht dadurch einzuführen, wie ist man dennoch auf diese Erklärung gekommen, die nicht etwa der Einfall eines einzelnen Juristen, sondern die allgemeine Meinung der Praktiker ist? Darüber ist nur eine Vermuthung möglich, aber eine sehr wahrscheinliche Vermuthung. Man verstand das Römische Recht des Besitzes nicht hinreichend, und vermißte daher in vielen Fällen des verlornen Besitzes ein Klagrecht, in welchen eine vollständige Einsicht in das Römische Recht ein solches dargeboten hätte. Deswegen war es am bequemsten ein neues Rechtsmittel auszusinnen, das durch seine Allgemeinheit und Unbestimmtheit recht geschickt

(1) „exspoliatis vel ejectis episcopis ... captivitate ... aut violentia.“ Es ist sehr zu bemerken, daß Gratian in der Anmerkung am Schlusse der ganzen quaestio, worin er ein allgemeines Resultat zieht, bloß diesen Fall denkt.

(2) „aut per quascunque injustas causas.“


(627) §. 50. Spolienklage.

war, der mühsamen Kenntniß des Römischen Rechts zu überheben. Ist es nun zu verwundern, daß die Praktiker diese Erfindung mit großer Freude aufnahmen? daß sie, weit entfernt, an ihrer Aechtheit zu zweifeln, sich beeiferten, die Erfindung selbst immer noch zu vervollkommnen? – Aber die Sache bedurfte auch einer Auctorität, und es war ein recht artiger Zufall, daß man dazu gerade eine Stelle der Pseudisidorschen Sammlung wählte: vor einem Texte, der selbst untergeschoben ist, hat selbst die willkührlichste Interpretation keine Ursache sich zu schämen!

Außer diesen wichtigen Neuerungen, die das Canonische Recht nicht enthält, sind aber auch noch zwey andere, weniger bedeutende, wirklich in demselben enthalten, welche sich beide auf das Recht des gewaltsam verlornen Besitzes beziehen (1).

Die erste dieser Neuerungen betrifft das Klagrecht selbst. Das Römische Recht gestattete die Klage gegen einen dritten Besitzer selbst dann nicht, wenn dieser Dritte von demjenigen, welcher die Gewaltthätigkeit verübt hatte, die Sache bekam und es wohl wußte, wie der Besitz seines auctor entstanden sey (2). Aber

(1) Eine dritte Bestimmung nämlich, die das C. 9. X. de probat. enthalten soll, kann erst im folgenden §. klar werden.

(2) L. 3. §. 10. uti possidetis (S. 518.). – Böhmer zeigt in einer Note zu C. 18. X. de rest. spol., daß er mehr


(628) Sechster Abschnitt. Modific. des Röm. R.

Innocenz III. sah wohl ein, daß die Seele dieses Dritten in eben so großer Gefahr schwebe, als die des gewaltsamen Besitzers selbst, und er ließ daher auch gegen Jenen die Klage zu (1). Darin liegt also eine wahre (übrigens nicht sehr bedeutende) Erweiterung des Int. de vi.

Die zweyte Neuerung betrifft die exceptio spolii. Diese Exception, die sich ursprünglich bloß auf die Anklage der Bischöffe bezog, scheint durch Gewohnheitsrecht für alle Sachen überhaupt aufgenommen worden zu seyn, und sie ist endlich gesetzlich bestimmt worden (2). Jeder, der gewaltsam beraubt ist, soll diese Exception haben, um dadurch alle Civilklagen, die der spoliator

Canonist, als Civilist war: er glaubt, es sey in den Decretalen gar nichts neues verordnet.

(1) C. 18. X. de restit. spoliat. – Ziegler (l. c. p. 246.) hat die sehr richtige Bemerkung gemacht, daß, da hier etwas Neues bestimmt seyn solle, nicht schon vorher nach c. 3. C. 3. q. 1. gegen jeden dritten Besitzer ein Klagrecht gegolten haben könne. Woltär’s Widerlegung (p. 250.) ist wohl mehr gelehrt, als überzeugend: auch betrifft sie nicht sowohl den Canon selbst, als eine Usualerklärung desselben, die schon längst gegolten haben soll. – Ferner soll nach Woltär (p. 252.) das C. 18. X. de rest. spol. selbst gegen jeden dritten Besitzer gehen, weil auch derjenige scienter detinens sey, der nur jetzt durch den Prozeß das spolium erfahre. Allein es heißt ja ausdrücklich: „si quis ... scienter rem talem receperit.“

(2) C. 1. de restit. spol. in 6.


(629) §. 50. Spolienklage.

gegen ihn anstellen kann, so lange abzuweisen, bis die Restitution erfolgt ist: doch ist die Exception ausgeschlossen, wenn in der Klage von dem Recht oder der Sache einer Kirche, in der Exception von dem Recht einer Privatperson die Rede ist, oder umgekehrt. Gegen eine Criminalanklage kann die Exception auch dann gebraucht werden, wenn nicht der Spoliator, sondern ein Dritter die Anklage vorbringt: nur muß dann das Spolium mehr als die Hälfte des ganzen Vermögens betragen, auch kann der Ankläger fordern, daß dem Angeklagten eine Frist vorgeschrieben werde, in welcher das Interdict gebraucht werden könne: nach Verlauf dieser Zeit hört die Wirkung der Exception auf (1). In Civilsachen sowohl als in Criminalanklagen muß das Spolium selbst, worauf sich die Exception gründet, längstens in 15 Tagen bewiesen werden.

Zunächst also ist die Bedeutung der exceptio spolii bloß prozessualisch: allein wie verhält sie sich zu dem Interdictum de vi, wenn dieses die Klage ist, die der Andere anstellt? Entweder ist in der Klage und in der Exception von verschiedenen Gegenständen oder von demselben Gegenstande die Rede. Im ersten Fall

(1) Es versteht sich von selbst, daß diese Exception in Criminalsachen nur da gebraucht werden kann, wo der reine accusatorische Prozeß gilt, d. h. daß sie da fast ganz außer Gebrauch ist.


(630) Sechster Abschnitt. Modific. des Röm. R.

wird das Interdict, wie alle andere Klagen, durch jene dilatorische Exception einstweilen ausgeschlossen: allein der Beklagte kann anstatt derselben auch sein Interdict als Reconvention vorbringen, und dann ist die Wirkung die, daß beide Rechtssachen zugleich verhandelt und entschieden werden (1). Im zweyten Fall, wenn der Kläger, der den verlornen Besitz wiederfordert, früher den Beklagten aus demselben Besitz verdrängt hat, ist jene Exception als dilatorische Exception, was sie nach dem Canonischen Rechte immer seyn soll, undenkbar: als peremtorische Exception aber ist sie nach Römischem Recht ungültig (S. 541.) und diese Ungültigkeit muß folglich noch jetzt behauptet werden.

(Zusatz der 6. Ausgabe.) Bis hierher ist dargethan worden, wie wenig geschichtlichen Grund die Spolienklage in den geschriebenen Rechtsquellen hat. Dennoch ist nicht zu läugnen, daß sie seit Jahrhunderten in der Praxis festen Fuß gefaßt hat, und es kommt nun noch darauf an, die Natur und die Grenzen dieser ihrer praktischen Gültigkeit wissenschaftlich zu bestimmen, damit nicht hierin Alles der Herrschaft der Willkühr überlassen bleibe.

Nun ist oben gezeigt worden, daß uns das Mittelalter

(1) C. 2. 4. X. de ord. cognit.


(631) §. 50. Spolienklage. (Zus. der 6. Ausg.)

viele wichtige Rechtsinstitute überliefert hat, bei welchen ein Besitzesschutz wohl schon von dem Römischen Recht eingerichtet worden wäre, wenn es dieselben gekannt hätte (§. 49.). Es gehören dahin, außer vielen publicistischen und kirchlichen Rechten, vorzüglich die sehr verbreiteten Reallasten des Germanischen Rechts. Hier also hat die Anwendung jenes durch die Praxis neu eingeführten Rechtsmittels kein Bedenken, ja es ist die wahre Form, unter welcher jene wichtige Erweiterung des ganzen Besitzrechtes in das Leben eingeführt wird.

Ferner auch bey solchen Instituten, welche das Römische Recht anerkennt, auf die es aber den Besitzesschutz anzuwenden wohl nur deswegen, weil sie seltner vorkamen, unterlassen hat, halte ich die Spolienklage für anwendbar. Ich meine diejenigen Prädialservituten, auf welche das Int. uti possidetis nicht paßt, und für die doch auch keine besonderen Interdicte eingeführt sind. Nimmt man dieses an, so dient von dieser Seite die Spolienklage zu einer Ergänzung des Römischen Rechts in seinem wahren Geiste, und sie gewährt dann zugleich die praktische Vermittelung für die Streitfrage, ob auf jene Servituten die Römischen Interdicte angewendet werden sollen oder nicht (§. 46.) (1).

(1) Man könnte einwenden, bey anderen Prädialservituten lasse das Römische Recht nur das Int. uti possidetis oder Surrogate desselben zu (§. 46.), die Spolienklage aber sey recuperandae


(632) Sechster Abschnitt. Modific. des Röm. R.

Weiter aber darf, wie ich glaube, die Anwendung der Spolienklage nicht geführt werden. Namentlich nicht auf diejenigen Rechtsinstitute, in deren Natur das Bedürfniß, ja die Fähigkeit, zu einer consequenten und heilsamen Anwendung des Besitzesschutzes gar nicht enthalten ist: ich meine das Familienrecht und die Obligationen (§. 46.). – Aber eben so wenig halte ich für begründet die Anwendung der Spolienklage auf dasjenige Gebiet, welches durch die possessorischen Interdicte des Römischen Rechts wirklich beherrscht wird. Hier ist für ihre Anwendung weder Raum noch Bedürfniß vorhanden, und wenn man sie dennoch, vermischt mit den Interdicten, anzuwenden versucht, so ist eine unheilbare und grenzenlose Verwirrung die unausbleibliche Folge. Ich sage nichts davon, wie sich jedes Bedürfniß wissenschaftlicher Consequenz durch ein solches verwirrendes Verfahren verletzt fühlen müßte, denn dieses Interesse muß allerdings dem Bedürfniß des Lebens untergeordnet werden; aber eben das praktische Interesse kann gewiß nicht gewinnen bey einem Verfahren, wodurch sichere Grundsätze unmöglich gemacht werden, so daß zuletzt

poss., also eine Ausdehnung des Int. de vi. Allein bey diesen Rechten läßt sich die Störung des Besitzes von der Aufhebung nicht so scharf scheiden, wie bey dem Eigenthum und den persönlichen Servituten, so daß auch für die Interdicte eine scharfe Trennung weder möglich, noch nöthig ist.


(633) §. 50. Spolienklage. (Zus. der 6. Ausg.)

nur noch die Willkühr den Knoten zerhauen kann, indem sie bald aus diesem bald aus jenem Rechtssystem ihre Entscheidungen hernimmt. Ein solcher Zustand des praktischen Rechts kann nur wünschenswerth seyn für die Bequemlichkeit und Unkenntniß mancher Richter, und für das Interesse derjenigen Sachwalter, welchen die lange Dauer der Prozesse mehr am Herzen liegt, als das Wohl der Parteyen. – Man versuche es nur, die Spolienklage in der oben angegebenen, von Vielen vertheidigten, endlosen Erweiterung consequent durchzuführen, so wird man bald auf Fälle kommen, worin selbst die Vertheidiger derselben vor der Anwendung zurückschrecken werden. Sie müssen sich also doch in der Stille vorbehalten, gelegentlich die Anwendung auch wohl zu unterlassen, wodurch es eben klar wird, daß diese ganze Lehre nur auf blinde Willkühr hinführen kann. Ist diese Ansicht gegründet, so darf namentlich dem Miether und Commodatar, welchen die Interdicte versagt sind, auch die Spolienklage nicht gestattet werden.

In dem Gebiete aber, worin die Spolienklage wirklich anzuwenden ist, entsteht nun die Frage, nach welchen Regeln sie behandelt werden soll. Das geschriebene Recht giebt uns dazu keine unmittelbare Anweisung, und in der Praxis wird man vergeblich nach bestimmten und gleichförmigen Regeln suchen, obgleich die Schriftsteller nicht leicht versäumen werden, sich auf die Praxis zur


(634) Sechster Abschnitt. Modific. des Röm. R.

Unterstützung ihrer Meinungen zu berufen, mögen diese auch noch so sehr unter einander im Widerstreit stehen. Ich glaube, daß auch hierin lediglich die Analogie des Römischen Rechts einen festen Boden geben kann, so daß das neue Rechtsinstitut auch im Einzelnen als eine consequente Fortbildung des Römischen Rechts behandelt werden muß, freylich mit steter Rücksicht auf die Eigenthümlichkeit jedes einzelnen Rechtsinstituts, und das daraus hervorgehende besondere Bedürfniß.

Es ist oft ein leeres Gerede geführt worden von dem Bestreben der sogenannten historischen Schule, alles Recht ausschließend in Römische Formen einzuzwängen, und dadurch sowohl den eigenthümlichen Producten der Praxis, als den Forderungen eines neuen wissenschaftlichen Geistes Unrecht zu thun. Ohne Zweifel werden Manche diesen stehenden hergebrachten Tadel auch über die hier aufgestellte Ansicht der Spolienklage aussprechen. Darum freue ich mich Mühlenbruch, den Manche (ich weiß nicht warum) unter die Gegensätze der historischen Schule rechnen, als Vertreter derselben Ansicht anführen zu können. Auch er betrachtet das Int. de vi, in seiner ächt Römischen Gestalt, als die einzige Klage des neuesten Rechts zur Wiederherstellung des Besitzes, und auch er sieht in der Spolienklage Nichts als die Erweiterung jenes Interdicts auf den dritten unredlichen


(635) §. 50. Spolienklage. (Zus. der 6. Ausg.)

Besitzer (1). – In der zweyten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts erschien in Rom, mit dem Imprimatur aller Behörden, ein ausführliches Werk über die Spolienklage (2). Von einem modernen Römer erwartet man doch gewiß den nöthigen Respect vor dem canonischen Recht und der aus demselben hervorgegangenen Praxis! Dieser nun behandelt den Canon Redintegranda mit der wegwerfendsten Verachtung (Cap. 3.). Die Spolienklage selbst aber, die er nun darstellt, ist Nichts als das Römische Int. de vi, überall aus Pandektenstellen entwickelt, und nur in wenigen Punkten durch Stellen des canonischen Rechts ergänzt. So behauptet er ganz bestimmt auch für das geltende Recht, daß der Miether und Pächter die Spolienklage nicht haben, und beweist diesen Satz aus L. 1. §. 10. 22. L. 20. de vi (Cap. 5. §. 4. 5.). War dieser Schriftsteller etwa ein prophetischer Jünger der deutschen historischen Schule?

§. 51.

Seit dem dreyzehnten oder vierzehnten Jahrhundert ist in Italien, Spanien, Frankreich und Deutschland ein ganz neues Klagrecht aus dem Besitz aufgekommen, welches

(1) Muehlenbruch doctrina Pandectarum §. 244. 134.

(2) Franc. Mazzei de legitimo actionis spolii usu commentarius. Romae 1778. 4°.


(636) Sechster Abschnitt. Modific. des Röm. R.

possessorium summarium oder summariissimum genannt wird (1), zum Unterschied von den possessorischen Klagen, die schon das Römische Recht eingeführt hatte. Die Glosse erwähnt dieses Rechtsmittel noch nicht, aber bey Durantis und Johannes Andreä kommt das Wesen desselben, obgleich ohne den Namen, schon vor (2). Die Entstehung dieses Instituts ist nach der Art, wie der Gebrauch desselben von älteren Schriftstellern allgemein beschrieben wird, so zu erklären (3). Der Prozeßgang war in demselben Verhältniß weitläufiger

(1) Bey älteren Schriftstellern führt es sehr verschiedene Namen; in Italien hieß es Mandatum de manutenendo, in Spanien Inicio de Interim, in Frankreich Recredentia (wahrscheinlich Récréance) u. s. w.

(2) Durantis Lib. 4. Part. 1. tit. de libell. concept. §. 9. No. 22., zuerst angeführt in Hollwegs Grundriß §. 213. Bey einem Streit über den Besitz eines Waldes waren die Parteyen so erbittert, daß keiner durch einen Libell als Kläger auftreten wollte, und daß Waffengewalt zu befürchten war. Der Richter verbot vorläufig Beiden den Wald zu betreten, forderte Beide amtlich zum Beweise auf, und sprach nun Einem den Besitz zu. Die Advocaten waren Jacobus Balduini und Bagarottus. Dasselbe kommt nochmals vor, nur kürzer, Lib. 2. P. 1. tit. de petit. et poss. §. 1. No. 38. Das Wesentliche dabey ist also der Prozeß und die Entscheidung ohne Libell, was mehr ist als bloße Inhibition der Waffen, und man kann also allerdings sagen, daß darin die erste Spur unsers Rechtsmittels liegt. Das verkennt Bayer summ. Prozeß S. 177. (Zus. der 6. Ausg.)

(3) Es ist leicht zu vermuthen, daß man keinen Versuch gespart hat, dieses Institut aus dem Römischen Recht


(637) §. 51. Possessorium summariissimum.

geworden, als er kürzer hätte werden müssen, um der allgemeinen Gewohnheit der Selbsthülfe zu steuern: ein Rechtsstreit über den bloßen Besitz also, der im alten Rom vielleicht wenige Tage gedauert hätte, konnte jetzt Jahre hindurch geführt werden, und die Parteyen pflegten dann einstweilen mit Gewalt durchzusetzen, was sie ohnehin, nur später, von dem Urtheil zu erhalten hofften. Diese Selbsthülfe konnte auch bey der Vindication, oder bey der Klage aus einem Contract zu befürchten seyn: nur bedurfte es dabey, um dem Uebel vorzubeugen, keiner eigenen Rechtsanstalt: der Besitzstand war in allen diesen Fällen entschieden, und gerade in der

herzuleiten. Budäus (in L. 2. de O. I., annot. in ff. p. 90. 91. ed. Lugd. 1546. 8.), und nach ihm viele Andere, behaupten, daß die Form der manus consertae ganz dasselbe sey. Allein diese Form war nichts als die Eröffnung der Vindication, und wurde nie, wie Budäus glaubt, zur Vorbereitung eines Streites über den bloßen Besitz gebraucht (§. 34.). Er hätte sich so ausdrücken müssen, um etwas Wahres zu sagen: die manus consertae standen zu der Vindication in einem ähnlichen Verhältniß, wie das summariissimum zu dem ordinarium, d. h. zu dem Int. uti possidetis. – Andere finden das Summariissimum in L. 1. §. 3. uti poss. (Retes ap. Meerm. VII. p. 507.) oder in L. 13. §. 3. de usufr. (I. Grav. de jud. poss. summ. Tüb. 1672. §. 6-8.): noch Andere in Cicero pro Caec. Cap. 12.: „Nondum de Caecinae causa (sc. principali) disputo, nondum de jure possessionis (sc. ordinario) nostrae loquor.“ (Peller de summariis. poss. Altorph. 1665. §. 13.).


(638) Sechster Abschnitt. Modific. des Röm. R.

Unentschiedenheit des Besitzstandes lag die stärkste Veranlassung zu Gewaltthätigkeiten, indem diese immer unter dem Vorwand bloßer Vertheidigung ausgeübt werden konnten. Wie mit der Vindication (et)c. so verhielt es sich auch mit dem Int. de vi: der Besitzstand war nach des Klägers eigener Behauptung entschieden, denn der Kläger behauptete nur aus einer obligatio die Restitution des Besitzes fordern zu können. Ganz anders bey dem Int. uti possidetis: hier ist es gerade der jetzige Zustand des Besitzes, worüber fast immer gestritten wird, folglich lag dabey gerade in dem Gegenstande des Streites die Veranlassung der Gewaltthätigkeit, und es bedurfte einer eigenen Rechtsanstalt, um nur vorläufig, d. h. bis zur Entscheidung der Sache selbst, alle Gewalt zu verhüten. Diese Anstalt war das Summariissimum, dessen Beschaffenheit nun leicht zu bestimmen ist. Es bezieht sich lediglich auf ein Int. uti possidetis, worüber noch nicht entschieden ist: es ist nur nöthig, wenn die Gefahr offenbarer Gewaltthätigkeit so dringend ist, daß sie nur durch eine vorläufige Verfügung des Richters vermieden werden kann (1): es gilt in diesem Fall als ein provisorisches Int.

(1) Es versteht sich von selbst, daß es dem Richter freysteht, neben diesem Rechtsmittel auch andere, noch schneller wirkende Vorkehrungen gegen Gewalt zu treffen, z. B. Sequestration, Strafverbote u. s. w. (Zus. der 6. Ausg.)


(639) §. 51. Possessorium summariissimum.

uti possidetis selbst, d. h. es wird gerade dieselbe Rechtsfrage untersucht und entschieden, wie in dem Int. uti possidetis, und der einzige Unterschied besteht darin, daß die Nothwendigkeit einer schnellen Entscheidung jede andere Rücksicht, selbst die der vollständigen factischen Gewißheit, überwiegt. – Das erste, worauf es bey dem Int. uti possidetis ankam, war gegenwärtiger juristischer Besitz, und es ist ganz ohne Grund, wenn viele behaupten, daß bloße Detention und nicht eigentlicher Besitz für das Summariissimum erfordert werde. Freylich wird es dem, der bloße Detention hat, hier leichter als in dem Int. uti possidetis gelingen, den Richter zu täuschen, und seine Detention als Besitz gelten zu lassen: allein Gegenstand der Untersuchung und Grund der Entscheidung ist doch immer der juristische Besitz, und es ist durchaus kein Grund denkbar, warum hier etwas anderes gelten sollte, als bey dem Int. uti possidetis selbst: denn der eigenthümliche Zweck wozu das Summariissimum bestimmt ist (Verhütung von Verbrechen), wird durch jede Festsetzung des Besitzstandes erreicht, und außer diesem Zweck ist überhaupt kein Grund der Entscheidung zu denken möglich, als der, nach welchem auch das Int. uti possidetis entschieden wird. – Allein nicht jeder Besitz war bey dem Int. uti possidetis hinreichend, sondern durch die bekannten drey Exceptionen war jede injusta possessio ausgeschlossen. Auch diese Exceptionen


(640) Sechster Abschnitt. Modific. des Röm. R.

müssen hier das Urtheil bestimmen, nur ist die Anwendung dieses Satzes nicht leicht möglich, da ein so schneller Beweis dieser Exceptionen, als hier geführt werden müßte, in den meisten Fällen nicht wird geführt werden können.

Nach dieser ganzen Darstellung also ist der eigentliche Zweck jenes Instituts die Verhütung von Verbrechen, und man kann es als eine Maaßregel betrachten, die die Polizey unter der Form eines Rechtsinstituts zu brauchen für gut gefunden hat. Diese Ansicht wird bestätigt durch die bestimmte Form, unter welcher dasselbe in Deutschland von der Gesetzgebung eingeführt worden ist, und obgleich diese Bestimmung nicht als allgemeines Gesetz für ganz Deutschland gegeben worden ist, so hat es doch keinen Zweifel, daß das Wesentliche ihres Inhalts die sicherste Norm der Entscheidung ist, wo sie nicht etwa mit den Gesetzen einzelner Länder, sondern nur mit einem unbestimmten Gerichtsgebrauch concurrirt. Der Inhalt des Gesetzes ist dieser (1): Wenn unmittelbare Unterthanen des Deutschen Reichs über den Besitz streiten, der jetzige Besitzstand zweifelhaft und die Lage der Sache so ist, „daß sorgliche Empörung, Weiterung oder Aufruhr (also Bruch des Landfriedens) daraus zu

(1) Ord. Cam. 1555. P. 2. Tit. 21. §. 3. Conc. Ord. Cam. P. 2. T. 22. §. 4. 5.


(641) §. 51. Possessorium summariissimum.

besorgen“, so soll das Kammergericht das Recht haben, auf Anrufen der Parteyen oder auch ex officio den Besitz zu sequestriren und unmittelbar darauf „ohne einigen gerichtlichen Prozeß oder andere weitläuftige Ausführung der Sachen zu erkennen, welchem Theil die momentanea possessio vel quasi einzugeben, oder zu inhibiren sey, sich derselben bis zu endlichem Austrag des endlichen Rechtens, in Possessario und Petitorio (1) zu enthalten, und so das beschehen, soll alsdann solches keinen Theil an seinem Inhaben oder Besitz im Recht nachtheilig seyn.“

Nach diesem Gesetze ist es leicht, die Art der Anwendung jenes Instituts zu bestimmen. Der erste Grund, warum es auch in diesem Gesetz vorgeschrieben ist, liegt offenbar darin, daß selbst das (gewöhnliche) possessorium nicht schnell genug entschieden werden kann. Aber

(1) Frider (de interd. Comm. 13.) will die ganze Eintheilung in ordinarium und summarium nicht gelten lassen, und er legt auf diese neue Meinung großes Gewicht. Das summ., meint er, sey das einzige possessorium, und das ordinarium, wovon sonst und auch wohl in den Reichsgesetzen geredet werde, sey nichts anders als das petitorium, weil darin ja auch die possessionis causa (d. h. die endliche Entscheidung des Besitzstandes) enthalten sey. Am Ende des Abschnitts giebt er aber doch selbst ein Paar Ausnahmen zu, und es trifft sich gerade, daß in diesen Ausnahmen alle die Fälle enthalten sind, in welchen das summar. als Regel gilt.


(642) Sechster Abschnitt. Modific. des Röm. R.

nicht die lange Dauer der Prozesse allein ist der Grund jener Vorschrift, sondern die Gefahr der öffentlichen Sicherheit, welche durch jene lange Dauer verursacht wird. Wo also eine solche Gefahr nicht nachgewiesen werden kann, da kann das Summariissimum nicht etwa deswegen angewendet werden, weil Eine Partey wegen der Langwierigkeit der gewöhnlichen possessorischen Prozesse vorläufig in den Besitz zu kommen wünscht. Wäre dadurch allein das Summariissimum begründet, so ließe sich kein Grund denken, warum nicht bey jedem andern Rechtsstreite, z. B. über Eigenthum, eine solche provisorische Entscheidung gelten sollte, da bey allen Prozessen die lange Dauer derselben gleich drückend ist. Ja es ist sehr natürlich, daß durch den häufigen Gebrauch, der von jenem Institut gemacht wird, der Streit über Besitz immer noch langwieriger werden muß, und daß bald ein zweytes Summariissimum nöthig wäre, um der langen Dauer des ersten zu entgehen. Wenn dagegen dieses Institut nur so angewendet wird, wie seine ursprüngliche Bestimmung und die Vorschrift der Reichsgesetze es fordern, so ist es klar, daß in den einzelnen Ländern in Deutschland der Gebrauch desselben nur sehr gering seyn kann: denn eigenmächtige Störung der öffentlichen Sicherheit ist das einzige, was dadurch abgewendet werden soll, und davon ist in den einzelnen Staaten Deutschlands wenig mehr zu


(643) §. 51. Possessorium summariissimum.

befürchten (1). – Wenn nun der Fall so beschaffen ist, wie ihn das Reichsgesetz fordert, so hat es auch nach diesem Gesetz keinen Zweifel, daß in dem Prozeß über das Summariissimum selbst alles das gelten müsse, was oben darüber behauptet worden ist. Denn da das Gesetz nicht sagt, wem der Besitz einzuräumen sey, so kann diese Frage nur aus allgemeinen Gründen, und nur wie es oben geschehen ist, beantwortet werden. Welchen Erfolg das Summariissimum haben soll, sagt das Gesetz sehr deutlich. Es soll nämlich selbst dem juristischen Besitz gar nicht präjudiciren. Zeigt es sich also in der Folge bey dem possessorium ordinarium, daß nicht der, welcher in dem Summ. gewann, sondern sein Gegner den juristischen Besitz hatte, so ist dieser auch durch die Entscheidung des Summ. nicht verloren worden, und der durch dasselbe eingeräumte Besitz ist nun als eine bloße Detention zu betrachten, wodurch ein fremder juristischer Besitz einstweilen ausgeübt wurde (2).

(1) Bayer summ. Proz. S. 178. behauptet, die Kammergerichtsordnung handle von zwey ganz verschiedenen Gegenständen: Friedensstörung und Privatgewalt; nur jene sey jetzt selten und unwahrscheinlich, nicht diese. Allein das Gesetz enthält nur zwey verschiedene Mittel zum Zweck, Sequestration und provisorische Entscheidung; der Fall, wofür es diese Mittel vorschreibt, ist nur ein einziger: Bedrohung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit. (Zus. der 6. Ausg.)

(2) vgl. die zu Ende dieses §.


(644) Sechster Abschnitt. Modific. des Röm. R.

Bisher ist bloß das possessorium summarium untersucht worden, ohne das ordinarium auch nur zu berühren: denn dieses letzte wird nur um des Gegensatzes willen mit diesem Namen bezeichnet, es ist nichts anderes als das alte Int. uti possidetis, und es ist leicht zu begreifen, daß die Polizeianstalt, wodurch nur vorläufig die öffentliche Sicherheit erhalten werden sollte (das summariissimum), auf dieses Institut keinen Einfluß haben konnte (1). Einige Juristen haben gerade das umgekehrte Verhältniß angenommen (2), und einzelne Anwendungen dieser Meinungen finden sich bey sehr vielen Schriftstellern: das Summarium nämlich soll das alte Interdict seyn, nur etwa mit einigen

angeführte Schrift von Kober p. 24.

(1) Die verschiedenen Benennungen sind so zu erklären. Das neu hinzugekommene Rechtsmittel wird Summarium genannt im Gegensatz des Ordinarium: Summariissimum aber deswegen, weil auch schon in dem Ordinarium (wenigstens nach der gewöhnlichen Meinung) summarischer Prozeß gilt. Summariissimum ist zwar höchst barbarisch, aber doch besser, weil es gar keinem Mißverständniß Raum läßt. (Zus. der 6. Ausg.)

(2) F. A. Hommel, diss. de processu poss. summ. quaest. 12., Lips. 1748., Qu. 1-3. Klepe de nat. et ind. poss. ad interd. Cap. 3. p. 35. 36. Klepe läßt eigentlich beide Possessoria neu einführen: das Ordinarium vom Canonischen Recht, das Summarium von der Kammergerichtsordnung: die Interdicte aber sollen doch auch noch gelten. Aber in welchem Verhältniß das alles neben einander bestehen soll, ist schwer zu begreifen.


(645) §. 51. Possessorium summariissimum.

Modificationen, das Ordinarium aber soll ein Mittelding von Possessorium und Petitorium seyn, welches das Canonische Recht zwischen Beide eingeschoben habe. Daß diese Ansicht historisch falsch ist, zeigt der erste Blick auf die älteren Schriftsteller und auf das angeführte Reichsgesetz. Jene Schriftsteller behandeln ohne Ausnahme das Summariissimum (die Recredentia, das Interim etc.) als etwas Neues, das der Gerichtsgebrauch dem Römischen Recht hinzugefügt habe, und die Kammergerichtsordnung, welche die Bedingungen der Anwendung dieses Instituts genau bestimmt, sagt ausdrücklich, daß diese vorläufige Entscheidung auf das Endurtheil über das Recht selbst sowohl, als über den Besitz keinen Einfluß haben soll (S. 642.), und damit kann nichts anderes gemeint seyn, als das, was das Römische Recht über Eigenthum und Besitz bereits bestimmt hatte. Die Stelle des Canonischen Rechts, welche jene falsche Meinung von einem neuen possessorium ordinarium veranlaßt hat, ist C. 9. X. de probat., und es sind zwey Eigenthümlichkeiten, wodurch dieses Rechtsmittel von den römischen unterschieden wird. Erstens, der Besitz, worauf sich das Ordinarium gründet, soll eine justa possessio seyn müssen. Versteht man darunter nur das, daß die possessio nicht injusta (d. h. weder gewaltsam, noch heimlich, noch precario erworben) seyn dürfe, so ist der Satz wahr, allein er sagt weiter nichts,


(646) Sechster Abschnitt. Modific. des Röm. R.

als was schon nach dem Römischen Recht keinen Zweifel hat, daß das Interdict durch die bekannten drey Exceptionen ausgeschlossen werde. Hier aber soll die justa possessio ein solcher Besitz seyn, der durch eine juristische Handlung (justus titulus) entstanden ist (1). Zweytens: der Besitz soll älter als Ein Jahr seyn, wenn das Ordinarium soll gebraucht werden können (2): im Gegensatz dieser Bedingung nennt man daher den Besitz, wovon im Summariissimum die Rede ist, den

(1) Hommel l. c. p. 15. 16. – Hier ist die Wahrheit der Bemerkung recht auffallend, die oben (S. 612.) über die Genealogie dieser Art von Irrthümern gemacht worden ist. Der Zusammenhang dieser Meinung mit einer andern über den Begriff des Besitzes (S. 160-163.) und einer dritten über die Natur der Interdicte (S. 465.) ist unverkennbar.

(2) Hommel l. c. qu. 1. 2., Klepe l. c. p. 36. Derselbe Satz war in Frankreich schon im 16ten Jahrhundert durch die Praxis anerkannt. Cuiacius in paratit. ad Cod. tit. uti possidetis. – So fordert auch das gegenwärtige Französische Gesetz für die Besitzklage zwey Stücke: 1) wenigstens einjährige Dauer des Besitzes, 2) Anstellung der Klage innerhalb eines Jahres nach der Störung. Code de procedure art. 23. (Zus. der 6. Ausg.) – Nach Hommel soll gar das Ordinarium ein Remedium recuperandae possessionis seyn: dadurch wird die ganze Verwirrung so groß, daß man nicht weiß, wo die Widerlegung eigentlich anheben müßte, um Alles abzuthun. Diese bey den älteren Praktikern sehr verbreitete Meinung wurde auch so ausgedrückt, das Ordinarium gründe sich nicht auf gemeinwärtigen, sondern auf den älteren Besitz. Leyser Spec. 499. med. 6. 7.


(647) §. 51. Possessorium summariissimum.

den jüngsten Besitz. Allein jene Stelle der Decretalen bestimmt gar kein neues Rechtsmittel, sondern sie setzt das Int. uti possidetis voraus, und beurtheilt in einem bestimmten Fall den geführten Beweis. Diese Ansicht wird schon durch zwey allgemeine Bemerkungen sehr wahrscheinlich. Erstens dadurch, daß die Stelle in dem Titel de probationibus eingerückt ist, zweytens, weil sonst der Gegensatz und Unterschied zweyer possessorischen Rechtsmittel im Canonischen Recht höchst wichtig seyn müßte, den doch das Canonische Recht ganz ignorirt. Volle Gewißheit erhält jene Ansicht durch den Inhalt der Stelle selbst. Der Fall, welchen Innocenz III. zu entscheiden hatte, betraf den Besitz eines Districts mit Jurisdiction und anderen Rechten. Beide Parteyen hatten eine Menge Zeugen vorgebracht, Jede hatte bewiesen, daß sie seit vielen Jahren solche Rechte ausgeübt habe, und das Factum des Besitzes war folglich höchst zweifelhaft. In dieser Verlegenheit entschied der Pabst so: weil Ein Theil schon 60 Jahre jenen District mit allen Hoheitsrechten besitzt, und zugleich einen rechtlichen Grund seines Besitzes bewiesen hat, der andere Theil aber erst seit 50 Jahren einzelne Hoheitsrechte ausübt, und keinen Rechtstitel dieser Ausübung nachweisen kann, so soll in dem Int. uti possidetis jener erste Theil im Besitz geschützt werden. Beide Entscheidungsgründe lassen sich sehr gut mit der Römischen


(648) Sechster Abschnitt. Modific. des Röm. R.

Theorie des Interdicts vereinigen. Das Interdict forderte: 1) gegenwärtigen Besitz. Dieser war wegen der widersprechenden Beweise zweifelhaft. Aber daß der eine Theil 10 Jahre vor dem andern den Besitz gehabt hatte, war gewiß. Da nun der Verlust dieses ehemaligen Besitzes nicht bewiesen war, neben demselben aber kein anderer Besitz möglich war (duo in solidum etc.), so wird in Ermanglung eines andern Beweises präsumirt, daß jener Besitz noch jetzt fortdauere (S. 461 f.). 2) Possessio non vitiosa. Da die eine Partey Privilegien der Kaiser und Päbste vorgebracht hatte, die andere aber keinen solchen Rechtstitel nachweisen konnte, so war es dadurch höchst wahrscheinlich, daß jene eine possessio non vitiosa, diese aber, wenn sie ja Besitz haben sollte, possessio vitiosa habe, so daß sie auch in diesem Fall wegen der Exceptionen verlieren müßte, wovon jene gar nichts zu fürchten habe; in dieser Beziehung wurde hier des titulus erwähnt. – Daß dieses wirklich die Meinung des Pabstes war, erhellt sehr deutlich aus folgenden Worten, welche die eigentliche Entscheidung enthalten: Nos recognoscentes in hoc casu non sic locum esse interdicto Uti possidetis, ut dicere debeamus: Uti possidetis, ita possideatis (1); cum

(1) d. h. obgleich hier das Int. uti poss. angestellt ist, würde doch das Urtheil wenig helfen, wenn es bloß die unbestimmten


(649) §. 51. Poss. summar. (Zus. der 6. Ausg.)

probationes Ecclesiae longe sint potiores: et ideo sit in interdicto superior. Commune Faventiae sibi condemnamus ... quoad (!) possessorium judicium, quo tantummodo actum est, ut neque per se, neque per alios super his praesumat Ravenn. Ecclesiam ... molestare (1).

(Zusatz der 6. Ausgabe.) Auch hier wieder werden Manche sagen, das Alles möge schön und gut seyn, wenn man auf das geschriebene Recht zurückgehe, die Praxis habe es ganz anders gestaltet. Wir wollen darüber die bewährtesten Prozeßschriftsteller vernehmen, solche, denen noch Niemand eine einseitige Vorliebe für das Römische Recht vorgeworfen hat (2). Ihre Lehre ist folgende.

Worte des Edicts enthielte, vielmehr muß es ganz vorzüglich die Person bezeichnen, welche im Besitz geschützt werden soll.

(1) Dieselbe Meinung über das possessorium ordinarium und das Cap. 9. X. de probat., welche ich hier vorgetragen habe, ist in folgender Schrift ausführlich dargestellt. Frid. Gottl. Kober (praes. Iac. Frid. Kees) de judicio possessorio ordinario Spec. 1. Lips. 1805. 4. Diese Schrift ist sowohl wegen ihrer gründlichen, lichtvollen Behandlung der Sache, als wegen ihres Reichthums an literarischen Nachweisungen sehr brauchbar.

(2) Danz summarischer Prozeß §. 16. Bayer summ. Prozeß §. 65. 66. (ausführlich und gründlich). Martin §. 259. der 11. Ausg. Vgl. Mevius P. 1. Dec. 139. P. 3. Dec. 132.


(650) Sechster Abschnitt. Modific. des Röm. R.

Das Summariissimum ist ein provisorisches Rechtsmittel zur Erhaltung im Besitz. Ueber diesen soll nach ganz summarischer Untersuchung in der kürzesten Zeit entschieden werden, damit nicht Gewalt statt finde. Darum gilt hier bloße Bescheinigung anstatt des Beweises, aber die Thatsachen, die bescheinigt werden müssen, und von welchen der Gewinn abhängt, sind genau dieselben, wie in dem Ordinarium. Auch hier also wird possessio gefordert, und wenn vielleicht im Einzelnen zuweilen für die bloße Detention gesprochen wird, so geschieht es bloß, weil bey der Unvollständigkeit des Beweises der Richter leichter irren, und also die Detention für eine possessio halten kann. Eben so, wenn auf den jüngsten Besitz gesehen wird, so darf das nicht so verstanden werden, als wäre der hier verlangte Besitz anderer Natur als in dem Ordinarium; sondern da, wo Beide Theile einzelne Besitzhandlungen bescheinigen, sieht man die neuesten Besitzhandlungen als ein wahrscheinliches Zeichen des zuletzt vorhandenen, und daher auch noch jetzt fortdauernden Besitzes an. Die im Ordinarium vorkommenden Exceptionen werden hier nur deswegen fast nie beachtet, weil hier überhaupt nur solche Thatsachen zur Sprache kommen dürfen, welche auf der Stelle, und ohne ein zeitraubendes Beweisverfahren liquid gemacht werden können. Ueberhaupt soll kein Schriftwechsel zugelassen, sondern wo möglich


(651) §. 51. Poss. summar. (Zus. der 6. Ausg.)

Alles in einem Termin durch mündliche Verhandlung abgemacht werden.

Diese, ganz vom praktischen Standpunkt aus gegebene, Darstellung des Summariissimum stimmt nun mit meiner oben aufgestellten Ansicht völlig überein, und es ist klar, daß das Leben eines so eingerichteten Prozesses nur nach Tagen, höchstens nach Wochen, wird berechnet werden können. Nur in einem Punkte stimme ich mit jenen Schriftstellern nicht ganz überein. Sie lassen nämlich gegen die Entscheidung Rechtsmittel zu, wenngleich sie denselben den Suspensiveffect versagen. Aber auch mit dieser Einschränkung scheint mir jedes Rechtsmittel der Natur jenes Verfahrens widersprechend. Erstlich deswegen, weil dadurch der Prozeß unvermeidlich zu einer unbestimmbaren Dauer ausgedehnt, dadurch also die sehr schleunige Beendigung unmöglich gemacht wird, die doch auch jene Schriftsteller für wesentlich und nothwendig halten. Zweytens weil die Zulassung von Rechtsmitteln ganz über den Zweck des Summariissimum hinausgeht. Denn dieses soll ja überhaupt nur gelten, weil wegen des unentschiedenen Besitzstandes Gewalt zu befürchten ist. Nun aber ist schon über den Besitz entschieden, und diese Entscheidung wird auf jeden Fall (wegen des versagten Suspensiveffects) in Vollziehung gesetzt. Daher hat alle factische


(652) Sechster Abschnitt. Modific. des Röm. R.

Ungewißheit aufgehört, woraus allein bis dahin eine besondere Gefahr der Gewalt hervorgieng, und welche Gefahr allein durch das Summariissimum abgewendet werden sollte. Allerdings ist es möglich, daß die Entscheidung des Richters, wegen der summarischen Beweisführung, dem unterliegenden Theil Unrecht gethan hat: allein dagegen gewährt das nun noch zulässige Ordinarium völlig ausreichenden Schutz. Die Stelle des Römischen Rechts, die man zur Begründung der Rechtsmittel (nur ohne Suspensiveffect) anführt (1), kann offenbar Nichts beweisen, da das Römische Recht das ganze Summariissimum nicht kennt; jene Stelle geht ohne allen Zweifel auf die gewöhnlichen Interdicte, und zwar der richtigern Meinung nach sowohl auf uti possidetis als auf unde vi (2).

Eine ganz andere Frage ist es, ob das Summariissimum auch überall in den Gerichten so statt findet, wie es jene Schriftsteller darstellen. Dieses muß allerdings verneint werden. Ich selbst erinnere mich eines Falles, an dessen Entscheidung ich als Richter Theil genommen habe. Hier hatte das Summariissimum gegen zwölf Jahre gedauert, mehrere Juristenfacultäten hatten darüber erkannt, und das Ende des Rechtsstreits

(1) L. un. C. si de momentanea poss.

(2) Vgl. Albert Int. uti possidetis §. 139-144.


(653) §. 51. Poss. summar. (Zus. der 6. Ausg.)

war noch nicht zu berechnen. Wenn nun dieser Prozeß im Ganzen vielleicht zwanzig Jahre dauerte, so konnte leicht ein Ordinarium von Fünfzig, und ein Petitorium von Hundert Jahren nachfolgen. Sollen wir nun ein so widersinniges und verderbliches Verfahren als Widerlegung der hier aufgestellten Ansichten betrachten, und solchen Unsinn durch Aufnahme in die Theorie zu Ehren bringen helfen. Das wäre ein unverzeihlicher Götzendienst gegen die sogenannte Praxis, deren Vertheidiger doch sonst stets Vernunft und Zweckmäßigkeit im Munde führen. An eine constante und gleichförmige Praxis ist hier ohnehin nicht zu denken, da ja schon die oben angeführten Stellen aus Mevius Zeugniß dagegen ablegen, und es gewiß nicht schwer fallen würde, ähnliche Zeugnisse in bedeutender Zahl aufzutreiben. Nach meiner Ueberzeugung hat jeder Richter, der dieses Unwesen einsieht, die Befugniß demselben entgegen zu arbeiten. In den meisten Stücken wird dazu schon die sehr freye Hand hinreichen, die ohnehin der Richter bey allem unbestimmt summarischen Prozeß hat. Was aber die Rechtsmittel betrifft, so ist es natürlich nur die Sache der höheren Gerichte, sie außer Anwendung zu bringen, sobald sie auch hierin einer besseren Ueberzeugung Raum geben.


(654) Sechster Abschnitt. Modific. des Röm. R.

§. 52.

Das Resultat dieser Untersuchung über den Inhalt der neueren Rechte ist folgendes. Es sind darin allerdings Rechtssätze aufgestellt, die das Römische Recht nicht kannte: allein durch diese Sätze ist das Ganze der Römischen Theorie so wenig aufgehoben, daß sie selbst im Gegentheil nicht anders Sinn haben können, als indem man sie als Zusätze zu jener Theorie betrachtet, deren Gültigkeit dadurch eben sehr deutlich anerkannt ist.


(655)

Inhalt.

Einleitung:

I. Quellenkunde.

II. Literärgeschichte.

Erster Abschnitt: Begriff des Besitzes (1-224).

§. 1. Einleitung in diese Untersuchung (1-6).

Detention, als Grundlage des Begriffs (2). – Besitz, als Bedingung von Rechten: jus possessionis, verschieden von jus possidendi (4). – Uebersicht über den ersten Abschnitt (5).

§. 2. Juristische Bedeutung, wodurch die Detention zum Besitz wird (6-10).

Erste Bedeutung: Usucapion (6-8).

Zweyte Bedeutung: Interdicte, Beziehung derselben auf formelles Unrecht (8. 9.).

§. 3. Widerlegung anderer Beziehungen (11-19).

Tradition und Occupation (12). – Publiciana actio (13). – Fructuum perceptio (14). – Freyheit vom Beweise (15). – Selbsthülfe (17). – Retentionsrecht (18).

§. 4. Stelle dieser Lehre in den Quellen des Römischen Rechts (19-24).

Institutionen (19). – Pandekten (19). – Codex (20). – [Basiliken (20).] – Paulus (21). – Edict (21). – Stelle der im 3. §. abgehandelten Gegenstände (23. 24).


(656) Inhalt.

(Erster Abschnitt:)

§. 5. Ist der Besitz ein Recht? (24-30).

Der Besitz ist Factum und Recht zugleich [Dominium possessionis] (25). – Regel, die hieraus folgt. [Keine Successio in possessionem] (26). – Ausnahmen dieser Regel (27). – [L. 49. pr. de poss. (27).].

§. 6. Zu welcher Classe von Rechten gehört der Besitz? (31-58).

Diese Frage betrifft nicht die Usucapion (31). – Die Interdicte gehören in das Obligationenrecht [L. 1. §. 3. de interdictis] (32). – Es sind obligationes ex maleficiis (32). – Warum rechnen die Römer sie nicht darunter? (33). – Literärische Bemerkungen (35-58).

Zusatz der 6. Ausg. (40-58).

§. 7. Sprachgebrauch der Römischen Juristen (58-101). – Uebersicht über diesen §. (58).

1. Civilis und naturalis possessio (61-84). – Nach der allgemeinen Bedeutung von civilis (61). – Nach einzelnen Anwendungen: Vorerinnerungen über civiliter non possidere (66). – Anwendungen selbst: a. pignus. L. 3. §. 15. ad exhibendum (67). – b. donatio inter virum et uxorem (70). – [L. 26. de don. int. v. et ux. L. 1. §. 4. de possess. L. 1. §. 9. 10. de vi (71. 72, vgl. 493).] – c. Nemo sibi causam etc. (75). [L. 33. §. 1. D. de usurp. L. 2. pro her. (78. 79).] – d. Besitz, den ein Sclave hat [L. 24. de poss. L. 38. §. 7. 8. de V. O. – L. 1. §. 1. de his qui sui, §. 1. I. eod.] (80-82). – e. Besitz an einem einzelnen Theil einer Sache [L. 7. §. 1. 2. ad exhib.] (83). – Naturalis possessio (84).

2. Possessio (ad interdicta) und Naturalis possessio (84).


(657) Inhalt.

(Erster Abschnitt:)

(§. 7.)

a. Possessio, als juristisches Verhältniß im Gegensatz der naturalis possessio (84). Das natürliche Verhältniß kann in dem juristischen Besitz enthalten seyn (86). –

b. Beziehung jenes Gegensatzes auf Interdicte (87). – L. 9. de rei vind. (89).

3. Verhältniß der Civilis possessio zu der Possessio (ad interdicta) (91-94). – Es liegt keine Eintheilung des Besitzes dabey zum Grunde (92). – Resultate: Für die Interpretation der Quellen (92). – Für die Kritik (94). –

4. Naturalis possessio (94-98).

Zwey Bedeutungen des Worts (94). – Beide sind negativ (95). – Erste Bedeutung in Beziehung auf Usucapion. L. 1. §. 9. 10. de vi (95). – Zweyte Bedeutung, in Beziehung auf Interdicte (97). – Regel für die Interpretation (97. 98).

5. Possessio überhaupt (98-101).

Ursprünglich nichtjuristisch (98). – Possessio, als juristischer Besitz (100). – Regeln für die Interpretation (101).

§. 8. Fortsetzung der Untersuchung über den Sprachgebrauch (101-110).

Possessio justa, injusta (102. 103). – Possessio bonae fidei, malae fidei (104). – Possessio, Besitzung, für: Sache, die im Eigenthum ist (106). – Possessio für: Verhältniß des Beklagten. (107). Iuris Possessor. L. 62. de judic. (108. 109). – Regel für die Interpretation (110).

§. 9. Materieller Begriff des Besitzes (110-151).

Detention allein reicht nicht hin zum Besitz (111). – Animus domini (113). Anwendung dieses Begriffs: 1) auf bonitarisches


(658) Inhalt.

(Erster Abschnitt:)

(§. 9.)

Eigenthum (116); 2) auf Provinzialgrundstücke (117); 3) nicht auf Servituten (118. 119); 4) nicht auf Superficies (120); 5) nicht auf ager vectigalis und emphyteusis (120-124); 6) nicht auf Pfandrecht (125). – Abgeleiteter Besitz: hier ist nicht, wie bey dem ursprünglichen, der animus domini nöthig (126). – Animus possidendi (126). – Tabelle für die Anwendung des Römischen Sprachgebrauchs. [Besitz des Eigenthümers?] (131. 132). – Gegenstände, die nicht im Besitze seyn können: freye Menschen, res publicae, res sacrae (133. 134). – Subjecte, die des Besitzes unfähig sind (135). 1. Filiusfamilias (135). 2. Sclaven, oder die als Sclaven besessen werden (136). Zusatz der 6. Ausgabe (138-151).

§. 10. Literärgeschichte des Begriffs (151-178).

I. Erklärung der Eintheilung der possessio (civilis, naturalis) aus der Art der Ausübung. Placentin. (152). Azo (154). Rogerius (154).

II. Erklärung aus den juristischen Wirkungen (156).

Erste Partey (157). Bassian (159). Bartolus (160). Cujacius (161).

Zweyte Partey (162).

Dritte Partey (164). Martin Gosia (165). Cuperus (167.)

Verbindung mehrerer entgegengesetzten Meinungen (170).

Donellus (171).

Zusatz der 6. Ausgabe (172-178).

§. 11. Aller Besitz ist ausschließend (plures eandem rem in solidum possidere non possunt) (178-205).


(659) Inhalt.

(Erster Abschnitt:)

(§. 11.)

Compossessio gehört gar nicht hierher (180). Verschiedene Meinungen der Römischen Juristen: Bestimmung der Streitfrage (180-183). Einige behaupten die Regel ganz allgemein, Andere nur mit Ausnahme der possessio justa und injusta (183-185).

Beweis der Regel im allgemeinen. L. 3. §. 5. de poss. (183-185). [L. 19. pr. de precar. (185).] – L. 5. §. 15. commodati (188).

Erklärung der einzelnen Anwendungen, über welche allein gestritten wurde:

A. Violenta possessio (188).

L. 1. §. 45. de vi (189). L. 17. pr. de poss. (192).

B. Clandestina possessio (193).

C. Beide vorige Fälle zusammengefaßt. L. 3. pr. uti possidetis (194).

D. Precaria possessio (196).

L. 15. §. 4. de precario (197).

L. 13. §. 7. 9. de poss. (198).

Resultate: Für die Geschichte (199). Für das System (200).

Literärgeschichte (201). [Possessio vacua (205.)]

§. 12. Uebersicht über die folgende Abhandlung (205-215).

Besitz (d. h. Ausübung des Eigenthums) ist nur an Körpern möglich (207). Iura oder Iura in re (209). Iuris quasi possessio (210-212). Verwechslungen, die bey diesem Begriff zu verhüten sind (211-212). Mißverständnisse unserer Juristen (212-215).

§. 12 a. Geschichte des Besitzes (215-224).

Possessio für Recht am ager publicus


(660) Inhalt.

(Erster Abschnitt:)

(§. 12 a.)

(216), für bonitarisches Eigenthum (219), bonorum possessio (219). – Besitz am ager vectigalis (222).

Zweyter Abschnitt: Erwerb des Besitzes (225-380).

§. 13. Uebersicht (225-227).

§. 14. Factum, erste Bedingung des Erwerbs (Apprehension) (227-235).

Gewöhnliche Meinung über das Factum. Ficta apprehensio durch symbolische Handlungen? (228). – Bedeutung der Frage (228). – Unwahrscheinlichkeit der gewöhnlichen Meinung (230). Richtiger Begriff der Apprehension, durch die folgende Darstellung zu beweisen (232). – L. 1. §. 21. de poss. (234).

§. 15. I. Apprehension der Grundstücke (235-239).

Körperliche Gegenwart (235). – Concurrenz einer andern Person, aufgehoben durch ihren Willen (237): durch Gewalt. L. 52. §. 2. de poss. (238). – Ausnahme der Regel (239).

§. 16. II. Apprehension beweglicher Sachen (239-253).

Gegenwart (240). L. 79. de solut. (240). L. 1. §. 21. de poss. (241). L. 3. §. 1. de don (242). L. 51. de poss. (242). L. 14. §. 1. de peric. et comm. rei vend. L. 1. C. de donat. (245). – Anwendungen (248). Wilde Thiere (248). Uebergabe der Schlüssel (249). L. 9. §. 6. de acquir. rer. dom (250). L. 1. §. 21. de possess. L. 1. §. 2. de peric. et comm. rei vendit. L. 14. §. 1. eod. (251). [L. 74. de contr. emt. (252)].


(661) Inhalt.

(Zweyter Abschnitt:)

§. 17. Fortsetzung des vorigen §. (253-265). Apprehension ohne Gegenwart, wenn die Sache im Hause niedergelegt wird (253). L. 18. §. 2. de poss. (253). L. 9. §. 3. de j. dot. (254). Grund (254). Nähere Bestimmungen (254-256). [L. 30. pr. de poss. (255).] Schätze: Begriff (256). Erwerb des Besitzes (258). L. 15. ad exhibendum L. 44. pr. de poss. (259). L. 3. §. 3. de poss. (260-265).

§. 18. Nähere Bestimmung des Begriffs der Apprehension (266-274).

Beziehung auf Bewußtseyn (266-268). Neuer Ausdruck für materiellen Begriff des Besitzes (269). Versuch einer Vermittlung (271). Beyspiel der Anwendung (273).

§. 19. Erwerb des Besitzes, wenn das physische Verhältniß schon vorher existirt (274-279).

Traditio brevi manu (275). [L. 47. de rei vind. (275).] L. 9. §. 5. de adq. rer. dom. §. 44. I. de rer. div. (276). L. 62. pr. de evict. (277). L. 9. §. 9. de reb. cred. (277). Bedingte Uebergabe (278). Ausnahme der Regel (279).

§. 20. Animus, zweyte Bedingung des Erwerbs. – Uebersicht. (279-281).

§. 21. Personen, welche des animus unfähig sind (281-297).

Juristische Personen (279). L. 1. §. 15. si is qui testam. liber. (281). – Wahnsinnige (282). L. 1. §. 3. L. 18. §. 1. de possess. (282). – Pupillen L. 1. §. 3. de poss. (283). – L. 26. C. de


(662) Inhalt.

(Zweyter Abschnitt:)

(§. 21)

don. (283). – Kinder (284). L. 32. §. 2. de poss. (285-288). L. 3. C. de poss. (289-296). – [Variante des Alciat (289). Literärgeschichte (293-296).]

§. 22. Besitz an einem einzelnen Theile einer Sache (297-311.)

Erste Regel [Willkührlicher Begriff des Ganzen] (298). – Zweyte Regel [Ideelle Theilung] (298). L. 26. de poss. (299). L. 32. §. 2. de usurp. (300). L. 3. §. 2. de poss. (301). – Dritte Regel (besonders von Gebäuden) (301). – Vierte Regel (Besitz des Theiles in dem Ganzen) (303). 1) Bewegliche Sachen (304). – 2) Grundstücke (305). – 3) Schätze (306). – 4) Gebäude. L. 23. pr. de usurp. Eigenheiten dieses Falls (306). – Die vierte Regel gilt nicht für die Fortdauer des Besitzes (306). L. 30. §. 4. und §. 1. de usurp. (309). L. 7. §. 1. ad exhib. (310 vergl. 83.)

§. 22 a. Erwerb der Früchte (312-320).

1) Für den Eigenthümer der Hauptsache (321). – 2) Für den Pachter, Fructuar (et)c.

(313). – 3) Für den bonae fidei possessor (314). – 4) Für den Emphyteuta (319). – 5) Für den antichretischen Pfandgläubiger (320).

§. 23. Abgeleiteter Besitz (320-335).

Drey Classen ohne Eigenthum veräußerter Detention (322).

Erste Classe: Immer ohne das Recht des Besitzes (322). – 1) Procurator possessionis (322). – 2) Commodatarius (322). – 3) Conductor (322). –


(663) Inhalt.

(Zweyter Abschnitt:)

(§. 23.)

[Ausnahmen? Possessionis conductio. (322. 323).] – 4) Missus in possessionem (324). [L. 7. pr. de damno inf. (325). L. 30. §. 2. de poss. (326).] – 5) Fructuarius (326). [Cicero pro Caec. 32? (327).]. L. 6. §. 2. de prec. (327). L. 12. pr. de poss. (328). L. 52. pr. de poss. (328). Schriftsteller (329). – Usuarius (330). – Superficiarius (331). L. 3. §. 7. uti poss. (331.) – Placentin (335).

§. 24. Zweyte Classe: Immer mit dem Rechte des Besitzes zugleich (335-345).

I. Emphyteuta (336). II. Creditor pigneratitius (336). – Grund dieses Besitzes (337). – Nähere Bestimmung desselben (340). – Beweise (341). [L. 16. de usurp. (342). L. 37. de pign. act. (342). L. 7. §. 2. C. de praescr. 30. l. 40. ann. (342). L. 36. de poss. (343). – Literatur (344).]

§. 25. Dritte Classe: Zuweilen mit dem Recht des Besitzes, zuweilen ohne dasselbe (346-350).

Depositum (346). L. 3. §. 20. de possess. (346). L. 39. de possess. (347). L. 17. §. 1. depositi (347). – Precarium (348). [Possessionis Precarium (349).]

§. 26. Erwerb durch fremde Handlungen (350-368).

Eigenthümlichkeit dieses Erwerbs (351). Handlung des Repräsentanten (352).

[L. 1. §. 19. 20. de poss. (351). L. 37. §. 6. de adqu. rer. dom. (353). L. 43. §. 1. de furtis (353). L. 13. de donat. (353).] – Wille des neuen Besitzers selbst


(664) Inhalt.

(Zweyter Abschnitt:)

(§. 26.)

(354). Ignorantis possessio, zweydeutig (354). Juristisches Verhältniß zwischen beiden (355). A) Befehl (355). Sclaven (356). Filiifamilias (358). – Peculiaris causa (358). – B) Auftrag (360). L. 51. de poss. (362). L. 41. de usurp. (362). L. 13. pr. de adqu. rer. dom. (363). L. 1. C. de poss. (365). Der Satz galt schon zur Zeit des Labeo, und nicht erst seit Sever (364). Nähere Bestimmungen (364). [Paulus V. 2. §. 2. (366). L. 42. §. 1. de poss. (366).]

§. 27. Constitutum possessorium (368-369). L. 18. pr. de poss. (370). – Begriff des Constitutum (371). – Es ist in der Regel nicht anzunehmen (371). L. 48. de poss. (372). – Ausnahmen: A) Schenkung und Pacht in derselben Handlung (373). – B) Vorbehalt des ususfructus (373). C) Pignus precario rogatum (374). – D) Societas universorum bonorum (374). – Literatur (375).

§. 28. Resultate dieses Abschnitts (376-378). Bloß juristische Handlungen geben den Besitz nicht (376). Erbschaft (376). Mancipation (377). – Bloß juristische Gründe verhindern den Besitz nicht (378). [L. 22. de poss. (378).]

Dritter Abschnitt: Verlust des Besitzes (381-444).

§. 29. Einleitung (381).

Bestimmung der Fortdauer und des Verlustes gleichbedeutend (381). – Regel des Verlustes aus dem Begriff des


(665) Inhalt.

(Dritter Abschnitt:)

(§. 29.)

Besitzes abgeleitet: Factum allein, und Animus allein, ist zum Verluste hinreichend (383).

§. 30. Historische Untersuchung dieser Regel (384).

L. 44. §. 2. de poss. (384). L. 153. de R. I. (385). [L. 8. de poss.] (385). Gewöhnliche Erklärung verworfen (387). – „Utrumque“ (387, auch 389 Not. 1). L. 16. de leg. 2. (390). L. 8. §. 5. C. de bonis quae lib. (390). L. 3. C. comm. divid. (391). L. 1. §. 3. uti poss. (391). – Logischer Zusammenhang jener Stelle (391-394). – Uebersicht über die folgenden §§. (395).

§. 31. Verlust durch äußere Begebenheit (395-416).

Bewegliche Sachen von Anderen occupirt (396), oder an einem unzugänglichen oder unbekannten Orte (397) [Custodia (398).] L. 47. de poss. (398). L. 3. §. 13. de poss. (398). Zahme Thiere (400) [Sclaven (400)]. Wilde Thiere (400) [L. 3. §. 14. 15. de poss. (401).] Gezähmte Thiere (401). – Unbewegliche Sachen (402-416). Bloße Abwesenheit hebt nicht den Besitz auf (407) [Saltus hiberni et aestivi (407).] – Durch eine besondere Ausnahme wird selbst durch fremde Occupation des Grundstücks, ohne des Besitzers Bewußtseyn, der Besitz nicht verloren (408). Folgen des Satzes (408). Beweise, mit Rücksicht auf die Geschichte des Satzes (411). [L. 46. de possess. (411). L. 3. §. 7. 8. de possess. (411). L. 18. §.


(666) Inhalt.

(Dritter Abschnitt:)

(§. 31.)

3. 4. de poss. (412). L. 25. §. 2. de poss. (413).] L. 6. §. 1. (414). L. 7. de poss. (414). – Resultate für den Verlust durch äußere Begebenheit (415).

§. 32. Verlust durch Animus (416-426). Regel für diesen Verlust (417.). – Persönliche Unfähigkeit dazu (418). L. 29. de poss. (418). L. 11. de adqu. rer. dom. (418). Ausdehnung dieser Unfähigkeit (419). [Animo desinere possidere (420)]. – Beweis des Animus non possidendi durch Interpretation (421): A) Constitutum (422). B) Rei vindicatio? L. 12. §. 1. de poss. (422. vgl. 469). C) Bloße Unterlassung (424). [L. 37. §. 1. de usurp. (424). L. 4. C. de poss. (425). Saltus hiberni et aestivi (426).]

§. 33. Fortsetzung des Besitzes durch Repräsentanten (426).

Was muß der Besitzer selbst thun? (426). – Verhältniß zwischen ihm und dem Repräsentanten (427). – Was muß der Repräsentant thun? (429.). A) Verlust an den Repräsentanten (429). L. 20. de poss. (430). Ausnahmen, die für diesen Fall gelten (430). [L. 67. pr. de furtis (431). L. 47. de poss. (432). L. 3. §. 18. eod. (433).] – B) Verlust durch den Repräsentanten (434-444). Fälle, die nie bestritten worden sind (435. 436). Streitige Fälle (437). L. 40. §. 1. de poss. (437). L. 3. §. 6-9. de poss. (439). L. 12. C. de poss. (442).

Vierter Abschnitt: Interdicte (445-573).

Quellen und Schriftsteller (445).


(667) Inhalt.

(Vierter Abschnitt:)

§. 34. Begriff der Interdicte (446-451).

Verhältniß zu den actiones (446). – Sie sind, wie diese, extraordinaria judicia geworden (449). – Das Eigenthümliche dieses Prozesses ist unpraktisch; summarisch war derselbe auch im früheren Recht nicht (451).

§. 35. Possessorische Interdicte (452-465).

Begriff: Klagen aus dem Recht des Besitzes (452). – Interdicta adipiscendae possessionis? sie sind nicht possessorische Klagen, ja sie machen überhaupt keine eigene Classe von Klagen aus (454). [Paulus III. 5. §. 18. (454).] – Muß bey den possessorischen Interdicten der gegenwärtige Besitz erwiesen werden, oder nur der frühere Erwerb des Besitzes? (461-465).

Zusatz der 6. Ausgabe (457-461).

§. 36. Die possessorischen Interdicte sind nicht provisorische Vindicationen (465-472).

Begriff der provisorischen Rechtsmittel (465). [Etymologie des Isidor und der Interpretatio (466).] – Der Irrthum ist schon durch die bisherige Darstellung widerlegt (467). – Besondere Veranlassungen des Irrthums (467). [Manus consertae (468).] L. 12. §. 1. de poss. (469). – Uebersicht über den vierten Abschnitt (471).

§. 37. Interdicta retinendae possessionis im Allgemeinen (472-485).

Schriftsteller (472).

Historische Einleitung (472-477). Bedingungen: 1) Besitz (477). 2) Gewaltsame Verletzung (477). 3) Gegenwärtige Dauer des Besitzes (478). [L. 11. de vi (479).] –


(668) Inhalt.

(Vierter Abschnitt:)

(§. 37.)

Zweck (480). Sie sind Interdicta duplicia; wer beweißt, wenn der Beklagte nur den Mitbesitz behauptet? (481-485).

§. 38. Interdictum uti possidetis (486-492).

Quellen (486).

Bedingungen (486): Possessio civilis? (486) [Cuperus] (486). Gegenwärtiger Besitz (487). – Wirkung (488). Caution [L. un. C. uti poss.] (489). – Exceptionen: 1) vi, clam, precario possidere (490). 2) Verjährung (492).

§. 39. Interdictum Utrubi (492-505).

Quellen (492).

Bedingungen (493): Possessio civilis? (493). [Cuperus (493).] Besondere Bedingung des Besitzes, von Justinian aufgehoben (493). Gegenwärtiger Besitz nach Justinian, nicht nach dem älteren Recht (494). Unächte Gründe für diesen Satz des ältern Rechts: L. 3. §. 5. 12. ad exhib. (495). L. 14. C. de agricolis [Cod. Th. V. 23.] (497). Petron. Cap. 13. (499). Aechte Gründe (499): Innere Nothwendigkeit (500). – Dennoch war es kein int. recuperandae poss. (500). Paulus V. 6. §. 5. (501). Indessen ist es praktisch demselben verwandt (502). – Wirkung (503). – Exceptionen: 1) vi, clam, precario possidere (504). [und zwar ab adversario, selbst nach dem älteren Recht (504)]. 2) Verjährung? (505).

§. 40. Interdictum de vi (505-547).

Quellen und Schriftsteller (505. 506).

Vis quotidiana, [civilis? festucaria? manus consertae?] armata: fast aller Unterschied


(669) Inhalt.

(Vierter Abschnitt:)

(§. 40.)

aufgehoben (507-510). – Bedingungen des Interdicts: 1) Besitz [? Cicero pro Caec. C. 31. 32.] (510-515). 2) Vis atrox (515). 3) Der Beklagte selbst muß die Gewalt zugefügt haben. Ausnahmen (516-518). 4) Dejectio, d. h. Verlust des Besitzes durch Gewalt [L. 5. de vi, L. 17. eod., L. 3. §. 9. eod. (519-522).] 5) Unbewegliche Sache; historische Erklärung des Satzes, besonders aus dem int. Utrubi (522-527). Durch die Constitutionen ist er aufgehoben (527-524). Vertheidigung dieser Ansicht gegen Thibaut (529-535). – Wirkung: A) Restitution (535). [L. 1. §. 42. de vi (535)] B) Interesse [Usucapion? L. 71. §. 1. de furtis (538).]. [Iuramentum Zenonianum (539)]. – Exceptionen [Vis armata (540).]: 1) Vi, clam, precario, possidere (540). Cic. ep. ad fam. VII. 13. Ausnahme bey vis armata (541). Grund der Regel (541). Justinian hat die Exception verworfen: historische Erklärung (541. 542). In den Pandekten sind nur noch indirecte Beweise für sie übrig: L. 1. §. 30 L. 18. pr., L. 17., L. 14. de vi (543. 544). – 2) Verjährung [Domat]. Ausnahmen (545-546). – 3) exceptio pacti (547). L. 27. §. 4. de pactis (547).

§. 41. Interdictum de clandestina possessione (547-555).

Bedingungen (547-551).

Clandestina possessio (548). [L. 4. pr. pro suo (548).] Ausnahme des Eigenthümers


(670) Inhalt.

(Vierter Abschnitt:)

(§. 41.)

(548). Sie bezieht sich nicht nothwendig auf fremden Besitz (549): das Interdict aber ist nur unter dieser Bedingung möglich (550). Es geht nur auf unbewegliche Sachen (551). Existirt überhaupt ein solches Interdict? (552-555) [L. 7. §. 5. comm. divid. (552).] Historischer Zusammenhang (552-555).

§. 42. Interdictum de Precario (555-565).

Quellen und Schriftsteller (555).

Begriff des Precarium [Paulus V. 6. §. 11. 12.] (556. 557). Injusta possessio? (557). – Bedingungen dieser obligatio (559). – Gegenstand (561). – Exceptionen? (562). – Geschichte des precarii (563-565).

§. 43. Neues Recht aus den Constitutionen? (566-573).

Gewöhnliche Meinung (566). – Directer Gegenbeweis (567). – Erklärung der einzelnen Constitutionen selbst: L. 5. C. unde vi (567). L. 8. C. unde vi (568). L. 11. C. unde vi (569). L. 12. de poss. (572). Tit. Cod. si per vim vel alio modo [Lib. 8. Tit. 5.] (572). – Resultat (573).

Fünfter Abschnitt: Iuris quasi Possessio (574-610).

§. 44. Einleitung (574. 575).

Für den Animus ist hier nichts besonderes zu bestimmen (575).

§. 45. Persönliche Servituten (576-583).

Detention der Sache, hier wie bey dem eigentlichen Besitz (576). [Erwerb des Rechts selbst. L. 3. pr. de usufr.] (576). – Fortsetzung [L. 12. §. 2. de usufr., L. 29.


(671) Inhalt.

(Fünfter Abschnitt:)

(§. 45.)

pr. quib. mod. ususfr.] (579). – Interdicte (580): I) Uti possidetis [L. 4. uti poss. (581)]. II) Utrubi (581). III) Unde vi (582). IV) de clandestina possessione (583). V) de precario (583).

§. 46. Dingliche Servituten (583-608).

Drey Classen (583. 584). Erste Classe: (584). Erwerb (585). Verlust (586). Interdicte (586), die gewöhnlichen Interdicte gelten hier nicht (586-590). I) Int. de itinere: Bedingungen (590-592). Gegenstand (592). Exceptionen [L. 3. §. 2. de itinere] (594-596). – II) Int. de reficiendo itinere [unpractisch] (596-598). III) Int. de aqua: Bedingungen (598). Gegenstand (599). Exceptionen (600). – IV) Int. de rivis (600). – V) Int. de fonte (600).

Zweyte Classe (601).

Dritte Classe [Negative Servituten]; Erwerb des Besitzes [verschiedene Beziehungen der Frage] (601-605). Verlust (605). Interdicte für die zweyte und dritte Classe (605). [Int. de cloacis (606).] [L. 86. de V. S. (607).]

§. 47. Superficies (608-610).

Sechster Abschnitt: Modificationen des Römischen Rechts (611-654).

§. 48. Einleitung (611. 612).

§. 49. Begriff des Besitzes (612-619).

Ausübung jedes Rechts überhaupt (613). – Richtige Beziehung auf kirchliche und publicistische Rechte (613-616). – Familienrecht? (616-618). – Obligationenrecht? (618).


(672) Inhalt.

(Sechster Abschnitt:)

§. 50. Spolienklage (619-635).

Schriftsteller (619). – Can. redintegranda (621). – Vorgeblicher Inhalt der Stelle (622. 623). – Wahrer Inhalt (623-626). – Entstehung der falschen Interpretation? (626). – Andere Bestimmungen des Canonischen Rechts über possessorische Rechtsmittel: 1) C. 18. X. de restit. spoliat. (627. 628). 2) Exceptio spolii (628-630).

Zusatz der 6. Ausgabe (630-635).

§. 51. Possessorium Summariissimum (635-654).

Entstehung (635-640). [Erklärung aus dem Römischen Recht? (636).] – Beschaffenheit, aus jener Entstehung abgeleitet (640). Bestätigung des Instituts und dieser Ansicht durch die Reichsgesetze (640-645). – Possessorium ordinarium. [C. 9. X. de probat.] (645-649).

Zusatz der 6. Ausgabe (649-653).

§. 52. Resultat des sechsten Abschnitts (654).


(673) Quellen = Register.

Die Sternchen zeigen die Stellen an, zu deren Erklärung oder Critik etwas beygetragen ist. Die eingeklammerten Zahlen gehen auf die Seiten.

I. Vorjustinianeische Rechtsquellen.

Cicero pro Caecina:

c. 8 (510. 540)

c. 12 (63. 64. 637)

c. 16 (404. 515)

c. 17 (519)

c. 19 (510)

c. 21 (510)

c. 22 (540)

c. 28 (510)

c. 29 (510)

c. 30 (519)

c. 31 (508. 511. 519)

* c. 32 (327. 362. 508. 510. 511. 518. 540. 541)

– pro Tullio: (506)

c. 13 (204)

c. 29 (516)

c. 30 (517)

c. 44 (513. 517. 540. 541)

c. 46 (517)

Cicero in Verrem:

Act. 2. lib. 1. c. 45 (107)

Act. 2. lib. 3. c. 11 (110)

– in Rullum: III. 3. (553)

– de oratore:

Lib. 3 c. 31 (204)

– de officiis:

Lib. 3 c. 15 (389)

– Epistolae ad Fam.

* Lib. 7 ep. 13 (540)

Lib. 15 ep. 16. (546)

Gaii Institutiones:

Lib. 1 § 52 (82)

Lib. 2 § 52-61 (75)

Lib. 2 § 55 (538)

Lib. 2 § 56 (538)

Lib. 2 § 59 (338)

Lib. 2 § 60 (565)

Lib. 2 § 90 (359)

Lib. 2 § 94 (357)

Lib. 2 § 95 (364)

Lib. 4 § 16 (508)


(674) Quellen = Register.

Lib. 4 §. 91 (508)

Lib. 4 §. 94 (508)

Lib. 4 § 119 (541)

Lib. 4 § 138 sq. (445)

Lib. 4 § 139 (211. 447)

Lib. 4 § 141 (448)

Lib. 4 § 142 (456)

Lib. 4 § 143 (455. 456)

Lib. 4 § 145 (457)

Lib. 4 § 146 (457)

Lib. 4 § 148 (500)

Lib. 4 § 149 (493)

* Lib. 4 § 150 (494. 501. 526. 550)

Lib. 4 § 151 (494)

Lib. 4 § 152 (493. 499)

Lib. 4 § 154 (506. 541)

Lib. 4 § 155 (506. 541)

Lib. 4 § 160 (481. 482)

Lib. 4 § 167 (451)

Ulpiani fragmenta:

Tit. 19 § 1 (586)

Tit. 19 § 3 (313)

Tit. 19 § 6 (377)

Tit. 19 § 7 (165. 313)

Tit. 19 § 11 (577. 586. 602)

Tit. 19 § 20 (176)

Tit. 19 § 21 (116. 136)

Tit. 25 § 12 (449)

Tit. 28 § 12 (219)

Pauli sentent. receptae:

Lib. 2 Tit. 1. § 5 (447)

* Lib. 3 Tit. 5 § 18 (454)

Lib. 5 Tit. 2 § 1 (185. 225. 355)

* Lib. 5 Tit. 2 § 2 (360. 366)

Lib. 5. Tit. 6. § 1 (494. 500. 504)

Lib. 5 Tit. 6 §. 1 (Int. Goth. (466. 500. 504))

Lib. 5 Tit. 6 § 4 (405)

Lib. 5 Tit. 6 § 5 (501. 502. 522)

Lib. 5 Tit. 6 § 6 (402. 406)

Lib. 5 Tit. 6 § 7 (541)

Lib. 5 Tit. 6 § 7. (Int. Goth. 565)

Lib. 5 Tit. 6 § 8 (537)

Lib. 5 Tit. 6 § 9 (599)

Lib. 5 Tit. 6 § 10. 11. 12 (557. 558. 560)

Fragmenta vaticana:

* § 90-93 (580)

§ 293 (494)

§ 397 (247)

§ 311 (494)

§ 314 (247)

Codex Gregorianus:

Const. 1 Lib. 3 Tit. 4 (25)

Codex Hermogenianus:

Tit. 2 (33)

Codex Theodosianus:

Lib. 2 Tit. 1 de jurisd. L. 8 (568)

Lib. 2 Tit. 16 fin. reg.

L. 1 (567)

L. 2 (528)

Lib. 4 Tit. 22 unde vi.

L. 1 (546)

L. 3 (528)

Lib. 4 Tit. 23 utrubi. (492)

 


(675) Quellen = Register.

Lib. 8 Tit. 12 de donat.

L. 2 (368)

L. 8. 9. (373)

Lib. 8 Tit. 18 de matern. bon.

* L. 2 (25)

Nov. Theodos. (Valent.) tit. 19 (528)

II. Justinianeische Rechtsquellen.

A. Institutionen.

Lib. 1 Tit. 8 de his qui sui.

* § 1 (82)

Lib. 2 Tit. 1 de rer. divis.

§ 13 (249)

§ 14 (401)

§ 15 (402)

§ 29 (308)

§ 35 (24. 316)

§ 44 (276)

§ 45 (250)

Lib. 2 Tit. 3 de serv. praed.

§ 4 (577. 602)

Lib. 2 Tit. 4 de usufr.

§ 1 (577)

Lib. 2 Tit. 6 de usucap.

§ 7 (424)

Lib. 2 Tit. 9 per quas pers.

pr. (226)

§ 4 (133. 136. 327)

§ 5 (12. 226. 364. 365)

Lib. 3 Tit. 20 de inutil. stip.

§ 10 (284)

Lib. 3 Tit. 25 de locat.

§ 3 (122)

Lib. 3 Tit. 30 quib. mod. toll. obl.

* § 2 (86)

Lib. 4 Tit. 1. de obl. quae ex del.

§15 (538)

Lib. 4 Tit. 2 vi bon. rapt.
§ 1 (523. 528)

Lib. 4 Tit. 6 de action.

§ 2 (109)

Lib. 4 Tit. 15 de interd.

§ 1 (456)

§ 2 (455. 456)

§ 4 (15. 24. 88. 99. 467. 486. 491. 492)

§ 5 (87. 88)

§ 6 (88. 91. 541)

§ 7 (481. 482)

§ 8 (450)

Theophilus in §. 40 I. de div. rer. (116)

Theophilus in §. 4. per quas pers. (113)

Theophilus in §. 2. quib. mod. toll. obl. (111)

Theophilus pr. de interd. (448)

Theophilus in § 4 de interd. (499)

Theophilus * in §. 5 de interd. (155)

B. Pandekten.

Lib. 1 Tit. 1 de just. et jur.

L. 3 (65)

Lib. 1 Tit. 2 de orig. jur.

L. 2 § 5 (12. 61)

L. 2 § 12 (61)

Lib. 1 Tit. 6 de his qui sui.

* L. 1 (82)


(676) Quellen = Register.

Lib. 1 Tit. 7 de adopt.

L. 13 (68)

Lib. 2 Tit. 8 qui satisd. cog.

L. 11 (192)

L. 12 (192)

L. 15 § 1 (106. 123)

L. 15 § 2 (342. 374)

Lib. 2 Tit. 14 de pactis.

* L. 27 § 4 (49. 547)

Lib. 3 Tit. 5 de neg. gest. L. 24 (365)

Lib. 4 Tit. 2 quod met. caus.

L. 1 (516)

L. 2 (516)

L. 3 § 1 (516)

L. 9 pr. (403. 404. 520)

L. 12 § 2 (528)

L. 13 (528)

L. 14 § 11 (537)

Lib. 4 Tit. 3 de dolo.

L. 31 (437)

Lib. 4 Tit. 4. de minoribus.

L. 50 (312)

Lib. 4 Tit. 6 ex quib. caus. maj.

* L. 19 (26. 137)

L. 23 § 2 (210)

L. 23 § 3 (359)

L. 30 pr. (377)

Lib. 4 Tit. 7 de alien. jud. mut.

L. 4 § 1. 2 (419)

Lib. 5 Tit. 1 de judiciis.

L. 13 (485)

* L. 62 (109)

Lib. 5. Tit. 3 de hered. pet.

L. 9 (108)

L. 16 § 4 (108)

Lib. 5. Tit. 3 de hered. pet.

L. 16 § 7 (108)

L. 18 § 1 (108)

L. 34 § 1 (109)

L. 35 (108)

Lib. 5 Tit. 4 si pars hered.

L. 10 (109)

Lib. 6 Tit. 1 de rei vind.

L. 8 (298)

* L. 9 (60. 89. 199)

L. 23 § 2 (311)

L. 23 § 5 (311)

L. 23 § 6 (308)

L. 23 § 7 (308)

L. 24 (467)

L. 46 (274)

* L. 47 (274)

L. 49 pr. (302)

L. 59 (308)

L. 73 (334)

L. 75 (334)

L. 77 (235. 373)

Lib. 6 Tit. 2 de Publician.

L. 11 § 1 (54. 586. 602)

L. 11 § 3 (319)

L. 11 § 4 (319)

L. 11 § 6 (305)

L. 12 § 2. 3 (54)

L. 13 § 1 (102)

L. 15 (356)

Lib. 6 Tit. 3 si ager vect.

* Rubr. (123)

L. 1 pr. (121)

L. 1 § 1 (121)

L. 3 (121)

Lib. 7 Tit. 1 de usufr.

L. 3 pr. (576)

* L. 12 § 2 (577. 583)

L. 12 § 3. 4 (577)

 


(677) Quellen = Register.

L. 13 § 3 (637)

L. 60 pr. (582)

Lib. 7 Tit. 4 quib. mod. ususfr.

L. 1 pr. (219)

L. 4 (219)

L. 13 (313. 315)

L. 29 pr. (579)

L. 29 § 2 (219)

Lib. 7 Tit. 6 si usufr. petatur.

L. 3 (219)

Lib. 8 Tit. 1 de servitutibus.

* L. 20 (585. 588)

Lib. 8 Tit. 2 de S. P. U.

L. 20 pr. (601)

L. 20 § 2 (302)

L. 32 § 1 (210)

Lib. 8 Tit. 3 de S. P. R.

L. 1 § 2 (586)

Lib. 8 Tit. 4 commun. praed.

L. 2 (210)

L. 17 (302)

Lib. 8 Tit. 5 si serv. vind.

L. 6 § 1 (603)

L. 8 § 5 (606)

L. 10 pr. (210)

Lib. 8 Tit. 6 quemadm. serv. am.

L. 12 (607)

* L. 25 (585)

Lib. 9 Tit. 2 ad L. Aquil.

L. 11 § 6 (534)

L. 11 § 10 (534)

L. 28 § 1 (523)

L. 50 (302)

Lib. 9 Tit. 4 de noxal. act.

L. 22 § 1 (102)

Lib. 10 Tit. 1 fin regund.

L. 10 (482)

Lib. 10 Tit. 3 commun. divid.

L. 2 § 1 (485)

L. 7 § 5 (545. 552)

L. 7 § 8 (102)

L. 12 (479)

Lib. 10 Tit. 4 ad exhibend.

* L. 3 § 5 (495)

L. 3 § 9 (496. 523)

L. 3 § 10 (496. 523)

L. 3 § 11 (496. 523)

* L. 3 § 12 (495)

L. 3 § 14 (496)

* L. 3 § 15 (67. 72. 89. 95. 342)

L. 4 (69)

L. 5 (69)

L. 5 § 1 (496)

L. 6 (310)

* L. 7 § 1 (83. 311)

* L. 7 § 2 (83)

L. 7 § 3 (367)

* L. 15 (259. 266. 479)

Lib. 12 Tit. 1 de reb. credit.

* L. 9 § 9 (277. 346)

L. 10 (277)

L. 11 pr. (275)

L. 15 (275)

Lib. 13 Tit. 3 de condict. tritic.

* L. 1 pr. (124)

Lib. 13 Tit. 4 de eo quod certo loc.

L. 2 pr. (389)

Lib. 13 Tit. 6 commodati.

L. 1 § 1 (562)


(678) Quellen = Register.

* L. 5 § 15 (188)

L. 8 (322)

Lib. 13. Tit. 7 de pign. act.

L. 11 § 6 (363. 368)

L. 21 (302)

L. 26 pr. (337)

L. 29 (344. 350)

L. 35 § 1 (29. 129. 342)

L. 37 (324. 342)

L. 40 § 2 (87)

Lib. 16 Tit. 3 depositi.

L. 15 (29)

* L. 17 § 1 (347)

Lib. 17 Tit. 1 mandati.

L. 34 pr. (275)

Lib. 17 Tit. 2 pro socio.

L. 1 § 1 (374)

L. 2 (374)

Lib. 18 Tit. 1 de contrah. emt.

L. 34 § 4 (29)

* L. 74 (252)

Lib. 18 Tit. 4 de her. v. act. vend.

L. 5 (387)

Lib. 18 Tit. 6 de peric. et com. r. v.

L. 1 § 2 (244. 251. 371)

L. 14 § 1 (244. 251)

Lib. 19 Tit. 1 de act. emt.

L. 2 § 1 (205)

Lib. 19 Tit. 2 locati.

L. 25 § 5 (480)

L. 60 § 1 (436. 488)

Lib. 19 Tit. 5 de praescr. verbis.

L. 17 pr. (562)

Lib. 20 Tit. 1 de pignor.

L. 23 pr. (342)

Lib. 20 Tit. 6 quib. mod. pign.

* L. 12 § 1 (124)

Lib. 21 Tit. 2 de evict.

L. 36 (312)

L. 62 pr. (277)

Lib. 22 Tit. 1 de usur.

L. 25 § 1 (124. 313. 315. 319)

L. 25 § 2 (319)

L. 38 § 10 (61. 87)

Lib. 22 Tit. 3 de probat.

L. 21 (15)

Lib. 22 Tit. 3 de probat.

L. 21 (15)

Lib. 22 Tit. 6 de jur. et fact. ign.

L. 7 (423)

Lib. 23 Tit. 3 de jur. dot.

L. 9 § 3 (254)

Lib. 23 Tit. 5 de fundo dot.

L. 16 (312)

Lib. 24 Tit. 1 de don. int. v. et u.

L. 3 § 12 (248)

* L. 26 pr. (71. 73. 170)

* L. 46 (174. 493)

Lib. 25 Tit. 4 de inspic. ventre.

L. 1 § 1 (450)

Lib. 25 Tit. 5 si ventr. nom.

L. 1 § 2 (450)

Lib. 26 Tit. 7 de admin. tut.

L. 1 § 2 (284)

Lib. 26 Tit. 8 de auct. et cons. tutor.

L. 9 pr. (284)


(679) Quellen = Register.

Lib. 27 Tit. 9 de reb. eor. qui sub tut.

L. 3 § 4 (121. 123)

L. 3 § 5 (121)

Lib. 28 Tit. 1 qui test. facere poss.

L. 22 (110)

Lib. 30 de legat. I.

L. 71 § 5 (183)

L. 71 § 6 (183)

Lib. 31 de legat. II.

L. 16 (390)

Lib. 32 de legat. III.

* L. 67 (407)

Lib. 33 Tit. 2 de usu et usufr. leg.

L. 29 (219)

Lib. 36 Tit. 1 ad SC. Trebell.

L. 67 § 1 (457)

L. 67 § 2 (457)

Lib. 36 Tit. 4 ut in poss. leg.

L. 5 § 27 (450)

Lib. 37 Tit. 1 de bon. poss.

L. 1 (110)

L. 3 (110)

L. 3 § 1 (219)

L. 5 (110)

Lib. 37 Tit. 3 de B. P. furioso.

L. 2 (110)

Lib. 37 Tit. 5 de B. P. contra tab.

L. 1 (110)

L. 3 (110)

Lib. 37 Tit. 11 de B. P. secund. tab.

L. 1 (110)

Lib. 37 Tit 15 de obseq.

L. 2 § 1 (509)

L. 7 § 2 (509)

Lib. 38 Tit. 6 si tab. test. null.

L. 6 (110)

Lib. 38 Tit. 10 de gradib.

L. 4 § 2 (61)

* L. 10 § 13 (389)

Lib. 39 Tit. 1 de oper. nov. nunt.

L. 3 § 1 (447)

L. 3 § 2 (447)

L. 5 § 10 (447)

L. 15 (602)

Lib. 39 Tit. 2 de damn. inf.

* L. 7 pr. (85. 219. 325)

L. 15 § 12 (302. 325)

L. 15 § 16 (219. 325)

L. 15 § 17 (219. 325)

L. 18 § 15 (219. 325)

L. 38 (278)

L. 45 (602)

Lib. 39 Tit. 5 de donat.

L. 2 (278)

* L. 13 (353)

L. 27 (582)

L. 31 § 1 (242. 248)

Lib. 40 Tit. 12 de lib. causa

L. 25 § 2 (357)

Lib. 41 Tit. 1 de adquir. rer. dom.

L. 3 § 2 (400)

L. 4 (402)

L. 5 pr. (400)

L. 5 § 1 (249)

L. 5 § 4 (402)

L. 5 § 5 (402)


(680) Quellen = Register.

(Lib. 41 Tit. 1 de adquir. rer. dom.)

L. 7 § 11 (308)

L. 9 § 5 (276)

L. 9 § 6 (250)

* L. 10 § 1 (83)

L. 10 § fin. (327)

L. 11 (61. 418. 494)

L. 13 pr. (363)

L. 13 § 1 (367)

L. 19 (136)

* L. 20 § 2 (12. 360)

* L. 21 pr. (356. 357)

L. 21 § 1 (274)

L. 23 § 1 (319)

L. 23 § 2 (136)

L. 31 § 1 (257. 318)

* L. 37 § 6 (353)

L. 48 pr. (315. 319)

L. 48 § 1 (318)

* L. 53 (26. 360. 363)

L. 54 § 4 (136. 356)

L. 55 (249)

* L. 59 (353)

Lib. 41 Tit. 2 de acquir. possessione.

* L. 1 pr. (98. 152)

L. 1 § 1 (60)

L. 1 § 3 (26. 282. 283)

L. 1 § 4 (71. 73. 101. 170)

L. 1 § 5 (355. 358. 359)

L. 1 § 6 (133. 186. 356. 357. 361)

L. 1 § 8 (327. 357)

L. 1 § 9 (352)

L. 1 § 10 (352)

L. 1 § 11 (284)

(Lib. 41 Tit. 2 de acquir. possessione.)

L. 1 § 14 (356)

L. 1 § 15 (66. 344. 357)

* L. 1 § 19 (352)

* L. 1 § 20 (293. 367)

* L. 1 § 21 (234. 241. 248. 251. 248. 352)

L. 1 § 22 (367)

L. 2 (367)

L. 2 pr. (561)

L. 3 pr. (208)

L. 3 § 1 (111. 225. 236. 244)

L. 3 § 2 (301)

* L. 3 § 3 (60. 86. 259. 265. 266. 270. 275. 428)

* L. 3 § 5 (103. 185)

* L. 3 § 6 (384. 385. 417. 439 ff.)

* L. 3 § 7 (411. 439 ff.)

* L. 3 § 8 (254. 306. 411. 437. 439. 520)

* L. 3 § 9 (439. 520)

L. 3 § 10 (357)

L. 3 § 12 (355. 358)

* L. 3 § 13 (87. 384. 395. 397. 398. 399. 400)

* L. 3 § 14 (401)

* L. 3 § 15 (401. 402)

L. 3 § 16 (402)

L. 3 § 17 (134)

L. 3 § 18 (433)

L. 3 § 19 (78)


(681) Quellen = Register.

(Lib. 41 Tit. 2 de acquir. possessione.)

L. 3 § 20 (78. 322. 346)

* L. 3 § 21 (93)

L. 3 § 23 (103. 219. 325. 326)

L. 4 (358)

L. 4 § 18 (525)

L. 6 pr. (193. 548)

L. 6 § 1 (193. 412. 414. 522)

* L. 7 (412. 414)

* L. 8 (225. 385)

L. 8 § 3. 5. 6 (561)

L. 9 (322. 427)

L. 10 (423)

* L. 10 pr. (349)

* L. 10 § 1 (85. 184. 325. 349)

* L. 12 pr. (211. 328)

* L. 12 § 1 (39. 422. 469)

L. 13 (385. 493)

L. 13 pr. (397. 400)

* L. 13 § 7 (198. 348)

L. 13 § 9 (199)

L. 15 (396. 397. 400. 427)

L. 16 (73. 74)

* L. 17 pr. (192)

* L. 17 § 1 (199. 384. 417. 441)

L. 18 pr. (111. 370)

L. 18 § 1 (281)

* L. 18 § 2 (116. 236. 253)

* L. 18 § 3 (412)

* L. 18 § 4 (412)

(Lib. 41 Tit. 2 de acquir. possessione.)

L. 19 § 1 (178)

* L. 20 (430)

* L. 21 § 3 (439)

* L. 22 (378)

L. 23 pr. (376)

L. 23 § 1 (137)

L. 23 § 2 (133)

L. 24 (67. 74. 80. 86. 136. 358. 396)

L. 25 pr. (397)

L. 25 § 1 (323. 436)

* L. 25 § 2 (413)

* L. 26 (299. 300)

L. 27 (420)

L. 28 (29. 343)

* L. 29 (384. 418. 420)

L. 30 (437)

* L. 30 pr. (255)

L. 30 § 1 (134)

* L. 30 § 2 (326)

L. 30 § 3 (134. 135. 136. 396)

L. 30 § 4 (133. 308. 396. 417)

L. 30 § 5 (362)

L. 30 § 6 (428)

* L. 31 (290. 437)

L. 32 pr. (361)

* L. 32 § 1 (439)

* L. 32 § 2 (284. 285. 286. 292. 293)

* L. 34 pr. (417)

L. 34 § 2 (360)

L. 35 (467)

* L. 36 (341. 343. 350)

* L. 37 (29. 342)

L. 38 pr. (133)

 


(682) Quellen = Register.

(Lib. 41 Tit. 2 de acquir. possessione.)

* L. 38 § 1 (278)

* L. 39 (347)

L. 40 pr. (342. 427)

* L. 40 § 1 (436. 437. 438)

L. 40 § 2 (548. 549)

L. 40 § 3 (549)

* L. 42 § 1 (366)

* L. 44 pr. (25. 259. 266. 270. 397)

L. 44 § 1 (358)

* L. 44 § 2 (384. 437. 438)

L. 46 (411)

* L. 47 (398. 400. 432)

* L. 48 (372)

* L. 49 pr. (27. 357)

* L. 49 § 1 (85. 135. 136)

L. 49 § 2 (365)

L. 50 pr. (358)

L. 50 § 1 (356)

L. 51 (242. 352. 362)

* L. 52 pr. (39. 328)

* L. 52 § 1 (479)

* L. 52 § 2 (238)

L. 53 (491)

Lib. 41 Tit. 3 de usurp. et usuc.

L. 4 § 1 (135)

L. 4 § 6 (365)

L. 4 § 12 (379)

L. 4 § 22 (403)

L. 4 § 26 (379)

L. 4 § 27 (210. 519. 520. 587)

(Lib. 41 Tit. 3 de usurp. et usuc.)

L. 4 § 28 (511)

L. 5 (91. 193)

L. 15 pr. (137. 359)

L. 15 § 1 (400)

* L. 16 (60. 70. 342. 343)

L. 21 (29)

* L. 23 pr. (302. 306)

L. 23 § 1 (312)

L. 23 § 2 (309)

* L. 25 (91. 303.)

* L. 26 (303)

* L. 30 § 1 (308. 311. 312)

L. 31 § 2 (360)

L. 31 § 3 (358)

* L. 32 § 2 (300)

L. 33 pr. (318)

* L. 33 § 1 (75. 78)

* L. 33 § 2 (463)

L. 33 § 4 (346. 438)

L. 33 § 5 (337. 344)

L. 33 § 6 (350. 427)

* L. 37 § 1 (424)

L. 41 (362. 365)

L. 44 § 4 (135)

L. 44 § 7 (135. 359)

L. 47 (358. 365)

Lib. 41 Tit. 4 pro emtore.

L. 2 § 6 (305)

L. 2 § 15 (420)

L. 2 § 16 (420)

L. 2 § 21 (178)

L. 7 pr. (437)

L. 12 (337)

 


(683) Quellen = Register.

Lib. 41 Tit. 5 pro herede.

* L. 2 § 1 (61. 78. 100)

L. 2 § 2 (60)

Lib. 41 Tit. 6 pro donat.

* L. 1 § 2 (73. 75. 78. 101)

Lib. 41 Tit. 10 pro suo.

L. 4 pr. (548. 549)

Lib. 42 Tit. 2 de confess.

L. 6 § 2 (448)

Lib. 42 Tit. 4 quib. ex c. in poss.

L. 7 § 1 (336)

L. 12 (326)

Lib. 42 Tit. 8 quae in fraud. cred.

L. 10 pr. (457)

Lib. 43 Tit. 1 de interd.

* L. 1 § 3 (32)

L. 2 pr. (481)

L. 2 § 2 (597)

L. 2 § 3 (455. 456. 481. 592)

L. 4 (492)

Lib. 43 Tit. 3 quod legat.

L. 1 § 8 (210)

Lib. 43 Tit. 4 ne vis fiat ei.

L. 1 § 3 (9)

L. 3 pr. (450)

Lib. 43 Tit. 5 de tab. exh.

L. 1 § 1 (450)

L. 5 (378)

Lib. 43 Tit. 8 ne quid in loc. publ.

L. 2 § 38 (25)

Lib. 43 Tit. 14 ut in flum. publ.

L. 1 § 7 (608)

Lib. 43 Tit. 16 de vi.

Rubr. Tit. (506)

L. 1 (509)

L. 1 pr. (536. 543. 545)

L. 1 § 3 (515. 522)

L. 1 § 4 (522)

L. 1 § 5 (522. 610)

* L. 1 § 6 (501. 522)

L. 1 § 7 8 (522)

* L. 1 § 9 (60. 72. 89. 96. 176. 511)

* L. 1 § 10 (72. 88. 89. 90. 96. 511)

L. 1 § 11 (518)

L. 1 § 12 (517)

L. 1 § 13 (517)

L. 1 § 14 (32. 517)

L. 1 § 15 (32. 517. 518)

L. 1 § 16 (518. 536)

L. 1 § 17 (518)

L. 1 § 18 (518)

L. 1 § 19 (518)

* L. 1 § 20 (518)

L. 1 § 21 (518)

L. 1 § 22 (322. 436. 635)

L. 1 § 23 (88. 176. 511)

L. 1 § 24 (406)

L. 1 § 25 (407. 426)

L. 1 § 27 (521)

L. 1 § 28 (528)

* L. 1 § 29 (405. 513)

L. 1 § 30 (544)

L. 1 § 31 (536)

L. 1 § 32 (537)

L. 1 § 33 (536)

L. 1 § 34 (539)

 


(684) Quellen = Register.

(Lib. 43 Tit. 16 de vi.)

L. 1 § 35 (537)

L. 1 § 36 (536)

L. 1 § 37 (537)

L. 1 § 38 (539)

L. 1 § 39 (545)

L. 1 § 40 (537)

L. 1 § 41 (536)

L. 1 § 42 (535)

L. 1 § 43 (509)

* L. 1 § 45 (189. 429. 519)

L. 1 § 47 (402)

L. 1 § 48 (518)

L. 2 (518)

L. 3 (32. 509. 518)

L. 3 § 1 (545)

L. 3 § 6 (404)

L. 3 § 7 (405)

L. 3 § 8 (406)

L. 3 § 9 (521)

L. 3 § 10 (517)

L. 3 § 11 (517)

L. 3 § 12 (517)

L. 3 § 13 (582)

L. 3 § 14 (582)

L. 3 § 15 (582)

L. 3 § 16 (582)

L. 3 § 17 (210. 582)

L. 4 (518)

L. 5 (520)

L. 6 (535)

L. 9 pr. (518)

L. 9 § 1 (582. 583)

L. 10 (583)

* L. 11 (479)

L. 12 (76. 323. 430. 431)

* L. 14 (544)

(Lib. 43 Tit. 16 de vi.)

L. 15 (535)

* L 16 (519. 536)

* L. 17 (18. 410. 520. 521. 544)

L. 18 pr. (76. 323. 544)

L. 19 (32. 537)

L. 20 (635)

Lib. 43 Tit. 17 uti possid.

* L. 1 pr. (32. 192. 477. 486. 491. 492. 507. 550)

L. 1 § 2 (467. 468)

L. 1 § 3 (391. 467. 468)

L. 1 § 4 (177. 190. 455. 487)

L. 1 § 5 (484. 491)

L. 1 § 9 (88. 91. 104. 491)

L. 2 (88. 91. 104. 491. 504)

* L. 3 pr. (192. 194. 484. 550)

L. 3 § 1 (481)

L. 3 § 2 (479)

L. 3 § 3 (479)

L. 3 § 4 (479)

* L. 3 § 7 (331. 609)

L. 3 § 8 (10. 88. 176. 326)

L. 3 § 10 (491. 518. 627)

L. 3 § 11 (490)

L. 4 (580)

Lib. 43 Tit. 18 de superfic.

L. 1 pr. (609)

L. 1 § 2 (609)

L. 2 (120. 302)


(685) Quellen = Register.

Lib. 43 Tit. 19 de itin.

L. 1 pr. (588. 592. 593)

L. 1 § 2 (591)

L. 1 § 3 (591)

L. 1 § 6 (585. 591)

L. 1 § 7 (590)

L. 1 § 8 (590)

L. 1 § 9 (592)

L. 1 § 11 (590)

L. 1 § 12 (593)

L. 2 (593)

L. 3 pr. (593)

L. 3 § 1 (593)

* L. 3 § 2 (594. 596)

L. 3 § 3 (593)

L. 3 § 4 (586. 590)

L. 3 § 5 (592)

L. 3 § 6 (592)

L. 3 § 7 (592)

L. 3 § 8 (592)

L. 3 § 9 (592)

L. 3 § 10 (592)

L. 3 § 11 (597)

L. 3 § 13 (597)

L. 3 § 14 (597)

L. 5 § 4 (597)

L. 6 (592. 593)

L. 7 (585. 591)

Lib. 43 Tit. 20 de aqua.

L. 1 pr. (599. 600)

L. 1 § 10 (599. 600)

L. 1 § 11 (598)

L. 1 § 12 (598)

L. 1 § 13 (598)

L. 1 § 14 (598)

L. 1 § 19 (599)

L. 1 § 20 (600)

(Lib. 43 Tit. 20 de aqua.)

L. 1 § 23 (599)

L. 1 § 24 (598)

L. 1 § 25 (599)

L. 1 § 26 (599)

L. 1 § 27 (599)

L. 1 § 31-36 (599)

L. 3 pr. (598)

L. 4 (599)

L. 6 (599)

Lib. 43 Tit. 21 de rivis.

L. 1 § 9 (600)

L. 3 § 7 (600)

L. 3 § 9 (600)

L. 4 (600)

Lib. 43 Tit. 23 de cloac.

Rubr. Tit. (606)

* L. 1 § 7 (540. 607)

Lib. 43 Tit. 24 quod vi.

L. 1 § 5. 6. 7 (477)

L. 2 pr. (477)

L. 8 (307)

L. 11 § 13 (87)

L. 20 pr. (477)

L. 20 § 1 (477)

Lib. 43 Tit. 26 de precar.

L. 2 pr. (583. 588)

L. 2 § 2 (558)

* L. 2 § 3 (210. 556. 558. 583. 588)

L. 3 (588)

L. 4 pr. (559)

L. 4 § 1 (348)

L. 4 § 2 (560)

L. 4 § 3 (29)

L. 6 § 1 (560)

L. 6 § 2 (176. 323. 327. 348)

L. 6 § 3 (78)


(686) Quellen = Register.

(Lib. 23 Tit. 26 de precar.)

L. 6 § 4 (29. 350)

L. 7 (88)

L. 8 § 4 (562)

L. 8 § 5 (562)

L. 8 § 6 (562)

L. 8 § 7 (562)

L. 8 § 8 (33. 560)

L. 12 pr. (559)

L. 12 § 1 (559)

L. 13 (559)

L. 14 (558)

L. 15 § 1 (558)

L. 15 § 3 (558)

*L. 15 § 4 (197)

L. 17 (491)

* L. 19 pr. (185)

L. 19 § 2 (558)

L. 22 pr. (29. 348)

L. 22 § 1 (558)

Lib. 43 Tit. 30 de lib. exhib.

L. 3 § 3 (449)

Lib. 43 Tit. 31 utrubi.

L. 1 pr. (477. 492. 493. 503)

L. 1 § 1 (494. 504. 505)

Lib. 43 Tit. 32 de migr.

L. 1 § 2 (450)

Lib. 44 Tit. 3 de div. temp. praescr.

L. 11 (560)

L. 14 § 3 (494)

Lib. 44 Tit. 7 de O. et A.

* Rubr. Tit. (34)

L. 16 (344. 350. 359)

L. 28 (110)

* L. 35 pr. (33)

(Lib. 44 Tit. 7 de O et A.)

L. 37 § 1 (481)

L. 44 § 1 (302)

Lib. 45 Tit. 1 de V. O.

* L. 38 § 7 (61. 81. 100)

* L. 38 § 8 (81)

Lib. 46 Tit. 3 de solut.

L. 79 (240)

L. 95 § 4 (104)

L. 96 pr. (457)

L. 98 § 8 (302)

Lib. 46 Tit. 4 de acceptil.

* L. 18 § 1 (86)

Lib. 47 Tit. 2 de furt.

* L. 1 § 2 (431)

L. 12 § 1 (52. 538)

L. 14 § 11 (558)

L. 15 § 1 (53)

L. 15 § 2 (99)

L. 20 § 1 (53)

L. 43 § 1 (353)

L. 46 § 3 (53)

L. 48 § 5 (318)

L. 53 § 4 (523)

L. 54 § 1 (428)

L. 59 (99)

L. 66 pr. (53)

* L. 67 pr. (431)

L. 71 (378)

* L. 71 § 1 (52. 523. 538)

L. 73 (378)

L. 76 § 1 (52)

Lib. 47 Tit. 3 de tign. junct.

L. 1 § 1 (312)

L. 1 § 2 (311)

Lib. 47 Tit. 4 si is qui test. lib.

L. 1 § 15 (281. 376)

 


(687) Quellen = Register.

Lib. 47 Tit. 8 vi bon. rapt.

L. 2 § 18 (523)

* L. 2 § 22 (119. 523)

L. 2 § 23 (523)

* L. 2 § 24 (523)

Lib. 47 Tit. 9 de incend.

* L. 7 (25. 107)

Lib. 47 Tit. 10 de injur.

L. 5 pr. (64)

L. 5 § 2-5 (255)

L. 13 § 7 (608)

Lib. 48 Tit. 4 ad L. Jul. maj.

L. 8 (68)

Lib. 48 Tit. 5 ad L. Jul. de adult.

L. 22 § 2 (255)

L. 23 § 3 (255)

Lib. 48 Tit. 6 ad L. Jul. de vi pub.

L. 5 § 1 (25)

Lib. 48 Tit. 7 ad L. Jul. de vi priv.

L. 7 (528)

Lib. 49 Tit. 15 de captiv.

L. 12 § 2 (359)

L. 22 § 3 (359)

L. 29 (359)

Lib. 50 Tit. 9 de decret. ab ord. fac.

L. 1 (107)

Lib. 50 Tit. 16 de V. S.

L. 13 § 2 (379)

L. 49 (538)

L. 78 (106)

* L. 86 (607)

* L. 115 (220)

L. 156 (493)

L. 178 § 2 (110)

Lib. 50 Tit. 17 de R. I.

L. 5 (284)

* L. 23 (558. 561)

L. 38 (33)

L. 44 (33)

L. 73 § 2 (477)

L. 87 (68)

L. 93 (135)

L. 118 (136)

L. 153 (225)

L. 198 (378)

C. Codex.

Lib. 3 Tit. 19 ubi in rem act.

* L. 2 (25)

Lib. 3 Tit. 39 fin. reg.

L. 4 (528)

Lib. 4 Tit. 17 ex delict. def.

L. un. (33)

Lib. 4 Tit. 19 de probat.

L. 16 (462. 464)

Lib. 4 Tit. 49 de act. emt.

L. 17 (450)

Lib. 4 Tit. 66 de jur. emphyt.

L. 1 (122. 124)

L. 2 (124)

L. 3 (124)

Lib. 5 Tit. 41 de praed. et al. reb. minor.

L. 13 (122)

Lib. 7 Tit. 16 de lib. caus.

L. 5 (25)

Lib. 7 Tit. 32 de possess.

* L. 1 (363. 365)

L. 2 (87)

L. 3 (368)

L. 4 (425)

* L. 8 (13. 239. 360)


(688) Quellen = Register.

(Lib. 7 Tit. 32 de possess.)

* L. 10 (26. 154. 210)

L. 11 (518)

L. 12 (442. 572)

Lib. 8 Tit. 4 unde vi.

L. 1 (17)

L. 2 (545)

L. 4 (537)

* L. 5 (567)

L. 7 (528)

* L. 8 (568)

L. 9 (539)

L. 10 (528)

* L. 11 (567. 569-572)

Lib. 8 Tit. 5 si per vim.

Rubr. Tit. (545)

L. 1 (177. 546. 571)

Lib. 8 Tit. 6 uti possidetis.

L. un. (489)

L. 8 Tit. 9 de precar.

L. 2 (560)

Lib. 8 Tit. 54 de donationibus.

* L. 1 (244)

L. 26 (283. 284. 368)

Lib. 11 Tit. 61 de fund. patrim.

L. 12 (124)

Lib. 11 Tit. 62 de mancip. et col.

L. 2 (124)

 

III. Nachjustinianeische Rechtsquellen.

A. Corpus juris canonici.

1. Decretum Gratiani.

c. 3 C. 2 q. 2 (624. 628)

c. 4 C. 2 q. 2 (619)

c. 5 C. 2 q. 2 (619)

c. 6 C. 2 q. 2 (619)

c. 1 C. 3 q. 1 (619)

c. 2 C. 3 q. 1 (619)

* c. 3 C. 3 q. 1 (620-627. 628)

c. 4 C. 3 q. 1 (619)

2. Decretales Gregorii IX.

Lib. 2 Tit. 10 de ord. cogn.

c. 2. 4. (630)

Lib. 2 Tit. 13 de rest. spol.

c. 8 (616)

c. 10 (616. 618)

c. 13 (616. 618)

* c. 18 (627. 628)

Lib. 2 Tit. 19 de probat.

* c. 9 (202. 464. 627. 645. 649)

3. Liber Sextus Decretalium.

Lib. 2 Tit. 5 de rest. spol.

* c. 1 (628)

c. 2 (615)

B. Deutsche Reichsgesetze.

Ord. Cam. P. 2 Tit. 21 § 3 (640)

Conc. Ord. Cam. P. 2 Tit. 22 § 4. 5 (640)

 


(689) Druckfehler. (im Text bereits eingearbeitet)

Seite 3 Z. 6 statt juridischer lies juristischer.

Seite 26 Z. 1 st. eigentlich l. nämlich.

Seite39 am Ende der Seite sollte unter dem Text ein Strich stehen.

Seite 54 Z. 5 st. usus fructus l. ususfructus.

Seite 61 1te Notenspalte Z. 2 st. Lex l. L.

Seite 70 Z. 13 st. pignore l. pignori

Seite 73 1te N. Col. Z. 6 v. u. st. mußte l. müßte.

Seite 75 Z. 12 st. konnte l. könnte.

Seite 137 2te N. Col. Z. 2 v. u. st. können l. könne.

Seite 137 am Ende der Seite sollte unter dem Text ein Strich stehen.

Seite 157 Z. 11 st. sich l. sie.

Seite 164 Z. 6 v. u. st. 92 l. 94.

Seite 165 Z. 12 v. u. st. 156 l. 155.

Seite 177 Z. 1 fehlt das Parenthesenzeichen.

Seite 182 Z. 5 v. u. st. ; l. ,

Seite 190 Z. 3 fehlt das Zeichen „

Seite 193 Z. 7 ist 187 wegzustreichen.

Seite 194 Z. 6 st. 3 l. 1.

Seite 217 Z. 4 v. u. st. allen l. allem.

Seite 247 Z. 8 2te N. Col. st. konnte l. könnte.

Seite 277 Z. 2 fehlt das Zeichen „

Seite 282 Z. 7 v. u. tutore soll nicht cursiv seyn.

Seite 289 2te N. Col. Z. 6 fehlt das Abtheilungszeichen.

Seite 316 Z. 5 st. 315 l. 313.

Seite 320 Z. 3 v. u. st. 280 l. 281.

Seite 332 Z. 3 fehlt das Zeichen „

Seite 335 2te N. Col. Z. 2 v. u. Schröter gesperrt.

Seite 336 2te N. Col. Z. 3 st. Bulgarus l. B u l g a r u s.

Seite 364 1te N. Col. Z. 4 v. u. st. vel uti l. veluti.

Seite 407 2te N. Col. Z. 4 st. theils im l. theils bloß im.

Seite 425 2te N. Col. Z. 7 st. transmisse l. transmissi.

Seite 436 Note 2 Z. 7 st. extraneos l. extraneus.

Seite 463 Z. 11 st. vorzügliche l. vorzüglich.

Seite 498 Z. 14 st. de l. dem.

Seite 503 Z. 6 st. das l. des.

Seite 511 Z. 3 der 2. Notenspalte st. habe l. gebe.

Seite 513 Z 1 st. aut hoc l. aut in hoc.

Seite 536 ate Notenspalte st. : l. ,

Seite 550 Z. 13 st. Besitzverletzende l. besitzverletzende

Seite 570 Note 3 Z. 2 st. das l. des.

Seite 589 Z. 5 st. denselben l. demselben.