Einführung in die
Rechtswissenschaft
Grundbegriffe
und Grundlagen
fünfte
Auflage
Gerhard
Köbler
Gerhard
Köbler
Einführung
in die Rechtswissenschaft
Grundbegriffe
und Grundlagen
©2010 Studia
Universitätsverlag, Herzog-Siegmund-Ufer 15, 6020 Innsbruck
Druck und
Buchbinderei: Studia Universitätsbuchhandlung und -verlag
Printed in
Austria 2011
Alle Rechte,
insbesondere das Recht der Vervielfältigung, der Verbreitung, der Speicherung in
elektronischen Datenanlagen sowie der Übersetzung, sind vorbehalten.
Einführung in die Rechtswissenschaft
Vgl. Köbler,
Gerhard, Wie werde ich Jurist? - Eine Einführung in das Studium des
Rechts, 5. Auflage 2006;
Fachwörterbuch Einführung in die Rechtswissenschaften, hg. v. Piska, C. u. a.,
2009
Vorwort
Seit vielen Jahrhunderten wird in
Europa Rechtswissenschaft gelehrt. Hunderttausenden von werdenden Juristen hat
das dafür nötige Lernen Verständnisschwierigkeiten bereitet. Sie zu lindern,
ist das Ziel dieser Einführung in die Rechtswissenschaft.
Sie schildert jedem Interessierten
leicht verständlich die Ausbildungsorganisation, den Ausbildungsablauf, die
Ausbildungsveranstaltungen, die Ausbildungsmaterialien und die
Ausbildungsfächer.
Sehr verpflichtet bin ich allen, die
mich hierbei unterstützt haben. Sehr danken werde ich für alle künftigen
Anregungen und Empfehlungen. Möge durch vorbehaltlose Zusammenarbeit
gemeinsames Wissen bestmöglich gefördert werden.
Gerhard Köbler
Inhaltsverzeichnis
§ 1 Einführung
A) Jurist
B) Wissenschaft
C) Universität
D) Studium
E) Prüfungen
F) Lehrveranstaltungsplan
G) Lehrveranstaltungsprüfung
H) Literatur
§ 2 Recht
A) Wesen
B) Dimensionen
C) Arten
D) Gestalt
E) Anwendung
F) Quelle
§ 3 Verfassung
A) Verfassung im Alltagleben
B) Wesen
C) Arten
D) Einzelfälle
I. Vereinte Nationen
II. Europäische Union
III. Österreich
1. Allgemeine Bestimmungen
2. Gesetzgebung des Bundes
3. Vollziehung des Bundes
4. Gesetzgebung und Vollziehung der
Länder
5. Selbstverwaltung
6. Rechnungs- und Gebarungskontrolle
7. Garantien
8. Volksanwaltschaft
9. Schlussbestimmungen
10. Zusätzliche
Bundesverfassungsgesetze und zusätzliche Verfassungsbestimmungen
11. Grundrechte
IV. Land (z. B. Tirol)
§ 4 Verwaltung
A) Rechtswirklichkeit
B) Wesen
C) Arten
D) Rechtsgrundlagen
E) Verwaltungsorganisation
F) Verwaltungshandeln
§ 5 Verfahren
A) Rechtswirklichkeit
B) Wesen
C) Organisation
D) Zivilverfahren
E) Strafverfahren
F) Außerstreitverfahren
G) Grundsätze des Verfahrensrechts
§ 6 Straftat
A) Rechtswirklichkeit
B) Arten
C) Vorsatzbegehungserfolgsdelikt
D) Sonderfragen
E) Rechtsfolge
F) Strafzweck
G) Einzelne Straftatbestände
§ 7 Person
A) Privatrecht
B) Natürliche Person
C) Juristische Person
D) Entstehung von Rechten und
Pflichten
§ 8 Schuld(verhältnis)
A) Rechtswirklichkeit
B) Wesen
C) Arten
D) Entstehung
E) Inhalt
F) Störungen
G) Beendigung
H) Einzelne Schuldverhältnisse
I) Verwirklichung
§ 9 Sache
A) Rechtswirklichkeit
B) Wesen
C) Arten
D) Einzelfälle
I. Besitz
II. Eigentum
III. Beschränkte dingliche Rechte (z.
B. Pfandrecht)
§ 10 Familie, Erbe, Unternehmen,
Arbeit, Erfindung
A) Familie
I. Ehe
II. Kind
B) Erbe
C) Unternehmen (Handel)
I. Unternehmer
II. Gesellschaft
III. Unternehmensbezogenes Geschäft
D) Arbeit
E) Erfindung
Abkürzungsverzeichnis (in Österreich ohne Punkte, bei
Gesetzeskurznamen ohne Punkte)
A. Auflage (oder s. Aufl.)
a. A. anderer
Ansicht
a. a. O. am angegebenen Ort (möglichst vermeiden)
ABGB (Österreichisches)
Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch
Abh. Abhandlungen
ABl. Amtsblatt
Abs. Absatz
a. E. am
Ende
a. F. alte
Fassung
AG Ausführungsgesetz;
Amtsgericht; Aktiengesellschaft
AGB Allgemeine
Geschäftsbedingungen (möglichst vermeiden)
AktG Aktiengesetz
Alt. Alternative
a. M. anderer
Meinung
AmtsG Amtsgericht
(Deutschland)
Anm. Anmerkung
(oder Fußnote)
Art. Artikel
AT Allgemeiner
Teil (nur in Fußnoten gebrauchen)
Aufl. Auflage
(oder s. A.)
Az. Aktenzeichen
B Bundes
Bd. Band
bestr. bestritten
Bf. Beschwerdeführer
BG Bezirksgericht
(Österreich)
BGB Bürgerliches
Gesetzbuch (Deutschland)
BGBl. Bundesgesetzblatt
BGH Bundesgerichtshof (Deutschland)
BT Besonderer
Teil (nur in Fußnoten gebrauchen)
BVerfG Bundesverfassungsgericht (Deutschland)
cc code
civil (Frankreich)
c. i. c. culpa in contrahendo (vermeiden)
ders. derselbe
(vermeiden)
Diss. Dissertation
Dr. Doktor
(lat. doctor, M., Lehrer)
Dres. Doctores
(= Plural)
DVO Durchführungsverordnung
E Entscheidung(en),
Entwurf
ebda ebenda
EG Einführungsgesetz
EheG Ehegesetz
Einl Einleitung
EuGH Gerichtshof
(der Europäischen Union)
f. folgende
Seite (, folgender Paragraph usw.)
ff. folgende
Seiten (, folgende Paragraphen usw.)
Fn. Fußnote
(oder Anmerkung)
FS Festschrift
GBl. Gesetzblatt
GBO Grundbuchordnung,
Grundbuchsordnung (in Österreich)
GG Grundgesetz
(Deutschland)
GmbH Gesellschaft
mit beschränkter Haftung(, GesmbH in Österreich)
GVBl Gesetz-
und Verordnungsblatt
H. Hälfte
h. A. herrschende
Ansicht
HGB Handelsgesetzbuch
hg. herausgegeben
h. L. herrschende
Lehre
h. M. herrschende
Meinung
Hs. Halbsatz
i. d. F. in der Fassung
IPR Internationales
Privatrecht (vermeiden)
JuS Juristische
Schulung
KG Kommanditgesellschaft
KJB Karlsruher
Juristische Bibliographie
KVK Karlsruher
Virtueller Katalog http://www.ubka.uni-karlsruhe.de/kvk.html
LG Landgericht
(, in Österreich Landesgericht)
Mat. Materialien
MBl. Ministerialblatt
m. w. N. mit weiteren Nachweisen
Nachw. Nachweis
n. F. neue
Fassung
N. F Neue
Folge
NJW Neue
Juristische Wochenschrift
OGH Oberster
Gerichtshof (in Österreich)
OHG offene
Handelsgesellschaft
OLG Oberlandesgericht
OVG Oberverwaltungsgericht
Rdz. Randziffer
RG Reichsgericht
RGBl. Reichsgesetzblatt
Rspr. Rechtsprechung
s. siehe
S. Seite,
Satz
St Strafsachen,
s. BGH, RG
StA Staatsanwalt(schaft)
(vermeiden)
StGB Strafgesetzbuch
StPO Strafprozessordnung
str. streitig
stRspr. ständige Rechtsprechung
StVG Straßenverkehrsgesetz
StVO Straßenverkehrsordnung
unstr. unstreitig
VA Verwaltungsakt
(vermeiden)
VfGH Verfassungsgerichtshof
(in Österreich)
VGH Verwaltungsgerichtshof
vgl. vergleiche
VO Verordnung
Z Zivilsachen,
s. BGH, RG
ZPO Zivilprozessordnung
Wer Rechtswissenschaft studieren will,
weiß meistens nicht, was ihn erwartet, weil er vor dem Studium des Rechts weder
Wissenschaft noch Recht wirklich kennt. Deswegen soll ihm eine Einführung die
wichtigsten Grundgegebenheiten aufzeigen. Sie kann dadurch einfache
Grundstrukturen legen und einprägen helfen, damit beliebige Einzelheiten bei
späterer Vertiefung ohne weiteres in ein festes Grundgerüst sicher und leicht
eingeordnet werden können.
Literatur: Handbuch der Universitäten
und Fachhochschulen, Bundesrepublik Deutschland, Österreich, Schweiz, 18. A.
2008, e-book 2010
§ 1 Einführung
A) Jurist
B) Wissenschaft
C) Universität
D) Studium
E) Prüfungen
F) Lehrveranstaltungsplan
G) Lehrveranstaltungsprüfung
H) Literatur
Spätestens am Beginn des Studiums der
Rechtswissenschaft kann sich der Interessent nicht nur fragen, was
Rechtswissenschaft überhaupt ist, sondern auch, warum er Rechtswissenschaft
studieren will. Der Grund hierfür kann eine primäre, nicht weiter
hinterfragbare Zuneigung zu Gerechtigkeit und Recht sein (Primärmotivation).
Meist beruht das Interesse aber auf den Sekundärmotivationen von Geld, Ansehen,
Macht und Verhältnis von Aufwand und Ertrag.
A) Jurist
Es gibt etwa 500 Millionen Einwohner
in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, davon rund acht Millionen
Österreicher. Es gibt etwa 1 Million Juristen in Europa, davon mehr als 30000
in Österreich. In Frankfurt am Main ist etwa jeder hundertste Einwohner Jurist.
Wer ist Jurist?
Jurist ist, wer ein Studium der
Rechtswissenschaft an einer Universität erfolgreich abgeschlossen hat. Volljurist
ist er, wenn er auch noch eine für die praktische Ausübung eines juristischen
Berufs (z. B. Richter, Staatsanwalt, Verwaltungsjurist, Notar, Rechtsanwalt)
notwendige praktische Ausbildung erfolgreich durchlaufen hat. Weder Jurist noch
Volljurist sind aber rechtlich geschützte Titel.
Was tut ein Jurist?
Er lauscht in Bezug auf Rechtsfragen
dem Sprechen anderer Menschen oder liest Schriften anderer Menschen und fragt
und antwortet dabei je nach Bedarf und Möglichkeit. Er entscheidet über die
Anwendung allgemeiner Rechtssätze auf einzelne Geschehnisse und begründet seine
Entscheidungen. Dies geschieht meist kurz mündlich und danach oft noch
ausführlich schriftlich, so dass der Jurist insgesamt meist hört, sieht, denkt,
spricht oder schreibt.
I. Richter
Herkömmlicherweise das größte Ansehen
unter den Juristen hat der als solcher bereits dem griechisch-römischen
Altertum bekannte Richter (lat. iudex). Seine Aufgabe ist die Entscheidung
eines Streites an Hand des vom Volk unmittelbar oder mittelbar geschaffenen
Rechts im Namen der Allgemeinheit, des Staates oder des Volkes (z. B.
Österreichs, Deutschlands, der Schweiz, Frankreichs oder Italiens). Wichtigste
Aufgabe ist der Erlass einer Entscheidung bzw. das Fällen eines Urteils, durch
das unter den Beteiligten grundsätzlich verbindliches Recht ermittelt bzw.
geschaffen wird.
Der Richter ist das im Rahmen
der objektiven Geschäftsverteilung zuständige Organ des Staates zur
unabhängigen Entscheidung von Streitigkeiten zweier Parteien. Er ist kein Beamter,
sondern von Vorgesetzten grundsätzlich unabhängig. Er unterliegt deshalb bei
seiner Rechtsanwendung keinen Weisungen eines Vorgesetzten und kann
grundsätzlich nicht abgesetzt und auch nicht versetzt werden.
Richter gibt es in ganz Europa. In
Österreich betrug die Zahl der Richterplanstellen 2009 (nicht vollständig
besetzt) 1621, so dass sich ihre Zahl auf etwa 1700 schätzen lässt. Im
Durchschnitt ist damit ein Richter für rund 5000 Staatsbürger zuständig.
II. Staatsanwalt
Der etwa seit der französischen
Revolution (1789) bekannte, aus Frankreich kommende Staatsanwalt ist das
für das Verfahren des Staates (Volkes, Allgemeinheit) gegen einen einer
Straftat (hinreichend) verdächtigen Einzelnen zuständige Staatsorgan. Der Staatsanwalt
ist Beamter und deshalb an die Weisungen seines Vorgesetzten (z. B. des
Justizministers) gebunden. Den Staatsanwalt gibt es in ganz Europa (in
Österreich etwa 320, so dass dort ein Staatsanwalt für rund 25000 Staatsbürger
zuständig ist).
III. Verwaltungsjurist
Verwaltungsjurist ist der seit dem Spätmittelalter zur
Ausführung der Verwaltungsaufgaben des Staates zuständige Jurist (z. B. im
Justizministerium, in Österreich in der Finanzlandesdirektion oder in der
Bezirkshauptmannschaft). Der Verwaltungsjurist ist weisungsgebundener Beamter
und letztlich vom jeweiligen Fachminister abhängig. Verwaltungsjuristen gibt es
im Wettbewerb mit anders ausgebildeten Verwaltungsbediensteten in allen
staatlichen Verwaltungen in unbekannter Zahl.
IV. Notar
Notar ist in Nachfolge römischer Schreiber
seit dem Hochmittelalter der staatlich bestellte, mit öffentlichem Glauben
ausgestattete Amtsträger für Beurkundungen wichtiger Rechtsgeschäfte (z. B.
Testamente, Grundstückskaufverträge, Gesellschafterbeschlüsse). Der Notar ist
zugleich Amtsperson und (freier) Unternehmer. Notare gibt es in ziemlich
beschränkter Zahl in ganz Europa als Nurnotare oder als Rechtsanwaltsnotare
(gleichzeitig Rechtsanwalt und Notar). In Österreich amtieren (2010) etwa 500
(Nur-)Notare, so dass ein Notar für etwa 16000 Staatsbürger zuständig ist und
österreichweit jährlich im Durchschnitt etwa 20 Stellen zu besetzen sind.
V. Rechtsanwalt
Rechtsanwalt ist seit dem Spätmittelalter der
Berater und Vertreter in rechtlichen Angelegenheiten innerhalb eines vor
Gericht rechtshängigen Rechtsstreits wie außerhalb eines solchen Rechtsstreits.
Der Rechtsanwalt übt (wie etwa der Arzt, Architekt oder Steuerberater) einen
freien Beruf aus, weshalb er einerseits das Unternehmerrisiko trägt und
andererseits Unternehmergewinne erzielen kann, wobei zwecks Sicherung von
Rechtspflege und Rechtsanwaltschaft durch Recht (z. B. Zivilprozessordnung)
festgelegt ist, dass bedeutendere Rechtsstreitigkeiten vor Gericht nur mittels
Rechtsanwälten ausgetragen werden dürfen (Rechtsanwaltszwang).
Rechtsanwälte gibt es in ganz Europa (in Österreich im Jahre 1970 2000, 1980
2200, 1990 2900, 2000 4000, 2006 5000, Ende 2009 5414).
VI. Wirtschaftsjurist
Wirtschaftsjurist ist der vielleicht seit der frühen
Neuzeit als (angestellter) Berater eines Unternehmers tätige Jurist. Er ist
grundsätzlich unselbständig und steht im Wettbewerb etwa mit
Wirtschaftswissenschaftlern oder Gesellschaftswissenschaftlern. Es gibt ihn in
ganz Europa in nicht allgemein bekannter Zahl.
Vom Wirtschaftsjuristen zu trennen ist
der nur im Wirtschaftsrecht ausgebildete Nichtjurist. Der bloße
Wirtschaftsrechtler konnte jahrelang grundsätzlich keinen klassischen
Juristenberuf ausüben, aber die Arbeitsmarktlage für die juristischen Berufe
durch seinen Ausschluss zumindest kosmetisch verbessern, weil jeder
Nurwirtschaftsrechtler grundsätzlich ein Konkurrent weniger auf dem
Arbeitsmarkt für Juristen ist. Er wird seit etwa 1990 regelmäßig nur an
Fachhochschulen oder zwecks Absicherung andernfalls gefährdeter Ausbildungskapazitäten
in besonderen Studiengängen (z. B. in Innsbruck Diplomstudium, Wien
Bachelorstudium, Masterstudium) ausgebildet und erfüllt seit 2009 die
Voraussetzungen des § 3 der Rechtsanwaltsordnung Österreichs, so dass das
Studium des Wirtschaftsrechts den Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts eröffnet
(Editorial AnwBl 2009, 301).
VII. Rechtslehrer
Rechtslehrer ist seit dem Beginn der
Rechtswissenschaft im 12. Jahrhundert der die Rechtswissenschaft in Lehre und
Forschung betreuende (staatliche) Bedienstete. Rechtslehrer gibt es an vielen
(400?) Universitäten in ganz Europa. Ordentliche Professoren der
Rechtswissenschaft als bis zu ihrem Tode zu Lehre und Forschung berechtigte,
aber ab Emeritierung (mit 68 Jahren) nicht mehr verpflichtete Beamte (alle
bisherigen Rechte, keine Pflichten) gab es in Österreich zuletzt vielleicht
200, die naturgemäß in den kommenden Jahrzehnten sterben und durch (einfache)
Professoren als Angestellte ersetzt werden.
Daneben gibt es ohne allgemeine
Transparenz zahlreiche, ganz unterschiedlich qualifizierte Dozenten,
Assistenten (Assistenzprofessoren) und Lehrbeauftragte sowie
Studienassistenten.
VIII. Sonstige juristische Tätigkeiten
In den Grenzbereichen zu anderen
Wissenschaften wie z. B. Medizin, Medien, Sport gibt es seit dem 20.
Jahrhundert Marktnischen für besonders interessierte und erfahrene Juristen.
Mit der weiteren Verrechtlichung des menschlichen Lebens wird ihre Zahl
zunehmen. Eine besondere Ausbildung erfolgt bisher nur in zusätzlichen
(vielfach außeruniversitären) Lehrgängen.
IX. Ausbildung
1. Studium
Die Tätigkeit als Jurist setzt ein
mindestens vierjähriges Studium der Rechtswissenschaft (an einer der
fünf juristischen Fakultäten Österreichs in Wien, Graz, Innsbruck, Salzburg
oder Linz) voraus. Dabei ist ein detaillierter Studienplan mit zahlreichen
Einzelprüfungen zu beachten. Wer alle vorgeschriebenen Prüfungen besteht,
erwirbt den akademischen Grad eines Magisters der Rechtswissenschaft.
Die Zahl der wohl seit etwa 2005
mehrheitlich weiblichen Studienanfänger der Rechtswissenschaft ist groß. Durch
das Doppelstudium von Rechtswissenschaft und Wirtschaftsrecht mit
weitgehenden Anrechnungsmöglichkeiten lässt sie sich sogar bis zur Verdoppelung
leicht erhöhen. Anschließend ist ein besonderes, allgemein der Verwissenschaftlichung
und individuell der Persönlichkeitsentwicklung dienendes, zunehmend ohne
wirkliche Not reglementiertes, auf zwei (oder in Innsbruck seit Wintersemester
2009/2010 auf drei) Jahre angelegtes Doktoratsstudium zwecks Erwerbs des
Grades eines Doktors der Rechtswissenschaften möglich, aber für eine
Berufstätigkeit außerhalb einer Tätigkeit als Rechtslehrer nicht wirklich
nötig.
2. Praktische Berufsausbildung
Im Anschluss an das erfolgreiche Studium
der Rechtswissenschaft besteht anders als in Deutschland, das eine erste
juristische Staatsprüfung als Eingangsprüfung in eine gemeinsame praktische
Ausbildung von zwei Jahren bei unterschiedlichen Ausbildungsstellen und eine
zweite juristische Staatsprüfung als Abschlussprüfung ohne Arbeitsplatzgarantie
kennt, in Österreich keine weitere einheitliche praktische Ausbildung für alle
juristischen Berufe. sondern sind unterschiedliche Weiterqualifikationswege
eingerichtet.
a) Richter
Den besten Einblick in die Tätigkeit
als Richter gibt das mindestens 9 Monate dauerndes„Gerichtsjahr“, das
jeder Magister der Rechtswissenschaft auf Antrag durchlaufen kann, wofür er
sich bei dem zuständigen Oberlandesgericht bewerben kann (z. B.
Oberlandesgericht Innsbruck, Maximilianstraße 4, A 6020 Innsbruck). Möchte ein
Bewerber tatsächlich später Richter werden, sollte er bereits in seinem Antrag
auf Zulassung hierauf besonders hinweisen.
Während des Gerichtsjahrs werden die
Rechtspraktikanten in verschiedenen Abteilungen für den Entwurf von Beschlüssen
oder Urteilen und als Schriftführer eingesetzt. Noten und Beurteilungen durch
die Ausbildungsrichter sind für die auf Antrag anschließend mögliche Übernahme
als Richteramtsanwärter bedeutsam. Die diesbezügliche Ernennung geschieht
durch den Justizminister (http://www.bmj.gv.at/internet/html/default/home) auf
Grund einer Aufnahmeprüfung und eines psychologischen Eignungstests.
Im Richteramtsanwärterdienst erfolgt
eine vierjährige praktische Ausbildung an verschiedenen Gerichten, bei der
Staatsanwaltschaft und einem Rechtsanwalt oder Notar, die durch Kurse und
Seminare ergänzt wird. Am Ende steht eine schriftliche und mündliche
Richteramtsprüfung, die bei Nichtbestehen einmal wiederholt werden kann. Nach
erfolgreicher Prüfung kann sich der Absolvent um eine freie Planstelle bei
einem Gericht bewerben.
b) Staatsanwalt
Voraussetzung für eine Tätigkeit als Staatsanwalt
ist die Ernennung auf eine Planstelle als Richter. In der anschließenden
staatsanwaltschaftlichen Tätigkeit wird jede Entscheidung zunächst von einem
dienstälteren Staatsanwalt überprüft (Vollrevision). In allmählicher Lockerung
endet die Überprüfung etwa nach zehn Jahren, doch bleibt die
Weisungsgebundenheit gegenüber der vorgesetzten Behörde auf Dauer bestehen.
c) Rechtsanwalt
Voraussetzung für die Tätigkeit als
Rechtsanwalt, für welche die besondere Rechtsanwaltsordnung gilt, ist ebenfalls
das praktische Gerichtsjahr. Es wird auf die mindestens fünf Jahre dauernde
praktische Berufsausbildung als (freiwillig angestellter) Rechtsanwaltsanwärter
(Konzipient) angerechnet, die während mindestens dreier Jahre in der
Kanzlei eines dazu freiwillig bereiten (z. B. befreundeten oder verwandten)
Rechtsanwalts durchgeführt werden muss. Nach Bestehen der Rechtsanwaltsprüfung
und Bejahung der Vertrauenswürdigkeit kann der Absolvent eine Kanzlei als
Rechtsanwalt eröffnen oder als Rechtsanwalt in eine bereits bestehende Kanzlei
eines Rechtsanwalts (als Angestellter oder am Erfolg beteiligter Sozius bzw.
Partner) eintreten.
d) Notar
Voraussetzung für den Notar ist
gleichfalls das praktische Gerichtsjahr. Danach kann der Bewerber als Notariatsanwärter
in ein bestehendes Notariat eintreten, wenn sich ein Notar zu seiner Aufnahme
bereit erklärt. Nach sieben Jahren praktischer Tätigkeit, von denen mindestens
drei Jahre in einem Notariat durchgeführt werden müssen, und dem Bestehen der
schriftlichen und mündlichen Notariatsprüfung kann der Notariatsanwärter bei
entsprechendem Bedarf zum Notar ernannt werden.
e) Verwaltungsjurist
Für Verwaltungsjuristen besteht eine
praktische Ausbildung von 12 Monaten in der Verwaltung (Verwaltungspraktikum,
vgl. www.bka.gv.at).
f) Wirtschaftsjurist
Über eine Einstellung eines
Wirtschaftsjuristen (oder auch eines nicht als Jurist ausgebildeten
Wirtschaftsrechtlers) mittels eines Dienstvertrags entscheidet im Rahmen der
Vertragsfreiheit das jeweilige Wirtschaftsunternehmen in eigener Zuständigkeit.
g) Rechtslehrer
Eine Tätigkeit als Rechtslehrer (vgl.
dazu die einzelnen Angaben unter http://www.koeblergerhard.de/werist.html)
setzt eine überdurchschnittlich gut bewertete Promotion, weitere
wissenschaftliche Qualifikationen in Forschung (z. B. Habilitationsschrift,
Aufsätze) und Lehre (z. B. Lehrveranstaltungen unter Betreuung durch einen
Professor) und eine Berufung auf eine freie Planstelle an einer Universität
bzw. für Lehrbeauftragte eine Betrauung mit einem Lehrauftrag voraus.
Üblicherweise beginnt der Interessent als Studienassistent und muss sich allmählich
vom Assistenten zum Dozenten höherqualifizieren. Im jeweiligen individuellen
Lebenslauf können unabhängig von formell festgelegten und bzw. oder allgemein
veröffentlichten Voraussetzungen (z. B. Scheinausschreibungen) auch nicht
allgemein transparente Bekanntschaften und Beziehungen (z. B. Verbindungen) von
erheblicher Bedeutung sein.
X. Berufsaussichten
Infolge der steigenden allgemeinen
Akademisierung der Gesellschaft (um 1900 ein Prozent eines Jahrgangs, nahezu
keine Frauen) seit etwa 1970 (um 2010 fast die Hälfte eines Jahrgangs, davon
mehr als die Hälfte Frauen) hat die Zahl der Studierenden auch der
Rechtswissenschaft an den meisten Orten stark zugenommen. Im Vergleich hierzu
ist die Zahl der von der Gesellschaft finanzierten Arbeitsplätze (z. B.
Richter, Staatsanwälte, Verwaltungsjuristen, Notare) nicht in gleichem Maße
gewachsen. Dementsprechend sind die Berufsaussichten für Juristen nicht gut,
aber auch nicht wesentlich schlechter als für viele andere akademische Berufe.
B) Wissenschaft
Wenn Rechtswissenschaft die
Wissenschaft vom Recht ist, fragt sich, was Wissenschaft ist, welche
Wissenschaften es gibt und was Rechtswissenschaft von anderen Wissenschaften
unterscheidet.
I. Wissen
Der Mensch hat seine Sinne, mit denen
er sehen, hören, riechen, tasten und schmecken kann. Die entsprechenden
Wahrnehmungen kann er aus seiner Vergangenheit in seiner Gegenwart für seine
Zukunft grundsätzlich in seinem Gehirn speichern. Damit kann er eigenes
Erfahren (Wissen) verwerten und muss es nicht alles stets neu erleben
und versuchen.
Dabei zeigt die Erfahrung des Lebens:
wer viel weiß, hat bessere Lebensmöglichkeiten. Wissen ist Macht. Deswegen
lohnt sich Erwerb und Nutzung von Wissen.
II. Wissensvermittlung
Weil Erfahrung grundsätzlich individuell
erlangt wird, Wissen aber generell Wert hat, ist der Mensch vernünftigerweise
an der Übernahme fremden Wissens und meist auch an der Weitergabe eigenen
Wissens interessiert. Für diese Zwecke erfindet er im Laufe seiner Geschichte
mit Hilfe seines Verstands Hilfsmittel wie Sprache, Schrift und Schule. Wer
sich auf die Wissensvermittlung arbeitsteilig spezialisiert und davon
mehr und mehr seinen Lebensunterhalt finanziert, kann als Lehrer
(notwendigerweise) Wissen besser vermitteln als der dafür nicht besonders
geschulte Mitmensch der zufälligen Umgebung (z. B. Eltern, Geschwister,
Nachbarn, Freunde).
III. Wissenschaft
Mit der ständigen Zunahme des Wissens
bedürfen Wissen und Wissensvermittlung über die Schule hinaus verbesserter
Organisation. Sie erfolgt nach der allgemeinen Vermittlung von Grundwissen in
der in Altertum und Mittelalter noch freiwilligen Schule als besondere
Vermittlung vertieften Fachwissens seit dem Hochmittelalter in der freiwilligen
Universität (Hochschule). Dort entsteht aus Wissen und Wissensvermittlung durch
bewusste Forschung methodisch verdichtete Wissenschaft.
IV. Wissenschaften
Wo viel Wissen besteht, kann niemand
alles wissen. Deswegen entsteht ein Bedarf an Aufteilung von Wissenschaft in Einzelwissenschaften.
Dazu gliedert bereits die europäische Universität des 12. Jahrhunderts in
(lateinisch) artes liberales (freie Künste wie Grammatik, Rhetorik, Dialektik,
Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie), Religion, Recht und Medizin und
damit in die philosophische Fakultät, theologische Fakultät, juristische
Fakultät (Bologna) und medizinische Fakultät (Salerno).
V. Rechtswissenschaft
Innerhalb dieser verschiedenen
Wissenschaften ist Rechtswissenschaft die Wissenschaft vom Recht, also nicht
von Religion, Medizin, Sprache, Gesellschaft, Wirtschaft, Politik, Natur oder
Technik. Im Mittelpunkt der Rechtswissenschaft steht das Recht als das (nach
Ansicht möglichst vieler) Richtige im Streit mehrerer Menschen um ein
Gut oder einen Wert.
C)
Universität
Universitäten gibt es in Europa wohl
seit der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert. Der ersten juristischen Universität
in Bologna (1088?, 1120?, um 1140?) folgten nördlich der Alpen im
deutschsprachigen Raum 1348 Prag, 1365 Wien und 1386 Heidelberg. In Österreich
kann Rechtswissenschaft in den fünf größten Städten Wien, Graz (1585), Linz
(1966), Salzburg (1622, zeitweise geschlossen) und Innsbruck (1669, zeitweise
reduziert) studiert werden, wobei Innsbruck (2008 nach Verselbständigung der
Medizinischen Universität insgesamt 72 Studien, 162 Professoren, 2600
Assistenten und sonstige Lehrpersonen, 1300 sonstige Bedienstete, 22700
Studierende) auch Landesuniversität außer für Tirol (Nordtirol und Osttirol)
für Vorarlberg, Südtirol und Liechtenstein ist.
Die meisten Universitäten in Mitteleuropa
sind staatliche Einrichtungen, die sich aus unterschiedlichen Gründen im Lauf
der Geschichte vom Staat verhältnismäßig verselbständigt haben. Sie sind, wenn
auch vom Staat Österreich noch um das Jahr 2000 ausdrücklich bestritten, (seit
1. 1. 2004) wie eine Gemeinde eine einigermaßen kompliziert organisierte
Rechtsperson eigener Art (juristische Person des öffentlichen Rechts) mit
eigener Rechtspersönlichkeit, d. h. eine auf Dauer angelegte
Personenvereinigung, die unabhängig von einem Mitgliederwechsel ist, von ihren
Mitgliedern getragen wird und grundsätzlich ihre Angelegenheiten selbst
verwaltet, aber auch anstaltliche Züge trägt, so dass der Gesetzgeber eine
Entscheidung zwischen Körperschaft und Anstalt nicht getroffen hat. Da die
Universität aber keine eigenen Einnahmen (mehr) erzielen kann und soll (s. z.
B. Problematik von Studiengebühren), muss sie vom Staat aus dem Staatshaushalt
finanziert werden, weshalb der Staat auch ihre rechtlichen bzw.
organisationsrechtlichen Grundstrukturen in Universitätsgesetzen ordnet.
Im Rahmen des im Oktober 2002 in Kraft getretenen
Universitätsgesetzes Österreichs bestimmt eine Universität ihre Organisation
selbst. Nach ihrem jeweiligen Organisationsplan hat sie unterschiedliche Organe
und Organisationseinheiten. Die obersten Leitungsorgane sind in Österreich
(derzeit) Universitätsrat, Rektorat, Rektor und Senat.
I. Zentrale Organe
1. Universitätsrat
Der Universitätsrat ist ein jeweils für fünf Jahre
bestelltes Aufsichtsorgan, das aus fünf, sieben oder neun Mitgliedern bestehen
kann. Knapp die eine
Hälfte der Mitglieder wird vom Staat (Bundesregierung) eingesetzt, knapp die
andere Hälfte vom Senat der Universität gewählt, während ein weiteres Mitglied
von beiden Gruppen einvernehmlich beigezogen wird. Die wichtigsten Aufgaben
sind Wahl und Abberufung von Rektoren und Vizerektoren sowie Prüfung des vom
Rektorat erstellten Entwicklungsplans und der Leistungsvereinbarung der
Universität mit dem Staat.
2. Rektorat
Das Rektorat (z. B. Innrain 52, A 6020 Innsbruck) besteht
aus dem Rektor und verschiedenen Vizerektoren (z. B. für Forschung, Lehre und Studierende,
Infrastruktur oder Personal). Die Aufgabenverteilung regelt das Rektorat
selbst. Es wird auf vier Jahre gewählt.
3. Rektor
Der Rektor ist der Vorsitzende des Rektorats.
Er ist Dienstvorgesetzter der Universitätsbediensteten, wobei seit 2002 nur
noch Angestellte mit Arbeitsverträgen auf Grund eines Kollektivvertrags
eingestellt werden, bisherige Beamte (z. B. ordentliche Professoren) aber ihre
Stellung als Beamte behalten. Der Rektor vertritt die Universität nach außen.
4. Senat
Der Senat besteht aus (beispielsweise
24 oder 26) Mitgliedern, von denen (mindestens) die Hälfte Professoren sind und
je ein Viertel von den wissenschaftlichen Mitarbeitern und den Studierenden
bestimmt werden, zu denen ein Vertreter des allgemeinen Universitätspersonals
zugezogen wird. Der Senat ist zuständig für den Erlass der Studienpläne
(Curricula), die Mitwirkung an Verfahren der Habilitation eines
Hochschullehrers und an Verfahren der Berufung eines Bewerbers auf eine zu
besetzende Planstelle und für akademische Grade und Zeugnisse.
5. Gesamtheit von
Universitätsangehörigen
Die Gesamtheit aller
Universitätsangehörigen tritt als solche (neben Senat und Rektor/Rektorat)
nicht auf, doch gibt es Gruppengesamtheiten, wie z. B. die gesamte
Studentenschaft (s. z. B. http://www.oehweb.at)
oder die gesamte Studentenschaft einer Universität (z. B. Österreichische
Hochschülerschaft Innsbruck). Die österreichische Hochschülerschaft vertritt
alle Studierenden insgesamt und am jeweiligen Universitätsort. Es besteht
Zwangsmitgliedschaft, so dass jeder Studierende pro Semester einen Zwangsbeitrag
leisten muss (Kontakt z. B. info@oeh.cc).
6. Universitätsbibliothek
Eine zentrale Einrichtung der
Universität ist die Universitätsbibliothek unter einem eigenen
Bibliotheksdirektor (z. B. in Innsbruck Hauptbibliothek Innrain 50 A 6020
Innsbruck, daneben räumlich abgetrennte Fakultätsbibliotheken und privatöse
Institutsbibliotheken). Die Universitätsbibliothek Innsbruck hat als
drittgrößte Bibliothek Österreichs (2010) einen Bestand von rund 3500000
Bänden, 7000 abonnierten Zeitschriften, 14000 elektronischen Zeitschriften, 300
elektronischen Büchern und 100 Datenbanken für rund 23000 aktive Benutzer,
deren Schulung regelmäßig praktisch hilfreiche Führungen dienen.
Bibliothekseinheiten können entweder als Präsenzbestand in den Lesesälen, als
Ortsausleihe (in Innsbruck jährlich rund 700000 Ausleihen) oder per Fernleihe
(in Innsbruck jährlich rund 12000 Fernleihen) aus auswärtigen Bibliotheken
benutzt werden.
7. Psychologische Beratungsstelle
Für Studierende bedeutsam kann auch
eine psychologische Beratungsstelle sein (z. B. http://www.studentenberatung.at/studentenberatung/de/innsbruck.htm,
psycholog-studentenberatung@uibk.ac.at,
in Innsbruck Schöpfstraße 3 hinterer, westseitiger Eingang).
II. Organisationseinheiten der
Universität mit Forschungsaufgaben und Lehraufgaben
Organisationseinheiten der Universität
mit Forschungsaufgaben und Lehraufgaben sind Fakultäten, Institute,
Forschungszentren und andere interfakultäre Organisationseinheiten.
1. Fakultät
Die Fakultäten (Fachbereiche)
sind die eigentlichen Träger von Forschung und Lehre, d. h. der
wissenschaftlichen Aufgaben der Universität. Zu ihren Zuständigkeiten gehören
insbesondere die Gestaltung des Unterrichts und der akademischen (d. h.
nichtstaatlichen) Prüfungen, die Verleihung akademischer Grade sowie das
Vorschlagsrecht zur Besetzung von Lehrstühlen. Je nach ihrer fachlichen Ausrichtung
kann sich eine Universität (wie z. B. Innsbruck) in der Gegenwart
beispielsweise gliedern in eine Fakultät für Architektur, eine Fakultät für
Bauingenieurwissenschaften, eine Fakultät für Betriebswissenschaft, eine
Fakultät für Bildungswissenschaften, eine Fakultät für Biologie, eine Fakultät
für Chemie und Pharmazie, eine Fakultät für Geo- und Atmosphärenwissenschaften,
eine Fakultät für Mathematik, Informatik und Physik, eine Fakultät für
Politikwissenschaft und Soziologie, eine Fakultät für Psychologie und
Sportwissenschaft, eine Fakultät für Volkswirtschaft und Statistik, eine
katholisch-theologische Fakultät, eine philologisch-kulturwissenschaftliche
Fakultät, eine philosophisch-historische Fakultät und eine
rechtswissenschaftliche Fakultät, deren Standorte bzw. Gebäude im Unterschied
etwa zu einer Campusuniversität über verschiedene Stadtteile verstreut sind.
Organe der Fakultät sind der Dekan und
der Fakultätsrat (Fachbereichsrat, Fachbereichskonferenz) sowie der Fakultätsstudienleiter
(zur Organisation des Lehr- und Prüfungsbetriebs einer Fakultät mit den
Hauptaufgaben der Zuteilung von Lehrveranstaltungen, der Anerkennung positiv
beurteilter Prüfungen, des Ausstellens von Zeugnissen, des Verleihens
akademischer Grade und des Festsetzens von Prüfungsterminen und zugehörigen
Anmeldefristen, tatsächliche Umsetzung vor allem mit Hilfe eines
Prüfungsreferats z. B. Innrain 52d, A 6020 Innsbruck, geisteswissenschaftliches
Gebäude nordöstlich des Hauptgebäudes der Universität, Untergeschoß, direkt am
Inn).
a) Dekan
Der Dekan ist der Leiter und
Repräsentant der Fakultät. Er übt die unmittelbare Dienst- und Fachaufsicht für
das der Fakultät zugewiesene Personal im Rahmen einer Delegation aus, verfügt
über die der Fakultät zugewiesenen Ressourcen, konstituiert den Fakultätsrat
und führt die laufenden Geschäfte der Fakultät. Unterstützt wird er in seinen
Aufgaben durch Hilfspersonen (Büro z. B. Dekanat-Rechtswiss@uibk.ac.at Innrain 52 A
6020 Innsbruck, Hauptgebäude der Universität, Erdgeschoß rechts),
Fakultätenservicestelle, Dekanatssekretärin oder einen eventuellen
Fakultätsassistenten).
Sein Amt erhält er (entweder durch
Wahl oder) durch Entscheidung des Rektorats auf Grund eines Vorschlages der
Universitätsprofessoren. Wählbar sind (in der Regel nur) Professoren, wobei (in
freien Fakultäten) unter den Professoren das Amt auf Grund Wahl im Wechsel
entsprechend dem formalen Kriterium der Anciennität (Berufsaltersreihenfolge)
umlaufen, andernorts aber wegen der damit verbundenen „Macht“ von
Machtgierlingen mit allen Mitteln angestrebt werden kann. Die feierliche Anrede
des Dekans lautet „Spektabilität“ (unter Kollegen „Spectabilis“).
b) Fakultätsrat
Der Fakultätsrat besteht aus (5-17)
Vertretern der verschiedenen Universitätsgruppen (Universitätsprofessoren,
Mitarbeiter, Studierende, allgemeines Universitätspersonal) bzw. deren
politischen Untergruppen. Seine Zuständigkeit ist begrenzt.
c) Die Fakultätsstudienvertretung
vertritt die Interessen der Studierenden einer Fakultät. Jeder Studierende hat
das Recht zur Mitarbeit. Die Fakultätsstudienvertretung hält zu Semesterbeginn
für Erstsemester ein Tutorium (Einführungsveranstaltung im Ausmaß eines
Vormittags) ab und bietet in einem Büro (z. B. Innrain 52 A 6020 Innsbruck,
Untergeschoß) sowie über eine Internetseite Studierenden Dienstleistungen an
(Beratung, Skripten, Bücherbörse, Jobbörse, Kontakt z. B. jus-oeh@uibk.ac.at).
2. Institut
Institut ist die Gliederung der
Fakultät im Hinblick auf eine zweckmäßige Organisation der Lehre, des Lernens
und der Forschung. Institute sollen zumindest ein, möglichst aber mehrere
wissenschaftliche Fächer in ihrem ganzen Umfang umfassen und zweckmäßige
organisatorische Zusammenfassungen nach den Gesichtspunkten von Forschung,
Lehre und Lernen sowie Verwaltung bilden. Eine rechtswissenschaftliche Fakultät
kann etwa (wie in Innsbruck unter Berücksichtigung nicht offengelegter
persönlicher Interessen) gegliedert sein in ein Institut für Arbeitsrecht und
Sozialrecht, Wohnrecht und Immobilienrecht sowie Rechtsinformatik, ein Institut
für Europarecht und Völkerrecht, ein Institut für italienisches Recht, ein
Institut für öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre, ein Institut für
römisches Recht und Rechtsgeschichte, ein Institut für Strafrecht,
Strafprozessrecht und Kriminologie, ein Institut für Unternehmensrecht und
Steuerrecht, ein Institut für zivilgerichtliches Verfahren und ein Institut für
Zivilrecht, wobei jedes Institut eine (oft wenig professionell geleitete, vielfach
privat orientierte) Institutsbibliothek haben kann.
Der Leiter eines Instituts führt die
laufenden Geschäfte, organisiert den Dienstbetrieb am Institut, übt die Dienst-
und Fachaufsicht über das zugeordnete Personal im Rahmen einer Delegation aus
und verfügt über die zugewiesenen Mittel. Er konstituiert den Beirat. Er soll
verantwortlich für die Qualitätssicherung und die Ergebnisorientierung der
Forschung sowie für die Organisation und Sicherstellung des Forschungsbetriebs
am Institut sein, so dass sein Leistungsprofil die Leistungsfähigkeit eines
Instituts maßgeblich mitgestalten kann.
III.
Personal
1. Professor
Den Kern der Universitätslehrer bilden
die Professoren. Einstellungsvoraussetzungen für Professoren sind vor allem ein
(möglichst gut) abgeschlossenes Hochschulstudium, pädagogische Eignung,
besondere Befähigung zu wissenschaftlicher Arbeit, die in der Regel durch die
(besondere) Qualität einer Promotion (Dissertation) nachgewiesen wird, und
zusätzliche wissenschaftliche Leistungen (z. B. Habilitation bzw.
Habilitationsschrift oder gleichwertige wissenschaftliche Leistungen). Die
Besetzung einer freien Planstelle erfolgt (zumindest äußerlich) auf Grund einer
Ausschreibung in einem besonderen Berufungsverfahren (Verwaltungsverfahren).
Von den hauptamtlichen Professoren
sind die Honorarprofessoren zu unterscheiden, die eine Lehrtätigkeit nur
nebenamtlich neben einer Haupttätigkeit (z. B. als Richter, Verwaltungsjurist
oder Rechtsanwalt) ausüben und für ihre zusätzliche Mühe den Titel Professor
ehrenhalber (lateinisch honoris causa, h. c.)erlangen können.
2. Dozent
Die Dozenten sind nach
herkömmlichem Hochschulrecht der Nachwuchs an Universitätslehrern, der sich
durch die Habilitation besonders qualifiziert hat, aber noch keine Planstelle
als Professor erreicht hat (und beispielsweise auch lebenslang Dozent bleiben
kann). Zur Habilitation gehört zunächst eine Habilitationsschrift, d. h. eine
grundlegende wissenschaftliche Untersuchung über ein bestimmtes frei gewähltes
Thema, das in einem Zeitraum von durchschnittlich fünf oder mehr Jahren
bearbeitet und vom Habilitationsgremium (Habilitationskommission, meist
mehrheitlich Hochschullehrer der Fakultät) begutachtet wird. Dem folgen
beispielsweise ein Vortrag mit Diskussion im Kreis der bisherigen
Universitätslehrer (Kolloquium) und meist ein öffentlicher Vortrag als eine Art
Probevorlesung.
Mit der Habilitation wird der
Betreffende oft ohne weiteres, evtl. auf Grund besonderer Verleihung
Privatdozent und darf im Bereich seiner venia legendi (lat., Lehrbefugnis) in
Abstimmung mit den übrigen Universitätslehrern die Lehrveranstaltungen, die
diese für ihn freilassen, abhalten. Ein besoldetes Amt vermittelt ihm diese
Befugnis nicht. Vielmehr muss er theoretisch so lange von seinem Privatvermögen
leben oder, wie es die Regel ist, in seiner Position als Assistent oder
wissenschaftlicher Bediensteter ausharren, bis er vor allem durch Berufung an
eine (auswärtige oder auf Grund von Beziehungen durch Hausberufung an die
eigene) Universität eine Planstelle als Hochschullehrer erlangt.
3.
Lehrbeauftragte
Die Lehrbeauftragten sind meist
erfahrene Praktiker wie Richter, Rechtsanwälte oder Verwaltungsjuristen, die
(tatsächlich auf Grund besonderer persönlicher Beziehungen zu einzelnen
Mitgliedern einer Fakultät und) rechtlich auf Grund eines Dienstvertrags
nebenamtlich in einem Spezialgebiet zur Ergänzung des Lehrangebotes Unterricht
erteilen und vielfach später dafür mit dem den wichtigsten Anreiz für diese
Zusatztätigkeit bildenden Titel Honorarprofessor (Prof. h. c.) geehrt werden.
4.
Lehrkräfte für besondere Aufgaben und wissenschaftliche Mitarbeiter
a) Soweit überwiegend eine Vermittlung
praktischer Fertigkeiten und Kenntnisse erforderlich ist, die nicht die
Einstellungsvoraussetzungen für Hochschullehrer erfordert, kann diese
hauptberuflich tätigen Lehrkräften für besondere Aufgaben übertragen werden.
b) Wissenschaftliche Mitarbeiter oder
Assistenten sind Angestellte mit Verpflichtungen zu wissenschaftliche
Dienstleistungen. Sie sollen den Professor, dessen besonderem Aufgabenbereich
sie zugewiesen sind, in seiner wissenschaftlichen Tätigkeit unterstützen und
Lehre leisten. Neben diesen Hilfstätigkeiten und Lehrtätigkeiten müssen sie
sich in ihrem eigenen Interesse weiter qualifizieren, sei es durch Anfertigung
einer Dissertation, sei es durch die Arbeit an einer Habilitationsschrift.
5. Sonstige
wissenschaftliche Hilfskräfte
Sonstige wissenschaftliche Hilfskräfte
erbringen meist einfachere wissenschaftliche Dienstleistungen (z. B.
Vorarbeiten für Veröffentlichungen, Vorkorrekturen von Prüfungsleistungen,
Abhaltung von Arbeitsgemeinschaften). Auch sie sollten möglichst gut
qualifiziert sein. Kollusion ist allerdings auch hier nicht ausgeschlossen.
6.
Nichtwissenschaftliches Personal
Zu nennen sind schließlich noch die
sonstigen Bediensteten (technisches Personal), zu denen (in der juristischen
Fakultät) vor allem Sekretärinnen zählen.
IV. Einrichtungen
1. Rektorat
und Dekanat
Unter den Einrichtungen der
Universität sind vor allem die Dienststellen der Hochschulorgane zu nennen. So
untersteht dem Rektor das Büro des Rektors oder dem Dekan das Büro des Dekans.
Ebenso sind den anderen Organen entweder feste Räumlichkeiten und ständiges
technisches Personal zugeordnet oder ist wenigstens deren zeitweise Verwendung
eröffnet. Zumindest die Adressen sind dabei jeweils dem Vorlesungsverzeichnis
bzw. dem Internet entnehmbar.
2. Weitere
zentrale Einrichtungen
Daneben gibt es eine Reihe zentraler
Einrichtungen der Universität, die nicht bestimmten Organen zugeordnet sind.
Dazu gehören beispielsweise außer der Universitätsbibliothek das
Universitätsarchiv, das Schriftgut der Universität in Auswahl aufbewahrt, oder
das Hochschulrechenzentrum (EDV-Zentrum), das in Kursen Wissen über die
automatisierte Datenverarbeitung vermittelt. Im Einzelfall berät es auch über
hierher gehörige Einzelfragen.
Dem Abbau von Stress kann auch die
allen Universitätsmitgliedern eröffnete Nutzung des Sportinstitutes der
jeweiligen Universität dienen (Universitätssportinstitut).
Zur Pflege der auswärtigen Beziehungen
besteht meist ein Akademisches Auslandsamt (Österreichischer akademischer
Auslandsdienst), das einerseits ausländische Gäste betreut und andererseits
Beziehungen ins Ausland vermittelt.
An manchen Orten gibt es eine eigene
Universitätskirche und andere gemeinschaftliche Einrichtungen wie besondere
Vorlesungsgebäude (Kollegienhäuser), eine Aula (Versammlungsraum) oder einen
größten Vorlesungsraum (Auditorium maximum, Audimax).
3.
Prüfungsamt
Für die besonderen universitären Prüfungen
sind die universitären Prüfungsämter zuständig. Sie nehmen Anmeldungen
und Abmeldungen (innerhalb der üblichen Öffnungszeiten in Person und durch
Telefon, sonst durch Schreiben wie etwa e-mails) entgegen. Die dafür jeweils
gesetzten Fristen sind in eigenem Interesse einzuhalten, weil andernfalls
deutliche Nachteile drohen.
D) Studium
I. Voraussetzungen
Für die Aufnahme eines
rechtswissenschaftlichen Studiums bestehen bestimmte Voraussetzungen. Sie können
sich von Universität zu Universität unterscheiden. Allgemeine
Zulassungsvoraussetzung ist die Hochschulreife, die durch ein
Reifezeugnis (Maturazeugnis) einer höher bildenden Schule oder durch einen als
gleichwertig erwiesenen Nachweis erfüllt wird. Außerdem muss die
Sozialversicherungskarte vorgelegt und muss ein Meldeblatt ausgefüllt werden.
Tatsächlich besonders geeignet ist für
das Studium der Rechtswissenschaft, wer rasch und gründlich ermitteln,
entscheiden, darstellen und begründen kann. Anzeichen hierfür können gute
Kenntnisse und Fähigkeiten in Deutsch, Fremdsprachen und Mathematik sein. Wer
sie hat, wird (freilich überhaupt) für alle Studien geeignet sein.
Das Studium an der Universität
erfordert die Einschreibung (Inskription, Immatrikulation) in das
Verzeichnis der Studierenden der jeweiligen Universität (Universitätsmatrikel).
Hierfür ist die Studienabteilung der Universität zuständig. Sie befindet sich
in Innsbruck im Erdgeschoß des Hauptgebäudes der Universität (Innrain 52,
Nordseite).
Die Immatrikulation erfolgt meist im
ersten Semestermonat (für das Wintersemester im Oktober, für das Sommersemester
im März). Erforderliche Formulare sind im Internet und in der Studienabteilung
einsehbar bzw. erhältlich. Mit der Immatrikulation erhält der Studierende eine Matrikelnummer
und einen Studentenausweis.
Einen Gegensatz zur Immatrikulation
bildet die Exmatrikulation, mit deren Hilfe der Studierende die Universität
rechtlich ordnungsgemäß wieder verlässt.
Möglich ist die
staatliche oder private Förderung des grundsätzlich von den Eltern des
Studierenden oder vom Studierenden selbst zu finanzierenden Studiums durch Studienbeihilfe
oder Stipendium. Eine bei sozialer Förderungswürdigkeit (z. B. 2010
Bruttoeinkommen unter 8000 Euro im Jahr) und günstigem Studienerfolg (15 Punkte
ECTS pro Semester) mögliche Studienbeihilfe muss bei der Studienbeihilfebehörde
besonders beantragt werden (z. B. auch so genanntes Selbsterhalterstipendium
für Studierende, die sich vor erstmaligem Bezug einer Studienbeihilfe vier
Jahre lang mit mindestens 7272 Euro jährlich selbst erhalten haben).
Kontaktdaten für Stipendien sind http://www.stipendium.at,
stip.ibk@stbh.gv.at, Andreas-Hofer-Straße 46 (2.
Stock) A 6020 Innsbruck (z. B. Leistungsstipendium bei überdurchschnittlichem
Studienerfolg bzw. Notendurchschnitt bis 1,5 in mindestens 20 bzw. 15
Semesterwochenstunden).
II. Studiengang
Für den Ablauf des Studiums gibt es einen
von Universität und Fakultät im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften
festgelegten Studienplan. Er legt mit gewissen Wahlmöglichkeiten fest,
wie das Studium durchgeführt werden muss. Die unterschreitbare und
überschreitbare Regelstudiendauer (Maßstudiendauer) des Studiums der
Rechtswissenschaft beträgt (abweichend von den Bolognakriterien)
herkömmlicherweise acht Semester, die in Österreich seit langem in drei
Studienabschnitte eingeteilt sind.
1. Erster Studienabschnitt
Der erste Studienabschnitt hat
eine Maßstudiendauer (Regelstudiendauer) von zwei Semestern. Es sind acht,
wahlweise neun Prüfungen abzulegen. In Innsbruck sind die einzelnen zugehörigen
Fächer Einführung in die Rechtswissenschaft, juristische Informations- und
Arbeitstechnik, Wirtschaft, Rechtsgeschichte, römisches Privatrecht, Übung
wahlweise aus Rechtsgeschichte oder römischem Privatrecht (zulässig sind auch
beide Übungen nebeneinander oder nacheinander), Strafrecht und
Strafverfahrensrecht, Übung aus Strafrecht und Strafverfahrensrecht.
Davon wird die Einführung in die
Rechtswissenschaft meist von Privatrechtlern oder Öffentlichrechtlern
angeboten. Dementsprechend sind die Lehrveranstaltungen überwiegend einseitig.
In der Lehrveranstaltung muss ein Lehrveranstaltungsnachweis schriftlich oder
mündlich erbracht werden, wobei eigene Laufzettel (Formular im Internet) die
Teilnahme an mehreren Lehrveranstaltungen gleichzeitig ausschließen sollen.
In der juristischen Informations- und
Arbeitstechnik werden digitale Grundfertigkeiten vermittelt. Es ist ein
Lehrveranstaltungsnachweis zu erbringen, der teilweise durch
Gruppenhausarbeiten erlangt werden kann. Teilweise genügen mündliche Prüfungen.
Die Lehrveranstaltung Wirtschaft soll
betriebswirtschaftliches und volkswirtschaftliches Verständnis verschaffen.
Sofern es bereits durch Vorbildung nachgewiesen werden kann, ist eine
Anerkennung dieser Leistungen durch das Prüfungsamt möglich. Im Übrigen muss
eine Fachprüfung erfolgreich bewältigt werden.
Die Prüfungen in Rechtsgeschichte und
in römischem Recht sind (mündliche) Fachprüfungen, wobei in Innsbruck
die Fachprüfung in Rechtsgeschichte (zwar nicht notwendigerweise, aber
üblicherweise) überwiegend am Ende des ersten Studiensemesters abgelegt wird,
die Fachprüfung im römischen Recht am Ende des zweiten Studiensemesters.
Voraussetzung für die Fachprüfung in römischem Recht sind ausreichende
Lateinkenntnisse, die durch Schulzeugnisse oder eine besondere
Ergänzungsprüfung nachgewiesen werden müssen. Zur zweiten Prüfung der beiden
Fachprüfungen aus Rechtsgeschichte und aus römischem Recht kann nur antreten,
wer einen Übungsschein aus Rechtsgeschichte oder aus römischem Recht erworben
hat, der spätestens vier Wochen nach Bestehen der betreffenden Fachprüfung
dieses Faches (z. B. Rechtsgeschichte) (und vor Antritt zur zweiten dieser
beiden Fachprüfungen) erworben worden sein muss.
Das Fach Strafrecht und
Strafverfahrensrecht war ursprünglich nicht Teil des ersten Studienabschnitts.
Es ist aber in Innsbruck in diesen bei der letzten Studienreform aufgenommen
worden. Es umfasst die Lehrveranstaltungen Strafrecht allgemeiner Teil 1
(Straftat, Tatbestände), Strafrecht allgemeiner Teil 2 (Sanktionen,
Rechtsfolgen), Strafrecht besonderer Teil 1, Strafrecht besonderer Teil 2,
Strafverfahrensrecht und Übung aus Strafrecht, wobei der Erwerb des
Übungsscheins Strafrecht und Strafverfahrensrecht Voraussetzung für die
Zulassung zur Fachprüfung im Fach Strafrecht und Strafverfahrensrecht ist.
2. Zweiter Studienabschnitt
Der zweite Studienabschnitt besteht
nach dem Studienplan aus vier Semestern. Er hat ohne wirklich überzeugende
systematische Trennung einen zivilrechtlichen oder privatrechtlichen Teil
(Sektor) und einen öffentlichrechtlichen Teil (Sektor). Demnach besteht er (im
zivilrechtlichen Teil) aus den Fächern bürgerliches Recht, Arbeits- und
Sozialrecht, Unternehmens-, Gesellschafts- und Wertpapierrecht,
zivilgerichtliches Verfahrensrecht und Übung aus einem zivilgerichtlichen Fach
einerseits und (im öffentlichrechtlichen Teil) aus den Fächern
Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Völkerrecht, Europarecht, Finanzrecht und
Übung aus einem öffentlichrechtlichen Fach andererseits.
In allen genannten Fächern muss eine
(mündliche oder schriftliche) Fachprüfung bestanden werden. Zusätzlich
sind die beiden Übungsscheine erforderlich. Außerdem muss an einem Seminar aus
Strafrecht oder aus einem der Fächer des zweiten Abschnitts teilgenommen werden
und kann bereits eine Diplomarbeit begonnen oder verfasst werden.
3. Dritter Studienabschnitt
Der dritte Studienabschnitt hat nach dem
Studienplan eine Maßstudiendauer (Regelstudiendauer) von zwei Semestern. Er
umfasst das Fach Rechtsphilosophie, einen nur ausnahmsweise zeitlich
vorziehbaren regulären Wahlfächerkorb von fünfzehn Semesterwochenstunden und
einen freien und frei vorziehbaren Wahlfächerkorb von 13 Semesterwochenstunden
(aus dem Lehrangebot aller anerkannten inländischen oder ausländischen
Universitäten, z. B. wiederholte Übung, Sprachkurs, nicht Volkshochschulkurs
oder Lateinzusatzprüfung). Spätestens im dritten Studienabschnitt muss eine
Diplomarbeit verfasst werden.
III. Lehrveranstaltungsverzeichnis
Vom 16. Jahrhundert bis etwa 2000
wurden an den Universitäten gedruckte Vorlesungsverzeichnisse (Lehrveranstaltungsverzeichnisse)
hergestellt. Seit etwa 2000 hat das digitale Lehrveranstaltungsverzeichnis im
Internet das gedruckte Vorlesungsverzeichnis abgelöst. Für Innsbruck ist es
unter http://orawww.uibk.ac.at/public_prod/oqa/lfuonline_lv.home
auf der
Internetseite der Universität rechts oben unter Vorlesungsverzeichnis
aufzufinden (für den Winter jeweils etwa ab August, für den Sommer jeweils etwa
ab Februar).
Die im Interesse der Studierenden
abgehaltenen Lehrveranstaltungen (Hören und Sehen ist besser als nur Sehen)
finden meist in Hörsälen, Seminarräumen oder sonstigen Räumen (z. B.
Containern) statt. Jeder Studierende kann innerhalb des jeweiligen
Studienabschnitts frei zwischen den angebotenen Lehrveranstaltungen wählen,
muss sich aber möglicherweise anmelden und dafür festgesetzte Fristen beachten.
Die Fachschaft Jus bietet das Heft
News for Jus mit Lehrveranstaltungsverzeichnis und sonstigen Hinweisen für 2
Euro an.
E) Prüfungen
Prüfungen sind entweder
Lehrveranstaltungsprüfungen (z. B. in der Lehrveranstaltung Einführung in die
Rechtswissenschaft) oder Fachprüfungen (z. B. Rechtsgeschichte). Sie sind
entweder schriftlich oder mündlich oder schriftlich und mündlich kombiniert.
Lehrveranstaltungsprüfungen können beliebig wiederholt werden, Fachprüfungen
nach einem ersten Misserfolg nur dreimal an jeder Universität, wobei der letzte
Versuch vor einem Prüfungskommission abzulegen ist.
Für Prüfungen gibt es in Österreich
fünf Noten. Sie lauten sehr gut, gut, befriedigend, genügend und nicht
genügend. An öffentlichen Notenaushängen lässt sich ersehen, dass das
Prüfungsergebnis sehr unterschiedlich ausfallen kann und manche Prüfer besonders
schlechte oder besonders gute Ergebnisse erzielen oder wohl bewusst erzielen
wollen.
F) Lehrveranstaltungsplan
Die Einführung in die
Rechtswissenschaft soll in die gesamte Rechtswissenschaft einführen und nicht
nur vorrangig in einen Teilbereich. Der Umfang der gesamten Rechtswissenschaft
ergibt sich aus dem Studienplan. Dementsprechend sind unter Berücksichtigung
von Möglichkeiten und Bedürfnissen der Studienanfänger grundsätzlich alle
Studienfächer gleichgewichtig zu behandeln.
Die Einführung kann aber nur einen
begrenzten Überblick bieten, weil die verfügbare Zeit knapp ist und das
Verständnis durchschnittlicher Anfänger notwendigerweise überschaubar. Deswegen
muss sich die Einführung auf die Grundzüge beschränken. Die besonderen
Einzelheiten sind den nachfolgenden Lehrveranstaltungen vorzubehalten.
In diesem Rahmen stehen in einem
Semester unter Berücksichtigung von Ausfallzeiten durchschnittlich 14
Semesterwochen zu je drei Semesterwochenstunden zur Verfügung. Zieht man
hiervon vier Semesterwochen für zwei Klausuren und zwei Klausurbesprechungen
ab, so verbleiben zehn Semesterwochen. Davon sind am besten zwei den
allgemeinen Grundlagen bzw. dem Stoff des ersten Studienabschnitts zu widmen
und unter Beachtung wissenschaftlicher Systematik je vier dem öffentlichen
Recht und dem privaten Recht des zweiten Studienabschnitts.
G) Lehrveranstaltungsprüfung
Die Lehrveranstaltungsprüfung
Einführung in die Rechtswissenschaft erfolgt regelmäßig als Klausur gegen
Semesterende in unterschiedlich ausgestalteter Form. Dabei sind in zwei
Klausuren beispielsweise jeweils etwa 50 Fragen möglich, für die jeweils bis zu
2 Punkte vergeben werden können. Für eine genügende Note muss mehr als die
Hälfte der Fragen richtig beantwortet sein.
H) Literatur
I. Allgemein
1. Arten
In der juristischen Literatur lassen
sich zahlreiche Arten von Werken unterscheiden.
Lehrbuch ist das der Lehre eines juristischen
Gegenstandes dienende Buch. Es kann als Grundriss auf die wichtigsten
Grundzüge eines Faches beschränkt sein oder als Handbuch möglichst alle
Einzelfragen erschöpfend behandeln. Stets bemüht sich das Lehrbuch um eine
systematische Darstellung des Stoffes (z. B. Schuldrecht).
Kommentar ist die Erklärung eines Gesetzestexts
in der Reihenfolge der Vorschriften des Gesetzes unter Berücksichtigung der
Entscheidungen der Gerichte und der Lehrmeinungen von Wissenschaftlern (z. B.
Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch). Kurzkommentare erstreben Kürze.
Großkommentare bemühen sich um Erfassung vieler Einzelheiten und benötigen
daher auch für schlanke Gesetze oft zahlreiche Bände.
Monographie ist die wissenschaftliche Behandlung
eines einzelnen Gegenstandes (z. B. Kündigung). Monographien sind
beispielsweise die Diplomarbeiten und die Dissertationen. Angestrebt wird dabei
meist auch die neue wissenschaftliche Erkenntnis.
Aufsatz ist die kurze, nicht als eigene
bibliothekarische Einheit veröffentlichte Monographie. Der Aufsatz erscheint
nur als Teil eines größeren Werkes. Sammelbände enthalten meist nur Aufsätze,
Zeitschriftenbände meist auch Aufsätze.
Urteil ist die Entscheidung eines
Rechtsstreits. Seit der frühen Neuzeit wird die Veröffentlichung der
schriftlichen Fassung eines Urteils üblich und notwendig. Urteile werden in
Zeitschriften und in Urteilssammlungen veröffentlicht.
Gesetzestext ist der Text (Wortlaut) eines
Gesetzes. Bei den Römern wurde das Zwölftafelgesetz (451/450 v. Chr.) auf zwölf
Tafeln auf dem Markt für jedermann einsehbar aufgestellt. In der Gegenwart ist
die Veröffentlichung des Gesetzestexts im amtlichen Gesetzblatt (z. B.
Bundesgesetzblatt) der letzte notwendige Teil des Gesetzgebungsverfahrens.
Rezension ist die Beurteilung eines Werkes
durch einen Sachverständigen. In erster Linie werden Lehrbücher, Kommentare und
Monographien rezensiert. Rezensionen werden in erster Linie in Zeitschriften
abgedruckt.
Zeitschrift ist die regelmäßige periodische
Veröffentlichung. Zeitschriften enthalten vielfach Aufsätze, Urteile und
Rezensionen. Wie Zeitungen können sie am ehesten aktuell sein und Werbung
enthalten.
Im digitalen Zeitalter können alle
Veröffentlichungen nicht nur auf Papier, sondern auch elektronisch erfolgen.
Dadurch ist größtmögliche Aktualität gewährleistet. Weltweit die wichtigsten
juristischen Nachrichten in aller Kürze enthalten beispielsweise die kostenlos
von jedermann beziehbaren digitalen jusnews (http://www.koeblergerhard.de/).
2. Fundorte
Literatur wird in erster Linie in
Bibliotheken gesammelt, aufbewahrt und Interessenten zur Verfügung gestellt.
Die Benutzung wird grundsätzlich durch staatliche Mittel ermöglicht und ist
daher für jedermann grundsätzlich kostenlos. Wichtige Werke (z. B.
Zeitschriften) müssen in der Bibliothek selbst benutzt werden, weniger wichtige
Werke (z. B. Monographien) können auch ausgeliehen werden.
Im digitalen Zeitalter ist Nutzung von
Literatur auch im Internet möglich (s. z. B. Google Books). Sie ist vielfach
als solche kostenfrei (sog. open access), wobei die tatsächlich entstehenden
Kosten über staatliche Unterstützung oder über Werbung (z. B. Google) beglichen
werden. Verfasser und sie bewirtschaftende Verleger streben aber die
kostenpflichtige Nutzung an (pay IT), wobei u. a. die technische Umsetzung noch
Schwierigkeiten bereitet.
Der Erwerb gedruckter Literatur erfolgt
überwiegend über die Buchhandlung, die inzwischen auch im Internet tätig ist.
Deren Verkaufsraum enthält vielfach einen guten Überblick über die leicht
verfügbare aktuelle Literatur. Seltenere Literatur kann dort durch Bestellung
in umfassenderen Buchhandelssystemen erworben werden.
Den besten Überblick über die
(deutschsprachige juristische) Literatur bieten Internetkataloge (z. B. der Karlsruher
virtuelle Katalog, http://www.ubka.uni-karlsruhe.de/kvk.html). Sie
ermöglichen die Suche nach bereits bekannten Verfassern oder Titeln oder nach
unbekannten Werken aller möglichen Schlagwörter. Durch vielfältige Verlinkung
ist von jedem Standort aus im Internet weltweite Literatursuche möglich, so
dass die größten Schwierigkeiten in der Gegenwart nicht mehr im Finden, sondern
im Auswählen des wirklich Wichtigen bestehen.
3. Zitierweise im
wissenschaftlichen Schrifttum
Im wissenschaftlichen Schrifttum muss
jedermann jeden nicht von ihm selbst stammenden, sondern aus einer Vorlage
entnommenen Gedanken durch ein Zitat nachweisen. Dies erfolgt innerhalb des
Textes vereinfacht durch Fußnoten oder Anmerkungen, am Anfang oder Ende des
Textes in zusammenfassenden, ausführlicheren, am einfachsten alphabetisch zu
ordnenden Literaturverzeichnissen.
Lehrbücher, Kommentare und
Monographien werden dabei in Literaturverzeichnissen grundsätzlich nach
Verfassern, Titel, Auflage und Jahr zitiert. Fehlt ein Verfasser, so tritt (am
besten) der Sachtitel des Werkes an die erste Stelle und folgt danach der
Herausgeber. Herkömmlicherweise nicht angegeben werden Berufstitel des
Verfassers oder Herausgebers (z. B. Magister, Doktor, Professor usw.), Verlag,
Erscheinungsort, die Tatsache, dass es sich um die erste Auflage eines Werkes
handelt (anders bei 2. Auflage und weiteren Auflagen), und gesamte Seitenzahl
eines Werkes (anders aber zur Unterrichtung gleich unten).
Aufsätze (und Rezensionen) werden nach
Verfasser, Titel und Fundort zitiert. Ist der Fundort eine Zeitschrift, so sind
(Bandzahl,) Erscheinungsjahr und Seite anzugeben. Entscheidend ist im Zweifel,
dass der fremde Gedanke mit Hilfe der Angaben eindeutig, leicht und schnell vom
Nutzer im gesamten Schrifttum gefunden und überprüft werden kann.
Die Angabe eines Vornamens eines
Verfassers oder Herausgebers kann insbesondere bei sehr häufigen Familiennamen
sehr hilfreich sein. Im Zweifel sollte der Zitierende einheitlich verfahren.
Ein Mittelweg kann die Angabe eines abgekürzten Vornamens sein.
II. Lehrveranstaltung
Eine überzeugende aktuelle
Lerngrundlage gibt es bisher in der Studienliteratur Österreichs nicht.
Empfohlen werden von Lehrveranstaltungsleitern in unterschiedlicher Auswahl (in
Ordnung nach Sachgebieten) die
(Gesetzestexte) Kodex
Einführungsgesetze ABGB und B-VG, 6. A. 2009 (368 S.)
Stolzlechner, H., Einführung in das
öffentliche Recht, 4. A. 2007 (360 S.)
Raschauer, B., Öffentliches Recht -
Einführung in die Rechtswissenschaften und ihre Methoden Teil 1 10. A. 2009 (98
S.)
Markl, C./Pittl, R., Einführung in das
Privat- und Wirtschaftsrecht, 2. A. 2006 (494 S.)
(Barta, H.) Onlinelehrbuch Zivilrecht
http://www.uibk.ac.at/zivilrecht/buch (Barta, H., Zivilrecht, 2000 [615 S.])
Köbler, G., Juristisches Wörterbuch,
14. A. 2007
Fachwörterbuch Einführung in die
Rechtswissenschaften, hg. v. Piska, C./Frohner, J., 2009
Wer diese Werke (z. B. mit Word)
alphabetisch ordnet, hat als unverbindliches Muster ein erstes kleines
juristisches Literaturverzeichnis.
I) Ratschläge
Der Studierende sollte in der
schwierigen, aber auch schönen Wechsellage zwischen geführter, sicherer Schule
und freiem, eigenverantwortlichem Universitätsstudium alle ihm zugänglichen
Orientierungshinweise ruhig und angstfrei überdenken. Im Zweifel sollte er
neugierig sein und fragen, aber nicht andere Fragensteller wegen vermeintlich
unkluger Fragen auslachen. Er sollte sich seinen gesunden Menschenverstand
bewahren für einen spielerischen Umgang mit den durch Vorarbeiten, Zuhören,
Lesen und Nacharbeiten erfassbaren juristischen Lösungsbausteinen.
Im Zweifel stehe ich selbst für Fragen
jedermann jederzeit zur Verfügung. Am leichtesten bin ich über gerhard.koebler@uibk.ac.at oder weristwer@imdeutschenrecht.de erreichbar.
Weitere Daten bietet meine über verschiedene Zugänge (z. B. Google) aufrufbare
Internetseite http://www.koeblergerhard.de.
Jedermann darf mir über alle Medien
auch stets Vorschläge unterbreiten. Für jeden gut gemeinten Hinweis bin ich
jedermann dankbar. Sehr gerne arbeite ich mit besonders interessierten
Studierenden auch vertieft bei der Erarbeitung verbesserter Lerngrundlagen
zusammen.
§ 2 Recht
A) Wesen
B) Dimensionen
C) Arten
D) Gestalt
E) Anwendung
F) Quelle
A) Wesen
Gegenstand der Rechtswissenschaft als einer
Wissenschaft ist das Recht. Deswegen muss als erstes sein Inhalt ermittelt
werden. Hierfür ist auf Grund seiner Komplexität im Gegensatz zu einfacheren
Gegenständen wie z. B. einem Bleistift, einem Fahrrad oder einem Hemd eine
vorsichtige Annäherung nötig.
Danach lässt sich Recht als bestimmter
Bereich des zivilisierten menschlichen Lebens bestimmen. Er ist als solcher
trotz vieler Unterschiede in zahllosen Einzelheiten in der Gegenwart weltweit
anerkannt. Englisch wird das Recht als law, französisch als droit, italienisch
als diritto, spanisch als derecho, portugiesisch als direito, lateinisch als
ius, griechisch als dikaio, russisch als prawo, türkisch als hukuk, japanisch
als ho oder chinesisch als fa bezeichnet, wobei es trotz unterschiedlichster Benennungen
sachlich im Großen und Ganzen um denselben Gegenstand geht.
Dieser Bereich des zivilisierten
menschlichen Lebens lässt sich von anderen Bereichen deutlich trennen. Er
betrifft nicht Gott oder Götter wie etwa die Religion, nicht die Gesundheit wie
etwa die Medizin, nicht die Geschicklichkeit wie etwa der Sport, nicht das Geld
wie etwa die Wirtschaft und auch nicht Geräte wie etwa die Technik. Im
Mittelpunkt dieses besonderen Bereichs zivilisierten menschlichen
Zusammenlebens steht vielmehr die Gerechtigkeit.
Deswegen fragt sich als nächstes, was
eigentlich Gerechtigkeit (lateinisch iustitia) ist. Diese Frage lässt
sich vereinfachen in die Fragen etwa nach der gerechten Note, nach dem
gerechten Preis oder auch nach dem gerechten Krieg. Die gerechte Note ist im
Idealfall beispielsweise gegeben, wenn sie der Beurteilte, der Beurteiler und
die Allgemeinheit als richtig anerkennen, so dass sich Gerechtigkeit als
richtiger Zustand innerhalb der (jeweiligen) zivilisierten menschlichen
Gesellschaft beschreiben lässt.
Obwohl sich angesichts der
unterschiedlichen Interessen der Beteiligten dieser Zustand im Einzelfall nicht
leicht erreichen lässt, besteht seit der griechischen Antike allgemeine
Übereinstimmung darüber, dass sich zwei Arten von Gerechtigkeit unterscheiden
lassen. Austeilende (distributive) Gerechtigkeit ist im Verhältnis
zwischen Allgemeinheit und Einzelnem erforderlich, so dass allgemein bei
Rechten wie Pflichten (gerechterweise) Gleiches gleich zu behandeln ist
(Gleichheitsgrundsatz). Ausgleichende (kommutative) Gerechtigkeit
betrifft das Verhältnis der Einzelnen zueinander, so dass der eine Einzelne den
von ihm am Vermögen des anderen Einzelnen in bestimmter Weise verursachten
Schaden gerechterweise ausgleichen oder ersetzen muss (Schadenersatz).
Auch wenn sich wegen der
unterschiedlichen Interessen der Beteiligten ein richtiger Zustand innerhalb
der (jeweiligen) zivilisierten menschlichen Gemeinschaft nicht in jedem Fall
eindeutig herstellen lässt und deswegen im Einzelfall Gerechtigkeit durch
Billigkeit ergänzt werden muss, besteht doch Einigkeit darüber, dass
Gerechtigkeit als solche grundsätzlich ein erstrebenswertes Ziel ist. Deswegen
fragt sich stets, wie dieses am ehesten erreicht werden kann. Diese Frage hat
die zivilisierte menschliche Gesellschaft seit Tausenden von Jahren mit der
Aufstellung allgemein anerkannter Sätze beantwortet wie z. B. in dem ersten
Satz des altrömischen Zwölftafelgesetzes von 451/450 v. Chr.: Wenn einer einen
anderen vor Gericht lädt, soll der andere kommen(, damit das Gericht eine
richtige Entscheidung im Streit des einen mit dem anderen treffen kann).
Solche Sätze sind Verhaltensrichtlinien
für den Menschen in der zivilisierten menschlichen Gesellschaft. Wenn er sie
beachtet, kann er grundsätzlich damit rechnen, dass sein Verhalten als richtig
anerkannt wird. Wenn er sie nicht beachtet, muss er grundsätzlich davon
ausgehen, dass sein Verhalten als unrichtig angesehen wird und mit einiger
Wahrscheinlichkeit rechtliche Folgen zu seinen Lasten nach sich ziehen wird.
Wichtig ist dabei, dass die
Verhaltensrichtlinien selbst grundsätzlich allgemein anerkannt werden. Dies ist
besonders dann der Fall, wenn sie von allen gemeinsam gebildet werden. Dies ist
am ehesten möglich, wenn sie einer allgemeinen Erfahrung und einer allgemeinen
Überzeugung von ihrer Nützlichkeit für das menschliche Zusammenleben
entsprechen.
Solche aus der Erfahrung aller
gewonnenen Sätze können zwei Richtungen aufweisen. Sie können einerseits ein
bestimmtes menschliches Verhalten als grundsätzlich gefährlich verbieten (z. B.
Führen eines Kraftfahrzeugs unter Alkoholeinfluss oder Drogeneinfluss) und sind
dann Verbote. Sie können aber auch andererseits ein bestimmtes
menschliches Verhalten als grundsätzlich nützlich gebieten (z. B. Zahlen von Steuern
zur Finanzierung staatlicher Aufgaben) und sind dann Gebote.
Verbote und Gebote haben dabei trotz
grundsätzlicher Verschiedenheit einen gemeinsamen Inhalt. Sie schränken die
ursprünglich vorhandene unbegrenzte Freiheit des einzelnen Menschen in einer
bestimmten Hinsicht ein (z. B. ist Betreten eines Grundstücks gegen den Willen
des Berechtigten verboten). Umgekehrt sichern sie aber auch diese in
vielfältiger Hinsicht beschränkte menschliche Freiheit in anderen Hinsichten
(z. B. kann der Staat mit den Steuereinnahmen [Draken- oder
Eurofighter-]Abfangjäger gegen Luftangriffe auswärtiger feindlicher Mächte
erwerben).
Insgesamt ist also Recht eine Vielzahl
oder auch eine Gesamtheit von mehr oder weniger anerkannten Sätzen zur
Steuerung des Verhaltens der Einzelnen in einer zivilisierten menschlichen
Gemeinschaft. Ähnliche Gesamtheiten von Verhaltensrichtlinien sind auch
Religion (z. B. du sollst an Gott glauben, du sollst den Feiertag heiligen, du
sollst Almosen geben) oder Sitte (z. B. du sollst älteren Menschen im Omnibus
deinen Sitzplatz anbieten, du sollst Verwandten zum Geburtstag gratulieren, du
sollst dich in einer Schlange von Wartenden am jeweiligen hinteren Ende
anstellen), wobei an der Grenze zum Recht die Verkehrssitte steht(, vgl. §§ 863
II, 914 ABGB, 346 UGB). Das Recht unterscheidet sich von den in vielen
Hinsichten ähnlichen Verhaltensrichtliniengesamtheiten Religion und Sitte sowie
der nach innen gerichteten, dem Gewissen verantwortlichen Moral dadurch, dass
der Staat die Einhaltung der (Rechtsfolgen der) Rechtssätze (z. B. Strafe,
Buße, Verweigerung eines angestrebten Erfolgs, Entzug eines Rechtes, Ersatz
eines Schadens u. s. w.) bei Bedarf mit Zwangsgewalt (z. B. Polizei, Gericht,
Exekutor) durchsetzen kann, während der Religion und der (äußeren) Sitte sowie
der (inneren) Moral (Sittlichkeit) diese Möglichkeit nicht zur Verfügung steht,
sondern beispielsweise Missbilligung oder Ausschluss als Druckmittel genügen
müssen.
Recht ist deshalb die (von der
Allgemeinheit geschaffene und) zwangsweise von Seiten der Allgemeinheit
durchsetzbare, wenn auch nicht in jedem Fall tatsächlich durchgesetzte
Gesamtheit von Verhaltensrichtlinien (Sollenssätzen) in der zivilisierten
menschlichen Gesellschaft. Die Zahl der Verhaltensrichtlinien nimmt dabei im Laufe
der menschlichen Geschichte zu. Sie ist bereits in der Gegenwart in ihrer
Gesamtheit für den Einzelnen nicht mehr überschaubar, wird aber gleichwohl
weiter wachsen.
Das Recht ist grundsätzlich
einzelstaatliches Recht. Mehrere Staaten können aber in einem Staatenverbund
auch Gemeinschaftsrecht schaffen und schaffen lassen (z. B. Europäische
Gemeinschaft bzw. Europäische Union). Durch Vertrag wie Gewohnheit kann auch
unter Völkern (Staaten) Recht (Völkerrecht) entstehen, das aber mangels
übergeordneter Souveränität bzw. Staatsgewalt bisher weder eine geordnete
Rechtssetzung noch eine geordnete Rechtsdurchsetzung kennt.
B) Dimensionen
Das Recht ist eine vom Menschen
mittels seiner vorgegebenen Möglichkeiten geschaffene Einrichtung (positives
Recht in Gegensatz zu einem natürlichen, dem Menschen vorgegebenen Recht). Aus
diesem Grund nimmt das Recht an den natürlichen Vorgegebenheiten des
zivilisierten menschlichen Lebens Teil. Deswegen ist das Verhältnis des Rechts
zu den Dimensionen Zeit, Raum, Wirklichkeit und Theorie zu bestimmen.
I. Zeit
Das Recht besteht wie alles
menschliche Leben in der Dimension Zeit. Recht geschieht in der Zeit. Es ist
unentrinnbar in die Zeit eingebunden.
Deswegen hat Recht notwendigerweise
einen Anfang und ein Ende. Als Einrichtung der zivilisierten menschlichen
Gesellschaft ändert es sich mit ihr in der Zeit. Es hat also eine Geschichte
mit der Tendenz ständigen Wachstums, mit der sich das besondere Fach Rechtsgeschichte
befasst.
II. Raum
Das Recht besteht wie alles
menschliche Leben in der Dimension Raum. Es wird im Raum verwirklicht. Wegen
der Größe des irdischen Raumes gibt es räumlich verschiedenes Recht auf der
Erde (z. B. in Österreich, Deutschland, der Schweiz, Großbritannien,
Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Russland, der Türkei, Japan oder
China).
Mit der räumlichen Verschiedenheit des
Rechts befasst sich die Rechtsvergleichung. Sie erkundet die bestehenden
Verschiedenheiten und ermöglicht die Verbesserung durch Anpassung. Mit dem
technischen Fortschritt seit Beginn der Neuzeit ist eine Globalisierung des
menschlichen Lebens eingeleitet, die seit dem 20. Jahrhundert auch immer
stärkere Auswirkungen auf das Recht (vor allem innerhalb der Europäischen
Union, aber auch infolge des technischen Vorsprungs der Vereinigten Staaten von
Amerika weltweit) hat.
III. Wirklichkeit
Das Recht ist eine jeweilige
Gesamtheit von Verhaltensrichtlinien. Sie wollen das Verhalten des Menschen
gestalten oder steuern. Dies gelingt aber nicht immer.
Vielmehr töten Menschen andere Menschen
trotz des Verbotes, andere Menschen zu töten. Umgekehrt bezahlen andere
Menschen ihre Schulden nicht, obgleich sie die Zahlung versprochen haben.
Sowohl ein Verstoß gegen ein Verbot wie auch ein Verstoß gegen ein Gebot, kann
sehr häufig vorkommen.
Deswegen weicht die Rechtswirklichkeit
in vielen Hinsichten von den Rechtssätzen als Geboten und Verboten ab. Das
Sollen entspricht nicht stets dem Sein. Mit der Rechtswirklichkeit im Gegensatz
zum Recht als Gesolltem befasst sich die Rechtssoziologie als eigenes
Fach.
IV. Theorie
Theorie ist das auf Betrachten
gegründete Erkennen. Es geht von der einzelnen Erscheinung aus und wendet sich
dem Allgemeinen zu. Dementsprechend will die Theorie allgemeine Wahrheiten
ermitteln.
Sie sind von der Rechtspraxis grundsätzlich
getrennt. Sie betreffen nicht tatsächliche Einzelheiten, sondern grundlegende
Gegebenheiten. Deswegen ist die Rechtstheorie auch am ehesten mit der
Rechtsphilosophie verwandt.
In diesem Rahmen ist die Rechtstheorie
ein eigenes Fach. Seine wichtigste Frage ist: warum gibt es Recht? Auf die
Länge muss das möglicherweise unerreichbare Ziel der Rechtstheorie die
Gewinnung des besten Rechtes als wahres Recht sein.
C) Arten
Das Recht als das in Zeit und Raum in
der zivilisierten menschlichen Gesellschaft praktisch unter Zwangsandrohung
Gesollte ist sehr komplex. Es besteht wie Religion und Mathematik nur in den
Gedanken der Menschen. Wegen seines großen Umfangs bedarf es zwecks besserer
Erfassung der wissenschaftlichen Gliederung in mehrfacher Hinsicht.
I. Öffentliches Recht und privates
Recht (Privatrecht)
Die Unterscheidung zwischen
öffentlichem Recht und privatem Recht (innerhalb des objektiven Rechts) beruht
gedanklich auf dem Zusammenschluss der Einzelnen zur Allgemeinheit. Als deren
Folge unterscheiden bereits Rechtskundige (lateinisch iurisperiti) im antiken
Rom zwischen ius publicum (die Allgemeinheit betreffendem Recht) und ius
privatum (den Einzelnen betreffendem Recht). Im öffentlichen Recht besteht
die Hoheitsgewalt des Hoheitsträgers, mit deren Hilfe er sich grundsätzlich
jederzeit gegenüber dem Einzelnen durchsetzen kann, sofern seine Hoheitsgewalt
nicht durch das Recht in Grenzen gehalten wird, während das private Recht vor
allem durch die grundsätzliche Freiheit und Gleichheit des Einzelnen
gekennzeichnet ist, soweit sie nicht durch das Recht eingeschränkt werden.
Die Abgrenzung zwischen öffentlichem
Recht und privatem Recht ist grundsätzlich einfach, in den Einzelheiten aber
sehr schwierig und im Einzelfall nur durch höchstrichterliches Urteil zu
entscheiden. Im Laufe der Rechtsgeschichte haben sich mehrere Ansichten dazu
gebildet. Die wichtigsten werden als (Interessentheorie, als)
Subordinationstheorie, als Subjektstheorie und als modifizierte Subjektstheorie
bezeichnet.
Die Subordinationstheorie geht
von der Überordnung und Unterordnung (Subordination) aus. Nach ihr liegt
öffentliches Recht vor, wo Überordnung herrscht, privates Recht dagegen dort,
wo Gleichordnung besteht. Demnach wäre Familienrecht mit der Unterordnung der
Kinder unter die Eltern öffentliches Recht, Völkerrecht mit der Gleichordnung
der Staaten untereinander privates Recht, was aber nach allgemeiner Einsicht
nicht zutrifft.
Nach der Subjektstheorie kommt
es auf das Subjekt bzw. seine Eigenschaft als Träger von Hoheitsgewalt an.
Öffentliches Recht ist das Recht der Träger von Hoheitsgewalt. Der Staat ist
zwar grundsätzlich Träger von Hoheitsgewalt, darf sie aber etwa bei einem Kauf
von Büromaterial gegenüber dem Einzelnen nicht einsetzen, so dass auch die
Subjektstheorie zur Abgrenzung nicht verwendet werden kann.
Nach der modifizierten
Subjektstheorie liegt öffentliches Recht (nur) dort vor, wo der Träger von
Hoheitsgewalt (Zwangsgewalt und Befehlsgewalt) in seiner Eigenschaft als
solcher tätig wird. Dementsprechend sind Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht,
Verfahrensrecht und Strafrecht (im teilweisen Gegensatz etwa zum Studienplan
der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck) öffentliches
Recht, Personenrecht, Schuldrecht, Sachenrecht, Familienrecht, Erbrecht,
Handelsrecht, Arbeitsrecht (zumindest teilweise) und Erfindungsrecht (sowie
internationales Privatrecht) privates Recht, wobei in Grenzfällen schwierige
Entscheidungsfragen auftreten, die an Hand der überwiegenden Gesichtspunkte
gelöst werden müssen. Auch der Staat handelt in diesem Rahmen bei einem Kauf
von Büromaterial privatrechtlich und nicht öffentlichrechtlich.
Dabei kann ein einzelnes Geschehen
zugleich öffentlichrechtliche und privatrechtliche Rechtsfolgen nach sich
ziehen. Nach einem Verkehrsunfall kann ein Beteiligter öffentlichrechtlich zu
Haft verurteilt werden und seine Fahrerlaubnis verlieren. Privatrechtlich kann
er einem Geschädigten den verursachten Schaden ersetzen müssen.
II. Formelles Recht und materielles
Recht
Die Gesamtheit des (objektiven) Rechts
kann man auch nach Form und Inhalt teilen. Formelles Recht ist dabei das
durch Form oder Formalität beherrschte Recht, das sich hauptsächlich auf die
Durchsetzung des materiellen Rechts bezieht (Verfahrensrecht oder Prozessrecht
mit Zivilprozessrecht [z. B. ZPO] einschließlich Zwangsvollstreckungsrecht,
Außerstreitverfahrensrecht, Strafprozessrecht [z. B. StPO],
Verwaltungsprozessrecht und Verfassungsprozessrecht sowie Organisationsrecht
über Einrichtung und allgemeine Aufgabenstellung [z. B. der
Bundesministerien]). Materielles Recht ist das durch den Inhalt an
Stelle der Form bestimmte Recht, das vor allem die Voraussetzungen für
Ansprüche enthält (Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Strafrecht [z. B. StGB],
Privatrecht [z. B. ABGB]).
III. Objektives Recht - subjektives
Recht
Objektives Recht ist das losgelöst von einzelnen
Berechtigten als solches bestehende Recht im Sinne der Gesamtheit aller
Rechtssätze einer menschlichen Gesellschaft zur Steuerung des Verhaltens
betroffener Personen gegenüber anderen Personen und gegenüber Gegenständen (z.
B. Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht, Strafrecht,
Privatrecht, also beispielsweise § 1 ABGB, Art. 1 B-VG). Subjektives Recht
ist das für die einzelne Person auf Grund des objektiven Rechtes bestehende
einzelne Recht (einzelne Befugnis, einzelne Berechtigung, einzelne Macht)
gegenüber mindestens einer anderen Person einschließlich des Staates vor allem
auch in Bezug auf Gegenstände (z. B. Anspruch des Berechtigten auf Familienbeihilfe
gegenüber dem Staat, Eigentum einer Person an einer Sache gegenüber allen
anderen Personen, Kaufpreisanspruch des Verkäufers gegenüber dem Käufer,
grundsätzlich bisher wohl kein Anspruch des Einzelnen auf Tätigwerden des
Staates). Die zahllosen subjektiven Rechte (englisch rights, lateinisch iura,
Plural) beruhen jeweils auf dem objektiven Recht oder ergeben sich jeweils aus
dem objektiven Recht (englisch law, lateinisch ius Singular, z. B. ist für
viele einzelne Ansprüche auf Schadenersatz die Anspruchsgrundlage § 1295 ABGB).
IV. Zwingendes Recht - abdingbares
Recht
Innerhalb des objektiven Rechts gibt
es grundsätzlich Rechtssätze, die von den Rechtsunterworfenen nicht durch
Vereinbarung geändert (abbedungen) werden können, und andere Rechtssätze, die
von den Rechtsunterworfenen durch Vereinbarung abgeändert (abbedungen)
werden können. Von Rechtsunterworfenen grundsätzlich nicht abänderbar ist
beispielsweise das Verwaltungsrecht, das Verfahrensrecht oder das Strafrecht.
Demgegenüber kann etwa das Schuldrecht an sich in weitem Umfang von den
Rechtsunterworfenen durch Vereinbarung verändert werden, soweit dies nicht
gesetzlich besonders ausgeschlossen ist (z. B. Abbedingung gesetzlicher
Sachmängelgewährleistungsrechte).
D) Gestalt
Das objektive Recht ist weltweit eine
Vielzahl einzelner objektiver Rechtssätze mit unterschiedlicher persönlicher,
örtlicher, inhaltlicher und zeitlicher Geltung, die in der Regel wegen ihrer
großen Zahl aus praktischen Überlegungen als (nummerierte) Paragraphen,
Artikel, Absätze, Ziffern, Nummern, Buchstaben, Sätze u. s. w. umfassenderer
Texte (z. B. Verfassungen, Gesetzbücher, Gesetze, Verordnungen)
individualisiert werden. Die Gesamtzahl ist unbekannt. Sie wächst stetig
weiter.
Die wichtigsten einzelnen Rechtssätze
(anders etwa bloße Legaldefinitionen, Ermächtigungsnormen, Delegationsnormen,
Derogationsnormen, Verweisungsnormen [z. B. § 1 ZPO auf ABGB] u. s. w.) haben
grundsätzlich gleiche Gestalt. Sie bestehen (zumindest idealtypisch) aus zwei
Teilen. Die beiden Teile sind durch ein Bindewort verbunden, das sich
graphisch als Gleichheitszeichen darstellen lässt.
Auf der einen (bei der üblichen
Schreibweise von links nach rechts) linken Seite steht eine bestimmte
Gegebenheit. Sie bildet eine Voraussetzung für den gesamten Satz. Sie wird im
Recht insgesamt, auch wenn sie selbst aus mehreren Teilen oder Elementen
zusammengesetzt ist, herkömmlich als Tatbestand bezeichnet (z. B. [wer]
einen Menschen tötet).
Auf der anderen und damit rechten
Seite steht eine zweite Gegebenheit. Sie ist die (natürliche oder) vom Menschen
gewollte Folge der Voraussetzung. Sie wird im Recht herkömmlich Rechtsfolge
genannt (z. B. wird … bestraft).
Stets gilt mathematisch die Gleichung
Tatbestand = Rechtsfolge. Ein bestimmter Tatbestand zieht nach dem objektiven
Recht eine bestimmte Rechtsfolge nach sich. Für eine bestimmte Rechtsfolge ist
umgekehrt ein bestimmter Tatbestand die Voraussetzung.
Sprachlich kann dabei variiert werden.
Der Rechtssatz kann entweder aus einem Hauptsatz bestehen (z. B. der Dieb
soll mit Haft bestraft werden). Er kann aber auch als Relativsatz
gestaltet sein (z. B. wer stiehlt, der soll mit Haft bestraft werden) oder als Konditionalsatz
(z. B. wenn jemand stiehlt, dann soll er mit Haft bestraft werden).
Da der Rechtssatz sprachlich aus
Wörtern zusammengesetzt ist, können ihm alle Ungewissheiten anhaften, die mit
der Sprache und ihren Bestandteilen verbunden sein können. Deswegen muss bei
Zweifeln der Inhalt des Rechtssatzes erst angemessen verständlich gemacht
werden. Dieser Vorgang wird als Auslegung bezeichnet.
Für die Auslegung sprachlicher
Gegebenheiten sind in der Rechtswissenschaft spätestens seit dem frühen 19.
Jahrhundert (mindestens) vier Möglichkeiten oder Methoden anerkannt. Ein Text
kann entweder rein sprachlich (verbal, grammatisch,
logisch-grammatikalisch) oder entstehungsgeschichtlich (historisch) oder
bezüglich des Zusammenhangs (systematisch) oder von der Zielsetzung
her (teleologisch) ausgelegt werden. Uneingeschränkten Vorrang hat keine
der vier Auslegungsmethoden, doch gewinnt ein Ergebnis durch Übereinstimmung
bei Anwendung unterschiedlicher Auslegungsmethoden an Bedeutung.
Trotz der großen und stetig wachsenden
Zahl der (anerkannten) Rechtssätze kann im Einzelfall ein unangemessenes
Ergebnis eintreten. Dann muss der Richter bei seiner Entscheidung
gerechterweise in die Summe der Rechtssätze eingreifen. Dazu darf er Analogie
und (teleologische) Reduktion verwenden.
Analogie ist die Anwendung einer Rechtsfolge
eines Rechtssatzes auf einen im Rechtssatz selbst nicht enthaltenen Tatbestand.
Sie setzt eine als ungerecht angesehene Lücke des objektiven Rechts
voraus. Stellt der Richter (oder Rechtswissenschafler) sie fest, darf er,
obwohl er wegen der Gewaltenteilung nicht für die Rechtsetzung zuständig ist,
die Rechtsfolge R des Rechtssatzes T = R auch auf den von T trotz Auslegung
nicht erfassten Fall (neue Tatbestandserweiterung) x anwenden (z. B. analoge
Anwendung der Regeln über den Erbvertrag [§§ 1249ff. ABGB] auf einen
Vermächtnisvertrag), wobei die Anwendung der Rechtsfolge eines einzelnen
gesetzlich geregelten Rechtssatzes auf den Fall (neue Tatbestandserweiterung) x
als Gesetzesanalogie bezeichnet wird, die Anwendung der
übereinstimmenden Rechtsfolgen mehrerer Rechtssätze auf den Fall (neue
Tatbestandserweiterung) x als Rechtsanalogie.
Reduktion (teleologische Reduktion) ist im
Gegensatz zur erweiternden Analogie die sachlich einengende Einschränkung eines
vorhandenen, aber gerechterweise als zu weit reichend angesehenen Rechtssatzes.
Bei ihr sieht der Rechtssatz für den gesamten Tatbestand eine bestimmte
Rechtsfolge vor, doch erscheint die Anwendung dieser Rechtsfolge auf einen
Teilbereich des Tatbestands als unangemessen, unsachlich oder ungerecht. Vom
Ziel (griechisch telos) des Rechtssatzes her muss also ein Teil des Tatbestands
entgegen dem Wortlaut von der vorgesehenen Rechtsfolge ausgenommen werden.
E) Anwendung
Das objektive Recht ist in allen
objektiven Rechten der Welt eine Gesamtheit von geschichtlich entstandenen
Verhaltensrichtlinien oder Sollenssätzen. Diesem abstrakten Gedankengebilde
steht überall die vielfältige Lebenswirklichkeit gegenüber. Soll das
Recht sich auf diese auswirken, muss es weltweit in gleicher Weise im
Einzelfall auf sie angewendet werden, indem die für das Sollen
geschaffenen Folgen auf das Sein bezogen werden.
Gedanklich bedeutet dies die
Erweiterung der linearen Beziehung zwischen Tatbestand und Rechtsfolge (T = R)
um die Wirklichkeit des Seins (S). Dementsprechend müssen bei der
Rechtsanwendung drei Gegebenheiten (Begriffe) zueinander in Beziehung treten.
Dies sind (allgemeiner) Tatbestand (Mittelbegriff), (allgemeine) Rechtsfolge
(Oberbegriff) und (einzelner) Sachverhalt (Unterbegriff), so dass über
die Beziehung zwischen Tatbestand und Rechtsfolge im Rechtssatz hinaus weiter auch
Sachverhalt und Tatbestand sowie Sachverhalt und Rechtsfolge verknüpft werden
können oder müssen.
Dabei sind, wie die einfache Figur
eines Dreiecks jedermann leicht erkennen lässt, bei drei Elementen mindestens
und höchstens drei Beziehungen zwischen je zwei Elementen möglich. Schon die
Philosophie der griechischen Antike hat in dieser Lage gezeigt, dass die
überzeugende Reihenfolge dieser drei Beziehungen zwischen je zwei Elementen
überzeugende Ergebnisse bewirken kann. Weil dies so einleuchtend ist, wird noch
heute dieser Vorgang mit dem aus griechischen Wörtern gebildeten Wort Syllogismus
(Zusammensprechen, Zusammenrechnen) bezeichnet.
Das gängigste Beispiel hierfür lautet:
Alle Menschen sind sterblich. Alle Griechen sind Menschen. Also sind alle Griechen
sterblich.
Alle Aussagen entsprechen dabei einem
bestimmten Typ. Stets sind ein syllogistisches Subjekt und ein
syllogistisches Prädikat nötig. Dem syllogistischen Subjekt (z. B. dem Unterbegriff
des Schlusssatzes) wird das syllogistische Prädikat (z. B. der Oberbegriff des
Schlusssatzes) in bestimmter Weise zugesprochen oder abgesprochen.
Der erste Satz dieser graphisch in
Form eines logischen gleichseitigen Dreiecks darstellbaren Beziehung heißt
herkömmlich Obersatz. Der zweite Satz wird (beispielsweise wegen der
Unterordnung oder Subsumtion der Art Griechen unter die Gattung
Menschen) Untersatz genannt. Der abschließende letzte, zwangsläufig
folgende Satz ist der Schlusssatz.
Allgemein ist der Syllogismus dabei
durchaus vielfältig Es können nämlich allgemeine Aussage (z. B. alle Griechen),
partikuläre Aussagen (z. B. einige Griechen), bejahende Aussagen (z. B. alle
Griechen, einige Griechen) und verneinende Aussagen (z. B. keine Griechen,
einige Griechen nicht) unterschieden werden. Daraus ergeben sich beispielsweise
die vier Aussagemöglichkeiten: alle S sind P, kein S ist P, einige S sind P
bzw. einige S sind nicht P.
Weiter gibt es bestimmte
Voraussetzungen für gültige Syllogismen. Beispielsweise kann aus den beiden
Aussagen kein Fisch ist ein Angler und einige Angler sind keine Fische
syllogistisch kein Schlusssatz gezogen werden, weil allein aus verneinten
Aussagen nichts folgt. Auch aus den Aussagen einige Säugetiere leben im Wasser,
einige Tiere, die auf dem Land leben, sind Säugetiere kann syllogistisch nichts
geschlossen werden, weil mindestens eine der beiden Aussagen allgemein sein
muss.
Insgesamt kennt die Logik dabei (je
nach der Stellung des nur in den Prämissen vorkommenden Mittelbegriffs [im
Obersatz als Subjekt oder als Prädikat, im Untersatz entweder als Subjekt oder
als Prädikat]) vier Figuren und pro Figur 4 x 4 x 4 Möglichkeiten. Dies führt
insgesamt zu 4 x 4 x 4 x 4 oder 256 Typen von Syllogismen (Typen
logischer Argumente). Davon sind (nur) 24 gültig und (weit mehr,
nämlich) 232 nicht gültig.
Die 24 gültigen Typen von Syllogismen
verteilen sich gleichmäßig auf die vier Fälle der Distribution. Dabei ist ein
Begriff innerhalb einer Aussage dann distribuiert, wenn aus dieser Aussage jede
andere Aussage folgt, die aus der ursprünglichen Aussage entsteht, indem der
ursprüngliche Begriff durch einen echten Unterbegriff ersetzt wird.
Beispielsweise ist in der Aussage alle Philosophen (Subjekt) sind Menschen
(Prädikat) der Begriff Philosoph distribuiert, weil aus der Tatsache, dass alle
Philosophen Menschen sind, folgt, dass alle Rechtsphilosophen Menschen sind.
Der bekannteste gültige Syllogismus
hat auf Grund seiner Struktur in der Logik den (durch die Typen des Obersatzes,
Untersatzes und Schlusssatzes bestimmten und die dadurch oder dafür
festgelegten Vokale gewonnenen) Kennnamen Barbara (alle drei Sätze sind
affirmativ [bejahend] und allgemein gültig) und lautet beispielsweise: Alle
Innsbrucker sind Tiroler. Alle Wiltener sind Innsbrucker. Also sind alle
Wiltener Tiroler (oder: alle Rechtecke sind Vierecke, alle Quadrate sind
Rechtecke, also sind alle Quadrate Vierecke oder alle Griechen sind Menschen,
alle Menschen sind sterblich, also sind alle Griechen sterblich).
Im Bereich des Rechtes ist der erste
Satz dieses syllogistischen Dreiecks grundsätzlich der bereits bekannte Rechtssatz.
Er lautet allgemein T (Tatbestand, Mittelbegriff) = R (Rechtsfolge,
Oberbegriff). Er findet sich in großer Zahl im Recht, so dass wer das gesamte
Recht kennt, auch alle rechtlichen Sätze T = R (Obersätze) weiß.
Der zweite Satz muss im Einzelfall den
Sachverhalt (Unterbegriff) mit dem Tatbestand des Rechtssatzes (Mittelbegriff)
in Beziehung bringen. Er (findet sich noch nicht in den allgemeinen
Rechtssätzen, sondern) muss (also) im Rechtsstreit vom Richter neu gebildet
werden. Dabei muss der Richter sich entscheiden und hat grundsätzlich nur die
Möglichkeit, (entweder positiv) festzustellen S = T (und damit einen zweiten
Satz im Syllogismus zu bejahen) oder als Alternative nur die Möglichkeit,
(negativ) festzustellen „S ist kein einzelner Fall von T“ (und damit einen
zweiten Satz als Untersatz im Syllogismus zu verneinen).
Dieser Abschnitt der Rechtsanwendung
ist der schwierigste. Er kann vom dafür zuständigen Richter nur dann
überzeugend bewältigt werden, wenn er den Sachverhalt S ganz genau mit dem
Tatbestand T vergleicht. Im Zweifel muss er sich für die ihm gerecht
erscheinende Lösung entscheiden und dabei auch die Gefahr eingehen, trotz besten
Wissens und Gewissens eine falsche, ungerechte Entscheidung getroffen zu haben.
Der dritte Satz ist demgegenüber
wieder ganz einfach. Ist der erste Satz richtig oder wahr und auch der zweite
Satz richtig oder wahr, so ist der dritte Satz nur die logische Folge der
beiden ersten Sätze. Gilt nämlich T = R und S = T, so ergibt sich durch
Streichung von T (Mittelbegriff) logisch zwangsläufig, dass auch S
(Unterbegriff) = R (Oberbegriff) sein muss, dass also auch für den Sachverhalt
S die Rechtsfolge R der Rechtsnorm R= T (in konkretisierter Form) gilt.
Die Anwendung eines Rechtssatzes auf
einen Sachverhalt kann demnach nur am Fehlen eines Obersatzes in Form eines
Rechtssatzes (trotz Analogie oder auch nur infolge teleologischer Reduktion)
oder am Fehlen eines Untersatzes (wegen Nichtzugehörigkeit der Art Sachverhalt
zur Gattung Tatbestand) scheitern. Ist beispielsweise ein bestimmtes
menschliches Verhalten nicht mit einer Strafe bedroht ist (Fehlen eines
Tatbestandes oder Mittelbegriffs) oder lässt sich trotz Bestehen eines
Strafrechtssatzes (T = R) nicht nachweisen, dass ein einzelner Mensch bzw. der
betrachtete einzelne Mensch den Tatbestand des Strafrechtssatzes verwirklicht
hat (Ablehnung des Untersatzes, Fehlen des Unterbegriffs), dann kann dieser einzelne
Mensch wegen dieses Verhaltens nicht bestraft werden. Besteht dagegen ein
entsprechender Strafrechtssatz und bejaht der Richter auch eine Verwirklichung
des Tatbestands im einzelnen Sachverhalt, dann kann der einzelne handelnde
Mensch in konkreter Form mit der im Strafrechtssatz vorgesehenen Rechtsfolge
(Strafe) bestraft werden, weil wegen T = R und S = T (logisch zwangsläufig)
auch S = R gilt.
Dargestellt wird die Rechtsanwendung
herkömmlicherweise in zwei Arten, Stilen oder Methoden. Die eine Art heißt Gutachten(methode).
Die andere Art wird als Urteil(smethode) bezeichnet.
Gedanklich steht am Anfang immer das
Gutachten, weil das Ergebnis der Frage (z. B. ist Sokrates sterblich?, ist der
Schinderhannes wegen Mordes zu hängen?) am Anfang der Überlegungen (tatsächlich
oder angeblich) unbekannt ist. Deswegen beginnt der juristische Gedankengang
stets mit der Arbeitshypothese, es könnte sein, dass …. Erst nach
Bejahung des Obersatzes und Bejahung des Untersatzes steht (also) der
Schlusssatz fest, der folglich im Gutachten als Ergebnis den Schluss bildet
(Gutachtenmethode z. B. in Ausbildungsklausuren, Kennwörter also, folglich).
Demgegenüber interessiert im
praktischen Leben das Ergebnis mehr als der gedankliche Weg dahin. Deswegen
stellt der Richter das Ergebnis an den Beginn des Urteils (z. B. Schinderhannes
ist wegen Mordes zu bestrafen). Danach begründet er es mit Hilfe der
Konjunktionen denn oder weil (Urteilsmethode z. B. in allen gerichtlichen
Urteilen, Kennwörter denn, weil).
F) Quelle
I. Allgemein
1. Wesen
Quelle ist allgemein der Ursprungsort.
Quelle des Rechts ist der Ursprungsort des Rechts. Nach kirchlicher Ansicht ist
Quelle allen Rechts letztlich Gott, nach manchen philosophischen Überlegungen
die Natur (Naturrecht), nach moderner säkularer Ansicht dagegen stets der
Mensch (positives Recht).
2. Arten
Herkömmlicherweise kann man zwischen
Rechtserkenntnisquelle und Rechtsgeltungsquelle unterscheiden. (Bloße) Rechtserkenntnisquelle
ist jede Quelle, die eine Erkenntnis über Recht ermöglicht (z. B. auch ein
Brief oder ein Roman). Rechtsgeltungsquelle ist demgegenüber die Quelle
dafür, dass ein Satz als Rechtssatz (in bestimmter persönlicher, örtlicher,
sachlicher und zeitlicher Hinsicht) gilt.
Rechtsgeltungsquelle ist nach
säkularer Ansicht grundsätzlich der Mensch (positives Recht). Dabei kann
entweder ein Einzelner tätig werden (z. B. Diktator, Tyrann, Führer) oder
können mehrere Einzelne (z. B. Aristokratie) oder alle Einzelnen gemeinsam
wirken (z. B. Demokratie). Weil in der Gegenwart die Demokratie bejaht wird,
aber die Zahl der Einzelnen in ihr zu groß ist, ist nur die mittelbare
(repräsentative) Demokratie praktisch brauchbar.
Das Zusammenwirken aller ist dabei
formlos oder förmlich möglich. Durch formloses Zusammenwirken kann bei lang
andauernder Übung mit Rechtsgeltungswillen (bzw. Rechtsüberzeugung) Gewohnheitsrecht
entstehen (ähnlich ständige Rechtsprechung, formloser Vertrag). Praktisch sehr
viel bedeutsamer ist seit der Schaffung des Staates im Spätmittelalter das förmliche
Verfahren der Schaffung von Verfassung, Gesetz, Verordnung, Satzung
(gesetztes Recht), Staatsvertrag, Urteil oder Bescheid.
3. Rangfolge
a) Rechtsetzungsberechtigte
Rechtssätze können beispielsweise von
den Vereinten Nationen, von der Europäischen Union, von einem Gesamtstaat, von
einem Gliedstaat, von einer Gemeinde, Universität, Fakultät oder von einem
Institut, einem Verein oder einem Einzelnen geschaffen werden. Erforderlich ist
dabei jeweils eine Zuständigkeit oder Rechtsetzungsbefugnis. Die Geltungsstärke
kann unterschiedlich sein (s. z. B. soft law etwa der Vereinten Nationen).
b) Inhalt
Da in der großen Vielzahl der
Rechtssätze nicht alle Rechtssätze inhaltlich von gleicher Bedeutung sein
können, sind die grundlegenden Rechtssätze meist in der eher kurzen formellen Verfassung
eines Staates konzentriert, bei deren Fehlen in jedem Fall eine materielle
Verfassung besteht. Wichtiges muss durch ein förmliches (formelles) Gesetz
festgelegt werden. Einzelfragen können einer Regelung durch Verordnung
überlassen werden.
c) Konkurrenzregeln bei Widerspruch
Widersprechen sich zwei Rechtssätze
inhaltlich, so geht wegen der gewollten Rangfolge der Rechtsquellen der
höherrangige Rechtssatz (z. B. der Verfassung) dem nachrangigen Recht (z. B.
Gesetz) vor (lateinisch lex superior derogat legi inferior). Das spätere Recht
geht wegen des gewollten Vorrangs der Gegenwart vor der Vergangenheit dem
früheren Recht vor (lateinisch lex posterior derogat legi priori). Das
besondere Recht geht wegen der gewollten Besonderheiten des Besonderen dem
allgemeinen Recht vor (lateinisch lex specialis derogat legi generali).
II. Einzelfälle
1. Vereinte Nationen
Die Vereinten Nationen (VN, UN, UNO)
sind ein (nach dem zweiten Weltkrieg in Ablösung des älteren, wenig
erfolgreichen Völkerbundes geschaffener) Zusammenschluss von (2010) 192
Staaten zur Sicherung des Weltfriedens, Einhaltung des Völkerrechts, Schutz der
Menschenrechte und Förderung der internationalen Zusammenarbeit. Sie sind kein
Staat. Sie haben keine Gesetzgebungshoheit, doch bestehen kraft Vereinbarung
gewisse andere Wirkungsmöglichkeiten.
Ihre Grundlage ist eine in San
Francisco am 26. Juni 1945 von 50 Staaten unterzeichnete, am 24. Oktober 1945
in Kraft getretene Charta (zeitlich nicht begrenzter völkerrechtlicher Vertrag)
mit einer Präambel, 19 Kapiteln und 111 Artikeln. Sicherheitsrat und
Generalversammlung können Beschlüsse (Resolutionen) fassen. Möglich sind
Konventionen und Entschließungen, die grundsätzlich nur empfehlende, bei
Beitritt auch verpflichtende Wirkung haben können.
2. Europäische Union
Die Europäische Union ist ein seit
1951 zur Verhinderung von Kriegen durch Rüstungskontrolle allmählich
entstandener Staatenverbund europäischer Staaten (2010 27). Sie ist kein
Staat. Sie hat grundsätzlich keine Gesetzgebungshoheit, doch bestehen kraft
Vereinbarung unter teilweisem Verzicht auf Souveränität eingeschränkte
Rechtssetzungsmöglichkeiten.
Primäres Gemeinschaftsrecht sind die Gründungsverträge bzw.
Gemeinschaftsverträge der Jahre 1951 und 1957, die Beitrittsverträge mit neuen
Mitgliedern und die Abänderungsverträge von Maastricht, Antwerpen, Nizza und
Lissabon, die auf den Grundsätzen der Warenverkehrsfreiheit, der
Niederlassungsfreiheit, der Dienstleistungsfreiheit, der
Kapitalverkehrsfreiheit und der Arbeitnehmerfreizügigkeit beruhen. Sekundäres
Gemeinschaftsrecht ist das auf Grund von Einzelermächtigungen in einzelnen
Rechtsgebieten mögliche Gemeinschaftsrecht. Dabei werden unmittelbar geltende Verordnungen
von den Organen Europäisches Parlament, Rat und Europäische Kommission im
Zusammenwirken beschlossen. Erlassene, aber nicht unmittelbar geltende Richtlinien
müssen von den Mitgliedstaaten innerhalb bestimmter Fristen innerhalb
bestimmter Gestaltungsspielräume besonders in mitgliedstaatliches Recht umgesetzt
werden, während einzelne Entscheidungen in Einzelfällen ergehen.
3. Mitgliedstaaten
Mitgliedstaaten der europäischen Union
haben wie andere Staaten auch überwiegend eine Verfassung (z. B.
Österreich Bundes-Verfassungsgesetz, Staatsgrundgesetz vom 21. 12. 1867 über
die allgemeinen Rechte der Staatsbürger und viele andere Verfassungsgesetze und
verfassungsrechtliche Bestimmungen, anders Großbritannien). Daneben kennen
Mitgliedstaaten zahlreiche einzelne Gesetze (und Gesetzbücher wie etwa
das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch, das Strafgesetzbuch, die
Zivilprozessordnung oder die Strafprozessordnung, anders grundsätzlich das
angloamerikanische Fallrecht mit grundsätzlich bezüglich des Kerns bindenden
Fallentscheidungen bzw. precedents). Schließlich gibt es in den Mitgliedstaaten
auch Verordnungen als von der Verwaltung für Einzelheiten auf
gesetzlicher Grundlage erlassene Rechtssätze.
4. Bundesländer
In Bundesstaaten wie Deutschland,
Österreich, der Schweiz und Russland können auch Bundesländer eine Landesverfassung,
Landesgesetze und Landesverordnungen erlassen.
5. Kommunen (Gemeinden)
Kommunen haben eine Kommunalverfassung
und können Satzungen und Verordnungen erlassen.
6. Gesamtzüge
Die Einzelheiten der Rechtsquellen
sind wegen der großen Zahl unüberschaubar. Sie lassen sich aber gleichwohl im
Grundzug beherrschen. Ihr jeweils geltender Text findet sich grundsätzlich in
einem amtlichen Ausdruck und seit etwa 2000 auch im Internet.
Für die Europäische Union gibt es ein
besonderes Amtsblatt (ABl., C Entwürfe, L verbindliche Rechtsakte, s.
http://eur-lex.europa.eu). Gesetze werden grundsätzlich in einem Gesetzblatt
(Bundesgesetzblatt [in Österreich seit 1997 dreigeteilt in Gesetze,
Verordnungen und Staatsverträge] oder Landesgesetzblatt) veröffentlicht,
Verordnungen in einem Verordnungsblatt, wobei Gesetzblatt und
Verordnungsblatt auch verbunden sein können. Alle amtlichen
Veröffentlichungsblätter werden grundsätzlich nach Jahr und Nummer bzw. Seite
und Datum zitiert (z. B. BGBl. I 2010/1).
7. Stufenbau der Rechtsordnung in
Österreich als Orientierungshilfe
In der Europäischen Union hat das
europäische Recht gegenüber dem mitgliedstaatlichen Recht grundsätzlich einen
Geltungsvorrang. Weil damit die Souveränität des Mitgliedstaats gefährdet ist,
behauptet der Mitgliedstaat einen Geltungsvorrang seiner Verfassungsprinzipien
vor dem europäischen Recht. Deswegen stehen überhalb der allgemeinen Normen von
Verfassung, Gesetz und Verordnung
a) Grundprinzipien der
Bundesverfassung Österreichs (Baugesetze)
b) Europäisches Unionsrecht
aa) Primäres Gemeinschaftsrecht
bb) Sekundäres Gemeinschaftsrecht
(Verordnungen und Richtlinien)
(Danach folgen)
c) (Einfaches) Verfassungsrecht
Österreichs
aa) im Bund Bundesverfassung bb) im
Land Landesverfassung
d) (Einfaches) Gesetzesrecht
Österreichs
aa) im Bund Bundesgesetze bb) im Land
Landesgesetze
e) Verordnungen Österreichs
aa) im Bund Bundesverordnungen bb) im
Land Landesverordnungen
(Unterhalb der allgemeinen Normen von
Verfassung, Gesetz und Verordnung stehen)
f) Individuelle Vollzugsnormen
(Bescheide, Urteile, Verträge [mit Wirkung nur im Einzelfall])
g) Einzelne Vollstreckungsakte
(Zwangsvollstreckung bzw. Exekution)
Das gesamte Recht Österreichs, für das
die konkrete Bestimmung des Verhältnisses von Rechtsvorschriften zueinander
eine schwierige Aufgabe einer inhaltlichen Auslegung im Einzelfall bleibt, ist
am einfachsten zugänglich über http://www.ris.bka.gv.at/.
§ 3 Verfassung
A) Verfassung im Alltagsleben
B) Wesen
C) Arten
D) Einzelfälle
I. Vereinte Nationen
II. Europäische Union
III. Österreich
1. Allgemeine Bestimmungen
2. Gesetzgebung des Bundes
3. Vollziehung des Bundes
4. Gesetzgebung und Vollziehung der
Länder
5. Selbstverwaltung
6. Rechnungs- und Gebarungskontrolle
7. Garantien
8. Volksanwaltschaft
9. Übergangsbestimmungen
IV. Tirol
A) Verfassung im Alltagsleben
Im Alltagsleben des Einzelnen scheint
die Verfassung von keiner besonderen Bedeutung zu sein. Zwar wird er mit den
Grundzügen bereits in der Schulbildung vertraut gemacht. Aber die Verfassung
ist anscheinend so weit vom Alltagsleben entfernt und so hoch oben angesiedelt,
dass sie selbst in das Allgemeinverständnis rechtswissenschaftlicher
Studienanfänger kaum und damit nur unzureichend eingedrungen ist.
Dabei hat jeder Einzelne selbst immer
eine Verfassung. Manchmal befindet er sich in einer guten Verfassung, manchmal
in einer eher schlechten Verfassung. Daran kann er leicht erkennen, dass
Verfassung nichts anderes ist als der allgemeine grundlegende Zustand.
Einen solchen allgemeinen
grundlegenden Zustand hat nicht nur jeder Einzelne, sondern auch eine
Allgemeinheit. Der allgemeine grundlegende Zustand eines Staates ist dabei viel
wichtiger als der allgemeine grundlegende Zustand aller Einzelnen. Deswegen ist
in der Rechtswissenschaft unter Verfassung in erster Linie die Verfassung des
Staates zu verstehen.
B) Wesen
Verfassung ist demnach der allgemeine
grundlegende Zustand eines Staates. Jeder Staat hat notwendigerweise einen allgemeinen
grundlegenden Zustand. Dieser kann aber in den Einzelheiten sehr
unterschiedlich sein.
Der von lateinisch status, M., Zustand
und dem daraus gebildeten italienischen stato, M., „Zustand, Staat“ abgeleitete
Staat ist nach der allgemeinen Staatslehre das durch die drei Elemente:
Staatsgebiet (gewohnheitsrechtlich oder
vertraglich durch mehr oder weniger genaue Grenzen gekennzeichnetes Gebiet
[territoriales Substrat] der Wirksamkeit einer Staatsgewalt, z. B. für
Österreich am 10. 9. 1919 im Friedensvertrag von Saint Germain festgelegt),
Staatsvolk (Gesamtheit der die
Staatsbürgerschaft kraft natürlicher Geburt von Staatsangehörigen [lat. ius
sanguinis, Grundsatz der blutsmäßigen Herkunft oder Abstammung] oder kraft
Geburt in einem Staatsgebiet [lat. ius soli, Grundsatz des Bodens oder Ortes,
Einzelheiten in jeweiligen Staatsbürgerschaftsgesetzen] oder kraft besonderer
gewollter Verleihung habenden Staatsbürger [personales Substrat]) und
Staatsgewalt (im Großen und Ganzen wirksame, von
anderen Staaten ausdrücklich oder schlüssig anerkannte Herrschaft der
Organisation einer Gemeinschaft zwecks Sicherheit, Gewaltfreiheit, Ordnung und
Wohlstand [organisatorisches Substrat])
ausgezeichnete politische Gebilde.
Derzeit sind in den Vereinten Nationen 192 Staaten Mitglieder (z. B.
Österreich, Schweiz, Liechtenstein, Italien, Deutschland, Tschechien,
Slowakei). Staaten können neu entstehen (z. B. Russland, Vereinigte Staaten von
Amerika, Estland, Lettland, Litauen u. a.), sich ändern (z. B. Österreich,
Deutschland, Italien, Polen) und auch ganz untergehen (z. B. Jugoslawien,
Sowjetunion, Deutsche Demokratische Republik, Tschechoslowakei, Tibet) sowie
von anderen Staaten anerkannt oder nicht anerkannt werden.
Beispiele für streitige Staaten sind
Taiwan und Nordzypern. Beispiele für gewollte, aber bisher nicht entstandene
Staaten sind Kurdistan, Tschetschenien, Transnistrien, Abchasien oder Darfur.
Kern neuer Staaten können Freiheitsbewegungen (z. B. im Kosovo) sein, gegen die
sich bestehende Staaten (z. B. Serbien) trotz des anerkannten Grundsatzes der
Selbstbestimmung mit Gewalt und dem rechtlichen Verlangen der Nichteinmischung
in innere Angelegenheiten wehren können und tatsächlich auch (manchmal
erfolgreich, manchmal erfolglos) wehren.
C) Arten
Innerhalb der Gattung Verfassung
lassen sich mehrere Arten unterscheiden. Dabei sind die
Unterscheidungskriterien verschieden. Sie können die Form wie den Inhalt
betreffen.
I. Materielle Verfassung und formelle
Verfassung
1. Materielle Verfassung
Materielle Verfassung ist die
inhaltliche Verfassung oder die Gesamtheit der Rechtssätze, die den Aufbau
und die Tätigkeit des Staates im Grundsatz ordnen. Jeder Staat hat
inhaltlich einen bestimmten politischen Zustand. Dies gilt beispielsweise auch
für Großbritannien, von dem etwa König, Premierminister, Oberhaus, Unterhaus
und High Court of Justice als Verfassungsorgane mehr oder weniger allgemein
bekannt sind.
2. Formelle Verfassung
Formelle Verfassung ist die in
einer oder mehreren Urkunden ausdrücklich festgelegte oder auch die in einem
besonderen förmlichen Verfahren zustande gekommene Verfassung eines
Staates. Eine formelle Verfassung gibt es nach übereinstimmender Ansicht der
Vertreter der Verfassungsgeschichte seit der (hauptsächlich von George Mason
geschaffenen) Virginia Bill of Rights des nordamerikanischen Staates
Virginia vom 12. Juni 1776. Sie ist eine vom Konvent von Virginia angenommene
Erklärung der Menschenrechte.
In ihrem Gefolge haben sich immer mehr
Staaten eine Verfassung (formelle Verfassung, Verfassungsurkunde) gegeben. So
legten die Vereinigten Staaten von Amerika am 17. 9. 1787 ihre politische und
rechtliche Grundordnung in der Constitution of the United States of America
fest. Dem folgten (nach Entwurf gebliebenen Verfassungsprojekten für die zu
dieser Zeit habsburgisch bestimmte Toskana von 1782 und 1787) 1791 Polen und
Frankreich sowie nach dem Ende des Heiligen römischen Reiches (1806) einzelne
deutsche Staaten. Die erste Verfassung Bayerns stammt vom 1. 5. 1808, die
erste, aber gescheiterte Verfassung des geplanten, mit der Revolution
missglückten Deutschen Reiches wie auch Österreichs und Preußens von 1848.
II. Bundesverfassung,
Landesverfassung, Kommunalverfassung
1. Bundesverfassung
In einem Bundesstaat hat (wie in einem
Einheitsstaat) der Gesamtstaat (Bund) eine eigene Verfassung (Bundesverfassung).
Ihr Kern hat in Österreich den Namen Bundes-Verfassungsgesetz. In Deutschland
heißt die Bundesverfassung wegen der politisch ungewissen Lage im Zeitpunkt
ihrer Entstehung (1949) (statt Verfassung nur) Grundgesetz.
2. Landesverfassung
In einem Bundesstaat haben (im
Gegensatz zu einem nur unselbständige Verwaltungsteile kennenden Einheitsstaat
wie Frankreich oder Italien) auch Bundesländer (z. B. Länder, Kantone, Staaten)
eine (nachrangige) Staatsqualität (z. B. ohne Zuständigkeit für eine eigene
Außenpolitik oder Verteidigungspolitik). Dementsprechend kennen die
Bundesländer eine eigene Verfassung. Bei Widerspruch zur Bundesverfassung geht
die Landesverfassung der Bundesverfassung nach.
3. Kommunalverfassung
Kommunalverfassung ist die besondere Verfassung der
Kommunen oder Gemeinden. In Deutschland liegt die Zuständigkeit für die
Gestaltung der Gemeindeverfassung bei den Ländern, so dass die
Gemeindeverfassung nicht einheitlich ist. In Österreich ist die Selbstverwaltung
der Gemeinden in den Art. 115ff. B-VG bundesverfassungsgesetzlich und im
Übrigen landesgesetzlich geregelt (Art. 115 II B-VG) und hat die Statutarstadt
(z. B. Landeshauptstadt) eine eigene Kommunalverfassung (Statut) und zugleich
die Aufgaben einer Bezirkshauptmannschaft.
III. Monarchische Verfassung,
aristokratische Verfassung, demokratische Verfassung
Je nach den politischen Verhältnissen
kann die Verfassung eines Staates autokratisch (von einem Einzelnen oder mehreren
Einzelnen bestimmt) oder demokratisch (von allen bestimmt) geprägt sein.
Demokratien können unmittelbare Demokratien (z. B. Halbkanton
Appenzell-Innerrhoden in der Schweiz) oder mittelbare (mittels vom Volk
gewählten Abgeordneten repräsentative) Demokratien sein (z. B. parlamentarische
Demokratien). Mögliche Regierungsformen sind etwa (absolute, konstitutionelle
oder parlamentarische) Monarchie (mit einem lebenslang amtierenden
Staatsoberhaupt) oder (präsidiale oder parlamentarische Republik (mit einem auf
Zeit gewählten, meist politisch verantwortlichen Staatsoberhaupt).
D) Einzelfälle
Verfassung kann alle (politischen)
Gebilde betreffen. Am wichtigsten hiervon ist der Staat. Im Bundesstaat kommt
dem Gesamtstaat (Bund) die größte Bedeutung zu.
I. Vereinte Nationen
Die Vereinten Nationen sind (wegen
Fehlens eines Staatsgebiets, eines Staatsvolks und einer Staatsgewalt) kein
Staat, sondern nur ein zwischenstaatlicher Zusammenschluss mit der Eigenschaft
eines Völkerrechtssubjekts ohne bedeutende sachliche Zuständigkeit. Die
Vereinten Nationen haben deswegen keine (staatliche) Verfassung. In ihrer Charta
ist aber ihr organisatorischer Zustand bzw. ihre Organisation (mit vier
besonders wichtigen Organen, neben denen zahlreiche Nebenorgane bestehen,) festgelegt.
1. Generalversammlung
Die Generalversammlung ist die
Versammlung aller Mitgliedstaaten, in der jeder Mitgliedstaat einen Sitz und
eine Stimme hat. Sie tagt jährlich mindestens einmal (in New York). Sie ist
zuständig für (völkerrechtlich nicht bindende) Empfehlungen und für Vorlagen an
den Sicherheitsrat, für die Aufnahme neuer Mitglieder, die Wahl der
nichtständigen Mitglieder des Sicherheitsrats und (auf Vorschlag des
Sicherheitsrats) die Wahl des Generalsekretärs, die Verabschiedung des Haushalts
und die Festlegung der Mitgliedsbeiträge (wichtigste Beitragsverpflichtete sind
die Vereinigten Staaten von Amerika, Japan, Deutschland, das Vereinigte
Königreich und Frankreich).
2. Sekretariat
Das Sekretariat ist das
geschäftsführende Organ der Vereinten Nationen. Sein Leiter ist der
Generalsekretär. Er wird auf Vorschlag des Sicherheitsrats von der
Generalversammlung auf fünf Jahre gewählt.
3. Sicherheitsrat
Der Sicherheitsrat (Security
Council) ist das politisch wichtigste Organ der Vereinten Nationen. Er hat 15
Mitglieder, von denen fünf (China, Frankreich, Vereinigtes Königreich
[Großbritannien und Nordirland], Russland und die Vereinigten Staaten von
Amerika) ständige Mitglieder sind und jedes Jahr fünf nichtständige Mitglieder
von der Generalversammlung auf zwei Jahre gewählt werden. Beschlüsse
(Resolutionen) des Sicherheitsrats (z. B. über ein Handelsembargo, eine
friedenssichernde Maßnahme, eine friedenserzwingende Maßnahme) sind bindend und
durchsetzbar, wenn mindestens neun Mitglieder zustimmen, darunter alle
ständigen Mitglieder (Vetorecht).
4. Internationaler Gerichtshof
Der Internationale Gerichtshof in
Den Haag ist das universelle völkerrechtliche Gericht der Vereinten
Nationen. Seine 15 Richter werden auf fünf Jahre gewählt und entscheiden mit
relativer Stimmenmehrheit. Der Gerichtshof urteilt über Rechtsstreitigkeiten
zwischen ihn anerkennenden und anrufenden Staaten und erstattet auf Antrag
gerichtliche Gutachten.
II. Europäische Union
Die Europäische Union ist (wegen
Fehlens eines Staatsvolks [bzw. einer Staatsangehörigkeit] und einer
Staatsgewalt [Herren über die europäischen Verträge sind noch die
Mitgliedstaaten]) kein Staat, und wegen der Vielzahl der vergemeinschafteten
Aufgaben auch kein bloßer Bund von Staaten (Staatenbund), sondern ein
besonderer (seit 2007) aus 27 europäischen Staaten mit rund 500 Millionen
Staatsbürgern bestehender Staatenverbund mit begrenzten
Einzelermächtigungen und eigener Rechtspersönlichkeit (seit dem Vertrag von
Lissabon vom 1. 12. 2009). Die Europäische Union hat deswegen keine
(staatliche) Verfassung (sondern nur einen an Volksentscheiden in Frankreich
und den Niederlanden gescheiterten Vertrag über eine Verfassung von Europa vom
29. 10. 2004). In den Gemeinschafts(gründungs)verträgen (vom 18. 4. 1951 und vom
25. 3. 1957), den verschiedenen Beitrittsverträgen und den Änderungsverträgen
(1. 7. 1987 Einheitliche Europäische Akte, 7. 2. 1992 Vertrag von Maastricht,
2. 10. 1997 Vertrag von Amsterdam, 11. 12. 2000 Vertrag von Nizza, 13. 12. 2007
Vertrag von Lissabon [seit 1. 12. 2009 in Kraft]) ist aber ihr
organisatorischer Zustand bzw. ihre überstaatliche und zwischenstaatliche
Elemente aufweisende Organisation (mit 5 besonders wichtigen Organen) bestimmt.
1. Europäischer Rat
Der Europäische Rat ist das für
die Festlegung der allgemeinen Leitlinien und Ziele der Politik der
Europäischen Union zuständige Organ. Er besteht aus den Staatschefs bzw.
Regierungschefs der Mitgliedstaaten (und mit beratender Stimme dem Präsidenten
der Europäischen Kommission) und wird von dem auf 2,5 Jahre ernannten
Präsidenten des Europäischen Rates geleitet. Der Europäische Rat tagt
mindestens viermal jährlich (meist in Brüssel) und entscheidet grundsätzlich
einstimmig.
2. Rat (Ministerrat)
Der Rat der Europäischen Union
ist eines der beiden Rechtsetzungsorgane der Europäischen Union. Er besteht aus
den (2010 27) jeweils zuständigen Fachministern (z. B. Verkehrsministern) der
Regierungen der Mitgliedstaaten, wobei der Vorsitz (im Rahmen einer
Dreierpräsidentschaft) halbjährlich unter den Mitgliedstaaten wechselt (und im
Rat für auswärtige Angelegenheiten der hohe Vertreter der Europäischen Union
für Außen- und Sicherheitspolitik den Vorsitz hat). Je nach Sachgebiet müssen
die (an wechselnden Tagungsorten gefällten) Entscheidungen entweder einstimmig
oder mit qualifizierter Mehrheit (doppelte Mehrheit von Staaten und Einwohnern)
getroffen werden.
3. Europäisches Parlament
Das (1952 gegründete, vorwiegend in
Straßburg, aber auch in Brüssel und Luxemburg als Arbeitsorten tagende) Europäische
Parlament ist das andere der beiden Rechtsetzungsorgane der Europäischen
Union. Seit 1979 werden seine zahlenmäßig den Mitgliedstaaten ungefähr nach der
Bevölkerungszahl zugemessenen Abgeordneten jeweils für fünf Jahre in den
Mitgliedstaaten gewählt. Nach dem Vertrag von Lissabon umfasst das Europäische
Parlament 736 (nach dem Vertrag von Lissabon 754, ab 2014 750 [und nicht
stimmberechtigten Parlamentspräsidenten]) in politischen Fraktionen
zusammenwirkende Abgeordnete.
Die Zuständigkeiten des Europäischen
Parlaments (zu Stellungnahme, Zustimmung und Kontrolle) sind ihm Einzelnen sehr
verwickelt. Insgesamt sind sie im Laufe der Jahre deutlich gewachsen. Hinter
den Zuständigkeiten eines Parlaments eines Mitgliedstaats stehen sie aber noch
erkennbar zurück.
4. Europäische Kommission
Die Europäische Kommission als
von den Mitgliedstaaten unabhängiges Organ mit Sitz in Brüssel hat in erster
Linie ausführende Aufgaben, aber auch das alleinige Initiativrecht
für Rechtsakte der Europäischen Union (Richtlinien, Verordnungen, Beschlüsse),
wobei Rat und Europäisches Parlament den Vorschlag frei ändern können. Die
Europäische Kommission besteht aus je einem Kommissar jedes Mitgliedstaats für
je einen besonderen Sachbereich (Politikbereich) und dem Präsidenten. Sie wird von
dem Europäischen Rat für je fünf Jahre ernannt, doch kann das Europäische
Parlament seine Zustimmung verweigern oder sein Misstrauen aussprechen.
Als ausführendes Organ überwacht
die Europäische Kommission die Ausführung der europäischen Rechtsakte (z.
B. durch die Mitgliedstaaten), darunter die Umsetzung des Haushalts.
Gegebenenfalls klagt sie vor den Gerichten der Europäischen Union bzw. dem
Gerichtshof (der Europäischen Union). Ihrer Unterstützung dienen entsprechende
Generaldirektionen mit (2010) rund 23000 Beamten.
5. Gerichtshof der Europäischen Union
Gerichtshof der Europäischen Union ist (seit 2009) das gesamte
Gerichtssystem der Europäischen Union mit Sitz in Luxemburg. Der (Europäische
Gerichtshof oder einfach) Gerichtshof (im Rahmen des Gerichtshofs der
Europäischen Union) ist das oberste Gericht, dem seit 1989 das europäische
Gericht ([früher] erster Instanz, seit dem Vertrag von Lissabon 2009 Gericht
[der Europäischen Union]) für einfachere Angelegenheiten vorgeschaltet ist und
unterhalb dessen eigenständige Fachgerichte geschaffen sind bzw. werden können.
(Europäischer) Gerichtshof und Gericht (der Europäischen Union) sind mit je
einem Richter jedes Mitgliedstaats besetzt und werden überwiegend in kleinen
Kammern tätig, wobei der (Europäische) Gerichtshof durch Generalanwälte
unterstützt wird und vielfach über Vertragsverletzungsverfahren und
Vorabentscheidungsersuchen entscheidet, aber grundsätzlich nicht von Einzelnen
angerufen werden kann.
6. Weitere Organe
Weitere Organe sind etwa die Europäische
Zentralbank in Frankfurt oder der Europäische Rechnungshof in Luxemburg.
III. Österreich
Österreichs Bundesverfassung besteht
im Kern aus dem Bundes-Verfassungsgesetz vom 1. 10. 1920 als
Stammgesetz, an dessen Gestaltung unter Staatskanzler Karl Renner maßgeblich
Hans Kelsen mitwirkte. Dieses Gesetz wurde von der verfassunggebenden
(konstituierenden) Nationalversammlung (als Staatsorganisationsgesetz ohne
Benennung von Staatsaufgaben wie Sicherheit, Wohlfahrt oder Ordnung und ohne
zusammenfassenden Grundrechtekatalog) beschlossen. Es gilt seit der Verordnung
des Bundeskanzlers Österreichs vom 1. 1. 1930 in der Fassung des Jahres 1929
(B-VerfG in der Fassung von 1929), die am 4. 3. 1933 gebrochen (mit Anschluss
an das Deutsche Reich 1938 Österreich als Völkerrechtssubjekt nach streitiger
Ansicht nicht beseitigt, sondern nur handlungsunfähig und damit nicht
verantwortlich), aber nach dem Verfassungsüberleitungsgesetz vom 1. 5. 1945 zum
19. 12. 1945 wieder in Kraft gesetzt wurde und seit 1. 1. 1995 den Titel
Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) trägt (vgl. http://www.koeblergerhard.de/oegesetze/bvg.htm)..
Das nicht abschließend gestaltete, vor
allem die obersten Organe, die Art ihrer Bestellung und Abberufung sowie ihre
Zuständigkeit ordnende Bundes-Verfassungsgesetz umfasst die Artikel 1 bis 152
und gliedert sich ohne überzeugende Systematik in 9 Hauptstücke (Art. 1-23,
24-59, 60-94, 95-112, 115-120, 121-128, 129-148, 148a, 149-152), in denen hauptsächlich
die wichtigsten Staatsorgane mit ihren Voraussetzungen, Aufgaben und
Zuständigkeiten festgelegt sind (nur Organisationsteil). Wegen
unterschiedlicher politischer Vorstellungen bei der Entstehung enthält es
keinen eigenen Katalog der Grundrechte. Bisher wurde es mehr als fünfzigmal
abgeändert (z. B. 1925 Kompetenzartikel, 1929 Volkswahl des Bundespräsidenten,
große Verfassungsreform der Jahre 2003-2005 im Österreich-Konvent gescheitert).
1. (Erstes Hauptstück) Allgemeine
Bestimmungen (Art. 1-23 B-VG)
Die allgemeinen Bestimmungen
enthalten vor allem die Grundprinzipien der Verfassung Österreichs (so genannte
Baugesetze), bei deren Änderung gemäß Art. 44 III B-VG eine zusätzliche
Volksabstimmung erforderlich sein dürfte, und die Zuständigkeitsverteilung. Die
Grundprinzipien sind nicht abschließend festgelegt. Allgemein anerkannt sind
das Demokratieprinzip, das Republikprinzip, das Bundesstaatsprinzip, das
Rechtsstaatsprinzip und das Gewaltenteilungsprinzip, während das
Neutralitätsprinzip vor allem wegen des Beitritts zur Europäischen Union zum 1.
1. 1995 in Zweifel geraten ist und das liberale Prinzip (Freiheitsrechte) nicht
allgemein als eigenes Prinzip anerkannt wird.
a) Demokratieprinzip (demokratisches
Prinzip)
Das Demokratieprinzip ist in
Art. 1 B-VG enthalten. Danach ist Österreich eine demokratische Republik
(Art. 1 S. 1 B-VG). Ihr Recht geht vom Volk aus (Art. 1 S. 2 B-VG).
Dementsprechend ist das Volk der
Träger der Staatsgewalt Österreichs. Es gilt also der Grundsatz der Volkssouveränität.
Das Volk ist oberstes Willensbildungsorgan, kann aber überwiegend nur mittelbar
durch besondere, von ihm gewählte Organe (z. B. Nationalrat Art. 26 B-VG,
Landtage Art. 95 B-VG) handeln (mittelbare Demokratie)(, unmittelbares
Volkshandeln außer durch Wahl nur durch gewisse Möglichkeiten des
Volksbegehrens, der Volksabstimmung und der Volksbefragung ohne große
rechtstatsächliche Bedeutung), die jedoch beispielsweise das für das Volk
geltende Recht schaffen, so dass die Rechtsanwendung Verwirklichung des Volkswillens
gegenüber dem Volk bedeutet.
b) Republikprinzip (republikanisches
Prinzip)
Nach Art. 1 S. 1 B-VG ist Österreich
eine (demokratische) Republik(, aber wegen der Unabhängigkeit der
Minister vom Bundespräsidenten weder eine Präsidentschaftsrepublik wie die
Vereinigten Staaten von Amerika oder Frankreich noch eine parlamentarische
Republik wie z. B. die Schweiz, weil die Bundesminister nicht vom Parlament
bestimmt werden). Seine Regierungsform ist also (seit 1918) keine Monarchie
(mehr). Kennzeichen der Republik ist das auf Zeit (z. B. 6 Jahre) gewählte,
politisch verantwortliche und deswegen unter Umständen auch absetzbare
Staatsoberhaupt (Bundespräsident) (an der Stelle des erblichen, dem Volk nicht
wirklich verantwortlichen Kaisers).
c) Bundesstaatsprinzip
(bundesstaatliches Prinzip)
Österreich ist ein Bundesstaat
(Art. 2 I B-VG). Demnach ist Österreich kein Einheitsstaat (wie etwa Ägypten,
China, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Liechtenstein, Luxemburg, Polen,
Schweden, die Türkei, der Vatikan oder Zypern, eigene Zwischenstellung
Vereinigtes Königreich von Großbritannien). Wie Deutschland, die Schweiz,
Russland, die Vereinigten Staaten von Amerika, Brasilien, Argentinien, Indien
oder Australien ist es ein aus mehreren Gliedstaaten zusammengesetzter
Bundesstaat, dessen Teile allerdings nicht durch einen (einmaligen) Bund,
sondern nur in einem langen geschichtlichen Vorgang zueinandergekommen sind (z.
B. zu Oberösterreich und Niederösterreich [mit Wien] als ältestem Kern des 996
erstmals genannten Ostarrihhi [Ostreiches, Ostgebietes, Ostlandes] 1180/1192
Steiermark, 1335 Kärnten, 1363 Tirol, danach in Teilstücken Vorarlberg, 1805
Salzburg, 1918 Burgenland) und dessen Staatsgewalt durch beschränkte Zugeständnisse
des Gesamtstaats an seine Teile seit dem 19. Jahrhundert bezüglich der
Gesetzgebung (Landesgesetzgebung, Mitwirkung des Bundesrats bei
Bundesgesetzgebung) und der Vollziehung (mittelbare Bundesverwaltung) (und
damit nicht auch der allein dem Bund vorbehaltenen Gerichtsbarkeit) zwischen
dem Gesamtstaat (Österreich) und seinen Teilstaaten (Bundesländer) geteilt ist.
Österreich wird gebildet aus den
selbständigen Ländern Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich,
Salzburg, Steiermark, Tirol, Vorarlberg und Wien (Art. 2 II B-VG). Die
Länder sind ausdrücklich (eingeschränkt) selbständig. Änderungen im Bestand der
Länder oder eine Einschränkung der in diesem Absatz und in Art. 3 vorgesehenen
Mitwirkung der Länder bedürfen auch verfassungsgesetzlicher Regelungen der
Länder.
Das Bundesgebiet umfasst die Gebiete
der Bundesländer (Art. 3 I B-VG), weshalb Grenzänderungen auch die Zustimmung
der betroffenen Länder benötigen (Art. 3 II-III B-VG). Das Bundesgebiet bildet
ein einheitliches Währungsgebiet, Wirtschaftsgebiet und Zollgebiet (Art. 4 I
B-VG). Bundeshauptstadt und Sitz der obersten Organe des (geschichtlich von
Oberösterreich und Niederösterreich ausgehenden) Gesamtstaats ist Wien (Art. 5
I B-VG).
Für die Republik Österreich besteht
eine einheitliche Staatsbürgerschaft (Art. 6 I B-VG), wobei alle
Staatsbürger vor dem Gesetz gleich sind (Art. 7 I B-VG). Staatssprache ist,
unbeschadet der den sprachlichen Minderheiten bundesgesetzlich eingeräumten
Rechte, die deutsche Sprache (Art. 8 I B-VG). Die Farben der Republik
Österreich sind rot-weiß-rot (Art. 8a I B-VG).
d) Rechtsstaatsprinzip
(rechtsstaatliches Prinzip)
Rechtsstaat ist der auf Grund einer Verfassung
(Verfassungsstaat) an das Recht gebundene Staat, in dem die Staatsgewalt auf
eine in den Grundzügen unabänderliche, im Ganzen auf Dauer angelegte objektive
Rechtsordnung verpflichtet und die Bindung der ausführenden Gewalt an die
Gesetze durch unabhängige Gerichte (Rechtsschutzstaat) gesichert ist.
Nach Art. 1 S. 2 B-VG geht Österreichs Recht vom Volk aus, nach Art. 18 I B-VG
darf die gesamte staatliche Verwaltung nur auf Grund der Gesetze ausgeübt
werden und nach Art. 18 II B-VG kann eine Verwaltungsbehörde eine Verordnung
(nur) auf Grund der Gesetze innerhalb ihres Wirkungsbereichs erlassen, wobei eine
Ermächtigung zu einer Verordnung nach Inhalt und Ziel genau beschrieben sein
muss. Materiell gewährleistet der Staat Rechtsstaatlichkeit etwa durch den Gleichheitssatz,
den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, die Notwendigkeit des Parteiengehörs,
die Unschuldsvermutung, das Erfordernis der Begründung belastender Eingriffe
oder durch das grundsätzliche Verbot rückwirkender belastender Gesetzgebung.
Das Rechtsstaatsprinzip schränkt also
die Macht des Staates ein, wobei dem Einzelnen auch grundsätzliche Freiräume
belassen werden müssen (z. B. Lernfreiheit). Damit soll der Bürger vor der
Willkür des Staats und seiner einzelnen Amtsträger geschützt werden. Außerdem
ist der moderne Rechtsstaat auch darauf gerichtet, einen materiell gerechten
Zustand herzustellen und zu erhalten.
e) Gewaltenteilungsprinzip
Gewaltenteilung ist die Aufteilung der wegen ihres
Umfangs für den Einzelnen gefährlichen Gewalt des Staates auf mehrere Gewalten
oder Staatsorgane zwecks Machtbegrenzung und Freiheitssicherung. Seit den
frühneuzeitlichen Staatstheoretikern John Locke (1690) und Charles de
Montesquieu (1748) werden dabei (horizontal) Gesetzgebung (Legislative),
(Rechts-)Ausführung (Exekutive, Vollzug der Gesetze) und Rechtsprechung
(Judikative) (sowie später als vierte Gewalt eine unabhängige Presse) und
vertikal Gesamtstaat(, Gliedstaat) und Kommunal(selbst)verwaltung
unterschieden. In Österreich ist das durch zahlreiche Verschränkungen (System
von checks and balances wie beispielsweise die Kontrolle der Bundesregierung
durch den Nationalrat, den Verfassungsgerichtshof und den
Verwaltungsgerichtshof) durchbrochene Gewaltenteilungsprinzip, aus dem sich im
Übrigen auch die Unvereinbarkeit (Inkompatibilität) mancher gleichzeitiger
Organstellungen in einer Person wie z. B. Bundespräsident und Bundeskanzler
ergibt, nicht in einem eigenen Artikel des Bundes-Verfassungsgesetzes
festgelegt, wird aber allgemein der Gesamtheit der Verfassungsartikel entnommen
(vgl. die Überschriften vor den Art. 24, 60, 82 oder Art. 94 Die Justiz ist von
der Verwaltung in allen Instanzen getrennt).
f) Zuständigkeitsverteilung
Im Bundesstaat muss die
Zuständigkeit für staatliche Aufgaben zwischen Gesamtstaat (Bund) und
Gliedstaaten (Ländern, Bundesländern) aufgeteilt werden. Hierfür gilt in
Österreich Art. 15 I B-VG. Danach verbleibt, soweit eine Angelegenheit nicht ausdrücklich durch die Bundesverfassung
der Gesetzgebung oder auch der Vollziehung des Bundes übertragen ist, sie im
selbständigen Wirkungsbereich (der Gesetzgebung und Vollziehung) der Länder (taxative
Enumeration oder abschließende Aufzählung mit Generalklausel). Demnach sind
in Österreich grundsätzlich die Länder zuständig (tatsächlich z. B. für
Bauwesen, Naturschutz oder Jagd), wobei allerdings nach Art. 82 alle
Gerichtsbarkeit vom Bund ausgeht und die Urteile und Erkenntnisse im Namen der
Republik verkündet und ausgefertigt werden.
Nach Art. 10 B-VG ist demgegenüber Bundessache die
Gesetzgebung und die Vollziehung z. B. in den (besonders wichtigen) Angelegenheiten
Bundesverfassung, äußere Angelegenheiten, Bundesfinanzen, Geldwesen,
Kreditwesen, Börsewesen und Bankwesen, Zivilrechtswesen, Aufrechterhaltung der
öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, Gewerbe und Industrie,
Verkehrswesen, Bergwesen, Arbeitsrecht, Gesundheitswesen, wissenschaftlicher
und fachtechnischer Archiv- und Bibliotheksdienst, Organisation und Führung der
Bundespolizei, militärische Angelegenheiten, Einrichtung der Bundesbehörden und
sonstigen Bundesämter, Bevölkerungspolitik und Wahlen zum Europäischen
Parlament. Dabei gilt der Grundsatz der strikten Trennungsordnung, weshalb es
keine konkurrierende Zuständigkeit von Bund und Ländern (wie z. B. in
Deutschland) gibt. Es herrscht die so genannte Versteinerungstheorie, wonach
der Zustand vom 1. 10. 1925 als abschließende Regelung gewollt ist.
Nach Art. 11 B-VG ist Bundessache die Gesetzgebung,
Landessache die Vollziehung etwa für die Staatsbürgerschaft, berufliche
Vertretungen, Volkswohnungswesen, Straßenpolizei, Binnenschifffahrt oder
Tierschutz. Nach Artikel 12 B-VG ist Bundessache die Gesetzgebung über die
Grundsätze, Landessache die Erlassung von Ausführungsgesetzen und die
Vollziehung in den Angelegenheiten etwa des Armenwesens, der öffentlichen
Einrichtungen zur außergerichtlichen Vermittlung von Streitigkeiten, der
Bodenreform, der Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge, des
Elektrizitätswesens oder des Arbeiterrechts. Sonderregeln bestehen für
Abgabenwesen (Art. 13 B-VG), Schulwesen (Art. 14 B-VG), Privatwirtschaftsverwaltung
(Art. 17 B-VG), Gerichtsbarkeit (Art. 82 I B-VG), Gemeinderecht (Art. 115 II
B-VG) oder unabhängige Verwaltungssenate (Art. 129b VI B-VG).
Zuständig für eine Abänderung der (bewusst
versteinerten) Kompetenz ist der Bundesverfassungsgesetzgeber, der damit die
Zuständigkeit für die Änderung der Zuständigkeit (Kompetenzkompetenz)
hat. Notwendig ist im Zweifel die Zustimmung des Bundesrats. Ein vollständiger
Entzug von Landeskompetenz ist wegen des Bundesstaatsprinzips grundsätzlich als
verfassungswidrig ausgeschlossen.
2. (Zweites Hauptstück) Gesetzgebung des Bundes
(Art. 24-59a B-VG)
Den allgemeinen Bestimmungen folgt als nächst wichtige
Angelegenheit im zweiten Hauptstück die Gesetzgebung des Bundes (getrennt von
der Ausführung der Gesetze und der Gerichtsbarkeit).
a) Zuständigkeit
Die Gesetzgebung des Bundes übt der Nationalrat
gemeinsam mit dem Bundesrat aus (Art. 24 B-VG). Damit ist für die
Entstehung von Bundesgesetzen das Zusammenwirken mindestens zweier Staatsorgane
erforderlich (Zweikammersystem). Sie stehen aber nicht völlig gleichberechtigt
nebeneinander.
aa) Nationalrat
Der Nationalrat (mit Sitz in Wien) wird vom
Bundesvolk auf Grund des allgemeinen, gleichen, unmittelbaren, persönlichen,
freien und geheimen Wahlrechts der Männer und Frauen, die am Wahltag das 16.
Lebensjahr vollendet haben, nach den Grundsätzen der Verhältniswahl
grundsätzlich auf fünf (bis 2007 vier) Jahre gewählt (Art. 26 I B-VG, keine
Wahlpflicht), wobei für die Einzelheiten die besondere Wahlordnung zum
Nationalrat gilt. Dabei wird das Bundesgebiet in räumlich geschlossene
Wahlkreise, deren Grenzen die Landesgrenzen nicht schneiden dürfen, geteilt und
werden die Wahlkreise in Regionalwahlkreise untergliedert. Die Zahl der ([2010]
183) Abgeordneten wird auf die Wahlberechtigten der Wahlkreise und der
Regionalwahlkreise hauptsächlich nach der Zahl der jeweiligen Staatsbürger mit
entsprechendem Hauptwohnsitz verteilt. Wählbar bzw. passiv wahlberechtigt ist
jeder zum Nationalrat (aktiv) wahlberechtigte Staatsbürger Österreichs, der am
Wahltag das 18. Lebensjahr vollendet hat.
Sitzungen des Nationalrats sind öffentlich (Art. 32 I
B-VG). Wie sich aus Art. 31 B-VG ergibt, entscheiden die gewählten Abgeordneten
des Nationalrats (als Träger eines freien, nicht an Aufträge der Wähler,
sondern nur an das eigene Gewissen gebundenen Mandats) durch Beschluss, wobei
der Nationalrat nur bei einer Anwesenheit mindestens eines Drittels seiner
Mitglieder beschlussfähig (Präsenzquorum) ist (Art. 31 B-VG). Für das Zustandekommen eines Beschlusses
ist (zumindest) die unbedingte (absolute) Mehrheit der abgegebenen Stimmen
erforderlich (also mindestens 31 Stimmen bei etwa 61 abgegebenen Stimmen) (Konsensquorum,
Art. 31 B-VG).
bb) Bundesrat
Nach Art. 34 I B-VG sind im Bundesrat
die Länder im Verhältnis zur Bürgerzahl im Land vertreten. Das Land mit der
größten Bürgerzahl entsendet zwölf Mitglieder, Länder mit geringerer Bürgerzahl
entsprechend weniger Mitglieder, mindestens aber drei Mitglieder (Art. 34 II
B-VG). Demnach stellen (2010) von den 62 von den jeweiligen Landtagen
gewählten, weisungsfreien Mitgliedern Niederösterreich 12 Mitglieder, Wien und
Oberösterreich 11 Mitglieder, Steiermark 9 Mitglieder, Tirol 5 Mitglieder,
Kärnten und Salzburg 4 Mitglieder sowie Burgenland und Vorarlberg 3 Mitglieder.
b) Gesetzgebungsverfahren (Art. 41ff.
B-VG Der Weg der Bundesgesetzgebung)
aa) Gesetzesvorschlag
Gesetzesvorschläge gelangen nach Art.
41 I B-VG an den Nationalrat als Anträge seiner Mitglieder, des Bundesrats oder
eines Drittels der Mitglieder des Bundesrats sowie (zu etwa 85 Prozent) als Vorlagen
der Bundesregierung. Außerdem ist jeder von 100000 Stimmberechtigten oder
von je einem Sechstel der Stimmberechtigten dreier Länder gestellte Antrag (Volksbegehren),
der eine durch Bundesgesetz zu regelnde Angelegenheit betrifft, von der
Bundeswahlbehörde dem Nationalrat vorzulegen. Andere förmliche
Gesetzesinitiativen sind damit ausgeschlossen.
bb) Gesetzesbeschluss
Erforderlich ist nach dem
ordnungsgemäß eingebrachten Gesetzesvorschlag ein (in dritter Lesung) von der
notwendigen Mehrheit (Präsenzquorum ein Drittel und Konsensquorum der Mehrheit)
getragener Beschluss des Nationalrats. Jeder Gesetzesbeschluss des Nationalrats
ist unverzüglich von dessen Präsidenten dem Bundesrat zu übermitteln (Art. 42 I
B-VG). Gegen ihn kann der Bundesrat einen mit Gründen versehenen, grundsätzlich
nur die Wirkung eines suspensiven Vetos entfaltenden Einspruch
erheben (Art. 42 II B-VG, nur ausnahmsweise ist eine Zustimmung des Bundesrats
erforderlich, absolutes Veto), der dem Nationalrat binnen acht Wochen nach
Einlangen des Gesetzesbeschlusses beim Bundesrat von dessen Vorsitzenden
schriftlich übermittelt werden muss und dem Bundeskanzler zur Kenntnis zu
bringen ist (Art. 42 III B-VG).
Erhebt der Bundesrat (innerhalb der
Einspruchsfrist) keinen Einspruch, wird das Gesetzgebungsverfahren einfach
weitergeführt. Wiederholt der Nationalrat seinen Gesetzesbeschluss (trotz des
Einspruchs des Bundesrats) bei Anwesenheit von mindestens der Hälfte seiner
Mitglieder mehrheitlich (Beharrungsbeschluss), so ist der
Gesetzesbeschluss wirksam (Art. 42 IV B-VG). Danach nimmt das
Gesetzgebungsverfahren seinen Fortgang.
Drei Besonderheiten gelten bei
Verfassungsgesetzen oder bei in einfachen Gesetzen enthaltenen
Verfassungsbestimmungen, die erstens ausdrücklich als Verfassungsgesetze oder
Verfassungsbestimmungen bezeichnet werden müssen. Bei ihnen muss zweitens bei
der Abstimmung im Nationalrat mindestens die Hälfte der Mitglieder anwesend
sein (erhöhtes Präsenzquorum) und müssen drittens mindestens zwei
Drittel der abgegebenen Stimmen den Antrag bejahen (erhöhtes Konsensquorum,
Art. 44. I, vgl. auch Art. 44 II B-VG) (also z. B. bei Anwesenheit von 92
Abgeordneten mindestens 62 von 92 abgegebenen Stimmen). Jede Gesamtänderung der
Bundesverfassung und auf bestimmte Verlangen auch jede Teiländerung ist
außerdem einer Abstimmung des gesamten Bundesvolks zu unterziehen (Art. 43 III
B-VG, bisher nur 1994 anlässlich des Beitritts zur Europäischen Union
durchgeführt).
cc) Beurkundung und Gegenzeichnung
Das verfassungsmäßige Zustandekommen
der Bundesgesetze wird durch den Bundespräsidenten beurkundet. Die Vorlage zur
Beurkundung erfolgt durch den Bundeskanzler. Die Beurkundung ist vom
Bundeskanzler gegenzuzeichnen (Art. 47 B-VG).
dd) Kundmachung im Bundesgesetzblatt
Bundesgesetze und gemäß Art. 50 Abs. 1 B-VG genehmigte
Staatsverträge werden mit Berufung auf den Beschluss des Nationalrates,
Bundesgesetze, die auf einer Volksabstimmung beruhen, mit Berufung auf das
Ergebnis der Volksabstimmung kundgemacht (Art. 48 B-VG). Die Bundesgesetze sind
vom Bundeskanzler im Bundesgesetzblatt, seit 1. 1. 2004 auf dem Server des
Bundeskanzleramts in elektronischer Form kundzumachen. Soweit nicht
ausdrücklich anderes bestimmt ist, treten sie mit Ablauf des Tages ihrer Kundmachung
in Kraft und gelten (ab 0 Uhr des nächsten Tages) für das gesamte Bundesgebiet
(Art. 49 B-VG), womit dann die entsprechende Gesetzgebung, die im Übrigen durch
einen gegenläufigen förmlich-ausdrücklichen oder sachlich-inhaltlichen
Beschluss des Gesetzgebers wieder aufgehoben (formell oder materiell derogiert)
werden kann, abgeschlossen ist.
c) Rechtswidrigkeit
Die Gesetzgebung kann rechtswidrig sein (z. B. Rückwirkung
von Strafgesetzen zu Lasten Verdächtiger).. Ein Landesgesetz kann die Landesverfassung
oder die Bundesverfassung verletzen, ein Bundesgesetz die Bundesverfassung oder
europäisches Gemeinschaftsrecht. Rechtswidrig handelt etwa der Gesetzgeber, der
mittelbar diskriminierendes vorbeitrittsrechtliches Recht nach Beitritt zur (Europäischen
Gemeinschaft) nicht aufhebt.
3. (Drittes Hauptstück) Vollziehung
des Bundes (Art. 60-94 B-VG)
Das dritte Hauptstück schließt an die
Gesetzgebung des Bundes die Vollziehung (Ausführung) des Bundes mit den drei
wichtigsten dafür zuständigen Bundesorganen an. Es behandelt aber auch
nachrangige Ausführungsorgane. Außerdem verbindet es (wie 1690 John Locke
[1632-1704]) mit der Ausführung (A) die Gerichtsbarkeit (B).
a) Bundespräsident
Der ohne nachgeordnete Organe tätige
Bundespräsident wird vom Bundesvolk auf Grund des gleichen, unmittelbaren,
persönlichen, freien und geheimen Wahlrechts der zum Nationalrat
wahlberechtigten Männer und Frauen auf sechs Jahre (Möglichkeit unmittelbar
anschließender einmaliger Wiederwahl) gewählt, wobei im Falle nur eines
Bewerbers die Wahl in Form einer Abstimmung durchzuführen ist (Art. 60 I B-VG).
Gewählt werden kann nur, wer das Wahlrecht zum Nationalrat hat, am Wahltag das
35. Lebensjahr vollendet hat und nicht einem regierenden Haus oder einem
ehemals regierenden Haus angehört (Art. 60 III B-VG). Gewählt ist, wer im
ersten Wahlgang mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen (absolute Mehrheit)
für sich hat oder im zweiten Wahlgang bei der andernfalls erforderlichen
Stichwahl zwischen den beiden Bewerbern mit den meisten Stimmen die Mehrheit
der Stimmen erreicht (Art. 60 II B-VG).
Der Bundespräsident vertritt die
Republik nach außen und schließt Staatsverträge ab (Art. 65 I B-VG). Er
ernennt und entlässt die Mitglieder der Bundesregierung und ernennt die
(höheren) Bundesbeamten und Richter (Art. 65 II a, 86 I B-VG). Er kann
begnadigen und auf Antrag der Eltern uneheliche Kinder zu ehelichen Kindern
erklären (Art. 65 II c, d B-VG).
Alle Akte des Bundespräsidenten
erfolgen grundsätzlich auf Vorschlag der Bundesregierung oder eines von ihr
ermächtigten Bundesministers (Art. 67 I B-VG). Alle Akte des Bundespräsidenten
bedürfen zu ihrer Gültigkeit grundsätzlich der Gegenzeichnung des
Bundeskanzlers oder des zuständigen Bundesministers (Art. 67 II B-VG). Zur Unterstützung
des für die Ausübung seiner Funktionen der besonderen Bundesversammlung
verantwortlichen Bundespräsidenten ist die ihm unterstehende
Präsidentschaftskanzlei berufen (Art. 67a B-VG).
b) Bundesregierung und Bundesminister
Die unter dem Vorsitz des
Bundeskanzlers stehende, aus dem Bundeskanzler, dem Vizekanzler und den übrigen
Bundesministern bestehende Bundesregierung, die im Gegensatz zu den
einzelnen Bundesministern keine nachgeordneten Organe hat, ist mit den obersten
Verwaltungsgeschäften betraut, soweit diese nicht dem Bundespräsidenten
übertragen sind (Art. 69 B-VG). Der Bundeskanzler und auf seinen
Vorschlag die übrigen Mitglieder der Bundesregierung werden vom
Bundespräsidenten ernannt (Art. 70 I B-VG). Zum Bundeskanzler, Vizekanzler oder
Bundesminister kann nur ernannt werden, wer zum Nationalrat wählbar ist, ohne
dass der Betreffende dem Nationalrat angehören muss (Art. 70 II B-VG). Versagt
der Nationalrat der Bundesregierung oder einzelnen ihrer Mitglieder durch
ausdrückliche Entschließung in Anwesenheit der Hälfte der Mitglieder des
Nationalrats das Vertrauen, so ist die Bundesregierung oder der betreffende
Bundesminister des Amtes zu entheben (Art. 74 B-VG).
Die Mitglieder der Bundesregierung
sind dem Nationalrat gemäß Art. 142 B-VG verantwortlich (Art. 76 I
B-VG). Zur Besorgung der Geschäfte der Bundesverwaltung sind die
Bundesministerien und die ihnen unterstellten Ämter (nachgeordneten Organe)
berufen (Art. 77 I B-VG). Die Zahl der Bundesministerien, ihr Wirkungsbereich
und ihre Einrichtung werden durch Bundesgesetz bestimmt (Art. 77 II B-VG).
c) Sicherheitsbehörden des Bundes
Oberste Sicherheitsbehörde des
Bundes ist der Bundesminister für Inneres. Ihm sind die Sicherheitsdirektionen
mit den Bezirksverwaltungsbehörden und die Bundespolizeidirektionen als
Sicherheitsbehörden nachgeordnet. Sind Leben, Gesundheit, Freiheit oder
Eigentum von Menschen gefährdet oder steht eine solche Gefährdung unmittelbar
bevor, so sind die Sicherheitsbehörden jedenfalls bis zum Einschreiten der
jeweils zuständigen Behörde zur ersten allgemeinen Hilfeleistung zuständig
(Art. 78a I, II B-VG).
d) Bundesheer
Dem Bundesheer obliegt die
militärische Landesverteidigung (Art. 79 I B-VG). Den Oberbefehl führt der
Bundespräsident (Art. 80 I B-VG). Soweit nicht nach dem Wehrgesetz der
Bundespräsident über das Heer verfügt, steht die Verfügung dem zuständigen
Bundesminister innerhalb der ihm von der Bundesregierung erteilten Ermächtigung
zu, wobei im Übrigen die Befehlsgewalt über das Bundesheer der zuständige Bundesminister
ausübt (Art. 80 II, III B-VG).
e) Schulbehörden des Bundes
Die Verwaltung des Bundes auf dem
Gebiet des Schulwesens ist grundsätzlich vom zuständigen Bundesminister und von
den ihm unterstehenden Schulbehörden des Bundes zu besorgen (Art. 81a B-VG).
f) Universitäten
Die öffentlichen Universitäten sind
Stätten freier wissenschaftlicher Forschung, Lehre und Erschließung der Künste
(Art. 81 c B-VG).
g) Gerichtsbarkeit
Alle Gerichtsbarkeit geht vom Bund aus
(Art. 82 I B-VG), so dass keine Landesgerichtsbarkeit besteht. Die Verfassung
und Zuständigkeit der Gerichte wird durch Bundesgesetz festgestellt (Art. 83 I
B-VG). Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden (Art. 83 II
B-VG).
Die Richter werden grundsätzlich auf
Antrag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten ernannt (Art. 86 I B-VG). Die
Richter sind in Ausübung ihres richterlichen Amtes unabhängig (Art. 87 I B-VG).
Die Geschäfte sind unter die Richter eines Gerichts für die in der
Gerichtsverfassung bestimmte Zeit im Voraus zu verteilen (Art. 87 III 1 B-VG).
Die Justiz ist von der Verwaltung in
allen Instanzen getrennt (Art. 94 B-VG).
4. (Viertes Hauptstück) Gesetzgebung
und Vollziehung der Länder (Art. 95-112 B-VG)
a) Gesetzgebung
Die Gesetzgebung der Länder wird
von den vom jeweiligen Landesvolk gewählten Landtagen ausgeübt (Art. 95
I 1 B-VG, Einkammersystem). Die durch Landesverfassungsgesetz zu
erlassende Landesverfassung kann, soweit dadurch die Bundesverfassung
einschließlich ihrer Grundprinzipien (Baugesetze) nicht berührt wird, durch
Landesverfassungsgesetz abgeändert werden (Art. 99 I B-VG). Alle (bei
Landesverfassungsgesetzen mit erhöhtem Präsenzquorum und erhöhtem Konsensquorum
zu fassenden) Gesetzesbeschlüsse der Landtage sind unmittelbar nach der Beschlussfassung
des Landtags vor ihrer Kundmachung vom Landeshauptmann dem Bundeskanzleramt
bekanntzugeben (Art. 98 I B-VG), woraufhin die Bundesregierung Einspruch
erheben und der Landtag einen Beharrungsbeschluss fassen kann.
Ein Widerspruch zwischen Bundesrecht
und Landesrecht kann auf Grund der Zuständigkeitsverteilung grundsätzlich nicht
entstehen. Ergibt er sich gleichwohl, beruht er auf einer
Zuständigkeitsüberschreitung einer Seite. Die jeweils fehlerhafte Bestimmung
ist in einem Verfahren vom Verfassungsgerichtshof aufzuheben.
b) Vollziehung
Die Vollziehung jedes Landes übt eine
vom Landtag zu wählende Landesregierung, der Bezirksverwaltungsbehörden
nachgeordnet bzw. unterstellt sind, aus (Art. 101 I B-VG). Die Landesregierung
besteht aus dem Landeshauptmann, der erforderlichen Zahl von
Stellvertretern und weiteren Mitgliedern (Landesräten) (Art. 101 III B-VG). Der
Landeshauptmann wird vom Bundespräsidenten angelobt (Art. 101 IV 1 B-VG).
Im Bereich der Länder üben die
Vollziehung des Bundes nur dann Bundesbehörden aus, wenn Bundesbehörden
bestehen (unmittelbare Bundesverwaltung, vgl. Art. 102 II B-VG). In allen
anderen Fällen üben die Vollziehung des Bundes der Landeshauptmann und die
unterstellten Landesbehörden aus (mittelbare Bundesverwaltung, bei der
Landesorgane im organisatorischen Sinne funktionell als Bundesorgane tätig
werden, 84 monokratische Bezirkshauptmannschaften unter der Leitung des
Bezirkshauptmanns und 15 monokratische Statutarstädte wie Wien, Graz, Linz,
Salzburg oder Innsbruck mit monokratischen Magistraten unter der Leitung des
Bürgermeisters) (Art. 102 I 1 B-VG). Daneben führen die Landesbehörden die
Landesgesetze aus.
5. (Fünftes Hauptstück) Selbstverwaltung
(Art. 115-120 B-VG, 1. 1. 2008 z. B. Kammern)
Jedes Land gliedert sich in Gemeinden
(Ortsgemeinden) (Art. 116 I 1 B-VG). Die Gemeinde ist Gebietskörperschaft mit
dem Recht auf (territoriale) Selbstverwaltung (mit Weisungsfreiheit gegenüber
außen) der eigenen Angelegenheiten (z. B. örtliche Raumordnung, örtliche
Bauangelegenheiten, kommunale Unternehmen) und zugleich Verwaltungssprengel.
Jedes Grundstück muss zu einer Gemeinde gehören (Art. 116 I 2, 3 B-VG).
Soweit nicht ausdrücklich eine
Zuständigkeit des Bundes festgesetzt ist, hat die Landesgesetzgebung das
Gemeinderecht zu regeln (Art. 115 II B-VG). Als Organe der Gemeinde sind
jedenfalls vorzusehen der Gemeinderat als zu wählender allgemeiner
Vertretungskörper, der Gemeindevorstand (Stadtrat), bei Städten mit eigenem
Statut der Stadtsenat, und der Bürgermeister (Art 117 I B-VG). Der
Wirkungsbereich der Gemeinde ist ein eigener Wirkungsbereich einerseits und ein
vom Bund oder Land übertragener Wirkungsbereich andererseits (Art. 118 I B-VG).
In der Gemeinde wählen die
Gemeindebürger und die Staatsbürger eines Mitgliedstaats der Europäischen Union
mit Wohnsitz in der Gemeinde den Gemeinderat, der kollegiales
Beratungsorgan und Beschlussorgan ist. Der Gemeinderat wählt den Gemeindevorstand
bzw. in Statutarstädten den Stadtsenat als vorberatendes Kollegialorgan.
Je nach dem Kommunalverfassungsrecht des jeweiligen Bundeslands wählen die
Gemeindebürger oder der Gemeinderat den die laufende Geschäftsführung
ausführenden Bürgermeister als monokratisches Organ.
6. (Sechstes Hauptstück) Rechnungs-
und Gebarungskontrolle (Art. 121-127a B-VG)
Zur Überprüfung der Gebarung des
Bundes, der Länder, der Gemeindeverbände, der Gemeinden und anderer, durch
Gesetz bestimmter Rechtsträger ist der Rechnungshof berufen (Art. 121 I
B-VG).
7. (Siebtes Hauptstück) Garantien der
Verfassung und Verwaltung (Art. 129-148)
Zur Sicherung der Gesetzmäßigkeit der
gesamten öffentlichen Verwaltung sind die unabhängigen Verwaltungssenate in den
Ländern, der Asylgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof berufen
(Art. 129 B-VG). Die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern erkennen
nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzugs, sofern ein solcher in
Betracht kommt, in besonders aufgeführten Angelegenheiten (Art. 129a I B-VG).
Für Asylverfahren ist ein besonderer Asylgerichtshof eingerichtet (Art. 129c
B-VG).
a) Verwaltungsgerichtshof
Der Verwaltungsgerichtshof (Judenplatz
11, Wien 1) erkennt (als Kassationsgericht mit den Möglichkeiten der
Zurückweisung von Beschwerden und der Aufhebung von Gesetzen, Verordnungen und
Bescheiden) über Beschwerden, womit Rechtswidrigkeit von
Bescheiden der Verwaltungsbehörden einschließlich der unabhängigen
Verwaltungssenate oder Verletzung der Entscheidungspflicht der
Verwaltungsbehörden einschließlich der unabhängigen Verwaltungssenate behauptet
wird (Art. 130 B-VG). Gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde kann vor
allem wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in
seinen Rechten verletzt zu sein behauptet und den Instanzenzug erschöpft hat.
Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in Senaten (Art. 135 I B-VG).
b) Verfassungsgerichtshof
Der Verfassungsgerichtshof
(Judenplatz 11, Wien 1) erkennt (als Kassationsgericht) auf Antrag eines
jeweils Berechtigten beispielsweise über vermögensrechtliche Ansprüche gegen
Bund, Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände, die weder im ordentlichen
Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen
sind, über bestimmte Kompetenzkonflikte (Zuständigkeitsstreitigkeiten), über
Gesetzwidrigkeit von Verordnungen (Art. 139 B-VG, Verordnungsprüfungsverfahren),
über Verfassungswidrigkeit von Bundesgesetzen oder Landesgesetzen (Art. 140
B-VG, Gesetzesprüfungsverfahren, Aufhebung wird vom Bundeskanzler kundgemacht,
wirksam mit Ablauf des Tages der Aufhebung oder ab besonders bestimmtem
Zeitpunkt), über die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten
Rechte (Grundrechte) durch einen Bescheid nach Erschöpfung des
Verwaltungsinstanzenzugs (Bescheidprüfungsverfahren, praktisch besonders
wichtig), über Anfechtung von Wahlen und über Anklagen gegen oberste Staatsorgane
(z. B. Bundesministeranklage). Er besteht aus einem Präsidenten, einem
Vizepräsidenten, zwölf weiteren Mitgliedern und sechs Ersatzmitgliedern (Art.
147 I B-VG), die auf Grund von Vorschlägen der Bundesregierung, des
Nationalrats und des Bundesrats vom Bundespräsidenten ernannt werden. Die
näheren Bestimmungen über seine Organisation und sein Verfahren sind durch
besonderes Gesetz geregelt.
8. (Achtes Hauptstück) Volksanwaltschaft
(Art. 148a-148j B-VG)
Jedermann kann sich bei der
Volksanwaltschaft wegen behaupteter Missstände in der Verwaltung des Bundes
einschließlich dessen Tätigkeit als Träger von Privatrechten beschweren, sofern
er von diesen Missständen betroffen ist und soweit ihm ein Rechtsmittel nicht
oder nicht mehr zur Verfügung steht. Jede solche Beschwerde ist von der
Volksanwaltschaft zu prüfen. Dem Beschwerdeführer sind das Ergebnis der Prüfung
sowie die allenfalls getroffenen Veranlassungen mitzuteilen (Art. 148a I B-VG).
Sitz der Volksanwaltschaft ist Wien.
Sie besteht aus drei Mitgliedern. Die Amtsdauer beträgt sechs Jahre mit der
einmaligen Möglichkeit der Wiederwahl (Art. 148g B-VG).
9. (Neuntes Hauptstück)
Schlussbestimmungen (Art. 149-152 B-VG)
Als weitere Verfassungsgesetze haben
zu gelten das Staatsgrundgesetz vom 21. 12. 1867 über die allgemeinen
Rechte der Staatsbürger, das Gesetz vom 27. 10. 1862 zum Schutze des
Hausrechts, der Beschluss der provisorischen Nationalversammlung vom 30.
10. 1918, das Gesetz vom 3. 4. 1919 betreffend die Landesverweisung und die
Übernahme des Vermögens des Hauses Habsburg-Lothringen, das Gesetz vom 3. 4.
1919 über die Aufhebung des Adels, der weltlichen Ritter- und Damenorden und
gewisser Titel und Würden sowie Abschnitt V des III. Teiles des Staatsvertrages
von Saint-Germain vom 10. 9. 1919.
10. Zusätzliche
Bundesverfassungsgesetze und zusätzliche Verfassungsbestimmungen
Zusätzliche Bundesverfassungsgesetze sind die nach Art. 44 I B-VG
erlassenen Gesetze wie beispielsweise das Bundesverfassungsgesetz über die
Neutralität Österreichs (BGBl. 1955, 211) oder das Bundesverfassungsgesetz über
die Sicherung der Unabhängigkeit des Rundfunks (BGBl. 1974, 396).
Verfassungsbestimmungen sind auch in einfachen Gesetzen mit Zustimmung des
Bundesrats geschaffen worden (z. B. § 55 VI StVO). Außerdem sind bestimmte
internationale Abkommen in das österreichische Verfassungsrecht integriert (wie
z. B. die Europäische Menschenrechtskonvention [Konvention zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfreiheiten, unterzeichnet in Rom am 4. 11. 1950,
allgemein in Kraft ab 3. 9. 1953], vgl. auch die Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948).
Insgesamt ist das Verfassungsrecht
Österreichs (Verfassungsrecht im formellen Sinne) also sehr komplex. Den Kern
bildet als Stammgesetz das Bundes-Verfassungsgesetz. Daneben bestehen aber mehr
als 70 weitere Bundesverfassungsgesetze, mehr als 12 verfassungsändernde
Staatsverträge, mehr als 650 in einfachen Gesetzen enthaltene, nicht in jedem
Fall wirklich grundlegende Verfassungsbestimmungen und mehr als 300 in
Staatsverträgen enthaltene Verfassungsbestimmungen.
11. Grundrechte
Die entweder jedem Menschen (Menschenrechte)
oder (nur) jedem Staatsbürger (Staatsbürgerrechte) als subjektive
öffentliche Rechte zustehenden, meist der Abwehr staatlicher Eingriffe,
später aber auch dem sozialen Schutz des Einzelnen dienenden Grundrechte sind
in Österreich nicht durch einen einheitlichen Grundrechtskatalog geschützt.
Bedeutsam sind vor allem das gemäß Art. 149 B-VG in Verfassungsrang
übergeleitete Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger
vom 21. 12. 1867 (RGBl. 142/1867) und die vom Europarat erstellte, in
Österreich im Verfassungsrang beschlossene Europäische
Menschenrechtskonvention (BGBl. 1958, 210) sowie Einzelgesetze wie
beispielsweise das Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen
Freiheit (BGBl. 1998, 684) oder § 1 des Datenschutzgesetzes von 1978. Die
wichtigsten einzelnen Grundrechte sind die Gleichheit der Staatsbürger
vor dem Gesetz (Art. 7 B-VG, Art. 2 StGG 1867), das Recht auf Leben (Art. 2
EMRK), das Verbot der Folter (Art. 3 EMRK), das Verbot der Todesstrafe (Art. 85
B-VG, Art. 1 1. Zusatzprotokoll der EMRK), das Hausrecht, das
Fernmeldegeheimnis, der Datenschutz, die Achtung des Privat- und Familienlebens
(Art. 8 EMRK), das Recht auf Eheschließung und Familienförderung (Art. 12
EMRK), der Schutz der persönlichen Freiheit und Sicherheit, das Recht
auf den gesetzlichen Richter (Art. 83 II B-VG), die grundsätzliche
Unverletzlichkeit des Eigentums (Art. 5 StGG 1867, Art. 1 1. Zusatzprotokoll
EMRK, Menschenrecht), die Berufsfreiheit, die Erwerbsfreiheit (Art. 6 StGG
1867, Staatsbürgerrecht), die Vereinsfreiheit (Art. 12 StGG 1867, Art. 11
EMRK), das Wahlrecht (politisches Grundrecht), die Meinungsfreiheit (Art. 13
StGG 1867, Art. 10 EMRK), die Freiheit der Wissenschaft (Art. 17 StGG 1867),
die Freiheit des Unterrichts (Art. 17 II 2 B-VG), das Recht auf Bildung (Art. 2
1. Zusatzprotokoll EMRK), die Glaubensfreiheit (Art. 14 StGG 1867, Art. 9 EMRK)
und die Religionsfreiheit (Art. 15 StGG 1867).
Verschiedene Grundrechte enthalten
einen Gesetzesvorbehalt. Auf seiner Grundlage darf der einfache Gesetzgeber
Ausnahmen und Beschränkungen der Grundrechte festlegen. Eine Drittwirkung der
Grundrechte zu Gunsten privater Dritter besteht nicht.
Grundrechte muss der Staat im Übrigen
auch gewährleisten. Er muss also notwendige Schutzbestimmungen schaffen.
Unterlässt er dies, kann sein Verhalten verfassungswidrig sein.
IV. Land (z. B. Tirol)
Bei dem Erlass der nach Art. 99 B-VG
durch Landesverfassungsgesetz vom Landesgesetzgeber (Landtag) zu erlassenden Landesverfassung
(z. B. Tiroler Landesordnung) muss grundsätzlich mindestens die Hälfte der
Mitglieder des Landtags anwesend sein und müssen zwei Drittel der abstimmenden
Mitglieder zustimmen. Landesverfassungsrecht muss ausdrücklich als
Landesverfassungsgesetz oder Landesverfassungsbestimmung bezeichnet sein. Das
Landesverfassungsgesetz darf die Bundesverfassung nicht verletzen (z. B. kein
Zweikammersystem wegen Art. 95 I B-VG, z. B. keine Direktwahl des
Landeshauptmanns wegen Art. 101 B-VG).
§ 4 Verwaltung
A) Rechtswirklichkeit
B) Wesen
C) Arten
D) Rechtsgrundlagen
E) Verwaltungsorganisation
F) Verwaltungshandeln
A) Rechtswirklichkeit
Seit seiner Entstehung hat der Staat
nicht nur eine Verfassung für die allgemeinen grundlegenden Angelegenheiten
einschließlich der dafür erforderlichen Organisation, sondern bedarf auch einer
Einrichtung für die Ausführung aller einfacheren Einzelangelegenheiten. Sie
erfasst außer allen dem Staat über die Staatsangehörigkeit besonders
verbundenen Menschen auch die Staatenlosen und die anderen Staaten zugehörigen
Menschen. Sie werden in der modernen Zivilisation in vielfältiger Hinsicht vom
Staat verwaltet.
Bereits die Geburt eines Menschen muss
(nach dem Personenstandsgesetz) dem Staat angezeigt werden. Dabei muss auch ein
bestimmter Name festgelegt werden, der sich teils aus der Herkunft von den
Eltern ergibt (Familienname), teils von den Eltern aus der beschränkten Zahl
der herkömmlichen Namen frei ausgewählt werden kann (Vorname). Auf Grund der
Geburtsanzeige kann eine Geburtsurkunde ausgestellt werden, die zu Gunsten des
Betroffenen seine Geburt während seines gesamten Lebens beweist.
Mit der Geburt wird der Betreffende
grundsätzlich mit einer Wohnadresse gemeldet (Meldegesetz). Sobald seine Eltern
für ihn oder später er selbst den Wohnsitz ändert, muss er dies der
Meldebehörde mitteilen. Bei der bisherigen Meldebehörde muss der
Meldepflichtige sich grundsätzlich abmelden, bei der neuen Meldebehörde sich
anmelden.
Für jedes Kind haben Eltern mit
Wohnsitz in Österreich unabhängig von ihrem Einkommen Anspruch auf staatliche
Familienbeihilfe. Der Anspruch besteht bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs,
unter bestimmten Umständen auch darüber hinaus bis höchstens zur Vollendung des
27. Lebensjahrs. Eltern müssen aber die Familienbeihilfe besonders bei ihrem
Wohnsitzfinanzamt beantragen.
Für die Erziehung und Betreuung von
Kindern bestehen teils staatliche bzw. kommunale, teils freie Einrichtungen.
Für die Aufnahme in einen staatlichen Kindergarten ist ein besonderer Antrag zu
stellen. Auch wenn der Staat in der Frühzeit der Erziehung keinen
eigenständigen, vom Erziehungsrecht der Eltern unabhängigen Auftrag hat,
eröffnet der Kindergarten doch über das familiäre Umfeld hinaus erweiterte
Erfahrungsmöglichkeiten, weshalb ab Herbst 2010 ein kostenloses verpflichtendes
Kindergartenjahr (mindestens 20 Stunden an mindestens 4 Tagen pro Woche im Jahr
vor Schuleintritt) besteht.
Mit der Vollendung des sechsten
Lebensjahrs wird jedes Kind, das sich dauernd in Österreich aufhält,
grundsätzlich mit Wirkung zum nächstfolgenden 1. September zum Besuch einer
Schule verpflichtet (Schulunterrichtsgesetz). Die in Österreich auf Maria
Theresia zurückzuführende allgemeine Schulpflicht dauert neun Jahre, wobei
meist mit vier Jahren Volksschule oder Grundschule begonnen wird. Im Schulwesen
beansprucht der Staat einen eigenständigen, vom Erziehungsrecht der Eltern
unabhängigen Auftrag und verwaltet die Schüler entsprechend.
Hat ein Mensch ein Bedürfnis nach
einem von einer staatlichen Stelle ausgegebenen Identitätsnachweis, kann er
einen Personalausweis beantragen. Allerdings besteht keine Ausweispflicht.
Deswegen steht es den Betroffenen frei, ob sie einen Personalausweis beantragen
wollen.
Benötigt jemand eine Bestätigung für
seine Staatsangehörigkeit Österreichs, kann er einen
Staatsbürgerschaftsnachweis beantragen. Der Antrag ist an die Gemeinde bzw. den
Magistrat bzw. bei Hauptwohnsitz im Ausland an die jeweils zuständige
Vertretungsbehörde Österreichs zu stellen. Bei der Antragstellung ist der
zuständigen Behörde der Besitz bzw. Erwerb der Staatsbürgerschaft Österreichs
nachzuweisen.
Will ein Österreicher in das Ausland
reisen, benötigt er dazu grundsätzlich einen Reisepass (seit 2009 Sicherheitspass
mit Chip mit Fingerabdrücken). Dieser muss bei den Magistraten oder
Bezirkshauptmannschaften oder bestimmten berechtigten Gemeinden beantragt
werden. Er gilt zehn Jahre und muss dann erneut beantragt werden.
Will jemand in Österreich ein
Kraftfahrzeug führen, benötigt er dafür eine Lenkberechtigung. Sie wird auf
Antrag nach Durchführung einer vorgeschriebenen Ausbildung und erfolgreicher
Ablegung einer Prüfung verliehen. Sie wird als Führerschein bezeichnet, für den
innerhalb der Europäischen Union überwiegend einheitliche Regeln gelten.
Will jemand ein Kraftfahrzeug im
öffentlichen Straßenverkehr benutzen, muss dieses dafür besonders zugelassen
sein. Ehe das Kraftfahrzeug zugelassen werden kann, muss eine
Haftpflichtversicherung abgeschlossen werden. Bei der Zulassung wird von der
zuständigen Behörde bei Vorliegen aller Voraussetzungen eine
Zulassungsbestätigung ausgestellt.
Junge Männer sind dem Staat
grundsätzlich zu einem Wehrdienst verpflichtet. Zur Überprüfung ihrer
Tauglichkeit erfolgt im vorgesehenen Zeitpunkt eine Musterung. Auf Antrag ist
statt Ableistung des Wehrdienstes auch Ableistung eines Zivildiensts möglich.
Will jemand nach dem erfolgreichen
Abschluss der schulischen Ausbildung ein Studium aufnehmen, muss er dafür
besonders zugelassen werden. Dafür muss er einen entsprechenden Antrag stellen
und die erforderlichen Unterlagen vorlegen. Nach der Zulassung muss er
zahlreiche weitere Anträge bei den zuständigen Stellen im Rahmen seiner
Ausbildung stellen und entsprechend viele Verfahren durchlaufen.
Findet er nach seiner gesamten
Ausbildung keinen Arbeitsplatz, kann er sich an die Arbeitsmarktverwaltung
(Arbeitsmarktservice) wenden. Hat er Arbeit, muss er vom erzielten Lohn oder
Einkommen Steuern und gesetzliche Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Will er
heiraten oder ein Grundstück kaufen und ein Haus bauen, muss er ebenfalls bei
den zuständigen Behörden Anträge stellen.
Selbst der Tod jedes Menschen
erfordert eine besondere Anzeige bei der zuständigen Behörde und führt
grundsätzlich zur Ausstellung einer besonderen Sterbeurkunde. Dementsprechend
begleiten den Menschen von der Wiege bis zur Bahre viele Formulare bzw.
zahlreiche Verwaltungsvorgänge, in denen der Staat, der freilich auch
nichthoheitlich tätig werden kann (Privatwirtschaftsverwaltung beispielsweise
für Krankenhäuser, Versorgungsunternehmen oder Wohnungsbauunternehmen)
grundsätzlich dem Einzelnen hoheitlich gegenübersteht. Diese Lage besteht nicht
nur in Österreich, sondern weltweit, wobei die Dichte der Verwaltungstätigkeit
am ehesten von der Dichte der Besiedlung abhängt.
B) Wesen
Verwaltung ist die auf längere Dauer angelegte
Besorgung einer Angelegenheit oder mehrerer Angelegenheiten für den dafür
Zuständigen. Sie wird von demjenigen durchgeführt, der dazu Gewalt hat. Bedeutsam
ist dabei weniger die Verwaltung der Angelegenheiten des Einzelnen durch ihn
selbst und mehr die Verwaltung der Angelegenheiten aller durch den dafür die
Zuständigkeit beanspruchenden Staat und seine monokratisch oder kollegial
gestalteten Organe und Organwalter auf Grund der Hoheitsgewalt.
Hinsichtlich der Besorgung der
Angelegenheiten der Allgemeinheit durch den Staat wird dabei seit dem 17./18.
Jahrhundert sachlich eingegrenzt. Für die Schaffung neuer Gesetze ist die
besondere gesetzgebende Gewalt (Legislative) als zuständig erklärt, deren
Grundregeln in der Verfassung (Art. 24ff. B-VG) und deren Einzelheiten in
Geschäftsordnungen niedergelegt sind, für die Überprüfung der Ausführung der
Gesetze auf ihre Rechtmäßigkeit die besondere rechtsprechende Gewalt, deren
Grundregeln in der Verfassung (z. B. Art. 82 B-VG) und deren Verfahren in
besonderen Verfahrensordnungen (z. B. Zivilprozessordnung) bestimmt sind. Da
auch die grundlegenden politischen Entscheidungen der Regierung keine einfache
Besorgung von Angelegenheiten sind, ist Verwaltung also die Besorgung der
Angelegenheiten der Allgemeinheit durch den Staat, die nicht Gesetzgebung,
Rechtsprechung und Regierungstätigkeit ist.
Die Besorgung der Angelegenheiten der
Allgemeinheit durch den Staat erfolgt durch einzelne bestimmte Handlungen von
Organen (Art. 20 I 1 B-VG), wobei (neben den Gesetzgebungsorganen Nationalrat,
Bundesrat und Landtag und den Rechtsprechungsorganen oder Gerichten) für die
Ausführung der Gesetze die besonderen Verwaltungsorgane wie
beispielsweise Bundesminister zuständig sind. Diese entweder monokratisch (z.
B. Bundespräsident) oder kollegial (z. B. Bundesregierung) gestalteten
Einrichtungen werden meist als Behörden (oder auch Ämter) (sowie in der
Privatwirtschaftsverwaltung als sonstige Dienststellen) bezeichnet. Tätig
werden in ihnen jeweils Menschen als Organwalter bzw. Amtsträger oder
Funktionsträger (vielfach Beamte).
Der Grund für die Verwaltung ist die
Notwendigkeit gemeinverträglichen Verhaltens für das Gemeinwohl. Da gemeinverträgliches
Verhalten dem Interesse Einzelner widersprechen kann, kann es oft nur gegen den
Widerstand Einzelner verwirklicht werden, weshalb der Staat eine übergeordnete
Gewalt (Hoheitsgewalt) benötigt und beansprucht. Sie bringt
notwendigerweise eine Freiheitsbeschränkung des Einzelnen mit sich, so dass
staatliche Verwaltung immer auch Beschränkung der Freiheit des Einzelnen
bedeutet.
Die Grundsätze der
Verwaltungstätigkeit sind in Österreich ebenfalls in der Verfassung
niedergelegt. Damit ist ein formeller Verwaltungsbegriff geschaffen.
Seine Kennzeichen sind Gesetzesgebundenheit und Weisungsgebundenheit.
Nach Art. 18 I B-VG darf die gesamte
staatliche Verwaltung nur auf Grund der Gesetze ausgeübt werden (Gesetzesgebundenheit).
Dies beruht darauf, dass Verwaltung grundsätzlich Eingriff in die Freiheit des
Einzelnen bedeutet. Im Rechtsstaat darf in die Freiheit des Einzelnen aber
grundsätzlich nur eingegriffen werden, wenn und soweit die Allgemeinheit dies
durch die dafür zuständigen Abgeordneten öffentlich und allgemein für die
Zukunft beschlossen hat.
Die unter der Leitung der obersten Organe des Bundes
und der Länder die Verwaltung führenden, nach den Bestimmungen der Gesetze auf
Zeit gewählten Organe, ernannten berufsmäßigen Organe oder vertraglich
bestellten Organe sind den ihnen vorgesetzten Organen für ihre amtliche
Tätigkeit verantwortlich und, soweit in Gesetzen gemäß (Art. 20) Abs. 2 nicht
anderes bestimmt ist, an deren Weisungen gebunden Art. 20 I 1, 2 B-VG Weisungsgebundenheit).
Das nachgeordnete Organ kann die Befolgung einer Weisung (nur) ablehnen, wenn
die Weisung entweder von einem unzuständigen Organ erteilt wurde oder die
Befolgung gegen strafgesetzliche Vorschriften verstoßen würde (Art. 20 I 3
B-VG).
Von der Verwaltung in diesem durch Gesetzgebung,
Rechtsprechung und Regierung bereits eingeschränkten Sinn der Besorgung der
Angelegenheiten der Allgemeinheit durch den Staat sind noch weitere Ausnahmen
zu machen. Parlamentsverwaltung ist zwar Verwaltung, erfolgt aber nicht durch
allgemeine Verwaltungsbehörden, sondern durch die eigene Parlamentsverwaltung,
und Justizverwaltung ist zwar Verwaltung, doch ist dafür die besondere
Justizverwaltung zuständig. Rechnungshof und Volksanwaltschaft haben kraft
Verfassung ebenfalls eine Sonderstellung innerhalb der staatlichen Verwaltung.
C) Arten
Die damit als Ausführung der Gesetze eingegrenzte
Verwaltung ist ein sehr umfassender Lebensbereich der zivilisierten
menschlichen Gesellschaft. Zum besseren Verständnis unterscheidet die
Verwaltungslehre deshalb verschiedene Arten der Verwaltung.
Gliederungsgesichtspunkte sind dabei das Verwaltungssubjekt, das
Verwaltungsgebiet und das Verwaltungsziel.
I. Verwaltungssubjekt
1. Vereinte Nationen
Die Vereinten Nationen sind kein Staat. Ihre
Verwaltungstätigkeit ist deshalb auch nicht umfassend. Die Vereinten Nationen
führen aber doch zahlreiche Einzelprogramme unter Verwendung beträchtlicher
Mittel durch, so dass sie auch eine entsprechende Verwaltungsorganisation
benötigen und haben.
2. Europäische Union
Die Europäische Union ist kein Staat. Im
Verhältnis zu ihrer politischen Bedeutung hat sie keine umfangreiche eigene
Verwaltung, so dass das Recht der Europäischen Union überwiegend
mitgliedstaatlich vollzogen wird. Daneben besteht aber auch eine gemeinschaftsunmittelbare
Verwaltung etwa für Personal, Haushalt, Sozialfonds, Einfuhrkontrolle, Verkehr
u. s. w.
3. Österreich
Der Bundesstaat Österreich ist erst allmählich
aus seinen einzelnen Ländern entstanden. Vielleicht deswegen erfolgt die
Ausführung der Bundesgesetze nicht vorrangig über Bundesbehörden (unmittelbare
Bundesverwaltung wie z. B. Sicherheitsverwaltung, Bundespolizeidirektion,
Finanzverwaltung). Vielmehr werden überwiegend (Landeshauptmann und ihm
unterstellte) Landesbehörden (Bezirksverwaltungsbehörde) tätig (mittelbare
Bundesverwaltung wie z. B. Gewerbeverwaltung, Wasserverwaltung).
Dabei ist Österreich eine juristische Person des
öffentlichen Rechts. Innerhalb dieser ist es wegen der besonderen Bedeutung der
Menschen eine Körperschaft. Weil sie durch die Grenzen bestimmt wird, liegt
eine Gebietskörperschaft vor, keine Personalkörperschaft.
4. Bundesland (z. B.Tirol)
Die Landesverwaltung jedes ebenfalls eine
Gebietskörperschaft darstellenden Bundeslands führt die Landesgesetze und einen
Teil der Bundesgesetze aus. Soweit Bundesgesetze ausgeführt werden, handelt es
sich um Bundesverwaltung. Da in diesem Bereich keine Bundesbehörden tätig
werden, liegt mittelbare (durch Landesbehörden vermittelte) Bundesverwaltung
vor.
5. Gemeinde
Die gleichfalls als Gebietskörperschaft anzusehenden
Gemeinden führen teils Bundesrecht, teils Landesrecht und teils eigenes Recht
aus. Im Bereich der eigenen Angelegenheiten besteht Selbstverwaltung. In den
übertragenen Angelegenheiten werden die Gemeinden für den Staat tätig.
6. Weitere Verwaltungssubjekte können beispielsweise
Universitäten (Anstalten des öffentlichen Rechtes) oder Fonds (z. B.
Forschungsförderungsfonds) und Stiftungen des öffentlichen Rechtes sein.
II. Sachgebiet
Angesichts der Weite menschlicher Angelegenheiten
lässt sich die Verwaltung in zahlreiche Sachgebiete gliedern. Eine einfache
Orientierung ermöglicht die Aufteilung der Bundesregierung in Ministerien.
Danach kann es beispielsweise eine Außenverwaltung, eine Innenverwaltung, eine
Justizverwaltung, eine Finanzverwaltung oder eine Heeresverwaltung und viele
andere Verwaltungssachgebiete (Verkehr, Wissenschaft, Unterricht, Gesundheit,
Landwirtschaft, Umwelt, Technik, Frauen, Europa, Zukunft u. s. w.) geben.
III. Verwaltungsziel
1. Eingriffsverwaltung
Am Beginn der Verwaltung steht der Eingriff des
Staates in die Freiheit des Einzelnen zur Sicherung gemeinverträglichen
Verhaltens. Er wird etwa in der Steuerpflicht oder in der Meldepflicht deutlich
sichtbar. In der Gegenwart zeigt sich die Eingriffsverwaltung beispielsweise in
Verkehrskontrollen, Flugpassagierkontrollen, Telefonüberwachungen, externen
Zugriffen auf Personal Computer, Videokameras, Spitzel in Hörsälen, Anordnungen
von Institutsvorständen zur Ablieferung von Anwesenheitslisten in
Lehrveranstaltungen von Kollegen, biometrischen Passfotos u. s. w.
Für diese Eingriffsverwaltung muss die Freiheit des
Einzelnen der Grundsatz sein. Zwang darf nur ausnahmsweise angewendet werden.
Er darf nicht Selbstzweck sein, sondern muss mittelbar der Sicherung der
Freiheit dienen.
Deswegen bedarf der Zwang einer gesetzlichen
Grundlage. Im Rechtsstaat darf der Staat die grundsätzliche Freiheit des
Einzelnen nur verletzen, wenn ein allgemeines Gesetz dies erlaubt. Ein solches
von den Vertretern der Einzelnen als Abgeordneten beschlossenes Gesetz darf
grundsätzlich nur für die Zukunft wirken und muss dem Verfassungsrecht
entsprechen, um die immer möglichen Missbräuche der Eingriffsverwaltung so
gering wie möglich zu halten und ihre nachträgliche Überprüfung durch die
Rechtsprechung zu sichern.
2. Leistungsverwaltung
Mit der starken Zunahme der Menschen im 19.
Jahrhundert und dem Wechsel von der landwirtschaftlichen Gesellschaft zur
industriellen Gesellschaft zeigte sich vor allem in den neuen Ballungszentren
ein Bedürfnis der Menschen nicht nur nach Freiheit vom Staat, sondern auch nach
Leistung durch den Staat. In Ermangelung anderer Möglichkeiten übernahm der
Staat Leistungen zur Daseinssicherung oder Daseinsfürsorge. Sie betreffen
etwa Wasser, Strom, Gas, Verkehr, Entsorgung, Gesundheit, Bildung oder soziale
Sicherheit (Sozialversicherung), für die umfangreiche Verwaltungen des Staates
für den Einzelnen geschaffen wurden.
D) Rechtsgrundlagen
Wegen des großen, ständig wachsenden
Umfangs der Verwaltung gibt es für das die Verwaltung betreffende Recht
(Verwaltungsrecht) kein einheitliches umfassendes Verwaltungsgesetzbuch. Die
wichtigsten Grundsätze des Verwaltungsrechts sind in das
Bundes-Verfassungsgesetz aufgenommen. Daneben bestehen zahlreiche einzelne
Verwaltungsgesetze des Bundes und der Länder über den Aufbau der Verwaltung,
den Inhalt der Verwaltungstätigkeit (materielles Verwaltungsrecht) und den
Ablauf der verwaltungsbehördlichen Entscheidungsverfahren, darunter insbesondere
Verwaltungsverfahrensgesetze, wobei zwischen allgemeinen Bestimmungen
(allgemeines Verwaltungsrecht mit allgemeinen Lehren und Grundsätzen) und
besonderen Bestimmungen (besonderes Verwaltungsrecht z. B. Baurecht,
Gewerberecht, Wasserrecht) unterschieden werden kann.
I. Verfassungsbestimmungen
1. Legalitätsgrundsatz
Die gesamte staatliche Verwaltung darf nur auf Grund
der Gesetze ausgeübt werden (Art. 18 I B-VG).
2. Weisungsgrundsatz
Die Organe der Verwaltung sind den ihnen vorgesetzten
Organen für ihre amtliche Tätigkeit verantwortlich und, soweit in Gesetzen
gemäß Abs. 2 nicht anderes bestimmt ist, an deren Weisungen gebunden (Art. 20 I
2 B-VG).
3. Ressortgrundsatz
Die obersten Organe der Vollziehung sind der
Bundespräsident, die Bundesminister und Staatssekretäre sowie die Mitglieder
der Landesregierungen (Art. 19 I B-VG).
4. Kompetenzen des Bundespräsidenten und der
Bundesregierung
Art. 60ff. B-VG
5. Bundesheer
Art. 79ff. B-VG
6. Bundesschulbehörden
Art. 81ff. B-VGG
7. Nachgeordnete Verwaltungsbehörden
Zur Sicherung der Gesetzmäßigkeit der gesamten
öffentlichen Verwaltung sind (im Rahmen der Garantien der Verfassung und
Verwaltung) die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern, der Asylgerichtshof
und der Verwaltungsgerichtshof berufen (Art. 129 B-VG).
II. Verwaltungsgesetze
Auf Grund des großen Umfangs der Verwaltung gibt es
sehr viele besondere Verwaltungsgesetze. Ihre Gesamtzahl ist nicht mehr
überschaubar. Dementsprechend umfangreich ist das (materielle besondere)
Verwaltungsrecht, für das sich beispielsweise folgende zehn Sachgruppen bilden
lassen.
1. Innere Verwaltung
Wichtige einzelne Gesetze sind beispielsweise das
Staatsbürgerschaftsgesetz, das Meldegesetz, das Passgesetz, das Waffengesetz
oder das Sicherheitspolizeigesetz (etwa 26000 Polizeibeamte, Gliederung der
Sicherheitspolizei in je eine Zentrale pro Bundesland, darunter
Bezirkskommandos und örtliche Polizeiinspektionen).
2. Wehrwesen
Die bedeutsamsten Bestimmungen sind im Wehrgesetz und
im Zivildienstgesetz enthalten.
3. Öffentlicher Dienst
Öffentlicher Dienst ist eine Gesamtbezeichnung für die
zur Ausführung der Gesetze vom Staat Beschäftigten. Ihre Zahl ist sehr groß,
wobei seit dem Ende des 20. Jahrhunderts zahlreiche Beamte durch
Vertragsbedienstete ersetzt wurden. Die wichtigsten Regelungen finden sich im
Beamtendienstrechtsgesetz, im Vertragsbedienstetengesetz, im Gehaltsgesetz und
für den Ruhestand im Pensionsgesetz.
4. Wirtschaft
Bedeutsame Bereiche regeln beispielsweise die
Gewerbeordnung, das Ladenschlussgesetz, das Produktsicherheitsgesetz, das
Landwirtschaftsgesetz oder das Elektrizitätswirtschaftsgesetz.
5. Kultur
Im Mittelpunkt der Kultur stehen Schule und
Universität. Wichtige Gesetze sind das Schulorganisationsgesetz oder das
Universitätsgesetz. Bedeutung kommt auch dem Studienförderungsgesetz zu.
6. Gesundheit
Z. B. Krankenanstaltengesetz, Sonderabfallgesetz,
Wasserrechtsgesetz
7. Verkehr
Z. B. Straßenverkehrsordnung, Bundesstraßengesetz,
Eisenbahngesetz
8. Arbeit
Z. B. Arbeitnehmerschutzgesetz, im Übrigen überwiegend
Privatrecht
9. Finanzen
Der Staat erzielt die zur Bezahlung seiner
umfangreichen Verwaltung erforderlichen Einnahmen überwiegend durch Steuern.
Diese betreffen alle Lebensbereiche, in denen Mittel vorhanden sind und sich
eine Mehrheit von Abgeordneten auf einen zwangsweisen Einzug von Teilen dieser
Mittel zu Gunsten der Allgemeinheit (einschließlich ihrer eigenen Diäten)
einigt (z. B. Einkommen, Lohn, Umsatz, Grundstück, Kraftfahrzeug, Mineralöl,
Tabak, Alkohol, Hund). Dementsprechend sind zahlreiche einzelne Steuergesetze
erlassen.
10. Soziales
Im Sozialbereich verteilt der Staat von oben nach
unten (z. B. mittels Familienbeihilfe) um. Er entzieht den verhältnismäßig
wenigen Reichen Mittel zu Gunsten der verhältnismäßig vielen Armen. Je mehr
Umverteilung vom Parlament beschlossen wird, desto wahrscheinlicher werden die
entsprechenden Abgeordneten von den zahlreichen Armen gewählt.
III. Verwaltungsverfahrensgesetze
Verwaltungsverfahrensgesetz ist das
die Verwaltungsverfahren allgemein oder grundsätzlich ordnende Gesetz. Es
betrifft das formelle Verfahren im Bereich der Verwaltung (formelles
Verwaltungsrecht). Dieses muss im Rechtsstaat den Gesetzen entsprechen (Legalitätsgrundsatz,
Art. 18 B-VG).
Bedeutsam hierfür ist besonders die
Zuständigkeit. Daneben fragt sich, was geschehen muss und was man dagegen tun
kann. Schließlich geht es auch um die Kosten des Verfahrens.
Geregelt ist das Verwaltungsverfahrensrecht
vor allem in vier Gesetzen. In ihrer Mitte steht das Allgemeine
Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG), das von einem Einführungsgesetz zu den
Verwaltungsverfahrensgesetzen (EGVG) begleitet wird. Die von den
Verwaltungsbehörden in Strafbescheiden zu verhängenden Verwaltungsstrafen, bei
denen der Betroffene im Gegensatz zu den Strafurteilen der ordentlichen
Gerichtsbarkeit nicht vorbestraft ist, sind im Verwaltungsstrafgesetz (VStG)
behandelt, die Verwaltungsvollstreckungsmaßnahmen zur zwangsweisen
tatsächlichen Durchsetzung der Verwaltungsmaßnahmen im
Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VVG mit den Möglichkeiten der Pfändung,
Ersatzvornahme oder der Zwangsstrafe).
E) Verwaltungsorganisation
I. Unmittelbare Bundesverwaltung
In Art. 102 II B-VG sind die
Angelegenheiten bestimmt, die im Rahmen des verfassungsmäßig festgestellten
Wirkungsbereichs unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden können. Dazu
gehören etwa Passwesen, Asyl, Bundesfinanzen, Geldwesen, Justizwesen,
Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, Meldewesen,
Waffenwesen, Verkehrswesen, Arbeitsrecht, Denkmalschutz, Bundespolizei,
Schulwesen, öffentliches Auftragswesen und manche andere Angelegenheit. Bei
dieser Bundesverwaltung durch eigene Bundesbehörden liegt unmittelbare
Bundesverwaltung vor.
II. Mittelbare Bundesverwaltung
Mittelbare Bundesverwaltung ist die
von Landesbehörden besorgte Ausführung von Bundesgesetzen. Sie betrifft etwa
das Gewerberecht. Sie ist insgesamt von erheblicher tatsächlicher Bedeutung.
III. Landesverwaltung
Landesverwaltung ist grundsätzlich die
Ausführung der Landesgesetze durch Landesbehörden, zu der aber die mittelbare
Bundesverwaltung als Ausführung von Bundesgesetzen durch Landesbehörden
hinzukommt. Die Verwaltungsaufgaben der Landesregierung werden vom Amt der
Landesregierung wahrgenommen, deren Behördenleiter der (rechtskundige
Verwaltungsbeamte) Landesamtsdirektor ist (Art. 106 B-VG).
Erstinstanzliche Landesbehörde ist grundsätzlich die Bezirkshauptmannschaft
bzw. in statutarischen Städten der Magistrat (Art. 116 III 4 B-VG),
zweitinstanzliche Landesbehörde der Landeshauptmann.
Möglich ist neben der unmittelbaren
Landesverwaltung auch mittelbare Landesverwaltung (z. B. Art. 97 II B-VG).
F) Verwaltungshandeln
I. Internes Verwaltungshandeln
Die Verwaltung bereitet durch internes
Handeln ihr externes Handeln vielfach vor. Beispielsweise müssen Wahlunterlagen
auf dem laufenden Stand gehalten werden, obwohl Wahlen nur in großen zeitlichen
Abständen durchgeführt werden, oder sind Weisungen vorgesetzter
Verwaltungsorgane (Organwalter) an nachgeordnete Verwaltungsorgane
(Organwalter) zu erteilen oder muss dem tatsächlichen Bau einer neuen Straße
eine lange Planung vorhergehen. Das interne Verwaltungshandeln hat noch keine
externe Wirkung, ist aber an die Gesetze gebunden, so dass die Grundsätze der
Weisungsgebundenheit oder auch der Amtsverschwiegenheit auch im internen
Verwaltungshandeln gelten.
II. Externes Verwaltungshandeln
Nach außen kann die Verwaltung in
verschiedener Weise handeln. Möglich sind vor allem Verordnung, Verwaltungsakt
(Bescheid, einschließlich der Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher
Befehls- und Zwangsgewalt wie Festnahme, Beschlagnahme, Abschleppen oder
Wegweisen) und Vertrag. Stets gilt der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der
Verwaltung, der aber in der Rechtswirklichkeit vielfach verletzt wird (z. B.
durch détournement de pouvoir, bei dem die gesetzlich eingeräumte Macht zu
anderen Zwecken missbraucht wird).
1. Verordnung
Nach Art. 18 II B-VG kann jede Verwaltungsbehörde
auf Grund der Gesetze innerhalb ihres Wirkungsbereichs (gesetzesergänzende,
evtl. gesetzesvertretende und ausnahmsweise gesetzesändernde) Verordnungen
erlassen, wobei in der Verordnung (vielfach Durchführungsverordnung)
grundsätzlich nur weniger wichtige Einzelregelungen getroffen werden können.
Eine solche Verordnung ist materiell ein Gesetz (materielles Gesetz), weil sie
allgemein und abstrakt nach außen wirkt, formell aber kein Gesetz (kein
formelles Gesetz), weil sie nicht vom Parlament im verfassungsmäßig
vorgesehenen Gesetzgebungsverfahren beschlossen wird. Sie bedarf einer
Ermächtigungsgrundlage in einem Gesetz (gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage)
und kann nach Art. 139 B-VG auf ihre Gesetzmäßigkeit überprüft werden.
2. Verwaltungsakt (Bescheid)
Verwaltungsakt ist die Handlung (Akt)
der Verwaltung im bestimmten Einzelfall. Sie ist eine individuelle, konkrete
Regelung (förmliche hoheitliche Anordnung und Entscheidung und damit (formell und
materiell) kein Gesetz. Wegen des Legalitätsgrundsatzes der Verfassung (Art. 18
I B-VG) darf der Verwaltungsakt (Bescheid) nur auf Grund eines Gesetzes
erlassen werden.
a) Anstoß
Jeder Verwaltungsakt bedarf
grundsätzlich eines Ausgangspunkts. Dies kann sehr oft ein Antrag eines
(Partei genannten) Einzelnen sein (z. B. auf die Verleihung der
Staatsbürgerschaft, die Erteilung einer Fahrerlaubnis, einer Zulassung eines
Kraftfahrzeugs oder einer Baugenehmigung oder Baubewilligung). Unabhängig davon
kann aber die Verwaltung auch von Amts wegen ohne Antrag eines Einzelnen tätig
werden (z. B. Sperrung einer Straße wegen Lawinengefahr, Entzug einer
Fahrerlaubnis, Verbot einer Versammlung).
b) Ermittlungsverfahren
Im Ermittlungsverfahren muss die
Verwaltungsbehörde unter Mitwirkung des Betroffenen den Sachverhalt ermitteln
und feststellen. Dazu können Anhörungen und Vernehmungen sinnvoll oder
notwendig sein. Auch die Erhebung von Beweisen, die von der Behörde frei
gewürdigt werden dürfen, kommt in Betracht, wobei den Parteien Gelegenheit zur
Stellungnahme gegeben werden muss.
c) Bescheid
Im Anschluss an das
Ermittlungsverfahren ist grundsätzlich ein schriftlicher(, ausnahmsweise ein
mündlicher) Bescheid (Leistungsbescheid z. B. auf Zahlung, Gestaltungsbescheid oder
Feststellungsbescheid) im Einzelfall gegenüber einem Einzelnen zu erteilen.
Dieser Bescheid muss die erlassende Behörde, die Geschäftszahl und den
Adressaten benennen und als Bescheid bezeichnet werden. Er hat einen
notwendigen Inhalt, der aus Spruch, Begründung und Rechtsmittelbelehrung
besteht.
aa) Der Bescheid beginnt mit der Kennzeichnung
des Sachverhalts. Dem schließt sich unter Nennung der einschlägigen
gesetzlichen Bestimmungen der Spruch bzw. die Entscheidung an. Sie kann
im Stattgeben oder Genehmigen des Antrags oder in der Zurückweisung oder
Abweisung bestehen, wobei im Spruch über Einwendungen entschieden werden kann
und eine Entscheidung über die Kosten getroffen werden muss.
bb) Begründung
In der Begründung ist mit der
Darstellung des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens zu beginnen. Danach sind
die für die Beweiswürdigung maßgeblichen Erwägungen darzulegen. Am Ende erfolgt
in kurzer Zusammenfassung die auf diese Erwägungen gestützte Beurteilung der
Rechtsfrage, die mit Unterschrift und Nennung aller Beteiligten, die Anspruch
auf Zustellung des Bescheids haben, abzuschließen ist.
cc) Die Rechtsmittelbelehrung
muss klarstellen, ob der Bescheid einem weiteren Instanzenzug unterliegt. Ist
dies der Fall, muss angegeben werden, innerhalb welcher Frist bei welcher
Behörde welches Rechtsmittel einzulegen ist (z. B. gegen diesen Bescheid kann
Berufung eingelegt werden bei … binnen ….). Bei Bescheiden der letzten Instanz
muss auf die Möglichkeit der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder an den
Verfassungsgerichtshof mit Nennung der Einbringungsfrist (§ 26 VwGG) und
weiterer Erfordernisse (im Sinne des § 28 VwGG) hingewiesen werden.
dd) Rechtswidrigkeit
Ein Bescheid kann aus vielen Gründen
rechtswidrig sein. Zu ihnen gehören etwa die Unzuständigkeit, die
Parteilichkeit, die Willkür oder auch das Fehlen einer Rechtsgrundlage.
Zumindest materiell rechtswidrig entscheidet auch die Behörde, die einen
rechtswidrigen Rechtssatz anwendet.
d) Rechtsmittel
Rechtsmittel gegen den (z. B. wegen
Zuständigkeitsmangels, Verfahrensmangels oder Rechtswidrigkeit des Inhalts
angreifbaren) Bescheid ist grundsätzlich die Berufung (§§ 63ff. AVG). Sie muss
grundsätzlich binnen zweier Wochen bei der Entscheidungsbehörde eingebracht
werden. Sie muss einen Antrag enthalten, damit die Behörde weiß, was der
Berufende will, und eine Begründung, damit die Behörde weiß, auf welche
Überlegungen der Berufende sich stützt.
e) Entscheidung über das
Rechtsmittel
Über das (grundsätzlich aufschiebende
Wirkung entfaltende) Rechtsmittel entscheidet die Berufungsbehörde durch
Bescheid. Er unterliegt denselben Regeln. Gegen ihn ist ebenfalls ein
Rechtsmittel (Beschwerde) möglich, das bei behaupteter Verletzung von Rechten
bei dem Verwaltungsgerichtshof einzubringen ist, bei behaupteter Verletzung
verfassungsmäßiger Rechte bei dem Verfassungsgerichtshof.
f) Verwaltungsvollstreckung
Ist der Bescheid infolge
Nichteinlegung eines Rechtsmittels oder nach erfolglosem Ausgang des
Rechtsmittelverfahrens rechtskräftig, so kann der Verwaltungsakt vollstreckt
werden. Hierfür gilt das Verwaltungsvollstreckungsgesetz. Es sieht als
Möglichkeiten Pfändung, Ersatzvornahme und Zwangsstrafen vor.
3. Verwaltungsrechtlicher Vertrag
Zulässig ist auch der
öffentlichrechtliche (verwaltungsrechtliche) Vertrag mit mindestens einem
Verwaltungsträger, auf den grundsätzlich Vertragsrecht anzuwenden ist.
III. Verwaltungsrechtsgrundsätze
Allgemein in der Europäischen Union
anerkannte Verwaltungsrechtsgrundsätze dürften sein der Grundsatz der
Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (einschließlich der Unparteilichkeit), der Untersuchungsgrundsatz,
nach dem die Verwaltungsbehörde von Amts wegen jeweils den wahren Sachverhalt
zu ermitteln hat, der Grundsatz der Transparenz der Verwaltungsorgane und ihrer
Tätigkeit, das Recht des Betroffenen auf Unterrichtung und grundsätzliche
Akteneinsicht, der Schutz persönlicher Daten, das Verbot der Diskriminierung,
das Gebot der Kooperation, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der Vertrauensschutz
bzw. der Schutz wohlerworbener Rechte und der Grundsatz der Notwendigkeit
einer angemessenen Begründung.
§ 5 Verfahren
A) Rechtswirklichkeit
B) Wesen
C) Organisation
D) Zivilverfahren
E) Strafverfahren
F) Außerstreitverfahren
G) Grundsätze des Verfahrensrechts
A) Rechtswirklichkeit
Lebewesen sind von der Natur her auf
Leben ausgerichtet. Deswegen ist auch der Mensch auf Grund des ihm angeborenen
Selbsterhaltungstriebs Egoist. Wo immer sich zwei Menschen begegnen, ist daher
ein Interessenkonflikt möglich, der in seiner Vielfältigkeit nur an Hand
zufällig ausgewählter Beispiele geschildert werden kann.
I. Austria (Österreich) möchte den
Balkan beherrschen. Ein Freiheitskämpfer möchte den Balkan von der Herrschaft
Österreichs befreien, weswegen er in Sarajewo 1914 den Thronfolger Österreichs
erschießt. Daraufhin möchte Österreich ihn bestrafen, während er unbestraft
entkommen will.
II. Die Industriestaaten möchten die
gesamte Welt nach ihren Vorstellungen gestalten. Fundamentalisten (z. B. Bin
Laden) sehen darin eine Gefahr und zerstören das World Trade Center mit Hilfe
von Flugzeugen. Daraufhin möchten die Vereinigten Staaten von Amerika die
überlebenden Attentäter bestrafen und den Terrorismus ausrotten, während die
überlebenden Attentäter unbestraft bleiben wollen.
III. Der Champagnerhändler Christie
möchte Champagner unter der Internetadresse champagner.com verkaufen. Die
Champagnerproduzenten möchten diese Adresse selbst nutzen. Deswegen möchten die
Champagnerproduzenten dem Champagnerhändler die Verwendung der Internetadresse
verbieten, während der Champagnerhändler diesem Verbot entgehen möchte.
IV. Eine Versandapotheke Doc möchte
Arzneimittel in ganz Europa versenden. Dadurch sehen Apotheker an einzelnen
Orten ihre Existenz gefährdet. Dementsprechend möchten sie den Arzneimittelversand
mit Hinweis auf die gefährdete Gesundheit von schlecht beratenen Kunden
untersagen lassen, während der Versandhändler unter Berufung auf die
Gewerbefreiheit und die bei großem Umsatz möglichen Preisvorteile den Versand
weiterführen möchte.
V. Eberle fühlt sich zu Höherem
berufen und spielt lang und laut Klavier. Das geht der Familie und den Nachbarn
auf die Nerven. Sie möchten, dass Eberle mit dem Klavierspielen aufhört,
während Eberle unter Bezugnahme auf die Kunstfreiheit und das Recht auf Selbstverwirklichung
noch mehr und noch lauter spielen möchte.
VI. Fluggast Fischer erleidet auf
einem Langstreckenflug auf die Fidschiinseln eine Thrombose. Daraufhin möchte
er von der Fluggesellschaft unter Hinweis auf die geringe Bewegungsfreiheit im
Flugzeug Schadenersatz. Die Fluggesellschaft möchte unter Bezugnahme auf
Millionen Fahrgäste, die bei Langstreckenflügen keinen Thromboseschaden
erleiden, keinen Schadenersatz zahlen.
VII. Gärtner Groß vergrößert bei
Bedarf sein Gewächshaus eigenhändig. Die Gemeinde Gemünden möchte das Gebäude
wegen fehlender Baugenehmigung abreißen. Groß will das Gewächshaus wegen des
ihm bei einem Abriss drohenden Schadens nicht abreißen lassen.
VIII. Handelsvertreter Hämmerlein muss
in einem Rechtsstreit zehn Jahre auf ein Urteil warten. Er möchte eine rasche
Entscheidung. Das Gericht sieht sich überlastet und als Folge der Überlastung
zu einer Entscheidung nicht in der Lage.
IX. Der Internetnutzer Immerwach
möchte den von ihm auch privat genutzten Personal Computer als Werbungskosten
vollständig von seiner Einkommensteuer abziehen. Das Finanzamt lehnt dies ab.
Der Internetnutzer möchte weniger Steuern bezahlen, das Finanzamt mehr Steuern
einnehmen.
X. Ein aus einem anderen Mitgliedstaat
der Europäischen Union nach Österreich berufener ordentlicher
Universitätsprofessor sieht sich dadurch mittelbar diskriminiert, dass
Österreich trotz seiner Mitgliedschaft in der Europäischen Union als
Voraussetzung für die Zahlung einer besonderen Dienstalterszulage im
Gehaltsgesetz eine 15jährige Tätigkeit als ordentlicher Universitätsprofessor
in Österreich verlangt, die ein stets in Österreich bleibender ordentlicher
Universitätsprofessor eher erfüllen kann als ein in der Europäischen Union
wandernder Professor. Österreich erklärt daraufhin die besondere
Dienstalterszulage als eine Treueprämie, die nicht diskriminieren könne. Der
aus dem Ausland berufene ordentliche Universitätsprofessor sieht diese
Begründung nach Betrachtung der Entstehungsgeschichte der betreffenden
Vorschrift als nur vorgeschoben und nicht überzeugend an.
B) Wesen
Wie sich an diesen wenigen Beispielen
zeigt, gibt es vielfältige Interessenkonflikte unter den Menschen. In einfachen
Gesellschaften werden entsprechende Streitigkeiten oft mit Gewalt oder List
ausgetragen, wobei sich der Stärkere mit Gewalt oder der Listigere mit
intellektueller Überlegenheit durchsetzt. Die zivilisierte Gesellschaft hat
demgegenüber das Verfahren als die geordnete, allgemein überzeugende Art und
Weise der Entscheidung eines Streites zweier Menschen durch Unbeteiligte
entwickelt, wobei im Laufe der Geschichte unterschiedliche Modelle verwendet
wurden.
I. Allgemeinheit
Vermutlich wurden anfangs
Streitigkeiten, die nicht innerhalb einer Familie gelöst werden konnten, vor
der Allgemeinheit ausgetragen. Dies hatte den Vorteil einer von vielen
gefundenen und als richtig anerkannten (demokratischen) Lösung. Dem standen als
Nachteile der erhebliche Aufwand und die geringe durchschnittliche sachliche
Qualifikation aller Urteilenden gegenüber.
II. Honoratioren
Zwecks Beseitigung oder Verringerung
dieser Nachteile traten im Laufe der Geschichte ausgewählte Honoratioren (Edle,
Reiche, Kluge, Große usw.) an die Stelle der Allgemeinheit. Dadurch wurde zwar
die Umständlichkeit verringert. Das Fehlen ausreichender Qualifikation wurde
dadurch aber noch nicht beseitigt.
III. Berufsrichter
Seit dem Hochmittelalter entstand
deshalb zur Lösung dieses Problems der wissenschaftlich ausgebildete Jurist,
der zunächst in der Kirche professionell Streitigkeiten entschied. Dieses
Modell, das seit dem 18. Jahrhundert durch die sachliche und persönliche
Unabhängigkeit des Richters abgesichert und seit dem 20. Jh. für einfachere
Angelegenheiten durch den ebenfalls fachlich geschulten Rechtspfleger ergänzt
ist, setzte sich danach auch in der staatlichen Gerichtsbarkeit weltweit
überwiegend durch, selbst wenn aus demokratiepolitischen Überlegungen an
einzelnen Stellen noch bzw. wieder ungelehrte Laien als (zusätzliche)
Laienrichter urteilen. Um die sachliche Überlegenheit des Berufsrichters über
die ungelehrten Parteien zu mildern, wurde den Parteien gestattet, bei der
Behandlung ihrer Angelegenheiten juristisch geschulte Berater (z. B.
Rechtsanwälte) beizuziehen.
IV. Grundproblem
Das Grundproblem des Verfahrensrechts
ist dementsprechend die Zuständigkeit eines Richters für die
Entscheidung eines Streites. Diese Problematik zeigt sich etwa heute noch im
Völkerrecht, in dem es keine allgemein anerkannte Gerichtsbarkeit für alle
Streitigkeiten aller Staaten untereinander gibt und deswegen Konflikte immer
noch mit Gewalt (z. B. Israel und Palästinenser) oder List (z. B. Atomanlagen
in Nordkorea oder Iran) ausgetragen werden. Innerhalb der zivilisierten Staaten
ist demgegenüber durch ein entwickeltes Verfahrensrecht für sehr viele
Streitigkeiten zweier Parteien ein Gericht als Entscheidungsorgan bereit
gestellt, das meist auf Antrag eines Beteiligten ein Verfahren in
möglichst rationaler Weise nach allgemeinen, überwiegend gesetzlich
festgelegten Regeln durchführt (Rechtsanwendung).
V. Aufgabe
Aufgabe des Verfahrens ist die
einsichtige Lösung von Interessenkonflikten unter größtmöglicher Vermeidung
von Gewalt. Dafür ist die Anwendung allgemein anerkannter Rechtssätze auf
die Wirklichkeit möglich und nötig. Je überzeugender das Recht ist und je
besser die Rechtsanwender sich seiner bedienen, desto mehr Gerechtigkeit kann
durch die Anwendung der abstrakten Sollenssätze auf das konkrete Sein der
Wirklichkeit erzielt werden.
C) Organisation
I. Weltgerichtshof
Da die Welt auf Grund der
geschichtlichen Entwicklung des Menschen kein einheitlicher Staat ist, sondern
aus einer Vielzahl von ihre Selbständigkeit bzw. Souveränität behauptenden
Staaten besteht, gibt es (noch) kein einheitliches Weltgericht.
Die Vereinten Nationen haben aber bereits
1945 einen Internationalen Gerichtshof (IGH) mit Sitz im Friedenspalast in Den
Haag eingerichtet. Er ist mit 15 von der Generalversammlung und dem
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gewählten Richtern besetzt. Parteien
(Kläger oder Beklagter) können nur Staaten sein.
Zugang haben nur Mitglieder der
Vereinten Nationen und Staaten, die das Statut des Internationalen Gerichtshofs
ratifiziert haben. Der Gerichtshof ist nur zuständig, wenn und soweit alle
beteiligten Parteien die Zuständigkeit anerkannt haben. Bis 2003 hat der
Internationale Gerichtshof 76 Urteile erlassen und 24 Rechtsgutachten abgegeben
(z. B. Streit über Schürfrechte unter dem Festlandsockel zwischen Deutschland,
Dänemark und den Niederlanden, Streit zwischen Deutschland und Island um Fischereirechte,
Streit zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika um die
Hinrichtung eines Deutschen), wobei Urteile nicht vollstreckt, sondern nur
befolgt werden können.
Außerdem haben die Vereinten Nationen
durch einen internationalen Vertrag (Rom 1998, in Kraft 2002) einen Internationalen
Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag gegründet. Er ist mit 18 Richtern
besetzt. Er ist zuständig für Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit
und Kriegsverbrechen (sowie vielleicht künftig auch Aggression) (erste
Verhandlung Januar 2009 gegen Thomas Lubanga).
Internationale
Kriegsverbrechertribunale wurden in Nürnberg 1945 für Kriegsverbrechen Deutscher im zweiten
Weltkrieg und danach für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien und in
Ruanda eingerichtet.
II. Europagerichte
1. Die europäischen Gemeinschaften
haben bzw. die Europäische Union hat im Laufe ihrer Entwicklung ein
Gerichtssystem entwickelt. Dieses wird seit dem Vertrag von Lissabon (2009) als
Gerichtshof der Europäischen Union bezeichnet. Es besteht aus dem
(Europäischen) Gerichtshof, dem (Europäischen) Gericht und dem Gericht für den
öffentlichen Dienst der Europäischen Union (RUGöD).
a) Gerichtshof (Europäischer
Gerichtshof)
Der amtlich Gerichtshof
genannte Europäische Gerichtshof (1952) in Luxemburg ist das höchste Gericht
der Europäischen Union. Er ist mit je einem Richter jedes Mitgliedstaats
besetzt. Seine Aufgabe ist die einheitliche Anwendung, Auslegung und
Fortbildung des europäischen Gemeinschaftsrechts. Vor ihm werden jährlich mehr
als 500 Rechtsstreitigkeiten anhängig, doch kann er vom einzelnen Bürger nicht
unmittelbar angerufen werden.
Besonders wichtig sind neben den Vertragsverletzungsverfahren
die Vorabentscheidungsverfahren. Bei Zweifeln über die Auslegung
europäischen Rechts können bzw. müssen Gerichte der Mitgliedstaaten den
(Europäischen) Gerichtshof vorab um eine Entscheidung ersuchen. Unterlassen sie
dies, kann der Mitgliedstaat dem Betroffenen zu Schadenersatz verpflichtet
werden.
b) Gericht (Europäisches Gericht)
Zur Entlastung des (Europäischen)
Gerichtshofs wurde ihm 1989 ein Gericht erster Instanz in Luxemburg zugeordnet.
Es ist ebenfalls mit 27 Richtern der Mitgliedstaaten besetzt. Es entscheidet
etwa in Wettbewerbsstreitigkeiten (1999 insgesamt 384 Verfahren).
c) Gericht für den öffentlichen Dienst
der Europäischen Union
Zur weiteren Entlastung wurde 2005 das
Gericht für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union geschaffen.
2. Europäischer Gerichtshof für
Menschenrechte
Der mit je einem Richter jedes Vertragsstaats
([2010] 44) besetzte Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wurde 1959
durch den Europarat in Straßburg errichtet. Seine Aufgabe ist der Schutz
der in der Europäischen Menschenrechtskonvention enthaltenen
Grundrechte. An ihn kann sich jede Person wenden, die sich durch eine
Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention seitens eines
Vertragsstaats verletzt sieht und den national gegen die Verletzung gegebenen
Rechtsweg erschöpft hat.
Die Zahl der entsprechenden
Beschwerden ist ziemlich hoch (rund 30000 pro Jahr). Die meisten Beschwerden
werden als unzulässig oder unbegründet angesehen (bis 2009 rund 10000 Urteile).
Am häufigsten werden Russland und die Türkei wegen Menschenrechtsverletzung (zu
Schadenersatz an den Verletzten) verurteilt, wobei die Verwirklichung der
Entscheidungen vor allem durch den Druck der öffentlichen Meinung erreicht
wird.
III. Österreich
Staatliche Gerichte sind als Folge der
Verrechtlichung der menschlichen Zivilisation inzwischen in allen Staaten
eingerichtet. Organisation und Verfahren unterscheiden sich allerdings auf
Grund der unterschiedlichen geschichtlichen Entwicklung von Staat zu Staat.
Gleichwohl bestehen aber auch verschiedene allgemeinere Übereinstimmungen.
Anfangs bestand dabei wohl überall nur
eine einheitliche Gerichtsbarkeit. Im Laufe der Geschichte wurde diese aber
vielfach aufgespalten. In Österreich lassen sich zwei Gerichtsbarkeiten mit
fünf Verfahrensarten unterscheiden.
1. Gerichtsbarkeit
Nach Art. 10 I Nr. 6 und Art. 82 I
B-VG ist die Gerichtsbarkeit in Österreich ausschließlich Bundessache, so dass
alle Gerichte Bundesgerichte sind.
a) Ordentliche Gerichtsbarkeit
Die ordentliche Gerichtsbarkeit ist
die herkömmliche Gerichtsbarkeit durch die überkommenen, allmählich
fortgebildeten Gerichte. Sie ist vor allem durch das Gerichtsorganisationsgesetz
vom 27. 11. 1896 geordnet. Ergänzt werden dessen Vorschriften durch das
Bundesgesetz über den Obersten Gerichtshof vom 19. 6. 1968.
Danach ist die ordentliche
Gerichtsbarkeit Österreichs insgesamt vierstufig, der Instanzenzug dreistufig.
Gerichte erster Instanz sind die mit Einzelrichtern besetzten (2007 141) Bezirksgerichte
(BG) in jedem Bezirk (einschließlich der Bezirksgerichte für Handelssachen) und
die als Gerichtshöfe erster Instanz bezeichneten (18) Landesgerichte
(oder bis 1993 teilweise auch Kreisgerichte) (LG, in Eisenstadt, Feldkirch,
Graz 2, Innsbruck, Klagenfurt, Korneuburg, Krems, Leoben, Linz, Ried im
Innkreis, Salzburg, Sankt Pölten, Steyr, Wels, Wien 2 und Wiener Neustadt)
(einschließlich der Handelsgerichte), Gerichte bzw. Gerichtshöfe der höheren
Instanzen die vier Oberlandesgerichte in Wien (für Wien,
Niederösterreich und Burgenland), Graz (für Steiermark und Kärnten), Linz (für
Oberösterreich und Salzburg) und Innsbruck (für Tirol und Vorarlberg) und der Oberste
Gerichtshof in Wien. Die Gerichtshöfe sind teils durch Einzelrichter, teils
in Senaten tätig.
2. Gerichtshöfe des öffentlichen
Rechts
a) Verfassungsgerichtsbarkeit
Der Verfassungsgerichtshof in Wien
ist nach Art. 137 B-VG für Verfassungsstreitigkeiten zuständig. Eine
Verfassungsbeschwerde gegen Akte der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist
ausgeschlossen. Die ordentlichen Gerichte können bei Bedenken gegen Gesetze
oder Verordnungen grundsätzlich eine Normprüfung bei dem
Verfassungsgerichtshof beantragen.
b) Verwaltungsgerichtsbarkeit
Die Verwaltungsgerichtsbarkeit
wird ausgeübt durch den Verwaltungsgerichtshof in Wien (Art. 129 B-VG)
und den Asylgerichtshof (1. Juli 2008). Keine Gerichte sind die gerichtsähnlichen
unabhängigen Verwaltungssenate. Ihre Umwandlung in
Landesverwaltungsgerichtshöfe ist im Gespräch.
D) Zivilverfahren
I. Wesen
Das Zivilverfahren ist das
bereits im römischen Altertum ausgebildete und im Hochmittelalter wieder
aufgegriffene Verfahren zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten Einzelner. Es
dient der gerichtlichen Durchsetzung privater Rechte. Es schließt auf Grund des
Gewaltmonopols des Staates die Selbsthilfe des Berechtigten
weltweit grundsätzlich aus.
II. Zuständigkeit
In Österreich ist die Zuständigkeit
oder Kompetenz der Zivilgerichte festgelegt in der Jurisdiktionsnorm
(JN, Gesetz über die Ausübung der Gerichtsbarkeit und die Zuständigkeit der
ordentlichen Gerichte in bürgerlichen Rechtssachen) vom 1. 8. 1895, die sich in
drei Teile gliedert (Von der Gerichtsbarkeit im Allgemeinen, Von der
Gerichtsbarkeit in Streitsachen, Von der Gerichtsbarkeit außer Streitsachen).
Danach wird die Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtssachen durch die
ordentlichen Gerichte ausgeübt (§ 1 JN) und sind für manche Arten von
Streitsachen bestimmte Gerichte ausschließlich zuständig (z. B.
Bezirksgerichte für Mietsachen, Besitzstörungssachen oder Ehesachen und
Familiensachen, § 49 II JN). In allen anderen Streitsachen entscheidet der Streitwert
der Streitsache, wobei für niedrige Streitwerte (bis 10000 Euro) das
Bezirksgericht, für höhere Streitwerte das Landesgericht zuständig ist und
besondere Senate in Arbeitssachen, Handelssachen und Sozialrechtssachen
gebildet werden (in Wien auch ein besonderes Handelsgericht Wien und ein
Arbeits- und Sozialgericht Wien).
III. Klage
Nach der für das Zivilverfahren
geltenden Zivilprozessordnung vom 1. 8. 1895 beginnt das Zivilverfahren mit der
Klage des Klägers (im Erkenntnisverfahren, Antrag auf Gewährung
von Rechtsschutz), wobei die Streitsache mit dem Einlangen des Klagebegehrens
in der Einlaufstelle gerichtshängig wird. Wo kein Kläger vorhanden ist, kann
kein Zivilprozess beginnen. Für bestimmte Klagen benötigt der Kläger bereits
für die Erhebung der Klage an das Gericht einen Rechtsanwalt als
Prozessvertreter (Anwaltszwang).
Ist die Klage mangelhaft, wird sie
(vorläufig) zurückgestellt oder (endgültig) zurückgewiesen. Ist sie formal
mangelfrei, wird sie dem Beklagten unter gleichzeitiger Ladung zu einem Verhandlungstermin
zugestellt. Damit ist die Streitsache streitanhängig, so dass kein zweiter
Prozess in dieser Streitsache mehr eingeleitet werden kann.
IV. Klageerwiderung
Nach der Klageerhebung folgt
grundsätzlich die (vor dem Bezirksgericht mündliche, sonst schriftliche)
Klageerwiderung (Klagebeantwortung) des Beklagten, mit der er auf die
Klage antwortet und zu dem Vortrag des Klägers Stellung nimmt. Erscheint der
Beklagte vor Gericht nicht oder verhandelt er trotz Erscheinens nicht,
entscheidet das Gericht, wenn die Klage in sich schlüssig ist, nach dem
Klagevortrag des Klägers. Im Anwaltsprozess benötigt auch der Beklagte einen
Rechtsanwalt als Prozessvertreter.
V. Beweis
Widersprechen sich die Parteien in
ihren Vorträgen, muss das Gericht ermitteln, welcher Sachvortrag der Wahrheit
entspricht. Zum Beweis der Wahrheit gibt es die Beweismittel Zeugen,
Urkunden (z. B. Computertexte), Sachverständige, Inaugenscheinnahme
(Augenschein) und Parteivernehmung. Kann ein Beweis von der mit dem Beweis
belasteten Partei (z. B. der Rückgabe eines Darlehens verlangende Kläger für
die von ihm behauptete Auszahlung des Darlehens, der bereits erfolgte
Rückzahlung behauptende Beklagte für die Rückzahlung) nicht geführt werden,
entscheidet das Gericht auf Grund der Beweislast zu ihren Lasten.
VI. Urteil
Nach der Verhandlung und eventuellen
Beweisführung, während deren das Gerichr über Einzelfragen durch Beschluss
entscheidet, muss das Gericht den Rechtsstreit entscheiden und auf den
festgestellten Sachverhalt das geltende Recht anwenden. Dies
geschieht durch (mündlich verkündetes oder schriftliches) Urteil, in dem
das Gericht dem Begehren des Klägers Statt gibt oder es abweist, dem Kläger
aber niemals mehr zusprechen darf, als er begehrt hat. Das (in seinem Inhalt
oft nicht wirklich vorhersehbare) Urteil gliedert sich entsprechend der
Urteilsmethode in den Urteilstenor (Tenor, Urteilsspruch) und die
Urteilsgründe (Urteilsbegründung), welche die Parteien von der
Richtigkeit der Entscheidung überzeugen soll(en).
Ein Urteil kann aus vielen Gründen
rechtswidrig sein. Hierzu gehören etwa die Unzuständigkeit oder die
rechtswidrige Rechtsanwendung. Rechtswidrig ist dabei auch die unzutreffende
Anwendung europäischen Gemeinschaftsrechts im Rahmen eines
Vorabentscheidungsverfahrens.
VII. Rechtsmittel
Weil erfahrungsgemäß auch die
Entscheidung eines Gerichts unrichtig sein kann, haben sich schon in der
römischen Antike und dann seit dem Hochmittelalter Rechtsmittel ausgebildet,
mit denen die unterliegende Partei das Urteil innerhalb einer kurzen Frist (Rechtsmittelfrist)
angreifen kann. Die nochmalige Überprüfung erfolgt dann in einem übergeordneten
Gericht meist durch mehr und erfahrenere Richter. Möglich sind Berufung,
Revision und Rekurs, wobei am Ende die Entscheidung unanfechtbar und
unabänderlich wird (formelle Rechtskraft) und eine erneute oder
anderslautende Entscheidung ausgeschlossen ist (materielle Rechtskraft).
1. Berufung
Bei der Berufung erfolgt eine
Überprüfung der Entscheidung des Rechtsstreits in tatsächlicher und rechtlicher
Hinsicht. Zuständig für die Berufung gegen Urteile der Bezirksgerichte sind
die Gerichtshöfe erster Instanz (Landesgerichte) und für die Berufung
gegen Urteile der Landesgerichte die Oberlandesgerichte. Sie entscheiden
erneut durch Urteil (Berufungsurteil).
2. Revision
Danach ist (nur) bei Rechtsfragen
von grundsätzlicher Bedeutung Revision möglich. Bei ihr wird die Rechtmäßigkeit
des Verfahrens und des Urteils durch den Obersten Gerichtshof überprüft. Am
Ende wird erneut durch Urteil entschieden (Revisionsurteil).
3. Rekurs
Bei Beschlüssen des Gerichts
ist der Rekurs möglich. Er ist je nach Zuständigkeit an das Landesgericht oder
das Oberlandesgericht zu richten. Ihm kann ein Revisionsrekurs zum
Obersten Gerichtshof folgen.
VIII. Vollstreckung (Zwangsvollstreckung,
Exekution)
Ist das Urteil (oder ein Beschluss)
durch Verzicht auf Rechtsmittel mit Ablauf der Rechtsmittelfrist oder nach
Erschöpfung des Instanzenzugs rechtskräftig (in Rechtskraft erwachsen), kann es
(bzw. er), wenn der Verpflichtete seiner festgestellten Verpflichtung nicht
nachkommt, innerhalb der Verjährungszeit zwangsweise gemäß dem Gesetz über das
Exekutions- und Sicherungsverfahren (Exekutionsordnung 1896) auf Grund eines Exekutionsantrags
und eines Exekutionstitels in einzelne Vermögensgegenstände des
Verpflichteten vollstreckt werden (Vollstreckungsverfahren). Dies
geschieht mit Hilfe des Bezirksgerichts bzw. eines amtlichen
Vollstreckers (Exekutors, Gerichtsvollziehers), wobei dem Gläubiger mehrere Exekutionsmittel
zur Verfügung stehen. Möglich ist etwa die Pfändung beweglicher Sachen,
die Pfändung von Forderungen (Gehaltsexekution, Lohnpfändung) oder die Zwangsversteigerung
eines Grundstücks, wobei grundsätzlich Pfändung, Verwertung und Befriedigung
aufeinander folgen. Sonderfall der Vollstreckung bei Überschuldung ist der auf
Antrag des Schuldners oder eines Gläubigers mögliche Konkurs aller
Gläubiger (vor dem Landesgericht) zwecks gleichmäßiger Verteilung des
geringen vorhandenen Vermögens eines Schuldners auf alle Gläubiger bei
Zahlungsunfähigkeit (Insolvenz, vgl. auch Schuldenregulierungsverfahren
zur Entschuldung natürlicher Personen vor dem Bezirksgericht, Privatkonkurs).
IX. Entscheidungssammlung
Die Entscheidungen des Obersten
Gerichtshofs Österreichs in Zivilsachen sind wegen ihrer besonderen Bedeutung
in der Sammlung Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofs in
Zivilsachen veröffentlicht (SZ).
E) Strafverfahren
I. Wesen
Das Strafverfahren ist das Verfahren
zur Entscheidung von Strafsachen. Strafsachen sind Sachen der
Allgemeinheit (des Staates) gegen den (einer Straftat) Verdächtigen, ohne dass
grundsätzlich das Opfer der Straftat Partei des Strafprozesses ist
(Offizialmaxime mit dem Staat als Ankläger). Dabei steht das Interesse der
Allgemeinheit an einer Verfolgung von Straftaten dem Interesse eines
Verdächtigen an einer Nichtbestrafung gegenüber.
II. Zuständigkeit
1. Bezirksgericht
Das Bezirksgericht ist zuständig für Vergehen,
für die nur Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe angedroht ist, deren Höchstmaß
ein Jahr nicht übersteigt.
2. Landesgericht
In Strafsachen ist das Landesgericht
in erster Instanz für Verbrechen und Vergehen zuständig, für die nicht
das Bezirksgericht zuständig ist. Je nach Straftat entscheidet ein Einzelrichter,
ein Schöffensenat (ein Berufsrichter und zwei Laienrichter als Schöffen)
oder bei politischen Verbrechen und bei Verbrechen mit einer Strafuntergrenze
von fünf Jahren Haft und einer Strafobergrenze von mehr als zehn Jahren Haft
ein am Landesgericht gebildetes Geschworenengericht (aus drei
Berufsrichtern [Schwurgerichtshof] und acht Laienrichtern als Geschworenen). In
zweiter Instanz ist das Landesgericht zuständig für Berufungen und Beschwerden
gegen Urteile und Beschlüsse der Bezirksgerichte.
Das Landesgericht hat auch die
umfassende gerichtliche Zuständigkeit im Ermittlungsverfahren. An jedem
für Strafsachen zuständigen Landesgericht ist eine Staatsanwaltschaft
eingerichtet. Sie vertritt den Staat im Strafverfahren.
III. Ermittlungsverfahren
In Strafsachen ist die
(weisungsgebundene) Staatsanwaltschaft bei z. B. durch eine Anzeige der
Polizei erlangter Kenntnis von einer strafbaren Handlung zur Verfolgung
verpflichtet (Legalitätsprinzip). Im diesbezüglichen Ermittlungsverfahren
der Vorerhebungen bedient sie sich meist der Sicherheitsbehörde. Im
Ergebnis entscheidet sie, ob das Ermittlungsverfahren eingestellt wird oder ob
eine öffentliche Klage erhoben wird.
IV. Anklage
Entscheidet sie sich auf Grund ihrer
Ermittlungen für die Erhebung einer öffentlichen Anklage, so beantragt sie
diese bei dem zuständigen Gericht. Über die Zulassung entscheidet das Gericht.
Dieses ist an den Antrag der Staatsanwaltschaft nicht gebunden, gibt ihm aber
in der Mehrzahl der Fälle Statt.
V. Hauptverhandlung
Die danach folgende, grundsätzlich
öffentliche Hauptverhandlung vor dem zuständigen Gericht beginnt mit der
Verlesung (bzw. dem Vortrag) der Anklage, dem die Erwiderung der
Verteidigung und die Vernehmung des Angeklagten durch das Gericht
folgen. Der Angeklagte kann sich zur Anklage äußern, darf aber auch schweigen,
doch muss er damit rechnen, dass das Gericht aus seinem Verhalten Schlüsse
zieht. Er kann sich durch einen Rechtsanwalt verteidigen lassen und muss in
schweren Fällen von Amts wegen durch einen Rechtsanwalt verteidigt werden
(Pflichtverteidiger).
VI. Beweis
Die Allgemeinheit bzw. der öffentliche
Ankläger (Staatsanwalt) muss dem Angeklagten von Amts wegen die Tat, deretwegen
er angeklagt ist, nachweisen. Zu ermitteln ist dabei die materielle Wahrheit.
Beweismittel sind z. B. Zeugen, Urkunden, Sachverständige oder
Inaugenscheinnahme (Augenschein).
Bis zum Beweis der Straftat gilt zu
Gunsten des Angeklagten die Unschuldsvermutung. Sie endet mit dem
Nachweis der Tat. Im Zweifel ist der Angeklagte freizusprechen (in dubio pro
reo).
Das Beweisergebnis kann von den
Beteiligten bewertet werden. Dies geschieht vor allem in den Schlussvorträgen
des Staatsanwalts und des Verteidigers, in denen beide Seiten ihre Anträge
stellen. Am Ende hat der Angeklagte das letzte Wort.
VII. Urteil
Die Hauptverhandlung endet
grundsätzlich mit einem (bei Senatsbesetzung in geheimer Beratung)
gefällten Urteil des (unabhängigen) Gerichts. Es kann auf Freispruch
(auch wegen Mangels an Beweisen) oder Verurteilung zu einer Strafe
lauten. Im Geschworenengericht entscheiden die Geschworenen nach Belehrung
durch den vorsitzenden Richter allein über Schuld oder Unschuld und zusammen
mit den Berufsrichtern über das Strafmaß jeweils mit Mehrheit, wobei für
besondere Ergebnisse besondere Regeln gelten.
VIII. Rechtsmittel
Ein Rechtsmittel gegen ein Strafurteil
muss binnen drei Tagen angemeldet und kann binnen vier Wochen nach Zustellung
der schriftlichen Ausfertigung des Urteils schriftlich ausgeführt werden.
1. Berufung
Gegen das Urteil des Bezirksgerichts
ist eine Berufung wegen der Schuld und bzw. oder der Strafe an das Landesgericht
möglich, über die ein Senat mit drei Richtern entscheidet. Über eine Berufung
gegen das Urteil eines Einzelrichters am Landesgericht wegen Schuld und bzw.
oder Strafe entscheidet das Oberlandesgericht. Gegen erstinstanzliche
Urteile des Landesgerichts als Schöffengericht oder Geschworenengericht gegen
den Ausspruch über die Strafe (Strafhöhe) entscheidet das Oberlandesgericht.
Die Berufung kann sich auf die Schuld
oder auf die Strafe beziehen. Die Berufung über die Strafe strebt eine Änderung
oder Ergänzung eines erlassenen Urteils durch das Berufungsgericht an (z. B.
Freispruch wegen erwiesener Unschuld statt Verurteilung). Die Berufung über die
Strafe will eine Änderung nicht hinsichtlich der Schuld, sondern nur hinsichtlich der Strafe erreichen (z. B.
statt unbedingter Strafe bedingte Strafnachsicht).
2. Nichtigkeitsbeschwerde
Wird nur oder auch ein Nichtigkeitsgrund
(vor allem Verfahrensfehler, rechtsirrige Anwendung oder Nichtanwendung eines
Strafgesetzes) behauptet (z. B. notwendige, aber nicht vollständige Vertretung
des Angeklagten durch einen Rechtsanwalt während des gesamten Verfahrens), muss
Nichtigkeitsbeschwerde zum Obersten Gerichtshof eingelegt werden. Dieser
entscheidet durch Urteil. Die Entscheidung umfasst dann auch eine
Berufung wegen Strafe.
IX. Vollstreckung
Wird innerhalb der Rechtsmittelfrist
kein Rechtsmittel eingelegt oder bleibt es erfolglos, erwächst das Urteil in
Rechtskraft. Danach kann es vollstreckt werden. Dafür sind die besonderen
Strafvollstreckungsorgane zuständig (z. B. für Freiheitsstrafen das erkennende
Gericht).
X. Entscheidungssammlung
Die Entscheidungen des Obersten
Gerichtshofs Österreichs in Strafsachen sind wegen ihrer besonderen Bedeutung
in der Sammlung Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofs in
Strafsachen veröffentlicht (SSt).
F) Außerstreitverfahren
Außerstreitverfahren ist das Verfahren in eigentlich außer
Streit befindlichen inhaltlich ziemlich unterschiedlichen Sachen oder
Rechtsangelegenheiten, die kraft Herkommens den ordentlichen Gerichten
zugeordnet sind. Für sie gilt das Außerstreitgesetz vom 9. 8. 1854 in der
geänderten Fassung des Jahres 2005. Außerstreitsachen sind beispielsweise
Obsorge über Kinder, Unterhalt für Kinder, Adoptionen, Bestellung von Sachwaltern,
Unterbringung psychisch Kranker, Verlassenschaftsverfahren, Grundbuchverfahren,
Firmenbuchverfahren, Kartellverfahren, Todeserklärung, Kraftloserklärung
von Urkunden, (streitig) Aufteilung des Vermögens nach einer Ehescheidung,
mietrechtliches und wohnrechtliches Verfahren, Verfahren über Zuspruch von
Enteignungsentschädigungen, Erneuerung und Berichtigung von Grenzen, Einräumung
eines Notwegs als Zugang zu einem Grundstück u. s. w., in denen das Gericht
jeweils durch Beschluss entscheidet.
G) Grundsätze
Allgemein mehr oder weniger anerkannt
sind verschiedene Grundsätze in vielen Rechtsstaaten. Dazu gehören zum Recht
auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK) beispielsweise das Recht auf den
gesetzlichen Richter (, so dass etwa ein oberster Gerichtshof eines
Mitgliedstaats der Europäischen Union sein Vorabentscheidungsersuchen an den
Europäischen Gerichtshof nicht zurückziehen darf, wenn er plötzlich unerwartet
und entgegen einer eigenen Zwischennachricht abweichend von der Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofs entscheiden will), die Unabhängigkeit des
Richters, die Öffentlichkeit der Verhandlung, das Diskriminierungsverbot,
das Recht auf angemessene Anhörung, die Stellung der Partei als Subjekt (und
nicht als Objekt) des Verfahrens, das Recht auf angemessene Fristen, das Recht
auf Begründung jeder Entscheidung und die Öffentlichkeit der Verkündung einer
Entscheidung. Dem Schutz des Schwachen und besonders des Angeklagten im
Strafprozess dienen der Anspruch auf Bereitstellung eines Gerichts (Rechtsweggarantie),
der Anspruch auf Zugang zum Gericht, die Prozesskostenhilfe für Bedürftige,
die Garantie des ne bis in idem, die verhindert, dass jemand wegen
derselben Sache zweimal bestraft werden kann, das Verbot der Folter, das Verbot
der Todesstrafe, die Unschuldsvermutung und der Satz in dubio pro reo
(im Zweifel für den Angeklagten).
§ 6 Straftat
A) Rechtswirklichkeit
B) Arten
C) Vorsatzbegehungserfolgsdelikt
D) Sonderfragen
E) Rechtsfolge
F) Strafzweck
G) Einzelne Straftatbestände
A) Rechtswirklichkeit
Täglich kann man in der Zeitung
Nachrichten lesen wie: Mann erschießt seine Frau, seine zwei Kinder und sich selbst.
Arbeiter entführt neunjähriges Mädchen als Polizist und missbraucht es. Bei
einem Zugunglück werden fünf Menschen teilweise schwer verletzt. Ein Mann
erbeutet bei einem bewaffneten Raubüberfall 100000 Euro. Ein Mann stiehlt unter
Aufbrechen eines Schlosses aus einem Lieferwagen Tiefkühlkost. Zwei Frauen
bitten an einer Wohnungstüre um Wasser und durchwühlen danach die Schubladen
der Helferin. Ein Bauernhof brennt ab. Im Wald wird ein fachgerecht mit einem
Blattschuss erlegter Zehnender gefunden. Ähnliches geschieht täglich weltweit.
Es geschieht seit langem. So haben
etwa Attentäter das World Trade Center in New York mit Flugzeugen zerstört, hat
eine Bande in London einen Postzug ausgeraubt, haben Südtiroler viele
Strommasten in die Luft gesprengt, hat ein Attentäter John F. Kennedy
erschossen, sind in Konzentrationslagern Millionen von Menschen ermordet
worden, sind zehntausende Frauen als Hexen verbrannt worden, ist Jesus Christus
gekreuzigt worden, hat König Herodes aus Angst vor dem Messias alle kleinen
Buben umbringen lassen, ist Gaius Julius Caesar erstochen worden, ist Sokrates
zum Trinken des Schierlingsbechers veranlasst worden und hat bereits der
erfolglose und eifersüchtige Kain den erfolgreicheren Bruder Abel erschlagen.
Wie wäre dies zu verhindern gewesen?
Stets geht es um Verhalten von
Menschen gegenüber anderen Menschen in den Formen des Tötens, Verletzens,
heimlichen Wegnehmens oder gewaltsamen Wegnehmens sowie ähnlichen Handelns. Ein
solches Verhalten schädigt unmittelbar den Verletzten und mittelbar auch die
Allgemeinheit. Deswegen soll es zum Wohle aller möglichst unterbleiben.
In Ermangelung erfolgreicherer
Möglichkeiten hat der Mensch die Strafe durch den Staat erfunden. Damit will er
andere Menschen durch Verbote von bestimmten, als schädlich eingestuften
Verhaltensweisen abhalten. Missglückt dies, soll der Handelnde für sein
missbilligtes Verhalten von der Allgemeinheit mit einem Übel belegt werden.
Dementsprechend besteht der
Strafrechtssatz wie andere idealtypische Rechtssätze aus Tatbestand und
Rechtsfolge und werden bei der Anwendung des Strafrechtssatzes auf die
Rechtswirklichkeit Strafrechtstatbestand und Strafrechtssachverhalt mit
einander verglichen. Die Besonderheit des Strafrechts besteht nur darin, dass
bestimmtes menschliches Verhalten mit einer Strafe als Rechtsfolge
bedroht wird. Im Kern geht es in der Rechtswirklichkeit immer um die Frage: Hat
ein Mensch einen Tatbestand, der in einem Rechtssatz mit der Rechtsfolge Strafe
bedroht ist, durch sein Verhalten in einem Sachverhalt verwirklicht oder nicht?
Dabei hat im Laufe der Geschichte die
Allgemeinheit zum Wohle aller die Verfolgung bestimmter schädlicher
Verhaltensweisen übernommen. Dafür setzt der moderne Staat, Polizei,
Staatsanwaltschaft und Gericht ein. Hat ein Mensch sich strafbar gemacht
und kann ihm dies nachgewiesen werden, soll er nach allgemeiner Überzeugung
grundsätzlich weltweit der als gerecht empfundenen Strafe zugeführt werden.
In Österreich darf dabei nach § 1 I
StGB eine Strafe oder eine vorbeugende Maßnahme nur wegen einer Tat verhängt
werden, die unter eine ausdrückliche gesetzliche Strafdrohung fällt und schon
zur Zeit ihrer Begehung mit Strafe bedroht war. Lateinisch lautet dieser
grundlegende Satz nulla poena sine lege. Dementsprechend gilt für Strafdrohungen
in Strafrechtssätzen ein grundsätzliches Rückwirkungsverbot.
B. Arten
Das menschliche Verhalten ist immer
individuell. Es enthält aber trotz aller Einzigartigkeit jedes menschlichen
Einzelverhaltens stets auch allgemeine Erscheinungsmerkmale. Deswegen lassen
sich alle Straftatbestände (Deliktstatbestände) und damit auch alle strafbaren
Einzelhandlungen unter wissenschaftlich-systematischem Blickwinkel
allgemeineren Arten zuteilen.
I. Schwere
Nach der Schwere der Verletzung werden
herkömmlicherweise Verbrechen und Vergehen (sowie Übertretungen) unterschieden.
1. Verbrechen sind vorsätzliche
Handlungen, die mit lebenslanger oder mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe
bedroht sind (§ 17 I StGB z. B. Mord).
2. Vergehen sind alle
strafbaren Handlungen, die nicht mit lebenslanger oder mit mehr als
dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht sind (§ 17 II StGB, z. B.
Hausfriedensbruch).
II. Rechtsgut
Nach den verletzten Rechtsgütern wird
getrennt in
1. Straftaten gegen Leib und Leben des
Einzelnen (z. B. Mord, Totschlag)
2. Straftaten gegen Eigentum und
Vermögen des Einzelnen (z. B. Diebstahl, Raub, Betrug)
3. Straftaten gegen die Allgemeinheit
(z. B. Staatsschutzdelikte wie Hochverrat, Völkermord)
III. Verhalten
Je nach dem Verhalten des Täters lässt
sich gliedern in
1. Delikte für die ein Erfolg
notwendig ist oder eine Tätigkeit genügt
a) Erfolgsdelikt (z. B.
Körperverletzung)
b) Tätigkeitsdelikt (z. B.
falsche uneidliche Aussage)
2. Delikte, die zu einer Verletzung
führen oder zu einer bloßen Gefährdung
a) Verletzungsdelikt (z. B.
Körperverletzung)
b) Gefährdungsdelikt (z. B.
Fahren über eine Straßenkreuzung bei rotem Ampelsignal)
3. Delikte, bei denen ein Handeln
(Begehung) notwendig ist oder eine Unterlassung genügt
a) Begehungsdelikte (z. B.
Erpressung, Wilderei)
b) Unterlassungsdelikte
Nach § 2 StGB ist, wenn das Gesetz die
Herbeiführung eines Erfolgs mit Strafe bedroht, auch strafbar, wer es
unterlässt, ihn abzuwenden, obwohl er zufolge einer ihn im Besonderen
treffenden Verpflichtung durch die Rechtsordnung dazu verhalten ist und
die Unterlassung der Erfolgsabwendung einer Verwirklichung des gesetzlichen
Tatbildes durch ein Tun gleichzuhalten ist (z. B. unterlassene Hilfeleistung
bei einem Unglücksfall, Mord durch Unterlassung).
IV. Einstellung
Je nach der inneren Einstellung des
Täters zu seinem Verhalten kann getrennt werden zwischen
a) Vorsatzdelikten, bei denen
der Täter mit Vorsatz (lat. dolus [M.]) und damit grundsätzlich mit Wissen
und Wollen handelt (z. B. Unterschlagung). (Nach § 5 I StGB handelt
vorsätzlich, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen
Tatbild entspricht, wobei es genügt, dass der Täter diese Verwirklichung
ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet [dolus eventualis,
bedingter Vorsatz, „in Kauf nimmt“].). (Bei einzelnen Straftatbeständen kann es
auch auf Absichtlichkeit oder Wissentlichkeit ankommen, lat. dolus directus).
und
b) Fahrlässigkeitsdelikten, bei
denen der Täter den Erfolg nicht will, aber eine Sorgfaltspflicht zu seiner
Vermeidung verletzt (z. B. fahrlässige Tötung, fahrlässige
Körperverletzung) (Nach § 6 I StGB handelt fahrlässig, wer die Sorgfalt außer
Acht lässt, zu der er nach den Umständen verpflichtet und nach seinen geistigen
und körperlichen Verhältnissen befähigt ist und die ihm zuzumuten ist, und
deshalb nicht erkennt, dass er einen Sachverhalt verwirklichen könne, der einem
gesetzlichen Tatbild entspricht, wobei es genügt, dass er es für möglich hält,
dass er einen solchen Sachverhalt verwirkliche, ihn aber nicht herbeiführen will).
Grundsätzlich ist, wenn das Gesetz
nichts anderes bestimmt, nur vorsätzlichen Handeln strafbar. Die Strafbarkeit
fahrlässigen Handelns muss besonders angeordnet sein. Dies ist etwa bei fahrlässiger
Tötung oder fahrlässiger Körperverletzung der Fall, nicht aber bei
fahrlässiger Sachbeschädigung.
V. Sonstige Arten
1. Eigenhändiges Delikt
Das eigenhändige Delikt kann vom Täter
nur selbst begangen werden, nicht durch einen anderen Menschen als Werkzeug (z.
B. Meineid).
2. Erfolgsqualifiziertes Delikt
Das erfolgsqualifizierte Delikt ist
durch einen zusätzlichen Erfolg besonders gekennzeichnet (z. B.
Körperverletzung mit Todesfolge, vgl. § 7 II StGB).
C) Vorsatzbegehungserfolgsdelikt
Im Mittelpunkt des Strafrechts steht
das vorsätzliche Erfolgsdelikt. Es ist auf einen Erfolg ausgerichtet und wird
vom Täter mit Wissen und Wollen ausgeführt. Die Strafrechtswissenschaft hat
dafür eine Reihe von allgemeinen Voraussetzungen oder Straftatbestandsmerkmalen
erkannt.
I. Tatbestand
Der Tatbestand eines ein Vorsatzerfolgsdelikt
betreffenden Strafrechtssatzes gliedert sich in den Tatbestand im engeren Sinn
und weitere Voraussetzungen. Der Tatbestand im engeren Sinn besteht aus
objektivem Tatbestand und subjektivem Tatbestand. Daraus ergibt sich insgesamt
ein mehrgliederiger Tatbestandsaufbau des Vorsatzerfolgsdelikts.
1. Objektiver Tatbestand (äußere
Tatseite)
a) Handlung
Der objektive Tatbestand (im engeren
Sinne) erfordert grundsätzlich eine Handlung eines Menschen. Deswegen muss ein bewusstes
Verhalten eines Menschen vorliegen, nicht nur ein bloßer unwillkürlicher Reflex
(z. B. wenn der Mensch nur vom Sturm umgeweht wird oder infolge einer Krankheit
umfällt). Eine Handlung wäre beispielsweise das Bewegen des Fingers zur
Ingangsetzung eines Geschosses in einer Waffe.
b) Erfolg
Weiter ist eine Veränderung der
bisherigen, von der Handlung verschiedenen Gegebenheiten notwendig. Eine
derartige Veränderung wäre etwa der Tod oder die Verletzung eines anderen
Menschen oder die Zerstörung oder Beschädigung einer Sache. Auch wenn diese
Veränderung allgemein als Verlust angesehen wird, ist sie strafrechtlich doch
ein Erfolg.
c) Kausalität
Zwischen Handlung und Erfolg muss Ursächlichkeit
bestehen. Zahllose Handlungen führen nicht zu strafrechtlich bedeutsamen
Erfolgen und viele Erfolge werden nicht durch strafrechtlich relevantes
Verhalten herbeigeführt. Deswegen ist ein menschliches Verhalten, das
hinweggedacht werden kann, ohne dass der in Frage stehende Erfolg entfällt, für
diesen Erfolg nicht ursächlich (z. B. kann das Bewegen eines Gewehrhahns zu
einer völlig anderen Zeit oder an einem völlig anderen Ort für den Tod eines
Menschen an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit nicht ursächlich
sein).
2. Subjektiver Tatbestand (innere
Tatseite z. B. Vorsatz, Absicht, Absichtlichkeit, Wissentlichkeit, was weiß und
will der Handelnde oder Unterlassende?)
II. Rechtswidrigkeit
Das betreffende tatbestandsmäßige,
möglicherweise strafbare Verhalten muss auch rechtswidrig sein. Rechtswidrig
ist grundsätzlich jede Verletzung von Recht. Deswegen ist die Tötung eines
(anderen) Menschen grundsätzlich stets rechtswidrig.
Die Rechtswidrigkeit kann aber
ausnahmsweise ausgeschlossen sein, weil das Verhalten gerechtfertigt ist.
Rechtfertigungsgründe sind beispielsweise Notwehr, Nothilfe, Notstand
oder Einwilligung des Opfers. Dementsprechend handelt nicht
rechtswidrig, wer sich nur der Verteidigung bedient, die notwendig ist, um
einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf
Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder Vermögen von sich
oder einem andern abzuwehren (Notwehr, Nothilfe), wobei die Handlung jedoch
dann nicht gerechtfertigt ist, wenn es offensichtlich ist, dass dem
Angegriffenen bloß ein geringer Nachteil droht und die Verteidigung,
insbesondere wegen der Schwere der zur Abwehr nötigen Beeinträchtigung des
Angreifers unangemessen ist (§ 3 I StGB).
III. Schuld
Strafbar ist nur, wer schuldhaft
handelt (§ 4 StGB). Es darf also keine Strafe ohne Schuld des Handelnden
verhängt werden. Lateinisch lautet dieser überzeugende Gedanke nulla poena
sine culpa.
Grundsätzlich ist nach § 14 I Nr. 1
StGB der (mit der Vollendung des 14. Lebensjahrs strafmündig werdende) Mensch
schuldfähig. Es kann ihm aber die Zurechnungsfähigkeit fehlen. Wer zur Zeit der
Tat wegen einer Geisteskrankheit, wegen einer geistigen Behinderung, wegen
einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen einer anderen schweren,
einem dieser Zustände gleichwertigen seelischen Störung unfähig ist, das
Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, handelt
nach § 11 StGB nicht schuldhaft.
Es kann ausnahmsweise die Schuld auch
durch einen besonderen Schuldausschließungsgrund ausgeschlossen sein.
IV. Objektive Strafbarkeitsbedingung
Strafbar ist eine Tat nur, wenn alle
objektiven Strafbarkeitsbedingungen vorliegen. Dazu gehört das Fehlen der
Verjährung. Strafbare Handlungen, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit
Freiheitsstrafe von zehn bis zwanzig Jahren oder mit lebenslanger
Freiheitsstrafe bedroht sind, verjähren nicht, während alle anderen strafbaren
Handlungen je nach der Höhe der angedrohten Strafe in Fristen zwischen zwanzig
Jahren und einem Jahr verjähren.
V. Persönlicher
Strafausschließungsgrund
Die Strafbarkeit eines Täters entfällt
bei Vorliegen eines Strafausschließungsgrunds. Strafausschließungsgrund
ist beispielsweise die Indemnität (oder auch die Immunität) eines
Abgeordneten. Grundsätzlich kann ein Abgeordneter zum Schutz seiner
Redefreiheit nicht wegen seiner Äußerungen im Parlament strafrechtlich verfolgt
werden, sofern er nicht verleumderisch beleidigt.
VI. Strafantrag
Bestimmte einzelne Verhaltensweisen
können im Gegensatz zu dem Großteil der von Amts wegen zu verfolgenden
Verhaltensweisen (Offizialdelikten) strafrechtlich nur verfolgt werden, wenn
ein Strafantrag vorliegt (Antragsdelikte). Hierzu zählen z. B.
Hausfriedensbruch und Beleidigung. Dabei kann die Staatsanwaltschaft bei
absoluten Antragsdelikten ohne Antrag eines Verletzten nicht tätig werden
(Ermächtigungsdelikt), während sie bei relativen Antragsdelikten bei Bejahung
des öffentlichen Interesses an einer Strafverfolgung auch ohne Antrag des
Verletzten die Tat verfolgen kann.
D) Sonderfragen
Bei allen Erfolgsdelikten kann es
geschehen, dass der Täter den Erfolg zwar anstrebt, aber nicht erreicht, bei
allen Delikten, dass er sich irrt, dass er zusammen mit anderen handelt oder
dass er mehrere Straftaten begeht oder mehrere Strafrechtssätze verletzt.
Deswegen liegen in diesen Fällen eigentlich allgemeine Probleme vor. Aus diesem
Grund werden Versuch, Irrtum, Teilnahme und Konkurrenz im allgemeinen Teil des
Strafrechts erörtert.
I. Versuch
Der Versuch einer Straftat liegt vor, wenn
der Täter mit der Straftat beginnt, aber den Erfolg nicht erreicht (z. B.
Attentatsversuch, Betrugsversuch). Wegen der Gefährlichkeit von Versuchen
gelten nach § 15 I StGB die Strafdrohungen nicht nur für die vollendete Tat,
sondern auch für den Versuch und jede Beteiligung an einem Versuch. Nach § 15
II StGB ist dabei eine Tat versucht, sobald der Täter seinen Entschluss (oder
Plan), sie auszuführen oder einen anderen dazu zu bestimmen, durch eine der
Ausführung unmittelbar vorangehende Handlung betätigt (also unmittelbar zur
Tat ansetzt).
Straflos ist auf Grund der
Gedankenfreiheit des Menschen ein bloßer Tatplan. Sobald aber dem im Vorsatz
enthaltenen Tatplan ein Anfang der Ausführung folgt, beginnt die
Strafbarkeit des Versuchs. Der Versuch und die Beteiligung daran sind nach § 15
III StGB nicht strafbar, wenn die Vollendung der Tat mangels persönlicher
Eigenschaften oder Verhältnisse, die das Gesetz bei dem Handelnden voraussetzt,
oder nach der Art der Handlung oder des Gegenstands, an dem die Tat begangen
wurde, unter keinen Umständen möglich war (absolute Untauglichkeit des
Versuchs).
Vom Versuch kann der Täter nach § 16
StGB noch zurücktreten (Rücktritt). Der Täter wird wegen des Versuchs
nicht bestraft, wenn er freiwillig die Ausführung aufgibt oder verhindert oder
freiwillig den Erfolg abwendet (beachte auch § 16 II StGB). Tritt der Erfolg
als Folge des Beginns der Ausführung ein, liegt kein bloßer Versuch mehr vor,
sondern eine vollendete Straftat.
II. Irrtum
Der Täter kann sich eine falsche Vorstellung
über den Gegenstand seines Verhaltens oder den Ablauf des Geschehens machen.
Dieser Irrtum ist grundsätzlich zu berücksichtigen. Dabei sind aber
unterschiedliche Fälle auseinanderzuhalten.
1. Irrtum über den Gegenstand (lat. error
in obiecto)
a) Gleichwertigkeit des Tatgegenstands
Der Täter will das Opfer töten oder
verletzen, verwechselt es aber versehentlich mit einem anderen Menschen.
Gedachtes Opfer und tatsächliches Opfer sind beides Menschen, so dass sie
rechtlich gleichwertig sind. Da es bei den Tatbeständen der Tötungsdelikte und
Verletzungsdelikte grundsätzlich nur um die Tötung oder Verletzung nicht eines
ganz bestimmten, sondern irgendeines anderen Menschen geht, ist dieser Irrtum
unbeachtlich.
b) Ungleichwertigkeit des
Tatgegenstands
aa) Der Täter will das Opfer töten,
verwechselt es aber (beispielsweise in der Dämmerung) mit einem Schwein, das er
mit seinem Schuss trifft und tötet. Mensch und Schwein sind ungleichwertige
Objekte, so dass der Irrtum beachtlich ist. Deswegen kann der Täter nur wegen
versuchten Tötungsdelikts strafbar sein(, wobei fahrlässige Sachbeschädigung
straflos bleibt).
bb) Der Täter will als Jäger ein
Schwein erschießen, verwechselt (beispielsweise in der Dämmerung) aber einen
Menschen mit dem Schwein und tötet oder verletzt den Menschen. Mensch und
Schwein sind ungleichwertige Objekte, so dass der Irrtum beachtlich ist.
Unabhängig davon, ob der Täter (als Jäger) das Schwein vorsätzlich töten darf
oder nicht, kann er aber wegen fahrlässiger Tötung oder Verletzung eines
Menschen strafbar sein.
2. Irrtum über den Kausalverlauf
Der Täter wirft im Rahmen einer
Sportveranstaltung Speer, wobei eine plötzliche, ungewöhnlich heftige Windböe
den Speer in die Zuschauer treibt, so dass ein Zuschauer durch den Speer
verletzt wird (lateinisch aberratio ictus). Der Ablauf vollzieht sich
also abweichend von den Vorstellungen des Handelnden. Deswegen kann er bei
Abirrung eines Geschosses mangels Vorsatzes jedenfalls nicht wegen
vorsätzlicher Verletzung eines anderen strafbar sein.
III. Zusammenwirken
Nach § 12 StGB begeht nicht nur der
unmittelbare Täter die strafbare Handlung, sondern auch jeder, der einen
anderen dazu bestimmt, sie auszuführen, oder der sonst zu ihrer Ausführung
beiträgt (so genannter Einheitstäter). Von daher sind verschiedene
Formen der Täterschaft (bzw. Beteiligung) an einer Straftat zu unterscheiden.
Nach § 13 StGB ist dabei, wenn mehrere an einer Tat beteiligt waren, jeder
von ihnen nach seiner Schuld zu bestrafen.
Täter ist grundsätzlich jeder, der die
Tathandlung durchführt. Dabei können mehrere in der Form zusammenwirken, dass
jeder im Zusammenwirken nur einen Teil der Tathandlung ausführt. Dann sind die
mehreren Handelnden Mittäter.
Der Täter kann eine Tathandlung aber
auch durch einen ahnungslosen Dritten ausführen lassen. Dann ist der
unmittelbar Handelnde nur (grundsätzlich strafloses) Werkzeug. Der Täter ist
aber auch bei mittelbarer Täterschaft als Täter strafbar.
Täter ist in Österreich auch, wer
einen anderen wissentlich und willentlich zu einer bewussten und gewollten
Straftat bestimmt, indem er ihm beispielsweise Geld für die Ausführung einer
von ihm gewollten Straftat verspricht. Er ist Bestimmungstäter. In
Deutschland und in der Schweiz ist er (als) Anstifter (strafbar).
Täter ist in Österreich auch jeder,
der zur Ausführung der strafbaren Handlung beiträgt, indem er etwa ein Werkzeug
zur Verfügung stellt oder den Täter sonst unterstützt. Er ist Beitragstäter.
In Deutschland und in der Schweiz ist er (als) Gehilfe (strafbar).
IV. Konkurrenz
Ein Täter kann durch eine Handlung
oder mehrere Handlungen mehrere Strafrechtssätze verletzen. Dann können mehrere
Strafrechtssätze bei der Frage, nach welcher Vorschrift der Handelnde zu
bestrafen ist, miteinander konkurrieren. Für die im Detail sehr verwickelten
Fragen der Konkurrenz (Zusammentreffen strafbarer Handlungen) gilt
grundsätzlich § 28 StGB.
E) Rechtsfolge
Strafe als wichtigster Beziehungspunkt
des gesamten Strafrechts ist ein Übel, das einem Handelnden für
tatbestandsmäßiges, rechtswidriges und schuldhaftes Tun von der Allgemeinheit
in Verbindung mit einem Unwerturteil auferlegt wird, ohne dass der Verletzte
unmittelbar davon einen Vorteil hat. Strafe in diesem Sinn ist erst in
entwickelten Gesellschaften (Staaten) entstanden. Ältere, von der Aufklärung
der frühen Neuzeit immer stärker zurückgedrängte Strafen sind Leibesstrafe
und Todesstrafe, so dass in Österreich in der Gegenwart vor allem
Freiheitsstrafe und Geldstrafe bedeutsam sind.
I. Arten der Strafe
1. Freiheitsstrafe
Freiheitsstrafe ist die im Entzug der
Freiheit bestehende Strafe. Freiheitsstrafen werden nach § 18 I StGB auf
Lebensdauer oder auf bestimmte Zeit verhängt. Die zeitliche Freiheitsstrafe
beträgt mindestens einen Tag und höchstens 20 Jahre.
2. Geldstrafe
Geldstrafe ist die in Geld zu zahlende
Strafe. Dabei ist die Geldstrafe in (mindestens zwei) nach den persönlichen
Verhältnissen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Täters im
Zeitpunkt des Urteils erster Instanz zu bestimmenden Tagessätzen zu bemessen.
Für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe ist eine
Ersatzfreiheitsstrafe festzusetzen, bei der zwei Tagessätzen ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe
entspricht (§ 19 StGB).
II. Weitere Folgen
Möglich ist die Abschöpfung der
auf Grund einer Straftat erlangten Bereicherung oder der Verfall von
Vermögenswerten. Möglich ist auch die Unterbringung des Täters in einer Anstalt
für geistig abnorme Rechtsbrecher, in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige
Rechtsbrecher oder in einer Anstalt für gefährliche Rückfallstäter. Für die
Straftat verwendete oder durch sie geschaffene Gegenstände können eingezogen
werden, Beamte können ihr Amt verlieren.
III. Strafzumessung (§§ 32ff.
StGB)
Der Strafrechtssatz legt grundsätzlich
einen Strafrahmen fest, innerhalb dessen sich das Strafmaß nach der Schuld des
Täters bestimmt. Mildernde Umstände begründen eine geringere Strafe.
Erschwerungsgründe rechtfertigen eine höhere Strafe.
IV. Bedingte Strafnachsicht
Bei Verurteilung zu einer zwei Jahre
nicht übersteigenden Freiheitsstrafe oder zu einer Geldstrafe hat das Gericht
unter bestimmten Voraussetzungen die Strafe bedingt (bei Geldstrafe auch
teilweise bedingt) nachzusehen. Möglich ist auch die bedingte Entlassung aus
einer Freiheitsstrafe. In Betracht kommt in diesen Zusammenhängen die Erteilung
von Weisungen oder die Anordnung von Bewährungshilfe.
F) Strafzweck
Strafzweck ist der mit der Strafe
verfolgte Zweck. Er hat sich im Laufe der Entwicklung der Strafe verändert.
Bestand er in älteren Zeiten hauptsächlich in Unschädlichmachung und
Sühne (absoluter Strafzweck), so trat später vor allem der
Verhütungsgedanke der Prävention (Generalprävention aller oder Spezialprävention
hinsichtlich des Straftäters) hervor (relativer Strafzweck). Seit dem späten
19. Jahrhundert (Marburger Programm Franz von Liszts) steht der Versuch der Resozialisierung
oder Wiedereingliederung des Straftäters im Vordergrund, wofür allerdings
Augenblickstäter, verbesserliche Zustandstäter und unverbesserliche
Zustandstäter unterschieden werden müssen.
G. Einzelne Straftatbestände
Die einzelnen besonderen
Straftatbestände sind im besonderen Teil des Strafgesetzbuchs enthalten. Sie
werden wissenschaftlich dementsprechend im besonderen Teil des Strafrechts
behandelt. Dabei sind von den von § 75 (Mord) bis § 321 (Völkermord) reichenden
rund 250 Strafrechtssätzen des Strafgesetzbuchs Österreichs etwa 25 von
größerer Bedeutung.
§ 75 (Mord) Wer einen anderen
tötet, ist mit Freiheitsstrafe von zehn bis zwanzig Jahren oder mit lebenslanger
Freiheitsstrafe zu bestrafen.
§ 76 (Totschlag) Wer sich in
einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen lässt,
einen anderen zu töten, ist mit Freiheitsstrafe von fünf bis zu zehn Jahren zu
bestrafen.
§ 80 (fahrlässige Tötung) Wer
fahrlässig den Tod eines anderen herbeiführt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu
einem Jahr zu bestrafen.
§ 83 (Körperverletzung) Wer
einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt, ist mit
Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu
bestrafen.
§ 88 (fahrlässige Körperverletzung)
Wer fahrlässig einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit
schädigt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis
zu 180 Tagessätzen zu bestrafen.
§ 95 (Unterlassung der
Hilfeleistung) Wer es bei einem Unglücksfall unterlässt, die offensichtlich
erforderliche und auch zumutbare Hilfe zu leisten, ist mit Freiheitsstrafe bis
zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 350 Tagessätzen zu bestrafen
§ 96 (Schwangerschaftsabbruch)
Wer mit Einwilligung der Schwangeren deren Schwangerschaft abbricht, ist mit
Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen, während eine Frau, die den
Abbruch ihrer Schwangerschaft vornimmt oder zulässt, mit Freiheitsstrafe bis zu
einem Jahr zu bestrafen ist.
§ 99 (Freiheitsentziehung) Wer
einen anderen widerrechtlich gefangen hält oder ihm auf andere Weise die
persönliche Freiheit entzieht, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu
bestrafen.
§ 105 (Nötigung) Wer einen
anderen mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung zu einer Handlung, Duldung
oder Unterlassung nötigt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu
bestrafen.
§ 109 (Hausfriedensbruch) Wer
den Eintritt in die Wohnstätte eines anderen mit Gewalt oder durch Drohung mit
Gewalt erzwingt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen.
§ 115 (Beleidigung) Wer
öffentlich oder vor mehreren Leuten einen anderen beschimpft, verspottet, am
Körper misshandelt oder mit einer körperlichen Misshandlung bedroht, ist mit
Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen
zu bestrafen.
§ 118 (Verletzung des
Briefgeheimnisses) Wer einen nicht zu seiner Kenntnisnahme bestimmten
verschlossenen Brief öffnet, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder
mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen zu bestrafen.
§ 125 (Sachbeschädigung) Wer
eine fremde Sache zerstört, beschädigt, verunstaltet oder unbrauchbar macht,
ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360
Tagessätzen zu bestrafen.
§ 127 (Diebstahl) Wer eine
fremde bewegliche Sache einem anderen mit dem Vorsatz wegnimmt, sich oder einen
Dritten durch deren Zueignung zu bereichern, ist mit Freiheitsstrafe bis zu
sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.
§ 134 (Unterschlagung) Wer ein
fremdes Gut, das er gefunden hat oder das durch Irrtum oder sonst ohne sein
Zutun in seinen Gewahrsam geraten ist, sich oder einem Dritten mit dem Vorsatz
zueignet, sich oder einen Dritten unrechtmäßig dadurch zu bereichern, ist mit
Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen
zu bestrafen.
§ 137 (Eingriff in fremdes Jagd-
oder Fischereirecht) Wer unter Verletzung fremden Jagd- oder
Fischereirechts dem Wild nachstellt, fischt, Wild oder Fische tötet, ist mit
Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen
zu bestrafen.
§ 142 (Raub) Wer mit Gewalt
gegen eine Person oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder
Leben einem anderen eine fremde bewegliche Sache mit dem Vorsatz wegnimmt oder
abnötigt, durch deren Zueignung sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu
bereichern, ist mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen.
§ 144 (Erpressung) Wer jemanden
mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung zu einer Handlung, Duldung oder
Unterlassung nötigt, die diesen oder einen anderen am Vermögen schädigt, und
dabei mit dem Vorsatz handelt, durch das Verhalten des Genötigten sich oder
einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, ist mit Freiheitsstrafe von sechs
Monaten bis zu fünf Jahren zu bestrafen.
§ 146 (Betrug) Wer mit dem
Vorsatz, durch das Verhalten des Getäuschten sich oder einen Dritten
unrechtmäßig zu bereichern, jemanden durch Täuschung über Tatsachen zu einer
Handlung, Duldung oder Unterlassung verleitet, die diesen oder einen anderen am
Vermögen schädigt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit
Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.
§ 153 (Untreue) Wer die ihm
durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis,
über fremdes Vermögen zu verfügen oder einen anderen zu verpflichten,
wissentlich missbraucht und dadurch dem anderen einen Vermögensnachteil zufügt,
ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360
Tagessätzen zu bestrafen.
§ 164 (Hehlerei) Wer den Täter
einer mit Strafe bedrohten Handlung gegen fremdes Vermögen nach der Tat dabei
unterstützt, eine Sache, die dieser durch sie erlangt hat, zu verheimlichen
oder zu verwerten, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit
Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.
§ 169 (Brandstiftung) Wer an
einer fremden Sache ohne Einwilligung des Eigentümers eine Feuersbrunst
verursacht, ist mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren zu bestrafen.
§ 201 (Vergewaltigung) Wer eine
Person mit Gewalt, durch Entziehung der persönlichen Freiheit oder durch
Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zur Vornahme oder Duldung
des Beischlafes oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen
Handlung nötigt, ist mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren
zu bestrafen.
§ 211 (Blutschande) Wer mit
einer Person, die mit ihm in gerader Linie verwandt ist, den Beischlaf
vollzieht, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen.
§ 216 (Zuhälterei) Wer mit dem
Vorsatz, sich aus der Prostitution einer anderen Person eine fortlaufende
Einnahme zu verschaffen, diese Person ausnutzt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu
einem Jahr zu bestrafen.
§ 223 (Urkundenfälschung) Wer
eine falsche Urkunde mit dem Vorsatz herstellt oder eine echte Urkunde mit dem
Vorsatz verfälscht, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines
Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werde, ist mit
Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen.
§ 242 (Hochverrat) Wer es
unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt die Verfassung der
Republik Österreich oder eines ihrer Bundesländer zu ändern oder ein zur
Republik Österreich gehörendes Gebiet abzutrennen, ist mit Freiheitsstrafe von
zehn bis zwanzig Jahren zu bestrafen.
§ 269 (Widerstand gegen die
Staatsgewalt) Wer eine Behörde mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt
oder wer einen Beamten mit Gewalt oder durch gefährliche Drohung an einer
Amtshandlung hindert, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.
§ 321 (Völkermord) Wer in der
Absicht, eine durch ihre Zugehörigkeit zu einer Kirche oder
Religionsgesellschaft, zu einer Rasse, einem Volk, einem Volksstamm oder einem
Staat bestimmte Gruppe als solche ganz oder teilweise zu vernichten, Mitglieder
der Gruppe tötet oder in vergleichbarer Weise verletzt, ist mit lebenslanger
Freiheitsstrafe zu bestrafen.
§ 7 Person
A) Privatrecht
B) Natürliche Person
C) Juristische Person
D) Entstehung von Rechten und
Pflichten
A) Privatrecht
I. Rechtswirklichkeit
Auch losgelöst von der Hoheitsgewalt
des zivilisierten Staates stehen die Menschen in zahlreichen Beziehungen
zueinander. Bisher können Menschen nur von anderen Menschen hervorgebracht
werden und sind am Anfang ihres Lebens so unselbständig, dass sie ohne andere
Menschen ihre Geburt nur ganz kurze Zeit überleben könnten. Deswegen müssen sie
lange Zeit ganz umfassend von anderen Menschen versorgt werden.
Mit ihrer natürlichen Entwicklung
einher verlaufen vielfache Lernvorgänge im Austausch mit Eltern, Geschwistern,
Nachbarn, Freunden, Lehrern, Wettbewerbern und Feinden. Mit der Zunahme des
Wissens und der Fähigkeiten wird die Verselbständigung möglich. Deswegen kann
der Mensch allmählich eigenständiger Teilnehmer an den gesellschaftlichen
Vorgängen werden.
Erst werden ihm ganz einfache
Geschäfte ermöglicht. Danach wird er in zeitlich genau festgelegten Schritten
mit allen Rechten und Pflichten in die jeweilige Rechtsgemeinschaft
aufgenommen. In arbeitsteiligen marktwirtschaftlichen Gegebenheiten muss er nur
genügend Zahlungsmittel haben oder erwerben und er kann alle notwendigen oder
überflüssigen Sachen dieser Welt erlangen, die ihm im Überfluss von anderen
Menschen angeboten oder auch abgenommen werden.
Er kann vor allem kaufen und
verkaufen, mieten und vermieten, verschenken und geschenkt erhalten, arbeiten
lassen und arbeiten. Er kann sich mit anderen Menschen zusammentun oder nicht,
heiraten oder nicht, Nachkommen zeugen und gebären oder nicht, ganz wie er in
einigermaßen freier Entscheidung möchte. Am Ende seines Lebens kann er sein
Vermögen anderen Menschen nach seiner Wahl zuwenden oder das geltende Recht
darüber entscheiden lassen.
In all diesen Fragen begleitet ihn das
Recht. Durch Verbote und Gebote schränkt es seine ursprüngliche Freiheit ein
und sichert sie zugleich. In vielen Hinsichten überlässt der mit Hoheitsgewalt
ausgestattete Staat weite Strecken dieser Lebensbereiche bis hin zur Schaffung
juristischer Personen der Privatautonomie des Einzelnen.
II. Wesen
Privatrecht ist dementsprechend das von der
Hoheitsgewalt des Staates grundsätzlich freie Recht, in dem der Staat nicht in
seiner Eigenschaft als Hoheitsträger tätig wird. Ein solches lateinisch ius
privatum genanntes Gebiet wurde bereits von den römischen Rechtskundigen
ansatzweise zu einer gedanklichen Einheit zusammengefasst. Mit der Aussonderung
des Staatsrechts (bzw. des Verfassungsrechts und des Verwaltungsrechts),
des Prozessrechts und des Strafrechts aus dem gesamten Recht als
eigene Rechtsgebiete in der Rechtswissenschaft der frühen Neuzeit ist es so
selbverständlich zu einer eigenen Einheit geworden, dass Bayern 1756 einen
besonderen Codex Maximilianeus Bavaricus civilis schaffen konnte, Frankreich
1804 einen Code civil und Österreich nach jahrzehntelanger Vorbereitung seit
Maria Theresia am 1. 6. 1811 ein Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB).
Nach § 1 dieses 1812 in Kraft
getretenen Gesetzbuchs macht der Inbegriff der Gesetze, wodurch die
Privatrechte und Pflichten der Einwohner des Staates unter sich bestimmt
werden, das bürgerliche Recht in demselben aus. Demnach sind zu Beginn des
19. Jahrhunderts Privatrecht und bürgerliches Recht gleichbedeutend. Da
lateinisch civis deutsch Bürger ist, entspricht dem deutschen Wort bürgerliches
Recht auch das französische droit civil des Code civil oder Bürgerlichen
Gesetzbuchs, so dass Privatrecht auch Zivilrecht ist.
Kennzeichen dieses Privatrecht,
Zivilrecht oder auch bürgerliches Recht genannten Teiles des gesamten Rechtes
ist, dass in ihm der Träger von Hoheitsgewalt nicht in seiner Eigenschaft als
solcher tätig wird. Es ist ein Raum der Freiheit, in dem grundsätzlich
jedermann seinen Willen zu verwirklichen versuchen kann. Freilich stehen diesem
theoretischen Idealzustand tatsächlich mannigfache Hindernisse gegenüber.
III. Arten
Allerdings hat sich seit der Schaffung
der ersten Gesetzbücher des bürgerlichen Rechts, Privatrechts oder Zivilrechts
an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert die Wirklichkeit erheblich verändert.
Aus der agrarisch geprägten Gesellschaft der frühen Neuzeit wurde infolge der
industriellen Revolution die von Handel und Arbeit bestimmte modernere Industriegesellschaft
und aus ihr danach die Dienstleistungsgesellschaft. Dementsprechend wird
innerhalb des Privatrechts inzwischen das allgemeine bürgerliche Recht vom
besonderen Privatrecht der Arbeit und des Handels getrennt.
1. Allgemeines Privatrecht
Allgemeines, für jedermann
grundsätzlich in gleicher Weise geltendes Privatrecht ist der in die großen
Privatrechtsgesetzbücher aufgenommene Rechtsstoff. Zu ihm gehören aber alle
sachlich mit ihm zu verbindenden modernen Fortschreibungen. Deswegen sind
Gegenstände des bürgerlichen Rechts als allgemeinen Privatrechts etwa auch das
Wohnungseigentum, das Mietrecht, die Todeserklärung, (die Ehe,) der
Konsumentenschutz, die Amtshaftung, die Eisenbahnhaftung, die
Kraftfahrzeughaftung, das Grundbuch, die Landpacht oder das internationale
Privatrecht, obwohl ihre modernen Regeln sich nicht mehr (nur) im Allgemeinen
Bürgerlichen Gesetzbuch finden, sondern (auch) in von ihm getrennten besonderen
Gesetzen
2. Sonderprivatrecht
Sonderprivatrecht ist das von Anfang
an außerhalb der bürgerlichen Gesetzbücher geregelte Recht. Dazu gehört in
erster Linie das Handelsrecht (oder später auch Unternehmensrecht oder
Wirtschaftsrecht), das bereits unter Napoleon Bonaparte in einem eigenen
Handelsgesetzbuch (Code de commerce 1807) geregelt wurde und zu dem noch
Handelsvertreterrecht, Aktienrecht, das die Gesellschaft mit beschränkter
Haftung betreffende Recht, Genossenschaftsrecht, Wettbewerbsrecht,
Kartellrecht, Privatversicherungsrecht, Wechselrecht, Scheckrecht und manches
Andere hinzugekommen sind. Weitgehend außerhalb von Gesetzbüchern hat sich dazu
seit dem 19. Jahrhundert das besondere Arbeitsrecht entwickelt, das
teils Privatrecht, teils aber auch öffentliches Recht (z. B.
Arbeitsschutzrecht) ist.
IV. Gliederung des Privatrechts
1. Gliederung des Allgemeinen
Bürgerlichen Gesetzbuchs
Bei seinem Inkrafttreten zum 1. 1.
1812 wurde das allgemein an jeden Staatsangehörigen gerichtete, vor allem von
Karl Anton von Martini (1726-1800) und seinem Schüler Franz von Zeiller
(1751-1828) geprägte Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) Österreichs in
eine Einleitung und drei Teile gegliedert. Nach § 14 ABGB haben die in dem
bürgerlichen Gesetzbuch enthaltenen Vorschriften das Personenrecht, das Sachenrecht
und die denselben gemeinschaftlich zukommenden Bestimmungen zum
Gegenstand. Diese grundsätzliche Einteilung des Privatrechts nach Personen und
Sachen folgt dem als Institutionen bekannt gewordenen Werk des römischen
Rechtskundigen Gaius von etwa 160 n. Chr. und heißt deswegen
Institutionensystem.
Der erste Teil handelt von dem
Personenrechte. Er umfasst die Paragraphen 15-283 und beginnt mit den Rechten,
die sich auf persönliche Eigenschaften und Verhältnisse beziehen, wobei nach
§ 16 ABGB jeder Mensch angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende
Rechte hat und daher als eine Person (Rechtssubjekt, Subjekt des Rechtes) zu
betrachten ist. Es folgen Eherecht (§§ 44ff. ABGB), Recht zwischen Eltern
und Kindern (§§ 137ff. ABGB), die Obsorge einer anderen Person (§§ 187ff. ABGB)
und Sachwalterschaft, sonstige gesetzliche Vertretung und Vorsorgevollmacht (§§
268ff. ABGB).
Der zweite Teil betrifft das Sachenrecht.
Er umfasst die Paragraphen 285-1341 ABGB. Davon behandeln die Paragraphen
309-858 ABG die dinglichen Rechte wie Besitz und Eigentum (sowie Erbe) und die
§§ 859-1341 ABGB die persönlichen Sachenrechte wie Schenkung oder Verwahrung.
Im abschließenden dritten Teil sind
die Personen und Sachen gemeinschaftlichen Bestimmungen vereinigt. Sie reichen
von § 1342 bis § 1502 ABGB. Erfasst sind etwa Befestigung der Rechte und
Verbindlichkeiten (z. B. Bürgschaft), Umänderung der Rechte und
Verbindlichkeiten (z. B. Abtretung, Schuldübernahme), Aufhebung der Rechte und
Verbindlichkeiten sowie Verjährung und Ersitzung.
2. Neuere
wissenschaftlich-systematische Gliederung des Rechtsstoffs
Das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch
des Jahres 1900 trennt nicht mehr nur wie Gaius zwischen Personen und Sachen,
sondern unterscheidet als Ergebnis der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem
römischen, von Gaius (um 160 n. Chr.) bis Justinian (527-565) stark
angewachsenen Rechtsstoff (der Pandekten [aller römischen
Rechtskundigen]) seit der Rezeption vor allem am Übergang vom 18. Jahrhundert
zum 19. Jahrhundert fünf Sachgebiete. Sie enthalten einen allgemeinen, den
besonderen Rechtseinrichtungen vorangestellten, hauptsächlich die Person
betreffenden Teil (Allgemeiner Teil), das Schuldrecht, das Sachenrecht, das
Familienrecht und das Erbrecht. Diesem Pandektensystem folgt die neuere
Privatrechtswissenschaft trotz der unveränderten gesetzlichen Gliederung des
Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs (auch in Österreich).
Dementsprechend werden in einem Allgemeinen
Teil die Person (§§ 15-43 ABGB) und die Rechte (§§ 859-937,
1352-1502 ABGB) im Allgemeinen behandelt. Das Schuldrecht beschäftigt
sich mit den §§ 938-1341 (persönlichen Sachenrechte) und 1431-1437 ABGB.
Gegenstand des Sachenrechts sind die §§ 309-858 ABGB (dingliche Rechte
unter Ausschluss des Erbrechts).
Das Familienrecht hat die Eheschließung, die persönlichen Wirkungen der Ehe, die vermögensrechtlichen Wirkungen der Ehe (§§ 1217-1266 ABGB), die Scheidung und Aufhebung der Ehe, das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern und die Obsorge und Sachwalterschaft zum Gegenstand. Das Erbrecht ve