Der
Codex Theresianus
und
seine Umarbeitungen.
Herausgegeben und mit Anmerkungen versehen
von
Dr. Philipp Harras Ritter von Harrasowsky.
IV. Band.
Wien.
Druck und Verlag von Carl Gerold´s Sohn.
1886.
Die Umarbeitungen
des
Codex Theresianus.
Herausgegeben und mit Anmerkungen versehen
von
Dr. Philipp Harras Ritter von Harrasowsky.
I. Band.
Entwurf Horten´s.
Wien.
Druck und Verlag von Carl Gerold´s Sohn.
1886.
(1) Einleitung.
Durch den der Compilations-Commission in dem Handbillete vom 4. August 1772 ertheilten Auftrag, die von Horten verfaßte Umarbeitung des ersten Theiles des Codex Theresianus einer neuen Berathung unter Mitwirkung Horten´s zu unterziehen, wurde ihr Schweres auferlegt. Nach einem Schwebezustande, welcher nahezu sechs Jahre gedauert hatte, sah sie ihre Arbeit verworfen, und dagegen das Operat eines jüngeren, durch die Gunst des Staatskanzlers emporgehobenen Mannes bevorzugt, von welchem sie keine hohe Meinung hegte. Ihrer Anschauung über ihn hatte sie kurz vorher sehr energischen Ausdruck gegeben, indem sie über die größtentheils von Horten herrührenden Anmerkungen zum Codex Theresianus, welche der Commission allerdings anonym mitgetheilt worden waren, deren Verfasser ihr aber kaum unbekannt blieb, in dem Vortrage vom 30. November 1770 aussprach, „daß es dem Verfasser der Anmerkungen durchaus an Einsicht, Gründlichkeit, Rechtserfahrenheit und der so nothwendigen Kenntniß der Länderverfassungen gebreche, um diesem die Grenzen seiner eingeschränkten Begriffe weit übersteigenden Werk mit Grund einige erhebliche Ausstellungen machen zu können“.
Die Stellung, welche man Horten anwies, war der ihm gestellten Aufgabe wenig angemessen. Er war beauftragt, seine Vorschläge zuerst einem staatsräthlichen Comité vorzutragen; soweit sie von diesem gebilligt wurden, gelangten sie an den Staatsrath. Erst das vom Staatsrathe gut geheißene Operat kam mit Genehmigung der Kaiserin der Compilations-Commission zu. In dieser Commission aber nahm Horten, der, um ihn überhaupt der Commission beigeben zu können, zum Regierungsrath befördert worden war, nicht blos äußerlich den letzten Platz ein. Die über seine Anträge gefaßten Beschlüsse sollten nemlich nur dann, wenn sie einstimmig waren, als solche gelten; der Diffens eines einzigen Votanten wurde als genügend angesehen, um eine Anfrage nothwendig zu machen.
Bei dieser Sachlage kann es nicht überraschen, daß die Commission, deren Präsidium im Jahre 1772 an Sinzendorf übergegangen war, die Ueberprüfung
(2) des ihr vorgelegten ersten Theiles des Codex Theresianus nicht sehr beschleunigte. Dieser Aufgabe wurde wochentlich eine kurze Sitzung gewidmet, und Horten zum Vortrage nur dann zugelassen, wenn nicht Holger, welcher mit der Ausarbeitung des vierten Theiles des Codex Theresianus von der Gerichtsordnung betraut war, zu referiren hatte. Nach dem angenommenen Geschäftsgange wurde berechnet, daß die Umarbeitung des Codex Theresianus ein Jahrzehend in Anspruch nehmen werde.
Um den Gang der Arbeiten zu beschleunigen, wurde in einem von Horten, wie es scheint, im Namen des Staatskanzlers verfaßten Vortrage vorgeschlagen, die Vorberathungen im Staatsrathe abzuschaffen und Horten zu ermächtigen, seine Anträge der Compilations-Commission unmittelbar vorzulegen; bei dieser sollte aber ein schriftliches Verfahren eingeführt werden. Der Vorschlag ging dahin, daß jeder Votant seine Bemerkungen über die Anträge des Referenten diesem mittheile, daß dessen Gegenbemerkungen unter den Mitgliedern der Commission in Circulation gesetzt werden, wobei jedes Mitglied innerhalb einer bestimmten Zeit sein definitives Votum beifügen sollte, und daß die Acten sohin über jedes einzelne Capitel mit einem Schlußberichte des Referenten dem Staatsrathe vorgelegt werden.
Diese Vorschläge, welche vor Allem die Stellung Horten´s zu heben bezweckten, wurden von der Kaiserin nur theilweise genehmigt. Sie beseitigte die Vorberathung im Staatsrathe, und verfügte über die Behandlung „deren bei dem von der vorigen Compilations-Commission verfaßten Text vorkommenden Anständen“ in dem Handschreiben vom 31. März 1773: „Wenn nemlich die Erinnerungen nur eine Abänderung in bloßen Worten und in der Schreibart, um den Ausdruck in eine mehrere Deutlichkeit und Kürze zu setzen, betreffen, da kann die Compilations-Commission solche ohne einer an Mich zu stellenden Anfrage auch in jenem Fall beurtheilen und entscheiden, wenn gleich nicht alle Commissions-Mitglieder, sondern auch nur die eminenter Majora damit verstanden sind. Sollten hingegen die Anstände auf solche Stellen einen Bezug haben, die in das Wesentliche der Sachen und in die Festsetzung der Principien einschlagen, alsdann ist zu unterscheiden, ob die eminenter Majora auf die Beibehaltung des von der vorigen Compilations-Commission festgesetzten Principii oder auf dessen Abänderung abgehen. In dem ersten Fall hat es der Einholung Meiner Entscheidung ebenfalls nicht nöthig, sondern die Commission kann alsdann, ohne sich durch den von einige Wenigen erregten Anstand aufhalten zu lassen, das Conclusum nach den Majoribus auf die Beibehaltung der projectirten Anordnung fassen und sodann in der weiteren Erörterung fortfahren; nur müssen in denen von Zeit zu Zeit Mir herauf zu gebenden Protocollis diejenigen Vota namentlich und mit Beisetzung deren von ihnen angebrachten Beweggründen angemerket werden, die auf eine Abänderung angetragen haben. Wenn aber die Majora die Abänderung eines wesentlichen Punktes einrathen, alsdann hat die Commission jedes Malen, und zwar, wenn auch nur ein einziges Votum die Beibehaltung einrathete, den Gegenstand mit Anführung der beiderseitigen Gründen Mir vorzulegen, und um Meine Entscheidung anzulangen.“ Statt des vorgeschlagenen schriftlichen Verfahrens, welches dem Geschäftsgange beim Staatsrathe nachgebildet war, schrieb sie vor, es sei „die Censur des Hortischen Textaufsatzes bei der Commission künftig dahin einzuleiten, daß zwar einem jeden Commissionsmitglied, so wie es dermalen geschieht, eine Abschrift von dem von dem Horten ausgearbeiteten Capitel jedesmalen zugestellet werde; jedoch hat ein jeder Rath zu eben der Zeit, wo er die Ausarbeitung zu Haus durchgehet, zugleich in Ueberlegung zu nehmen und sich mit kurzen Worten aufzuzeichnen, ob und was er etwa bei einem oder dem andern §. anzumerken befinde. Diejenigen §§. hiernach oder auch ganze Capiteln, wo keines der Commissionsgliedern etwas zu erinnern hat, sind in der Sessione nicht mehr, sondern nur solche Stellen abzulesen, welche von Ein- oder Anderem angefochten werden; wobei sich jedoch von selbsten verstehet, daß die zu Haus von den Räthen aufgezeichneten Anstände von
(3) denselben in der Session mündlich vorgetragen, untersuchet und in der hier oben anbefohlenen Art abgethan werden müssen.“
Hieraus erhellt, daß die Kaiserin zwar auf die Absicht einging, die Stellung Horten´s zu heben, daß sie jedoch auch die Schonung der nicht unnatürlichen Empfindlichkeit der älteren Commissionsglieder im Auge behielt. Das Verhältniß zwischen Horten und seinen älteren Collegen scheint übrigens, soweit sich dies nach den vorhandenen spärlichen Bruchstücken von Berathungsprotokollen beurtheilen läßt, bald ein angemessenes geworden zu sein. Der Styl seiner Arbeiten berechtigt zu dem Schlusse, daß er sehr bescheiden war, seine Ueberzeugung zwar ohne Scheu vertrat, jedoch wenig Anlaß bot, principielle Meinungsverschiedenheiten hervorzurufen. Seine ungewöhnliche Arbeitskraft, sein Fleiß, sowie die Sorgfalt und Umsicht, welche alle seine Arbeiten kennzeichnen, mußten allmälig für ihn einnehmen.
Das oben erwähnte Handschreiben schloß mit den Worten: „Uebrigens versehe Mich zu dem erprobten Eifer der Compilations-Commission, daß dieselbe Dasjenige, was sie etwa noch weitershin zu Beförderung des Geschäfts diensam zu sein erachtet, von selbsten fürkehren und überhaupt die Erreichung Meiner Absicht sich nach Kräften angelegen halten werde.“
Das wesentlichste Hinderniß der baldigen Beendigung der Arbeiten lag aber in der Unentschlossenheit, von welcher dasselbe Handschreiben den deutlichsten Beweis dadurch ablegte, daß es zwar anordnete, den vorgelegten ersten Theil, so wie alle folgenden Theile, sofort nach Beendigung eines jeden derselben in das Böhmische und in das Italienische übersetzen zu lassen, die Genehmigung des Gesetztextes jedoch unentschieden ließ.
Nicht behaupten läßt es sich, daß die Aenderung des Geschäftsganges eine wesentliche Beschleunigung der Berathungen zur Folge gehabt habe. Die ersten sieben Capitel der von Horten vorgenommenen Umarbeitung des zweiten Theiles wurden noch im Jahre 1773 erledigt. Nach Verlauf von weiteren drei Jahren waren die Berathungen der Commission nicht einmal bis zur Erledigung des Erbrechts gelangt, und wurden während der Regierung der Kaiserin nicht mehr fortgesetzt. Das Abbrechen dieser Berathungen im Jahre 1776 fiel nahezu zusammen mit der Zurücknahme der Genehmigung, welche dem, nach dem Uebergange des Referates von Holger auf Froidevo, rasch zu Stande gekommenen Entwurfe der Gerichtsordnung bereits ertheilt worden war.
(4) Kein Zeichen verräth, daß die Kaiserin die codificatorischen Arbeiten, an denen sie einst ein so lebhaftes persönliches Interesse genommen hatte, noch im Auge behielt. Alle von ihr unterzeichneten Entschließungen, welche nach der Anordnung der Umarbeitung des Codex Theresianus erwirkt wurden, haben ein rein geschäftsmäßiges Gepräge, und tragen nicht eine Spur der spontanen Aeußerungen an sich, mit welchen sie in früherer Zeit so oft anregend, beschleunigend, tadelnd oder anerkennend eingegriffen hatte.
Die Aenderungen, welche in den Anschauungen der leitenden Kreise seit der Einleitung der Codification des Civilrechtes eingetreten waren, lassen sich daraus erschließen, daß Graf Seilern, der Präsident der obersten Justizstelle, in einem Vortrage vom 30. März 1780 die Besprechung eines preußischen Reglements über die Behandlung von Streitigkeiten zwischen Grundherrn und Unterthanen zum Anlaß nahm, um besonders hervorzuheben, daß dieses Reglement zuerst in Schlesien, in den übrigen Ländern aber erst nachdem es sich in Schlesien bewährt hatte, eingeführt worden sei, und daran tadelnde Anspielungen über den Gang der einheimischen Gesetzgebung zu knüpfen. Der erhobene Vorwurf war dem Wesen nach gegen die Einführung allgemeiner Gesetze gerichtet.
Die am 3. April 1780 herabgelangte kais. Entschließung forderte ein von der obersten Justizstelle im Einvernehmen mit der Hofkanzlei zu erstattendes Gutachten, „wie es künftig mit Einführung neuer Gesetze zu halten sei, um die aus einer voreiligen Universalisirung entstehenden üblen Folgen zu vermeiden“. Diesem Auftrage war die Bemerkung beigefügt, „überhaupt aber dürfte dieses dadurch vielleicht am sichersten erreichet werden, wenn vor Einführung eines neuen Gesetzes jederzeit die betreffenden Landesstellen darüber vernommen würden“.
Der Hofkanzlei schien jede weitere Erörterung der Sache überflüssig und die Nothwendigkeit einer Anordnung zweifellos, „daß einerseits vor Einführung eines Gesetzes jedesmalen die Länderstellen vernommen, andererseits das beschlossene Gesetz nicht sogleich in allen Ländern zur Ausführung gebracht werde“.
Die oberste Justizstelle machte in dem von Keeß gearbeiteten Vortrage vom 5. Juni 1780 detaillirte Vorschläge im Sinne dieser Anschauung und hielt es für angemessen, ihrem Unmuthe über die mangelhafte Vorbereitung der neueren Gesetze und über die Neigung zur Universalisirung sehr lebhaften Ausdruck zu geben. Ihre Ausführungen schlossen mit der Bemerkung, daß die Kaiserin „niemals in ihren Landen eine ordentlich zusammenhangende beharrliche Verfassung erwirken“ könne, wenn nicht die „österreichische und böhmische Direction abgesondert, in jedem Lande aber die Leitung des Politicum mit dem Justizwesen vereinet werde.“
Diese Sprache ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig und hatte zunächst zur Folge, daß die am 22. Juni 1780 herabgelangte kais. Entschließung den bei der Abforderung des Gutachtens ausgesprochenen Gedanken gänzlich fallen ließ, und die Vorschläge, betreffend die Vorbereitung neuer Gesetze, als überflüssig mit der Bemerkung verwarf, die Kaiserin erwarte, daß „die Stellen“ die „ihnen obliegenden Vorsichten beobachten werden“.
Bald nach dem Regierungsantritte des Kaisers Joseph II. verstummten die Gegner der Rechtseinheit, welche früher so lebhaft und entschieden aufgetreten waren. Keeß, der kurz vorher die Universalisirung der Gesetze so energisch bekämpft hatte, übernahm bei Beginn des Jahres 1782 die Mission, bei der Einsetzung
(5) einer Compilations-Commission mitzuwirken, welche zum Zwecke hatte, „in den österreichischen Niederlanden die neuen“ vom Kaiser „für die übrigen k. k. Erbländer beangenehmigten Rechtsgrundsätze“ einzuführen. Er war es, der am 15. Mai 1788 an den Kaiser, als dieser zu Semlin gegen die Türken im Felde lag, eine Eingabe richtete, in welcher er vorschlug, die Absicht, allen Ländern „so viel möglich gleiche Gesetze zu geben“, auch auf Ungarn auszudehnen, und zu diesem Zwecke Räthe der ungarisch-siebenbürgischen Hofkanzlei an den Berathungen der Compilations-Commission Theil nehmen zu lassen.
Die Folgen des Regierungswechsels äußerten sich auch in einer Aenderung der Stellung der Compilations-Commission. Der Präsident derselben hatte in einem von Horten geschriebenen Vortrage dargelegt, daß die Thätigkeit der Commission in letzter Zeit dadurch lahm gelegt worden sei, daß man anstatt über den von ihr beendeten Entwurf der Gerichtsordnung zu entscheiden, eine besondere Deputation zur Ueberprüfung eingesetzt, und über deren Aeußerung weitläufige Verhandlungen zwischen der Compilations-Commission, der Deputation und dem Staatsrathe eingeleitet habe. Zugleich wurde betont, daß ein Resultat der Codificationsarbeiten unerreichbar wäre, wenn auch nach Wiederaufnahme der unterbrochenen Umarbeitung des Codex Theresianus in gleicher Weise vorgegangen werden sollte, wie es hinsichtlich der Gerichtsordnung verfügt worden sei. In der am 25. Jänner 1781 herabgelangten Entschließung ordnete der Kaiser die Auflösung der Deputation an, und wies den Präsidenten derselben Graf Cavriani und ihr, wie es scheint, einflußreichstes Mitglied Keeß der Compilations-Commission zur Ausfüllung der durch Todesfälle entstandenen Lücken zu. Gleichzeitig gab der Kaiser zu erkennen, daß er sich die Entscheidung darüber vorbehalte, ob es im einzelnen Falle einer Berathung im Staatsrathe vor Einholung seiner Entscheidung bedürfe.
Durch diese Verfügungen wurde die Bedeutung und Selbständigkeit der Compilations-Commission wesentlich erhöht. Der Wirkungskreis derselben erfuhr außerdem eine erhebliche Erweiterung in der Richtung, daß sie auch zur Mitwirkung bei der Vorbereitung einzelner legislativer Maßnahmen, welche während der Regierung des Kaisers Joseph II. sehr zahlreich waren, herangezogen wurde.
Die Codification des Civilrechtes trat zunächst in den Hintergrund und blieb während der ganzen Regierungsdauer des Kaisers Joseph II. von relativ untergeordneter Bedeutung. Das größere Gewicht wurde auf die Reform des Strafrechtes und des Strafprocesses, vor Allem aber auf die Einführung der allgemeinen Gerichtsordnung und auf die Umgestaltung der Gerichtsverfassung, beziehungsweise auf die Schöpfung eines Organismus staatlicher Gerichte, gelegt.
(6) Auf dem Gebiete des Civilrechtes wurde den Reformbestrebungen zumeist durch einzelne Gesetze über Gegenstände des Personenrechtes und des Erbrechtes Rechnung getragen. Mit Erfolg bemühte sich die Commission das Zustandekommen von Novellen für einzelne Länder hintanzuhalten, und trat insbesondere dem wiederholten Verlangen, für Galizien Spezialgesetze zu erlassen, entgegen. Derartige Spezialgesetze wurden im Jahre 1782 über Erbrecht, über Verträge und über Verjährung begehrt. Als die Commission sich der Aufgabe nicht entziehen konnte, eine zunächst für Galizien bestimmte Norm über die gesetzliche Erbfolge auszuarbeiten, erwirkte sie, daß sie von ihr vorgeschlagene Successionsordnung als ein allgemeines Gesetz kundgemacht wurde. Sie selbst veranlaßte mehrere namentlich das Eherecht betreffende Novellen, indem sie über die bei der Codification des Civilrechtes durchzuführenden Grundsätze Anfragen stellte, und nach der Entscheidung derselben die vom Kaiser gebilligten Ansichten in Anordnungen verkörperte, welche sofort als allgemeine Gesetze kundgemacht wurden. Mehrere civilrechtliche Novellen, wie über die Anlage von Pupillengeldern, über Fideicommisse, über die bäuerliche Erbtheilung sind auf die Initiative des Kaisers zurückzuführen.
Dem lebhaften Verlangen greifbare Resultate vor sich zu sehen, ist es wohl zuzuschreiben, daß die Commission selbst, welche die Codificationsarbeit unter dem Präsidium Sinzendorf´s am 12. Juni 1782 wieder aufnahm, die bruchstückweise Publication des Civilgesetzbuches vorschlug. Die Rücksicht auf Galizien, von welchem Lande man annahm, daß es auf die Beendigung des ganzen Gesetzbuches nicht warten könne, war mitbestimmend dafür, daß man sich entschied, den ersten Theil des Gesetzbuches, dessen Berathung von der Commission am 5. October 1785 geschlossen worden war, abgesondert zu publiciren.
Vor der Publication waren in dem von der Commission vorgelegten Entwurfe mehrere vom Kaiser angeordnete Aenderungen durchzuführen. Weitere Aenderungen erfuhr der Entwurf nach seiner Genehmigung durch den Kaiser in Folge der an Sonnenfels übertragenen Aufgabe der stylistischen Revision. Diese Revision, welcher der Kaiser regelmäßig auch die unmittelbar von ihm selbst ausgehenden Anordnungen unterziehen ließ, ging über die ihr gesetzten Grenzen hinaus, und hatte zur Folge, daß die Hofkanzlei, welche sich zur Vertreterin der von Sonnenfels befürworteten materiellen Aenderungen machte, die ihr aufgetragene Publication des Gesetzbuches zurückhielt. Es bedurfte eines neuen, am 5. November 1786 herabgelangten kaiserlichen Auftrages, um das Gesetzbuch, dessen Wirksamkeit am 1. Jänner 1787 beginnen sollte, endlich zur Kundmachung zu bringen.
Kurze Zeit vor dieser Publication war Horten gestorben, und die Führung des Referates für die Codification des Civilrechts überging nun auf Keeß, welcher jedoch erklärte, die von Horten zurückgelassene Ausarbeitung des zweiten und des dritten Theiles seinen Anträgen zu Grunde legen zu wollen.
Zunächst erwirkte die Commission durch den Vortrag vom 11. November 1786 eine Aenderung der Eintheilung des Stoffes. Jeder der beiden noch zu bearbeitenden Theile sollte in zwei Abtheilungen zerfallen, welche dem Umfang nach dem ersten Theile nahezu gleich zu kommen hätten. Die erste, sofort in Angriff genommene Abtheilung war dem Erbrecht gewidmet; die Berathungen über dieselbe wurden aber schon im Jahre 1787 abgebrochen.
(7) Auf civilrechtlichem Gebiete hatte sich die Compilations-Commission unter der Regierung des Kaisers Joseph II. nur mehr mit Novellen, und zwar mit Erläuterungen und theilweisen Modificationen der vorausgegangenen Gesetze zu befassen. Unter diesen Novellen erlangten für die Folge eine besondere Bedeutung diejenigen, welche die Anwendung der neuen Reformvorschriften auf fortdauernde unter der Herrschaft des älteren Rechtes begründete Verhältnisse vorschrieben.
Mehrere in jener Zeit erlassene Anordnungen, insbesondere aber diejenigen, welche das eheliche Güterrecht betrafen, und den die Wiederverehelichung begünstigenden Gewohnheiten im Interesse der aus der früheren Ehe abstammenden Kinder entgegenzutreten bezweckten, hatten Unzufriedenheit erregt. Diese Missstimmung wurde dadurch, daß man die neuen Normen zurückwirken ließ, erheblich gesteigert. Auf diese Missstimmung berief man sich, als bald nach dem Tode des Kaisers Joseph II. die Umgestaltung oder vielmehr die Beseitigung der während seiner Regierung geschaffenen Einrichtungen angestrebt wurde.
Diese Bestrebungen bewirkten, daß Kaiser Leopold II. mit dem Handschreiben vom 2. April 1790 die Compilations-Commission auflöste, und anstatt derselben unter dem Vorsitze Martini´s eine neue Commission berief, welcher keines der Mitglieder der früheren Commission beigezogen wurde.
Die Ergreifung dieser Maßregel bildete die Erledigung des letzten - von Keeß verfaßten - Vortrages des Präsidenten der Compilations-Commission, welchen dieser am 18. März 1790 über die Einrichtung und Thätigkeit dieser Commission erstattet hatte. In diesem Vortrage waren als Grundsätze, von welchen die Commission sich leiten ließ, folgende Sätze aufgestellt worden: „a) Allen Provinzen ein einförmiges gleiches Gesetz zu liefern. b) Auf die dermaligen Gesetze oder gesetzlichen Gewohnheiten nur insoweit Rücksicht zu nehmen, als sie der Absicht der Gesetzgebung ganz angemessen waren und sich in ihrer Güte empfehlten. c) Die Gesetzgebung so zu stimmen, wie sie dem Rechte der Natur, Vernunft und Menschheit am nächsten komme, und dem allgemeinen Wohl, so wie dem Endzwecke entstandener Staaten am richtigsten entspreche. d) Nur auf die allgemeinen Verhältnisse des bürgerlichen Lebens und die gewöhnlicheren Fälle die Aufmerksamkeit zu wenden, und mit Vermeidung aller Casuisterei das Gesetz als die allgemeine Richtschnur menschlicher Handlungen darzustellen. e) Von dieser Seite aber das Recht so zu erschöpfen, daß in Subsidium zu keinem andern Gesetze, noch auch zum römischen oder canonischen Rechte die Zuflucht genommen, sondern nur bei dem Landesfürsten die nachträgliche Erklärung gesucht werden dürfe. f) So wie über einen Gegenstand das Gesetz erschien, alle andern in diesen Gegenstand einschlagenden Gesetze und Gewohnheiten als aufgehoben zu erklären.“
Die Würdigung, welche diese Darlegung fand, an die sich die Aufzählung der von der Commission gelieferten Arbeiten reihte, ist am deutlichsten daraus erkennbar, daß die neue Commission, welche um die eingetretene Wendung auch äußerlich zu kennzeichnen, eine andere Benennung, nemlich die einer Hofcommission in Gesetzgebungssachen, erhielt, nicht zur Fortsetzung der Codificationsarbeiten, sondern zur „Untersuchung der bis nun ergangenen Civil-, Criminal-, wie auch der dahin einschlagenden politischen Gesetze und der itzt bestehenden Gerichtsordnung“ berufen wurde.
Die neue Commission war aber keineswegs gewillt, sich zum Organe der auf die Beseitigung aller neuen Einrichtungen abzielenden Bestrebungen, welche
(8) insbesondere in den aus allen Ländern einlangenden Beschwerden der Stände ihre Vertretung fanden, zu machen. Schon in der ersten Sitzung vom 10. April 1790 wurde betont, sie wolle an dem Bestehenden nichts ändern, „was nicht offenbar für das Publicum drückend, und worzu nicht die Unzufriedenheit und Beschwerde desselben die Gerechtigkeit auffordert“.
Dieser Auffassung, welche in den Berathungen der Commission wiederholt zum Ausdruck kam, ist es zuzuschreiben, daß sie keinerlei radicale Aenderungen vorschlug, und nur nach allen Richtungen zu verbessern suchte.
Den dringendsten, das Gebiet des Civilrechtes berührenden Beschwerden, beabsichtigte die Commission zunächst durch eine Novelle, welche den Gegenstand des Patentes vom 22. Februar 1791, J. G. S. Nr. 115, bildet, abzuhelfen, und leitete im Uebrigen die Revision des ersten Theiles des bürgerlichen Gesetzbuches in einer Weise ein, welche sich den Klagen über die Behandlung legislativer Fragen gegenüber entgegenkommend verhielt, dabei aber die Vervollständigung dieses Gesetzwerkes in´s Auge faßte.
Zu diesem Zwecke erwirkte die Commission die Ermächtigung, den Gesetzentwurf in den einzelnen Ländern begutachten zu lassen, als Substrat der Begutachtung aber nicht blos den zu revidirenden ersten Theil des bürgerlichen Gesetzbuches, sondern auch den nur einer oberflächlichen Ueberprüfung zu unterziehenden Entwurf des zweiten und des dritten Theiles, welchen Horten zurückgelassen hatte, zu verwenden. Die am 15. September 1790 herabgelangte kais. Entschließung, welche diese Ermächtigung ertheilte, ist darum bemerkenswerth, weil sie die Wichtigkeit der Rechtseinheit betont, und particulare Anordnungen als Ausnahmen bezeichnet, die nur im Falle der Nothwendigkeit zugelassen werden sollen.
Mit der Einleitung der Begutachtung glaubte die Commission nicht bis zur Beendigung der Vorbereitung des ganzen Gesetzwerkes warten zu sollen, sondern erbat sich nach der Revision des ersten Theiles am 16. Juli 1791, die Erlaubniß, denselben zur Begutachtung zu verschicken. Während die Commission auf die Ertheilung dieser Erlaubniß warten mußte, beschäftigte sie sich mit der Ueberprüfung des Horten´schen Entwurfes des zweiten Theiles, mit welchem sie jedoch nur bis zum 11. Hauptstück gelangte, da die am 29. October 1791 herabgelangte kais. Entschließung einzelne Aenderungen in dem Entwurfe des ersten Theiles anordnete und hinsichtlich mehrerer Punkte die Einleitung neuer Verhandlungen verfügte.
Dieses Stadium der Berathungen gelangte erst nach dem Regierungsantritte des Kaisers Franz II. zum Abschlusse, und der revidirte Entwurf des ersten
(9) Theiles wurde den Appellationsgerichten am 30. April 1792 mit dem Auftrage zugeschickt, die geforderten Gutachten bis zu Ende October 1792 einzuschicken.
Bald nach dem letzten Regierungswechsel trat auch bei der Gesetzgebungscommission eine Aenderung des Personals ein, welche darum bemerkenswerth ist, weil sie der Commission Froidevo und Keeß, also diejenigen zwei Männer wieder zuführte, auf deren Thätigkeit der größte Theil der josephinischen Justizgesetze zurückzuführen ist, und welche deshalb der Gegenstand von Verfolgungen gewesen zu sein scheinen.
Der Einfluß dieser Aenderung machte sich zunächst dadurch fühlbar, daß die großen codificatorischen Aufgaben in den Vordergrund gestellt, und alle Begehren um einzelne Aenderungen unter Hinweisung auf die im Zuge befindlichen codificatorischen Arbeiten zurückgewiesen wurden. Daß der eingetretene Personenwechsel auf eine Aenderung der Ansichten über die einzuschlagende Richtung zurückzuführen sei, erhellt daraus, daß es in der Sitzung der Commission vom 31. März 1792 ausdrücklich betont wurde, daß man sich mit den Entschließungen des Kaisers Joseph II. und mit der Wirksamkeit der früheren Compilations-Commission in Uebereinstimmung setzen müsse. Die eingetretene Wandlung der Ansichten in den leitenden Kreisen ergiebt sich auch daraus, daß es der Commission wiederholt gelang, den Bestrebungen der Stände, auf die Gesetzgebung einen erhöhten Einfluß zu erlangen, mit Erfolg entgegenzutreten. Vergeblich begehrten die Stände von Vorarlberg, in allen Fällen zur Begutachtung von Gesetzentwürfen zugelassen zu werden. Vergeblich war auch das Bemühen, den Ständen, falls ihr Gutachten abgefordert würde, das letzte Wort in den Verhandlungen einzuräumen, so daß ihre Aeußerung der kais. Entschließung unmittelbar hätte vorangehen sollen.
Zur Vorbereitung der das Civilrecht betreffenden codificatorischen Arbeiten wurde ein Auszug aus den über den Entwurf vom Jahre 1792 eingelangten Gutachten verfaßt, auf Grund dessen Keeß am 13. Juli 1793 seine Anträge zu stellen begann, welche nicht über den Rahmen von Amendements hinausgingen. Den folgenden Berathungen wurde aber ein von Martini verfasster Entwurf zu Grunde gelegt, welcher sich als eine redactionelle Umgestaltung der vorausgegangenen Entwürfe darstellt. Die Berathungen der Commission über den ersten Theil schlossen mit dem Jahre 1793 ab; das Ergebniß derselben beschloß die Commission am 3. Mai 1794 dem Kaiser mit der Bitte um Ertheilung der Sanction vorzulegen. Hierbei wurde die Ansicht ausgesprochen, daß der erste Theil sofort zu publiciren wäre, daß man jedoch mit der Fortsetzung der Publication zu warten hätte, bis der zweite und der dritte Theil beendet sein würden.
(10) Der obersten Verwaltungsbehörde, welche jetzt, wie zur Zeit des Beginnes der Regierung der Kaiserin Maria Theresia, den Titel Directorium führte, gelang es jedoch zu bewirken, daß der Kaiser, anstatt über das ihm vorgelegte Operat eine meritorische Entscheidung zu fällen, mit dem Handschreiben vom 21. Juli 1794 die Ueberprüfung des Gesetzentwurfes durch eine beim Directorium aus höheren Verwaltungsbeamten zu bildende Commission anordnete.
Diese Commission, welche mehr als ein Jahr verstreichen ließ, ehe sie am 30. November 1795 zur ersten Sitzung zusammentrat, verwarf die Absicht einer stückweisen Publication des Gesetzbuches, und setzte sich die gänzliche Umgestaltung des ihr vorgelegten Entwurfes des ersten Theiles zum Ziele.
Aus wiederholten, bei den Berathungen gemachten Aeußerungen erhellt, daß man diesem Entwurfe, unter Hinweisung auf die Gräuel der französischen Revolution, seine rationalistische Färbung zum besonderen Vorwurfe machte. Neben dieser, wie es scheint, allgemein getheilten Auffassung machte sich auch eine particularistische Tendenz geltend. Dieselbe war insbesondere durch Fechtig vertreten, welcher förmliche Verwahrung dagegen erhob, daß der vorgelegte Entwurf für die Vorlande zum Gesetze erhoben werde. Die am weitesten gehenden Anträge auf Umgestaltung des zu prüfenden Entwurfes rührten von Sonnenfels her, welcher eine Erweiterung der Ingerenz der politischen Verwaltung anstrebte, und für die oberste Verwaltungsbehörde auch den Beruf zur Ausarbeitung von Justizgesetzen, deren Entwürfe von Juristen nur zu revidiren wären, in Anspruch nahm.
Die Einsetzung dieser Revisionscommission übte auf die Gesetzgebungscommission einen sehr herabstimmenden Einfluß; Martini gab in der Sitzung vom 2. August 1794 seinem Unmuthe über die Hindernisse, welche das Directorium dem Fortgange der Codificationsarbeiten in den Weg lege, in herben Worten Ausdruck, und lehnte es ab, die Grundlage für die Berathungen über die noch fehlenden Theile des Gesetzbuches vorzubereiten. Er änderte jedoch diesen Entschluß, so daß die am 11. Juli 1795 wieder begonnenen Berathungen auf Grund seiner Entwürfe stattfinden konnten.
Vor dem Ende des Jahres 1796 hatte die Commission den Entwurf des zweiten und des dritten Theiles beendet, während die Prüfungscommission nicht über das dritte Hauptstück des ersten Theiles hinausgekommen war.
In Ausführung eines schon zur Zeit der Einsetzung der Revisionscommission gefaßten Beschlusses versuchte die Gesetzgebungscommission in dem Vortrage vom 20. October 1796 dem Kaiser vorzustellen, daß die Coëxistenz von zwei Commissionen den Abschluß der Arbeit in eine unabsehbare Ferne rücke, und schlug zugleich vor, den nun vollständigen Entwurf des Gesetzbuches in den einzelnen Ländern begutachten, die einlangenden Gutachten aber durch eine einzige Commission bearbeiten zu lassen. Der Kaiser ging auf diesen Vorschlag zwar ein, zur Leitung der neu gebildeten Gesetzgebungscommission wurde jedoch Martini, dessen Kränklichkeit betont wurde, nicht mehr berufen.
(11) Ehe noch die vom Kaiser gestattete Versendung des Entwurfes des bürgerlichen Gesetzbuches an die in den einzelnen Ländern eingesetzten Commissionen stattfand, ist dieser Entwurf am 13. Februar 1797 für Westgalizien als Gesetz eingeführt worden; bald darauf, und zwar am 18. September 1797, wurde seine Wirksamkeit auf Ostgalizien ausgedehnt. Die Ermächtigung hiezu hatte die oberste Justizstelle ohne Ingerenz der Gesetzgebungscommission erwirkt. Als Veranlassung diente eine Aeußerung, welche die oberste Justizstelle in dem im Einvernehmen mit dem Directorium erstatteten Vortrage vom 5. März 1796 über die „dem Justizeinrichtungscommissär“ in Westgalizien zu ertheilende Instruction gemacht hatte. Diese vom Kaiser genehmigte Aeußerung ging dahin, „daß mit den bisher verbesserten Judicialgesetzen, soweit die Hofcommission in Gesetzsachen damit zu Stande gekommen ist, in Westgalizien ein Versuch gemacht“ werden dürfte. Zur Zeit als diese Aeußerung gemacht wurde, konnte sie auf den Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuches nicht bezogen werden, da dessen erster Theil einen Gegenstand der Ueberprüfung und der lebhaften Anfechtung bei der Revisionscommission des Directoriums bildete, die beiden anderen Theile aber noch nicht einmal bei der Gesetzgebungscommission durchberathen waren.
Diese Art des Abschlusses der vor beiläufig einem Vierteljahrhundert angeordneten Umarbeitung des Codex Theresianus dürfte für Alle, die an den Codificationsarbeiten betheiligt waren, unerwartet gewesen sein.
Die nahezu ein Menschenalter umfassende Arbeitsperiode war an Wandlungen aller Art überreich, und unterscheidet sich merklich von der Periode, welche der Ausarbeitung des Codex Theresianus gewidmet war.
Die Würdigung der Forderung der Rechtseinheit, welche den Ausgangspunkt der Codificationsarbeiten bildete, hatte sich innerhalb dieser Periode viermal geändert; jede Aenderung trug aber zur schließlichen Befestigung der Erkenntniß der Nothwendigkeit der Rechtseinheit bei. Stetige Fortschritte machte die Verbreitung der Forderung der Rechtsgleichheit. Dasselbe gilt von der Erhöhung der staatlichen Gewalt gegenüber den übrigen das menschliche Leben beherrschenden Mächten. Fast gleichen Schritt hiermit hielt die Erweiterung der Selbständigkeit des Individuums; die wichtigste Aenderung in dieser Richtung vollzog sich durch die - außerhalb des Bereiches der Justizgesetzgebung bewirkte - Lockerung der persönlichen und wirthschaftlichen Abhängigkeit, in welcher die bäuerliche Bevölkerung gegenüber dem Grundadel stand.
Die Schwankungen in den Anschauungen der leitenden Kreise blieben auf den Proceß der socialen Umgestaltung ohne erheblichen Einfluß; sehr fühlbar war dagegen der Einfluß dieser Schwankungen auf das Verhalten der an den Codificationsarbeiten betheiligten Organe. An die Stelle hoffnungsfroher Arbeitslust trat oft Ermüdung und Abspannung; neben selbstloser Opferwilligkeit wird die Wahrung egoistischer Interessen, das Ringen nach persönlichem Einfluß wahrnehmbar.
Es fehlt allerdings nicht an Beispielen von Gewissenhaftigkeit und Aufrichtigkeit. Zur Zeit des Kaisers Joseph II. und auch später kam es öfter vor, daß Vorstellungen
(12) gegen die vom Kaiser ausgesprochenen Intentionen erhoben wurden; allein diese Fälle vermindern sich allmälig. Der Eifer, der Sache zu dienen, lebt bei Männern, wie Horten, Froidevo, Martini, Haan ungeschwächt fort, aber er wird seltener von Erfolg gekrönt, und ermattet darum nach und nach bei Anderen. Dagegen mehren sich die Fälle, in denen man aus manchen Aeußerungen den Wunsch zu gefallen oder die Furcht zu mißfallen herausfühlen kann. Hiermit im Einklange steht es, daß der Werth der einzelnen Meinung und ihrer Gründe, so wie das Maß der Beachtung, welche dem einzelnen Rathgeber zu Theil wird, merklich abnimmt. Dies hatte zur Folge, daß das Vertrauen in die Sachkenntniß und Einsicht der mit der Vorbereitung der Justizgesetze betrauten Personen bei der Entscheidung über ihre Arbeiten von relativ geringem Gewichte war. Lange, mühsame, mit großem Eifer betriebene Verhandlungen blieben resultatlos; auf Perioden hastiger Arbeit folgten lange Pausen; momentane Impulse, zufällige Anlässe reichten dagegen oft hin, um tief einschneidende Neuerungen zu Stande zu bringen. Dem Gange der Gesetzgebung fehlte es an Stetigkeit.
Die Wirkungen dieses Mangels wurden durch die Consequenzen verstärkt, die aus der vollständigen Isolirung entspringen mußten, in welcher sich die mit der Vorbereitung der Justizgesetze betrauten Organe befanden. Dieser Isolirung, welche durch die naturrechtlichen Anschauungen jener Zeit gefördert wurde, ist es zum großen Theile zuzuschreiben, daß man bei der Vorbereitung der Gesetze nicht zu einer klaren Erkenntniß der Verhältnisse und Bedürfnisse, für welche gearbeitet wurde, gelangen konnte, und daß der nothwendige Zusammenhang zwischen der Vorbereitung der Gesetze, der Entscheidung über die gemachten Vorschläge und der Durchführung beschlossener Reformen mangelte.
Der zur Zeit des Kaisers Joseph II. beobachtete Vorgang, bei der Visitation der Gerichte, nicht blos den äußeren Geschäftsgang, sondern die Art der Anwendung der Gesetze zu prüfen und wahrgenommenen irrigen Auffassungen sofort entgegenzutreten, wurde nicht fortgesetzt und durch keine andere Maßregel ersetzt, welche geeignet gewesen wäre, die Kenntniß des Zweckes der eingeführten Neuerungen und der den einzelnen gesetzlichen Bestimmungen zu Grunde liegenden Absicht für die Zeitgenossen lebendig zu erhalten, und auf die folgenden Generationen zu verpflanzen.
Unter diesen Umständen lag die Gefahr nahe, daß die Praxis einer Richtung folge, welche das Wort weniger als Träger eines Gedankens, denn als Schranke des Denkens auffaßt, und daß die Bestrebungen, von welchen die große Kaiserin geleitet war, als sie die codificatorischen Arbeiten anordnete, so wie die diesen Bestrebungen entgegengesetzten Hindernisse in Vergessenheit gerathen. Es verdiente vielleicht eingehend untersucht zu werden, was zur Verhütung dieser Gefahr geschah, so wie ob man in der Gegenwart wider ähnliche Gefahren völlig gesichert sei.
Wien, im April 1882.
(13) Codex Theresianus
nach dem Entwurfe Horten´s.