Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft.
Von D. Friedrich Carl von Savigny, ordentl. Professor der Rechte an der Königl. Universität zu Berlin, und ordentl. Mitglied der Königl. Akademie der Wissenschaften daselbst.
Heidelberg,
bey Mohr und Zimmer. 1814.
Inhalt.
Seite
1) Einleitung (1) 98
2) Entstehung des positiven Rechts (8) 101
3) Gesetze und Rechtsbücher (16) 106
4) Römisches Recht (27) 113
5) Bürgerliches Recht in Deutschland (37) 118
6) Unser Beruf zur Gesetzgebung (45) 123
7) Die drey neuen Gesetzbücher (54) 128
8) Was wir thun sollen wo keine Gesetzbücher sind (111) 162
9) Was bey vorhandenen Gesetzbüchern zu thun ist (135) 176
10) Das Gemeinsame (151) 186
11) Thibauts Vorschlag (155) 188
12)
Schluß (161) 192
(98) 1.
Einleitung.
(1)
In vielen deutschen Ländern hat jetzt ein äußeres Bedürfniß die Frage nach der
besten Einrichtung des bürgerlichen Rechts angeregt, und so ist diese Frage,
welche unsere Staaten lange Zeit auf sich beruhen lassen konnten, zur
gemeinsamen Berathung der Staatsmänner und der Gelehrten gediehen. Aber noch
ein edlerer Grund als das bloße Bedürfniß hat zu dieser öffentlichen Berathung
gewirkt: das Gefühl, daß in der abgewendeten Unterdrückung der deutschen Nation
eine dringende Aufforderung an jede lebendige Kraft liegt, sich dieser Zeit
nicht unwerth zu zeigen. Darum ist es nicht Anmaaßung, sondern recht und gut,
wenn jeder, der ein Herz hat für seinen Beruf, und eine klare Anschauung von
demselben, diese Anschauung öffentlich mittheilt, und (2) die Rechtsgelehrten
dürfen darin am wenigsten zurück bleiben. Denn gerade im bürgerlichen Rechte
ist der Unterschied der gegenwärtigen und der vergangenen Zeit recht
augenscheinlich. Ohne Zweifel kann auch hierin im einzelnen noch viel
Verkehrtes geschehen aus Unverstand oder bösem Willen. Aber die erste Frage
darf doch wieder seyn: was ist recht und gut? Die Sache trägt doch wieder ihren
Zweck und ihre Bestimmung in sich selbst, die Fürsten können wieder thun nach
ihrer Ueberzeugung, und ihre Ehre setzen in das gemeine Wohl. Das wird von der
vergangenen Zeit niemand behaupten. Als der Code in Deutschland eindrang, und
krebsartig immer weiter fraß, war von inneren Gründen nicht die Rede, kaum hie
und da in leeren Phrasen: ein äußerer Zweck bestimmte alles, dem eigenen Werthe
des Gesetzbuchs völlig fremd, ein an sich selbst heilloses Verhältniß, selbst
abgesehen davon, daß es der verderblichste unter allen Zwecken war. Darum war
es bis jetzt fruchtlos darüber zu reden. Die in dieser Zeit geredet haben,
waren theils eigennützig der schlechten Sache hingegeben, theils in
unbegreiflicher Gutmüthigkeit von ihr bethört, die meisten blos zur Ausführung
mitwirkend als Geschäftsmänner, ohne sich in ein Urtheil einzulassen:
(99)
einzelne ehrenwerthe Stimmen ließen sich hören, strafend und warnend, andere
andeutend und winkend, an Erfolg aber konnte keiner denken. Daß wieder eine
Verschiedenheit der Meynungen (3) wirksam werden, daß wieder Streit und Zweifel
entstehen kann über die Entscheidung, gehört zu den Wohlthaten, womit uns jetzt
Gott gesegnet hat, denn nur aus dieser Entzweyung kann eine lebendige und feste
Einheit hervorgehen, die Einheit der Ueberzeugung, nach welcher wir in allen
geistigen Dingen zu streben durch unsre Natur gedrungen sind.
Aber es giebt einen zweyfachen Streit, einen feindlichen und einen friedlichen. Jenen führen wir, wo wir Ziel und Zweck verwerflich finden, diesen wo wir Mittel suchen zu gemeinsamen löblichen Zwecken. Jener wäre auch jetzt noch, da nicht mehr vom Code die Rede ist, an seiner Stelle, wenn Einer behaupten wollte, jetzt sey die rechte Zeit, wo alle einzelne Staaten in Deutschland sich fest abschließen müßten: dazu sey auch das Recht gut zu gebrauchen, und jede Regierung müsse für ein recht eigenthümliches Gesetzbuch sorgen, um auch hierin alles gemeinsame aufzuheben, was an den Zusammenhang der Nation erinnern könnte. Diese Ansicht ist nichts weniger als willkührlich ersonnen, vielmehr sind ihr manche Regierungen offenbar günstig: wohl aber hindert eine gewisse Scheu, sie jetzt laut werden zu lassen, und ich wüßte nicht, daß sie in Schriften für das bürgerliche Recht benutzt worden wäre. Ganz anders ist es mit den Vorschlägen, die bis jetzt für dieses kund geworden sind, denn mit ihnen ist, wo wir (4) nicht übereinstimmen, ein friedlicher Streit möglich, und ein solcher führt, wo nicht zur Vereinigung der Streitenden, doch zu besserer Einsicht im Ganzen.
Von zwey Meynungen über die Einrichtung des bürgerlichen Rechts, die mir bekannt geworden sind, geht die eine auf Herstellung des alten Zustandes 1), die zweyte auf Annahme eines gemeinschaftlichen Gesetzbuches für die Deutschen Staaten 2). Zur
1) Rehberg über den Code Napoleon. Hannover 1814.
2) K.
E. Schmid Deutschlands Wiedergeburt. Jena 1814. S. 135 (et)c. Thibaut über die
Nothwendigkeit eines allg. bürgerlichen Rechts für Deutschland. Heidelberg
1814. Jener wünscht für den Augenblick Annahme des Oesterreichischen
Gesetzbuchs, dieser sogleich ein neues.
(100)
Erläuterung dieser zweyten Meynung sind gleich hier einige Bemerkungen nöthig,
indem sie in einem doppelten historischen Zusammenhang betrachtet werden muß.
Erstens
nämlich steht sie in Verbindung mit vielen ähnlichen Vorschlägen und Versuchen
seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts. In dieser Zeit hatte sich durch
ganz Europa ein völlig unerleuchteter Bildungstrieb geregt. Sinn und Gefühl für
die Größe und Eigentümlichkeit anderer Zeiten, so wie für die naturgemäße
Entwicklung der Völker und Verfassungen, also alles was die Geschichte heilsam
und fruchtbar machen muß, war verloren: an die Stelle getreten war eine
gränzenlose Erwartung von der (5) gegenwärtigen Zeit, die man keinesweges zu
etwas geringerem berufen glaubte, als zur wirklichen Darstellung einer
absoluten Vollkommenheit. Dieser Trieb äußerte sich nach allen Richtungen: was
er in Religion und Staatsverfassung gewirkt hat, ist bekannt, und es ist
unverkennbar, wie er hier durch eine natürliche Gegenwirkung aller Orten einer
neuen, lebendigeren Liebe die Stäte bereiten mußte. Auch im bürgerlichen Rechte
war er thätig. Man verlangte neue Gesetzbücher, die durch ihre Vollständigkeit
der Rechtspflege eine mechanische Sicherheit gewähren sollten, indem der
Richter, alles eigenen Urtheils überhoben, blos auf die buchstäbliche Anwendung
beschränkt wäre: zugleich sollten sie sich aller historischen Eigenthümlichkeit
enthalten, und in reiner Abstraktion für alle Völker und alle Zeiten gleiche
Brauchbarkeit haben. Es würde sehr irrig seyn, jenen Trieb und diese
Anwendungen desselben einzelnen Irrlehrern zuzuschreiben: es war, nur mit sehr
achtungswerten Ausnahmen, die Meynung der Völker. Darum stand es nicht in der
Macht der Regierungen, allen Anwendungen auszuweichen, und die bloße Milderung
und Beschränkung derselben konnte oft schon als sehr verdienstlich und als
Beweis innerer Kraft gelten. Vergleichen wir mit diesen vergangenen Zuständen
die gegenwärtige Zeit, so dürfen wir uns freuen. Geschichtlicher Sinn ist
überall erwacht, und neben diesem hat jener bodenlose Hochmuth (6) keinen Raum.
Und wenn auch angehende Schriftsteller oft noch einen ähnlichen Anlauf nehmen,
so ist es doch gar nicht mehr herrschender Geist. Auch in den oben genannten
(101)
Vorschlägen von Gesetzbüchern ist zum Theil diese erfreuliche Vergleichung
bewährt. Frey von jenen übertriebenen Ansprüchen gehen sie auf ein bestimmtes
praktisches Ziel, und auch ihre Motive stehen auf festem Boden. Das Durchlaufen
jener Periode aber gewährt uns den großen Vortheil, daß wir ihre Erfahrungen zu
Rathe ziehen können. Aus den Ansichten derselben sind nach einander Gesetzbücher
für drey große Staaten hervor gegangen. Diese, und zum Theil ihre Wirkungen,
liegen vor uns, und es würde unverzeihlich seyn, die Lehre zu verschmähen, die
sie uns aufmunternd oder warnend geben können.
Zweytens stehen jene Vorschläge in Verbindung mit einer allgemeinen Ansicht von der Entstehung alles positiven Rechts, die von jeher bey der großen Mehrzahl der deutschen Juristen herrschend war. Nach ihr entsteht im normalen Zustande alles Recht aus Gesetzen, d. h. ausdrücklichen Vorschriften der höchsten Staatsgewalt. Die Rechtswissenschaft hat lediglich den Inhalt der Gesetze zum Gegenstand. Demnach ist die Gesetzgebung selbst, so wie die Rechtswissenschaft, von ganz zufälligem, wechselndem Inhalt, und es ist sehr möglich, daß das Recht von morgen dem von heute gar nicht ähnlich sieht. Ein (7) vollständiges Gesetzbuch ist demnach das höchste Bedürfniß, und nur bey einem lückenhaften Zustande desselben kann man in die traurige Nothwendigkeit kommen, sich mit Gewohnheitsrecht, als einer schwankenden Ergänzung, behelfen zu müssen. Diese Ansicht ist viel älter als die oben dargestellte, beide haben sich auf manchen Punkten feindlich berührt, weit öfter aber sehr gut vertragen. Als Vermittlung diente häufig die Ueberzeugung, daß es ein praktisches Naturrecht oder Vernunftrecht gebe, eine ideale Gesetzgebung für alle Zeiten und alle Fälle gültig, die wir nur zu entdecken brauchten, um das positive Recht für immer zu vollenden.
Ob diese Ansicht von der Entstehung des positiven Rechts Realität habe, wird sich aus der folgenden Untersuchung ergeben.
2. Entstehung des positiven Rechts.
(8)
Wir befragen zuerst die Geschichte, wie sich bey Völkern edler Stämme das Recht
wirklich entwickelt hat: dem Urtheil, was
(102)
hieran gut, vielleicht nothwendig, oder aber tadelnswerth seyn möge, ist damit
keinesweges vorgegriffen.
Wo wir zuerst urkundliche Geschichte finden, hat das bürgerliche Recht schon einen bestimmten Character, dem Volk eigenthümlich, so wie seine Sprache, Sitte, Verfassung. Ja diese Erscheinungen haben kein abgesondertes Daseyn, es sind nur einzelne Kräfte und Thätigkeiten des einen Volkes, in der Natur untrennbar verbunden, und nur unsrer Betrachtung als besondere Eigenschaften erscheinend. Was sie zu einem Ganzen verknüpft, ist die gemeinsame Ueberzeugung des Volkes, das gleiche Gefühl innerer Nothwendigkeit, welches allen Gedanken an zufällige und willkührliche Entstehung ausschließt.
Wie diese eigenthümlichen Funktionen der Völker, wodurch sie selbst erst zu Individuen werden, entstanden sind, diese Frage ist auf geschichtlichem Wege nicht zu beantworten. In neueren Zeiten ist die Ansicht herrschend gewesen, daß alles zuerst in (9) einem thierähnlichen Zustand gelebt habe, und von da durch allmähliche Entwicklung zu einem leidlichen Daseyn, bis endlich zu der Höhe gekommen sey, auf welcher wir jetzt stehen. Wir können diese Ansicht unberührt lassen, und uns auf die Thatsache jenes ersten urkundlichen Zustandes des bürgerlichen Rechts beschränken. Wir wollen versuchen, einige allgemeine Züge dieser Periode darzustellen, in welcher das Recht wie die Sprache im Bewußtseyn des Volkes lebt.
Diese Jugendzeit der Völker ist arm an Begriffen, aber sie genießt ein klares Bewußtseyn ihrer Zustände und Verhältnisse, sie fühlt und durchlebt diese ganz und vollständig, während wir, in unsrem künstlich verwickelten Daseyn, von unserm eigenen Reichthum überwältigt sind, anstatt ihn zu genießen und zu beherrschen. Jener klare, naturgemäße Zustand bewährt sich vorzüglich auch im bürgerlichen Rechte, und so wie für jeden einzelnen Menschen seine Familienverhältnisse und sein Grundbesitz durch eigene Würdigung bedeutender werden, so ist aus gleichem Grunde möglich, daß die Regeln des Privatrechts selbst zu den Gegenständen des Volksglaubens gehören. Allein jene geistigen Functionen bedürfen eines körperlichen Daseyns, um festgehalten zu werden. Ein solcher Körper ist für die Sprache ihre stete,
(103) ununterbrochene Uebung, für die Verfassung sind es die sichtbaren öffentlichen Gewalten, was vertritt aber diese Stelle (10) bey dem bürgerlichen Rechte? In unsren Zeiten sind es ausgesprochene Grundsätze, durch Schrift und mündliche Rede mitgetheilt. Diese Art der Festhaltung aber setzt eine bedeutende Abstraktion voraus, und ist darum in jener jugendlichen Zeit nicht möglich. Dagegen finden wir hier überall symbolische Handlungen, wo Rechtsverhältnisse entstehen oder untergehen sollen. Die sinnliche Anschaulichkeit dieser Handlungen ist es, was äußerlich das Recht in bestimmter Gestalt festhält, und ihr Ernst und ihre Würde entspricht der Bedeutsamkeit der Rechtsverhältnisse selbst, welche schon als dieser Periode eigenthümlich bemerkt worden ist. In dem ausgedehnten Gebrauch solcher förmlichen Handlungen kommen z. B. die germanischen Stämme mit den altitalischen überein, nur daß bey diesen letzten die Formen selbst bestimmter und geregelter erscheinen, was mit den städtischen Verfassungen zusammen hangen kann. Man kann diese förmlichen Handlungen als die eigentliche Grammatik des Rechts in dieser Periode betrachten, und es ist sehr bedeutend, daß das Hauptgeschäft der älteren Römischen Juristen in der Erhaltung und genauen Anwendung derselben bestand. Wir in neueren Zeiten haben sie häufig als Barbarey und Aberglauben verachtet, und uns sehr groß damit gedünkt, daß wir sie nicht haben, ohne zu bedenken, daß auch wir überall mit juristischen Formen versorgt sind, denen nur gerade die Hauptvortheile der alten Formen (11) abgehen, die Anschaulichkeit nämlich und der allgemeine Volksglaube, während die unsrigen von jedem als etwas willkührliches und darum als eine Last empfunden werden. In solchen einseitigen Betrachtungen früher Zeiten sind wir den Reisenden ähnlich, die in Frankreich mit großer Verwunderung bemerken, daß kleine Kinder, ja ganz gemeine Leute, recht fertig französisch reden.
Aber
dieser organische Zusammenhang des Rechts mit dem Wesen und Character des
Volkes bewährt sich auch im Fortgang der Zeiten, und auch hierin ist es der
Sprache zu vergleichen. So wie für diese, giebt es auch für das Recht keinen
Augenblick eines absoluten Stillstandes, es ist derselben Bewegung und
Entwicklung unterworfen, wie jede andere Richtung des Volkes, und
(104) auch
diese Entwicklung steht unter demselben Gesetz innerer Nothwendigkeit, wie jene
früheste Erscheinung. Das Recht wächst also mit dem Volke fort, bildet sich aus
mit diesem, und stirbt endlich ab, so wie das Volk seine Eigenthümlichkeit
verliert. Allein diese innere Fortbildung auch in der Zeit der Cultur hat für
die Betrachtung eine große Schwierigkeit. Es ist nämlich oben behauptet worden,
daß der eigentliche Sitz des Rechts das gemeinsame Bewußtseyn des Volkes sey.
Dieses läßt sich z. B. im Römischen Rechte für die Grundzüge desselben, die
allgemeine Natur der Ehe, des Eigenthums u. s. w. recht wohl denken, aber für
das (12) unermeßliche Detail, wovon wir in den Pandekten einen Auszug besitzen,
muß es jeder für ganz unmöglich erkennen. Diese Schwierigkeit führt uns auf
eine neue Ansicht der Entwicklung des Rechts. Bey steigender Cultur nämlich
sondern sich alle Thätigkeiten des Volkes immer mehr, und was sonst
gemeinschaftlich betrieben wurde, fällt jetzt einzelnen Ständen anheim. Als ein
solcher abgesonderter Stand erscheinen nunmehr auch die Juristen. Das Recht
bildet sich nunmehr in der Sprache aus, es nimmt eine wissenschaftlich
Richtung, und wie es vorher im Bewußtseyn des gesammten Volkes lebte, so fällt
es jetzt dem Bewußtseyn der Juristen anheim, von welchen das Volk nunmehr in
dieser Function repräsentirt wird. Das Daseyn des Rechts ist von nun an
künstlicher und verwickelter, indem es ein doppeltes Leben hat, einmal als
Theil des ganzen Volkslebens, was es zu seyn nicht aufhört, dann als besondere
Wissenschaft in den Händen der Juristen. Aus dem Zusammenwirken dieses doppelten
Lebensprincips erklären sich alle spätere Erscheinungen, und es ist nunmehr
begreiflich, wie auch jenes ungeheure Detail ganz auf organische Weise, ohne
eigentliche Willkühr und Absicht, entstehen konnte. Der Kürze wegen nennen wir
künftig den Zusammenhang des Rechts mit dem allgemeinen Volksleben das
politische Element, das abgesonderte wissenschaftliche Leben des Rechts aber
das technische Element desselben.
(13) In verschiedenen Zeiten also wird bey demselben Volke das Recht natürliches Recht (in einem andern Sinn als unser Naturrecht) oder gelehrtes Recht seyn, je nachdem das eine oder das
(105) andere Princip überwiegt, wobey eine scharfe Gränzbestimmung von selbst als unmöglich erscheint. Bey republikanischerVerfassung wird das politische Princip länger als in monarchischen Staaten unmittelbaren Einfluß behalten können, und besonders in der Römischen Republik wirkten viele Gründe zusammen, diesen Einfluß noch bey steigender Cultur lebendig zu erhalten. Aber in allen Zeiten und Verfassungen zeigt sich dieser Einfluß noch in einzelnen Anwendungen, da wo in engeren Kreisen ein oft wiederkehrendes gleiches Bedürfniß auch ein gemeinsames Bewußtseyn des Volkes selbst möglich macht. So wird sich in den meisten Städten für Dienstboten und Miethwohnungen ein besonderes Recht bilden und erhalten, gleich unabhängig von ausdrücklichen Gesetzen und von wissenschaftlicher Jurisprudenz: es sind dieses einzelne Ueberreste der früheren allgemeinen Rechtsbildung. Vor der großen Umwälzung fast aller Verfassungen, die wir erlebt haben, waren in kleineren Deutschen Staaten diese Fälle weit häufiger als jetzt, indem sich Stücke altgermanischer Verfassungen häufig durch alle Revolutionen hindurch gerettet hatten.
Die
Summe dieser Ansicht also ist, daß alles Recht auf die Weise entsteht, welche
der herrschende, (14) nicht ganz passende, Sprachgebrauch als Gewohnheitsrecht
bezeichnet, d. h. daß es erst durch Sitte und Volksglaube, dann durch
Jurisprudenz erzeugt wird, überall also durch innere, stillwirkende Kräfte,
nicht durch die Willkühr eines Gesetzgebers. Dieser Zustand ist bis jetzt nur
historisch aufgestellt worden, ob er löblich und wünschenswerth ist, wird die
folgende Untersuchung zeigen. Aber auch als historische Ansicht bedarf dieser
Zustand noch einiger näheren Bestimmungen. Zuerst ist dabey eine ganz
ungestörte einheimische Entwicklung vorausgesetzt worden; der Einfluß früher
Berührung mit fremdem Rechte wird weiter unten an dem Beyspiel von Deutschland
klar werden. Eben so wird sich zeigen, daß allerdings ein theilweiser Einfluß
der Gesetzgebung auf bürgerliches Recht, bald löblich, bald tadelnswerth, statt
finden kann. Endlich finden sich große Verschiedenheiten in den Gränzen der
Gültigkeit und Anwendung des Rechts. Wie nämlich dasselbe Volk sich in viele
Stämme verzweigt, Staaten sich vereinigen oder zerfallen,
(106) so
muß bald dasselbe Recht mehreren unabhängigen Staaten gemein seyn, bald in
verschiedenen Theilen desselben Staates, neben gleichen Grundzügen des Rechts,
eine große Mannichfaltigkeit einzelner Bestimmungen gelten.
Unter den Deutschen Juristen hat Hugo das große Verdienst, in den meisten seiner Schriften die herrschenden Ansichten gründlich bekämpft zu haben 1) (15) Hohe Ehre gebührt auch hierin dem Andenken Mösers, der mit großartigem Sinn überall die Geschichte zu deuten suchte, oft auch in Beziehung auf bürgerliches Recht; daß dieses Beyspiel den Juristen größtentheils unbemerkt geblieben ist, war zu erwarten, da er nicht zünftig war und weder Vorlesungen gehalten, noch Lehrbücher geschrieben hat.
3.
Gesetze und Rechtsbücher.
(16) Der Einfluß eigentlicher Gesetzgebung auf bürgerliches Recht ist in einzelnen Stücken desselben nicht selten, aber die Gründe dieses Einflusses sind sehr verschiedener Art. Zunächst kann nämlich gerade die Abänderung des bestehenden Rechts Absicht des Gesetzgebers seyn, weil höhere politische Zwecke dieses fordern. Wenn in unsren Tagen Nichtjuristen von dem Bedürfniß neuer Gesetzgebung sprechen, so ist gewöhnlich blos dieses gemeynt, wovon die Bestimmung der gutsherrlichen Rechte eines der wichtigsten Beispiele ist. Auch die Geschichte des Römischen Rechts liefert Beyspiele dieser Art, wenige aus der freyen Republik, unter August die wichtige Lex Iulia et Papia Poppaea, seit den christlichen Kaisern eine große Anzahl. Daß die Gesetze dieser Art leicht eine fruchtlose Corruption des Rechts sind, und daß gerade in ihnen die höchste Sparsamkeit nöthig ist, wird jedem einleuchten, der die Geschichte zu Rathe zieht. Die technische Seite des Rechts wird bey ihnen bloß für die Form, und für den Zusammenhang mit dem ganzen übrigen Rechte in Anspruch genommen, welcher Zusammenhang diesen Theil der (17) Gesetzgebung schwieriger macht, als er gewöhnlich gedacht zu werden
1)
Vorzüglich in der Encyclopädie ed. 4. §. 21. 22. Naturrecht ed. 3. § 130.
Civilist. Magazin B. 4. Num. 4.
(107)
pflegt. Weit unbedenklicher ist ein zweyter Einfluß der Gesetzgebung auf das
bürgerliche Recht. Einzelne Rechtssätze nämlich können zweifelhaft seyn, oder
sie können ihrer Natur nach schwankende, unbestimmte Gränzen haben, wie z. B .
alle Verjährung, während die Rechtspflege durchaus scharfe Gränzen fodert. Hier
kann allerdings eine Art von Gesetzgebung eintreten, welche der Gewohnheit zu
Hülfe kommt, jene Zweifel und diese Unbestimmtheiten entfernt, und so das
wirkliche Recht, den eigentlichen Willen des Volks, zu Tage fördert, und rein
erhält. Die Römische Verfassung hatte für diesen Zweck eine treffliche
Einrichtung in den Edicten der Prätoren, eine Einrichtung, welche auch in
monarchischen Staaten unter gewissen Bedingungen statt finden könnte.
Aber
diese Arten eines theilweisen Einflusses sind gar nicht gemeynt, wenn so wie in
unsern Tagen von dem Bedürfniß allgemeiner Gesetzbücher die Rede ist. Hier ist
vielmehr folgendes gemeynt. Der Staat soll seinen gesammten Rechtsvorrath
untersuchen und schriftlich aufzeichnen lassen, so daß dieses Buch nunmehr als
einzige Rechtsquelle gelte, alles andere aber, was bisher etwa gegolten hat,
nicht mehr gelte. Zuvörderst läßt sich fragen, woher diesem Gesetzbuch der Inhalt
kommen solle. Nach einer oben dargestellten Ansicht ist von vielen behauptet
worden, das allgemeine (18) Vernunftrecht, ohne Rücksicht auf etwas
bestehendes, solle diesen Inhalt bestimmen. Die aber mit der Ausführung zu thun
hatten, oder sonst das Recht praktisch kannten, haben sich dieser
großsprechenden, völlig hohlen Ansicht leicht enthalten, und man ist darüber
einig gewesen, das ohnehin bestehende Recht solle hier aufgezeichnet werden,
nur mit den Abänderungen und Verbesserungen, welche aus politischen Gründen
nöthig seyn möchten. Daß dieses gerade bei den neueren Gesetzbüchern die
herrschende Ansicht war, wird sich unten zeigen. Demnach hätte das Gesetzbuch
einen doppelten Inhalt: theils das bisherige Recht, theils neue Gesetze. Was
diese letzten betrifft, so ist es offenbar zufällig, daß sie bey Gelegenheit
des Gesetzbuchs vorkommen, sie könnten auch zu jeder anderen Zeit einzeln
gegeben werden, und eben so könnte zur Zeit des Gesetzbuchs kein Bedürfniß
derselben vorhanden seyn. In Deutschland
(108)
besonders würden diese neuen Gesetze oft nur scheinbar vorkommen, da das, was
einem Lande neu wäre, in einem andern meist schon gegolten haben würde, so daß
nicht von neuem, sondern von schon bestehendem Rechte verwandter Stämme die
Rede wäre, nur mit veränderten Gränzen der Anwendung. Um also unsere
Untersuchung nicht zu verwirren, wollen wir die neuen Gesetze ganz bey Seite
setzen, und blos auf den wesentlichen und Hauptinhalt des Gesetzbuchs sehen.
Demnach müssen wir das Gesetzbuch als (19) Aufzeichnung des gesammten
bestehenden Rechts denken, mit ausschließender Gültigkeit vom Staate selbst
versehen.
Daß wir dieses letzte als wesentlich bey einer Unternehmung dieser Art voraussetzen, ist in unsren schreibthätigen Zeiten natürlich, da bey der Menge von Schriftstellern und dem schnellen Wechsel der Bücher und ihres Ansehens, kein einzelnes Buch einen überwiegenden und dauernden Einfluß anders als durch die Gewalt des Staates erhalten kann. An sich aber läßt es sich gar wohl denken, daß diese Arbeit ohne Aufforderung und ohne Bestätigung des Staates von einzelnen Rechtsgelehrten vollbracht würde. Im altgermanischen Rechte war dieses häufig der Fall, und wir würden viele Mühe gehabt haben, unsren Vorfahren den Unterschied eines Rechtsbuchs als einer Privatarbeit von einem wahren Gesetzbuche deutlich zu machen, den wir uns als so natürlich und wesentlich denken. Wir bleiben aber jetzt bey dem Begriffe stehen, welcher unsren Zeiten angemessen ist. Jedoch ist es klar, daß der Unterschied lediglich in der Veranlassung und Bestätigung von Seiten des Staates liegt, nicht in der Natur der Arbeit selbst, denn diese ist auf jeden Fall ganz technisch und fällt als solche den Juristen anheim, indem bey dem Inhalte des Gesetzbuchs, den wir voraussetzen, das politische Element des Rechts längst ausgewirkt hat, und blos diese Wirkung zu erkennen und (20) auszusprechen ist, welches Geschäft zur juristischen Technik gehört.
Die
Forderungen an ein solches Gesetzbuch und die Erwartungen von demselben sind
von zweyerley Art. Für den innern Zustand des Rechts soll dadurch die höchste
Rechtsgewißheit entstehen, und damit die höchste Sicherheit gleichförmiger
(109)
Anwendung. Die äußeren Gränzen der Gültigkeit sollen dadurch gebessert und
berichtigt werden, indem an die Stelle verschiedener Localrechte ein
allgemeines Nationalrecht treten soll. Wir beschränken uns hier noch auf den
ersten Vortheil, indem von dem zweyten besser unten in besonderer Anwendung auf
Deutschland geredet werden wird.
Daß jener innere Vortheil von der Vortrefflichkeit der Ausführung abhange, leuchtet jedem sogleich ein, und es ist also von dieser Seite eben so viel zu verlieren als zu gewinnen möglich. Sehr merkwürdig ist, was Baco aus der Fülle seines Geistes und seiner Erfahrung über diese Arbeit sagt 1). Er will, daß sie nicht ohne dringendes Bedürfniß geschehe, dann aber mit besonderer Sorgfalt für die bisher gültigen Rechtsquellen: zunächst durch wörtliche Aufnahme alles anwendbaren aus ihnen, dann indem sie im Ganzen aufbewahrt und fortwährend zu Rathe (21) gezogen werden. Vorzüglich aber soll diese Arbeit nur in solchen Zeiten unternommen werden, die an Bildung und Sachkenntniß höher stehen, als die vorhergehenden, denn es sey sehr traurig, wenn durch die Unkunde der gegenwärtigen Zeit die Werke der Vorzeit verstümmelt werden sollten 2). Worauf es dabey ankommt, ist nicht schwer zu sagen: das vorhandene, was nicht geändert, sondern beybehalten werden soll, muß gründlich erkannt und richtig ausgesprochen werden. Jenes betrifft den Stoff, dieses die Form.
In Ansehung des Stoffs ist die wichtigste und schwierigste Aufgabe die Vollständigkeit des Gesetzbuchs, und es kommt nur darauf an, diese Aufgabe, worin Alle einstimmen, recht zu verstehen. Das Gesetzbuch nämlich soll, da es einzige Rechtsquelle zu seyn bestimmt ist, auch in der That für jeden vorkommenden Fall im voraus die Entscheidung enthalten. Dieses hat man
1) Baco de fontibus juris, aphor. 59-64 (de augmentis scient. L. 8 C. 3).
2) l.
c. aph. 64. „Optandum esset, ut hujusmodi legum instauratio illis temporibus
suscipiatur, quae antiquioribus, quorum acta et opera tractant, literis et
rerum cognitione praestiterint ... Infelix res namque est, cum ex judicio et
delectu aetatis minus prudentis et e ditae (!)… antiquorum opera mutilantur et
recomponuntur.“
(110)
häufig so gedacht, als ob es möglich und gut wäre, die einzelnen Fälle als
solche durch Erfahrung vollständig kennen zu lernen, und dann jeden durch eine
entsprechende Stelle des Gesetzbuchs zu entscheiden. Allein wer mit
Aufmerksamkeit (22) Rechtsfälle beobachtet hat, wird leicht einsehen, daß
dieses Unternehmen deshalb fruchtlos bleiben muß, weil es für die Erzeugung der
Verschiedenheiten wirklicher Fälle schlechthin keine Gränze giebt. Auch hat man
gerade in den allerneuesten Gesetzbüchern allen Schein eines Bestrebens nach
dieser materiellen Vollständigkeit völlig aufgegeben, ohne jedoch etwas anderes
an die Stelle derselben zu setzen. Allein es giebt allerdings eine solche
Vollständigkeit in anderer Art, wie sich durch einen Kunstausdruck der Geometrie
klar machen läßt. In jedem Dreyeck nämlich giebt es gewisse Bestimmungen, aus
deren Verbindung zugleich alle übrige mit Nothwendigkeit folgen: durch diese,
z. B. durch zwey Seiten und den zwischenliegenden Winkel, ist das Dreyeck
gegeben. Auf ähnliche Weise hat jeder Theil unsres Rechts solche Stücke,
wodurch die übrigen gegeben sind: wir können sie die leitenden Grundsätze
nennen. Diese heraus zu fühlen, und von ihnen ausgehend den innern Zusammenhang
und die Art der Verwandschaft aller juristischen Begriffe und Sätze zu
erkennen, gehört eben zu den schwersten Aufgaben unsrer Wissenschaft, ja es ist
eigentlich dasjenige, was unsrer Arbeit den wissenschaftlichen Character giebt.
Entsteht nun das Gesetzbuch in einer Zeit, welche dieser Kunst nicht mächtig
ist, so sind folgende Uebel ganz unvermeidlich. Die Rechtspflege wird scheinbar
durch das Gesetzbuch, in der That aber durch etwas anderes, (23) was außer dem
Gesetzbuch liegt, als der wahrhaft regierenden Rechtsquelle, beherrscht werden.
Dieser falsche Schein aber ist höchst verderblich. Denn das Gesetzbuch wird
unfehlbar durch seine Neuheit, seine Verwandtschaft mit herrschenden Begriffen
der Zeit, und sein äußeres Gewicht alle Aufmerksamkeit auf sich und von der
wahren Rechtsquelle ablenken, so daß diese in dunklem, unbemerktem Daseyn
gerade der geistigen Kräfte der Nation entbehren wird, wodurch sie allein in
einen löblichen Zustand kommen könnte. Daß diese Gefahr nicht grundlos ist,
wird unten aus der Betrachtung der neuen Gesetzbücher klar
(111) werden,
und es wird sich zeigen, daß nicht blos der einzelne Inhalt, sondern selbst der
Begriff und die allgemeine Natur dieser eigentlich regierenden Rechtsquelle
verkannt wird, wie sie denn unter den verschiedensten Namen, bald als
Naturrecht, bald als jurisprudence, bald als Rechtsanalogie vorkommt. Kommt nun
zu dieser mangelnden Erkenntniß der leitenden Grundsätze das oben beschriebene
Bestreben nach materieller Vollständigkeit hinzu, so werden sich sehr häufig
die einzelnen Entscheidungen, den Verfassern unbemerkt, durchkreuzen und
widersprechen, was erst allmählich durch die Anwendung, und bey gedankenlosem
Zustand der Rechtspflege auch hier nicht, offenbar werden wird 1). Dieser
Erfolg ist gleich (24) für die Gegenwart unvermeidlich, wenn auf diese Weise
ein Zeitalter ohne innern Beruf seine Ansicht des Rechts durch das Ansehen der
Gesetzgebung fixiert; eben so nachtheilig aber ist die Wirkung auf die folgende
Zeit. Denn wenn in dieser günstigere Bedingungen für die Behandlung des Rechts
eintreten, so ist nichts förderlicher, als die vielseitige Berührung mit
früheren einsichtsvollen Zeiten: das Gesetzbuch aber steht nun in der Mitte und
hemmt und erschwert diese Berührung auf allen Seiten. Ohnehin liegt in der
einseitigen Beschäftigung mit einem gegebenen positiven Rechte die Gefahr, von
dem bloßen Buchstaben überwältigt zu werden 2), und jedes Erfrischungsmittel
muß dagegen sehr willkommen seyn: das mittelmäßige Gesetzbuch aber muß mehr als
alles andere diese Herrschaft einer unlebendigen Ansicht des Rechts befestigen.
Außer dem Stoff muß aber auch die Form des Gesetzbuchs in Erwägung gezogen werden, denn der Verfasser des Gesetzbuchs kann das Recht, welches er bearbeitet, völlig durchdrungen haben, und seine Arbeit wird dennoch ihren Zweck verfehlen, wenn er nicht (25) zugleich die Fähigkeit der Darstellung hat. Wie diese
1) Hugo Naturrecht § 130 N. 7. „Wenn alle Rechtsfragen von oben herab entschieden werden sollten, so würde es solcher Entscheidungen so viele geben, daß es kaum möglich wäre, sie alle zu kennen, und für die unentschiedenen Fälle, deren doch immer noch genug übrig blieben, gäbe es nur um so mehr widersprechende Analogien.“
2)
Baco de augm. scient. L. 8. C.3.
,,Jurisconsulti autem ... tanquam e vinculis sermocinantur.“
(112)
Darstellung beschaffen seyn müsse, läßt sich leichter in gelungenen oder
verfehlten Anwendungen fühlen, als durch allgemeine Regeln aussprechen.
Gewöhnlich fordert man, daß sich die Sprache der Gesetze durch besondere Kürze
auszeichne. Allerdings kann Kürze große Wirkung thun, wie sich durch das
Beyspiel Römischer Volksschlüsse und des Römischen Edicts anschaulich machen
läßt. Allein es giebt auch eine trockene, nichtssagende Kürze, zu welcher
derjenige kommt, der die Sprache als Werkzeug nicht zu führen versteht, und die
durchaus ohne Wirkung bleibt; in den Gesetzen und Urkunden des Mittelalters
finden sich davon Beyspiele in Menge. Auf der andern Seite kann Weitläufigkeit
in Rechtsquellen völlig verwerflich, ja ganz unerträglich seyn, wie in vielen
Constitutionen von Justinian und in den meisten Novellen des Theodosischen
Codex: allein es giebt auch eine geistvolle und sehr wirksame Weitläufigkeit,
und in vielen Stellen der Pandekten ist diese unverkennbar.
Fassen
wir dasjenige, was hier über die Bedingungen eines vortrefflichen Gesetzbuchs
gesagt worden ist, zusammen, so ist es klar, daß nur in sehr wenigen Zeiten die
Fähigkeit dazu vorhanden seyn wird. Bey jugendlichen Völkern findet sich zwar
die bestimmteste Anschauung ihres Rechts, aber den Gesetzbüchern fehlt es an Sprache
und logischer Kunst, und (26) das Beste können sie meist nicht sagen, so daß
sie oft kein individuelles Bild geben, während ihr Stoff höchst individuell
ist. Beyspiele sind die schon angeführten Gesetze des Mittelalters, und wenn
wir die zwölf Tafeln ganz vor uns hätten, würden wir vielleicht nur in
geringerem Grade etwas ähnliches empfinden. In sinkenden Zeiten dagegen fehlt
es meist an allem, an Kenntniß des Stoffs wie an Sprache. Also bleibt nur eine
mittlere Zeit übrig, diejenige, welche gerade für das Recht, obgleich nicht
nothwendig auch in anderer Rücksicht, als Gipfel der Bildung gelten kann.
Allein eine solche Zeit hat für sich selbst nicht das Bedürfniß eines
Gesetzbuchs; sie würde es nur veranstalten können für eine folgende schlechtere
Zeit, gleichsam Wintervorräthe sammlend. Zu einer solchen Vorsorge aber für
Kinder und Enkel ist selten ein Zeitalter aufgelegt.
(113) 4.
Römisches Recht.
(27) Diese allgemeinen Ansichten von Entstehung des Rechts und von Gesetzbüchern werden durch die Anwendung auf Römisches Recht und auf das Recht in Deutschland klarer und überzeugender werden.
Die Vertheidiger des Römischen Rechts haben nicht selten den Werth desselben darin gesetzt, daß es die ewigen Regeln der Gerechtigkeit in vorzüglicher Reinheit enthalte, und so gleichsam selbst als ein sanctionirtes Naturrecht zu betrachten sey. Erkundigt man sich genauer, so wird freylich wieder der größte Theil als Beschränktheit und Spitzfindigkeit aufgegeben, und die Bewunderung bleibt meist auf der Theorie der Contracte haften: wenn man hier die Stipulationen und einigen andern Aberglauben abrechne, so sey im übrigen die Billigkeit dieses Rechts über die Maaßen groß, ja es sey zu nennen l’expression des sentimens mis par Dieu même dans le coeur des hommes 1). Allein gerade dieses übrig bleibende materielle des Römischen Rechts, was man so für seine wahre Vortrefflichkeit ausgiebt, ist so allgemeiner Natur, daß es meist schon (28) durch gesunden Verstand ohne alle juristische Bildung gefunden werden könnte, und um einen so leichten Gewinn lohnt es sich nicht, Gesetze und Juristen von zweytausend Jahren her zu unsrer Hülfe zu bemühen. Wir wollen versuchen, das eigenthümliche des Römischen Rechts etwas genauer ins Auge zu fassen. Daß es damit eine andere als die hier angedeutete Bedeutung habe, läßt sich im Voraus schon darum vermuthen, weil es das einzige Recht eines großen, lange bestehenden Volkes ist, welches eine ganz nationale, ungestörte Entwicklung gehabt hat, und zugleich in allen Perioden dieses Volkes mit vorzüglicher Liebe gepflegt worden ist.
Betrachten wir zuerst die Justinianischen Rechtsbücher, also diejenige Form, in welcher das Römische Recht zu den neueren Staaten in Europa gekommen ist, so ist in ihnen eine Zeit des Verfalls nicht zu verkennen. Der Mittelpunkt dieser Rechtsbücher
1)
Motifs de la loi du 3. Sept. 1807 vor dem Code Nap. ed. Paris 1807. 8. p. IX. (von
Bigot-Preameneu).
(114)
ist eine Compilation aus Schriften einer klassischen Zeit, die als verloren und
jetzt unerreichbar dasteht, und Justinian selbst hat dessen kein Hehl. Diese
klassische Zeit also, die des Papinian und Ulpian ist es, worauf wir unsre
Blicke zu richten haben, und wir wollen versuchen, von der Art und Weise dieser
Juristen ein Bild zu entwerfen.
Es
ist oben (S. 22) gezeigt worden, daß in unsrer Wissenschaft aller Erfolg auf
dem Besitz der leitenden Grundsätze beruhe, und gerade dieser Besitz (29) ist
es, der die Größe der Römischen Juristen begründet. Die Begriffe und Sätze
ihrer Wissenschaft erscheinen ihnen nicht wie durch ihre Willkühr
hervorgebracht, es sind wirkliche Wesen, deren Daseyn und deren Genealogie
ihnen durch langen vertrauten Umgang bekannt geworden ist. Darum eben hat ihr
ganzes Verfahren eine Sicherheit, wie sie sich sonst außer der Mathematik nicht
findet, und man kann ohne Uebertreibung sagen, daß sie mit ihren Begriffen
rechnen. Diese Methode aber ist keinesweges das ausschließende Eigenthum eines
oder weniger großen Schriftsteller, sie ist vielmehr Gemeingut Aller, und
obgleich unter sie ein sehr verschiedenes Maaß glücklicher Anwendung vertheilt
war, so ist doch die Methode überall dieselbe. Selbst wenn wir ihre Schriften
vollständig vor uns hätten, würden wir darin weit weniger Individualität
finden, als in irgend einer andern Literatur, sie alle arbeiten gewissermaaßen
an einem und demselben großen Werke, und die Idee, welche der Compilation der
Pandekten zum Grunde liegt, ist darum nicht völlig zu verwerfen. Wie tief bey
den Römischen Juristen diese Gemeinschaft des wissenschaftlichen Besitzes gegründet
ist, zeigt sich auch darin, daß sie auf die äußeren Mittel dieser Gemeinschaft
geringen Werth legen; so z. B. sind ihre Definitionen größtentheils sehr
unvollkommen, ohne daß die Schärfe und Sicherheit der Begriffe im geringsten
darunter leidet. Dagegen steht ihnen (30) ein viel wichtigeres, mehr
unwillkührliches Mittel zu Gebot, eine treffliche Kunstsprache, die mit der
Wissenschaft so zusammenfällt, daß beide ein unauflösliches Ganze (!) zu bilden
scheinen. Mit diesen Vorzügen aber könnte sich eine schneidende Einseitigkeit
sehr wohl vertragen. Das Recht nämlich hat kein Daseyn für sich, sein Wesen
vielmehr ist das Leben
(115) der
Menschen selbst, von einer besondern Seite angesehen. Wenn sich nun die
Wissenschaft des Rechts von diesem ihrem Objecte ablöst, so wird die
wissenschaftliche Thätigkeit ihren einseitigen Weg fortgehen können, ohne von
einer entsprechenden Anschauung der Rechtsverhältnisse selbst begleitet zu
seyn; die Wissenschaft wird alsdann einen hohen Grad formeller Ausbildung
erlangen können, und doch alle eigentliche Realität entbehren. Aber gerade von
dieser Seite erscheint die Methode der Römischen Juristen am vortrefflichsten.
Haben sie einen Rechtsfall zu beurtheilen, so gehen sie von der lebendigsten
Anschauung desselben aus, und wir sehen vor unsern Augen das ganze Verhältniß
Schritt vor Schritt entstehen und sich verändern. Es ist nun, als ob dieser
Fall der Anfangspunkt der ganzen Wissenschaft wäre, welche von hier aus
erfunden werden sollte. So ist ihnen Theorie und Praxis eigentlich gar nicht
verschieden, ihre Theorie ist bis zur unmittelbarsten Anwendung durchgebildet,
und ihre Praxis wird stets durch wissenschaftliche Behandlung geadelt. In jedem
(31) Grundsatz sehen sie zugleich einen Fall der Anwendung, in jedem Rechtsfall
zugleich die Regel, wodurch er bestimmt wird, und in der Leichtigkeit, womit
sie so vom allgemeinen zum besondern und vom besondern zum allgemeinen
übergehen, ist ihre Meisterschaft unverkennbar. Und in dieser Methode, das
Recht zu finden und zu weisen, haben sie ihren eigenthümlichsten Werth, darin
den germanischen Schöffen unähnlich, daß ihre Kunst zugleich zu
wissenschaftlicher Erkenntniß und Mittheilung ausgebildet ist, doch ohne die
Anschaulichkeit und Lebendigkeit einzubüßen, welche früheren Zeitaltern eigen
zu seyn pflegen.
Diese
hohe Bildung der Rechtswissenschaft bey den Römern im Anfang des dritten
Jahrhunderts christlicher Zeitrechnung ist etwas so merkwürdiges, daß wir auch
die Geschichte derselben in Betracht ziehen müssen. Es würde sehr irrig seyn,
wenn man dieselbe als die reine Erfindung eines sehr begünstigten Zeitalters,
ohne Zusammenhang mit der Vorzeit, halten wollte. Vielmehr war der Stoff ihrer
Wissenschaft den Juristen dieser Zeit schon gegeben, größtentheils noch aus der
Zeit der freyen Republik. Aber nicht blos dieser Stoff, sondern auch jene
bewundernswürdige Methode selbst hatte ihre Wurzel in der Zeit der Freyheit.
(116) Was
nämlich Rom groß gemacht hat, war der rege, lebendige, politische Sinn, womit
dieses Volk die Formen seiner Verfassung stets (32) auf solche Weise zu
verjüngen bereit war, daß das neue blos zur Entwicklung des alten diente,
dieses richtige Ebenmaaß der beharrlichen und der fortbewegenden Kräfte. Dieser
Sinn war in der Verfassung wie im bürgerlichen Rechte wirksam, aber dort war er
schon vor dem Ende der Republik erloschen, während er hier noch Jahrhunderte
lang fortwirken konnte, weil hier nicht dieselben Gründe der Corruption statt
fanden wie in der Verfassung. Also auch im bürgerlichen Rechte war der
allgemeine Römische Character sichtbar, das Festhalten am Herkömmlichen, ohne
sich durch dasselbe zu binden, wenn es einer neuen, volksmäßig herrschenden
Ansicht nicht mehr entsprach. Darum zeigt die Geschichte des Römischen Rechts
bis zur klassischen Zeit überall allmähliche, völlig organische Entwicklung.
Entsteht eine neue Rechtsform, so wird dieselbe unmittelbar an eine alte,
bestehende angeknüpft, und ihr so die Bestimmtheit und Ausbildung derselben
zugewendet. Dieses ist der Begriff der Fiction, für die Entwicklung des
Römischen Rechts höchst wichtig und von den Neueren oft lächerlich verkannt: so
die bonorum possessio neben der hereditas, die publiciana actio neben der rei
vindicatio, die actiones utiles neben den directae. Und indem auf diese Weise
das juristische Denken von der größten Einfachheit zur mannichfaltigsten
Ausbildung ganz stetig und ohne äußere Störung oder Unterbrechung fortschritt,
wurde (33) den Römischen Juristen auch in der späteren Zeit die vollendete
Herrschaft über ihren Stoff möglich, die wir an ihnen bewundern. So wie nun
oben bemerkt worden ist, daß die Rechtswissenschaft in ihrer klassischen Zeit
Gemeingut der Juristen war, so erkennen wir jetzt auch eine ähnliche
Gemeinschaft zwischen den verschiedensten Zeitaltern, und wir sind genöthigt,
das juristische Genie, wodurch die Trefflichkeit des Römischen Rechts bestimmt
worden ist, nicht einem einzelnen Zeitalter, sondern der Nation überhaupt
zuzuschreiben. Allein wenn wir auf die literarische Ausbildung sehen, durch
welche allein dem Römischen Recht eine bleibende Wirkung auf andere Völker und
Zeiten gesichert werden konnte, so müssen wir das Zeitalter des
(117)
Papinian und Ulpian als das vornehmste erkennen, und wenn wir juristische
Bücher aus der Zeit des Cicero oder des August übrig hätten, so würden wir
schwerlich die Unvollkommenheit derselben neben jenem Zeitalter verkennen
können, so wichtig sie auch für unsere Kenntniß seyn müßten.
Aus dieser Darstellung ist von selbst klar, daß das Römische Recht sich fast ganz von innen heraus, als Gewohnheitsrecht, gebildet hat, und die genauere Geschichte desselben lehrt, wie gering im Ganzen der Einfluß eigentlicher Gesetze geblieben ist, so lange das Recht in einem lebendigen Zustande war. Auch für (34) dasjenige, was oben über das Bedürfniß eines Gesetzbuchs gesagt wurde, ist die Geschichte des Römischen Rechts sehr lehrreich. So lange das Recht in lebendigem Fortschreiten war, wurde kein Gesetzbuch nöthig gefunden, selbst da nicht, als die Umstände dafür am günstigsten waren. Nämlich zur Zeit der classischen Juristen hätte es keine Schwierigkeit gemacht, ein treffliches Gesetzbuch zu verfassen. Auch waren die drey berühmtesten Juristen, Papinian, Ulpian und Paulus praefecti praetorio; diesen fehlte es sicher weder an Interesse für das Recht, noch an Macht, ein Gesetzbuch zu veranlassen, wenn sie es gut oder nöthig fanden: dennoch sehen wir keine Spur von einem solchen Versuche. Aber als früher Cäsar im Gefühl seiner Kraft und der Schlechtigkeit des Zeitalters nur seinen Willen in Rom gelten lassen wollte, soll er auch auf ein Gesetzbuch in unserm Sinne bedacht gewesen seyn 1). Und als im sechsten Jahrhundert alles geistige Leben erstorben war, suchte man Trümmer aus besseren Zeiten zusammen, um dem Bedürfniß des Augenblicks abzuhelfen. So entstanden in einem kurzen Zeitraum verschiedene Römische Gesetzbücher: das Edict des Theoderich, das Westgothische Breviarium (35), der sogenannte Papian, und die Rechtsbücher von Justinian . Schwerlich hätten sich Bücher über Römisches Recht erhalten, wenn nicht diese Gesetzbücher gewesen wären, und schwerlich hätte Römisches Recht im neueren Europa Eingang gefunden, wären nicht unter diesen Gesetzbüchern die von
1)
Sueton. Caesar. C. 44. Jus civile ad certum modum redigere, atque ex immensa
diffusaque legum copia, optima quaeque et necessaria in paucissimos conferre
libros.
(118)
Justinian gewesen, in welchen unter jenen allein der Geist des Römischen Rechts
erkennbar ist. Der Gedanke zu diesen Gesetzbüchern aber ist augenscheinlich nur
durch den äußersten Verfall des Rechts herbeygeführt worden.
Ueber den materiellen Werth des Römischen Rechts können die Meynungen sehr verschieden seyn, aber über die hier dargestellte Meisterschaft in der juristischen Methode sind ohne Zweifel alle einig, welche hierin eine Stimme haben. Eine solche Stimme aber kann offenbar nur denjenigen zukommen, welche unbefangen und mit literarischem Sinn die Quellen des Römischen Rechts lesen. Die es blos aus Compendien oder Vorlesungen kennen, also von Hörensagen, selbst wenn sie einzelne Beweisstellen nachgeschlagen haben mögen, haben keine Stimme: für sie ist jegliche Ansicht möglich, unter andern die eines trefflichen Französischen Redners. Dieser behauptet, das Römische Recht habe zur Zeit der alten Juristen aus einer unzählbaren Menge einzelner Entscheidungen und Regeln bestanden, die ein Menschenleben nicht habe erfassen können: unter Justinian (36) aber „la legislation romaine sortit du chaos,“ und sein Werk war das am wenigsten unvollkommene, bis in dem Code Napoleon ein ganz vollkommenes erschien 1).
5.
Bürgerliches Recht in Deutschland.
(37) Bis auf sehr neue Zeiten war in ganz Deutschland ein gleichförmiges bürgerliches Recht unter dem Namen des gemeinen Rechts in Uebung, durch Landesrechte mehr oder weniger modificirt, aber nirgends in allen seinen Theilen außer Kraft gesetzt. Die Hauptquelle dieses gemeinen Rechts waren die Rechtsbücher von Justinian, deren bloße Anwendung auf Deutschland indessen von selbst schon wichtige Modifikationen herbeigeführt hatte. Diesem gemeinen Rechte war von jeher die wissenschaftliche Thätigkeit der deutschen Juristen größtentheils zugewendet.
1)
Motifs de la loi du 3. 8ept. 1807 vor den Ausgaben des Code seit t807, von
Bigot-Preameneu.
(119) Aber
eben über dieses fremde Element unsers Rechts sind auch schon längst bittere
Klagen erhoben worden. Das Römische Recht soll uns unsre Nationalität entzogen
haben, und nur die ausschließende Beschäftigung unsrer Juristen mit demselben
soll das einheimische Recht gehindert haben, eine eben so selbstständige und
wissenschaftliche Ausbildung zu erlangen. Beschwerden dieser Art haben schon
darin etwas leeres und grundloses, daß sie als zufällig und willkührlich
voraussehen, was ohne innere Nothwendigkeit nimmermehr geschehen oder doch
nicht bleibend geworden wäre. Auch liegt überhaupt eine abgeschlossene
nationale Entwicklung, wie die der Alten, nicht auf dem Wege, welchen die Natur
den neueren Völkern angewiesen hat; wie ihre Religion nicht Eigenthum der
Völker ist, ihre Literatur eben so wenig frey von den mächtigsten äußeren
Einflüssen, so scheint ihnen auch ein fremdes und gemeinsames bürgerliches
Recht nicht unnatürlich. Ja sogar nicht blos fremd überhaupt war dieser Einfluß
auf Bildung und Literatur, sondern größtentheils Römisch, eben so Römisch als
jener Einfluß auf unser Recht. Allein in diesem Falle liegt noch ein besonderer
Irrthum bey jener Ansicht zum Grunde. Nämlich auch ohne Einmischung des
Römischen wäre eine ungestörte Ausbildung des Deutschen Rechts dennoch
unmöglich gewesen, indem alle die Bedingungen fehlten, welche in Rom das
bürgerliche Recht so sehr begünstigt hatten. Dahin gehörte zuerst die
unverrückte Localität, indem Rom, ursprünglich der Staat selbst, bis zum
Untergang des westlichen Reichs der Mittelpunkt desselben blieb, während die
Deutschen Stämme auswanderten, unterjochten und unterjocht wurden, so daß das
Recht unter alle vertheilt war, aber nirgends eine unverrückte Stelle, noch
weniger einen einzelnen Mittelpunkt fand. Dann haben schon sehr frühe die
Deutschen Stämme Revolutionen erfahren von so durchgreifender Art, wie sie die
ganze Römische Geschichte nicht kennt. Denn selbst die Aenderungen der
Verfassung unter August und unter (39) Constantin wirkten auf das bürgerliche
Recht nicht unmittelbar und ließen selbst Grundbegriffe des öffentlichen
Rechts, wie z. B. den der Civität, unberührt. In Deutschland dagegen, als das
Lehenwesen ganz ausgebildet war, blieb von
(120) der
alten Nation eigentlich nichts mehr übrig, alles bis auf Formen und Namen war
von Grund aus verändert, und diese gänzliche Umwälzung war schon entschieden,
als das Römische Recht Eingang fand.
Im vorigen Abschnitt ist gezeigt worden, wie wichtig das Römische Recht als Muster juristischer Methode sey: für Deutschland ist es nun auch historisch, durch sein Verhältniß zum gemeinen Recht, von großer Wichtigkeit. Es ist ganz falsch, wenn man diese historische Wichtigkeit des Römischen Rechts auf die Fälle einschränken wollte, welche unmittelbar aus demselben entschieden werden. Nicht nur ist in den Landesrechten selbst sehr vieles blos Römisches Recht und nur in seinem ursprünglichen Römischen Zusammenhang verständlich, sondern auch da, wo man absichtlich seine Bestimmungen verlassen hat, hat es häufig die Richtung und Ansicht des neu eingeführten Rechts bestimmt, so daß die Aufgabe, die durch dieses neue Recht gelöst werden soll, ohne Römisches Recht gar nicht verstanden werden kann. Diese historische Wichtigkeit aber theilt mit dem Römischen Recht das Deutsche, welches überall in den Landesrechten erhalten ist, so daß diese ohne Zurückführung (40) auf die gemeinsame Quelle unverständlich bleiben müssen.
Gegen diesen nicht wenig verwickelten Zustand der Rechtsquellen in Deutschland, wie er aus der Verbindung des schon an sich sehr zusammen gesetzten gemeinen Rechts mit den Landesrechten hervorgieng, sind die größten Klagen geführt worden. Diejenigen, welche das Studium betreffen, werden besser unten ihre Stelle finden: einige aber betreffen die Rechtspflege selbst.
Erstlich
soll dadurch die übermäßig lange Dauer der Prozesse in vielen Deutschen Ländern
bewirkt worden seyn. Dieses Uebel selbst wird niemand abläugnen oder für
unbedeutend erklären können, aber man thut den Richtern in solchen Ländern in
der That zu viel Ehre an, wenn man glaubt, auf das ängstliche Grübeln über der
schweren Theorie werde so viele Zeit verwendet. Ueber diese Theorie hilft das
erste Compendium oder Handbuch hinweg, welches zur Hand ist: schlecht
vielleicht, aber gewiß mit nicht mehr Aufwand von Zeit als das vortrefflichste
(121)
Gesetzbuch. Jenes Uebel entspringt vorzüglich aus der heillosen Prozeßform
vieler Länder, und deren Reform gehört allerdings zu den dringendsten
Bedürfnissen: die Quellen des bürgerlichen Rechts sind daran schuldlos. Daß dem
so ist, wird jeder Unbefangene zugeben, welcher Acten aufmerksam gelesen hat.
Auch die Erfahrung einzelner Länder spricht dafür, so z. B. war schon (41)
längst in Hessen die Rechtspflege gut und schnell, obgleich da gerade in
demselben Verhältniß gemeines Recht und Landesrecht galt, wie in den Landern,
in welchen die Prozesse nicht zu Ende gehen.
Zweytens klagt man über die große Verschiedenheit der Landesrechte, und diese Klage geht noch weiter als auf das Verhältniß verschiedener Deutscher Länder, da häufig auch in demselben Lande Provinzen und Städte wiederum besonderes Recht haben. Daß durch diese Verschiedenheit die Rechtspflege selbst leide und der Verkehr erschwert werde, hat man häufig gesagt, aber keine Erfahrung spricht dafür, und der wahre Grund ist wohl meist ein anderer. Er besteht in der unbeschreiblichen Gewalt, welche die bloße Idee der Gleichförmigkeit nach allen Richtungen nun schon so lange in Europa ausübt: eine Gewalt, gegen deren Mißbrauch schon Montesquieu warnt 1). Es lohnt wohl der Mühe, diese Gleichförmigkeit in dieser besondern Anwendung näher zu betrachten. Das wichtigste, was man für die Gleichförmigkeit des Rechts sagt, ist dieses: die Liebe zum gemeinsamen Vaterland werde durch sie erhöht, durch die Mannichfaltigkeit der Particularrechte aber geschwächt. Ist diese Voraussetzung (42) wahr, so wird jeder wohlgesinnte Deutsche wünschen, daß Deutschland in allen seinen Theilen gleiches Recht genießen möge. Aber eben diese Voraussetzung ist nun der Gegenstand unsrer Prüfung.
In jedem organischen Wesen, also auch im Staate, beruht die Gesundheit darauf, daß beides, das Ganze und jeder Theil, im Gleichgewicht stehe, daß jedem sein Recht widerfahre. Daß ein Bürger, eine Stadt, eine Provinz den Staat vergessen, dem sie angehören, ist eine sehr gewöhnliche Erscheinung, und jeder
1)
Montesquieu XXIX, 18.
(122) wird
diesen Zustand für unnatürlich und krankhaft erkennen. Aber eben so kann die
lebendige Liebe zum Ganzen blos aus der lebendigen Theilnahme an allen
einzelnen Verhältnissen hervorgehen, und nur wer seinem Hause tüchtig vorsteht,
wird ein trefflicher Bürger seyn. Darum ist es ein Irrthum, zu glauben, das
Allgemeine werde an Leben gewinnen durch die Vernichtung aller individuellen
Verhältnisse. Könnte in jedem Stande, in jeder Stadt, ja in jedem Dorfe ein
eigenthümliches Selbstgefühl erzeugt werden, so würde aus diesem erhöhten und
vervielfältigten individuellen Leben auch das Ganze neue Kraft gewinnen. Darum,
wenn von dem Einfluß des bürgerlichen Rechts auf das Vaterlandsgefühl die Rede
ist, so darf nicht geradezu das besondere Recht einzelner Provinzen und Städte
für nachtheilig gehalten werden. Lob in dieser Beziehung (43) verdient das
bürgerliche Recht, insoferne es das Gefühl und Bewußtseyn des Volkes berührt oder
zu berühren fähig ist: Tadel, wenn es als etwas fremdartiges, aus Willkühr
entstandenes, das Volk ohne Theilnahme läßt. Jenes aber wird öfter und leichter
bey besonderen Rechten einzelner Landstriche der Fall seyn, obgleich gewiß
nicht jedes Stadtrecht etwas wahrhaft volksmäßiges seyn wird. Ja für diesen
politischen Zweck scheint kein Zustand des bürgerlichen Rechts günstiger, als
der, welcher vormals in Deutschland allgemein war: große Mannichfaltigkeit und
Eigenthümlichkeit im einzelnen, aber als Grundlage überall das gemeine Recht,
welches alle Deutschen Volksstämme stets an ihre unauflösliche Einheit
erinnerte. Das verderblichste aber von diesem Standpuncte aus ist leichte und
willkührliche Aenderung des bürgerlichen Rechts, und selbst wenn durch dieselbe
für Einfachheit und Bequemlichkeit gut gesorgt wäre, so könnte dieser Gewinn
gegen jenen politischen Nachtheil nicht in Betracht kommen. Was so vor unsern
Augen von Menschenhänden gemacht ist, wird im Gefühl des Volkes stets von
demjenigen unterschieden werden, dessen Entstehung nicht eben so sichtbar und
greiflich ist, und wenn wir in unserm löblichen Eifer diese Unterscheidung ein
blindes Vorurtheil schelten, so sollten wir nicht vergessen, daß aller Glaube
und alles Gefühl für das was nicht (44) unsres gleichen ist, sondern höher als
wir, auf einer
(123)
ähnlichen Sinnesart beruht. Eine solche Verwandtschaft könnte uns über die
Verwerflichkeit jener Unterscheidung wohl zweifelhaft machen 1).
6.
Unser Beruf zur Gesetzgebung.
(45) Von den Gründen, auf welche das Bedürfniß eines Gesetzbuchs für Deutschland gebaut zu werden pflegt, ist im vorigen Abschnitt gesprochen worden: wir haben jetzt die Fähigkeit zu dieser Arbeit zu untersuchen. Sollte es an dieser fehlen, so müßte durch ein Gesetzbuch unser Zustand, den wir bessern wollen, nothwendig verschlimmert werden.
Baco forderte, daß die Zeit, in welcher ein Gesetzbuch gemacht werde, an Einsicht die vorhergehenden Zeiten übertreffe, wovon die nothwendige Folge ist, daß manchem Zeitalter, welches in anderer Rücksicht für gebildet gelten mag, gerade diese Fähigkeit abgesprochen werden muß. In den neuesten Zeiten haben sich besonders die Gegner des Römischen Rechts über solche Ansichten nicht selten entrüstet: denn die Vernunft sey allen Völkern und allen Zeiten gemein, und da wir überdem die Erfahrung voriger Zeiten benutzen können, so müsse unfehlbar, was wir verfertigen, besser als alles vorige werden. Aber eben diese Meynung, daß jedes Zeitalter zu allem berufen sey, ist das verderblichste Vorurtheil. In den schönen Künsten müssen wir wohl das Gegentheil (46) anerkennen, warum wollen wir uns nicht dasselbe gefallen lassen, wo von Bildung des Staates und des Rechts die Rede ist?
Sehen wir auf die Erwartungen der Nichtjuristen von einem Gesetzbuch, so sind diese sehr verschieden nach den verschiedenen Gegenständen des Rechts, und auch hierin zeigt sich das zweyfache Element alles Rechts, welches ich oben das politische und das technische genannt habe. An einigen Gegenständen nehmen sie unmittelbar lebhaften Antheil, andere werden als gleichgültig der juristischen Technik allein überlassen: jenes ist mehr im
1)
Man vergleiche was über die Gleichförmigleit des Rechts Rehberg über den Code
Nap. S. 33 und f., so wie über die wichtigen Folgen der gänzlichen Umwandlung
des Rechts derselbe S. 57 u. f. sagt.
(124)
Familienrecht, dieses mehr im Vermögensrecht der Fall, am meisten in den
allgemeinen Grundlagen desselben 1). Wir wollen als Repräsentanten dieser
verschiedenartigen Gegenstände die Ehe und das Eigenthum wählen, was aber von
ihnen gesagt werden wird, soll zugleich für die ganze Classe gelten, wozu sie
gehören.
Die Ehe gehört nur zur Hälfte dem Rechte an, zur Hälfte aber der Sitte, und jedes Eherecht ist unverständlich, welches nicht in Verbindung mit dieser seiner nothwendigen Ergänzung betrachtet wird. Nun ist in neueren Zeiten aus (47) Gründen, die mit der Geschichte der christlichen Kirche zusammenhangen, die nichtjuristische Ansicht dieses Verhältnisses theils flach, theils im höchsten Grade schwankend und unbestimmt geworden, und jene Flachheit, wie dieses Schwanken, haben sich dem Recht der Ehe mitgetheilt. Wer die Gesetzgebung und das practische Recht in Ehesachen aufmerksam betrachtet, wird darüber keinen Zweifel haben. Diejenigen nun, welche glauben, daß jedes Uebel nur auf ein abhelfendes Gesetz warte, um dann auf der Stelle zu verschwinden, werden diesen traurigen Zustand gern anerkennen, um dadurch das Bedürfniß einer kräftigen, durchgreifenden Gesetzgebung in helles Licht zu setzen. Aber eben die Hoffnung, die sie hierin auf Gesetze bauen, halte ich für ganz grundlos. Ist einmal in der allgemeinen Ansicht eine bestimmte und löbliche Richtung sichtbar, so kann diese durch Gesetzgebung kräftig unterstützt werden, aber hervorgebracht wird sie durch diese nicht, und wo sie gänzlich fehlt, wird jeder Versuch einer erschöpfenden Gesetzgebung den gegenwärtigen Zustand nur noch schwankender machen und die Heilung erschweren.
Wir betrachten ferner diejenigen Gegenstände, welche (wie das Eigenthum) im nichtjuristischen Publikum mit Gleichgültigkeit betrachtet werden, und wovon selbst Juristen urtheilen, daß sie unter allen Umständen dieselben seyn können 2), so daß sie (48) lediglich der juristischen Technik anheim fallen. Daß wir diese Ansicht von ihnen haben, ist eigentlich selbst schon Zeichen eines
1) Die Diskussionen des französischen Staatsraths über den Code geben eine bequeme Uebersicbt über das Verhältniß dieser Theile: bey jenen konnten die Nichtjuristen kein Ende finden, von diesen war oft gar nicht die Rede.
2)
Tbibaut a. a. O. p. 51 (?).
(125)
öffentlichen Zustandes, welchem die rechtsbildende Kraft fehlt; denn wo diese
lebendig ist, werden alle diese Verhältnisse nichts weniger als gleichgültig,
sondern vielmehr ganz eigenthümlich und nothwendig seyn, wie die Geschichte
jedes ursprünglichen Rechts beweist. Jenen Zustand aber als den unsrigen
vorausgesetzt, wird unsre Fähigkeit zur Gesetzgebung von dem Werthe und der
Ausbildung unsrer juristischen Technik abhangen, und auf diese muß demnach
unsre Untersuchung zunächst gerichtet seyn.
Unglücklicherweise
nun ist das ganze achtzehente Jahrhundert in Deutschland sehr arm an großen
Juristen gewesen. Fleißige Männer zwar fanden sich in Menge, von welchen sehr
schätzbare Vorarbeiten gethan wurden, aber weiter als zu Vorarbeiten kam es
selten. Ein zweyfacher Sinn ist dem Juristen unentbehrlich: der historische, um
das eigenthümliche jedes Zeitalters und jeder Rechtsform scharf aufzufassen,
und der systematische, um jeden Begriff und jeden Satz in lebendiger Verbindung
und Wechselwirkung mit dem Ganzen anzusehen, d. h. in dem Verhältniß, welches
das allein wahre und natürliche ist. Dieser zweyfache wissenschaftliche Sinn
findet sich ungemein wenig in den Juristen des achtzehnten Jahrhunderts, und
vorzüglich ein vielfältiges flaches Bestreben in der Philosophie wirkte sehr
ungünstig. Ueber (49) die Zeit, in welcher man selbst lebt, ist ein sicheres
Urtheil sehr schwer: doch, wenn nicht alle Zeichen trügen, ist ein lebendigerer
Geist in unsre Wissenschaft gekommen, der sie künftig wieder zu einer
eigenthümlichen Bildung erheben kann. Nur fertig geworden ist von dieser
Bildung noch sehr wenig, und aus diesem Grunde läugne ich unsre Fähigkeit, ein
löbliches Gesetzbuch hervorzubringen. Viele mögen dieses Urtheil für übertrieben
halten, aber diese fordere ich auf, mir unter der nicht geringen Zahl von
Systemen des Römisch-Deutschen Rechts eines zu zeigen, welches nicht etwa blos
zu diesem oder jenem besondern Zwecke nützlich dienen könne, denn deren haben
wir viele sondern welches als Buch vortrefflich sey; dieses Lob aber wird nur
dann gelten können, wenn die Darstellung eine eigene, selbstständige Form hat,
und zugleich den Stoff zu lebendiger Anschauung bringt. So z. B. im Römischen
Rechte würde es darauf ankommen, daß die Methode der alten Juristen, der Geist,
(126) der
in den Pandekten lebt, erkennbar wäre, und ich würde mich sehr freuen,
dasjenige unsrer Systeme kennen zu lernen, worin dieses der Fall seyn möchte.
Hat nun diese Arbeit bey vielem Fleiße und guten Talenten bis jetzt nicht
gelingen wollen, so behaupte ich, daß in unsrer Zeit ein gutes Gesetzbuch noch
nicht möglich ist, denn für dieses ist die Arbeit nicht anders, nur schwerer.
Es giebt noch eine andere Probe für unsre Fähigkeit: vergleichen wir (50) unsre
juristische Literatur mit der literarischen Bildung der Deutschen überhaupt,
und sehen wir zu, ob jene mit dieser gleichen Schritt gehalten hat, das Urtheil
wird nicht günstig ausfallen, und wir werden ein ganz anderes Verhältniß
finden, als das der Römischen Juristen zur Literatur der Römer. In dieser
Ansicht liegt keine Herabsetzung, denn unsre Aufgabe ist in der That sehr groß,
ohne Vergleichung schwerer als die der Römischen Juristen war. Aber eben die
Größe dieser Aufgabe sollen wir nicht verkennen aus Bequemlichkeit oder
Eigendünkel, wir sollen nicht am Ziel zu seyn glauben, wenn wir noch weit davon
entfernt sind.
Haben
wir nun in der That nicht was nöthig ist, damit ein gutes Gesetzbuch entstehe,
so dürfen wir nicht glauben, daß das wirkliche Unternehmen eben nichts weiter
seyn würde, als eine fehlgeschlagene Hoffnung, die uns im schlimmsten Fall nur
nicht weiter gebracht hätte. Von der großen Gefahr, die unvermeidlich eintritt,
wenn der Zustand einer sehr mangelhaften unbegründeten Kenntniß durch äußere
Autorität fixiert wird, ist schon oben (S. 22) gesprochen worden, und diese
Gefahr würde hier um so größer seyn, je allgemeiner die Unternehmung wäre und
je mehr sie mit dem erwachenden Nationalinteresse in Verbindung gebracht würde.
Nahe liegende Beyspiele geben in solchen Dingen oft ein weniger deutliches
Bild: ich will also, um (51) anschaulich zu machen, was auf solche Weise
entstehen kann, an die Zeit nach der Auflösung des weströmischen Reichs
erinnern, wo eben so ein unvollkommner Zustand der Rechtskenntniß fixirt worden
ist (S. 34). Der einzige Fall, der hier eine Vergleichung darbietet, ist das
Edict des Ostgothischen Theoderich, weil hier allein das vorhandene Recht in
einer eigenen, neuen Form dargestellt werden sollte. Ich bin weit entfernt zu
(127)
glauben, daß, was wir hervorbringen könnten, diesem Edict völlig gleich sehen
würde, denn der Unterschied der Zeiten ist in der That sehr groß: die Römer im
Jahr 500 hatten Mühe zu sagen was sie dachten, wir verstehen gewissermaaßen zu schreiben:
ferner gab es damals gar keine juristische Schriftsteller, wir haben daran
keinen Mangel. Allein darin ist die Ähnlichkeit unverkennbar, daß dort ein
historischer Stoff dargestellt werden sollte, den man nicht übersah und nicht
regieren konnte, und den wir Mühe haben in dieser Darstellung wieder zu
erkennen. Und darin ist der Nachteil (!) entschieden auf unsrer Seite, daß im
Jahr 500 nichts zu verderben war. In unsrer Zeit dagegen ist ein lebendiges
Bestreben nicht abzuläugnen, und niemand kann wissen, wie viel besseres wir der
Zukunft entziehen, indem wir gegenwärtige Mängel befestigen. Denn
„ut corpora lente augescunt, cito extinguuntur; sic ingenia studiaque
oppresseris facilius quam revocaveris. 1)
(52) Ein wichtiger Punkt ist noch zu bedenken, die Sprache nämlich. Ich frage jeden, der für würdigen, angemessenen Ausdruck Sinn hat, und der die Sprache nicht als eine gemeine Geräthschaft, sondern als Kunstmittel betrachtet, ob wir eine Sprache haben, in welcher ein Gesetzbuch geschrieben werden könnte. Ich bin weit entfernt, die Kraft der edlen Deutschen Sprache selbst in Zweifel zu ziehen; aber eben daß sie jetzt nicht dazu taugt, ist mir ein Zeichen mehr, daß wir in diesem Kreise des Denkens zurück sind. Kommt nur erst unsre Wissenschaft weiter, so wird man sehen, wie unsre Sprache durch frische, ursprüngliche Lebenskraft förderlich seyn wird. Noch mehr, ich glaube wir sind in diesem Stücke noch in neueren Zeiten rückwärts gegangen. Ich kenne aus dem achtzehnten Jahrhundert kein Deutsches Gesetz, welches in Ernst und Kraft des Ausdrucks mit der peinlichen Gerichtsordnung Karls des fünften verglichen werden könnte.
Ich weiß, was man auf diese Gründe antworten kann, selbst wenn man sie alle zugiebt: die Kraft des menschlichen Geistes sey unendlich, und bey redlichem Streben könne auch jetzt plötzlich ein Werk hervorgehen, woran von allen diesen
1)
Tacitus, Agricola C. 3.
(128)
Mängeln keiner verspürt würde. Wohl: der Versuch steht jedem frey, an
Aufmerksamkeit fehlt es unsrer Zeit nicht, und es hat keine Gefahr, daß das
wirkliche Gelingen übersehen werde.
(53) Ich habe bis jetzt die Fähigkeit unsrer Zeit zu einer allgemeinen Gesetzgebung untersucht, als ob dergleichen noch nicht unternommen worden wäre. Ich wende mich jetzt zu den Gesetzbüchern, welche die neueste Zeit wirklich hervorgebracht hat.
7.
Die drey neuen Gesetzbücher.
(54) Die vollständige Kritik eines Gesetzbuchs, die von größerem Umfang seyn muß, als das Gesetzbuch selbst, kann eben deshalb in den Gränzen einer kleinen Schrift nicht versucht werden. Auch kommt es hier auf diese Gesetzbücher nicht sowohl in ihrem Werthe im einzelnen an, als in der Wahrscheinlichkeit, die sie uns für oder wider das Gelingen einer neuen Unternehmung dieser Art darbieten. Sie sind nämlich sämtlich aus demjenigen Zustande juristischer Bildung hervorgegangen, für welchen oben die Fähigkeit zur Verfertigung eines guten Gesetzbuchs verneint worden ist, und sie werden folglich historisch zur Bestätigung oder Widerlegung unsrer Behauptung dienen können. Ich stelle den Code Napoleon zuerst, weil über ihn allein ausführliche Verhandlungen bekannt gemacht sind, welche recht unmittelbar zu unsrem Zwecke führen können. 1)
(55) Bey dem Code sind die politischen Elemente der Gesetzgebung vor den technischen von Einfluß gewesen, und er hat deshalb in dem bestehenden Rechte mehr als die deutschen Gesetzbücher geändert. Die Gründe und die Natur dieses überwiegenden Einflusses sind neuerlich in einer sehr geistreichen
1)
Ich werde dabey auf folgende Schriften verweisen: Conférence du code civil avec
la disccussion … du conseil d'etat et du tribunat. Paris Didot 1805. 8. vol. in 12. -
Code civil suivi de l’exposé des motifs (die Reden im corps legislatif). Paris Didot 1804. 8. vol. in 12. - (Crussaire) Analyse des observations des (55) tribunaux
d’appel et du tribunal de cassation sur le projet de code civil. Paris 1802. 4. - Maleville
analyse raisonnée de la discussion du code eivil, ed. 2. Paris 1807. 4. vol. in
8. Der Code und das Projet de code civil sind ohnehin bekannt.
(129)
Schrift so gründlich dargestellt worden 1), daß ich mich begnügen kann, ihre
Ansichten hier kurz zusammen zu fassen. Die Revolution nämlich hatte zugleich
mit der alten Verfassung auch einen großen Theil des bürgerlichen Rechts
vernichtet, beides mehr aus blindem Trieb gegen das bestehende und in
ausschweifenden, sinnlosen Erwartungen von einer unbestimmten Zukunft, als von
dem Wahn eines bestimmten, für treffiich gehaltenen Zustandes geleitet. Als nun
Bonaparte alles unter militärischen Despotismus zwang, hielt er den Theil der
Revolution, der ihm diente, und die Rückkehr der alten Verfassung ausschloß,
begierig fest, das übrige, was nun schon Alle anekelte, und was ihm selbst
entgegen gewesen wäre, sollte verschwinden, nur war dies nicht überall möglich,
da (56) die Wirkung der vergangenen Jahre auf Bildung, Sitten und Gesinnungen
nicht auszulöschen war. Diese halbe Rückkehr zu den vorigen ruhigen Zuständen
war allerdings wohlthätig, und sie gab dem Gesetzbuch, das in dieser Zeit
entstand, seine Hauptrichtung. Aber diese Rückkehr war Ermüdung und Ueberdruß,
nicht der Sieg edlerer Kräfte und Gesinnungen, auch wäre für diese in dem
öffentlichen Zustand, der sich nun zur Plage von Europa bildete, kein Raum
gewesen. Diese innere Bodenlosigkeit ist in den Diskussionen des Staatsraths
unverkennbar, und muß auf jeden aufmerksamen Leser einen trostlosen Eindruck
machen. Dazu kam nun der unmittelbare Einfluß der Staatsverfassung. Diese war,
als der Code gemacht wurde, der Theorie nach republikanisch im Sinn der
Revolution, in der That aber neigte sich schon alles zu dem später entwickelten
Despotismus. Daher entstand in den Grundsätzen selbst Schwanken und
Veränderlichkeit, so z. B. erklärte Bonaparte selbst 1803 im Staatsrathe
dieselben Familienfideicommisse für schädlich, unsittlich und unvernünftig 2),
welche 1806 wieder eingeführt und 1807 in den Code aufgenommen wurden. Weit
gefährlicher aber für die Gesinnung war es, daß durch diesen schnellen (57)
Wechsel der letzte so oft beschworene Gegenstand
1) Rehberg über den Code Napoleon. Hannover i814. 8.
2) Conférence T. 4. p. 126. „Ces substitutions étaient contraires à l'intérêt de l’agriculture, aux bonne» moeurs, à la raison; personne ne pense à les rétablir.”
(130) des Glaubens und der Verehrung wieder vernichtet wurde, und daß Ausdrücke und Formen nunmehr beständig mit den Begriffen in Widerspruch kamen, wodurch in den Meisten auch der letzte Rest von Wahrheit und sittlicher Haltung verschwinden mußte. Es würde schwer seyn, einen öffentlichen Zustand zu erfinden, welcher für die Gesetzgebung nachtheiliger als dieser wirkliche wäre. Auch blickt bey den Franzosen selbst nicht selten durch die stehenden Lobpreisungen ein Gefühl dieses unseeligen Zustandes und der Unvollkommenheit der auf denselben gegründeten Arbeit hervor 1). Für Deutschland aber, das der Fluch dieser Revolution nicht getroffen hatte, war der Code, der Frankreich einen Theil des Weges zurück führte, vielmehr ein Schritt vorwärts in den Zustand der Revolution hinein, folglich verderblicher und heilloser als für Frankreich selbst 2). - Doch alle diese Ansichten haben glücklicherweise für uns Deutsche nur noch ein historisches Interesse. Napoleon zwar hatte es anders gemeynt. Ihm diente der Code als ein Band mehr, die Völker zu umschlingen, und darum (58) wäre er für uns verderblich und abscheulich gewesen, selbst wenn er allen innern Werth gehabt hätte, der ihm fehlt. Von dieser Schmach sind wir erlöst, und es wird bald wenig mehr davon übrig seyn, als die Erinnerung, daß so manche Deutsche Juristen, selbst ohne allen äußeren Beruf, recht vergnügt mit diesem Instrument gespielt, und uns Heil verkündigt haben von dem was uns zu verderben bestimmt war. Jetzt hat der Code eine andere Stellung gegen Europa angenommen, und wir können ihn ruhig und unparteyisch als ein Gesetzbuch für Frankreich beurtheilen.
Wir betrachten nunmehr den technischen Theil des Code, welcher gedacht werden könnte ohne alle Revolution, indem er schon bestehendes Recht enthält 3). Dieses bestehende Recht aber
1) Einige Stellen s. bey Rehberg S. 141. 163. 177. 187.
2) Dieses sind im wesentlichen die Ansichten von Rehberg, und ich sehe nicht, wie man diesen ungerechte Bitterkeit vorwerfen kann: die Anwendung auf manche einzelne Stellen läßt sich freylich bestreiten.
3) Die Beurtheiluug des Code von dieser Seite lag außer Rehbergs Zweck. Viel treffliches hierüber enthält Thibauts Rec. von Rehbergs Schrift in den Heidelb. Jahrb. 1814. Jan. S. 1 u. f.
(131) ist theils Römisches, theils Französisches (coutumes), so daß auch dieser Theil des Code in jedem einzelnen Stücke von Frankreich zur Hälfte neues Recht einführte, und nirgends willkommen war 1); derselbe Erfolg würde bey einem ähnlichen Versuche in Deutschland unvermeidlich seyn. Davon abgesehen, wenden wir uns nun zur Arbeit selbst. Es ist selbst in Deutschland (59) nicht selten der Ernst und die Gründlichkeit gerühmt worden, womit man diese Arbeit betrieben habe 2). Daß die vier Redactoren mit der Grundlage des ganzen (dem projet de code civil) in wenigen Monaten zu Stande kamen, war freylich nicht zu läugnen: aber alles, was hier mangeln mochte, sollte in der Discussion des Staatsraths, diesem Stolze der Französischen Administration, vollendet worden seyn. Daß in dieser Discussion öfters auch gute Gedanken vorkamen, ist wahr, aber den allgemeinen Character derselben hat Thibaut sehr richtig in oberflächliches Hin- und Herreden und Durcheinandertappen gesetzt 3). Doch, was hier die Hauptsache ist, das eigentlich technische, wovon der wahre Werth abhieng, ist so gut als gar nicht zur Sprache gekommen. Und wie konnte es auch anders seyn! Einem sehr zahlreichen und sehr gemischten Collegium konnten wohl Fragen begreiflich gemacht werden, wie diese, ob der Vater seine Tochter ausstatten müsse, und ob der Kauf wegen großer Läsion angefochten werden könne, aber die allgemeine Theorie des Sachenrechts und der Obligationen ist nun einmal nicht ohne wissenschaftliche Vorbereitung zu verstehen, ja sie (60) konnte nicht einmal zur Sprache kommen bey einer Discussion, die den Entwurf blos nach der Reihe der einzelnen Artikel prüfte, ohne den Inhalt und die Behandlung ganzer Abschnitte zu untersuchen. So ist es denn gekommen, daß z. B. die Discussion über die Anfechtung des Kaufs wenigstens viermal so stark ist, als die über die zwey ersten Kapitel der Verträge 4). Und doch wird mir jeder Sachkundige zugeben, daß
1) Vgl. hierüber die ungemein vortrefflichen Bemerkungen des Appellationsgerichts von Montpellier bey Crussaire p. 5-9.
2) Z. B. von Seidensticker Einleitung in den Codex. Napoleon S. 221-224.
3) Heidelb. Jahrb. 1814. Jan. S. 12.
4)
Jene, über art. 1674-1685, steht conférence T. 6. p. 48-94, diese über a.
1101-1133, T. 5. p. 1-21, und davon nimmt der Text wenigstens die Hälfte ein.
(132) für
den Werth und die Brauchbarkeit des Gesetzbuchs überhaupt jene isolirte Fragen
gegen diese allgemeinen Lehren ganz unbedeutend sind. Der Staatsrath also hat
an dem Code, soweit er technisch ist, keinen Theil, und der Code ist und bleibt
die sehr schnelle Arbeit der bekannten Redactoren, eigentlicher Juristen. Und
wie stand nun die Rechtswissenschaft in Frankreich, als diese Männer sich
bildeten? Es ist allgemein bekannt, daß für das Römische Recht Pothier der
Leitstern der neuern Französischen Juristen ist, und daß seine Schriften den
unmittelbarsten Einftuß auf den Code gehabt haben. Ich bin weit entfernt,
Pothier gering zu schätzen, vielmehr wäre die Jurisprudenz eines Volkes, worin
er einer von vielen wäre, recht gut berathen. Aber eine juristische Literatur,
in welcher er allein steht, (61) und fast als Quelle verehrt und studiert wird,
muß doch Mitleid erregen. Betrachten wir ferner diese juristische
Gelehrsamkeit, wie sie in unläugbaren Thatsachen vor uns liegt, so ist sie in
der That merkwürdig. Sehr bedeutend sind schon solche Erscheinungen wie
Desquiron 1), der von einem Römischen Juristen Justus Lipsius bald nach den
zwölf Tafeln und von dem berühmten Sicardus unter Theodosius ll., Verfasser des
Codex Theodosianus, erzählt; selbst solche Monstrositäten verstatten einen
Schluß auf den mittleren Durchschnitt des wissenschaftlichen Zustandes. Allein
wir wollen uns unmittelbar an die Verfasser des Gesetzbuchs wenden, an
Bigot-Preameneu, Portalis und Maleville. Von den gelehrten Ansichten des ersten
ist bereits oben (35) eine Probe vorgekommen. Von Portalls mag die folgende
Probe genügen. Der art 6. enthält die Regel: jus publicum privatorum pactis
mutari nun potest. Man hatte den Einwurf gemacht, jus publicum heiße nicht das
Recht was den Staat interessirt, sondern jedes Gesetz ohne Unterschied, jedes
jus publice stabilitum. Darauf antwortet Portalis 2) : im allgemeinen seyen
(62) beide Bedeutungen des Worts zuzugeben, aber es frage sich, was es eben in
dieser Stelle des Römischen Rechts heiße. „Or, voici
comment est conçu
1) Desquiron esprit des Institutes de Justinien conféré avec le code Nap. Paris Renauidière, 1807. 2 vol. 4., in der historischen Einleitung.
2)
Moniteur an X. N. 86. p. 339. Die Rede gehört zu den nachher unterdrückten
Verhandlungen.
(133)
le sommaire de la loi 31me au Digeste de pactis: contra tenorem legis privatam
utilitatem continentis pacisci licet. … Ainsi, le droit public est ce qui
intéresse plus directement la société que les particuliers.” Ich will nicht
davon reden, daß hier jus publicum oberflächlich und schief verstanden ist,
aber ich frage: was lag bey dieser allgemeinen Regel daran, wie sich die Römer
eine ähnliche Regel dachten? und wenn daran etwas lag, wie war es möglich, den
Sprachgebrauch der Römer aus einer Stelle des Bartolus (denn von diesem ist das
summarium) darzuthun, d. h. diesen mit den Römischen Juristen für Eine Masse zu
halten? Das heißt doch wohl tamquam e vinculis sermocinari! Maleville zeigt
sich in seinem Buche durchaus als ein ehrenwerther und verständiger Mann: aber
einige Spuren seiner juristischen Gelehrsamkeit sind um so entscheidender, da
er gerade unter die Repräsentanten des Römischen Rechts bey der Redaktion des
Code gehörte. So z. B. giebt er eine kleine Uebersicht der Geschichte der
Usucapion und der res mancipi, die einzig in ihrer Art ist 1): so (63) lange
die Römer nur kleines und nahes Landeigenthum hatten, sagt er, waren zwey Jahre
zur Verjährung hinreichend, als sie aber in den Provinzen, also in großer
Entfernung von Rom, Land erwarben, wurden zehen Jahre erfodert (die longi temporis
praescriptio). Res mancipi hießen die Italischen Grundstücke und alle
bewegliche Sachen, bey beweglichen Sachen gieng durch bloße Tradition Eigenthum
über und Usucapion ging nur auf res mancipi; bey res nec mancipi aber, d. h.
bey Provinzialgrundstücken, gab es eine longi temporis praescriptio, wozu kein
Titel gehörte; der Inhaber derselben hieß dominus bonitarius. An einer andern
Stelle ist von der Justinianischen Usucapion die Rede: man müsse unterscheiden
zwischen dem Diebe selbst und dem dritten, welcher von dem Diebe kaufe, jener
brauche 30 Jahre, bey diesem komme die L. un. C. de usuc. transform. in
Anwendung, also dreyjährige Verjährung 2), ganz als ob von res furtiva bey den
Römern niemals die Rede gewesen wäre. Ein anderer sehr merkwürdiger Fall
betrifft Portalis und Maleville zugleich. Bey der Ehescheidung nämlich wird
beständig Römisches Recht
1) Maleville analyse T. 4. p. 358. 359.
2) l.
c. p. 407.
(134) mit
zur Sprache gebracht, aber Portalis und Maleville gehen aus von einer
Geschichte der Römischen Ehescheidung, welche nicht etwa blos falsch, (64)
sondern ganz unmöglich ist; so z. B. glauben beide, die Ehe habe nicht von
einem Ehegatten einseitig, sondern nur durch Uebereinkunft getrennt werden
können, wodurch in der That das ganze Recht der Pandekten, ja selbst das von
Justinian über diesen Gegenstand, vollkommen sinnlos wird; selbst die Scheidung
durch Uebereinkunft sey bey den Römern blos eine Folge der irrigen Ansicht, daß
die Ehe mit anderen Contracten auf gleicher Linie stehe 1)! Und dieses betraf
hier nicht etwa eine geschichtliche Curiosität, sondern Grundsätze, welche auf
die Discussion unmittelbaren Einfluß hatten, wie denn z. B. gerade das
unverständigste in der ganzen Geschichte der Römischen Ehescheidung zum
allgemeinen Ekel in den Art. 230 aufgenommen ist. Dieser Zustand juristischer
Gelehrsamkeit aber ist nicht als Hochmuth oder Verstockung auszulegen; bey den
Debatten über die Rescission des Kaufs führte einem Staatsrath der Zufall die
Dissertation von Thomasius über die L. 2. C. de resc. vend. in die Hände, und
es ist ordentlich rührend zu sehen, mit welchem Erstaunen diese Schrift
aufgenommen, excerpirt und discutirt wird 2). Mit ähnlicher und besserer
Gelehrsamkeit (65) könnten wir freilich noch in anderen Materien dienen! auch
kann man dieser literarischen Unschuld keine nationale Parteylichkeit
vorwerfen, denn bekanntlich lebten in Frankreich im 16ten Jahrhundert einige
Leute, von denen man noch jetzt Römisches Recht lernen kann. Aber ich selbst
habe einen juristischen Professor in Paris sagen hören, die Werke des Cujaz
dürften zwar in einer sehr vollständigen Bibliothek nicht fehlen, gebraucht
würden sie indessen nicht mehr, weil alles gute aus ihnen bey Pothier stehe.
So viel von dem Boden, worauf der Code gewachsen ist, nun von der Frucht selbst. Materielle Vollständigkeit lag nicht im Plane, es kam daher auf folgende drey Stücke an: Auswahl der Gegenstände, Auswahl der Bestimmungen über jeden Gegenstand, und Verhältniß zu demjenigen, was in subsidium gelten
1) Conférence T. 2 p. 123. 124. 136. Der Irrthum von Emmery p. 139 ist um einige Grade geringer.
2)
Conférence T. 6 p. 44.
(135)
sollte, wo der Code nicht zureichen würde. - Die Auswahl der Gegenstände war
für den praktisch gebildeten Juristen das leichteste, aber gerade diese ist
hier so ungeschickt ausgefallen, daß für die Anwendung die fühlbarsten Lücken
im großen entstehen. Nicht Erfahrung und praktischer Sinn hat sie bestimmt,
sondern der Anstoß, welchen herkömmliche Lehrart gegeben hatte, und geht man
weiter zurück, so wird man häufig finden, daß wichtige Gegenstände blos
deswegen fehlen, weil sie auch gar nicht oder nur beyläufig in Justinians
Institutionen vorkommen, die ja so vielen neueren Systemen oft (66) unbemerkt
zum Grunde liegen 1). Doch dieser Mangel kann uns gleichgültiger seyn, da er in
jedem künftigen Fall leicht zu vermeiden wäre.
Weit wichtiger in dieser Rücksicht, und weit schwerer an sich, ist die Auswahl der Bestimmungen über die wirklich abgehandelten Gegenstände, also das Finden der Regel, wodurch künftig die Masse des einzelnen regiert werden soll. Hier kam es darauf an, selbst im Besitz der leitenden Grundsätze zu seyn, worauf alle Sicherheit und Wirksamkeit im Geschäft des Juristen beruht (22), und worin die Römer so groß als Muster vor uns stehen. Gerade von dieser Seite aber erscheint die Arbeit der Franzosen am allertraurigsten, wie nunmehr in einigen Beyspielen gezeigt werden soll.
Ein Hauptfehler, der überall fühlbar wird, ist dieser. Die Theorie des Vermögensrechts ist im Ganzen die Römische. Bekanntlich beruht aber das Römische Vermögensrecht auf zwey Grundbegriffen, der dinglichen Rechte nämlich und der Obligationen, und jeder weiß, wie viel die Römer mit der Schärfe und Bestimmtheit dieser Begriffe ausrichten. Diese Grundbegriffe nun sind hier nicht etwa blos nirgends definirt, was ich gar nicht tadeln wollte, sondern sie kennen sie gar nicht in dieser Allgemeinheit, und diese (67) Unkunde verbreitet über das ganze Werk mehr Dämmerung, als man glauben sollte. Allein dieser Punkt, so wichtig er ist, bleibt doch zu sehr im allgemeinen stehen; die Lehre von der Ungültigkeit juristischer Handlungen in Anwendung auf die Verträge, auf die actes de l’état civil
1)
Beyspiele wichtiger Materien, die im Code ganz oder größtentheili fehlen,
stehen in den Heidelb. Jahrb. 1814 Januar S. t3.
(136) und
auf die Ehe, wird Gelegenheit geben, mehr in das besondere einzugehen. Für die
Ungültigkeit der Verträge hat das Römische Recht den bekannten Unterschied von
ipso jure und per exceptionem, der im alten Recht mit der höchsten Bestimmtheit
ausgebildet war, und noch im Justinianischen Recht wohl mehr, als man
gewöhnlich annimmt, wirksam geblieben ist. Im Code kommt ein Gegensatz von
convention nulle de plein droit und action en nullité ou en rescision vor (a. 1117).
Ob die Verfasser diesen Gegensatz für einerley mit jenem Römischen gehalten
haben, kann uns gleichgültig seyn: aber sehr wichtig ist es, daß die Theorie
dieser indirecten Ungültigkeit (durch action en nullité) ganz unbestimmt
gelassen ist. Es kommt fast nichts davon vor, als die Zeit der Verjährung (a.
1304), während sehr viele und sehr wichtige Verschiedenheiten der Wirkung
gerade so noch jetzt statt finden können, wie sie bey den Römern statt fanden,
also auf irgend eine Weise bestimmt werden mußten, da die Sache einmal angeregt
war. - Für die actes de l’état civil ist eine Menge von Förmlichkeiten
vorgeschrieben, die ihrer (68) Natur nach ganz willkührlich sind (.. l. T. 2.
Ch. 1.). Aber eben deshalb war es doppelt nöthig zu bestimmen, was für Folgen
die Vernachlässigung dieser Formen haben sollte. Mehrere Gerichtshöfe machten
auf diese Notwendigkeit aufmerksam 1), dennoch enthält der Code davon gar
nichts. Man sollte nun denken, in Paris sey man über die Sache selbst so sicher
und einig gewesen, daß man eine ausdrückliche Bestimmung für überflüssig
gehalten hätte; keinesweges. Cambaceres nimmt an, die Nichtbeobachtung jeder
Form erzeuge Nullität, d. h. sie vernichte alle Beweiskraft der Urkunde.
Tronchet dagegen meynt, bey Geburt und Tod komme auf die Formen gar nichts an,
und Falsum allein könne entkräften: bey Ehe hingegen, lasse sich allerdings
eine solche Nullität wegen fehlender Form denken. 2) Simeon aber nimmt an, die
nichtbeobachtete Form entkräfte niemals den Beweis, also auch nicht bey Ehe. 3)
Ist nun diese Meynung richtig, so gehörten alle diese Formen gar nicht in
1) Lyon und Rouen, bey Crussaire p. 43. 52.
2) Conférence T. 1. p. 204. 267.
3)
Motifs T. 2. p. 115
(137) den
Code, sondern in die bloße Instruction der Beamten, die Fassung des Code also
spricht eigentlich gegen diese Meynung. Die Sache ist aber um so schlimmer, da
diese Formen bey den Todtenlisten wenigstens (69) in Paris ganz unausführbar
sind, und auch in den Provinzen ihre Aufrechthaltung nur gewünscht wird. 1). -
Noch weit wichtiger aber ist die Lehre von der Ungültigkeit der Ehe. Das
Römische Recht hatte hier einen sehr einfachen und sehr klaren Weg
eingeschlagen. Fehlte eine Bedingung gültiger Ehe, so hieß es: non est
matrimonium, und auf dieses Nichtdaseyn konnte sich zu jeder Zeit jeder
berufen, der Lust dazu hatte; eine besondere Klage zur Aufhebung war nicht
nöthig, ja nicht denkbar, also gab es auch keine Verjährung noch andere
Beschränkung dieses Rechts. Diese Einfachheit genügte, weil für jeden andern
Fall die einseitige Ehescheidung aushalf; daß man in unsern Zeiten damit nicht
auskam, war natürlich, und man konnte also außer den Fällen jener Nullität
(welche ich die Römische Nullität nennen will) noch ein besonderes Recht auf
Anfechtung aufstellen, was man (da es auf das Wort nicht ankommt) immerhin
action en nullité nennen mochte. Wie verhält sich nun dazu der Code? er nimmt
zweyerlei Nullitäten an, absolute und relative (L. 1. T. 5 Ch. 4.). Dieses
möchte man wohl gerade für den hier beschriebenen Gegensatz halten, so daß z.
B. Vernachlässigung der Trauungsform eine Römische Nullität wäre. Genau so
versteht es auch Portalis 2), der eben für diesen speciellen Fall (70) die
wahre, ächte Nullität mit lebhaften Farben ausmahlt. Allein Maleville nimmt die
Römische Nullität (das non est matrimonium) außer allen diesen
Anfechtungsrechten (mariage qui peut être cassé) und verschieden von denselben
an, so daß es dreyerley gäbe: 1. non est matrimonium; 2. absolute Nullität des
Code; 3. relative Nullität 3). Auch bey Nr. 2 läßt sich wohl etwas denken,
nämlich es wäre ein Klagerecht auf Vernichtung, was jeder hätte, aber doch ein
bloßes Klagerecht, so daß ohne alle Klage, und wenn z. B. ein Ehegatte
gestorben wäre, die Ehe mit allen Folgen gültig bliebe;
1) Maleville T. 1. p. 104.
2) Motifs T. 2. p. 255.
3)
Maleville T. 1. p. 165.
(138) nur
wäre das freylich eine überflüssige Subtilität. Aber noch verwickelter ist die
Ansicht von Maleville in dem speciellen Fall, wenn die Trauungsform fehlt.
Diese Ehe, sagt der Art. 191. peut être attaqué von jedermann; aber Art. 193.
läßt merken, es werde Fälle dieser Art geben, in welchen die Ehe nicht werde
aufgehoben werden, doch ohne diese Fälle zu nennen. Aus beiden Stellen zieht
Maleville folgendes Resultat 1): die Ehe peut être attaqué, d. h. man kann auf
Aufhebung klagen, das Gesetz verwehrt die Klage nicht, aber was der Richter
thun will, ist seine Sache, oder mit andern Worten, die Aufhebung der Ehe hangt
von der (71) Willkühr des Richters ab. Das wäre folglich noch eine vierte Art
der Ungültigkeit, verschieden von den drey oben angegebenen. Schwerlich giebt
es einen Fall, in welchem richterliche Willkühr gefährlicher und unpassender
ist als in diesem. Ob sie gilt, steht freylich dahin, denn das Gesetz sagt
davon eigentlich nichts, und zwey Redactoren haben darüber, wie ich gezeigt
habe, ganz entgegen gesetzte Meynungen. Aus zwey Gründen aber wird diese
Ungewißheit noch besonders hart: erstlich, weil sich in Paris (und
wahrscheinlich nicht bloß da) die meisten Armen der Kosten wegen gar nicht
trauen lassen 1), zweytens weil die Form der Trauung selbst eine höchst
schwankende Bedingung in sich faßt. Nämlich die Trauung muß nothwendig von dem
officier de domicile eines der beyden Ehegatten geschehen, so daß nicht einmal
Delegation zulässig ist 2). Aber das domicile ist hier nicht das sonst
gewöhnliche (Art. 102), sondern ein besonderes, für die Trauung allein
erfundenes, nämlich Aufenthalt von 6 Monaten (Art. 74), so daß man nicht einmal
zwischen beiden Arten von domicile zu diesem Zwecke die Wahl hat 4). Wie oft
nun muß es bey manchen Gewerben zweifelhaft seyn, ob man auch bey dem besten
(72) Willen den rechten Beamten getroffen hat! In jedem Falle dieser Art aber
ist das ganze Schicksal einer Familie der völlig blinden Willkühr eines
Gerichts überlassen, welchem bey keiner möglichen Entscheidung ein
1). Maleville T. 1. p. 206.
2) Maleville T. 1. p. 327.
3) Maleville T. 1. p. 96.
4)
Maleville T. 1. p. 182.
(139)
Vorwurf gemacht werden kann, da jede Entscheidung die angesehensten Autoritäten
für sich hat. Und der erste Grund dieses heillosen Schwankens ist, daß man
nicht von einem bestimmten, entscheidenden Begriffe ausgegangen ist, sondern
sich in steter Verwirrung zwischen wahrer Nullität und Anfechtungsrecht hin und
her bewegt hat, ohne jemals aus der Unklarheit heraus kommen zu können 1),
wodurch die gänzliche Unnützlichkeit der Staatsrathsdiscussionen in technischen
Dingen recht anschaulich wird. Bey den Römern waren solche Dinge gar nicht
möglich, und es war diese Unmöglichkeit nicht etwa der Gipfel ihrer Kunst,
sondern der erste Anfang: das heißt, sie waren Männer vom Fach, während diese
Redactoren und Staatsräte reden und schreiben wie (73) Dilettanten, oder mit
anderen Worten, jene brauchten kein Gesetzbuch, diese sollten keines machen wollen.
Noch wird durch diesen Fall recht anschaulich, was oben über die Gefährlichkeit
unnöthiger und unberufener Gesetzgebung gesagt worden ist. Eine Verwirrung der
Begriffe, wie die hier beschriebene, kann viele Jahre da seyn, unbemerkt und
unschädlich, weil sich durch Gebrauch das alles in ein gewisses leidliches
Gleichgewicht gesetzt hat. Aber jetzt wird sie gesetzlich ausgesprochen, und
wohl gar durch Discussionen ohne Erfolg zur allgemeinen Kenntniß gebracht, und
nun wird sie gefährlich, nun wird sie in der Hand des Ungerechten ein Mittel,
Andere zu bestricken und zu übervortheilen. Dieses wäre eine politische Deutung
der Regel: Omnis definitio in jure civili periculosa est.
Zuletzt ist noch bey dem Code über dasjenige zu sprechen, was in subsidium gelten soll, wo er nicht zureicht. Ueber den Umfang und die Wichtigkeit desselben haben sich die Franzosen nicht getäuscht, sie haben eingesehen, daß eigentlich die
1)
Die vergeblichen Bemühungen stehen conférence T. 2. p. 79-90. Der Gipfel der
Verwirrung ist in der Bemerkung von Tronchet p. 84 que jamais le mariage n’est
nul de plein droit; il y a toujours un titre et une apparence qu'il faut
détruire. Wenn jemand mein Haus besitzt, so giebt es auch une apparence à
detruire, (etwas blos faktisches), dazu dient die Vindication; aber sein
angebliches Recht des Eigenthums ist dennoch nul de plein droit, d. h. es ist
gar nicht da, und dieses aufzuheben brauche ich keine Klage. Bey Testamenten
läßt es sich durch den Gegensatz der alten Nullitat wegen eines präterirten Sohnes,
und der querela inofficiosi, recht deutlich machen.
(140)
allerwenigsten Rechtsfälle unmittelbar durch eine Stelle des Code entschieden
werden können, daß also fast überall jenes unbekannte das wahrhaft
entscheidende seyn müsse 1). Aber über die Natur desselben erklären (74) sie
sich etwas mannichfaltig, sie behandeln es wie eine unbestimmte Größe, welche
viele Werthe haben kann. Als solche Werthe nämlich kommen vor 2): 1. equité
naturelle, loi naturelle; 2. Römisches Recht; 3. die alten coutumes;
4. uzsages, exemples, décisions, jurisprudence; 5. droit commun 3); 6.
principes generaux, maximes, doctrine, science. Ueber das Verhaltniß dieser sehr
verschiedenen Werthe zu einander wird gar nichts gesagt, außer einmal, daß das
Naturrecht nur in subsidium gelte, wenn selbst usage und doctrine nicht
ausreiche 4). Wir wollen es versuchen, bestimmte Resultate hieraus zu ziehen.
Zuvörderst ist es auffallend, daß Eine Art der Ergänzung gar nicht vorkommt, die organische nämlich, welche von einem gegebenen Punkt (also von einem Grundsatz des Gesetzbuchs) mit wissenschaftlicher Sicherheit auf einen nicht gegebenen schließt. Unsere Juristen haben davon unter den Namen Analogie (75) und argumentum legis etwas beschränkte Begriffe, und auch bey den Franzosen findet sich einmal beyläufig eine Ahnung davon 5). Aber daß nicht eigentlich Gebrauch davon gemacht wird, ist wohl
1) Portalis in conférence T. l. p. 29.- Boulay im Moniteur an X. N. 86. p. 343. „On sait que jamais, ou presque (74) jamais, dans aucun procés, on ne peut citer un texte bien clair et bien precis de loi, en sorte que ce n’est jamais que par le bon sens et par l’équité que l’on peut décider.”
2) Conférence T. l. p. 27. 29. Motifs. T. 2. p. 17. 18. Maleville T. 1. p. 13. Projet, discours préliminaire p. XI. XII. XIII.
3) Bonaparte in conférence T. 2. p. 327. Avis du conseil d’état im Bulletin des lois und bey Locré I. 3. p. 104, „les divers cas que la loi .. a laissés à la disposition des principes generaux et du droit commun."
4) Projet l. c.
5)
Projet, discours préliminaire, p. XIX. „Dans cette immensité d’objets divers,
qui composent les matières civiles, et sont le jugement, dans le plus grand
nombre de cas, est moins l’application d’un texte que la combination de
plusieurs textes qui conduisent à la décision bien plus qu’ils ne la
renferment, on ne peut pas plus se passer de jurisprudence que de lois.”
(141)
nicht zufällig. Dieses Verfahren setzt in dem Gesetzbuch selbst eine organische
Einheit voraus. An eine solche aber ist hier auch nicht entfernt zu denken,
weder materiell, noch formell. Nicht materiell, denn der Code enthält blos
mechanisch vermengt die Resultate der Revolution und das vorige Recht (S. 56),
ja auch das vorige Recht ist in ihm nichts in sich verbundenes, da er eine
transaction zwischen Römischem Recht und coutumes seyn soll, wie öfters von ihm
gerühmt worden ist. Formelle Einheit würde er seyn, wenn er von den Juristen,
seinen Verfassern, durch die verarbeitende Kraft des Gedankens zu einem
logischen Ganzen geworden wäre, aber daß man sich nicht so hoch verstiegen hat,
wird durch die bisherige Darstellung klar geworden seyn. Demnach blieb freylich
nichts übrig, als eine Ergänzung von außen zu suchen.
Die oben angegebenen Ergänzungsmittel, welche (76) bey den französischen Schriftstellern selbst vorkommen, lassen sich noch sehr reduciren. Das Naturrecht ist wohl mehr zum Staat als zu ernstlichem Gebrauch mit aufgeführt; wo von besondern Anwendungen die Rede ist, wird keine Notiz davon genommen, und nur in Deutschland hat man den Zustand der Französischen Richter wegen des freyen Gebrauchs dieser Rechtsquelle glücklich gepriesen 1); ich wünschte aber wohl gegenwärtig zu seyn, wenn ein Französisches Gericht nach dem Naturrecht entscheidet, ob eine Ehe wegen unvollkommener Form der Trauung ungültig ist. Die übrigen Stücke kommen zurück auf diese zwey: 1. bisheriges Recht; 2. wissenschaftliche Theorie. Diese sind nun einzeln zu prüfen.
Das bisherige Recht ist bekanntlich nicht blos, wo es dem Code widerspricht, sondern in allen Materien, die der Code berührt, aufgehoben (Art. 4), also so gut als überall. Indessen sind die Franzosen über die Bedeutung dieser Aufhebung mehr im klaren, als die Deutschen Juristen, welche aus Haß oder Neigung gegen das Römische Recht viel darüber gestritten haben. Jene nehmen an, das Römische Recht sowohl als die coutumes zu befolgen, sey dem Richter erlaubt, aber es sey ihm nicht
1)
Schmid Einleitung in das bürgerl. Recht des Franz. Reichs B. 1. S. 21-23. 373.
374.
(142)
geboten, und zwar habe das den Sinn, daß ein (77) richterliches Urtheil nicht
deswegen cassirt werden könne, weil es diesen Rechtsquellen widerspreche 1).
Dasselbe gilt nun auch vom vormaligen Gerichtsgebrauch 2), wie denn
unzähligemal die alte jurispruclence als Quelle angeführt wird. Ohne Zweifel
denkt man sich das nicht so, daß jeder Richter in einem Fall, den der Code
unentschieden läßt, zwischen Römischem Recht und irgend einer coutume wählen
dürfe, denn sonst wäre die Willkühr zu ungeheuer, sondern jeder soll das Recht
befolgen, was in dieser Gegend vormals galt, d. h. entweder Römisches Recht,
durch den alten Gerichtsgebrauch modificirt, oder eine specielle coutume mit
derselben Modifikation. Die nothwendige Folge davon wird wiederum eine große
Rechtsverschiedenheit in den Sprengeln der einzelnen Appellationsgerichte seyn,
und diese Verschiedenheit wird jetzt, wo sie in der Stille, gegen die Absicht
des Gesetzes, und mit Verwirrung der vorigen Gränzen statt finden muß, ein
wahres Uebel seyn, was sie vormals nicht war. Dabey wird aber schon der
günstige Fall vorausgesetzt, daß die Gerichte auf diese regelmäßige Weise von
der Erlaubniß jener entfernten Rechtsquellcn Gebrauch machen wollen. Aber wer
bürgt dafür, da es ihnen nicht geboten ist? Wenn also in einem (78) Rechtsfall
ein Gericht vorzieht, irgend eine beliebige équité oder loi naturelle
anzuwenden aus besonderer Ueberzeugung, oder als Vorwand einer Ungerechtigkeit,
so kann ihm durchaus kein Vorwurf gemacht werden, denn das Gesetz läßt dieses
alles gelten. Man sage nicht, das Cassationsgericht werde die künftige Praxis
in Ordnung, ja sogar in Gleichförmigkeit erhalten: das Cassationsgericht soll
ja blos cassiren, wo gegen ein Gesetz des Code oder ein neueres Gesetz
gesprochen wird: der Spruch für oder wider loi naturelle, Römisches Recht, coutume
oder jurisprudence liegt also ganz außer der Wirksamkeit jenes Gerichtshofes.
Endlich ist auch noch der wichtige Umstand zu bemerken, daß in allen aus der
Revolution hervorgegangenen Stücken des Code das vorige Recht gar keinen Schutz
gegen die blindeste Willkühr gewährt. Auch dafür mag wiederum das oben gewählte
Beyspiel von Ungültigkeit der Ehe zur Erläuterung dienen.
1) Maleville T. 4. p. 414-417.
2)
Locré T. 3 p. 443 ed. Paris 1805. 8.
(143) Das
zweite, was als Supplement des Code gelten kann, ist die wissenschaftliche
Theorie. Portalis beschreibt diese einmal sehr prächtig: sie sey wie das Meer,
die Gesetze seyen die Ufer 1). In Frankreich hat es nun freylich mit diesem
Meere nicht viel zu bedeuten, denn eine Rechtswissenschaft, die nicht auf dem Boden
gründlich historischer Kenntniß ruht, (79) versieht eigentlich nur
Schreibersdienst bey dem Gerichtsgebrauch. So ist es in Frankreich in der That,
und eine von dem Gerichtsgebrauch verschiedene Theorie existirt da eigentlich
nicht, so daß alles, was über die Unsicherheit des praktischen Rechts gesagt
worden ist, auch die Theorie trifft. Die Lehranstalten allein haben ihrer Natur
nach eine ganz theoretische Form: von diesen wird im folgenden Abschnitt
bequemer gesprochen werden können.
Allerdings können einige Umstände eintreten, wodurch der Zustand der praktischen Rechtspflege günstiger ausfällt, als hier angedeutet worden ist. Durch Unkenntniß und Geistesträgheit kann es dahin kommen, daß einzelne Quellen und Schriftsteller in vielen Gerichten gleichförmig befolgt werden, so z. B. kann man die coutume von Paris mit ihrem Commentator Ferriere weit und breit bequem finden, auch wo sie sonst nicht gegolten hat. Auch mögen in der alten jurisprudence gar manche Sätze ziemlich allgemein angenommen gewesen seyn. Vielleicht ist es etwas der Art, was man sich unter dem oben genannten droit commun (S. 74) denkt. Ferner muß man nicht glauben, daß gerade alle hier genannte Uebel als solche empfunden werden müssen; die Römer des vierten und fünften Jahrhunderts nach Christus haben auch nicht daran gedacht, daß wir sie wegen ihres tiefen Verfalls bedauern würden. Im Ganzen aber ist doch nicht zu läugnen, (80) daß ein Zustand sehr großer Rechtsungewißheit zu befürchten ist. Dieser Zustand nun ist unerträglich; denn ob an verschiedenen Orten verschiedenes Recht gilt, daran liegt wenig, aber wenn für einen gegebenen einzelnen Fall das Recht dem Zufall und der Willkühr preis gegeben ist, so ist das schlimmste eingetreten, was für die Rechtspflege gedacht werden kann, und dieses Uebel wird gewiß von jedem empfunden.
Es verdient die rühmlichste Anerkennung, daß in Frankreich
1)
Moniteur an. X. p. 327.
(144)
wenigstens Eine wahre und gründliche Stimme über das, was man thun wollte,
gehört worden ist: aber diese Stimme ist verhallt ohne Spur einer Wirkung. Das
Tribunal von Montpellier spricht über den künftigen Gerichtsgebrauch, wodurch
der Code ergänzt werden soll, also 1): „Mais quelle jurisprudence! n’ayant
d’autre règle que l’arbitraire sur l’immensité d’objets à co-ordonner au
systême de la législation nouvelle, à quelle unité, à quel concert faudrait-il
s’attendre de la part d’une pareille jurisprudence, ouvrage de tant de juges et
de tant de tribunaux, dont l’opinion ébranlée, par les secousses
révolutionaires, serait encore si diversement modifiée! quelle serait enfin le
régulateur de cette jurisprudence disparate, qui devrait nécessairement se (81)
composer de jugements non sujets à cassation, puisqu’ils ne reposeraient pas
sur la base fixe des lois, mais sur de principes indéterminés d’équité, sur des
usages vagues, sur des idées logiciennes, et, pour tout dire en un mot, sur
l’arbitraire! A
un systême incomplet de législation, serait donc joint pour supplément une
jurisprudence défectueuse.” Diesem Uebel zu begegnen, heißt es weiter, könne man
zwey Wege einschlagen. Entweder den Code blos betrachten als Institutionen, und
ihm ein zweytes, ausführlicheres Werk beygeben, was den Zweck von Justinians
Pandekten und Codex hätte. Oder man könnte zweytens und besser als Regel das
bisherige, verschiedene Recht bestehen lassen, und blos in einzelnen bestimmten
Stücken neues und gleichförmiges Recht durch ganz Frankreich einführen, das
heißt also, kein Gesetzbuch machen. Dieses ist der eigentliche Vorschlag, und
die ganze Art, wie er ausgeführt und begründet wird, ist so gediegen und ächt
praktisch, daß man in dieser Umgebung durch so frische Gedanken zwiefach
erfreut wird.
Ich wende mich nun zum Preußischen Landrecht. Zur Geschichte desselben dienen zunächst die officiellen Bekanntmachungen über diesen Gegenstand 1), dann (82) einige Stellen aus Kleins
1) Crussaire p. 8.
2)
Cabinetsordre von 1780 vor dem Corpus Juris Fridericianum B. 1. Berlin 1781. 8.
- Die Vorerinnerungen vor dem Entwurf des Gesetzbuchs Th. 1. Abth. 1. und Th.
2. Abth. 1. und 3. - Cabinetsordre von 1786 in Kleins Annalen Th. l. S. XLIX. -
Publicationspatente von 1791 und 1794 vor dem Gesetzbuch (1791) und dem
Landrecht (1794).
(145)
Schriften 1), der wichtigste Beytrag aber von Simon ist erst 1811 durch
folgende Veranlassung erschienen 2). Die Materialien der gesammten neuen
Gesetzgebung nämlich sind noch größtentheils vorhanden; diese zu ordnen und
dadurch erst brauchbar zu machen, wurde dem eben genannten Rechtsgelehrten
übertragen, und dessen Bericht über dieses Geschäft giebt eine so gründliche
und vollständige Geschichte der ganzen Unternehmung, daß dagegen die bisherigen
Nachrichten fragmentarisch und zum Theil unzuverlässig erscheinen. Es ist nicht
möglich, in dieser trefflichen Schrift zu sehen, wie durch vereinte und stets
wiederholte Arbeit der eigentlichen Redactoren, der Gesetzcommission, der
Landescollegien, der ständischen Deputirten, und vieler Gelehrten und
Geschäftsmänner aus allen Theilen von Deutschland das Landrecht entstanden ist,
ohne vor (83) dem Ernst und der Ausdauer, die darin bewiesen worden sind, große
Achtung zu empfinden; die Seele des Ganzen aber war der geistreiche Suarez,
durch welchen Einheit in der Wirksamkeit so vieler und verschiedener
Mitarbeiter erhalten wurde. Gleich von dieser Seite wird kein Unbefangener den
Code mit dem Landrecht vergleichen wollen: nicht blos die Gewissenhaftigkeit
und Liebe zur Sache, die den besseren Deutschen natürlich ist, erklärt diesen
Unterschied, sondern auch die ganz verschiedene äußere Lage, aus welcher beide
Gesetzbücher hervorgiengen: der Code sollte schnell fertig seyn, um manches
drückende Uebel aus der Revolution zu mildern, und um alles auf gleichen Fuß zu
setzen, während das Landrecht blos mit dem Zweck und dem Gefühl, etwas treffliches
zu leisten, ohne äußere Noth, die dazu drang, bearbeitet wurde. Was ich als
einen zweyten großen Vorzug des Landrechts betrachte, ist das Verhältniß
desselben zu den localen Quellen; es sollte blos als subsidiarisches Recht an
die Stelle des „Römischen, gemeinen Sachsen- und andrer fremden
1) Kleins Annalen B. 1. und B. 8., gleich im Anfang beider Bände. - Kleins Selbstbiographie. Berlin 1806. 8. S. 47.
2)
Bericht des Justizcommissarius Simon üb. Redaktion der Materialien der preuss.
Gesetzgebung, in Mathis jur. Monatsschrift B. 11 Heft 3. S. 191 bis 286 nebst
einem Konspektus der Materialien. - Die Materialien zum Landrecht allein (ohne
die Gerichtsordnung) betragen 1500-2000 einzelne Stücke in 88 Folianten.
(146)
subsidiarischen Rechte und Gesetze treten 1), und alle Provincialrechte sollten
fort bestehen, aber auch binnen drey Jahren zu besonderen Gesetzbüchern
verarbeitet werden 2). (84) Andere werden dieses Verhältniß vielmehr als eine
Unvollkommenheit des Landrechts betrachten.
Sehen wir aber auf die innere Entstehung des Landrechts, so wird auch dadurch unsre Ansicht bestätigt, nach welcher in dieser Zeit kein Gesetzbuch unternommen werden sollte. Der Plan, nach welchem gearbeitet wurde, liegt vor Aller Augen. Das Justinianische Recht sollte dergestalt Grundlage des Ganzen seyn, daß davon nur aus besonderen Gründen abgewichen werden sollte. Diese Gründe wurden darin gesetzt, wenn ein Satz des Römischen Rechts aus der stoischen Philosophie, oder der besondern Verfassung, z. B. der Politik der Kaiser, oder aus den spitzfindigen Fictionen und Subtilitäten der alten Juristen entstanden wäre 3). Dadurch zerfällt das Römische Recht im Verhältniß zum Landrecht in zwey Theile, einen anwendbaren als Regel, und einen unanwendbaren als Ausnahme, und es entstand die doppelte Aufgabe, die Ausnahme gehörig abzusondern, und die Regel gründlich zu verstehen. Nämlich was in der That auf stoischer Philosophie oder (85) besonderer Verfassung beruht, und was eine verwerfliche Subtilität ist, kann offenbar nur von einer sehr gründlichen Rechtsgeschichte aus erkannt werden; dieselbe geschichtliche Kenntniß und zugleich ein lebendiges Quellenstudium ist nöthig, wenn das anwendbare Recht verstanden und zu wirklicher Anwendung ersprieslich verarbeitet werden soll. Ob nun die Schulen von Nettelbladt und Darjes, in welchen gewiß die Meisten gebildet worden sind, die auf das Landrecht großen Einfluß gehabt haben, im Besitz dieser geschichtlichen Kenntnisse und dieses Quellenstudiums waren, überlasse ich jedem aus
1) Publicationspatent §. 1.
2) Dieses ist indessen für Ostpreussen etwas später geschehen (Ostpreussisches Provinzialrecht. Berlin 1801. 8), für die übrigen Provinzen gar nicht. Es gilt also da das besondere Recht in seiner alten Form.
3)
Entwurf des Gesetzbuchs Th. 5. Abth. 1. S. 5. 6. Kleins Annalen B. 8. S.
XXVI-XXIX. Simon S. 197-199. Mehrere der wichtigsten Neuerungen wurden noch in
der allerletzten Revision des Landrechts weggelassen. Simon S. 235.
(147) den
Schriften dieser Schulen und ihrer Meister zu beurtheilen 1). Der Anfang des
Ganzen sollte ein vollständiger Auszug der Justinianischen Rechtsbücher seyn.
Dazu war Anfangs an Schlosser der Antrag gemacht worden, mit welchem man aber
über die Bedingungen nicht einig werden konnte 2). Der Auszug selbst wurde nun
von 3). Volkmar nach einem systematischen Plane von Suarez gemacht; zur
Kontrolle der Vollständigkeit verfertigte Volkmar ein Verzeichniß aller Stellen
des Corpus Juris nach Ordnung der Quellen, so daß bey jeder Stelle bemerkt
wurde, wo sie in jenem Systeme (86) vorkomme, oder warum sie da fehle. Dieser
systematische Auszug wurde dann von Volkmar und Pachaly verarbeitet, welche
Verarbeitung als das erste Material der eigentlichen Redaktion anzusehen ist 4)
Dieses Material ist allerdings unglaublich oft geprüft und wieder bearbeitet
worden, und gewiß ist im Landrecht davon sehr wenig unmittelbar übrig
geblieben. Aber nicht blos hangt in der Richtung jedes Geschäfts von großem
Umfang ungemein viel von dem ersten Anstoß ab, sondern gerade hier konnte gar
vieles beynahe nur in dieser ersten Grundlage geschehen, und was von Volkmar
gethan und unterlassen worden ist, muß wohl für alle nachfolgende Arbeiten sehr
bestimmend gewesen seyn. Sollte dieser überwiegende Einfluß vermieden werden,
so hätte ein Anderer, unabhängig von Volkmars Arbeit, und unmittelbar aus den
Quellen selbst, das erste Material nochmals aufstellen müssen, und darin allein
hätte eine durchgreifende Probe für Volkmars Arbeit, was die Kenntniß und den
Gebrauch der Quellen betrifft, bestehen können. Dieses ist nicht geschehen,
alle folgende Revisionen sind wahrscheinlich hierauf am wenigsten gerichtet
gewesen, und so steht Volkmars Arbeit sehr allein, obgleich man ihn blos als
Sammler betrachtet, auch nicht vorzüglich geschätzt (87) zu haben scheint 4).
Gerade für diese Stelle
1) Hugo über Daniel Nettelbladt, civilist. Magazin B. 2. N. 1.
2) Simon S. 498.
3) Simon S. 200-202.
4)
Simon S. 202. - Von Volkmar existiren folgende Schriften: 1) De condictionum
indole. Hal.
1777 (Simon S. 200). 2) De intestatorum Atheniensium hereditatibus. Traj. ad
Viad. 1778. (Schott
Critik. B. 10. S. 29).
(148) wäre
ein Mann von Geist und Gelehrsamkeit sehr wünschenswerth gewesen, und es wäre
interessant, wenn man wenigstens nach einzelnen Proben vergleichen könnte, wie
Schlosser die Aufgabe gelöst haben würde. Vielleicht lag aber in dem
Mechanismus des ganzen Geschäfts ein Grund, warum dieser Auftrag für einen Mann
von Bedeutung und Selbstständigkeit nicht passend gewesen wäre.
Sieht man auf das Resultat, wie es vor uns liegt, so ist ein bestimmtes Urtheil schwerer als bey dem Code, weil die Verhandlungen, woraus dieses Resultat hervorgegangen ist, nicht bekannt gemacht sind. Auch scheint es, daß der Plan des Werks, so wie der ganzen Rechtspflege, die darauf gegründet werden sollte, nicht immer derselbe gewesen ist. Ursprünglich hatte unläugbar Friedrich II. die Absicht, daß das Gesetzbuch höchst einfach, populär und zugleich materiell vollständig seyn sollte, so daß das Geschäft des Richters in einer Art mechanischer (88) Anwendung bestehen könnte 1). Diesem gemäß verbot er schlechthin alle Interpretation, und wollte, daß bey unzulänglichen oder zweifelhaften Gesetzen, in jedem einzelnen Fall bey der gesetzgebenden Gewalt angefragt würde 2). Auch noch im Entwurf des Gesetzbuchs ist die Interpretation dem Richter eigentlich ganz untersagt, und alles an die Gesetzcommission auch für einzelne Fälle gewiesen 3). Ganz anders nach dem Landrechte; dieses will, daß der Richter auch auf den Grund des Gesetzes sehe, vorzüglich aber, daß er jeden Fall, für welchen er kein Gesetz findet, nach den allgemeinen
3) Erörterung der Begriffe Erbschaft ex asse (et)c. Breslau 1780. (ib. S. 82).
4) Varia quae ad leges Romuleas et magistratus pertinent. Vratislav. 1779. 8.
5) Ueber ursprüngliche Menschenrechte. Breslau 1798. 8. (Ersch Literatur der Jurisprud. S. 272). Ich kenne davon nur die vierte, und diese ist allerdings wenig bedeutend.
1) Cabinetsordre von 1780 S. XII. XIII. „Wenn Ich .. . Meinen Endzweck … erlange, so werden freylich viele Rechtsgelehrten bey der Simplifikation dieser Sache ihr geheimnißvolles Ansehen verlieren, um ihren ganzen Subtilitäten-Kram gebracht, und das ganze Corps der bisherigen Advokaten unnütz werden. Allein ich werde dagegen ... desto mehr geschickte Kaufleute, Fabrikanten und Künstler gewärtigen können, von welchen sich der Staat mehr Nutzen zu versprechen hat."
2) a. a. O. S. XIII.
3)
Entwurf Einl. §. 34-36.
(149)
Grundsätzen des Gesetzbuchs und nach den Gesetzen ähnlicher Fälle entscheide
1); die Anfrage bey der Gesetzcommission war schon dadurch äußerst beschränkt
und selbst wo sie statt fand, war doch nur der anfragende Richter an den
Ausspruch gebunden, und es galten Rechtsmittel (89) gegen das Urtheil 2). In
der neuesten Ausgabe des Landrechts aber ist auch diese beschränkte Anfrage
aufgehoben, und die Interpretation des Richters für jede Art von Fällen
gestattet 3). Dadurch ist denn allerdings die ganze Lage des Richters anders,
als Friedrich II. sie gedacht zu haben scheint, und dem ganzen Richteramte wird
dadurch ein mehr wissenschaftlicher und weniger mechanischer Character
zuerkannt. Dennoch ist dieses nur eine einzelne Abweichung von der Regel, es
soll offenbar nur von den als selten gedachten Ausnahmen gelten, in welchen ein
unmittelbar bestimmendes Gesetz fehlen würde, ja ein Fall dieser Art soll,
sobald er vorkommt, angezeigt und durch ein neues Gesetz entschieden werden 4).
Die eigentliche Tendenz des bestehenden Gesetzes selbst also geht auch jetzt
noch darauf, daß die einzelnen Rechtsfälle als solche vollständig aufgezählt,
und einzeln entschieden werden. Und gerade darin ist die Methode des Landrechts
der oben beschriebenen, welche wir in den übrig gebliebenen Schriften der
Römischen Juristen finden, entgegen gesetzt; nicht zum Vortheil des Landrechts,
wie es mir scheint. (90) Bey den Römern beruht alles darauf, daß der Jurist
durch den lebendigen Besitz des Rechtssystems in den Stand gesetzt wird, für
jeden gegebenen Fall das Recht zu finden. Dazu führt die scharfe, individuelle
Anschauung der einzelnen Rechtsverhältnisse, so wie die sichere Kenntniß der
leitenden Grundsätze, ihres Zusammenhangs und ihrer Unterordnung, und wo wir
bey ihnen Rechtsfälle in der bedingtesten Anwendung finden, dienen sie doch
stets als verkörperter Ausdruck jenes allgemeinen. Diesen Unterschied wird mir
jeder zugeben, der das Landrecht unbefangen mit den Pandekten vergleicht, und
eine solche Vergleichung ist hier gewiß zulässig, da ja nicht von
1) Landrecht Einl. §. 46. 49.
2) Landrecht Einl. §. 47. 48.
3) Erster Anhang zum Landrecht. Berlin 1803. §. 2.
4)
Landrecht Einl. §. 50.
(150)
eigenthümlicher Römischer Verfassung, sondern von allgemeiner Methode die Rede
ist. Was insbesondere die scharfe, individuelle Auffassung der Begriffe
betrifft, so ist der nicht seltene Mangel derselben im Landrecht weniger
auffallend und fühlbar, weil eben die materielle Vollständigkeit des Details
ihrer Natur nach dahin strebt, diese Lücke auszufüllen. Was aber die
praktischen Regeln selbst, als den eigentlichen Zweck jedes Gesetzbuchs
anlangt, so ist die Folge des hier beschriebenen Characters, daß die meisten
Bestimmungen des Landrechts weder die Höhe allgemeiner, leitender Grundsätze,
noch die Anschaulichkeit des individuellen erreichen, sondern zwischen beiden
Endpunkten in der Mitte schweben, während die Römer beide in ihrer naturgemäßen
Verknüpfung (9l) besitzen. Es darf aber auch nicht übersehen werden, daß eine
große, vielleicht unübersteigliche Schwierigkeit in der gegenwärtigen Stufe der
deutschen Sprache lag, welche überhaupt nicht juristisch, und am wenigsten für
Gesetzgebung, ausgebildet ist; wie sehr dadurch die lebendige Darstellung
individueller Rechtsverhältnisse erschwert, ja unmöglich gemacht wird, kann
jeder finden, der irgend einen eigenen Versuch der Art, z. B. eine Uebersetzung
aus den Pandekten, unternehmen will. Ja hierin hatten sogar die Franzosen in
der größeren Bestimmtheit der Formen und in der lateinischen Abstammung ihrer
Sprache vor uns einen großen Vorzug: daß sie ihn nicht besser benutzt haben,
erklärt sich aus dem oben dargestellten traurigen Zustand ihrer Sachkenntnis -
Man würde diese Bemerkungen sehr misverstehen, wenn man sie so deuten wollte,
als ob die Verfasser des Landrechts gegen das künftige wissenschaftliche
Studium desselben gleichgültig gewesen wären, was gar nicht meine Meynung ist.
Sehr merkwürdig ist in dieser Rücksicht die bekannte Preisaufgabe von 1788 1),
welche ein Lehrbuch in zwey Theilen forderte, deren erster ein aus dem
Gesetzbuch selbst abstrahirtes Naturrecht, der zweite einen Auszug des
positiven Rechts selbst enthalten sollte. Man hat diese Ansicht des (92)
Naturrechts mitunter sehr vornehm angelassen und ihr damit Unrecht gethan;
offenbar sollte unter diesem Namen dasjenige
Jede Regierung ist zu tadeln, welche die Einsichten ihres Zeitalters nicht kennt oder verschmäht. Von dieser Seite aber ist die Preussische Gesetzgebung gewiß keinem Vorwurf ausgesetzt. Die Stimme nicht blos der eigenen Geschäftsmänner, sondern aller Deutschen Gelehrten 1), ist aufgerufen und gehört worden, und jeder unbefangene Beobachter wird einräumen, daß, was gethan und unterlassen worden ist, dem Sinn und der Einsicht des Zeitalters (93) vollkommen entsprach. Selbst die bedeutendste Stimme, welche sich gleichzeitig dagegen erhoben hat 2), beweist mehr für als wider diese Behauptung. Ich verkenne nicht, wie viel treffliches in Schlossers Ansichten und Urtheilen enthalten ist, allein das beste darin betrifft den allgemeinen politischen Character unsrer Zeiten, und mit den eigenthümlichen Bedürfnissen des bürgerlichen Rechts war er selbst keineswegs im reinen. Dieses erhellt theils aus der von ihm entworfenen Einleitung eines Gesetzbuchs 3), theils und noch weit mehr aus seinem Plan, das corpus juris auf ein caput mortuum eigentlicher Gesetze von weniger als zehn Bogen zu reduciren 4). Daß es ihm an Sinn
1) Bey Simon S. 213. 220 stehen die Namen derer, welche Bemerkungen eingesandt, und welche Preise erhalten haben.
2) Schlossers Briefe über die Gesetzgebung (et)c. Frankfurt l789, und: Fünfter Brief (et)c. Frankfurt 1790. 8.
3) Briefe S. 246.
4)
Schlossers Vorschlag und Versuch einer Verbesserung des Deutschen bürgerlichen
Rechts (et)c. Leipzig 1777. 8. - Schlossers Briefe S. 46. 342. in welcher
letzten Stelle er sogar Westphals Schriften als sehr brauchbar für diesen Zweck
rühmt.
(152) für
das rechte nicht fehlte, zeigt sein geistreicher und durchaus vortrefflicher
Aufsatz über das Studium des reinen Römischen Rechts 1).
Ein vollständiges Urtheil über das technische des Landrechts würde erst dann möglich seyn, wenn die oben erwähnten Materialien verarbeitet und zur (94) allgemeinen Kenntniß gebracht würden. Alles, was für Erhaltung und Verbreitung wichtiger geschichtlicher Quellen geschieht, verdient ehrenvolle Anerkennung; so die Organisation jener Materialien, welche von dem Chef der Preussischen Justiz, dem Herrn Justizminister von Kircheisen, verfügt und dann aufs trefflichste ausgeführt worden ist. Allein noch ist zu hoffen, daß dasselbe liberale Interesse an der innern Geschichte des Landrechts auch die Bekanntmachung eines zweckmäßigen Auszugs aus denselben veranlassen wird. Zu befürchten ist dabey gewiß nichts, denn was mit solchem Ernst gethan worden ist, kann sehr ruhig jedem Urtheil entgegen sehen. Daß auf diesem Wege, selbst von dem zugegebenen Gesichtspunkte des Ganzen aus, manches einzelne als unhaltbar erkannt werden könnte, ist wahr, aber dieses würde offenbar ein sehr glücklicher Erfolg seyn, denn jeder Gesetzgebung ist ein solches Mittel zu wünschen, wodurch sie von innen heraus gereinigt werden kann. Diese Materialien müssen ungleich lehrreicher seyn als die gedruckten über den Code, denn diese betreffen doch meist nur den Uebergang vom projet zum Code, über die Entstehung des projet selbst, was bey weitem die Hauptsache ist, geben sie keine Aufschlüsse, man müßte denn die leere Declamation der meisten Reden für solche Aufschlüsse halten wollen; jene Materialien dagegen würden bis auf die erste Entstehung der Gedanken zurück führen können. Ein (95) besonderer Vortheil aber würde darin bestehen, daß das Landrecht dadurch ein geschichtliches und literarisches Leben erhalten würde, welches ihm bis jetzt ganz fehlt. Damit, daß es von einseitigen Gegnern ungerecht leiden könnte, hat es keine Noth, denn unter den geistreichen und gebildeten Männern, auf deren Anzahl die Preußische Justiz stolz seyn darf, würden sich gewiß Mehrere finden, die ein solches Unrecht abzuwehren vermöchten.
1) In
Hugos civilist. Magazin B. 1. N. 6. (1790).
(153) Die
Geschichte des Oesterreichischen Gesetzbuchs 1) hat mit der des Preussischen
Landrechts die Ähnlichkeit, daß zu beiden der erste Anstoß um die Mitte des
vorigen Jahrhunderts gegeben worden ist 2), so daß eben derselbe Zustand der
Deutschen juristischen Literatur auf beyde einwirken konnte. Die Grundlage war
eine handschriftliche Arbeit von acht starken Folianten, größtentheils aus den
Commentatoren des Römischen Rechts gezogen, und schon im Jahre 1767 vollendet.
Hieraus machte Horten einen Auszug, welcher von Martini zu einem Gesetzbuche
verarbeitet wurde; diese Arbeit von Martini wurde dann öffentlich bekannt gemacht,
und von den (96) Oesterreichischen Landescollegien und Universitäten geprüft
und beurtheilt 3), aus welcher Revision endlich das gegenwärtige Gesetzbuch
entstanden ist. Die Mitwirkung der Rechtsgelehrten des übrigen Deutschlands
scheint sehr unbedeutend gewesen zu seyn, ja man scheint sie nicht für sehr
wünschenswerth gehalten zu haben, theils wegen des schlechten Erfolgs einer
Preisaufgabe über den Wucher, theils weil das Preussische Landrecht schon
solche Beyträge erhalten hatte, die also in ihm zugleich mit benutzt werden
konnten, deshalb sind nicht so, wie im Preussischen, für die Beurtheilung
öffentlich Preise ausgesetzt worden 4). Daß man keine Preise aussetzte, konnte
sehr gute Gründe haben, aber auch ohne Preise waren Gutachten und Urtheile
leicht zu erlangen, nur war freylich bey dem sehr geringen literarischen
Verkehr des übrigen Deutschlands mit Oesterreich der bloße Abdruck des Entwurfs
nicht hinreichend; ein Circular an alle Deutsche Universitäten wäre gewiß nicht
ohne Erfolg geblieben. So ist diese Unternehmung, die ihrer Natur nach nur auf
den wissenschaftlichen Zustand der ganzen Nation gegründet werden konnte, als
ein gewöhnliches Geschäft des einzelnen Landes (97) vollführt worden, und jede
Absonderung dieser Art ist für den Erfolg, wenn gleich nicht entscheidend, doch
immer sehr gefährlich.
1) Die Nachrichten darüber sind genommen aus Zeillers Vorbereitung zur neuesten Oesterreichischen Gesetzkunde. Wien und Triest l810. Bd. 1. S. 19-20.
2) Nämlich l746 zur Preussischen, 1753 zur Oesterreichischen Gesetzgebung. Simon S. 194. Zeiller S. 19.
3) Zeiller S. 23. 26-30.
4)
Zeiller S. 27. 28.
(154) Was
den Stoff betrifft, so könnte man nach den Vorschriften der Kaiserin Maria
Theresia eine größere Originalität als im Preussischen Rechte erwarten, da die
Verfasser sich nicht an das Römische Recht binden, sondern überall die
natürliche Billigkeit walten lassen sollten 1). Allein was über die Entstehung
der ersten Grundlage aus den Commentatoren gesagt worden ist, so wie die
Betrachtung des Gesetzbuchs selbst, zeigt, daß dennoch aus derselben Quelle,
nur noch weniger rein und unmittelbar, als bey dem Landrecht geschöpft worden
ist. In der Behandlung zeigt sich sogleich der Hauptunterschied, daß man im
Oesterreichischen Gesetzbuch nicht so, wie im Preussischen, die Rechtsfälle
selbst zu erschöpfen, sondern nur die Begriffe der Rechtsverhältnisse und die
allgemeinsten Regeln für dieselben aufzustellen gesucht hat 2). In der ganzen
Form und Anlage ist das Werk einem etwas ausführlichen Institutionencompendium
sehr ähnlich. Die Ausführung soll nun theils für die Begriffe (das formelle
oder theoretische), theils für die praktischen Regeln besonders geprüft werden.
(98) Daß die Begriffe der Rechtsverhältnisse bey einem Werk von diesem Plan und Umfang vorzugsweise wichtig seyn müssen, leuchtet von selbst ein; im Preussischen Landrecht treten sie wegen des Reichthums an praktischen Regeln mehr zurück, und ihre fehlerhafte Behandlung ist weniger nachtheilig. Und gerade von dieser Seite ist gar vieles gegen das Oesterreichische Gesetzbuch einzuwenden. Die Begriffe der Rechte nämlich sind theils zu allgemein und unbestimmt, theils zu sehr auf den bloßen Buchstaben des Römischen Rechts, oder auch auf das Misverständmß neuerer Commentatoren desselben gegründet, was bey gründlicher Quellenkenntniß nicht möglich gewesen wäre. Beiderley Fehler hat das Gesetzbuch nicht blos mit dem Landrecht gemein (welchem sie, wie schon bemerkt ist, weniger schaden), sondern noch vor demselben voraus, wie nunmehr in einigen Beyspielen gezeigt werden soll. Von der Construction der Begriffe selbst aber ist hier die Rede, nicht von Definitionen, denen als bloßen Symptomen
1) Zeiller S. 24.-
2)
Die drey Theile des Gesetzbuchs enthalten zusammen 561 Seiten, sehr weitläufig
gedruckt.
(155)
jener Construction nur ein bedingter und untergeordneter Werth zugeschrieben
werden muß, und welche nur in dieser Beziehung und nicht um ihrer selbst
willen, Gegenstand der folgenden Beurtheilung seyn werden. - Zuvörderst ist
schon oben (S. 66) bey dem Code bemerkt worden, wie wichtig und überall
eingreifend im Römischen Rechte die höchst bestimmten Begriffe von dinglichen
Rechten und Obligationen sind. (99) Dasselbe gilt vom Begriff des Status. Hier
nun liegt die Unterscheidung von Personenrechten und Sachenrechten zum Grunde
(§. 14. 15), die aber weder auf Römische, noch auf irgend eine andere Weise
bestimmt gedacht sind. Das Landrecht (I. 2. §. 122-130) ist darin genauer. -
Der Begriff der Sache (§. 285 vgl. §. 303) wird in solcher Allgemeinheit
genommen, daß kaum etwas ist, was nicht Sache heißen könnte: Künste,
Wissenschaften, Fertigkeiten, Begriffe sind insgesammt Sachen in diesem
allgemeinen Sinne. Nun werden aber unmittelbar auf den Begriff der Sache zwey
der allerwichtigsten Rechtsbegriffe gegründet: Besitz (§. 309) und Eigenthum
(§. 353. 354). Allein es ist einleuchtend, daß eben dadurch diese Begriffe
durchaus gestaltlos und unbrauchbar werden; so müßten wir z. B. nach §. 309
einem Gelehrten den juristischen Besitz seiner Wissenschaft zuschreiben, denn
er hat sie in seiner Macht, und er hat den Willen, sie zu behalten. Unvermerkt
wird deshalb in der Behandlung dieser Lehren ein engerer, nirgends bestimmter
Begriff von Sache untergelegt, allein auch dieser stillschweigend eingeführte
Begriff ist nicht zulänglich, denn nach ihm müßte es doch noch z. B. an einer
Forderung (obligatio) Besitz und Eigenthum geben, was zwar uneigentlich gesagt
werden kann, wozu aber die ganze Theorie von Besitz und Eigenthum gar nicht
paßt. Das Landrecht (I. 2. § 3) hilft hier durch einen besonders (100)
aufgestellten engeren Begriff der Sachen, worauf sich nachher die
Rechtsverhältnisse beziehen. Ein noch allgemeinerer Nachtheil jenes
unbrauchbaren Begriffs der Sache zeigt sich schon bey der Eintheilung der
Sachenrechte in dingliche und persönliche (§. 307): zu den dinglichen werden
die bekannten fünf Arten gerechnet, Besitz, Eigenthum, Pfand, Dienstbarkeit und
Erbrecht (§. 308), deren Zusammenstellung allein schon hinreicht, jeden
bestimmten Gattungsbegriff ganz unmöglich zu
(156)
machen. Die Objecte der Ersetzung werden so allgemein angegeben (§. 1455), daß
man viele Rechte, z. B . Forderungen, darunter rechnen müßte, auf welche doch
diese Art des Erwerbs nur auf sehr gezwungene und überflüssige Weise angewendet
werden könnte, eine Anwendung, die wahrscheinlich gar nicht einmal gemeynt ist.
Das Landrecht (I. 9) verhütet diesen Zweifel dadurch, daß es die ganze Lehre
unter den Erwerbungen des Eigenthums abhandelt. - Unter den persönlichen
Servituten werden das Recht des Gebrauchs und das der Fruchtnießung dadurch
unterschieden, daß jenes auf das bloße Bedürfniß des Berechtigten beschränkt
seyn soll, dieses aber nicht (§. 504. 509). Der praktische Sinn davon ist
dieser, daß Verträge und Testamente, wenn sie von einem Recht des Gebrauchs
reden, von einem solchen auf das Bedürfniß beschränkten Nutzungsrecht ausgelegt
werden sollen. Allein diese Interpretation ist gewiß nicht natürlich, (101) da
es gar nicht gewöhnlich ist, gerade dieses mit dem Worte Gebrauch zu
bezeichnen. Wie dieser Begriff entstanden ist, kann nicht zweifelhaft seyn; es
ist der usus, im Gegensatz des ususfructus, aber nicht der usus der Römischen
Juristen selbst, sondern der, welcher in unsern Compendien bis auf die neuesten
Zeiten fälschlich angenommen war. Die Römer verstehen unter usus den Gebrauch
ohne allen Fruchtgenuß, z. B. bey einem Pferde das Reiten und Fahren, aber
nicht die Füllen und das Miethgeld. Nur wenn aus Versehen ein usus an einer
solchen Sache gegeben ist, an welcher ganz oder zum Theil dieser reine Gebrauch
unmöglich ist, interpretiren sie ausnahmsweise den usus wie vollen oder
theilweisen ususfructus, indem sie nothgedrungen annehmen, daß man sich
schlecht ausgedrückt habe, weshalb durch Interpretation nachgeholfen werden
müsse. Das eigenthümliche Daseyn dieses usus beruht auf Römischem
Sprachgebrauch, und da wir kein Wort von entsprechender Bestimmtheit haben, so
schlägt das Landrecht den richtigern Weg ein, den usus ganz zu ignoriren, und
außer dem Nießbrauch zuerst im allgemeinen zu bemerken, daß man auch nach
Belieben eingeschränkte Nutzungsrechte geben könne (I. 21. §. 227), dann aber
solche Fälle dieser Art abzuhandeln, die noch bey uns gewöhnlich sind. - Den
Unterschied des Vormundes vom Curator (§. 188) möchte
(157) man
auf den ersten Blick darin (102) setzen, daß jener auf Minderjährige, dieser
auf alle übrige Hülfsbedürftige bezogen würde. Diese Terminologie wäre zwar neu
und dem Gesetzbuch eigen, doch tadellos. So ist es aber nicht, denn auch
Minderjährige erhalten sehr oft einen Curator, und nicht einen Vormund (§.
270-272). Unverkennbar ist dieses aus dem Römischen Rechte beybehalten, das ja
auch häufig dem Pupillen einen blosen Curator giebt: nur daß hier überhaupt an
die Stelle der Pupillen mit Recht alle Minderjährige getreten sind. Allein das
Römische Recht hat zu dieser scharfen Unterscheidung der Tutel und Curatel
einen besonderen Grund. Der Tutor nämlich ist ihm diejenige Person, durch deren
auctoritas der sonst zum Handeln unfähige Pupill ergänzt werden kann, während
jeder Curator nichts als gemeiner Verwalter fremder Rechte ist. Das also ist
das eigenthümliche und wichtige des Römischen Tutors, daß mit seiner Hülfe für
den Pupillen Mancipationen, Stipulationen, Vindicationen u. s. w. möglich sind,
welche Handlungen durch freye Stellvertreter, also auch durch Curatoren, gar
nicht vorgenommen werden können. Der Schlüssel der ganzen Tutel also, insofern
sie etwas eigenthümliches, von der Curatel verschiedenes war, lag in der Regel:
per extraneam personam nihil adquiri (neque alienari) potest 1); diese Regel
wurde (103) zwar später auf civile Handlungen beschränkt'), aber bey diesen
erhielt sie sich noch in Justinians Zeit, wie die angeführten Stellen seiner
Rechtsbücher beweisen. Wir dagegen in unserm praktischen Rechte, haben davon
keine Spur mehr, also auch keinen Grund, zwischen Tutor und Curator die
Römische Gränze zu behalten, die für uns ihren Sinn verloren hat. Das
Gesetzbuch sucht nun gleich bey der ersten Einführung des Vormundes (§. 188)
die Fälle auszuschließen, in welchen der Pfleger eines Minderjährigen blos
Curator heißt; dieses geschieht durch die Bestimmung: „Ein Vormund hat
vorzüglich für die Person des Minderjährigen zu sorgen, zugleich aber dessen
Vermögen zu verwalten.“ In der vorzugsweisen Beziehung auf die Person also
(obgleich nach §. 282 dieselbe Beziehung auch bey Curatoren statt finden kann)
läge
1) § 5 l. per quas pers.
2) §.
l. cit. L. 53 D. de adqu. rer. dom.
(158) das
unterscheidende des Vormundes. Dieses ist nun unverkennbar die Römische Regel:
personae, non rei vel causae (tutor) datur 1), die in unsern neueren Compendien
ganz auf dieselbe Weise wie in dem Gesetzbuch modificirt worden ist, weil man
sich doch nicht verbergen konnte, daß der Tutor allerdings auch mit dem Vermögen
einiges Geschäft habe 2). (104) Ganz consequent wird daher dem Vormund das
Recht und die Verbindlichkeit der Erziehung „gleich dem Vater“ übertragen (§.
216), wobey er nur in wichtigen und bedenklichen Angelegenheiten an die
Genehmigung des Gerichts gebunden ist. Allein der Sinn jener Römischen Regel
ist ein ganz anderer: die persona, von welcher darin gesprochen wird, ist die
juristische Persönlichkeit des Pupillen, die Fähigkeit desselben zu förmlichen
Handlungen. Diese Fähigkeit für alle Anwendungen zu ergänzen (will die Stelle
sagen) ist der Hauptberuf des Tutors, darum muß sich sein Amt allgemein auf
alle Theile des Vermögens erstrecken, und kann nicht auf einzelne
Rechtsverhältnisse des Pupillen beschränkt werden. Darum hat denn auch der
Römische Tutor mit der Erziehung des Pupillen durchaus gar nichts zu schaffen,
sondern über diese verfügt der Prätor ganz frey nach den Umständen, wobei
zufällig seine Wahl auf den Tutor wie auf jeden Andern fallen kann 3). Man wird
dagegen einwenden, eben diesen Satz des Römischen Rechts habe man aus guten
Gründen abändern wollen. Wohl: aber der übrige Zusammenhang macht dabey eine
nicht geringe Schwierigkeit. Denn das Gesetzbuch hat aus dem Römischen Rechte
das strenge Recht der nächsten Verwandten auf tutela legitima angenommen (105 §
198), und diese allgemeine Gewalt des künftigen Intestaterben 4) über die
Person des Minderjährigen ist sehr bedenklich. Man braucht nicht gerade den
äußersten Fall anzunehmen,
1) L. 14 D. de testam. tut.
2) Hellfeld § 1298 „Ipsa vero tutela consistit in defensione personae pupilli principaliter, et secundario in defensione bonorum pupillarium.”
3) Digest. lib. 27 tit. 2.
4)
Nämlich nach Römischem Rechte war allgemein und absichtlich der Intestaterbe
zur Tutel berufen; im Oesterreichischen Gesetzbuch kann es wegen der
Linealerbfolge kommen, daß der Intestaterbe und der zur Vormundschaft berufene
nächste Verwandte verschiedene Personen sind, in den meisten Fällen aber wird
es auch hier dieselbe Person seyn.
(159) daß
der Vormund den Mündel umbringt, um ihn zu beerben: auch in vielen anderen
unbemerkteren Fällen wird in der persönlichen Leitung und Erziehung das
Interesse des Mündels von dem seines künftigen Erben sehr verschieden seyn.
Dagegen schützen weder die gesetzlichen Gründe der Unfähigkeit zur
Vormundschaft (§. 191.193), die immer sehr selten nachzuweisen seyn werden,
noch die Genehmigung des Gerichts, die ja nur in bedenklichen Angelegenheiten
eingeholt zu werden braucht (§. 216), noch endlich die Anzeige, die hinterher
von wirklichem Misbrauch der Gewalt gemacht werden kann (§. 217). In diesem
Fall ist der organische Zusammenhang verschiedener Rechtssätze recht
merkwürdig. Das Römische Recht macht seine tutela legitima dadurch unschädlich,
daß es die Erziehung davon absondert: der Hauptberuf des Tutors ist der, zu
auctoriren, und gewiß ist von keinem Menschen weniger als von dem künftigen
Erben zu befürchten, daß er in leichtsinnige (106) Veräußerungen oder
Versprechungen einwilligen werde. Nach dem Preussischen Landrecht bestimmt auf gleiche
Weise, wie nach dem Römischen Rechte, das Gericht unmittelbar den Erzieher,
ohne an den Vormund gebunden zu seyn (II. 18. §. 320); und überdem gilt gar
kein Recht bestimmter Verwandten auf tutela legitima (II. 18.§. 194), was
unsrer heutigen Ansicht der Vormundschaft gewiß angemessen ist. Auch in
Bestimmung des Begriffs der Vormundschaft geht das Landrecht freyer zu Werke:
Vormund heißt ihm derjenige, welcher alle, Curator der, welcher nur gewisse
Angelegenheiten zu besorgen hat (II. 18. §. 3. 4). Dabey ist die Römische
Terminologie mit Recht ganz verlassen, dafür aber innerer Zusammenhang erlangt.
So z. B. hat nun auch der Wahnsinnige einen Vormund (II. 18. §. 12), der nach
dem Oesterreichischen Gesetzbuch nur einen Curator hat (§. 270). Dieses folgt
darin dem Römischen Rechte; aber der Grund des Römischen Rechts, den Schutz der
Pupillen von dem der Wahnsinnigen streng zu unterscheiden, lag darin, daß bey
Pupillen und nicht auch bey Wahnsinnigen eine auctoritas möglich war, und
dieser Grund existirt nicht mehr. Daß Dinge solcher Art geringfügig und
unbedeutend seyen, wird niemand behaupten, der aufmerksam den großen Einfluß
dieser Verknüpfung und Bezeichnung der Begriffe auf die Rechtssätze selbst
beobachtet hat.
(160)
Bisher ist von der Construction der Begriffe im (107) Oesterreichischen
Gesetzbuch die Rede gewesen, und nur beyläufig auch von praktischen Sätzen,
insofern nämlich jene Construction unmittelbaren Einfluß auf dieselben ausgeübt
hat. Nun ist noch besonders von den praktischen Sätzen zu sprechen. Es ist
schon bemerkt worden, daß die materielle Vollständigkeit, welche im
Preussischen Landrechte gesucht war, hier gar nicht zur Aufgabe gehörte: die
Entscheidung der einzelnen Rechtsfälle wird demnach meistens, so wie bey dem
Code (S. 73), nicht unmittelbar durch das Gesetzbuch bestimmt werden können,
und das außer ihm liegende, wodurch sie in der That bestimmt werden wird,
verdient auch hier die allergrößte Aufmerksamkeit. Das Gesetzbuch selbst (§. 7)
schreibt eine doppelte Quelle dieser Ergänzung vor: zunächst die wirklich im
Gesetzbuch enthaltene Entscheidung ähnlicher Fälle, und, wo diese nicht
ausreicht, das Naturrecht. Allein die erste Quelle wird wenig sichere Hülfe
geben: denn materieller Reichthum des Gesetzbuchs war, wie schon bemerkt, gar
nicht gesucht, und von der formellen Unzulänglichkeit desselben ist so eben
ausführlich die Rede gewesen. Die zweyte Quelle aber (das Naturrecht) ist
selbst von den würdigen Männern, welche zuletzt zur Entstehung des Gesetzbuchs
mitgewirkt haben, als sehr gefährlich für die Rechtspflege anerkannt 1). Der
Erfolg wird also auch (108) hier, wie bey dem Code, ein ganz anderer seyn, als
ihn das Gesetzbuch anzunehmen scheint, indem unvermeidlich und ganz in der
Stille die wissenschaftliche Theorie den Einfluß auf die Rechtspflege behaupten
wird, den ihr das Gesetzbuch zu entziehen bestimmt war. Ob also die wirklich
verbreitete Theorie gut oder schlecht ist, davon wird in der That das meiste
abhangen, und der Zustand der Lehranstalten (wovon der folgende Abschnitt reden
soll) wird für die Rechtspflege noch in ganz anderer Rücksicht, als wegen der
bloßen Kenntniß des Gesetzbuches selbst, entscheidend seyn.
Ist dieses Urtheil über die drey neuen Gesetzbücher gegründet,
1)
Zeiller a. a. O., S. 38. „Da nun aber auf dem philosophischen Gebiete jedermann
nach seiner Ueberzeugung urtheilet; so ist leicht zu erachten, daß die Urtheile
oft nach einer eingebildeten Billigkeit (aequitas cerebrina) und im Grunde nach
Willkühr gefället werden.“
(161) so
liegt darin eine Bestätigung meiner Ansicht, daß die gegenwärtige Zeit keinen
Beruf hat, ein Gesetzbuch zu unternehmen: und gewiß eine sehr starke
Bestätigung. Denn wie viel die Franzosen durch Gewandtheit und Leichtigkeit im
praktischen Leben auszurichten vermögen, ist uns allen oft genug wiederholt
worden: welche Zeiträume hindurch von verdienten, einsichtsvollen Männern an
den Deutschen Gesetzbüchern mit ernstlichem Eifer gearbeitet worden ist, wissen
wir. Ist also durch so verschiedenartige Bemühungen das Ziel dennoch nicht erreicht
worden, so muß es in der juristischen Bildung eines ganzen (109) Zeitalters
Hindernisse geben können, welche nicht zu übersteigen sind. Diese Ueberzeugung
aber ist entscheidend, da ohne Zweifel die eifrigen Freunde der Gesetzbücher
die Bürgschaft eines glücklichen Erfolgs blos in ihrem lebhaften Bestreben nach
diesem Gegenstande finden, was doch nach jenen Erfahrungen nicht hinreichend
ist. Es würde also nur noch darauf ankommen, die gegenwärtige Bildung der
Rechtswissenschaft mit derjenigen zu vergleichen, aus welcher die vorhandenen
Gesetzbücher hervorgegangen sind: und bey unbefangener Selbstprüfung müssen wir
bekennen, daß beide vielleicht wohl dem Grade nach, aber nicht generisch
verschieden sind.
Alle diese Erinnerungen übrigens betreffen nicht etwa einzelne Mängel, durch deren Verbesserung dem Ganzen leicht ein wahrhaft treffliches und genügendes Daseyn verschafft werden könnte: sie betreffen vielmehr den Character des Ganzen selbst, und alles einzelne, was herausgehoben worden ist, sollte blos dazu dienen, diesen allgemeinen Charakter anschaulich zu machen, und ein Urtheil über denselben zu begründen. Anderer Meynung ist ein neuerer Schriftsteller 1), welcher von dem Code glaubt, die wenigen Flecken, welche denselben verunstalten, könnten leicht abgewischt werden, worauf er allerdings zu einer dankenswerthen Wohlthat werden würde. Allein (110) es sey uns diese fremde Weisheit überflüssig, denn, sagt er, „wir haben kürzlich ein bürgerliches Gesetzbuch in Oesterreich erhalten, welches dem Französischen wenigstens an die Seite gesetzt werden kann und für uns den Vorzug hat, ohne alle weitere Vorbereitung in ganz Deutschland anwendbar zu seyn.“ Sein Rath geht dahin, daß dieses Gesetzbuch
1) K.
E. Schmid Deutschlands Wiedergeburt, S. 131. 134. 135.
(162)
augenblicklich angenommen, und dann den Regierungen überlassen werde, ihre
Vorschläge einzelner Abänderungen einer Gesetzcommission vorzulegen. Diese
Ansicht scheint mir schon aus sich selbst und ohne Prüfung des innern Werthes
der Gesehbücher widerlegt werden zu können: denn wenn es wahr wäre, daß der
Code vortrefflich und mit geringen Modifikationen eine Wohlthat, das sehr
verschiedene Oesterreichische Gesetzbuch aber auch vortrefflich, ja noch besser
und völlig anwendbar wäre, so müßte den Gesetzbüchern überhaupt eine völlig
fabrikmäßige Vortrefflichkeit zugeschrieben werden, und es wäre unmöglich, sie
für etwas großes und höchst wünschenswerthes zu halten.
8.
Was Wir thun sollen wo keine Gesetzbücher sind.
(111) Bey der Untersuchung dessen, was geschehen soll, müssen vor allem diejenigen Länder, in welchen bis jetzt gemeines Recht und Landesrecht (nur etwa unterbrochen durch die kurze Herrschaft des Code) galt, von denen getrennt werden, welche bereits unter einheimischen Gesetzbüchern leben.
In den Ländern des gemeinen Rechts wird, so wie überall, ein löblicher Zustand des bürgerlichen Rechts von drey Stücken abhängig seyn: erstlich einer zureichenden Rechtsquelle, dann einem zuverlässigen Personal, endlich einer zweckmäßigen Form des Prozesses. Ich werde in der Folge auf diese drey Stücke zurückkommen, um die Zulänglichkeit meines Plans darnach zu prüfen.
Was zuerst die Rechtsquelle anlangt, wozu eben das neu einzuführende Gesetzbuch bestimmt seyn sollte, so würde nach meiner Ueberzeugung wieder einzuführen seyn an die Stelle des Code, oder beyzubehalten, wo der Code nicht galt, dieselbe Verbindung des gemeinen Rechts und der Landesrechte, welche früher in ganz Deutschland herrschend war: diese Rechtsquelle halte ich für hinreichend, ja für (112) vortrefflich, sobald die Rechtswissenschaft thut, was ihres Amtes ist, und was nur durch sie geschehen kann.
Betrachten
wir nämlich unsern Zustand, wie er in der That ist, so finden wir uns mitten in
einer ungeheuern Masse juristischer
(163)
Begriffe und Ansichten, die sich von Geschlecht zu Geschlecht fortgeerbt und
angehäuft haben 1). Wie die Sache jetzt steht, besitzen und beherrschen wir
diesen Stoff nicht, sondern wir werden von ihm bestimmt und getrieben nicht wie
wir wollen. Darauf gründen sich alle Klagen über unsern Rechtszustand, deren
Gerechtigkeit ich nicht verkenne, und daher ist alles Rufen nach Gesetzbüchern
entstanden. Dieser Stoff umgiebt und bestimmt uns auf allen Seiten, oft ohne
daß wir es wissen: man könnte darauf denken, ihn zu vernichten, indem man alle
historische Fäden zu durchschneiden und ein ganz neues Leben zu beginnen
versuchte, aber auch diese Unternehmung würde auf einer Selbsttäuschung
beruhen. Denn es ist unmöglich, die Ansicht und Bildung der jetztlebenden
Rechtsgelehrten zu vernichten: unmöglich, die Natur der bestehenden
Rechtsverhältnisse umzuwandeln; und auf diese doppelte Unmöglichkeit gründet
sich der unauflösliche organische Zusammenhang der Geschlechter und Zeitalter,
zwischen welchen nur Entwicklung aber (143) nicht absolutes Ende und absoluter
Anfang gedacht werden kann. Insbesondere damit, daß einzelne, ja viele
Rechtssätze abgeändert werden, ist für diesen Zweck gar nichts gethan: denn,
wie schon oben bemerkt worden ist (S. 39), die Richtung der Gedanken, die
Fragen und Aufgaben werden auch da noch durch den vorhergehenden Zustand
bestimmt seyn, und die Herrschaft der Vergangenheit über die Gegenwart wird
sich auch da äußern können, wo sich die Gegenwart absichtlich der Vergangenheit
entgegen setzt. Dieser überwiegende Einfluß des bestehenden Stoffs also ist auf
keine Weise vermeidlich: aber er wird uns verderblich seyn, solange wir ihm
bewußtlos dienen, wohlthätig, wenn wir ihm eine lebendig bildende Kraft
entgegen setzen, durch historische Ergründung ihn unterwerfen, und so den
ganzen Reichthum der vergangenen Geschlechter uns aneignen. Wir haben also nur
die Wahl, ob wir wollen, nach Baco’s Ausdruck, sermocinari tamquam e vinculis,
oder ob eine gründliche Rechtswissenschaft uns lehren soll, diesen historischen
Stoff frey als unser Werkzeug zu gebrauchen: ein drittes giebt es nicht. Bey
dieser Wahl möchte die Wissenschaftlichkeit schon von selbst, als der edlere
Theil, für sich gewinnen:
1)
Vergl. Rehberg über den Code Napoleon S. 8-l0.
(164) aber
es kommen noch besondere Gründe aus unsrer Lage hinzu. Zuerst die allgemeine
wissenschaftliche Richtung, die den Deutschen natürlich ist, und wodurch sie es
andern Nationen in vielen (114) Dingen zuvor zu thun berufen sind: dann auch
manches in unsren politischen Verhältnissen. Darum wird nicht die Erfahrung
anderer Nationen oder Zeiten zur Widerlegung angeführt werden können, nicht der
Zustand des bürgerlichen Rechts in England, noch der bey unsren Vorfahren. Was
unsre Vorfahren betrifft, so hat Möser in einem trefflichen Aufsatz den
Unterschied zwischen dem, was er Willkühr, und was er Weisheit nennt,
entwickelt 1): bey jener konnte Freiheit und Gerechtigkeit bestehen, solange
ebenbürtige genosse Richter urtheilten, wir können Weisheit durchaus nicht
entbehren. Als Surrogat derselben verdient in dieser Rücksicht selbst das
Hangen an mittelmäßigen Autoritäten (so schlecht dieses in anderer Rücksicht
ist) alle Achtung 2), und kann als ein Schutzmittel gegen die verderbliche
Verwechslung von Willkühr und Weisheit dienen.
Erst wenn wir durch ernstliches Studium vollständigere Kenntniß erworben, vorzüglich aber unsren geschichtlichen und politischen Sinn mehr geschärft haben, wird ein wahres Urtheil über den überlieferten Stoff möglich seyn. Bis dahin dürfte es gerathener seyn, etwas zu zweifeln, ehe wir vorhandenes für schlaffe Angewohnheit, unkluge Abgeschiedenheit (115) und blose Rechtsfaulheit halten 3): vorzüglich aber mit der Anwendung des wundärztlichen Messers 4) auf unsern Rechtszustand zu zögern. Wir könnten dabey leicht auf gesundes Fleisch treffen, das wir nicht kennen, und so gegen die Zukunft die schwerste aller Verantwortungen auf uns laden. Auch ist der geschichtliche Sinn der einzige Schutz gegen eine Art der Selbsttäuschung, die sich in einzelnen Menschen, wie in ganzen Völkern und Zeitaltern, immer wiederholt, indem wir nämlich dasjenige, was uns eigen
1) Ueber die Art und Weise, wie unsre Vorfahren die Processe abgekürzet haben; patriotische Phantasien Th. 1. N.. 51.
2) Mösers Schreiben eines alten Rechtsgelehrten über das sogenannte Allegiren, a. a. O. Th. l. N. 22.
3) Thibaut a. a. O., S. 52. 55. 60.
4)
Thibaut S. 60.
(165) ist,
für allgemein menschlich halten. So hatte man ehemals aus den Institutionen mit
Weglassung einiger hervorstehenden Eigenthümlichkeiten ein Naturrecht gemacht,
was man für unmittelbaren Ausspruch der Vernunft hielt: jetzt ist niemand, der
nicht über dieses Verfahren Mitleid empfände, aber wir sehen noch täglich
Leute, die ihre juristischen Begriffe und Meynungen blos deshalb für rein
vernünftig halten, weil sie deren Abstammung nicht kennen. Sobald wir uns nicht
unsres individuellen Zusammenhangs mit dem großen Ganzen der Welt und ihrer
Geschichte bewußt werden, müssen wir nothwendig unsre Gedanken in einem
falschen Lichte von Allgemeinheit und Ursprünglichkeit erblicken. Dagegen
schützt nur der geschichtliche Sinn, welchen gegen uns selbst zu kehren gerade
die schwerste Anwendung ist.
(116)
Man könnte versucht seyn, die Notwendigkeit dieser historischen Ergründung des
Stoffs, in welchem wir unwillkührlich befangen sind, zwar für unsre Lage
zuzugeben, aber zugleich für ein Uebel zu halten, indem dadurch Kräfte in
Anspruch genommen werden, die zu nützlicheren Zwecken verwendet werden könnten.
Diese Ansicht wäre traurig, weil sie das Gefühl eines unvermeidlichen Nebels
erregen würde, aber wir können uns damit trösten, daß sie falsch ist. Vielmehr
ist diese Nothwendigkeit auch an sich für ein großes Gut zu achten. In der
Geschichte aller bedeutenden Völker nämlich finden wir einen Uebergang von beschränkter,
aber frischer und lebensvoller, Individualität zu unbestimmter Allgemeinheit.
Auf diesem Wege geht auch das bürgerliche Recht, und auch in ihm kann zuletzt
das Bewußtseyn der Volkseigentümlichkeit verloren gehen: so geschieht es, wenn
bejahrte Völker darüber nachdenken, wie viele Eigenheiten ihres Rechts sich
bereits abgeschliffen haben, daß sie leicht zu dem so eben dargestellten
Irrthum kommen, indem sie ihr ganzes noch übriges Recht für ein jus quod
naturalis ratio apud omnes homines constituit halten. Daß damit zugleich der
eigenthümliche Vorzug verloren geht, welchen das Recht in frühen Zeiten hat (S.
9), ist unverkennbar. Zu diesem vergangenen Zustande zurück zu kehren, würde
ein fruchtloser und thörichter Rath seyn: aber etwas anderes (117) ist es, den
eigenen Werth desselben in frischer Anschauung gegenwärtig erhalten, und sich
so vor der
(166)
Einseitigkeit der Gegenwart bewahren, welches allerdings möglich und heilsam
ist. Wenn überhaupt die Geschichte auch im Jünglingsalter der Völker eine edle
Lehrerin ist, so hat sie in Zeitaltern, wie das unsrige, noch ein anderes und
heiligeres Amt. Denn nur durch sie kann der lebendige Zusammenhang mit den
ursprünglichen Zuständen der Völker erhalten werden, und der Verlust dieses
Zusammenhangs muß jedem Volk den besten Theil seines geistigen Lebens
entziehen.
Dasjenige
also, wodurch nach dieser Ansicht das gemeine Recht und die Landesrechte als
Rechtsquellen wahrhaft brauchbar und tadellos werden sollen, ist die strenge
historische Methode der Rechtswissenschaft. Der Charakter derselben besteht
nicht, wie einige neuere Gegner unbegreiflicherweise gesagt haben, in
ausschließender Anpreisung des Römischen Rechts: auch nicht darin, daß sie die
unbedingte Beybehaltung irgend eines gegebenen Stoffs verlangte, was sie
vielmehr gerade verhüten will, wie sich dieses oben bey der Beurtheilung des
Oesterreichischen Gesetzbuchs gezeigt hat. Ihr Bestreben geht vielmehr dahin,
jeden gegebenen Stoff bis zu seiner Wurzel zu verfolgen, und so sein
organisches Princip zu entdecken, wodurch sich von selbst das, was noch Leben
hat, von demjenigen absondern muß, was schon (118) abgestorben ist, und nur
noch der Geschichte angehört. Der Stoff aber der Rechtswissenschaft, welcher
auf diese Weise behandelt werden soll, ist für das gemeine Recht dreyfach,
woraus sich drey Haupttheile unsrer Rechtswissenschaft ergeben: Römisches
Recht, Germanisches Recht, und neuere Modifikationen beider Rechte. Das
Römische Recht hat, wie schon oben bemerkt worden, außer seiner historischen
Wichtigkeit noch den Vorzug, durch seine hohe Bildung als Vorbild und Muster
unsrer wissenschaftlichen Arbeiten dienen zu können. Dieser Vorzug fehlt dem
Germanischen Rechte, aber es hat dafür einen andern, welcher jenem nicht
weicht. Es hangt nämlich unmittelbar und volksmäßig mit uns zusammen, und
dadurch, daß die meisten ursprünglichen Formen wirklich verschwunden sind,
dürfen wir uns hierin nicht irre machen lassen. Denn der nationale Grund dieser
Formen, die Richtung woraus sie hervor giengen, überlebt die Formen selbst, und
es ist nicht vorher zu bestimmen, wie viel von altgermanischen Einrichtungen,
(167) wie
in Verfassung so im bürgerlichen Recht, wieder erweckt werden kann. Freylich
nicht dem Buchstaben, sondern dem Geiste nach, aber den ursprünglichen Geist
lernt man nur kennen aus dem alten Buchstaben. Endlich die Modifikation beider
ursprünglichen Rechte ist gleichfalls nicht zu vernachlässigen. Auf dem langen
Wege nämlich, welchen jene ursprünglichen Rechte bis zu uns gehen mußten, (119)
hat sich natürlich vieles ganz anders gestaltet und entwickelt, theils nach
wirklich volksmäßigem Bedürfniß, theils auf mehr literarische Weise, unter den
Händen der Juristen. Dieses letzte ist hier überwiegend, und die Grundlage
davon ist eine Geschichte unsrer Rechtswissenschaft vom Mittelalter herab. Ein
vorzügliches Bestreben dieses dritten Theiles unsrer Wissenschaft muß darauf
gerichtet seyn, den gegenwärtigen Zustand des Rechts allmählich von demjenigen
zu reinigen, was durch bloße Unkunde und Dumpfheit literarisch schlechter
Zeiten, ohne alles wahrhaft praktische Bedürfniß, hervorgebracht worden ist.
Es
kann nicht meine Absicht seyn, diese historische Behandlung aller Theile unsres
Rechts hier in einer ausführlichen Methodik darzustellen; allein über das
Römische Recht muß noch einiges hinzugefügt werden, da gerade dessen Behandlung
neuerlich in Frage gekommen ist. Was ich für den einzig möglichen Standpunkt
dieses Studiums halte, wird aus der oben gegebenen Darstellung des Römischen
Rechts einleuchtend seyn: es ist das Recht der Pandekten, von welchem aus dann
die Uebergänge zu den neueren Modifikationen bis Justinian zu bestimmen sind.
Willkührlich wird diese Ansicht niemand finden, welcher bedenkt, daß schon
Justinian sie gehabt hat, und daß sie wenigstens dem Namen nach dem
Hauptunterricht auf Universitäten, und den (120) ausführlichsten Werken über
das Römische Recht seit Jahrhunderten zum Grunde liegt. Wie nun die alten
Juristen zu studieren sind, läßt sich leicht sagen, obgleich schwer ohne
wirkliche Probe anschaulich machen: sie sollen nicht blos die Schule hüten,
sondern wieder belebt werden: wir sollen uns in sie hinein lesen und denken,
wie in andere mit Sinn gelesene Schriftsteller, sollen ihnen ihre Weise
ablernen, und so dahin kommen, in ihrer Art und von ihrem Standpunkt aus selbst
zu erfinden und so ihre unterbrochene Arbeit in gewissem Sinne fortzusetzen.
Daß
(168)
dieses möglich ist, gehört zu meinen lebendigsten Ueberzeugungen. Die erste
Bedingung dazu ist freylich eine gründliche Rechtsgeschichte, und, was aus
dieser folgt, die völlige Gewöhnung, jeden Begriff und jeden Satz sogleich von
seinem geschichtlichen Standpunkte aus anzusehen. Viel ist hierin noch zu
leisten: aber wer bedenkt, was unsre Rechtsgeschichte vor fünf und zwanzig
Jahren war, und wie vieles nun in Kenntniß und Behandlung, hauptsächlich durch
Hugos Verdienst, anders geworden ist, der kann auch für die Folge den besten
Hoffnungen Raum geben. Wer nun auf diese Weise in den Quellen des Römischen
Rechts wahrhaft einheimisch geworden ist, dem wird das Studium unsrer neuern
juristischen Literatur, vom Mittelalter bis auf uns herab, zwar noch Arbeit und
oft unerfreuliche Arbeit geben, aber er wird dadurch nur noch seine Ansichten
vervollständigen und auf (121) keine Weise irre gemacht werden können, also
keine innere Schwierigkeit darin finden; wer dagegen das Römische Recht nicht
so an der Wurzel angreift, der wird fast unvermeidlich durch jene neuere
Literatur immer mehr in Schwanken und Unsicherheit gerathen, er müßte sie denn
im Ganzen ignoriren, und es dem Zufall überlassen, welches einzelne, neue,
vielleicht sehr flache Resultat dieser literarischen Entwicklung auf ihn
einwirken soll, und hierin ist allerdings in den neuesten Zeiten viel geleistet
worden. Die hier angedeutete literarische Ausfüllung indessen gehört zur
allmählichen Vollendung und nicht zum nothwendigen Grund des Studiums. Der
Grund aber muß allerdings in den Vorträgen der Universitäten gelegt werden, und
dazu dürften anderthalb bis zwey Jahre (die man ja auch bis jetzt darauf zu
verwenden pflegte) hinreichend seyn. Nämlich hinreichend nicht zu vollendeter
Gelehrsamkeit, was ohnehin kein vernünftiger Mensch von irgend einem
Universitätsunterricht verlangen wird: wohl aber hinreichend, um in den Quellen
zu Hause zu seyn, um sie selbst lesen zu können, und um neuere Schriftsteller
unabhängig und mit eigenem Urtheil zu lesen, und ihnen nicht mehr preis gegeben
zu seyn. Es ist einleuchtend, daß dagegen die Erfahrung eines wirklichen
Unterrichts nicht angeführt werden kann, sobald in diesem Unterricht die
unmittelbare Einführung in die Quellen gar nicht versucht worden ist.
(169)
(122) In neueren Zeiten sind über die Bedingungen unsres Studiums zwey von
dieser Ansicht abweichende, völlig entgegengesetzte Meynungen gehört worden.
Thibaut nämlich 1) stellt die Schwierigkeit desselben fast schauderhaft dar,
und so, daß allerdings jedem, der es unternehmen wollte, der Muth entfallen
müßte; so z. B. sollen wir vielleicht erst nach tausend Jahren so glücklich
seyn, über alle Lehren des Römischen Rechts erschöpfende Werke zu erhalten. Das
ist zu wenig oder zu viel, je nachdem man es nimmt. Ganz erschöpfen und völlig
abthun, so daß kein Weiterkommen möglich wäre, läßt sich eine würdige
historische Aufgabe niemals, auch nicht in tausend Jahren; aber um zu sicherer
Anschauung und zur Möglichkeit unmittelbarer, verständiger Anwendung des
Römischen Rechts zu gelangen, brauchen wir so lange Zeit nicht, dies ist
größtentheils schon jetzt möglich, obgleich mit stetem Fortschreiten nach
innen, was ich unsrer Wissenschaft nicht zum Tadel, sondern zu wahrer Ehre
rechne. Es kommt alles auf die Art an, wie das Studium behandelt wird. Vor
hundert Jahren hat man in Deutschland viel mehr Mühe und Zeit an das Römische
Recht gesetzt als jetzt, und es ist unläugbar, daß man in eigentlicher Kenntniß
nicht so weit kommen konnte, als es jetzt (123) bey guten Lehrern möglich ist.
Vollends mit den kritischen Schwierigkeiten, die Thibaut für ganz
unübersteiglich erklärt 2), hat es so große Noth nicht. Wer es recht angreift,
kann sich mit einer ganz schlechten Ausgabe der Pandekten in die Methode der
Römischen Juristen einstudieren: es werden ihm zwar manche Irrthümer im
einzelnen übrig bleiben, aber auch diese wird er größtentheils bey etwas
kritischem Sinn mit Hülfe von drey, vier Ausgaben, wie sie jeder leicht finden
kann, mit Sicherheit zu berichtigen im Stande sey(n). Auch hierin sind zwey
Dinge gänzlich verwechselt: dasjenige nämlich, was zur allmählichen und ganz
erschöpfenden Entwicklung einer großen historischen Aufgabe allerdings gehört,
mit dem was nothwendige Bedingung eines unmittelbar möglichen, in gewissem
Sinne befriedigenden Grades sicherer Kenntniß ist. Alles, was hier
1) a. a. O., S. 15-22.
2) a.
a. O., S. 20. 21.
(170)
Thibaut über die Unsicherheit unsres Textes sagt, gilt eben so von unsren
heiligen Büchern; auch da wird die Kritik niemals ein Ende finden, aber wer
überhaupt Nahrung und Freude in ihnen finden kann, wird dadurch gewiß nicht
gestört werden. - Eine gerade entgegen gesetzte und viel verbreitetere Ansicht
geht darauf, daß das Römische Recht viel leichter genommen werden könne und
müsse, und daß nur wenig Zeit (124) darauf zu wenden sey. Dieses ist theils
behauptet, theils (wie sich noch unten zeigen wird) praktisch ausgeführt
worden, besonders wo bey eingeführten neuen Gesetzbüchern das Römische Recht
bloßes Hülfsstudium werden sollte; desgleichen wenn von der Bildung künftiger
Gesetzgeber die Rede war. Zu diesen Zwecken, glaubte man, sey das mühselige Detail
entbehrlich, man könne sich mit dem, was man den Geist dieses Rechts nannte,
begnügen. Dieser Geist nun besteht in dem, was sonst Institutionen heißt und
was zum ersten Orientiren ganz gute Dienste leisten kann: die allgemeinsten
Begriffe und Sätze ohne kritische Prüfung, ohne Anwendung und besonders ohne
Quellenanschauung, wodurch alles erst wahres Leben erhält. Dieses nun ist ganz
umsonst, und wenn man nicht mehr thun will, so ist selbst diese wenige Zeit
völlig verloren: der einzige Nutzen, den ein solches Studium haben kann, ist
die Erhaltung des Namens und der äußeren Form unsrer Wissenschaft, wodurch
vielleicht in einer künftigen, besseren Zeit ihre Wiederbelebung erleichtert
werden kann. Ganz heillos ist besonders die Ansicht, als ob ein künftiger
Gesetzgeber, für welchen doch überhaupt dieser Stoff als wichtig und bildend
anerkannt wird, mit einer solchen leichten, vornehmen Kenntniß, wofür das
französische teinture die glücklichste Bezeichnung ist, auskommen könnte.
Gerade für diese Anwendung auf eigene, neue Production ist noch weit mehr
gründliche (125) Kenntniß nöthig, als für das gewöhnliche Geschäft des
Juristen; man muß über den Buchstaben des historischen Materials sehr Herr
geworden seyn, um dasselbe frey als Werkzeug zur Darstellung neuer Formen
gebrauchen zu können, sonst ist das sermocinari tamquam e vinculis
unvermeidlich. Jene verkehrte Ansicht ließe sich auf die Sprache ungefähr so
anwenden, als ob man zwar für den Umgang und das gemeine Leben den Reichthum,
die
(171)
Kraft und die Fülle der Sprache kennen müßte, für die Poesie aber mit
oberflächlicher Kenntniß genug haben könnte.
Was nun hier von dem Studium des Rechts verlangt worden ist, soll nicht etwa in Büchern aufbewahrt, auch nicht einzelnen Gelehrten anvertraut, sondern Gemeingut aller Juristen werden, die mit Ernst und mit offenem Sinn für ihren Beruf arbeiten wollen. Es soll also eine lebendige Schule entstehen, so wie sämmtliche Römische Juristen, nicht blos die Sabinianer und eben so die Proculianer für sich, in der That Eine große Schule gebildet haben. Auch können nur aus einer solchen über die Gesammtheit der Juristen verbreiteten lebendigen Bearbeitung selbst die Wenigen hervorgehen, die durch ihren Geist zu eigentlicher Erfindung berufen sind, und es ist ein schädliches Vorurtheil, als ob diese sich immer finden würden, der Zustand der Schule möchte seyn welcher er wollte. Das Beyspiel von Montesquieu (126) ist in diesem Stück sehr lehrreich; niemand kann die unabhängige Kraft verkennen, womit er sich von der Beschränktheit seiner Zeit und Nation frey zu erhalten gestrebt hat: nun war er Jurist vom Handwerk und in einem pays de droit écrit, auch haben die Römer keinen eifrigern Verehrer als ihn gehabt, so daß es ihm an Veranlassung und Neigung, Römisches Recht zu kennen, nicht fehlen konnte; dennoch waren seine Kenntnisse hierin sehr mittelmäßig, und ganze Stücke seines Werkes werden dadurch völlig bodenlos, wovon seine Geschichte des Römischen Erbrechts 1) als Beyspiel dienen kann. Dies war die Folge der gänzlichen Nullität der juristischen Schule seiner Zeit, welche er nicht zu überwinden vermochte. Ueberhaupt wird sich Jeder durch gründliches Studium der Literargeschichte überzeugen, wie weniges in ihren Erscheinungen ganz den einzelnen Individuen, unabhängig von den Kräften und Bestrebungen des Zeitalters und der Nation, mit Wahrheit zugeschrieben werden kann. - Aber diese Gemeinschaft unsrer Wissenschaft soll nicht blos unter den Juristen von gelehrtem Beruf, den Lehrern und Schriftstellern, statt finden, sondern auch unter den praktischen Rechtsgelehrten. Und eben diese Annäherung der Theorie und Praxis ist es, wovon die eigentliche
1)
Esprit des lois liv. 27.
(172)
Besserung der Rechtspflege ausgehen muß, und worin wir 127) vorzüglich von den
Römern zu lernen haben: auch unsere Theorie muß praktischer und unsere Praxis
wissenschaftlicher werden, als sie bisher war. Leibniz urtheilte, daß unter den
juristischen Schriftstellern fast nur die Verfasser von Consilien die
Rechtswissenschaft wahrhaft erweiterten und durch Beobachtung neuer Fälle
bereicherten 1): zugleich wünscht er, daß eine Gesellschaft von etwa 30
Juristen neue Pandekten als Auszug alles wahrhaft praktischen und
eigenthümlichen in neueren Schriftstellern verfassen möchte 2). Unabhängig von
Leibniz, aber in ähnlichem Sinne, schlägt Möser vor, durch planmäßige Sammlung
wirklicher Rechtsfälle eines Landes neue Pandekten anzulegen 3). Beides sehr
schön; nur ist eine nothwendige Bedingung nicht mit in Rechnung gebracht, die
Fähigkeit nämlich wahre Erfahrungen zu machen. Denn man muß das klare,
lebendige Bewußtseyn des Ganzen stets gegenwärtig haben, um von dem
individuellen Fall wirklich lernen zu können, und es ist also wieder nur der
theoretische, wissenschaftliche Sinn, wodurch auch die Praxis erst fruchtbar und
lehrreich erscheint. Allerdings ist in dem Mannichfaltigen die Einheit
enthalten, aber wir sehen sie darin nicht, wenn wir nicht den ausgebildeten
Sinn für dieselbe (128) mit hinzubringen: ja, wir werden ohne diesen Sinn die
individuelle Gestalt des Mannichfaltigen selbst nicht mit Sicherheit
unterscheiden. Darum hat in den Pandekten jeder Rechtsfall eine bestimmte
Individualität: dagegen, wenn man Urteilssprüche des achten und neunten
Jahrhunderts liest, so lautet einer wie der andere, und es ist, als wenn sich
nur immer derselbe Rechtsfall wiederholt hätte. Nicht als ob in der That die
Verhältnisse selbst bis zu diesem Grad der Einförmigkeit herabgesunken wären;
aber die Fähigkeit der Unterscheidung war verloren, und je mehr diese fehlt,
desto unmöglicher ist sicheres und gleiches Recht. Ein treffliches Mittel zu
dieser Annäherung der Theorie und Praxis würde ein zweck mäßiger Verkehr der
Juristenfakultäten mit den Gerichtshöfen
1) Nova methodus. P. 2. §. 82.
2) l. c. §. 85-90.
3)
Mösers Vorschlag zu einer Sammlung einheimischer Rechtsfälle; patriot.
Phantasien Th. 2. N. 53. (3te Ausgabe N. 44).
(173)
seyn, welcher neuerlich vorgeschlagen ist 1). Die Juristenfakultäten als
Spruchcollegien konnten dazu dienen, und thaten es wohl ursprünglich nach ihrer
Weise: aber nachdem sie zu allgemeinen Urtheilsfabriken geworden, mußte ihre
Arbeit meist handwerksmäßiger ausfallen, als die der bessern Gerichte, ja es
stand nun bey alten Fakultäten nicht mehr in der Macht einsichtsvoller Mitglieder,
dieses Verhältniß zu reinigen; nicht zu gedenken, daß durch die nothwendige
Uebung dieses unersprieslichen Handwerks der gelehrten Jurisprudenz die (129)
besten Kräfte entzogen wurden und zum Theil noch entzogen werden. Zugleich ist
diese Verknüpfung der Praxis mit einer lebendigen, sich stets fortbildenden
Theorie das einzige Mittel, geistreiche Menschen für den Richterberuf wahrhaft
zu gewinnen. Zwar Ehre und Rechtlichkeit kann der Richterstand auch ohne dieses
haben, auch kann er sich fortwährend bilden durch Beschäftigungen außer seinem
Beruf, wie sie jeden nach seiner Eigenthümlichkeit vorzugsweise ansprechen:
aber ganz anders wird es seyn, wenn der eigene Beruf selbst durch seinen
Zusammenhang mit dem Ganzen einen wissenschaftlichen Character annimmt, und
selbst zu einem Bildungsmittel wird. Ein solcher Zustand allein wird alle
Forderungen befriedigen können: der Einzelne wird nicht als bloßes Werkzeug
dienen, sondern in freyem, würdigem Berufe leben, und die Rechtslehre wird
wahre, kunstmäßige Vollendung erhalten. Auch die Franzosen haben dieses
Bedürfniß anerkannt, nur freylich auf ihre eigene etwas unedle Weise. 2) Das
nachtheiligste Verhältniß in dieser Rücksicht ist unläugbar dasjenige, worin
der Richter darauf beschränkt seyn (130) soll, einen gegebenen Buchstaben, den
er nicht interpretiren darf, mechanisch anzuwenden: betrachtet man dieses
Verhältniß als den äußersten Punkt auf einer Seite, so würde das entgegen
gesetzte äußerste darin bestehen, daß für jeden Rechtsfall der Richter das
Recht zu finden hätte, wobey
1) Schmid Deutschlands Wiedergeburt, S. 278. 279.
2)
Projet de code civil p. Xlll. „Dans
l’état de nos sociétés, il est trop heureux que la jurisprudence forme une
science qui puisse fixer le talent, flatter l’amour propre et reveiller
l’émulation.” - P. XlV. „On ne saurait comprendre combien cette science et de
raison adoucit et règle le pouvoir.”
(174)
durch die Sicherheit einer streng wissenschaftlichen Methode dennoch alle
Willkühr ausgeschlossen wäre. Zu diesem zweyten Endpunkte aber ist wenigstens
eine Annäherung möglich, und in ihm wäre die älteste Deutsche
Gerichtsverfassung in verjüngter Form wieder erweckt.
Ich bin oben von einem dreyfachen Bedürfniß ausgegangen: Rechtsquelle, Personal, und Prozeßform, alle in löblichem Zustande. Wie die Rechtsquelle auf gründlicher und verbreiteter Wissenschaft beruhen solle, ist gezeigt worden: desgleichen wie eben dadurch das Personal der Rechtspflege für diesen Beruf wahrhaft gewonnen werden könne. Allein beides wird allerdings nicht zureichen, wenn die Form des Prozesses schlecht ist. Von dieser Seite aber bedürfen manche Deutsche Länder einer schnellen und gründlichen Hülfe. Die allgemeinsten Gebrechen sind: Anarchie der Advokaten, Misbrauch der Fristen und ihrer Verlängerungen, Vervielfältigung der Instanzen und vorzüglich der Aktenversendung, die auf verständige Weise angewendet die trefflichsten Dienste leisten würde. Dagegen muß allerdings durch Gesetzgebung geholfen werden: auch ist gemeinsame (131) Berathung und Mitteilung der Deutschen Länder hierüber sehr wünschenswerth. Nur ist nicht nothwendig, daß gerade Eine allgemeine Form sogleich überall eingeführt werde. Mögen doch verschiedene Erfahrungen gemacht werden, was sich als das beste bewährt, wird dann wohl allgemeinen Eingang finden. Zwischen dem Preussischen und dem bisherigen gemeinen Prozeß, deren Idee man als entgegengesetzt betrachten kann, liegen noch manche Abstufungen in der Mitte, über deren Werth wohl nur Erfahrung entscheiden kann.
Nach
dieser Ansicht also würde in den Ländern des gemeinen Rechts zwar kein
Gesetzbuch gemacht werden: aber die bürgerliche Gesetzgebung überhaupt ist
damit keinesweges für entbehrlich erklärt. Außer den Gesetzen von politischem
Grunde (welche nicht hierher gehören), würde sie ein doppeltes Object haben
können: Entscheidung von Controversen, und Verzeichnis alter Gewohnheiten. Mit
der gesetzlichen Entscheidung von Controversen wäre ein Haupteinwurf beseitigt,
wodurch man bisher die praktische Anwendbarkeit des Römischen Rechts ohne
weitere Untersuchung
(175) zu
widerlegen geglaubt hat. Ueberdem ist es aber mit diesen Controversen so
schlimm in der That nicht. Man muß erstlich nicht gerade alles für controvers
halten, woran sich irgend einmal Unwissenheit oder Geistlosigkeit versucht hat,
ohne sonderlichen Eingang zu finden. Zweytens braucht sich (132) die
Gesetzgebung auch mit solchen Controversen nicht zu bemühen, die zwar in unsern
Lehrbüchern stehen, aber in der Praxis sehr selten vorkommen. Rechnet man beide
Fälle ab, so bleibt allerdings noch manches zu thun übrig, allein der Code
Napoleon, so jung er ist, kann sich darin schon recht gut neben dem Römischen
Rechte sehen lassen. Diese Controversen indessen wären vielleicht besser in
Form provisorischer Verfügungen oder Anweisungen an die Gerichte zu
entscheiden, als durch eigentliche Gesetze, indem durch jene der möglichen
besseren Ergründung durch Theorie weniger vorgegriffen würde. - Das zweyte
Objekt der Gesetzgebung wäre die Verzeichnung des Gewohnheitsrechts, über
welches auf diese Weise eine ähnliche Aufsicht wie in Rom durch das Edict
ausgeübt würde. Man darf nicht glauben, daß so das bisher bestrittene
Gesetzbuch doch wieder zugelassen würde, nur unter anderem Namen: der
Unterschied betrifft vielmehr gerade das Wesen der Sache. Nämlich in dieses
Gewohnheitsrecht wird nur dasjenige aufgenommen, was durch wirkliche Uebung
entschieden ist, und dieses wird ohne Zweifel jetzt, da man diese Entscheidung
vor sich hat, völlig begriffen: das Gesetzbuch dagegen ist genöthigt, über
alles zu sprechen, auch wenn kein Trieb dazu da ist, und keine specielle
Anschauung dazu fähig macht, blos in Erwartung künftiger möglicher Fälle. Daß
über die Art der Ausführung dieser übrig (133) bleibenden Zweige bürgerlicher
Gesetzgebung hier nicht gesprochen werden kann, wird jedem von selbst
einleuchten.
Ich
habe bis jetzt für die Länder des gemeinen Rechts untersucht, welcher Weg für
das bürgerliche Recht zunächst zu betreten ist, wenn dasselbe in einen
löblichen Zustand kommen soll. Ich will noch das höhere Ziel hinzufügen, dessen
Möglichkeit auf demselben Wege liegt. Ist einmal Rechtswissenschaft auf die
hier beschriebene Weise Gemeingut der Juristen geworden, so haben wir in dem
Stand der Juristen wiederum ein Subject für lebendiges Gewohnheitsrecht, also
für wahren Fortschritt, gewonnen; von
(176)
diesem Gewohnheitsrecht war unser Gerichtsgebrauch nur ein kümmerliches
Surrogat, am kümmerlichsten der Gerichtsgebrauch der Juristenfakultäten. Der
historische Stoff des Rechts, der uns jetzt überall hemmt, wird dann von uns
durchdrungen seyn und uns bereichern. Wir werden dann ein eigenes, nationales
Recht haben, und eine mächtig wirksame Sprache wird ihm nicht fehlen. Das
Römische Recht können wir dann der Geschichte übergeben, und wir werden nicht
blos eine schwache Nachahmung Römischer Bildung, sondern eine ganz eigene und
neue Bildung haben. Wir werden etwas höheres erreicht haben, als blos sichere
und schnelle Rechtspflege: der Zustand klarer, anschaulicher Besonnenheit,
welcher dem Recht jugendlicher Völker eigen zu seyn pflegt, wird sich (134) mit
der Höhe wissenschaftlicher Ausbildung vereinigen. Dann kann auch für
zukünftige schwächere Zeiten gesorgt werden, und ob dieses durch Gesetzbücher
oder in anderer Form besser geschehe, wird dann Zeit seyn zu berathen. Daß
dieser Zustand jemals eintreten werde, sage ich nicht: dieses hangt von der
Vereinigung der seltensten und glücklichsten Umstände ab. Was wir Juristen
hinzu bringen können, ist offener Sinn, und treue tüchtige Arbeit: haben wir
diese gethan, so mögen wir den Erfolg ruhig abwarten, vor allem aber uns hüten,
dasjenige zu zerstören, was näher zu jenem Ziele führen kann. Als das Jüdische
Volk am Berge Sinai das göttliche Gesetz nicht erwarten konnte, machte es aus
Ungeduld ein goldenes Kalb, und darüber wurden die wahren Gesetztafeln
zerschlagen.
9. Was bey vorhandenen Gesetzbüchern zu thun ist.
(135)
Ich komme nun zu den Deutschen Ländern, in welchen Gesetzbücher schon vorhanden
sind: es versteht sich, daß darunter nur das Preussische Landrecht und das
Oesterreichische Gesetzbuch gedacht werden kann, nicht der Code, welcher als
eine überstandene politische Krankheit betrachtet werden muß, wovon wir
freylich noch manche Uebel nachempfinden werden.
(177)
Ueber jene Deutschen Gesetzbücher nun habe ich meine Meynung schon geäußert;
aber man würde mich misverstehen, wenn man diese Meynung so deuten wollte, als
ob damit die Abschaffung der Gesetzbücher für etwas wünschenswerthes erklärt
wäre. Diese sind vielmehr als eigene, neue Thatsachen in der Geschichte des
Rechts zu behandeln, und ihre Aufhebung würde nicht nur unvermeidlich große
Verwirrung zur Folge haben, sondern es müßte auch nachtheilig auf den
öffentlichen Geist wirken, wenn dasjenige, was mit der besten Absicht und
großer Anstrengung kaum vollendet war, plötzlich zurückgenommen werden sollte.
Auch tritt ein großer Theil des Nebels, welches aus einem allgemeinen
Gesetzbuche folgen würde, bey ihnen nicht ein, so lange in (136) andern
Deutschen Ländern das gemeine Recht fortdauert. Also von Aufhebung ist nicht die
Rede, wohl aber ist ernstlich zu bedenken, wie die Uebel vermieden werden
können, die bey unrichtiger Behandlung der Gesetzbücher eintreten dürften.
Wen
nämlich dasjenige, was über die Natur und Entstehung unsrer Gesetzbücher gesagt
worden ist, überzeugt hat, der wird nicht zweifeln, daß dasselbe historisch
begründete Rechtsstudium, welches vor ihrer Einführung nothwendig war, auch
durch sie nicht im geringsten entbehrlicher geworden ist, und daß insbesondere
gar nichts geleistet wird, wenn man glaubt, sich um ihretwillen nun mit einer
oberflächlichen Darstellung des bisherigen Rechts behelfen zu können. Diese
fortdauernde Nothwendigkeit ist für die unmittelbare Anwendung dringender bey
dem Oesterreichischen Gesetzbuch (S. 108): aber sie ist aus anderen Gründen
auch bey dem Preussischen Landrecht nicht geringer. Die häufig gehegte
Erwartung also, daß das Rechtsstudium dadurch leichter und einfacher werden
könne, ist irrig: soll es nicht schlecht und für den gegebenen Rechtszustand
unzureichend werden (denn alsdann ist jeder Grad der Vereinfachung möglich), so
bleibt alle vorige Arbeit, und es kommt noch eine neue hinzu, die wegen
Zerstörung der ursprünglichen Form unerfreulicher ist, als die vorige. Aber
nicht blos für die gründliche Kenntniß und Anwendung der Gesetzbücher ist das
vorige (137) Studium unentbehrlich, sondern auch für ihre Fortbildung und
Vervollkommnung, die doch jeder für nothwendig erkennen wird, er mag
(178) auch
den Werth derselben noch so hoch anschlagen. Denn die Gesetzbücher selbst sind
auf theoretischem Wege entstanden, und nur auf diesem Wege können sie mit
Sicherheit geprüft, gereinigt und vervollkommt werden. Für diese Arbeit scheint
ein bloßes Collegium von Geschäftsmännern, die durch ihren Beruf und die Menge
übriger Arbeiten ihren lebendigen Verkehr mit der Theorie zu beschränken
genöthigt sind, nicht hinreichend. Auch die fortgesetzte Prüfung des
Gesetzbuchs durch Achtsamkeit der Gerichte auf die Anwendung ist zwar
vortrefflich, aber nicht hinlänglich: viele Mängel werden auf diesem Wege
entdeckt werden können, dennoch bleibt der Weg selbst zufällig, und eben so
viele Mängel können von ihm unberührt bleiben. Die Theorie steht zur Praxis
nicht ganz in demselben Verhältniß, wie ein Rechnungsexempel zu seiner Probe.
Es ist interessant, zu betrachten, wie man in den Staaten, worin Gesetzbücher eingeführt sind, das Studium angesehen und geordnet hat. Dabey mag denn auch wieder der Zustand der Dinge in Frankreich, und zwar die gegenwärtige Einrichtung der Pariser Rechtsschule, in Betracht kommen 1). Zu dieser (138) Schule gehören drey Professoren für den Code, einer für den Prozeß, einer für das Römische Recht, und diese sollen sich in jeder Rechtsschule finden; aber Paris hat noch außerdem zwey besondere Lehrstellen, für den code civil approfondi und für den code de commerce. Criminalrecht und Criminalprozeß, Rechtsgeschichte und altfranzösisches Recht werden nicht gelesen. Jeder Professor hält stets Einen Cursus, welcher einjährig ist (mit Abzug von 3 Monaten Ferien in Paris, an andern Orten aber nur von 2 Monaten), und wöchentlich aus drey anderthalbstündigen Vorlesungen besteht: dieser Umfang ist bey allen Vorlesungen derselbe. Der Code also wird in drey solchen Cursen gelehrt, indem jeder Lehrer nur ein Drittheil des Ganzen abhandelt. Jeder Professor hat einen suppleant, der für ihn eintritt, wenn er zu lesen verhindert ist. Das Römische Recht las Berthelot über die Institutionen des Heineccius, denen er eine französische Uebersetzung beygegeben hatte, damit die Zuhörer sie verstehen
1)
Ich benutze die handschriftliche und mündliche Mitteilung eines Doctors dieser
Rechtsschule.
(179)
könnten; seit Berthe lots Tode liest es dessen bisheriger Suppleant Blondeau,
aber, was man nicht glauben sollte, über den Code, indem er bey jedem Artikel
die Abweichungen bemerkt. Der Baccalaureus muß zwey Jahre, der Licentiat drey,
der Doctor vier Jahre studiert haben; dem ersten ist der Cursus des Römischen
Rechts vorgeschrieben, für den zweyten ist dessen Wiederholung eigenem
Gutdünken überlassen, dem (139) dritten ist diese Wiederholung wiederum
vorgeschrieben: was aber wohlgemerkt immer nur die Wiederholung derselben
Institutionen bey demselben Lehrer ist. Es wird nicht nöthig seyn, nach dem,
was bisher ausgeführt worden ist, noch besondere Gründe gegen diesen
Studienplan vorzubringen; aber besonders merkwürdig ist der greifliche Zirkel,
worin man sich befindet. Die Redactoren selbst haben oft erklärt, daß der Code
zur Anwendung nicht hinreiche, sondern für diese die Ergänzung durch
Wissenschaft nothwendig sey. Und doch dreht sich der wissenschaftliche
Unterricht wieder ganz um den Code, denn das wenige Römische Recht ist gar
nicht zu rechnen. Welches ist denn also die factische Grundlage dieser
Wissenschaft? ohne Zweifel der Gerichtsgebrauch, derselbe Gerichtsgebrauch,
dessen Verschiedenheit aufzuheben das wichtigste Bestreben schien, und der
durch Auflösung der alten Gerichte und Vermischung ihrer Sprengel alle Haltung
verloren hat! Daß nun ein solcher Zustand nicht stehen bleibt, sondern immer
weiter rückwärts führt, ist handgreiflich. Es liegt in der Natur, daß in jedem
Zeitalter der Zustand der Rechtswissenschaft durch den Wert (!) desjenigen
bestimmt wird, was dieses Zeitalter als nächstes Object des Studiums in der
That (wenn gleich nicht immer den Worten nach) betrachtet und behandelt; stets
wird die Rechtswissenschaft etwas und vielleicht viel tiefer stehen, als dieses
Object. So z. B. hatten die ersten (140) Glossatoren den Vortheil, daß sie aus
den Quellen selbst zu schöpfen genöthigt waren, diese waren also ihr Object;
Bartolus dagegen hatte schon die Schriften der Glossatoren zum Object, die sich
nunmehr zwischen die gegenwärtigen Juristen und die Quellen gestellt hatten,
und dieses ist ein Hauptgrund, warum die Schule des Bartolus so viel schlechter
ist, als die der Glossatoren. Derselbe Rückschritt wird überall statt finden,
(180) wo
nicht der Grundsatz befolgt wird, jeden Stoff bis zu seiner Wurzel zu
verfolgen, welcher Grundsatz oben als der Character der historischen Methode
angegeben worden ist. So denn auch bey dem Code; wenn z. B . einer der
Redactoren auch die übertriebenste Meynung vom Werthe des Code hegte, so würde
er doch im Vertrauen bekennen, daß er selbst höher stehe, als dieses sein Werk:
er würde einräumen, daß er selbst seine Bildung unabhängig von dem Code
erhalten habe, und daß die gegenwärtige Generation, die durch den Code erzogen
werden soll, nicht auf den Punkt kommen würde, worauf er selbst steht, und
worauf er fähig war, ein solches Werk hervorzubringen. Diese einfache Ueberlegung
wird dasselbe Resultat überall haben, wo man mit Einführung des neuen
Gesetzbuchs zugleich das vorige Studium zerstört, gleichsam die Brücke hinter
sich abwerfend, auf welcher man über den Strom gekommen ist.
Die neue Oesterreichische Studienordnung (von [141] 1810) verbindet das juridische und politische Studium zu einem Ganzen 1), welches in vier Jahren dergestalt geendigt wird, daß diese ganze Zeit hindurch täglich drey Stunden den Vorlesungen bestimmt sind 2). Jeder Lehrgegenstand wird nur einmal gehört. Deutsches Recht kommt nicht vor, ohne Zweifel deshalb, weil es auch vor dem neuen Gesetzbuch in Oesterreich wenig verbreitet war 2). Dagegen wird allerdings Römisches Recht gelehrt, und die Gründe, welche die Aufnahme desselben in den Lehrplan bewirkt haben, sind die trefflichsten und liberalsten. Der erste ist die Entstehung des neuen Gesetzbuchs aus dem Römischen Recht: der zweyte, daß das bisherige gemeine Recht (und besonders der Römische Theil desselben) zu jeder positiven Rechtswissenschaft in einem ähnlichen Verhältniß stehe, wie die alten Sprachen zur allgemeinen Bildung: nämlich als das eigentlich gelehrte Element, wodurch
1) Als Quellen sind hierüber benutzt worden: Instruktion zur Ausführung des Lehrplanes (et)c. im 35ten Bande von K. Franz I. Gesetzsammlung. - A. von Heß encycl. methodol. Einleitung in das juridisch-politische Studium. Wien u. Triest 1843. 8. Dem Vf. sind laut S. 9. die Acten über den Studienplan mitgetheilt worden, so daß seine Darstellung der Gründe desselben gewissermaaßen als officiell zu betrachten ist.
2) Heß §. 39.
3) Heß §. 13.
(181) unser Fach zur Wissenschaft werde, und zugleich als das Gemeinsame unter den Juristen verschiedener Völker 1). Diese Ansicht, die ohne Zweifel die der Studiencommission selbst ist 2), verdient gewiß den größten Beyfall: allein ob die gewählten Mittel zu diesem anerkannten Zweck hinreichen, muß ich bezweifeln. Zwar soll der Lehrer des Römischen Rechts eine Geschichte desselben voraus schicken, und dahin trachten, daß der Zuhörer „das System desselben in seinen Grundzügen und aus seinen Quellen kennen lerne“ 3): allein bey der vorgeschriebenen beschränkten Zeit ist es ganz unmöglich, mehr als gewöhnliche Institutionen vorzutragen, da für das ganze Fach nur eine halbjährige Vorlesung von zwey Stunden täglich (nach schriftlichen Nachrichten eigentlich neun Stunden die Woche) bestimmt ist, also genau dieselbe Zeit wie in Paris. Was in einer so kurzen Zeit möglich ist, kann jeder leicht berechnen: auch ist bereits ein Lehrbuch für die Vorlesungen nach diesem Plane erschienen 4), an welchem deutlich zu sehen ist, wie unbefriedigend dieser Unterricht bleiben muß, und gewiß ohne Schuld des Verfassers, dessen Fleiß und Kenntniß neuerer Fortschritte der Rechtswissenschaft (143) vielmehr das beste Lob verdient. Es käme nur darauf an, sich von der Unzulänglichkeit dieses Planes zu überzeugen, und dabey die Erfahrung anderer Deutschen Länder unbefangen zu Rathe zu ziehen: an Mitteln zu einer andern Einrichtung würde es nicht fehlen, am wenigsten an Zeit. Der Plan ist darauf berechnet, daß jeder Studierende täglich drey Stunden höre; nimmt man anstatt dessen fünf Stunden an, so werden in vier Jahren 16 einfache Collegien gewonnen, und es können dann nicht nur alle zum gelehrten Studium unentbehrliche Fächer, sondern auch die Hauptvorlesungen bey mehreren Lehrern gehört werden, wodurch erst rechtes Leben in den Unterricht der Universitäten kommt. Zwar glaubte man, daß fünf Stunden täglich nach der Localität zu viel sey, indem es z. B. zu viel Anstrengung kosten würde, drey Stunden
1) Heß §. 16.
2) s. o. S. 141. Note 1.
3) Heß §. 40. 41.
4)
Kaufmann Anfangsgründe des Römischen Privatrechts. Erste Abtheilung. Wien u.
Triest 1814. 8.
182
unterbrochen zu hören 1): allein ich berufe mich auch hierüber auf die Erfahrung
anderer Deutschen Universitäten, wo dieses niemals die geringste Schwierigkeit
macht. Davon, daß es Universitäten giebt, wo manche Studenten 10-11 Stunden
täglich hören, will ich nicht sprechen, denn dieses wird auch dort für einen
sehr schädlichen Misbrauch erkannt, dem man entgegen zu arbeiten sucht.
(144) In den Preußischen Staaten ist auch seit Einführung des Landrechts niemals eine Studienordnung vorgeschrieben worden, und diese durch alte Erfahrung Deutscher Universitäten bewährte Freyheit ist stets unversehrt geblieben. Auch die Anzahl der Lehrer, wie sie vorher durch das gemeine Recht nöthig war, ist nicht vermindert worden, und die Curatoren der Universitäten haben niemals in den Lehrern oder den Studierenden die Meynung erregt, als wäre ein Theil der vorher nöthigen Vorlesungen für entbehrlich zu achten. Ursprünglich hielt man es für räthlich, daß auf jeder Universität wenigstens Eine Hauptstelle für das Preußische Recht bestimmt würde, und es wurde ein ansehnlicher Preiß für das beste Lehrbuch ausgesetzt 2). Allein selbst dieses wurde in der Folge nicht mehr befördert, wie denn die Universität zu Berlin das Preußische Recht bis jetzt nicht gelehrt hat. Dieselbe Ansicht liegt den eingeführten Prüfungen zum Grunde, indem die erste Prüfung, bey dem Eintritt in wirkliche Geschäfte, blos auf gemeines Recht gerichtet wird: die nächste Zeit ist nun für die unmittelbar praktische Bildung des Rechtsgelehrten bestimmt 3), und erst die nun folgenden zwey (145) Prüfungen haben auch das Landrecht zum Gegenstande, jedoch ohne daß das gemeine Recht dabey ausgeschlossen wäre. Offenbar ist also gegenwärtig die Bildung des Juristen, als aus zwey Hälften bestehend, gedacht, so daß die erste Hälfte (die Universität) nur die gelehrte Grundlage, die zweyte dagegen die Kenntniß des Landrechts, die des Preußischen Prozesses, und die praktische Fertigkeit zur Aufgabe hat. Dafür, daß die erste Hälfte nicht aus Bequemlichkeit verkürzt werde, hat man nicht durch eine
1) Eggers Anhang zu Heß S. 83.
2) Vorerinnerung zum Entwurf des Gesetzbuchs Th. 2. Abth. 3.
3)
Ein sehr lehrreicher Aufsatz hierüber von dem Hrn. Justizminister von
Kircheisen steht in Mathis jurist. Monatsschrift B. 4 S. 65.
(183)
specielle Studienordnung gesorgt, wohl aber erstlich durch das vorgeschriebene
Triennium 1), so daß die Anwendung dieser Zeit, wie billig, der eigenen Wahl
und dem Rathe der Lehrer überlassen blieb; zweytens durch die Vorschrift, bey
der Zulassung zum Staatsdienste auch auf das Zeugniß der Universitätslehrer,
und selbst auf das frühere Schulzeugniß, Rücksicht zu nehmen 2). Man muß
bedenken, mit welchem Ernst und welcher Anstrengung das Landrecht gemacht
worden ist, um die ganze Achtung zu empfinden, welche diesem Verfahren der
Preußischen Regierung gebührt. Denn auch bey der festen Ueberzeugung, daß das
neu eingeführte ein unbedingter (146) Fortschritt sey, hat sie dennoch mit
edler Scheu sich enthalten, der fest gewurzelten wissenschaftlichen Gewohnheit
zu gebieten, die durch das Bedürfniß und die Einsicht der Zeiten allmählich
entstanden und entwickelt war. Rühmliche Erwähnung verdient auch der gründliche
Sinn des Kammergerichts, auf dessen Veranlassung im Jahr 1801. den juristischen
Fakultäten der Gebrauch lateinischer Lehrbücher empfohlen wurde, weil seit
Einführung der Deutschen Lehrbücher die juristische Kunstsprache den Juristen
weniger geläufig war 3) ; noch sicherer und vollständiger als durch Lehrbücher
dürfte freylich dieser Zweck durch die Quellen selbst erreicht werden. - Was
insbesondere die Vorlesungen über das Landrecht betrifft, so glaube ich
allerdings, daß diese in der gegenwärtigen Lage besser nicht gehalten werden,
indem zum praktischen Bedürfniß die spätere Einübung hinreicht, eine
wissenschaftliche Seite aber dem Gegenstande abzugewinnen, aus Mangel an
speciellen geschichtlichen Quellen, schwer seyn dürfte. Anders würde es
vielleicht seyn, wenn der oben (S. 94) ausgesprochene Wunsch öffentlicher
Mittheilung von Materialien des Landrechts in Erfüllung gehen sollte.
Betrachten wir nun nochmals die drey genannten Gesetzbücher im Zusammenhang, und in besonderer Beziehung auf das Studium des Rechts, so ist (147) einleuchtend, daß ein eigenthümliches
1) Die Rescripte hierüber von 1804. 1809 und 18l2 sind an folgenden Orten zu finden:
Mathis Monatsschrift Bd. 1 S. 56. 61; B. 8. S. 352. 462. Kamptz Monatsschrift Heft 1 S. 18.
2) Rescript von 1813. in Kamptz Monatsschrift Heft 3. S. 14.
3)
Stengels Beyträge B. l3. S. 214. 218.
(184)
wissenschaftliches Leben aus ihnen nicht entspringen kann, und daß sich auch
neben ihnen wissenschaftlicher Geist nur in dem Maaße lebendig erhalten wird,
als die geschichtlichen Quellen dieser Gesetzbücher selbst fortwährend
Gegenstand aller juristischen Studien bleiben. Derselbe Fall aber müßte
unfehlbar eintreten, wenn wir ein Gesetzbuch für Deutschland aufstellen
wollten. Thibaut, welcher dieses anräth, will, wie sich bey ihm von selbst
versteht, nicht die Wissenschaftlichkeit aufheben, vielmehr hofft er gerade für
diese großen Gewinn. Welches nun die Basis der künftigen Rechtsstudien seyn
soll, ob (wie in Preußen) die alten Quellen, oder (wie in Frankreich und
Oesterreich) das neue Gesetzbuch selbst, sagt er nicht deutlich, doch scheint
mehr das letzte seine Meynung 1). Ist aber dieses der Fall, so fordere ich
jeden auf, bey sich zu erwägen, ob auf eines der drey schon vorhandenen neuen
Gesetzbücher, unabhängig von den Quellen des bisherigen Rechts und dieser
Gesetzbücher selbst, eine wirklich lebendige Rechtswissenschaft möglicherweise
gegründet werden könne. Wer aber dieses nicht für möglich erkennt, der kann es
auch nicht für das vorgeschlagene Gesetzbuch behaupten. Denn ich halte es, aus
den oben entwickelten Gründen, für ganz unmöglich, daß dasselbe von den (148)
bisherigen Gesetzbüchern nicht blos durch Vermeidung einzelner Mängel (was
allerdings gedacht werden kann), sondern generisch verschieden ausfalle; ohne
eine solche generische Verschiedenheit aber wird die Untauglichkeit zu
Begründung einer selbstständigen Rechtswissenschaft stets dieselbe seyn. Was
alsdann eintreten wird, läßt sich leicht vorhersehen. Wir werden entweder gar
keine juristische Literatur haben, oder (was wahrscheinlicher ist) eine so
flache, fabrikmäßige, unerträgliche, wie sie uns unter der Herrschaft des Code
zu überschütten angefangen hatte, und wir werden dann alle Nachtheile eines
cultivirten, verwickelten, auf literarisches Bedürfniß gebauten Zustandes
empfinden, ohne durch die eigenthümlichen Vortheile desselben entschädigt zu
werden. Ja, um alles mit Einem Worte zu sagen, es könnte leicht kommen, daß der
Zustand des bürgerlichen Rechts bey uns schlechter würde, als er in
1)
Thibaut a. a. O., S. 29-32.
(185)
Frankreich ist; denn das Streben nach wissenschaftlicher Begründung gehört
nicht zu den nationalen Bedürfnissen der Franzosen, wohl aber zu den unsrigen,
und ein so tief wurzelndes Bedürfniß läßt sich nicht ungestraft hintansetzen.
Wollte man dagegegen die Rechtswissenschaft auch neben dem neuen Gesetzbuch auf die alten Quellen gründen, so würden die oben 1) angegebenen Schwierigkeiten eintreten, und man würde das Studium, anstatt es zu vereinfachen, vielmehr verwickeln (149) und weniger belohnend einrichten, also dem wahren Zwecke gerade entgegen arbeiten. Man möchte etwa glauben, der Erfolg würde ganz derselbe seyn, wie er bey einem ähnlichen Verfahren in den Preussischen Staaten wirklich vor Augen liegt, wo gewiß das Personal der Rechtspflege trefflich ist und allgemeine Achtung genießt und verdient; aber auch diese Erwartung halte ich für eine leere Täuschung. Denn zwey Umstände dürfen dabey nicht übersehen werden, die den Erfolg in anderen Deutschen Ländern leicht ungünstiger bestimmen dürften: erstlich, daß der allgemeine Character der Preußischen Einrichtungen auch dieser einzelnen Einrichtung zusagt, und ihre Ausführung in gesundem Zustande erhält, was sich in anderen Deutschen Ländern schwerlich so zeigen würde: zweytens aber und weit mehr dieses, daß selbst in den Preussischen Staaten die Lage des Rechts durch das vorgeschlagene Gesetzbuch der übrigen Deutschen Länder anders werden würde. Denn die Bildung der Preußischen Juristen wird begründet auf den Universitäten, also durch die Quellen des gemeinen Rechts: das Studium auf den Universitäten also macht mit dem der übrigen Deutschen Ein Ganzes aus. Es ist aber nicht zu bestimmen, wie viel Lebenskraft dieses Studium noch dadurch zieht, daß seine Quellen im übrigen Deutschland geltendes Recht sind, und wie ihm allmählich Kraft und Leben schwinden würde, wenn diese Quellen überall unmittelbar (150) zu gelten aufhören sollten. Dann also würde durch das Deutsche Gesetzbuch selbst für die Preussischen Staaten das Studium entkräftet seyn, und gegen dieses zu befürchtende Uebel kann uns begreiflich die Erfahrung nicht sicher stellen, die bis jetzt der Preussische Staat gemacht hat.
1)
Abschn. 8.
(186) 10.
Das Gemeinsame.
(151) Die Folge dieser Ansichten ist, daß das wissenschaftliche Studium des Rechts, als welchem alle Erhaltung und Veredlung desselben obliegt, in beiderley Ländern, denen die Gesetzbücher haben, und die sie nicht haben, dasselbe seyn müsse. Ja nicht auf das gemeine Recht allein beschränke ich diese Gemeinschaft, sie muß vielmehr auch auf die Landesrechte erstreckt werden aus zwey Gründen. Erstlich weil die Landesrechte großentheils nur durch Vergleichung und durch Zurückführung auf alte nationale Wurzeln verstanden werden können: zweytens weil schon an sich alles geschichtliche der einzelnen Deutschen Länder für die ganze Nation ein natürliches Interesse hat. Daß die Landesrechte bisher am wenigsten auf diese Weise behandelt worden sind, wird niemand läugnen 1); aber viele Gründe lassen für die Zukunft allgemeinere Theilnahme an der vaterländischen Geschichte hoffen, und davon wird auch das Studium der Landesrechte belebt werden, die eben so wenig als das gemeine Recht dem blosen Handwerk anheim fallen dürfen. Und so führt unsre Ansicht auf einem (152) anderen Wege zu demselben Ziel, welchem die Freunde des allgemeinen Gesetzbuchs nachstreben, aus dem bürgerlichen Recht nämlich eine gemeinsame Angelegenheit der Nation, und damit zugleich eine neue Befestigung ihrer Einheit zu machen; nur führt unsre Ansicht vollständiger dahin, indem sie in der That alle Deutschen Lande umfaßt, während durch das vorgeschlagene Gesetzbuch Deutschland in drey große Ländermassen zerfallen würde, die durch das bürgerliche Recht sogar schärfer als vorhin geschieden wären: Oesterreich nämlich, Preußen, und die Länder des Gesetzbuchs 2).
1) Thibaut a. a. O., S. 27. 28.
2)
Nämlich die gegenwärtigen Vorschläge eines neu einzuführenden Gesetzbuchs sind
lediglich veranlaßt durch den Zustand der Länder, worin bis jetzt das gemeine
Recht oder der Code galt, und ich habe stillschweigend angenommen, daß der
Vorschlag selbst nicht weiter gehe als diese seine Veranlassung. Sollte aber
auch Oesterreich und Preussen darin mitbegriffen seyn, so wäre allerdings von
der politischen Seite diese Vollständigkeit sehr zu loben, aber für diese
Länder selbst wäre wohl zu bedenken, was oben (Abschn. 8.) in anderer Rücksicht
gegen die Abschaffung ihrer Gesetzbücher gesagt worden ist.
(187) Daß
nun diese Gemeinschaft des bürgerlichen Rechts in allen wirklichen
Einrichtungen anerkannt und vorausgesetzt werde, halte ich eben wegen jener
durch sie mit zu begründenden Vereinigung für eine der wichtigsten
Angelegenheiten der Nation. Wie es keine Preussische und Bairische Sprache oder
Literatur giebt, sondern eine Deutsche, so ist es auch mit den Urquellen unsres
Rechts und mit deren geschichtlicher (153) Erforschung; daß es so ist, hat kein
Fürst mit Willkühr gemacht, und keiner kann es hindern, nur kann es verkannt
werden: aber jeder Irrthum über das, was wahrhaft der Nation angehört, und
fälschlich als dem einzelnen Stamme eigen behandelt wird, bringt Verderben.
Sehen
wir nun um uns, und suchen ein Mittel, wodurch dieses gemeinsame Studium
äußerlich begründet und befördert werden könne, so finden wir ein solches,
nicht mit Willkühr ersonnen, sondern durch das Bedürfniß der Nation seit
Jahrhunderten bereitet, in den Universitäten. Die tiefere Begründung unsres
Rechts, und vorzüglich des vaterländischen, für welches noch am meisten zu thun
ist, ist von ihnen zu erwarten, aber auch mit Ernst zu fordern. Allein damit
sie diesem Beruf ganz genügen könnten, müßte ein Wunsch erfüllt werden, in
welchen gewiß auch diejenigen herzlich einstimmen werden, welchen bis jetzt
unsre Ansicht entgegen gesetzt war. Oesterreich, Baiern und Würtemberg, diese
trefflichen, gediegenen Deutschen Stämme, stehen (theils von jeher, theils
gegenwärtig) mit dem übrigen Deutschland nicht in dem vielseitigen Verkehr des
Universitätsunterrichts, welcher den übrigen Ländern so großen Vortheil bringt;
theils Gewohnheit, theils beschränkende Gesetze hemmen diesen Verkehr. Die
Erfahrung dieser letzten Zeit hat gezeigt, welches Zutrauen die Deutschen
Völker zu einander fassen (154) dürfen, und wie nur in der innigsten
Vereinigung ihr Heil ist. Darum scheint es an der Zeit, daß jener Verkehr nicht
nur völlig frey gestattet, sondern auf alle Weise begünstigt und befördert
werde: für gefährlich kann ihn jetzt niemand halten, und wie er wohlthätig für
die Verbrüderung der Völker wirken könne, muß jedem einleuchten. Aber nicht
blos politisch würde dieser unbeschränkte und vielseitige Verkehr höchst
wichtig seyn, sondern
(188) auch
noch mehr für den innern, wissenschaftlichen Werth der Lehranstalten selbst.
Wie sich bey dem allgemeinen Welthandel ein irriges Münzsystem einzelner
Staaten nicht halten kann, ohne bald in schlimmen Folgen empfunden und entdeckt
zu werden, so würde eine mangelhafte Einrichtung einzelner Universitäten durch
diesen erwünschten Verkehr bald erkannt und verbessert werden können; alle
Universitäten würden sich gegenseitig halten und heben, und die Erfahrung einer
jeden würde ein Gemeingut aller werden.
11.
Thibauts Vorschlag.
(155) Thibaut versichert im Eingang seiner Schrift, daß er als warmer Freund seines Vaterlandes rede, und gewiß, er hat ein Recht, dieses zu sagen. Denn er hat zur Zeit des Code in einer Reihe von Recensionen auf die Würde der Deutschen Jurisprudenz gehalten, während Manche die neue Weisheit, Manche selbst die Herrschaft, wozu diese führte, mit thörichtem Jubel begrüßten. Auch das Ziel seines Vorschlags, die festere, innigere Vereinigung der Nation, bestätigt diese gute Gesinnung, die ich mit Freuden anerkenne. Bis auf diesen Punkt also sind wir einig, und darum ist unser Streit kein feindseeliger, uns liegt derselbe Zweck ernsthaft am Herzen, und wir berathen und besprechen uns über die Mittel. Aber freylich über diese Mittel sind unsre Ansichten sehr entgegen gesetzt. Vieles davon ist schon oben im Zusammenhang dieser Schrift abgehandelt worden, der eigentliche Vorschlag selbst ist nun noch zu prüfen.
Thibaut nimmt an, das vorgeschlagene Gesetzbuch könne in zwey, drey, vier Jahren gemacht werden 1), nicht als bloser Behelf, sondern als ein (156) Ehrenwerk, welches als Heiligthum auf Kinder und Kindeskinder vererbt werden möge 2), und woran auch in Zukunft nur noch in einzelnen Stellen nachzubessern seyn würde 3). Für leicht hält er die Arbeit keinesweges, vielmehr für
1) A. a. O. S. 64.
2) S. 59. 60.
3) S.
41.
(189) das
schwerste unter allen Geschäften 1). Natürlicherweise ist die Hauptfrage die,
wer dieses Werk machen soll, und dabey ist es höchst wichtig, daß wir uns nicht
durch übertriebene Erwartungen von der Gegenwart täuschen lassen, sondern ruhig
und unparteyisch überschlagen, welche Kräfte uns zu Gebote stehen. Dieses hat
auch Thibaut gethan; auf zwey Classen von Arbeitern müssen wir rechnen,
Geschäftsmänner und Juristen von gelehrtem Beruf, und beide verlangt, wie sich
von selbst versteht, auch er. Aber von den Geschäftsmännern im einzelnen ist
seine Erwartung sehr mäßig 2), und auch auf die Gelehrten setzt er nach einigen
Äußerungen keine übertriebene Hoffnung 3). Eben deshalb fordert er eine
collegialische Verhandlung: nicht Einer, auch nicht Wenige, sondern Viele und
aus allen Ländern sollen das Gesetzbuch machen 4).
Allerdings giebt es Geschäfte im Leben, worin sechs Menschen genau sechsmal so viel ausrichten als Einer, andere worin sie sogar mehr, noch andere (157) dagegen worin sie weit weniger als dieses leisten. Das Gesetzbuch nun ist eine solche Arbeit, worin die vereinigte Kraft Vieler keinesweges eine nach Verhältniß erhöhte Kraft seyn würde. Noch mehr: es wird als ein löbliches, treffliches Werk auf diesem Wege gar nicht entstehen können, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil es nach seiner Natur weder eine einzelne Bestimmung, noch ein Aggregat solcher einzelnen Bestimmungen ist, sondern ein organisches Ganze. Ein Richtercollegium z. B. ist deshalb möglich, weil über Condemnation oder Absolution in jedem einzelnen Fall die Stimmen abgegeben und gezählt werden können. Daß damit die Verfertigung des Gesetzbuchs keine Ähnlichkeit hat, leuchtet von selbst ein. Ich komme auf dasjenige zurück, was oben erörtert worden ist. Unter den Römern zur Zeit des Papinian war ein Gesetzbuch möglich, weil ihre gesammte juristische Literatur selbst ein organisches Ganze war: man könnte (mit einem Kunstausdruck der neueren Juristen) sagen, daß damals die einzelnen Juristen fungible Personen waren. In einer solchen Lage gab es sogar mehrere
1) S. 35.
2) S. 36-39.
3) S. 17. 29.
4) S.
35. 36. 40.
(190)
Wege, die zu einem guten Gesetzbuch führen konnten: entweder Einer konnte es
machen, und die Andern konnten hinterher einzelne Mängel verbessern, was
deswegen möglich war, weil in der That jeder einzelne als Repräsentant ihrer
juristischen Bildung überhaupt gelten konnte: oder auch Mehrere konnten, (190)
unabhängig von einander, jeder das Ganze ausarbeiten, und durch Vergleichung
und Verbindung dieser Werke würde ein neues entstanden seyn, vollkommner als
jedes einzelne, aber mit jedem gleichartig.
Nun bitte ich jeden, mit diesem Zustand den unsrigen zu vergleichen, der jenem gerade hierin völlig entgegen gesetzt ist. Um mit dem geringeren anzufangen, wähle jeder in Gedanken eine Anzahl der jetztlebenden Juristen aus, und frage sich, ob aus deren gemeinschaftlicher Arbeit auch nur ein System des bestehenden Rechts hervorgehen könne: er wird sich bald von der völligen Unmöglichkeit überzeugen. Daß aber ein Gesetzbuch eine viel größere Arbeit ist, und daß von ihm besonders ein höherer Grad organischer Einheit verlangt werden muß, wird gewiß niemand läugnen. In der That also würde das Gesetzbuch, wenn es nicht durch blos mechanische Zusammensetzung unlebendig und darum völlig verwerflich seyn soll, doch nicht von jenem Collegium gemacht werden können, sondern nur von einem Einzelnen; die übrigen aber würden nur untergeordnete Dienste leisten können, indem sie bey einzelnen Zweifeln Rath und Gutachten ertheilten, oder die fertige Arbeit durch Entdeckung einzelner Mängel zu reinigen suchten. Wer uns aber dieses zugiebt, der muß für die gegenwärtige Zeit an der Möglichkeit überhaupt verzweifeln; denn eben jenen einzelnen, den wahren Gesetzgeber, zu finden, ist ganz unmöglich, (159) weil wegen der völligen Ungleichartigkeit der individuellen Bildung und Kenntniß unsrer Juristen kein einzelner als Repräsentant der Gattung betrachtet werden kann.
Wer auch nach dieser Betrachtung noch an die Möglichkeit einer wirklich collegialischen Verfertigung des Gesetzbuchs glauben möchte, der wolle doch die Diskussionen des Französischen Staatsraths, die Thibaut so treffend geschildert hat 1), auch nur in
l) s.
o. S. 59.
(191)
einem einzelnen Abschnitt durchlesen. Ich zweifle nicht, daß unsre Discussionen
in manchen Stücken besser seyn würden; aber, auf die Gefahr hin, der
Parteylichkeit für die Franzosen beschuldigt zu werden, kann ich die
Ueberzeugung nicht verbergen, daß die unsrigen in anderer Rücksicht hinter diesem
Vorbild zurück bleiben dürften.
Es ist oft verlangt worden, daß ein Gesetzbuch populär seyn solle, und auch Thibaut kommt einmal auf diese Forderung zurück 1). Recht verstanden, ist diese Forderung wohl zuzugeben. Die Sprache nämlich, die das wirksamste Mittel ist, wodurch Ein Geist zum andern kommen kann, hemmt und beschränkt auch diesen geistigen Verkehr vielfältig; oft wird der beste Theil des Gedankens von diesem Medium absorbirt, wegen der Ungeschicklichkeit entweder des Redenden, oder des Hörers. Aber durch (160) Naturanlage oder Kunst kann dieses Medium so unterworfen werden, daß beiderley Ungeschicklichkeit nicht mehr im Wege steht. Der Gedanke schreitet dann weg über die verschiedene Art und Bildung der hörenden Individuen, und ergreift sie in dem gemeinsamen geistigen Mittelpunkt. Dann kommt es, daß die Hohen befriedigt werden, während auch den Geringen alles klar ist: beide sehen den Gedanken über sich als etwas höheres, bildendes, und beiden ist er erreichbar. So ist irgendwo ein wunderthätiges Christusbild gewesen, das die Eigenschaft hatte, eine Hand breit höher zu seyn, als der größte Mann, der sich daran stellen mochte: kam aber ein Mann von mäßiger Größe, oder ein kleiner, so war der Unterschied dennoch derselbe, nicht größer. Diesen einfältigen, einzig populären Styl sehen wir (um nur von der einheimischen Literatur zu reden) in unsren besseren Chroniken, aber er kann auch in mancherley anderen Arten erscheinen. Wenn wir ihn einmal wieder finden, dann wird manches treffliche möglich seyn, unter andern eine gute Geschichtschreibung, und unter andern auch ein populäres Gesetzbuch.
1)
A. a. O. S. 23.
(192)
12.
Schluß.
(161) Ich fasse nochmals in kurzen Worten zusammen, worin meine Ansicht mit der Ansicht der Freunde eines Gesetzbuchs übereinstimmt, und worin sich beide unterscheiden.
In dem Zweck sind wir einig: wir wollen Grundlage eines sicheren Rechts, sicher gegen Eingriff der Willkühr und ungerechter Gesinnung; desgleichen Gemeinschaft der Nation und Concentration ihrer wissenschaftlichen Bestrebungen auf dasselbe Object. Für diesen Zweck verlangen sie ein Gesetzbuch, was aber die gewünschte Einheit nur für die Hälfte von Deutschland hervorbringen, die andere Hälfte dagegen schärfer als vorher absondern würde. Ich sehe das rechte Mittel in einer organisch fortschreitenden Rechtswissenschaft, die der ganzen Nation gemein seyn kann.
Auch in der Beurtheilung des gegenwärtigen Zustandes treffen wir überein, denn wir erkennen ihn beide für mangelhaft. Sie aber sehen den Grund des Uebels in den Rechtsquellen, und glauben durch ein Gesetzbuch zu helfen: ich finde ihn vielmehr in uns, und glaube, daß wir eben deshalb zu einem Gesetzbuch nicht berufen sind.
(162) Wie in unsrer Zeit gesprochen sind die Worte eines der edelsten Deutschen des sechzehenten Jahrhunderts 1):
Nam mihi aspicienti legum libros, et cognita pericula Germaniae, saepe totum corpus cohorrescit, cum reputo quanta incommoda secutura sint, si Germania propter bella amitteret hanc eruditam doctrinam juris et hoc curiae ornamentum … Non igitur deterreamur periculis, non frangamur animis, … nec possessionem studii nostri deseramus. - - Itaque Deus flectat animos principum ac potentum ad hujus doctrinae conservationem, magnopere decet optare bonos et prudentes. Nam hac remota, se dici potest quanta in aulis tyrannis, in judiciis barbaries, denique confusio in tota civili vita secutura esset, quam ut Deus prohibeat, ex animo petamus.
1) Melanchthon, oratio de dignitate legum; in select. declamat. T. 1. Servestae 1587. p. 247 und Or. de vita Irnerii et Bartoli. T. 2. p. 411.