(Nr. 312.) Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund. Vom 21. Juni 1869.
Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen etc.
verordnen im Namen des Norddeutschen Bundes, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrathes und des Reichstages, was folgt:
Inhaltsverzeichnis
Titel I. Allgemeine Bestimmungen.
§. 1.
§. 2.
§. 3.
§. 4.
§. 5.
§. 6.
§. 7.
§. 8.
§. 9.
§. 10.
§. 11.
§. 12.
§. 13.
Titel II. Stehender Gewerbebetrieb.
I. Allgemeine Erfordernisse.
§. 14.
§. 15.
II. Erforderniß besonderer Genehmigung.
1. Anlagen, welche einer besonderen Genehmigung bedürfen.
§. 16.
§. 17.
§. 18.
§. 19.
§. 20.
§. 21.
§. 22.
§. 23.
§. 24.
§. 25.
§. 26.
§. 27.
§. 28.
2. Gewerbetreibende, welche einer besonderen Genehmigung bedürfen.
§. 29.
§. 30.
§. 31.
§. 32.
§. 33.
§. 34.
§. 35.
§. 36.
§. 37.
§. 38.
§. 39.
§. 40.
III. Umfang., Ausübung und Verlust der Gewerbsbefugnisse.
§. 41.
§. 42.
§. 43.
§. 44.
§. 45.
§. 46.
§. 47.
§. 48.
§. 49.
§. 50.
§. 51.
§. 52.
§. 53.
§. 54.
Titel III. Gewerbebetrieb im Umherziehen.
§. 55.
§. 56.
§. 57.
§. 58.
§. 59.
§. 60.
§. 61.
§. 62.
§. 63.
Titel IV. Marktverkehr.
§. 64.
§. 65.
§. 66.
§. 67.
§. 68.
§. 69.
§. 70.
§. 71.
Titel V. Taxen.
§. 72.
§. 73.
§. 74.
§. 75.
§. 76.
§. 77.
§. 78.
§. 79.
§. 80.
Titel VI. Innungen von Gewerbetreibenden.
I. Bestehende Innungen.
§. 81.
§. 82.
§. 83.
§. 84.
§. 85.
§. 86.
§. 87.
§. 88.
§. 89.
§. 90.
§. 91.
§. 92.
§. 93.
§. 94.
§. 95.
§. 96.
II. Neue Innungen.
§. 97.
§. 98.
§. 99.
§. 100.
§. 101.
§. 102.
§. 103.
§. 104.
Titel VII. Gewerbegehülfen, Gesellen, Lehrlinge, Fabrikarbeiter.
I. Verhältnisse der Gesellen, Gehülfen und Lehrlinge.
1. Im Allgemeinen.
§. 105.
§. 106.
§. 107.
§. 108.
2. Insbesondere: a. der Gesellen und Gehülfen.
§. 109.
§. 110.
§. 111.
§. 112.
§. 113.
§. 114.
b. der Lehrlinge.
§. 115.
§. 116.
§. 118.
§. 119.
§. 120.
§. 121.
§. 122.
§. 123.
§. 124.
§. 125.
§. 126.
II. Verhältnisse der Fabrikarbeiter.
§. 127.
§. 128.
§. 129.
§. 130.
§. 131.
§. 132.
§. 133.
§. 134.
§. 135.
§. 136.
§. 137.
§. 138.
§. 139.
Titel VIII. Gewerbliche Hülfskassen.
§. 140.
§. 141.
Titel IX. Ortsstatuten.
§. 142.
Titel X. Strafbestimmungen.
§. 143.
§. 144.
§. 145.
§. 146.
§. 147.
§. 148.
§. 149.
§. 150.
§. 151.
§. 152.
§. 153.
Schlußbestimmungen.
§. 154.
§. 155.
§. 156.
Berichtigung.
Titel I. Allgemeine Bestimmungen.
§. 1.
Der Betrieb eines Gewerbes ist Jedermann gestattet, soweit nicht durch Gesetz Ausnahmen oder Beschränkungen vorgeschrieben oder zugelassen sind.
Wer gegenwärtig zum Betriebe eines Gewerbes berechtigt ist, kann von demselben nicht deshalb ausgeschlossen werden, weil er den Erfordernissen dieses Gesetzes nicht genügt.
§. 2.
Die Unterscheidung zwischen Stadt und Land in Bezug auf den Gewerbebetrieb und die Ausdehnung desselben hört auf.
§. 3.
Der gleichzeitige Betrieb verschiedener Gewerbe, sowie desselben Gewerbes in mehreren Betriebs- oder Verkaufsstätten ist gestattet. Eine Beschränkung der Handwerker auf den Verkauf der selbstverfertigten Waaren findet nicht statt.
§. 4.
Den Zünften und kaufmännischen Korporationen steht ein Recht, Andere von dem Betriebe eines Gewerbes auszuschließen, nicht zu.
§. 5.
In den Beschränkungen des Betriebes einzelner Gewerbe, welche auf den Zoll-, Steuer- und Postgesetzen beruhen, wird durch das gegenwärtige Gesetz nichts geändert. [246]
§. 6.
Das gegenwärtige Gesetz findet keine Anwendung auf das Bergwesen (vorbehaltlich der Bestimmungen der §§. 152. 153. und 154.), die Fischerei, die Ausübung der Heilkunde (vorbehaltlich der Bestimmungen in den §§. 29. 30. 53. 80. und 144.), die Errichtung und Verlegung von Apotheken und den Verkauf von Arzneimitteln (vorbehaltlich der Bestimmung im §. 80.), das Unterrichtswesen, die advokatorische und Notariats-Praxis, den Gewerbebetrieb der Auswanderungs-Unternehmer und Auswanderungs-Agenten, der Versicherungs-Unternehmer und der Eisenbahn-Unternehmungen, den Vertrieb von Lotterieloosen, die Befugniß zum Halten öffentlicher Fähren und die Rechtsverhältnisse der Schiffsmannschaften auf den Seeschiffen.
Eine Verordnung des Bundespräsidiums wird bestimmen, welche Apothekerwaaren dem freien Verkehr zu überlassen sind.
§. 7.
Vom 1. Januar 1873. ab sind, soweit die Landesgesetze solches nicht früher verfügen, aufgehoben:
1) die noch bestehenden ausschließlichen Gewerbeberechtigungen, d. h. die mit dem Gewerbebetriebe verbundenen Berechtigungen, Andern den Betrieb eines Gewerbes, sei es im Allgemeinen oder hinsichtlich der Benutzung eines gewissen Betriebsmaterials, zu untersagen oder sie darin zu beschränken;
2) die mit den ausschließlichen Gewerbeberechtigungen verbundenen Zwangs- und Bannrechte, mit Ausnahme der Abdeckereiberechtigungen;
3) alle Zwangs- und Bannrechte, deren Aufhebung nach dem Inhalte der Verleihungs-Urkunde ohne Entschädigung zulässig ist;
4) sofern die Aufhebung nicht schon in Folge dieser Bestimmungen eintritt, oder sofern sie nicht auf einem Vertrage zwischen Berechtigten und Verpflichteten beruhen:
a) das mit dem Besitze einer Mühle, einer Brennerei oder Brenngerechtigkeit, einer Brauerei oder Braugerechtigkeit oder einer Schankstätte verbundene Recht, die Konsumenten zu zwingen, daß sie bei den Berechtigten ihren Bedarf mahlen oder schroten lassen, oder das Getränk ausschließlich von denselben beziehen (der Mahlzwang, der Branntweinzwang oder der Brauzwang);
b) das städtischen Bäckern oder Fleischern zustehende Recht, die Einwohner der Stadt, der Vorstädte oder der sogenannten Bannmeile zu zwingen, daß sie ihren Bedarf an Gebäck oder Fleisch ganz oder theilweise von jenen ausschließlich entnehmen;
5) die Berechtigungen, Konzessionen zu gewerblichen Anlagen oder zum Betriebe von Gewerben zu ertheilen, die dem Fiskus, Korporationen, Instituten oder einzelnen Berechtigten zustehen; [247]
6) vorbehaltlich der an den Staat und die Gemeinde zu entrichtenden Gewerbesteuern, alle Abgaben, welche für den Betrieb eines Gewerbes entrichtet werden, sowie die Berechtigung, dergleichen Abgaben aufzuerlegen. Ob und in welcher Weise den Berechtigten für die vorstehend aufgehobenen ausschließlichen Gewerbeberechtigungen, Zwangs- und Bannrechte u. s. w. Entschädigung zu leisten ist, bestimmen die Landesgesetze.
§. 8.
Von dem gleichen Zeitpunkte (§. 7.) ab unterliegen, soweit solches nicht von der Landesgesetzgebung schon früher verfügt ist, der Ablösung:
1) diejenigen Zwangs- und Bannrechte, welche durch die Bestimmungen des §. 7. nicht aufgehoben sind, sofern die Verpflichtung auf Grundbesitz haftet, die Mitglieder einer Korporation als solche betrifft oder Bewohnern eines Orts oder Distrikts vermöge ihres Wohnsitzes obliegt;
2) das Recht, den Inhaber einer Schankstätte zu zwingen, daß er für seinen Wirthschaftsbedarf das Getränk aus einer bestimmten Fabrikationsstätte entnehme.
Das Nähere über die Ablösung dieser Rechte bestimmen die Landesgesetze.
§. 9.
Streitigkeiten darüber, ob eine Berechtigung zu den durch die §§. 7. und 8. aufgehobenen oder für ablösbar erklärten gehört, sind im Rechtswege zu entscheiden.
Jedoch bleibt den Landesgesetzen vorbehalten, zu bestimmen, von welchen Behörden und in welchem Verfahren die Frage zu entscheiden ist, ob oder wie weit eine auf einem Grundstück haftende Abgabe eine Grundabgabe ist, oder für den Betrieb eines Gewerbes entrichtet werden muß.
§. 10.
Ausschließliche Gewerbeberechtigungen oder Zwangs- und Bannrechte, welche durch Gesetz aufgehoben oder für ablösbar erklärt worden sind, können fortan nicht mehr erworben werden.
Realgewerbeberechtigungen dürfen fortan nicht mehr begründet werden.
§. 11.
Das Geschlecht begründet in Beziehung auf die Befugniß zum selbstständigen Betriebe eines Gewerbes keinen Unterschied.
Frauen, welche selbstständig ein Gewerbe betreiben, können in Angelegenheiten ihres Gewerbes selbstständig Rechtsgeschäfte abschließen und vor Gericht auftreten, gleichviel, ob sie verheirathet oder unverheirathet sind. Sie können sich in Betreff der Geschäfte aus ihrem Gewerbebetrieb auf die in den einzelnen Bundesstaaten bestehenden Rechtswohlthaten der Frauen nicht berufen. Es macht hierbei keinen Unterschied, ob sie das Gewerbe allein oder in Gemeinschaft mit anderen Personen, ob sie dasselbe in eigener Person oder durch einen Stellvertreter betreiben. [248]
§. 12.
Hinsichtlich des Gewerbebetriebes der juristischen Personen des Auslandes bewendet es bei den Landesgesetzen.
Diejenigen Beschränkungen, welche in Betreff des Gewerbebetriebes für Personen des Soldaten- und Beamtenstandes, sowie deren Angehörigen bestehen, werden durch das gegenwärtige Gesetz nicht berührt.
§. 13.
Von dem Besitze des Bürgerrechts soll die Zulassung zum Gewerbebetriebe in keiner Gemeinde und bei keinem Gewerbe abhängig sein.
Nach dem begonnenen Gewerbebetriebe ist, soweit dies in der bestehenden Gemeindeverfassung begründet ist, der Gewerbetreibende auf Verlangen der Gemeindebehörde nach Ablauf von drei Jahren verpflichtet, das Bürgerrecht zu erwerben. Es darf jedoch in diesem Falle von ihm das sonst vorgeschriebene oder übliche Bürgerrechtsgeld nicht gefordert und ebenso nicht verlangt werden, daß er sein anderweit erworbenes Bürgerrecht aufgebe.
Titel II. Stehender Gewerbebetrieb.
I. Allgemeine Erfordernisse.
§. 14.
Wer den selbstständigen Betrieb eines stehenden Gewerbes anfängt, muß der für den Ort, wo solches geschieht, nach den Landesgesetzen zuständigen Behörde gleichzeitig Anzeige davon machen. Diese Anzeige liegt auch demjenigen ob, welcher zum Betriebe eines Gewerbes im Umherziehen (Titel III.) befugt ist.
Außerdem hat, wer Versicherungen für eine Mobiliar- oder Immobiliar-Feuerversicherungs-Anstalt als Agent oder Unteragent vermitteln will, bei Uebernahme der Agentur, und derjenige, welcher dieses Geschäft wieder aufgiebt, oder welchem die Versicherungsanstalt den Auftrag wieder entzieht, innerhalb der nächsten acht Tage der zuständigen Behörde seines Wohnortes davon Anzeige zu machen. Buch- und Steindrucker, Buch- und Kunsthändler, Antiquare, Leihbibliothekare, Inhaber von Lesekabinetten, Verkäufer von Druckschriften, Zeitungen und Bildern haben bei der Eröffnung ihres Gewerbebetriebes das Lokal desselben, sowie jeden späteren Wechsel des letzteren spätestens am Tage seines Eintritts der zuständigen Behörde ihres Wohnortes anzugeben.
§. 15.
Die Behörde bescheinigt innerhalb dreier Tage den Empfang der Anzeige.
Die Fortsetzung des Betriebes kann polizeilich verhindert werden, wenn ein Gewerbe, zu dessen Beginn eine besondere Genehmigung erforderlich ist, ohne diese Genehmigung begonnen wird.
Gegen die untersagende Verfügung ist der Rekurs zulässig. [249]
II. Erforderniß besonderer Genehmigung.
1. Anlagen, welche einer besonderen Genehmigung bedürfen.
§. 16.
Zur Errichtung von Anlagen, welche durch die örtliche Lage oder die Beschaffenheit der Betriebsstätte für die Besitzer oder Bewohner der benachbarten Grundstücke oder für das Publikum überhaupt erhebliche Nachtheile, Gefahren oder Belästigungen herbeiführen können, ist die Genehmigung der nach den Landesgesetzen zuständigen Behörde erforderlich.
Es gehören dahin:
Schießpulver-Fabriken, Anlagen zur Feuerwerkerei und zur Bereitung von Zündstoffen aller Art, Gasbereitungs- und Gasbewahrungs-Anstalten, Anstalten zur Destillation von Erdöl, Anlagen zur Bereitung von Braunkohlentheer, Steinkohlentheer und Koaks, sofern sie außerhalb der Gewinnungsorte des Materials errichtet werden, Glas- und Rußhütten, Kalk-, Ziegel- und Gypsöfen, Anlagen zur Gewinnung roher Metalle, Röstöfen, Metallgießereien, sofern sie nicht bloße Tiegelgießereien sind, Hammerwerke, chemische Fabriken aller Art, Schnellbleichen, Firnißsiedereien, Stärkefabriken, mit Ausnahme der Fabriken zur Bereitung von Kartoffelstärke, Stärkesyrups-Fabriken, Wachstuch-, Darmsaiten-, Dachpappen- und Dachfilz-Fabriken, Leim-, Thran- und Seifensiedereien, Knochenbrennereien, Knochendarren, Knochenkochereien und Knochenbleichen, Zubereitungsanstalten für Thierhaare, Talgschmelzen, Schlächtereien, Gerbereien, Abdeckereien, Poudretten- und Düngpulver-Fabriken, Stauanlagen für Wassertriebwerke (§. 23.).
Das vorstehende Verzeichniß kann, je nach Eintritt oder Wegfall der im Eingang gedachten Voraussetzung, durch Beschluß des Bundesrathes, vorbehaltlich der Genehmigung des nächstfolgenden Reichstages, abgeändert werden.
§. 17.
Dem Antrage auf die Genehmigung einer solchen Anlage müssen die zur Erläuterung erforderlichen Zeichnungen und Beschreibungen beigefügt werden.
Ist gegen die Vollständigkeit dieser Vorlagen nichts zu erinnern, so wird das Unternehmen mittelst einmaliger Einrückung in das zu den amtlichen Bekanntmachungen der Behörde (§. 16.) bestimmte Blatt zur öffentlichen Kenntniß gebracht, mit der Aufforderung, etwaige Einwendungen gegen die neue Anlage binnen vierzehn Tagen anzubringen. Die Frist nimmt ihren Anfang mit Ablauf des Tages, an welchem das die Bekanntmachung enthaltende Blatt ausgegeben worden, und ist für alle Einwendungen, welche nicht auf privatrechtlichen Titeln beruhen, präklusivisch. [250]
§. 18.
Werden keine Einwendungen angebracht, so hat die Behörde zu prüfen, ob die Anlage erhebliche Gefahren, Nachtheile oder Belästigungen für das Publikum herbeiführen könne. Auf Grund dieser Prüfung, welche sich zugleich auf die Beachtung der bestehenden bau-, feuer- und gesundheitspolizeilichen Vorschriften erstreckt, ist die Genehmigung zu versagen, oder, unter Festsetzung der sich als nöthig ergebenden Bedingungen, zu ertheilen. Zu den letzteren gehören auch diejenigen Anordnungen, welche zum Schutze der Arbeiter gegen Gefahr für Gesundheit und Leben nothwendig sind. Der Bescheid ist schriftlich auszufertigen und muß die festgesetzten Bedingungen enthalten; er muß mit Gründen versehen sein, wenn die Genehmigung versagt oder nur unter Bedingungen ertheilt wird.
§. 19.
Einwendungen, welche auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen, sind zur richterlichen Entscheidung zu verweisen, ohne daß von der Erledigung derselben die Genehmigung der Anlage abhängig gemacht wird.
Andere Einwendungen dagegen sind mit den Parteien vollständig zu erörtern. Nach Abschluß dieser Erörterung erfolgt die Prüfung und Entscheidung nach den im §. 18. enthaltenen Vorschriften. Der Bescheid ist sowohl dem Unternehmer, als dem Widersprechenden zu eröffnen.
§. 20.
Gegen den Bescheid ist Rekurs an die nächstvorgesetzte Behörde zulässig, welcher bei Verlust desselben binnen vierzehn Tagen, vom Tage der Eröffnung des Bescheides an gerechnet, gerechtfertigt werden muß.
Der Rekursbescheid ist den Parteien schriftlich zu eröffnen und muß mit Gründen versehen sein.
§. 21.
Die näheren Bestimmungen über die Behörden und das Verfahren, sowohl in der ersten als in der Rekurs-Instanz, bleiben den Landesgesetzen vorbehalten. Es sind jedoch folgende Grundsätze einzuhalten:
1) In erster oder in zweiter Instanz muß die Entscheidung durch eine kollegiale Behörde erfolgen. Diese Behörde ist befugt, Untersuchungen an Ort und Stelle zu veranlassen, Zeugen und Sachverständige zu laden und eidlich zu vernehmen, überhaupt den angetretenen Beweis in vollem Umfange zu erheben.
2) Bildet die kollegiale Behörde die erste Instanz, so ertheilt sie ihre Entscheidung in öffentlicher Sitzung, nach erfolgter Ladung und Anhörung der Parteien, auch in dem Falle, wenn zwar Einwendungen nicht angebracht sind, die Behörde aber nicht ohne Weiteres die Genehmigung ertheilen will und der Antragsteller innerhalb vierzehn Tagen nach Empfang des, die Genehmigung versagenden oder nur unter Bedingungen ertheilenden Bescheides der Behörde auf mündliche Verhandlung anträgt.
3) Bildet die kollegiale Behörde die zweite Instanz, so ertheilt sie stets ihre Entscheidung in öffentlicher Sitzung, nach erfolgter Ladung und Anhörung der Parteien.
4) Als Parteien sind der Unternehmer (Antragsteller), sowie diejenigen Personen zu betrachten, welche Einwendungen erhoben haben. [251]
§. 22.
Die durch unbegründete Einwendungen erwachsenden Kosten fallen dem Widersprechendeil, alle übrigen Kosten, welche durch das Verfahren entstehen, dem Unternehmer zur Last.
In den Bescheiden über die Zulässigleit der neuen Anlage wird zugleich die Vertheilung der Kosten festgesetzt.
§. 23.
Bei den Stauanlagen für Wassertriebwerke sind außer den Bestimmungen der §§. 17. bis 22. die dafür bestehenden landesgesetzlichen Vorschriften anzuwenden.
Der Landesgesetzgebung bleibt vorbehalten, für solche Orte, in welchen öffentliche Schlachthäuser in genügendem Umfange vorhanden sind oder errichtet werden, die fernere Benutzung bestehender und die Anlage neuer Privatschlächtereien zu untersagen.
Der Landesgesetzgebung bleibt ferner vorbehalten, zu verfügen, in wie weit durch Ortsstatuten darüber Bestimmung getroffen werden kann, daß einzelne Ortstheile vorzugsweise zu Anlagen der in §. 16. erwähnten Art zu bestimmen, in anderen Ortstheilen aber dergleichen Anlagen entweder gar nicht oder nur unter besonderen Beschränkungen zuzulassen sind.
§. 24.
Zur Anlegung von Dampfkesseln, dieselben mögen zum Maschinenbetriebe bestimmt sein oder nicht, ist die Genehmigung der nach den Landesgesetzen zuständigen Behörde erforderlich. Dem Gesuche sind die zur Erläuterung erforderlichen Zeichnungen und Beschreibungen beizufügen.
Die Behörde hat die Zulässigkeit der Anlage nach den bestehenden bau-, feuer- und gesundheitspolizeilichen Vorschriften, sowie nach denjenigen allgemeinen polizeilichen Bestimmungen zu prüfen, welche von dem Bundesrathe über die Anlegung von Dampfkesseln erlassen werden. Sie hat nach dem Befunde die Genehmigung entweder zu versagen, oder unbedingt zu ertheilen, oder endlich bei Ertheilung derselben die erforderlichen Vorkehrungen und Einrichtungen vorzuschreiben.
Bis zum Erlaß allgemeiner Bestimmungen durch den Bundesrath kommen die in den einzelnen Bundesstaaten bestehenden Vorschriften zur Anwendung.
Bevor der Kessel in Betrieb genommen wird, ist zu untersuchen, ob die Ausführung den Bestimmungen der ertheilten Genehmigung entspricht. Wer vor dem Empfange der hierüber auszufertigenden Bescheinigung den Betrieb beginnt, hat die im §. 147. angedrohte Strafe verwirkt.
Die vorstehenden Bestimmungen gelten auch für bewegliche Dampfkessel.
Für den Rekurs und das Verfahren über denselben gelten die Vorschriften der §§ 20. und 21. [252]
§. 25.
Die Genehmigung zu einer der in den §§. 16. und 24. bezeichneten Anlagen bleibt so lange in Kraft, als keine Aenderung in der Lage oder Beschaffenheit der Betriebsstätte vorgenommen wird, und bedarf unter dieser Voraussetzung auch dann, wenn die Anlage an einen neuen Erwerber übergeht, einer Erneuerung nicht. Sobald aber eine Veränderung der Betriebsstätte vorgenommen wird, ist dazu die Genehmigung der zuständigen Behörde nach Maaßgabe der §§. 17. bis 28. einschließlich, beziehungsweise des §. 24. nothwendig. Eine gleiche Genehmigung ist erforderlich bei wesentlichen Veränderungen in dem Betriebe einer der im §. 16. genannten Anlagen. Die zuständige Behörde kann jedoch auf Antrag des Unternehmers von der Bekanntmachung (§. 17.) Abstand nehmen, wenn sie die Ueberzeugung gewinnt, daß die beabsichtigte Veränderung für die Besitzer oder Bewohner benachbarter Grundstücke oder das Publikum überhaupt neue oder größere Nachtheile, Gefahren oder Belästigungen, als mit der vorhandenen Anlage verbunden sind, nicht herbeiführen werde.
Diese Bestimmungen finden auch auf gewerbliche Anlagen (§§. 16. und 24.) Anwendung, welche bereits vor Erlaß dieses Gesetzes bestanden haben.
§. 26.
Soweit die bestehenden Rechte zur Abwehr benachtheiligender Einwirkungen, welche von einem Grundstücke aus auf ein benachbartes Grundstück geübt werden, dem Eigenthümer oder Besitzer des letzteren eine Privatklage gewähren, kann diese Klage einer mit obrigkeitlicher Genehmigung errichteten gewerblichen Anlage gegenüber niemals auf Einstellung des Gewerbebetriebes, sondern nur auf Herstellung von Einrichtungen, welche die benachtheiligende Einwirkung ausschließen, oder, wo solche Einrichtungen unthunlich oder mit einem gehörigen Betriebe des Gewerbes unvereinbar sind, auf Schadloshaltung gerichtet werden.
§. 27.
Die Errichtung oder Verlegung solcher Anlagen, deren Betrieb mit ungewöhnlichem Geräusch verbunden ist, muß, sofern sie nicht schon nach den Vorschriften der §§. 16. bis 25. der Genehmigung bedarf, der Ortspolizei-Behörde angezeigt werden. Letztere hat, wenn in der Nähe der gewählten Betriebsstätte Kirchen, Schulen oder andere öffentliche Gebäude, Krankenhäuser oder Heilanstalten vorhanden sind, deren bestimmungsmäßige Benutzung durch den Gewerbebetrieb auf dieser Stelle eine erhebliche Störung erleiden würde, die Entscheidung der höheren Verwaltungsbehörde darüber einzuholen, ob die Ausübung des Gewerbes an der gewählten Betriebsstätte zu untersagen oder nur unter Bedingungen zu gestatten sei.
§. 28.
Die höheren Verwaltungsbehörden sind befugt, über die Entfernung, welche bei Errichtung voll durch Wind bewegten Triebwerken von benachbarten fremden Grundstücken und von öffentlichen Wegen inne zu halten ist, durch Polizeiverordnungen Bestimmung zu treffen. [253]
2. Gewerbetreibende, welche einer besonderen Genehmigung bedürfen.
§. 29.
Einer Approbation, welche auf Grund eines Nachweises der Befähigung ertheilt wird, bedürfen Apotheker und diejenigen Personen, welche sich als Aerzte (Wundärzte, Augenärzte, Geburtshelfer, Zahnärzte und Thierärzte) oder mit gleichbedeutenden Titeln bezeichnen oder seitens des Staats oder einer Gemeinde als solche anerkannt oder mit amtlichen Funktionen betraut werden sollen. Es darf die Approbation jedoch von der vorherigen akademischen Doktorpromotion nicht abhängig gemacht werden.
Der Bundesrath bezeichnet, mit Rücksicht auf das vorhandene Bedürfniß, in verschiedenen Theilen des Bundesgebietes die Behörden, welche für das ganze Bundesgebiet gültige Approbationen zu ertheilen befugt sind und erläßt die Vorschriften über den Nachweis der Befähigung. Die Namen der Approbirten werden von der Behörde, welche die Approbation ertheilt, in den vom Bundesrathe zu bestimmenden amtlichen Blättern veröffentlicht.
Personen, welche eine solche Approbation erlangt haben, sind innerhalb des Bundesgebietes in der Wahl des Ortes, wo sie ihr Gewerbe betreiben wollen, vorbehaltlich der Bestimmungen über die Errichtung und Verlegung von Apotheken (§. 6.), nicht beschränkt.
Dem Bundesrathe bleibt vorbehalten, zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen Personen wegen wissenschaftlich erprobter Leistungen von der vorgeschriebenen Prüfung ausnahmsweise zu entbinden sind.
Personen, welche vor Verkündigung dieses Gesetzes in einem Bundesstaate die Berechtigung zum Gewerbebetrieb als Aerzte, Wundärzte, Zahnärzte, Geburtshelfer, Apotheker oder Thierärzte bereits erlangt haben, gelten als für das ganze Bundesgebiet approbirt.
§. 30.
Unternehmer von Privat-Kranken-, Privat-Entbindungs- und Privat-Irrenanstalten bedürfen einer Konzession der höheren Verwaltungsbehörde, welche ertheilt wird, wenn nicht Thatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Nachsuchenden in Beziehung auf den beabsichtigten Gewerbebetrieb darthun.
Hebammen bedürfen eines Prüfungszeugnisses der nach den Landesgesetzen zuständigen Behörde.
§. 31.
Seeschiffer, Seesteuerleute und Lootsen müssen sich über den Besitz der erforderlichen Kenntnisse durch ein Befähigungszeugniß der zuständigen Verwaltungsbehörde ausweisen.
Der Bundesrath erläßt die Vorschriften über den Nachweis der Befähigung. Die auf Grund dieses Nachweises ertheilten Zeugnisse gelten für das ganze Bundesgebiet, bei Lootsen für das im Zeugniß angeführte Fahrwasser.
Soweit in Betreff der Schiffer und Lootsen auf Strömen in Folge von Staatsverträgen besondere Anordnungen getroffen sind, behält es dabei sein Bewenden.
§. 32.
Schauspielunternehmer bedürfen zum Betriebe ihres Gewerbes der Erlaubniß. Dieselbe ist ihnen zu ertheilen, wenn nicht Thatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Nachsuchenden in Beziehung auf den beabsichtigten Gewerbebetrieb darthun. [254]
Beschränkungen auf bestimmte Kategorien theatralischer Darstellungen sind unzulässig.
§. 33.
Wer Gastwirthschaft, Schankwirthschaft oder Kleinhandel mit Branntwein oder Spiritus betreiben will, bedarf dazu der Erlaubniß.
Diese Erlaubniß ist nur dann zu versagen:
1) wenn gegen den Nachsuchenden Thatsachen vorliegen, welche die Annahme rechtfertigen, daß er das Gewerbe zur Förderung der Völlerei, des verbotenen Spiels, der Hehlerei oder der Unsittlichkeit mißbrauchen werde;
2) wenn das zum Betriebe des Gewerbes bestimmte Lokal wegen seiner Beschaffenheit oder Lage den polizeilichen Anforderungen nicht genügt.
Es können jedoch die Landesregierungen, soweit die Landesgesetze nicht entgegenstehen, die Erlaubniß zum Ausschänken von Branntwein und den Kleinhandel mit Branntwein und Spiritus auch von dem Nachweis eines vorhandenen Bedürfnisses abhängig machen.
§. 34.
Die Landesgesetze können vorschreiben, daß zum Handel mit Giften und zum Betriebe des Lootsengewerbes besondere Genehmigung erforderlich ist, ingleichen, daß das Gewerbe der Markscheider nur von Personen betrieben werden darf, welche als solche geprüft und konzessionirt sind.
§. 35.
Die Ertheilung von Tanz-, Turn- und Schwimmunterricht als Gewerbe darf denjenigen untersagt werden, welche wegen Vergehen oder Verbrechen gegen die Sittlichkeit bestraft sind.
Der Handel mit gebrauchten Kleidern, gebrauchten Betten oder gebrauchter Wäsche, der Kleinhandel mit altem Metallgeräth oder Metallbruch (Trödel), oder mit Garnabfällen oder Dräumen von Seide, Wolle, Baumwolle oder Leinen, ferner das Geschäft eines Pfandleihers kann demjenigen untersagt werden, welcher wegen aus Gewinnsucht begangener Vergehen oder Verbrechen gegen das Eigenthum bestraft worden ist.
Das Geschäft eines Gesindevermiethers kann demjenigen untersagt werden, welcher wegen aus Gewinnsucht begangener Vergehen oder Verbrechen gegen das Eigenthum oder wegen Vergehen oder Verbrechen gegen die Sittlichkeit bestraft worden ist.
Personen, welche die in diesem Paragraphen bezeichneten Gewerbe beginnen, haben bei Eröffnung ihres Gewerbebetriebes der zuständigen Behörde hiervon Anzeige zu machen. [255]
§. 36.
Das Gewerbe der Feldmesser, Auktionatoren, derjenigen, welche den Feingehalt edler Metalle oder die Beschaffenheit, Menge oder richtige Verpackung von Waaren irgend einer Art feststellen, der Güterbestätiger, Schaffner, Wäger, Messer, Bracker, Schauer, Stauer u. s. w. darf zwar frei betrieben werden, es bleiben jedoch die verfassungsmäßig dazu befugten Staats- oder Kommunalbehörden oder Korporationen auch ferner berechtigt, Personen, welche diese Gewerbe betreiben wollen, auf die Beobachtung der bestehenden Vorschriften zu beeidigen und öffentlich anzustellen.
Die Bestimmungen der Gesetze, welche den Handlungen der genannten Gewerbetreibenden eine besondere Glaubwürdigkeit beilegen oder an diese Handlungen besondere rechtliche Wirkungen knüpfen, sind nur auf die von den verfassungsmäßig dazu befugten Staats- oder Kommunalbehörden oder Korporationen angestellten Personen zu beziehen.
§. 37.
Der Regelung durch die Ortspolizei-Behörde unterliegt die Unterhaltung des öffentlichen Verkehrs innerhalb der Orte durch Wagen aller Art, Gondeln, Sänften, Pferde und andere Transportmittel, sowie das Gewerbe derjenigen Personen, welche auf öffentlichen Straßen oder Plätzen ihre Dienste anbieten.
§. 38.
Die Centralbehörden sind befugt, Vorschriften darüber zu erlassen, in welcher Weise die im §. 35. Absatz 2. und 3. verzeichneten Gewerbetreibenden ihre Bücher zu führen und welcher polizeilichen Kontrole über den Umfang und die Art ihres Geschäftsbetriebes sie sich zu unterwerfen haben.
§. 39.
Die Landesgesetze können die Einrichtung von Kehrbezirken für Schornsteinfeger gestatten. Jedoch ist, wo Kehrbezirke bestehen oder eingerichtet werden, die höhere Verwaltungsbehörde, soweit nicht Privatrechte entgegenstehen, befugt, die Kehrbezirke aufzuheben oder zu verändern, ohne daß deshalb den Bezirksschornsteinfegern ein Widerspruchsrecht oder ein Anspruch auf Entschädigung zusteht.
§. 40.
Die in den §§. 29. bis 34. erwähnten Approbationen und Genehmigungen dürfen weder auf Zeit ertheilt, noch, vorbehaltlich der Bestimmungen in den §§ 53. und 143., widerrufen werden.
Gegen Versagung der Genehmigung zum Betriebe eines der in den §§. 30. 32. 33. und 34., sowie gegen Untersagung des Betriebes der in den 35. und 37. erwähnten Gewerbe ist der Rekurs zulässig. Wegen des Verfahrens und der Behörden gelten die Vorschriften der §§. 20. und 21.
III. Umfang., Ausübung und Verlust der Gewerbsbefugnisse.
§. 41.
Die Befugniß zum selbstständigen Betriebe eines stehenden Gewerbes begreift das Recht in sich, in beliebiger Zahl Gesellen, Gehülfen, Arbeiter jeder Art und, soweit die Vorschriften des gegenwärtigen Gesetzes nicht entgegenstehen, Lehrlinge anzunehmen. In der Wahl des Arbeits- und Hülfspersonals finden keine anderen Beschränkungen statt, als die durch das gegenwärtige Gesetz festgestellten. [256]
In Betreff der Berechtigung der Apotheker, Gehülfen und Lehrlinge anzunehmen, bewendet es bei den Bestimmungen der Landesgesetze.
§. 42.
Wer zum selbstständigen Betriebe eines stehenden Gewerbes befugt ist, darf dasselbe vorbehaltlich der Bestimmungen des §. 59. am Orte seiner gewerblichen Niederlassung und, soweit nicht die Vorschriften des dritten Titels einen Legitimationsschein erfordern, auch außerhalb dieses Ortes ausüben.
§. 43.
Wer gewerbsmäßig Druckschriften oder andere Schriften oder Bildwerke auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen, oder an anderen öffentlichen Orten ausrufen, verkaufen, vertheilen, anheften oder anschlagen will, bedarf dazu einer Erlaubniß der Ortspolizei-Behörde, und hat den über diese Erlaubniß auszustellenden, auf seinen Namen lautenden Legitimationsschein bei sich zu führen.
Diese Erlaubniß darf nur unter den Bedingungen und nach Maaßgabe des §. 57. versagt werden.
§. 44.
Kaufleute, Fabrikanten und andere Personen, welche ein stehendes Gewerbe betreiben, sind befugt, außerhalb des Ortes ihrer gewerblichen Niederlassung persönlich oder durch in ihren Diensten stehende Reisende Waaren aufzukaufen und Bestellungen auf Waaren zu suchen.
Sie bedürfen dazu eines Legitimationsscheins, welcher von der unteren Verwaltungsbehörde ausgestellt wird und für das Kalenderjahr gilt. Dieses Legitimationsscheins bedarf es nicht, wenn die betreffenden Gewerbetreibenden durch die nach den Zollvereinsverträgen erforderliche Gewerbe-Legitimationskarte bereits für das Gesammtgebiet des Zollvereins legitimirt sind.
Der Inhaber eines solchen Legitimationsscheins darf aufgekaufte Waaren nur Behufs deren Beförderung nach dem Bestimmungsorte und von den Waaren, auf welche er Bestellungen sucht, nur Proben oder Muster mit sich führen.
§. 45.
Die Befugnisse zum stehenden Gewerbebetriebe können durch Stellvertreter ausgeübt werden; diese müssen jedoch den für das in Rede stehende Gewerbe insbesondere vorgeschriebenen Erfordernissen genügen.
§. 46.
Nach dem Tode eines Gewerbetreibenden darf das Gewerbe für Rechnung der Wittwe während des Wittwenstandes, oder, wenn minderjährige Erben vorhanden sind, für deren Rechnung durch einen nach §. 45. quallfizirten Stellvertreter betrieben werden, insofern die über den Betrieb einzelner Gewerbe bestehenden besonderen Vorschriften nicht ein Anderes anordnen. Dasselbe gilt während der Dauer einer Kuratel oder Nachlaßregulirung. [257]
§. 47.
Inwiefern für die nach den §§. 34. und 36. konzessionirten oder angestellten Personen eine Stellvertretung zulässig ist, hat in jedem einzelnen Falle die Behörde zu bestimmen, welcher die Konzessionirung oder Anstellung zusteht.
Dasselbe gilt in Beziehung auf diejenigen Schornsteinfeger, denen ein Kehrbezirk zugewiesen ist (§. 39.).
§. 48.
Real-Gewerbeberechtigungen können auf jede, nach den Vorschriften dieses Gesetzes zum Betriebe des Gewerbes befähigte Person in der Art übertragen werden, daß der Erwerber die Gewerbeberechtigung für eigene Rechnung ausüben darf.
§. 49.
Bei Ertheilung der Genehmigung zu einer Anlage der in den §§. 16. und 24. bezeichneten Arten, ingleichen zur Anlegung von Privat-Kranken-, Privat-Entbindungs- und Privat-Irrenanstalten, zu Schauspiel-Unternehmungen, sowie zum Betriebe der im §. 33. gedachten Gewerbe, kann von der genehmigenden Behörde den Umständen nach eine Frist festgesetzt werden, binnen welcher die Anlage oder das Unternehmen bei Vermeidung des Erlöschens der Genehmigung begonnen und ausgeführt, und der Gewerbebetrieb angefangen werden muß. Ist eine solche Frist nicht bestimmt, so erlischt die ertheilte Genehmigung, wenn der Inhaber nach Empfang derselben ein ganzes Jahr verstreichen läßt, ohne davon Gebrauch zu machen.
Eine Verlängerung der Frist kann von der Behörde bewilligt werden, sobald erhebliche Gründe nicht entgegenstehen.
Hat der Inhaber einer solchen Genehmigung seinen Gewerbebetrieb während eines Zeitraums von drei Jahren eingestellt, ohne eine Fristung nachgesucht und erhalten zu lhaben, so erlischt dieselbe.
Für die im §. 16. aufgeführten Anlagen darf die nachgesuchte Fristung so lange nicht versagt werden, als wegen einr durch Erbfall oder Konkurserklärung entstandenen Ungewißheit über das Eigenthum an einer Anlage oder, in Folge höherer Gewalt, der Betrieb entweder gar nicht oder nur mit erheblichem Nachtheile für den Inhaber oder Eigenthümer der Anlage stattfinden kann.
Das Verfahren für die Fristung ist dasselbe, wie für die Genehmigung neuer Anlagen.
§. 50.
Auf die Inhaber der bereits vor dem Erscheinen des gegenwärtigen Gesetzes ertheilten Genehmigungen finden die im §. 49. bestimmten Fristen ebenfalls Anwendung, jedoch mit der Maaßgabe, daß diese Fristen von dem Tage der Verkündung des Gesetzes an zu laufen anfangen. [258]
§. 51.
Wegen überwiegender Nachtheile und Gefahren für das Gemeinwohl kann die fernere Benutzung einer jeden gewerblichen Anlage durch die höhere Verwaltungsbehörde zu jeder Zeit untersagt werden. Doch muß dem Besitzer alsdann für den erweislichen Schaden Ersatz geleistet werden.
Gegen die untersagende Verfügung ist der Rekurs zulässig; wegen der Entschädigung steht der Rechtsweg offen.
§. 52.
Die Bestimmung des §. 51. findet auch auf die zur Zeit der Verkündung des gegenwärtigen Gesetzes bereits vorhandenen gewerblichen Anlagen Anwendung; doch entspringt aus der Untersagung der ferneren Benutzung kein Anspruch auf Entschädigung, wenn bei der früher ertheilten Genehmigung ausdrücklich vorbehalten worden ist, dieselbe ohne Entschädigung zu widerrufen.
§. 53.
Die in dem §. 29. bezeichneten Approbationen können von der Verwaltungsbehörde nur dann zurückgenommen werden, wenn die Unrichtigkeit der Nachweise dargethan wird, auf deren Grund solche ertheilt worden sind.
Außer aus diesem Grunde können die in den §§. 30. 32. 33. 34. und 36. bezeichneten Genehmigungen und Bestallungen in gleicher Weise zurückgenommen werden, wenn aus Handlungen oder Unterlassungen des Inhabers der Mangel derjenigen Eigenschaften, welche bei der Ertheilung der Genehmigung oder Bestallung nach der Vorschrift dieses Gesetzes vorausgesetzt werden mußten, klar erhellt. Inwiefern durch die Handlungen oder Unterlassungen eine Strafe verwirkt ist, bleibt der richterlichen Entscheidung vorbehalten.
§. 54.
Wegen des Verfahrens und der Behörden, welche in Bezug auf die untersagte Benutzung einer gewerblichen Anlage (§. 51.), auf die Untersagung eines Gewerbebetriebs (§. 15. Absatz 2. und §. 35.), und die Zurücknahme einer Approbation, Genehmigung oder Bestallung (§. 53.) maaßgebend sind, gelten die Vorschriften der §§. 20. und 21.
Titel III. Gewerbebetrieb im Umherziehen.
§. 55.
Wer außerhalb seines Wohnorts, ohne Begründung einer gewerblichen Niederlassung und ohne vorgängige Bestellung, in eigener Person:
1) Waaren irgend einer Art feilbieten,
2) Waaren irgend einer Art bei anderen Personen, als bei Kaufleuten oder an anderen Orten, als in offenen Verkaufsstellen zum Wiederverkauf ankaufen,
3) Waarenbestellungen aufsuchen, oder
4) gewerbliche oder künstlerische Leistungen oder Schaustellungen, bei welchen ein höheres wissenschaftliches oder Kunst-Interesse nicht obwaltet, feilbieten will, [259]
bedarf, vorbehaltlich der in den §§. 44. und 64. getroffenen Bestimmungen, eines Legitimationsscheins.
Ein Legitimationsschein ist nicht erforderlich zum Verkauf oder Ankauf roher Erzeugnisse der Land- und Forstwirthschaft, des Garten- und Obstbaues.
§. 56.
Ausgeschlossen vom An- und Verkauf im Umherziehen sind:
1) geistige Getränke aller Art;
2) gebrauchte Kleider und Betten, Garnabfälle, Enden und Dräumen von Seide, Wolle, Leinen oder Baumwolle, Bruchgold und Bruchsilber;
3) Spielkarten, Lotterieloose, Staats- und sonstige Werthpapiere;
4) Schießpulver, Feuerwerkskörper und andere explosive Stoffe;
5) Arzneimittel, Gifte und giftige Stoffe.
Der Bundesrath ist befugt, soweit ein Bedürfniß obwaltet, anzuordnen, daß die Erlaubniß zum Verkauf oder Ankauf der einzelnen ausgeschlossenen Gegenstände ertheilt werde.
Der Bundesrath, und in dringenden Fällen der Bundeskanzler nach Einvernehmen mit dem Ausschuß des Bundesrathes für Handel und Verkehr, ist befugt, aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder der Gesundheitspflege anzuordnen, daß auch andere Gegenstände innerhalb einer zu bestimmenden Frist nicht im Umherziehen feilgeboten oder angekauft werden dürfen.
§. 57.
Einem Bundesangehörigen, welcher innerhalb des Norddeutschen Bundesgebietes einen festen Wohnsitz besitzt und das 21ste Lebensjahr überschritten hat, darf der Legitimationsschein vorbehaltlich der Bestimmung des §. 59. nur dann versagt werden, wenn er:
1) mit einer abschreckenden oder ansteckenden Krankheit behaftet ist;
2) oder wegen strafbarer Handlungen aus Gewinnsucht, gegen das Eigenthum, gegen die Sittlichkeit, wegen vorsätzlicher Angriffe auf das Leben und die Gesundheit der Menschen, wegen vorsätzlicher Brandstiftung, wegen Zuwiderhandlungen gegen Verbote oder Sicherungsmaaßregeln, betreffend Einführung oder Verbreitung ansteckender Krankheiten oder Viehseuchen zu Gefängniß von mindestens sechs Wochen, oder zwar zu einer geringeren Strafe verurtheilt, aber in der Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte beschränkt worden ist, innerhalb zweier Jahre nach erfolgter Verurtheilung, und im Falle der Gefängnißstrafe nach verbüßtem Gefängniß;
3) oder unter Polizeiaufsicht steht;
4) oder wegen gewohnheitsmäßiger Arbeitsscheu, Bettelei, Landstreichern, Trunksucht übel berüchtigt ist. [260]
Die Behörde muß innerhalb vierzehn Tagen dem Nachsuchenden entweder den Legitimationsschein ertheilen oder unter Angabe des gesetzlichen Hinderungsgrundes schriftlich versagen. Gegen die Versagung steht der Rekurs zu. Wegen des Verfahrens und der Behörden gelten die Vorschriften der §§. 20. und 21.
Ausländern kann der Gewerbebetrieb im Umherziehen gestattet werden. Der Bundesrath ist befugt, die deshalb nöthigen Bestimmungen zu treffen.
§. 58.
Die Ertheilung des Legitimationsscheins erfolgt:
1) für den Aufkauf und Verkauf selbstgewonnener Erzeugnisse der Jagd und des Fischfanges,
2) für den Verkauf selbstverfertigter Waaren, welche zu den Gegenständen des Wochenmarktverkehrs gehören, und für das nach Landesgebrauch hergebrachte Anbieten gewerblicher Leistungen innerhalb der von der Polizeibehörde näher zu bestimmenden Umgegend des Wohnortes
durch die Unterbehörde, welche für den Ort, wo der Gewerbetreibende seinen Wohnsitz hat, zuständig ist,
für alle anderen Arten des Gewerbebetriebes im Umherziehen durch die höhere Verwaltungsbehörde.
In den Fällen, für welche die Gesetze die Ausstellung eines Gewerbescheines nothwendig machen, kann dieser auch zugleich den Legitimationsschein ersetzen.
§. 59.
Wer auf den Straßen oder sonst im Umherziehen oder an einem Orte vorübergehend und ohne Begründung eines stehenden Gewerbes öffentlich Musik aufführen, Schaustellungen, theatralische Vorstellungen oder sonstige Lustbarkeiten öffentlich darbieten will, ohne daß ein höheres Interesse der Kunst oder Wissenschaft dabei obwaltet, bedarf, außer den übrigen Erfordernissen, der vorhergehenden Erlaubniß durch die Behörde des Ortes, an welchem die Leistung beabsichtigt wird.
Die Ertheilung von Legitimationsscheinen für diese Gewerbe wird versagt, sobald der, den Verhältnissen des Verwaltungsbezirkes der höheren Verwaltungsbehörde entsprechenden Anzahl von Personen Legitimationsscheine ertheilt sind.
Umherziehenden Schauspieler-Gesellschaften wird der Legitimationsschein nur dann ertheilt, wenn der Unternehmer die im §. 32. vorgeschriebene Erlaubniß besitzt.
§. 60.
Der Legitimationsschein enthält das Signalement des Inhabers und die nähere Bezeichnung des von demselben beabsichtigten Gewerbebetriebes. Er ist nur für das Kalenderjahr gültig. Seine Erneuerung darf nicht versagt werden, so lange die im §. 57. bezeichneten Erfordernisse vorhanden sind.
Der Legitimationsschein für den Betrieb der im §. 59. bezeichneten Gewerbe gewährt die Befugniß zum Gewerbebetriebe in einem anderen, als dem Bezirke derjenigen höheren Verwaltungsbehörde, welche ihn ausgestellt hat, nur dann, wenn er auf den anderen Bezirk von der höheren Verwaltungsbehörde des letzteren ausgedehnt ist. Diese Ausdehnung wird versagt, sobald für die, den Verhältnissen des Bezirkes entsprechende Anzahl von Personen Legitimationsscheine bereits ausgestellt oder ausgedehnt sind. [261]
§. 61.
Der Inhaber des Legitimationsscheins ist verpflichtet, diesen während der thatsächlichen Ausübung des Gewerbebetriebes bei sich zu führen, auf Erfordern zuständigen Behörde vorzuzeigen und sofern er hierzu nicht im Stande ist, Geheiß der Behörde den Betrieb bis zur Abhülfe des Mangels einzustellen.
§. 62.
Der Gewerbebetrieb im Umherziehen darf nicht durch Stellvertreter ausgeübt werden. Ausgenommen hiervon sind der Verkauf der im §. 58. bezeichneten Gegenstände, sofern er innerhalb der von der Polizeibehörde näher zu bestimmenden Umgegend des Wohnortes erfolgt, und der ebendaselbst unter 2. bezeichnete Gewerbebetrieb.
Die Mitführung von Begleitern, sei es zur Beförderung der Waaren, Wartung des Gespannes oder zu anderen Zwecken, bedarf der in dem Legitimationsscheine auszudrückenden Genehmigung derjenigen Behörde, welche den Schein ertheilt hat, oder in deren Bezirk sich der Nachsucher befindet. Diese Genehmigung darf nur unter den Voraussetzungen und Formen versagt werden, welche §. 57. für die Versagung des Legitimationsscheins gegenüber dem Unternehmer vorschreibt. Für Kinder unter vierzehn Jahren wird diese Genehmigung nicht ertheilt.
§. 63.
Der Gesetzgebung jedes Bundesstaates bleibt vorbehalten, für das Gebiet letzteren den Verkauf oder Aufkauf im Umherziehen von näher zu bezeichnenden Gegenständen des gemeinen Verbrauches von den beschränkenden Vorschriften dieses Titels auszunehmen.
Titel IV. Marktverkehr.
§. 64.
Der Besuch der Messen, Jahr- und Wochenmärkte, sowie der Kauf und Verkauf auf denselben steht einem Jeden mit gleichen Befugnissen frei.
Wo jedoch nach der bisherigen Ortsgewohnheit gewisse Handwerkerwaaren, welche nicht zu den im §. 66. bezeichneten Gegenständen gehören, nur von Bewohnern des Marktortes auf dem Wochenmarkte verkauft werden durften, kann die höhere Verwaltungsbehörde, auf Antrag der Gemeindebehörde, den einheimischen Verkäufern die Fortsetzung des herkömmlichen Wochenmarktverkehrs mit jenen Handwerkerwaaren gestatten, ohne auswärtige Verkäufer derselben Waaren auf dem Wochenmarkte zuzulassen. [262]
Beschränkungen des Marktverkehrs der Ausländer als Erwiderung der im Auslande gegen Bundesangehörige angeordneten Beschränkungen bleiben dem Bundesrathe vorbehalten.
§. 65.
Die Zahl, Zeit und Dauer der Messen, Jahr- und Wochenmärkte wird von der zuständigen Verwaltungsbehörde festgesetzt.
Dem Marktberechtigten steht gegen eine solche Anordnung kein Widerspruch zu; ein Entschädigungsanspruch gebührt demselben nur dann, wenn durch die Anordnung die Zahl der bis dahin abgehaltenen Märkte vermindert wird, und eine größere Zahl, ausdrücklich und unwiderruflich verliehen war. Gemeinden, welche einen Entschädigungsanspruch geltend machen wollen, müssen außerdem nachweisen, daß ihr Recht auf einen speziellen lästigen Titel sich gründet.
§. 66.
Gegenstände des Wochenmarktverkehrs sind:
1) rohe Naturerzeugnisse mit Ausschluß des größeren Viehs;
2) Fabrikate, deren Erzeugung mit der Land- und Forstwirthschaft, dem Garten- und Obstbau oder der Fischerei in unmittelbarer Verbindung steht, oder zu den Nebenbeschäftigungen der Landleute der Gegend gehört, oder durch Tagelöhnerarbeit bewirkt wird, mit Ausschluß der geistigen Getränke,
3) frische Lebensmittel aller Art.
Die zuständige Verwaltungsbehörde ist auf Antrag der Gemeindebehörde befugt, zu bestimmen, welche Gegenstände außerdem nach Ortsgewohnheit und Bedürfniß in ihrem Bezirk überhaupt, oder an gewissen Orten zu den Wochenmarkts-Artikeln gehören.
§. 67.
Auf Jahrmärkten dürfen außer den im §. 66. benannten Gegenständen Verzehrungsgegenstände und Fabrikate aller Art feilgehalten werden.
Zum Verkauf von geistigen Getränken zum Genuß auf der Stelle bedarf es jedoch der Genehmigung der Ortspolizei-Behörde.
§. 68.
Der Marktverkehr darf in keinem Falle mit anderen als solchen Abgaben belastet werden, welche eine Vergütung für den überlassenen Raum und den Gebrauch von Buden und Geräthschaften bilden. In den Bestimmungen darüber, ob und in welchem Umfange Abgaben dieser Art erhoben werden dürfen, wird durch gegenwärtiges Gesetz nichts geändert. Ein Unterschied zwischen Einheimischen und Fremden bezüglich der Zahlung der Abgaben darf nicht stattfinden.
§. 69.
In den Grenzen der Bestimmungen der §§. 65. bis 68. kann die Ortspolizei-Behörde, im Einverständniß mit der Gemeindebehörde, die Marktordnung nach dem örtlichen Bedürfniß festsetzen, namentlich auch für das Feilbieten von gleichartigen Gegenständen den Platz, und für das Feilbieten im Umhertragen, mit oder ohne Ausruf, die Tageszeit und die Gattung der Waaren bestimmen. [263]
§. 70.
In Betreff der Märkte, welche bei besonderen Gelegenheiten oder für bestimmte Gattungen von Gegenständen gehalten werden, bewendet es bei den bestehenden Anordnungen.
Erweiterungen dieses Marktverkehrs können von der zuständigen Behörde mit Zustimmung der Gemeindebehörde angeordnet werden.
§. 71.
Beschränkungen des Verkehrs mit den zu Messen und Märkten gebrachten, aber unverkauft gebliebenen Gegenständen werden hierdurch aufgehoben. Der Einzelverkauf solcher Gegenstände außer der Marktzeit ist jedoch nur unter denselben Bedingungen zulässig, unter welchen derselbe statthaft sein würde, wenn die Gegenstände nicht auf den Markt gebracht wären.
Titel V. Taxen.
§. 72.
Polizeiliche Taxen sollen, soweit nicht ein Anderes nachstehend angeordnet worden, künftig nicht vorgeschrieben werden; da, wo sie gegenwärtig bestehen, sind sie in einer von der Ortspolizei-Behörde zu bestimmenden, höchstens einjährigen Frist aufzuheben.
§. 73.
Die Bäcker und die Verkäufer von Backwaaren können durch die Ortspolizei-Behörde angehalten werden, die Preise und das Gewicht ihrer verschiedenen Backwaaren für gewisse von derselben zu bestimmende Zeiträume durch einen von Außen sichtbaren Anschlag am Verkaufslokale zur Kenntniß des Publikums zu bringen.
Dieser Anschlag ist kostenfrei mit dem polizeilichen Stempel zu versehen und täglich während der Verkaufszeit auszuhängen.
§. 74.
Wo der Verkauf von Backwaaren nur nach den von den Bäckern und Verkäufern an ihren Verkaufslokalen angeschlagenen Preisen erlaubt ist, kann die Ortspolizei-Behörde die Bäcker und Verkäufer zugleich anhalten, im Verkaufslokale eine Waage mit den erforderlichen geeichten Gewichten aufzustellen und die Benutzung derselben zum Nachwiegen der verkauften Backwaaren zu gestatten.
§. 75.
Die Gastwirthe können durch die Ortspolizei-Behörde angehalten werden, das Verzeichniß der von ihnen gestellten Preise einzureichen und in den Gastzimmern anzuschlagen. Diese Preise dürfen zwar jederzeit abgeändert werden, bleiben aber so lange in Kraft, bis die Abänderung der Polizeibehörde angezeigt, und das abgeänderte Verzeichniß in den Gastzimmern angeschlagen ist. Auf Beschwerden Reisender wegen Ueberschreitung der verzeichneten Preise steht der Ortspolizei-Behörde eine vorläufige Entscheidung vorbehaltlich des Rechtsweges zu. [264]
§. 76.
Die Ortspolizei-Behörde ist in Uebereinstimmung mit der Gemeindebehörde befugt, für Lohnbediente und andere Personen, welche auf öffentlichen Straßen und Plätzen oder in Wirthshäusern ihre Dienste anbieten (§. 37.), sowie für die Benutzung von Wagen, Pferden, Sänften, Gondeln und anderen Transportmitteln, welche öffentlich zum Gebrauch aufgestellt sind, Taxen festzusetzen.
§. 77.
Ebenso können für Schornsteinfeger, wenn ihnen Bezirke ausschließlich zugewiesen sind, von der Ortspolizei-Behörde, im Einverständniß mit der Gemeindebehörde, oder, wenn der zugewiesene Bezirk mehr als eine Ortschaft umfaßt, von der unteren Verwaltungsbehörde Taxen aufgestellt werden.
§. 78.
Hinsichtlich der Taxen für solche gewerbtreibende Personen, welche nach den Bestimmungen im §. 36. von den Behörden zu beeidigen und anzustellen sind, wird durch das gegenwärtige Gesetz nichts geändert. Die nach §. 36. zuständigen Behörden sind befugt, für diese Personen auch da Taxen einzuführen, wo dergleichen bisher nicht bestanden.
§. 79.
Die in den §§. 73. bis 78. genannten Gewerbetreibenden sind berechtigt, die festgestellten Preise und Taxen zu ermäßigen.
§. 80.
Die Taxen für die Apotheker können durch die Centralbehörden festgesetzt werden, Ermäßigungen derselben durch freie Vereinbarungen sind jedoch zulässig.
Die Bezahlung der approbirten Aerzte u. s. w. (§. 29. Absatz 1.) bleibt der Vereinbarung überlassen. Als Norm für streitige Fälle im Mangel einer Vereinbarung können jedoch für dieselben Taxen von den Centralbehörden festgesetzt werden. [265]
Titel VI. Innungen von Gewerbetreibenden.
I. Bestehende Innungen.
§. 81.
Alle zur Zeit gesetzlich bestehenden Korporationen von Gewerbetreibenden (Innungen, Zünfte) dauern fort. Ihre Statuten (Innungsartikel, Zunftartikel) bleiben in Kraft, soweit sie nicht durch die Vorschriften dieses Gesetzes oder nach Maaßgabe der Bestimmung im §. 92. abgeändert werden.
§. 82.
Jedes Mitglied einer Innung kann jederzeit, vorbehaltlich der Erfüllung seiner Verpflichtungen, ausscheiden und darf das Gewerbe nach dem Austritt fortsetzen. Der Ausgeschiedene verliert alle Ansprüche an das Zunftvermögen und die durch dasselbe ganz oder theilweise fundirten Nebenkassen, soweit die Statuten nicht ein Anderes bestimmen.
§. 83.
Von dem Eintritt in eine Innung können diejenigen ausgeschlossen werden:
1) welche die bürgerliche Ehre verloren haben,
2) welchen die Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte auf Zeit untersagt ist,
3) welche sich im Konkurs befinden.
§. 84.
Vorbehaltlich der vorstehenden Bestimmung (§. 83.) darf der Eintritt in eine Innung Keinem versagt werden, welcher die in dem Statute vorgeschriebenen Bedingungen erfüllt hat.
Bedarf es zu diesem Zwecke der Ablegung einer Prüfung, so ist dieselbe auf den Nachweis der Befähigung zur selbstständigen Ausführung der gewöhnlichen Arbeiten des Gewerbes zu richten. Die deshalb zu lösenden Aufgaben, sowie der zur Bestreitung der Prüfungskosten von dem zu Prüfenden zu zahlende Betrag, werden von der Innung bestimmt. Bevorzugungen sind dabei nicht statthaft.
Die Prüfungszeugnisse der für einzelne Gewerbe angeordneten besonderen Prüfungsbehörden und der bisher zur Abnahme von Prüfungen befugt gewesenen Kommissionen sind ein genügender Nachweis der Befähigung zum Betriebe der Gewerbe, über welche sie ausgestellt sind.
Die Ablegung einer Prüfung kann von denjenigen nicht gefordert werden, welche das betreffende Gewerbe mindestens seit Einem Jahre selbstständig ausüben. [266]
§. 85.
Die bei der Aufnahme in eine Innung zu entrichtenden Antrittsgelder müssen für alle Genossen der Innungen gleich sein. Wo sie mehr als fünf Thaler betragen, bedarf es zu ihrer Erhöhung der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde. Diese Genehmigung ist auch dann erforderlich, wenn Antrittsgelder, welche den Betrag von fünf Thalern nicht übersteigen, über diesen Betrag erhöht werden sollen.
Der Beitritt zu einer Innung schließt die Befugniß nicht aus, an anderen Innungen Theil zu nehmen.
§. 86.
Durch Beschluß der Innung kann von Ausübung des Stimmrechts, sowie der Ehrenrechte innerhalb der Innung, derjenige ausgeschlossen werden, welcher in einem der in §. 83. unter 1. 2. 3. bezeichneten Verhältnisse sich befindet.
§. 87.
Wird nach dem Tode eines Innungsgenossen dessen Gewerbe durch einen Stellvertreter für Rechnung der Wittwe oder minderjährigen Erben fortgesetzt, so gehen die Befugnisse und Obliegenheiten des Verstorbenen, mit Ausnahme des Stimmrechts in der Innungsversammlung, auf die Wittwe für die Dauer des Wittwenstandes, beziehungsweise auf die minderjährigen Erben für die Dauer der Minderjährigkeit, über.
§. 88.
Die Innung wird bei gerichtlichen wie bei außergerichtlichen Verhandlungen durch ihren Vorstand vertreten.
Die Legitimation desselben wird durch eine amtliche Bescheinigung der Gemeindebehörde über seine Eigenschaft als solcher geführt.
Die Befugniß zur Vertretung erstreckt sich auch auf diejenigen Geschäfte und Rechtshandlungen, für welche nach den Gesetzen eine Spezialvollmacht erforderlich ist.
Soweit in dem Statut (Innungsartikeln, Zunftartikeln) einem Mitgliede oder mehreren Mitgliedern des Vorstandes die Vertretung der Innung nach Außen übertragen ist, behält es hierbei sein Bewenden.
§. 89.
Verträge der Innung über die Erwerbung, Veräußerung oder Verpfändung unbeweglicher Sachen und über Darlehen, für welche das unbewegliche Vermögen der Innung oder die Nutzungen desselben auf länger als Ein Jahr haften sollen, bedürfen zu ihrer Rechtsgültigteit der Genehmigung der Gemeindebehörde. Dieselbe darf jedoch nicht versagt werden, wenn nachgewiesen wird, daß die Erfüllung aller bestehenden Verpflichtungen der Innung, sowie der für den Fall der Auflösung durch §. 94. getroffenen Vorschriften gesichert bleibt. [267]
§. 90.
Zahlungen aus den Einnahmen oder dem Vermögen der Innung an Genossen derselben dürfen nur insoweit geleistet werden, als sie auf ausdrücklichen Vorschriften des Statuts beruhen. Für Zehrung dürfen solche Zahlungen niemals geleistet werden.
§. 91.
Die exekutivische Beitreibung der Innungsbeiträge und der von Innungsgenossen wegen Verletzung statutarischer Vorschriften verwirkten Geldstrafen im Verwaltungswege findet ferner nicht statt.
§. 92.
Abänderungen des Statuts können in einer Versammlung der Innung, zu welcher sämmtliche stimmberechtigte Genossen unter ausdrücklicher Bezeichnung des Gegenstandes der Berathung schriftlich eingeladen sind, durch absolute Mehrheit der Anwesenden beschlossen werden. Der Beschluß bedarf der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde, wenn er Zahlungen aus den Einnahmen oder dem Vermögen der Innung an Genossen derselben oder andere Verfügungen über das Innungsvermögen zum Gegenstände hat. Diese Genehmigung darf jedoch nicht versagt werden, wenn nachgewiesen wird, daß die Erfüllung aller bestehenden Verpflichtungen der Innung, sowie der für den Fall der Auflösung durch §. 94. getroffenen Vorschriften gesichert bleibt.
§. 93.
Ihre Auflösung kann die Innung in einer Versammlung, zu welcher sämmtliche stimmberechtigte Genossen unter ausdrücklicher Bezeichnung des Gegenstandes der Berathung schriftlich eingeladen sind, durch absolute Mehrheit der Anwesenden beschließen. Der Beschluß bedarf der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde. Diese Genehmigung wird ertheilt, wenn die Berichtigung der Schulden und die Erfüllung der Vorschriften des §. 94. sichergestellt ist.
§. 94.
Löst eine Innung sich auf, so muß ihr Vermögen zuvörderst zur Berichtigung ihrer Schulden und zur Erfüllung ihrer sonstigen Verpflichtungen verwendet werden. War dasselbe bisher ganz oder theilweise zur Fundirung von Unterrichtsanstalten oder zu anderen öffentlichen Zwecken bestimmt, so darf dasselbe dieser Bestimmung nicht entzogen werden. Wird dafür nicht in anderer genügender Weise Sorge getragen, so fällt das betreffende Vermögen der Gemeinde gegen Uebernahme der darauf lastenden Verpflichtungen zu.
Eine Vertheilung des hiernach verbleibenden Reinvermögens unter die zeitigen Mitglieder kann die Innung bei ihrer Auflösung nur soweit beschließen, als dasselbe aus Beiträgen dieser Mitglieder entstanden ist.
Der Rest des Vermögens wird, sofern in dem Statute oder in den Landesgesetzen nicht ein Anderes ausdrücklich bestimmt ist, der Gemeinde, in welcher die aufgelöste Innung ihren Sitz hatte, zur Benutzung für gewerbliche Zwecke überwiesen. [268]
Entstehen aus den vorstehenden Bestimmungen Differenzen zwischen der Ortsgemeinde und der Innung, so steht die Entscheidung darüber der höheren Verwaltungsbehörde zu.
Letzterer steht auch die Befugniß zu, den bisher mit der Innung verbunden gewesenen Unterrichtsanstalten, Hülfskassen oder anderen Instituten zu öffentlichen Zwecken nach der Auflösung der Innung Korporationsrechte zu ertheilen.
Die vorstehenden Vorschriften kommen auch im Falle des Erlöschens einer Innung durch Aussterben ihrer Mitglieder zur Anwendung.
§. 95.
Die Gemeindebehörde übt die Aufsicht über die Innungen aus. Sie entscheidet Streitigkeiten über die Aufnahme und Ausschließung von Genossen, über die Wahl der Vorstände und über die Rechte und Pflichten der letzteren. Gegen ihre Entscheidung steht der Rekurs an die höhere Verwaltungsbehörde offen, welcher binnen einer präklusivischen Frist von vier Wochen bei der Gemeindebehörde anzubringen ist.
Innungsversammlungen, in welchen über Abänderungen des Statuts oder über die Auflösung der Innung Beschluß gefaßt werden soll, wohnt die Gemeindebehörde durch eines ihrer Mitglieder oder einen Beauftragten bei. An anderen Berathungen der Innung nimmt sie nicht Theil. Die Bestätigung der Wahl der Vorstände steht ihr fortan nicht zu.
§. 96.
Alle Bestimmungen der Gesetze oder der Statuten (Innungsartikel, Zunftartikel), durch welche der Gemeindebehörde in Angelegenheiten der Innungen größere Befugnisse beigelegt sind, als durch gegenwärtiges Gesetz, treten außer Kraft.
II. Neue Innungen.
§. 97.
Diejenigen, welche gleiche oder verwandte Gewerbe selbstständig betreiben, können zu einer Innung zusammentreten.
Neue Innungen erlangen durch die Bestätigung ihrer Statuten die Rechte einer Korporation.
§. 98.
Der Zweck der neu zu gründenden Innungen besteht in der Förderung der gemeinsamen gewerblichen Interessen.
§. 99.
Die Genehmigung der Innungsstatuten steht den höheren Verwaltungsbehörden zu.
§. 100.
In dem Statute sind die Bedingungen der Aufnahme in die Innung, die Rechte und Pfiichten der Mitglieder, der Maaßstab, nach welchem laufende Beiträge der Innungsgenossen auszuschreiben sind, und die besonderen Folgen, welche an die unterlassene Zahlung derselben sich knüpfen, die Art der Zusammensetzung des Vorstandes, imgleichen die Einrichtungen für die Verwaltung der gemeinschaftlichen Angelegenheiten festzusetzen. [269]
§. 101.
Jede Innung muß einen Vorstand haben, dessen Mitglieder von den Innungsgenossen zu wählen sind.
§. 102.
Die Höhe und die Verwendung der Beiträge, sowie die Verwaltung des Etats-, Kassen- und Rechnungswesens, wird durch Beschlüsse der Innung geordnet.
§. 103.
Die Bestimmungen in den §§. 82 – 96. finden auch auf neue Innungen Anwendung.
§. 104.
Korporationen von Kaufleuten, welchen ausschließliche Gewerbsbefugnisse nicht zugestanden haben, unterliegen nicht den Vorschriften dieses Titels.
Titel VII. Gewerbegehülfen, Gesellen, Lehrlinge, Fabrikarbeiter.
I. Verhältnisse der Gesellen, Gehülfen und Lehrlinge.
1. Im Allgemeinen.
§. 105.
Die Festsetzung der Verhältnisse zwischen den selbstständigen Gewerbetreibenden und ihren Gesellen, Gehülfen und Lehrlingen ist Gegenstand freier Uebereinkunft.
Zum Arbeiten an Sonn- und Festtagen ist, vorbehaltlich der anderweitigen Vereinbarung in Dringlichkeitsfällen, Niemand verpflichtet.
§. 106.
Die nach den Landesgesetzen zuständige Behörde hat darauf zu achten, daß bei Beschäftigung der Lehrlinge gebührende Rücksicht auf Gesundheit und Sittlichkeit genommen und denjenigen Lehrlingen, welche des Schul- und Religionsunterrichts noch bedürfen, Zeit dazu gelassen werde.
Durch Ortsstatut (§. 142.) können Gesellen, Gehülfen und Lehrlinge, sofern sie das achtzehnte Lebensjahr nicht überschritten haben, oder einzelne Klassen derselben, zum Besuche einer Fortbildungsschule des Ortes, Arbeits- und Lehrherren aber zur Gewährung der, für diesen Besuch erforderlichen Zeit verpflichtet werden. [270]
§. 107.
Jeder Gewerbe-Unternehmer ist verbunden, auf seine Kosten alle diejenigen Einrichtungen herzustellen und zu unterhalten, welche mit Rücksicht auf die besondere Beschaffenheit des Gewerbebetriebes und der Betriebsstätte zu thunlichster Sicherung der Arbeiter gegen Gefahr für Leben und Gesundheit nothwendig sind.
§. 108.
Streitigkeiten der selbstständigen Gewerbetreibenden mit ihren Gesellen, Gehülfen oder Lehrlingen, die sich auf den Antritt, die Fortsetzung oder Aufhebung des Arbeits- oder Lehrverhältnisses, auf die gegenseitigen Leistungen während der Dauer desselben oder auf die Ertheilung oder den Inhalt der in den §§. 113. und 124. erwähnten Zeugnisse beziehen, sind, soweit für diese Angelegenheiten besondere Behörden bestehen, bei diesen zur Entscheidung zu bringen.
Insoweit solche besondere Behörden nicht bestehen, erfolgt die Entscheidung durch die Gemeindebehörde.
Gegen die Entscheidung der Gemeindebebörde steht den Betheiligten eine Berufung auf den Rechtsweg binnen zehn Tagen präklusivischer Frist offen; die vorläufige Vollstreckung wird aber hierdurch nicht aufgehalten.
Durch Ortsstatut (§. 142.) können an Stelle der gegenwärtig hierfür bestimmten Behörden Schiedsgerichte mit der Entscheidung betraut werden. Dieselben sind durch die Gemeindebehörde unter gleichmäßiger Zuziehung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu bilden.
2. Insbesondere: a. der Gesellen und Gehülfen.
§. 109.
Die Gesellen und Gehülfen sind verpflichtet, den Anordnungen der Arbeitgeber in Beziehung auf die ihnen übertragenen Arbeiten und auf die häuslichen Einrichtungen Folge zu leisten; zu häuslichen Arbeiten sind sie nicht verbunden.
§. 110.
Das Verhältniß zwischen dem Arbeitgeber und den Gesellen oder Gehülfen kann, wenn nicht ein Anderes verabredet ist, durch eine, jedem Theile freistehende, vierzehn Tage vorher erklärte Aufkündigung aufgelöst werden.
§. 111.
Vor Ablauf der vertragsmäßigen Arbeitszeit und ohne vorhergegangene Aufkündigung können Gesellen und Gehülfen entlassen werden:
1) wenn sie eines Diebstahls, einer Veruntreuung oder eines liederlichen Lebenswandels sich schuldig machen;
2) wenn sie den in Gemäßheit des Arbeitsvertrages ihnen obliegenden Verpflichtungen nachzukommen beharrlich verweigern;
3) wenn sie, der Verwarnung ungeachtet, mit Feuer und Licht unvorsichtig umgehen; [271]
4) wenn sie sich Thätlichkeiten oder grobe Ehrverletzungen gegen den Arbeitgeber oder die Mitglieder seiner Familie zu Schulden kommen lassen;
5) wenn sie mit den Mitgliedern der Familie des Arbeitgebers verdächtigen Umgang Pflegen, oder Mitarbeiter zu Handlungen verleiten, welche wider die Gesetze oder wider die guten Sitten verstoßen;
6) wenn sie zur Fortsetzung der Arbeit unfähig geworden, oder mit einer abschreckenden Krankheit behaftet sind.
Inwiefern in den zu 6. gedachten Fällen dem Entlassenen ein Anspruch auf Entschädigung zustehe, ist nach dem Inhalt des Vertrages und nach den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften zu beurtheilen.
§. 112.
Die Gesellen und Gehülfen können die Arbeit vor Ablauf der vertragsmäßigen Zeit und ohne vorhergegangene Aufkündigung verlassen:
1) wenn sie zur Fortsetzung der Arbeit unfähig werden;
2) wenn der Arbeitgeber sich Thätlichkeiten oder grobe Ehrverletzungen gegen sie oder Mitglieder ihrer Familie zu Schulden kommen läßt;
3) wenn er oder dessen Angehörige, sie oder ihre Angehörigen zu Handlungen verleiten, welche wider die Gesetze oder wider die guten Sitten laufen;
4) wenn er ihnen nicht den schuldigen Lohn in der bedungenen Weise auszahlt, bei Stücklohn nicht für ihre ausreichende Beschäftigung sorgt, oder wenn er sich widerrechtlicher Uebervortheilungen gegen sie schuldig macht;
5) wenn bei Fortsetzung der Arbeit ihr Leben oder ihre Gesundheit einer erweislichen Gefahr ausgesetzt sein würde, welche bei Eingehung des Arbeitsvertrages nicht zu erkennen war.
§. 113.
Beim Abgange können die Gesellen und Gehülfen ein Zeugniß über die Art und Dauer ihrer Beschäftigung fordern, welches auf Antrag der Betheiligten und, wenn gegen den Inhalt sich nichts zu erinnern findet, von der Gemeindebehörde kosten- und stempelfrei zu beglaubigen ist. Dieses Zeugniß ist auf Verlangen der Gesellen und Gehülfen auch auf ihre Führung auszudehnen.
Die gesetzliche Verpflichtung zur Führung von Arbeitsbüchern ist aufgehoben.
§. 114.
Gesellen und Gehülfen sind in der Wahl ihrer Meister oder Arbeitgeber unbeschränkt.
Eine Verpflichtung zum Wandern findet nicht statt. Auf Unterstützung von Seiten der Gewerbegenossen haben wandernde Gesellen und Gehülfen keinen Anspruch. [272]
b. der Lehrlinge.
§. 115.
Als Lehrling ist jeder zu betrachten, welcher bei einem Lehrherrn zur Erlernung eines Gewerbes in Arbeit tritt, ohne Unterschied, ob die Erlernung gegen Lehrgeld oder unentgeltliche Hülfsleistung stattfindet, oder ob für die Arbeit Lohn gezahlt wird.
Auf Lehrlinge über 18 Jahre finden die Bestimmungen der §§.106. 116. 117. und 119. keine Anwendung.
§. 116.
Von der Befugniß, Lehrlinge zu halten, sind ausgeschlossen diejenigen, welchen wegen anderer, als politischer Verbrechen oder Vergehen der Vollgenuß der staatsbürgerlichen Rechte entzogen ist, für die Zeit der Entziehung, sofern sie nicht in diese Rechte wieder eingesetzt oder welche wegen Diebstahls oder Betruges rechtskräftig verurtheilt worden sind.
Ein Gewerbetreibender, welcher von der Befugniß, Lehrlinge zu halten, ausgeschlossen ist, darf auch die bereits angenommenen Lehrlinge nicht ferner beibehalten.
Die Entlassung unbefugt angenommener oder beibehaltener Lehrlinge kann im Wege der polizeilichen Exekution erzwungen werden.
§. 118.
Der Lehrherr muß sich angelegen sein lassen, den Lehrling durch Beschäftigung und Anweisung zum tüchtigen Gesellen auszubilden. Er darf dem Lehrlinge die hierzu erforderliche Zeit und Gelegenheit durch Verwendung zu anderen Dienstleistungen nicht entziehen. Der Lehrherr muß bemüht sein, den Lehrling zur Arbeitsamkeit und zu guten Sitten anzuhalten und vor Lastern und Ausschweifungen zu bewahren.
§. 119.
Der Lehrling ist der väterlichen Zucht des Lehrherrn unterworfen und in Abwesenheit des Lehrherrn auch dem denselben vertretenden Gesellen oder Gehülfen zur Folgsamkeit verpflichtet.
§. 120.
Das Lehrverhältniß kann in den Fällen, welche im §. 111. bezeichnet sind, von dem Lehrherrn vor Ablauf der Lehrzeit aufgehoben werden. Sind für einen solchen Fall keine besonderen Verabredungen getroffen, so ist das Lehrgeld stets für die bereits abgelaufene Zeit zu entrichten. Daneben gebührt, wenn der Lehrling in den Fällen des §. 111. Nr. 1. bis 5. zu seiner Entlassung Veranlassung gegeben hat, dem Lehrherrn als Entschädigung das weiterlaufende Lehrgeld bis zu einem halbjährigen Betrage. [273]
§. 121.
Wider den Willen des Lehrherrn kann das Verhältniß vor Ablauf der Lehrzeit aufgehoben werden, wenn der Lehrherr die ihm nach §.118. obliegenden Verpflichtungen gröblich vernachlässigt oder das Recht der väterlichen Zucht mißbraucht.
Fällt die Entscheidung hierüber gegen den Lehrherrn aus (§. 108.), so kann derselbe zur Erstattung der durch die anderweitige Unterbringung des Lehrlings entstehenden Mehrkosten im Rechtswege angehalten werden.
Letzteres gilt auch von dem Falle, wenn dem Lehrherrn die Befugniß, Lehrlinge zu halten, entzogen wird (§. 117.).
§. 122.
Wider den Willen des Lehrherrn kann das Verhältniß vor Ablauf der Lehrzeit aufgehoben werden, wenn der Lehrling zu einem anderen Gewerbe oder zu einem anderen Berufe übergeht. Dem Lehrherrn ist in diesem Falle, wenn nicht ein Anderes verabredet worden, das weiterlaufende Lehrgeld noch bis zu einem halbjährigen Betrage zu zahlen.
§. 123.
Durch den Tod des Lehrherrn oder Lehrlings wird der Lehrvertrag aufgehoben.
Auf den Antrag des einen oder des anderen Theiles ist der Lehrvertrag auch dann aufzuheben, wenn der Lehrherr oder der Lehrling zur Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen unfähig wird.
In beiden Fällen erfolgt, wenn nichts Anderes verabredet ist, die Auseinandersetzung hinsichtlich des Lehrgeldes nach Verhältniß des bereits abgelaufenen Theiles der Lehrzeit zur ganzen Dauer derselben.
§. 124.
Bei Auflösung des Lehrverhältnisses kann der Lehrling über die Dauer der Lehrzeit und die während derselben erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten, sowie über sein Betragen vom Lehrherrn ein Zeugniß fordern, welches, auf Antrag der Betheiligten und, wenn gegen den Inhalt sich nichts zu erinnern findet, von der Gemeindebehörde kosten- und stempelfrei zu beglaubigen ist.
§. 125.
Für die Aufnahme und Entlassung der Lehrlinge dürfen keine Gebühren erhoben werden.
§. 126.
Die Bestimmungen der §§. 105. bis 115. und 118. bis 125. finden, jedoch soviel die Lehrlinge betrifft, mit Ausnahme des §. 106. Absatz 2., auf die Gehülfen und Lehrlinge der Apotheker und Kaufleute, ingleichen auf die Werkmeister in Fabriken, keine Anwendung. Die Verhältnisse derselben zu ihren Lehrherren und Arbeitgebern sind fernerhin nach den bisherigen Vorschriften zu beurtheilen. [274]
II. Verhältnisse der Fabrikarbeiter.
§. 127.
Die Bestimmungen der §§. 105. bis 114. finden auch auf Fabrikarbeiter Anwendung.
§. 128.
Kinder unter zwölf Jahren dürfen in Fabriken zu einer regelmäßigen Beschäftigung nicht angenommen werden.
Vor vollendetem vierzehnten Lebensjahre dürfen Kinder in Fabriken nur dann beschäftigt werden, wenn sie täglich einen mindestens dreistündigen Schulunterricht in einer von der höheren Verwaltungsbehörde genehmigten Schule erhalten. Ihre Beschäftigung darf sechs Stunden täglich nicht übersteigen.
Junge Leute, welche das vierzehnte Lebensjahr zurückgelegt haben, dürfen vor vollendetem sechszehnten Lebensjahre in Fabriken nicht über zehn Stunden täglich beschäftigt werden. Auch für diese jugendlichen Arbeiter kann durch die Centralbehörde die zulässige Arbeitsdauer bis auf sechs Stunden täglich für den Fall eingeschränkt werden, daß dieselben nach den besonderen in einzelnen Theilen des Bundesgebietes bestehenden Schuleinrichtungen noch im schulpflichtigen Alter sich befinden.
Die Ortspolizei-Behörde ist befugt, eine Verlängerung dieser Arbeitszeiten um höchstens eine Stunde und auf höchstens vier Wochen dann zu gestatten, wenn Naturereignisse oder Unglücksfälle den regelmäßigen Geschäftsbetrieb in der Fabrik unterbrochen und ein vermehrtes Arbeitsbedürfniß herbeigeführt haben.
§. 129.
Zwischen den Arbeitsstunden muß den jugendlichen Arbeitern (§. 128.) Vor- und Nachmittags eine Pause von einer halben Stunde und Mittags eine ganze Freistunde, und zwar jedesmal auch Bewegung in der freien Luft gewährt werden.
Die Arbeitsstunden dürfen nicht vor 5½ Uhr Morgens beginnen und nicht über 8½ Uhr Abends dauern.
An Sonn- und Feiertagen, sowie während der von dem ordentlichen Seelsorger für den Katechumenen- und Konfirmanden-Unterricht bestimmten Stunden dürfen jugendliche Arbeiter nicht beschäftigt werden.
§. 130.
Wer jugendliche Arbeiter in einer Fabrik zu einer regelmäßigen Beschäftigung annehmen will, hat davon der Ortspolizei-Behörde zuvor Anzeige zu machen.
Der Arbeitgeber hat über die von ihm beschäftigten jugendlichen Arbeiter eine Liste zu führen, welche deren Namen, Alter, Wohnort, Eltern, Eintritt in die Fabrik und Entlassung aus derselben enthält, in dem Arbeitslokal auszuhängen und den Polizei- und Schulbehörden auf Verlangen in Abschrift vorzulegen ist. Die Anzahl dieser Arbeiter hat er halbjährlich der Ortspolizei-Behörde anzuzeigen. [275]
§. 131.
Die Annahme jugendlicher Arbeiter zu einer regelmäßigen Beschäftigung darf nicht erfolgen, bevor der Vater oder Vormund derselben dem Arbeitgeber ein Arbeitsbuch eingehändigt hat.
Dieses Arbeitsbuch, welchem die §§. 128 – 133. des gegenwärtigen Gesetzes vorzudrucken sind, wird auf den Antrag des Vaters oder Vormundes des jugendlichen Arbeiters von der Ortspolizei-Behörde ertheilt und enthält:
1) Namen, Tag und Jahr der Geburt, Religion des Arbeiters,
2) Namen, Stand und Wohnort des Vaters oder Vormundes,
3) ein Zeugniß über den bisherigen Schulbesuch,
4) eine Rubrik für die bestehenden Schulverhältnisse,
5) eine Rubrik für die Bezeichnung des Eintrittes in die Anstalt,
6) eine Rubrik für den Austritt aus derselben,
7) eine Rubrik für die Revisionen.
Der Arbeitgeber hat dieses Arbeitsbuch zu verwahren, der Behörde auf Verlangen jederzeit vorzulegen und bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses dem Vater oder Vormunde des Arbeiters wieder auszuhändigen.
§. 132.
Wo die Aufsicht über die Ausführung der vorstehenden Bestimmungen (§§. 128 – 133.) eigenen Beamten übertragen ist, stehen denselben bei Ausübung dieser Aufsicht alle amtlichen Befugnisse der Ortspolizei-Behörden, insbesondere das Recht zur jederzeitigen Revision der Fabriken zu.
Die auf Grund der Bestimmungen der §§. 128 – 133. auszuführenden amtlichen Revisionen der gewerblichen Anstalten sind die Besitzer derselben verpflichtet, zu jeder Zeit, namentlich auch in der Nacht, während die Anstalten im Betriebe sind, zu gestatten.
§. 133.
Sollte durch die Ausführung der Bestimmungen der §§. 128. und 129. bereits bestehenden gewerblichen Anstalten die nöthige Arbeitskraft entzogen werden, so ist die Centralbehörde befugt, auf bestimmte Zeit, jedoch höchstens ein Jahr, Ausnahmevorschriften zu erlassen.
In Betreff der beim Inkrafttreten dieses Gesetzes bereits beschäftigten jugendlichen Arbeiter ist die im §. 130. vorgeschriebene Anzeige bei der Ortspolizei-Behörde binnen vier Wochen zu bewirken.
§. 134.
Fabrikinhaber, sowie alle diejenigen, welche mit Ganz- oder Halbfabrikaten Handel treiben, sind verpflichtet, die Löhne der Arbeiter, welche mit Anfertigung der Fabrikate für sie beschäftigt sind, in baarem Gelde auszuzahlen.
Sie dürfen denselben keine Waaren kreditiren. [276]
Dagegen können den Arbeitern Wohnung, Feuerungsbedarf, Landnutzung, regelmäßige Beköstigung, Arzneien und ärztliche Hülfe, sowie Werkzeuge und Stoffe zu den von ihnen anzufertigenden Fabrikaten unter Anrechnung bei der Lohnzahlung verabreicht werden.
§. 135.
Die Bestimmungen des §. 134. finden auch Anwendung auf Familienglieder, Gehülfen, Beauftragte, Geschäftsführer, Aufseher und Faktoren der dort bezeichneten Arbeitgeber, sowie auf Gewerbetreibende, bei deren Geschäft eine der hier erwähnten Personen unmittelbar oder mittelbar betheiligt ist.
§. 136.
Unter Arbeitern (§. 134.) werden hier auch diejenigen verstanden, welche außerhalb der Fabrikstätten für Fabrikinhaber oder für die ihnen gleichgestellten Personen die zu deren Gewerbebetriebe nöthigen Ganz- oder Halbfabrikate anfertigen, oder solche an sie absetzen, ohne aus dem Verkaufe dieser Waaren an Konsumenten ein Gewerbe zu machen.
§. 137.
Arbeiter, deren Forderungen den Vorschriften der §§. 134. bis 136. zuwider anders als durch Baarzahlung berichtigt sind, können zu jeder Zeit die Bezahlung ihrer Forderungen in baarem Gelde verlangen, ohne daß ihnen eine Einrede aus dem an Zahlungsstatt Gegebenen entgegengesetzt werden kann. Letzteres fällt, soweit es noch bei dem Empfänger vorhanden oder dieser daraus bereichert ist, der im §. 139. Absatz 2. gedachten Kasse zu.
§. 138.
Verträge, welche den §§. 134. bis 136. zuwiderlaufen, sind nichtig.
Dasselbe gilt von Verabredungen zwischen Fabrikinhabern oder ihnen gleichgestellten Personen einerseits und Arbeitern andererseits über die Entnehmung der Bedürfnisse dieser letzteren aus gewissen Verkaufsstellen, sowie überhaupt über die Verwendung des Verdienstes derselben zu einem anderen Zweck, als zur Betheiligung an Einrichtungen zur Verbesserung der Lage der Arbeiter oder ihrer Familien (§. 134.).
§. 139.
Forderungen für Waaren, welche ungeachtet des Verbots den Arbeitern kreditirt worden sind, können von Fabrikinhabern und von den ihnen gleichgestellten Personen weder eingeklagt, noch durch Anrechnung oder sonst geltend gemacht werden, ohne Unterschied, ob sie zwischen den Betheiligten unmittelbar entstanden oder mittelbar erworben sind.
Dagegen fallen dergleichen Forderungen der Kranken-, Sterbe-, Spar- oder ähnlichen Hülfskasse zu, welche in der Wohnortsgemeinde des betheiligten Arbeiters für diejenige Klasse von Arbeitern besteht, zu welcher er gehört. Sind mehrere solcher Kassen vorhanden, so fällt die Forderung allen zu gleichen Theilen zu, in Ermangelung derartiger Anstalten aber der Ortsarmenkasse. [277]
Titel VIII. Gewerbliche Hülfskassen.
§. 140.
Die durch Ortsstatut oder Anordnung der Verwaltungsbehörde begründete Verpflichtung der selbstständigen Gewerbetreibenden, einer mit einer Innung verbundenen oder außerhalb derselben bestehenden Kranken-, Hülfs- oder Sterbekasse für selbstständige Gewerbetreibende beizutreten, wird aufgehoben. Im Uebrigen wird in den Verhältnissen dieser Kassen durch gegenwärtiges Gesetz nichts geändert.
Neue Kassen der selbstständigen Gewerbetreibenden für die erwähnten Zwecke erhalten durch die Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde die Rechte juristischer Personen, soweit es zur Erlangung dieser Rechte einer besonderen staatlichen Genehmigung bedarf.
§. 141.
Bis zum Erlaß eines Bundesgesetzes bleiben die Anordnungen der Landesgesetze über die Kranken-, Hülfs- und Sterbekassen für Gesellen, Gehülfen und Fabrikarbeiter in Kraft.
Die durch Ortsstatut oder Anordnung der Verwaltungsbehörde begründete Verpflichtung der Gesellen, Gehülfen, Lehrlinge und Fabrikarbeiter, einer bestimmten Kranken-, Hülfs- oder Sterbekasse beizutreten, wird indeß für diejenigen aufgehoben, welche nachweisen, daß sie einer anderen Kranken-, Hülfs- oder Sterbekasse angehören.
Titel IX. Ortsstatuten.
§. 142.
Ortsstatuten können die ihnen durch das Gesetz überwiesenen gewerblichen Gegenstände mit verbindlicher Kraft ordnen. Dieselben werden, nach Anhörung betheiligter Gewerbetreibender, auf Grund eines Gemeindebeschlusses abgefaßt. Sie bedürfen der Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde.
Die Centralbehörde ist befugt, Ortsstatuten, welche mit den Gesetzen in Widerspruch stehen, außer Kraft zu setzen. [278]
Titel X. Strafbestimmungen.
§. 143.
Die Berechtigung zum Gewerbebetriebe kann, abgesehen von Konzessions-Entziehungen und den in diesem Gesetze gestatteten Untersagungen des Gewerbebetriebes (§. 15. Absatz 2. und §. 35.), weder durch richterliche noch administrative Entscheidung entzogen werden.
Ausnahmen von diesem Grundsatze, welche durch die Steuergesetze begründet sind, bleiben so lange aufrecht erhalten, als diese Steuergesetze in Kraft bleiben.
Ebenso bewendet es bei den Vorschriften der Landesgesetze, welche die Entziehung der Befugniß zum selbstständigen Betriebe eines Gewerbes durch richterliches Erkenntniß als Strafe im Falle einer durch die Presse begangenen Zuwiderhandlung vorschreiben oder zulassen.
Die Bestimmungen der Landesgesetze, nach welchen die Befugniß zur Herausgabe von Druckschriften und zum Vertriebe derselben innerhalb des Norddeutschen Bundesgebietes im Verwaltungswege entzogen werden darf, werden hierdurch aufgehoben.
§. 144.
Inwiefern, abgesehen von den Vorschriften über die Entziehung des Gewerbebetriebes (§. 143.), Zuwiderhandlungen der Gewerbetreibenden gegen ihre Berufspflichten außer den in diesem Gesetz erwähnten Fällen einer Strafe unterliegen, ist nach den darüber bestehenden Gesetzen zu beurtheilen.
Jedoch werden aufgehoben die für Medizinalpersonen bestehenden besonderen Bestimmungen, welche ihnen unter Androhung von Strafen einen Zwang zu ärztlicher Hülfe auferlegen.
§. 145.
Für das Mindestmaaß der Strafen, das Verhältniß von Geldstrafe zu Gefängnißstrafe, sowie für die Verjährung des im §. 153. verzeichneten Vergehens, sind die Bestimmungen der Landesgesetze maaßgebend.
Die übrigen in diesem Titel mit Strafe bedrohten Handlungen verjähren binnen drei Monaten, von dem Tage an gerechnet, an welchem sie begangen sind.
§. 146.
Zuwiderhandlungen gegen die §§. 134. bis 136. werden mit einer Geldbuße bis zu fünfhundert Thalern und im Falle des Unvermögens mit verhältmäßiger Gefängnißstrafe bis zu sechs Monaten bestraft. Im Wiederholungsfalle wird die Strafe verdoppelt. [279]
Die Geldbußen ftießen derjenigen Kasse zu, welcher die im §. 139. erwähnten Forderungen nach den dort ertheilten Vorschriften zufallen.
Jede rechtskräftige Verurtheilung wird auf Kosten des Verurtheilten durch das amtliche Organ der höheren Verwaltungsbehörde des Bezirks und andere öffentliche Blätter derjenigen Kreise, in welchen derselbe und der betheiligte Arbeiter ihren Wohnsitz haben, bekannt gemacht.
§. 147.
Mit Geldbuße bis zu Einhundert Thalern und im Unvermögensfalle mit verhältnißmäßiger Gefängnißstrafe bis zu sechs Wochen wird bestraft:
1) wer den selbstständigen Betrieb eines stehenden Gewerbes, zu dessen Beginne eine besondere polizeiliche Genehmigung (Konzession, Approbation, Bestallung) erforderlich ist, ohne die vorschriftsmäßige Genehmigung unternimmt oder fortsetzt, oder von den in der Genehmigung festgesetzten Bedingungen abweicht;
2) wer eine gewerbliche Anlage, zu der mit Rücksicht auf die Lage oder Beschaffenheit der Betriebsstätte oder des Lokals eine besondere Genehmigung erforderlich ist (§§. 16. und 24.), ohne diese Genehmigung errichtet, oder die wesentlichen Bedingungen, unter welchen die Genehmigung ertheilt worden, nicht innehält, oder ohne neue Genehmigung eine wesentliche Veränderung der Betriebsstätte oder eine Verlegung des Lokals oder eine wesentliche Veränderung in dem Betriebe der Anlage vornimmt;
3) wer, ohne hierzu approbirt zu sein, sich als Arzt (Wundarzt, Augenarzt, Geburtshelfer, Zahnarzt, Thierarzt) bezeichnet oder sich einen ähnlichen Titel beilegt, durch den der Glauben erweckt wird, der Inhaber desselben sei eine geprüfte Medizinalperson.
Enthält die Handlung zugleich eine Zuwiderhandlung gegen die Steuergesetze, so soll nicht außerdem noch auf eine Steuerstrafe erkannt werden, es ist abei darauf bei Zumessung der Strafe Rücksicht zu nehmen.
In dem Falle zu 2. kann die Polizeibehörde die Wegschaffung der Anlage oder die Herstellung des den Bedingungen entsprechenden Zustandes derselben anordnen.
§. 148.
Mit Geldbuße bis zu fünfzig Thalern und im Falle des Unvermögens mit Gefängnißstrafe bis zu vier Wochen wird bestraft:
1) wer außer den in §. 147. vorgesehenen Fällen ein stehendes Gewerbe beginnt, ohne dasselbe vorschriftsmäßig anzuzeigen;
2) wer die im §. 14. erforderte An- oder Abmeldung einer übernommenen Feuerversicherungs - Agentur unterläßt; [280]
3) wer die im §. 14. erforderten Anzeigen über das Betriebslokal unterläßt;
4) wer der nach §. 35. gegen ihn ergangenen Untersagung eines Gewerbebetriebes zuwiderhandelt, oder die in §. 35. vorgeschriebene Anzeige unterläßt;
5) wer dem §. 43. zuwiderhandelt;
6) wer bei dem Aufsuchen von Waarenbestellungen den Vorschriften im §. 44. zuwiderhandelt;
7) wer ein Gewerbe im Umherziehen ohne Legitimationsschein betreibt;
8) wer bei dem Betriebe seines Gewerbes die von der Obrigkeit vorgeschriebenen oder genehmigten Taxen überschreitet;
9) wer als Lehrherr seine Pflichten gegen die ihm anvertrauten Lehrlinge gröblich vernachlässigt;
10) wer der Aufforderung der Behörde ungeachtet den Bestimmungen des §. 107. entgegenhandelt.
In allen diesen Fällen bleibt die Strafe ausgeschlossen, wenn die strafbare Handlung zugleich eine Zuwiderhandlung gegen die Steuergesetze enthält.
§. 149.
Mit Geldbuße bis zu zehn Thalern und im Falle des Unvermögens mit Gefängniß bis zu acht Tagen wird bestraft:
1) wer gewerbliche Verrichtungen, zu welchen er nach Vorschrift des §. 44. einer Legitimation bedarf, vornimmt, ohne dieselbe zu besitzen, beziehungsweise mit sich zu führen;
2) wer bei dem Gewerbebetrieb im Umherziehen den ihm ertheilten Legitimationsschein nicht mit sich führt, oder einem Anderen überläßt;
3) wer ein Gewerbe im Umherziehen, für welches ihm ein auf einen bestimmten Bezirk lautender Legitimationsschein (§. 60.) ertheilt ist, unbefugt in einem anderen Bezirk betreibt;
4) wer den Vorschriften im §. 61. zuwiderhandelt;
5) wer bei dem Gewerbebetrieb im Umherziehen unbefugt Begleiter mitführt und wer einem Gewerbetreibenden im Umherziehen unbefugt als Begleiter dient;
6) wer den polizeilichen Anordnungen wegen des Marktverkehrs zuwiderhandelt;
7) wer es unterläßt, die in den §§. 130. und 133. vorgeschriebenen Anzeigen zu machen oder Listen zu führen. [281]
§. 150.
Wer den Vorschriften in den §§. 128. 129. und 130.[1] zuwider jugendliche Arbeiter annimmt oder beschäftigt, wird mit einer Geldbuße bis zu fünf Thalern und im Falle des Unvermögens mit verhältnißmäßiger Gefängnißstrafe bis zu drei Tagen für jeden vorschriftswidrig angenommenen oder beschäftigten Arbeiter bestraft.
War er innerhalb der letzten fünf Jahre bereits drei verschiedene Male auf Grund der vorstehenden Bestimmung bestraft, so kann auf den Verlust der Befugniß zur Beschäftigung jugendlicher Arbeiter für eine bestimmte Zeit oder für immer gegen ihn erkannt werden.
Es muß auf diesen Verlust, und zwar für mindestens drei Monate erkannt werden, wenn er innerhalb der letzten fünf Jahre bereits sechs verschiedene Male bestraft war.
Zuwiderhandlungen gegen solche Erkenntnisse (Absatz 2. und 3) werden mit Geldbuße bis zum vierfachen Betrage der im ersten Absatz dieses Paragraphen bestimmten Geldbuße, und im Falle des Unvermögens mit verhältnißmäßigem Gefängniß bestraft.
§. 151.
Sind polizeiliche Vorschriften von dem Stellvertreter eines Gewerbetreibenden bei Ausübung des Gewerbes übertreten worden, so trifft die Strafe den Stellvertreter, ist die Uebertretung mit Vorwissen des verfügungsfähigen Vertretenen begangen worden, so verfallen beide der gesetzlichen Strafe.
Ist an eine solche Uebertretung der Verlust der Konzession, Approbation oder Bestallung geknüpft, so findet derselbe auch als Folge der von dem Stellvertreter begangenen Uebertretung statt, wenn diese mit Vorwissen des verfügungsfähigen Vertretenen begangen worden. Ist dies nicht der Fall, so ist der Vertretene bei Verlust der Konzession, Approbation u. s. w. verpflichtet, den Stellvertreter zu entlassen.
§. 152.
Alle Verbote und Strafbestimmungen gegen Gewerbetreibende, gewerbliche Gehülfen, Gesellen oder Fabrikarbeiter wegen Verabredungen und Vereinigungen zum Behufe der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen, insbesondere mittelst Einstellung der Arbeit oder Entlassung der Arbeiter, werden aufgehoben.
Jedem Theilnehmer steht der Rücktritt von solchen Vereinigungen und Verabredungen frei, und es findet aus letzteren weder Klage noch Einrede statt.
§. 153.
Wer andere durch Anwendung körperlichen Zwanges, durch Drohungen, durch Ehrverletzung oder durch Verrufserklärung bestimmt oder zu bestimmen versucht, an solchen Verabredungen (§. 152.) Theil zu nehmen, oder ihnen Folge zu leisten, oder Andere durch gleiche Mittel hindert oder zu hindern versucht, von solchen Verabredungen zurückzutreten, wird mit Gefängniß bis zu drei Monaten bestraft, sofern nach dem allgemeinen Strafgesetz nicht eine härtere Strafe eintritt.[282]
Schlußbestimmungen.
§. 154.
Die Bestimmungen der §§. 128. bis 139. finden auch auf die Besitzer, beziehungsweise Arbeiter von Bergwerken, Aufbereitungsanstalten und unterirdisch betriebenen Brüchen oder Gruben Anwendung.
Diejenigen Bestimmungen, welche die bezeichneten Arbeiter wegen groben Ungehorsams, beharrlicher Widersetzlichkeit oder wegen Verlassens der Arbeit mit Strafe bedrohen, werden aufgehoben.
§. 155.
Wo in diesem Gesetze auf die Landesgesetze verwiesen ist, sind unter den letzteren auch die verfassungs- oder gesetzmäßig erlassenen Verordnungen verstanden.
Welche Behörden in jedem Bundesstaate unter der Bezeichnung: höhere Verwaltungsbehörde, untere Verwaltungsbehörde, Gemeindebehörde, Ortsbehörde, Unterbehörde, Polizeibehörde, Ortspolizeibehörde zu verstehen sind, wird von der Centralbehörde des Bundesstaates bekannt gemacht.
§. 156.
Die Titel I. II. IV. bis X. dieses Gesetzes treten drei Monate nach dessen Verkündung, der Titel III. tritt am 1. Januar 1870. in Kraft.
Das Gesetz, betreffend den Betrieb der stehenden Gewerbe, vom 8. Juli 1868. (Bundesgesetzbl. S. 406.) tritt drei Monate nach Verkündung dieses Gesetzes außer Anwendung.
Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Bundes-Insiegel.
Gegeben Berlin, den 21. Juni 1869.
(L. S.) Wilhelm.
Gr. v. Bismarck-Schönhausen.
Berichtigung.
(Anmerkung WS: Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes 1870, Nr. 35, S. 512) [512]
In der im 26. Stück des Bundesgesetzblattes für 1869. abgedruckten Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund vom 21. Juni 1869. ist S. 280. §. 150. Z. 1. statt „130“ zu setzen: 131.